Neuer Schwung im Kloster - KristinaReiss.com
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menschen | porträt | Nr. 40, 1. Oktober 2012 | Migros-Magazin |<br />
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<strong>Neuer</strong> <strong>Schwung</strong> <strong>im</strong> <strong>Kloster</strong><br />
Während andere <strong>im</strong> Alter von 20 Jahren das Leben mit allem Drum und Dran geniessen, haben sich<br />
Mönch <strong>im</strong> <strong>Kloster</strong> Einsiedeln entschieden. Zwei Einzelfälle? Mitnichten. Junge Interessenten gibt es
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Das Leben <strong>im</strong><br />
<strong>Kloster</strong> ist für<br />
Frater Thomas<br />
(links) und Frater<br />
Philipp keine<br />
Weltflucht.<br />
Thomas Fässler und Philipp Steiner schon sehr früh für ein Leben als<br />
viele. Doch nicht alle werden aufgenommen.<br />
Ein Mann, der den ganzen Tag einsam<br />
<strong>im</strong> abgedunkelten Raum sitzt<br />
und Rosenkranz betet: «Dieses Bild<br />
haben viele <strong>im</strong> Kopf, wenn sie an einen<br />
Mönch denken», sagt Frater Thomas<br />
Fässler mit schelmisch blitzenden<br />
Augen. Gerade eben hat er ein lustiges<br />
Youtube-Filmchen als Werbung für<br />
einen Jugendanlass ins Netz gestellt. Der<br />
27-Jährige trägt die schwarze Kutte der<br />
Benediktiner und lebt seit sechs Jahren<br />
hinter den Mauern des <strong>Kloster</strong>s Einsiedeln.<br />
Nach fast 40 Jahren war er letztes<br />
Jahr der erste gebürtige Einsiedler, der<br />
wieder die feierliche Profess ablegte und<br />
damit nach fünf Probejahren versprach,<br />
für <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> <strong>Kloster</strong> zu bleiben.<br />
In den USA sind junge Mönche<br />
keine Exoten<br />
Der aufgeschlossene junge Mann ist gerade<br />
von einem Studienjahr in den USA<br />
zurück. Beeindruckt erzählt er von<br />
New York und Chicago, von den Armenküchen,<br />
in denen er mitgeholfen hat und<br />
von seinem Studium <strong>im</strong> <strong>Kloster</strong><br />
St. Meinrad in Indiana. Nach vier Jahren<br />
an der Theologischen Schule des <strong>Kloster</strong>s<br />
Einsiedeln lernte er jenseits des Atlantiks<br />
die Praxis kennen: predigen,<br />
Seelsorge, Beichtgespräche und Messe<br />
feiern. Seither kommen ihm die Predigten<br />
in der Schweiz «richtig fad» vor. Am<br />
meisten genoss er es aber, für einmal<br />
kein Exot zu sein, sondern mit 150 anderen<br />
jungen Brüdern und Priesterseminaristen<br />
zusammen zu leben.<br />
Aus der He<strong>im</strong>at ist ihm dies nämlich<br />
fremd: Schweizer Klöster leiden unter<br />
eklatantem Nachwuchsmangel; junge<br />
Mönche sind äusserst selten, Ordensgemeinschaften<br />
schrumpfen. Letzteres<br />
betrifft auch die Einsiedler Benediktiner.<br />
Zählte die Gemeinschaft vor zehn<br />
Jahren 90 Mönche, sind es heute nur<br />
noch gut 60. Gleichzeitig aber — und das<br />
kommt einer kleinen Sensation gleich —
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verjüngte sich der Altersdurchschnitt:<br />
So traten neben Frater Thomas in den<br />
letzten Jahren gleich zwei junge Männer<br />
Anfang 20 ins <strong>Kloster</strong> ein. Einer von ihnen<br />
ist Frater Philipp Steiner aus Brunnen<br />
SZ, der mit 26 Jahren der jüngste<br />
Bruder der Gemeinschaft ist.<br />
Was ist das Gehe<strong>im</strong>nis von Einsiedeln?<br />
«Junge ziehen Junge an», sagt der<br />
ruhig und überlegt wirkende Frater Philipp.<br />
«Ausserdem verstecken wir uns<br />
nicht vor der Welt.» Das <strong>Kloster</strong> ist<br />
wegen der berühmten Wallfahrt nach<br />
Einsiedeln und der schwarzen Madonna<br />
unter Gläubigen ein Begriff. Auch der<br />
twitternde und für seine weltoffenen<br />
Ansichten bekannte Abt Martin Werlen<br />
mag dazu beitragen. Interessenten am<br />
Leben hinter den <strong>Kloster</strong>mauern gäbe es<br />
jedenfalls genügend. «Das <strong>Kloster</strong><br />
könnte voll sein, aber die meisten werden<br />
abgewiesen», sagt Frater Philipp.<br />
«Wir suchen Leute, die interessiert sind<br />
und nicht nur vor etwas davonlaufen.»<br />
Straffer Gebetsmarathon<br />
und am Freitag jeweils ein Bier<br />
Die beiden Mönche sind sich einig: Auch<br />
heute gäbe es genug geeignete Kandidaten<br />
— hätten die Leute nur eine realere<br />
Vorstellung vom <strong>Kloster</strong>leben. Dieses<br />
wird in erster Linie von den fünf täglichen<br />
Gebetszeiten geprägt, die um 5.30<br />
Uhr mit der sogenannten Vigil beginnen<br />
und abends mit der Komplet um 20.00<br />
Uhr enden. Dazwischen ist Zeit für privates<br />
Bibelstudium, für Arbeit in den<br />
klostereigenen Handwerksbetrieben, an<br />
den zwei Schulen, für die tägliche Messe,<br />
Seelsorgetätigkeiten und den Austausch<br />
mit Mitbrüdern. Ab 20.15 Uhr<br />
herrscht jeweils Nachtruhe — ausser am<br />
Freitag: Da sitzen die Mönche in geselliger<br />
Runde bei einem Bier zusammen.<br />
«Unsere Gebete halten wir stellvertretend<br />
für alle, die nicht beten können<br />
oder wollen», sagt Frater Thomas. «Um<br />
glaubwürdig zu sein, müssen wir deshalb<br />
wissen, was in der Welt vor sich<br />
geht.» Im Zeitungsz<strong>im</strong>mer liegen sämtliche<br />
Tageszeitungen, man kann fernsehen<br />
und ins Internet, manche Brüder<br />
nutzen Facebook.<br />
Was Frater Thomas ins <strong>Kloster</strong> zog?<br />
Gott wolle er suchen, sein ganzes Leben<br />
danach ausrichten. Das <strong>Kloster</strong> biete dafür<br />
den idealen Rahmen. Schon während<br />
der Gymnasialzeit an der klösterlichen<br />
Stiftsschule, als er einige seiner heutigen<br />
Mitbrüder als Lehrer hatte, spukte diese<br />
Idee in seinem Kopf herum. Doch erst<br />
nach einem Bachelorabschluss in Latein<br />
und Geschichte an der Uni Freiburg war<br />
ihm klar: «Mein Platz ist <strong>im</strong> <strong>Kloster</strong>.»<br />
<strong>Kloster</strong> Einsiedeln<br />
Im Jahr 835 zog sich der von der Bodenseeinsel<br />
Reichenau stammende Benediktiner<br />
Meinrad als Einsiedler an den<br />
Ort des heutigen <strong>Kloster</strong>s zurück. Andere<br />
Einsiedler folgten ihm. 934 wurden<br />
sie zu einem Benediktinerkloster<br />
zusammengefasst, bereits <strong>im</strong> zehnten<br />
Jahrhundert galt es als geistliches und<br />
kulturelles Zentrum. Heute ist das <strong>Kloster</strong><br />
Einsiedeln in der Gemeinde Einsiedeln<br />
SZ ein Mittelpunkt der katholischen<br />
Schweiz und ein international beliebter<br />
Wallfahrtsort: Die schwarze Madonna in<br />
der Gnadenkapelle ist Anziehungspunkt<br />
für Pilger und Touristen; die <strong>Kloster</strong>anlage<br />
gilt als eines der bedeutendsten<br />
barocken Kulturgüter nördlich der Alpen.<br />
Das Benediktinerinnenkloster Fahr bei<br />
Zürich gehört seit seiner Gründung <strong>im</strong><br />
Jahre 1130 ebenfalls zur Abtei Einsiedeln;<br />
der Abt von Einsiedeln ist deshalb auch<br />
Abt des <strong>Kloster</strong>s Fahr. Zusammen bilden<br />
die beiden Institutionen das weltweit<br />
einzige noch erhalten gebliebene<br />
Doppelkloster <strong>im</strong> Benediktinerorden.<br />
«Man entzieht sich<br />
mit diesem Schritt<br />
schon ein Stück weit<br />
der Familie.»<br />
Frater Philipp<br />
Frater Philipp be<strong>im</strong> Blumengiessen. «Wir verstecken uns nicht<br />
vor der Welt.»<br />
Bei Frater Philipp war der Weg nicht ganz<br />
so vorgezeichnet. Seine Familie sei<br />
«massvoll katholisch, aber nicht speziell<br />
reflektiert», unter Gleichaltrigen war<br />
er der Einzige, für den Glaube und Kirche<br />
eine grosse Rolle spielten. Das <strong>Kloster</strong><br />
Einsiedeln kannte er von Familienausflügen.<br />
Irgendwann tauchte sie auf,<br />
die Idee, dort zu leben. Nach der Matura<br />
verbrachte er ein paar Tage <strong>im</strong> <strong>Kloster</strong><br />
— ein Angebot, das interessierten Männern<br />
offensteht — und entschied sich<br />
dann für ein Einführungsjahr am Priesterseminar<br />
Chur, das ihm Gelegenheit<br />
bot, verschiedene religiöse Berufe kennenzulernen.<br />
Da wusste er: «Ich will<br />
Mönch werden.»<br />
Während Frater Thomas’ Eltern mit<br />
der Entscheidung ihres Sohns fast gerechnet<br />
hatten, tat sich Frater Philipps<br />
Mutter anfangs schwer damit. Sie hatte<br />
sich darauf eingestellt, ihr Sohn würde<br />
Theologie studieren, womöglich Priester<br />
werden. Aber ins <strong>Kloster</strong> gehen?<br />
«Man entzieht sich mit diesem Schritt<br />
schon ein Stück weit der Familie», zeigt
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Frater Philipp Verständnis. «Aber ich<br />
sage meiner Mutter <strong>im</strong>mer: Wäre ich in<br />
einer Beziehung, käme ich auch nicht<br />
öfter nach Hause.» Mehr als ein Mal pro<br />
Jahr kehren die Mönche in der Regel<br />
nicht in ihre Elternhäuser zurück.<br />
Besuch können Sie allerdings jederzeit<br />
bekommen.<br />
Den Kontakt zu Eltern und Freunden<br />
aufrechtzuerhalten, ist enorm wichtig,<br />
finden beide Brüder. In die Klausur, den<br />
Trakt, in dem sich die Gemächer der<br />
Mönche befinden, bekommen Fremde<br />
aber meist keinen Zutritt. Familie und<br />
Freunde der Brüder haben deshalb deren<br />
Z<strong>im</strong>mer noch nie gesehen.<br />
Laptop und Handy: Mönche sind<br />
heutzutage gut vernetzt<br />
Zu Freunden sei die Verbindung nun viel<br />
ernsthafter, manche kämen jetzt auch<br />
mit seelsorgerischen Themen. «Als ich<br />
verkündet hatte, ins <strong>Kloster</strong> zu gehen,<br />
sagten viele überrascht: Das hätte ich<br />
nicht von dir gedacht!», erzählt Frater<br />
Thomas und grinst. «Das hat mich ge-<br />
«Unsere Gebete halten wir stellvertretend für alle, die nicht beten können oder wollen», sagt Frater<br />
Thomas. Die Mönche treffen sich täglich fünf Mal zum Gebet.<br />
«Ich habe oft Angst,<br />
die Leute könnten in<br />
mir einen konservativen<br />
Geistlichen sehen.»<br />
Frater Thomas<br />
freut — dass sie mich nicht als ewigen<br />
Mönch gesehen haben.»<br />
Verabredungen finden meist via<br />
E-Mail statt. Einen PC oder Laptop<br />
besitzen heute die meisten. Und auch ein<br />
Telefon — aber die Nummern wissen nur<br />
wenige. «Ich will nicht, dass es ständig<br />
klingelt», sagt Frater Thomas. Zum<br />
Stichwort Weltflucht meint Frater Philipp<br />
nur: «Das Leben <strong>im</strong> <strong>Kloster</strong> haben<br />
wir alle freiwillig gewählt. Wir sind nicht<br />
schwer vermittelbar für Beziehungen<br />
oder so, wir sehen hier den Sinn eines<br />
erfüllten Lebens.» Und Bruder Thomas<br />
ergänzt: «Wir verzichten nicht auf etwas,<br />
sondern für etwas.» Solch eine bewusste<br />
Wahl falle heute vielen schwer.<br />
Spielten Freunde bei Treffen ständig mit<br />
ihren Smartphones, denke er oft: «Leg<br />
dich mal fest, mit wem du deine Zeit verbringen<br />
willst!» Entscheide man sich<br />
für etwas, sei man viel freier.<br />
Doch auch <strong>im</strong> Leben eines Mönchs ist<br />
nicht alles eitel Sonnenschein. Frater<br />
Thomas vermisst zuweilen, selbst zu best<strong>im</strong>men,<br />
was auf den Tisch kommt, oder<br />
mal ins Kino zu gehen. Und Frater Philipp<br />
meint: «Gleichaltrige bekommen<br />
nun die ersten Kinder — das ist schon ein<br />
grosser Verzicht.» Viele Komponenten<br />
einer Zweierbeziehung liessen sich aber<br />
auch hier finden, ergänzt sein Mitbruder:<br />
«Vertrauen, ein offenes Ohr finden.<br />
Klar, Int<strong>im</strong>itäten und Sexualität natürlich<br />
nicht. Der Verzicht darauf fällt mal<br />
schwerer, mal leichter. In Gesprächen<br />
mit Jugendlichen ist dies <strong>im</strong>mer die zentrale<br />
Frage. Da entgegne ich stets, dass<br />
dieses Thema überbewertet werde. Man<br />
muss aufpassen, das Ganze nicht zu romantisieren.<br />
So wie man draussen nicht<br />
bei jeder Beziehungskrise in Erwägung<br />
ziehen sollte, ins <strong>Kloster</strong> zu gehen.»<br />
«Als Mönche sind wir<br />
alternative Typen»<br />
Ist das <strong>Kloster</strong>leben überhaupt noch<br />
zeitgemäss? Diese Frage drängt sich <strong>im</strong><br />
21. Jahrhundert schon auf. «Auf jeden<br />
Fall», findet Frater Philipp. «Als Mönche<br />
sind wir alternative Typen. Die<br />
christliche Alternative ist extrem wichtig<br />
heutzutage.» In Kürze beginnt er ein<br />
Studienjahr in den USA, und Frater Thomas<br />
wird <strong>im</strong> Herbst ein Masterstudium<br />
an der Uni Bern beginnen. Er ist gespannt<br />
auf die Reaktionen: «Sitze ich in<br />
meiner Kutte <strong>im</strong> Zug, habe ich oft Angst,<br />
die Leute könnten in mir einen konservativen<br />
Geistlichen sehen.» — «Genau»,<br />
fällt Frater Philipp ein, «die Pius-<br />
Brüder laufen auch so rum! Aber wir<br />
würden uns nie als konservativ bezeichnen!»<br />
— «Sicher nicht!»<br />
<br />
Text: Kristina Reiss<br />
<br />
Bilder: Jorma Müller