02.07.2015 Aufrufe

Meinhard von Gerkan – Vielfalt in der Einheit

978-3-86859-372-3

978-3-86859-372-3

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

jürgen tietz<br />

<strong>Me<strong>in</strong>hard</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>Gerkan</strong> <strong>–</strong><br />

<strong>Vielfalt</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> E<strong>in</strong>heit<br />

Die autorisierte Biografie





12<br />

Vorwort<br />

22<br />

26<br />

28<br />

31<br />

Im Mahlwerk <strong>der</strong> Geschichte<br />

K<strong>in</strong>dheit <strong>in</strong> Riga<br />

Jugendjahre <strong>in</strong> Posen<br />

Sonntagskuchen<br />

Anthroposophische Rettung<br />

46<br />

50<br />

55<br />

61<br />

65<br />

67<br />

Bauen lernen<br />

Berl<strong>in</strong>er Verlockungen<br />

Braunschweiger Auftakt<br />

Entwerfen als „U-Boot“<br />

Japanische Erfahrungen<br />

Tradition und Mo<strong>der</strong>ne<br />

Geme<strong>in</strong>sam planen<br />

74<br />

79<br />

84<br />

98<br />

107<br />

112<br />

Architektur für Flughäfen<br />

Im Sechseck voraus<br />

Von <strong>der</strong> Vision zur Wirklichkeit<br />

Tegel konkret<br />

Chronik e<strong>in</strong>es angekündigten Scheiterns<br />

Rückkehr im Spr<strong>in</strong>t<br />

Tegel reloaded<br />

118<br />

Internationale Erkundungen


128<br />

131<br />

137<br />

144<br />

150<br />

Trotz bauen, denken! <strong>–</strong> Als Stararchitekt<br />

<strong>in</strong> Braunschweig und <strong>der</strong> Welt<br />

Dogma statt Kreativität<br />

Die vier Pfeiler <strong>der</strong> Architektur<br />

Raum und Kritik<br />

Liebe und Lehre<br />

Gruppen mit Variation<br />

166<br />

168<br />

172<br />

173<br />

Architekten wohnen<br />

Home Sweet Home<br />

Wechselwirkungen<br />

Mo<strong>der</strong>ne Rezeption<br />

Schlacht um die Schlucht<br />

184<br />

185<br />

189<br />

193<br />

197<br />

Im Klang <strong>der</strong> Architekten<br />

Hohe Hallen<br />

Revitalisierung des Zentrums <strong>–</strong><br />

Stadthalle Bielefeld<br />

Dampfer an <strong>der</strong> Trave <strong>–</strong><br />

Musik- und Kongresshalle Lübeck (MuK)<br />

Bauen für die Kulturhauptstadt <strong>–</strong><br />

Neue Weimarhalle<br />

Zelt aus Ste<strong>in</strong> <strong>–</strong> Tempodrom <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

206<br />

209<br />

223<br />

Für Gott und die Welt<br />

Der Christus-Pavillon pilgert <strong>von</strong> Hannover<br />

nach Volkenroda<br />

Jahrmarkt <strong>der</strong> Eitelkeiten<br />

Komplex statt kompliziert<br />

230<br />

Hauptstadtrausch <strong>–</strong>Architektur als<br />

kulturelles Leitmedium<br />

248<br />

250<br />

Zug um Zug <strong>–</strong> Projekte für die Bahn<br />

Gebaute Bewegung<br />

Bahn vor <strong>der</strong> Bahn<br />




251<br />

263<br />

265<br />

Von Spandau nach Mitte<br />

Vom Metropolitan zum Edel-ICE<br />

Kurzes Dach und flache Decke<br />

276<br />

279<br />

285<br />

287<br />

Internationale Aufbrüche<br />

Auswärtige Angelegenheiten<br />

Mo<strong>der</strong>ne Tradition<br />

Verschattende Pyramiden<br />

„Mo<strong>der</strong>n werden und<br />

zu den Quellen zurückkehren“<br />

294<br />

298<br />

300<br />

307<br />

311<br />

316<br />

323<br />

329<br />

337<br />

344<br />

352<br />

358<br />

Murmelndes Wasser im pfeifenden W<strong>in</strong>d<br />

Ch<strong>in</strong>esischer Aufbruch<br />

Deutsche Botschaftsschule Pek<strong>in</strong>g<br />

Blüte <strong>von</strong> Nann<strong>in</strong>g<br />

Wandel und Werte<br />

Ch<strong>in</strong>esische Unterschiede<br />

Standort Ch<strong>in</strong>a<br />

In Bewegung<br />

Drei kl<strong>in</strong>gende Schwestern<br />

Museen als Geschichte<br />

Krönung als Herausfor<strong>der</strong>ung <strong>–</strong><br />

Ch<strong>in</strong>esisches Nationalmuseum<br />

Tropfen o<strong>der</strong> Träne? Die neue Stadt L<strong>in</strong>gang<br />

Asiatische Perspektiven<br />

364<br />

Rückkehr nach Riga<br />

376<br />

Coda <strong>–</strong> Blick aus <strong>der</strong> Vogelperspektive<br />

382<br />

386<br />

390<br />

392<br />

395<br />

Anhang<br />

Register <strong>der</strong> Projektauswahl <strong>in</strong> alphabetischer Reihenfolge<br />

Register <strong>der</strong> Projektauswahl <strong>in</strong> chronologischer Reihenfolge<br />

Literaturverzeichnis<br />

Anmerkungen<br />

Bildnachweis


Vorwort<br />

Geme<strong>in</strong>sam mit <strong>Me<strong>in</strong>hard</strong> <strong>von</strong> <strong>Gerkan</strong> sitze ich im Frühsommer 2012 auf<br />

<strong>der</strong> Terrasse des Restaurants Le Canard an <strong>der</strong> Elbchaussee. Vor uns breitet<br />

sich e<strong>in</strong> spektakuläres Panorama aus, das alle Hamburgklischees zu erfüllen<br />

sche<strong>in</strong>t: Im mittäglichen Sonnenlicht funkelt die Elbe, während am<br />

an<strong>der</strong>en Ufer <strong>der</strong> Conta<strong>in</strong>erhafen <strong>in</strong> lärmen<strong>der</strong> Bewegung ist. Doch trotz<br />

des herrlichen Sommerwetters ist die Stimmung angespannt: Gerade erst<br />

wurde die Eröffnung des neuen Berl<strong>in</strong>er Hauptstadtflug hafens verschoben.<br />

Die Planungsgeme<strong>in</strong>schaft Berl<strong>in</strong> Brandenburg International (bbi),<br />

<strong>der</strong> <strong>von</strong> <strong>Gerkan</strong>, Marg und Partner (gmp) fe<strong>der</strong>führend angehört, wurde<br />

<strong>von</strong> <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Flughafengesellschaft fristlos gekündigt. In allen Medien<br />

ist gmp präsent.<br />

Eigentlich hätte zur Flughafeneröffnung am 2. Juni 2012 auch e<strong>in</strong>e<br />

ausführliche Dokumentation des neuen Bauwerks ersche<strong>in</strong>en sollen,<br />

bei <strong>der</strong>en Vorbereitung ich die Gelegenheit hatte, <strong>Me<strong>in</strong>hard</strong> <strong>von</strong> <strong>Gerkan</strong><br />

näher kennenzulernen. Gerade noch rechtzeitig konnte <strong>der</strong> Druck gestoppt<br />

werden. Wie es auf <strong>der</strong> Baustelle des Flughafens weitergeht, ist<br />

Mitte 2012 noch völlig offen. Die Arbeiten ruhen. Jetzt haben die Anwälte<br />

das Wort.<br />

<strong>Gerkan</strong> nimmt diese Situation spürbar mit. Über den möglichen ökonomischen<br />

Schaden h<strong>in</strong>aus, <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> verschobenen Eröffnung für gmp<br />

verbunden se<strong>in</strong> kann, trifft <strong>der</strong> gewaltige Imageverlust se<strong>in</strong> <strong>in</strong>ternational<br />

agierendes Architekturbüro ganz unmittelbar. Immer wie<strong>der</strong> fragen beson<strong>der</strong>s<br />

die Bauherren aus Ch<strong>in</strong>a bei ihm nach, was denn da <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

gerade los sei.<br />

Doch das Flughafendesaster begreift <strong>Gerkan</strong> vor allem als e<strong>in</strong>e persönliche<br />

Nie<strong>der</strong>lage. Er ist äußerst verärgert, dass die Berl<strong>in</strong>er Politik<br />

12  Vorwort


ausschließlich se<strong>in</strong> Architekturbüro, das seit bald 50 Jahren weltweit<br />

Großprojekte verwirklicht, für die Verschiebung <strong>der</strong> Flughafeneröffnung<br />

verantwortlich macht.<br />

Im Lauf unseres Gesprächs fragt mich <strong>Gerkan</strong>, ob ich mir vorstellen könne,<br />

se<strong>in</strong>e Biografie zu schreiben. Zu diesem Zeitpunkt ist er 77 Jahre alt. Er sitzt<br />

mir mit se<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>drucksvollen Ersche<strong>in</strong>ung gegenüber: groß gewachsen,<br />

mit weißen Haaren. Wie so häufig trägt er e<strong>in</strong>en weit geschnittenen Anzug,<br />

dazu e<strong>in</strong>e sportliche Brille. Schon durch diese Kleidung hebt er sich<br />

<strong>von</strong> vielen se<strong>in</strong>er Berufskollegen ab, die sich ausschließlich <strong>in</strong> existenzialistischem<br />

Architektenschwarz zeigen, auf <strong>der</strong> Nase e<strong>in</strong>e gewaltige<br />

schwarze Brille, als handele es sich bei ihnen um Wie<strong>der</strong>gänger <strong>von</strong><br />

Le Corbusier.<br />

Ganz an<strong>der</strong>s bei <strong>Me<strong>in</strong>hard</strong> <strong>von</strong> <strong>Gerkan</strong>. Se<strong>in</strong> Auftreten flößt ebenso<br />

Respekt e<strong>in</strong> wie se<strong>in</strong>e Lebensleistung. Mit fast 80 Jahren zeigen sich die<br />

Spuren des Alters <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Gesicht. Doch se<strong>in</strong>er Energie, mit <strong>der</strong> er sich<br />

und an<strong>der</strong>e anspornt, sie for<strong>der</strong>t <strong>–</strong> und immer wie<strong>der</strong> auch über for<strong>der</strong>t <strong>–</strong>,<br />

tut das ke<strong>in</strong>en Abbruch.<br />

<strong>Gerkan</strong> ist e<strong>in</strong> ausgezeichneter Redner. Nach e<strong>in</strong>em kurzen Räuspern<br />

spricht er nahezu druckreif über se<strong>in</strong>e Begegnungen mit Menschen,<br />

schil<strong>der</strong>t Anekdoten aus se<strong>in</strong>em Leben. Vor allem aber erzählt er über<br />

se<strong>in</strong>e Bauten <strong>in</strong> aller Welt. Mit klarer Stimme und e<strong>in</strong>em rollenden baltischen<br />

R. Fast immer geraten se<strong>in</strong>e Ansprachen und Vorträge zu lang<br />

und sprengen das vorgegebene Zeitmaß, weil es immer noch e<strong>in</strong> Haus<br />

gibt, das er se<strong>in</strong>en Zuhörern vorstellen möchte, um das sich e<strong>in</strong>e ganz<br />

eigene Geschichte rankt. Dann wird se<strong>in</strong>em Auditorium schnell deutlich,<br />

dass <strong>Gerkan</strong> Architektur zeichnet, atmet und lebt, mit se<strong>in</strong>em ganzen<br />

Wesen und se<strong>in</strong>em ganzen Körper, dem er dafür Stunde um Stunde<br />

alle Kräfte abverlangt.<br />

Mit se<strong>in</strong>en Gebäuden gel<strong>in</strong>gt es ihm immer wie<strong>der</strong>, die S<strong>in</strong>nlichkeit<br />

<strong>der</strong> Material- und Raumwirkung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er klaren Form zu bändigen. Architektur<br />

ist ihm Geometrie, sie ist Funktion und Konstruktion, aber stets<br />

auch künstlerische Gestaltung. Erst spät <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Laufbahn, vor allem mit<br />

den Projekten <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a, lässt er auch jene freieren Formen zu, die bei ihm<br />

wenige Jahre zuvor noch undenkbar gewesen wären.<br />

13


Im Mahlwerk <strong>der</strong><br />

Geschichte


K<strong>in</strong>dheit <strong>in</strong> Riga<br />

E<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> Schwarz-Weiß-Fotografien mit dem gezackten Rand s<strong>in</strong>d<br />

kaum größer als Briefmarken. Es s<strong>in</strong>d typische K<strong>in</strong><strong>der</strong>fotos. Schnappschüsse,<br />

aus <strong>der</strong> Hand gemacht, die e<strong>in</strong>e Sommeridylle am Strand zeigen.<br />

Für <strong>Me<strong>in</strong>hard</strong> <strong>von</strong> <strong>Gerkan</strong> gehören die Fotos <strong>in</strong> dem kle<strong>in</strong>en, <strong>in</strong> hellbraunes<br />

Le<strong>der</strong> gebundenen Album zu den letzten materiellen Er<strong>in</strong>nerungsankern,<br />

die ihm <strong>von</strong> se<strong>in</strong>er frühsten K<strong>in</strong>dheit geblieben s<strong>in</strong>d. Sie er zählen<br />

<strong>von</strong> alltäglichen D<strong>in</strong>gen, vom sonntäglichen Spaziergang, <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Familienglück mit strahlenden Gesichtern und <strong>der</strong> warmen Sonne auf<br />

<strong>der</strong> Haut, <strong>von</strong> jungen Menschen mit ihrem ersten K<strong>in</strong>d, das noch e<strong>in</strong><br />

kle<strong>in</strong>es Baby ist. Schlank und hochgewachsen ist Arved <strong>von</strong> <strong>Gerkan</strong> zu<br />

sehen, dessen Gesichtszüge so prägnant denen se<strong>in</strong>es Sohnes gleichen<br />

und sich selbst bei se<strong>in</strong>em ältesten Enkel wie<strong>der</strong>f<strong>in</strong>den, dem <strong>Me<strong>in</strong>hard</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>Gerkan</strong> <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung an se<strong>in</strong>en Vater ebenfalls den Namen Arved<br />

gegeben hat.<br />

Entstanden s<strong>in</strong>d die Fotos am Ostseestrand, irgendwo bei Jurmala,<br />

wenige Kilometer außerhalb <strong>von</strong> Riga, wo die <strong>Gerkan</strong>s e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es<br />

Ferienhaus hatten. Wo das genau war, das weiß <strong>Gerkan</strong> nicht mehr. Es<br />

s<strong>in</strong>d ohneh<strong>in</strong> nur wenige Er<strong>in</strong>nerungsstücke, die die unruhigen Zeiten<br />

überdauert haben. Hier e<strong>in</strong> Brief, dort e<strong>in</strong> Foto, das den Großvater<br />

zeigt: Victor Magnus <strong>von</strong> <strong>Gerkan</strong>, <strong>der</strong> <strong>in</strong> Subate geboren wurde, nahe <strong>der</strong><br />

lettisch-litauischen Grenze.<br />

Mehr als e<strong>in</strong> halbes Jahrhun<strong>der</strong>t vergeht, ehe sich <strong>Gerkan</strong> selbst auf<br />

die Spuren se<strong>in</strong>er eigenen Geschichte begibt. Am Ende <strong>der</strong> Sowjetära<br />

reist er mit se<strong>in</strong>er zweiten Frau Sab<strong>in</strong>e <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e lettische Geburtsstadt<br />

Riga, die er im Alter <strong>von</strong> vier Jahren verlassen musste. Geme<strong>in</strong>sam fahren<br />

sie mit e<strong>in</strong>em Taxi durch die Straßen. Er<strong>in</strong>nerungsschnipsel blitzen<br />

auf. Könnte das e<strong>in</strong> Ort <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit gewesen se<strong>in</strong>? War dies die Apotheke<br />

se<strong>in</strong>es Onkels, wo er mit se<strong>in</strong>er Cous<strong>in</strong>e Jessica, genannt Jessi, gespielt<br />

hat? Doch we<strong>der</strong> die eigene Wohnung noch das Sommerhaus <strong>der</strong><br />

Familie erkennt <strong>Gerkan</strong> bei dieser Reise mit Sicherheit wie<strong>der</strong>. Se<strong>in</strong>e<br />

eigenen Er<strong>in</strong>nerungsfäden, die <strong>in</strong> die frühsten K<strong>in</strong>dheitsjahre <strong>in</strong> <strong>der</strong> lettischen<br />

Hauptstadt zurückführen, s<strong>in</strong>d sehr dünn, beruhen vor allem auf<br />

dem Hörensagen.<br />

22 Im Mahlwerk <strong>der</strong> Geschichte


E<strong>in</strong> weiteres Jahrzehnt verstreicht, ehe Leons Jakr<strong>in</strong>s und Guna<br />

Eglite, zwei Geschäftspartner und Freunde <strong>Gerkan</strong>s aus Riga, beg<strong>in</strong>nen,<br />

<strong>in</strong> den Archiven zu forschen. Und tatsächlich: In den Akten f<strong>in</strong>den sie<br />

Spuren ihres Freundes <strong>Me<strong>in</strong>hard</strong> und identifizieren se<strong>in</strong> Geburtshaus <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Dorotheenstraße 42 <strong>in</strong> Riga.<br />

Obwohl sich <strong>Gerkan</strong> kaum an se<strong>in</strong>e Zeit <strong>in</strong> Riga er<strong>in</strong>nern kann, trägt<br />

er bis heute das Wissen um se<strong>in</strong>e Herkunft als Baltendeutscher mit sich.<br />

Er fühlt sich <strong>der</strong> Stadt eng verbunden. Erstaunlich ist allerd<strong>in</strong>gs weniger,<br />

dass <strong>Gerkan</strong> nur noch so wenige Er<strong>in</strong>nerungsstücke und Familienfotos<br />

besitzt. Erstaunlich ersche<strong>in</strong>t vielmehr, dass es sie überhaupt gibt, denn<br />

sie haben die Odyssee e<strong>in</strong>er doppelten Vertreibung überdauert.<br />

Die Sommeridylle am Strand <strong>von</strong> Jurmala täuscht e<strong>in</strong>e Normalität<br />

vor, unter <strong>der</strong>en Oberfläche bereits die Weltgeschichte brodelte. Nur<br />

wenige Jahre, nachdem die K<strong>in</strong><strong>der</strong>fotos entstanden s<strong>in</strong>d, rissen die Ereignisse<br />

die kle<strong>in</strong>e Familie <strong>Gerkan</strong> mit sich fort, verwandelten sie genauso<br />

wie Hun<strong>der</strong>te Millionen an<strong>der</strong>e Menschen <strong>in</strong> Spielbälle <strong>der</strong> grausamen<br />

Ereignisse. Denn h<strong>in</strong>ter den Statistiken <strong>der</strong> Ermordeten, Gefallenen und<br />

Vertriebenen <strong>der</strong> Nazi-Diktatur und des Zweiten Weltkriegs stehen Millionen<br />

persönlicher Schicksale.<br />

<strong>Me<strong>in</strong>hard</strong> <strong>von</strong> <strong>Gerkan</strong> kommt am 3. Januar 1935 als e<strong>in</strong>ziges K<strong>in</strong>d <strong>von</strong><br />

Arved <strong>von</strong> <strong>Gerkan</strong> und dessen Frau Dagmar, geborene Walter, zur Welt.<br />

Damals trägt es den Ansche<strong>in</strong>, als böten sich dem Jungen gute Voraussetzungen<br />

für e<strong>in</strong>e glückliche K<strong>in</strong>dheit <strong>in</strong> Riga. Seit Jahrhun<strong>der</strong>ten leben<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt an <strong>der</strong> Daugava die Baltendeutschen, prägten sie wirtschaftlich<br />

und kulturell mit. In Riga hatte Johann Gottfried <strong>von</strong> Her<strong>der</strong> über<br />

den Nationalcharakter <strong>der</strong> Deutschen geschrieben, hier hatte <strong>der</strong> junge<br />

Richard Wagner erste Erfahrungen als Kapellmeister gesammelt und<br />

Karl <strong>von</strong> Holtei die Erzählung E<strong>in</strong> Mord <strong>in</strong> Riga verfasst, e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> ersten<br />

deutschsprachigen Krim<strong>in</strong>algeschichten.<br />

Zwar galt das lettisch-deutsche Verhältnis <strong>in</strong> den 30er Jahren als<br />

nicht frei <strong>von</strong> Spannungen. Doch es herrschte e<strong>in</strong>e gewisse Normalität.<br />

Insofern war es kaum verwun<strong>der</strong>lich, dass <strong>Me<strong>in</strong>hard</strong> <strong>von</strong> <strong>Gerkan</strong>s<br />

Vater Arved, <strong>der</strong> 1904 <strong>in</strong> Moskau geboren worden war, 1933 <strong>von</strong> dort<br />

als Ingenieur für Siemens nach Riga g<strong>in</strong>g. Für ihn war es die Rückkehr<br />

23


Berl<strong>in</strong>er Verlockungen<br />

Die nach dem Zweiten Weltkrieg neu gegründete Technische Universität<br />

Berl<strong>in</strong> war aus <strong>der</strong> altehrwürdigen Charlottenburger Technischen<br />

Hochschule hervorgegangen, die vor 1933 zu den e<strong>in</strong>flussreichsten deutschen<br />

Architekturfakultäten gehörte. Ihre Keimzelle bildete die <strong>von</strong> Karl<br />

Friedrich Sch<strong>in</strong>kel gegründete Bauakademie. Im späten 19. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

lehrte dort unter an<strong>der</strong>em <strong>der</strong> Historist Julius Raschdorff, Architekt des<br />

Berl<strong>in</strong>er Doms und des Hauptbaus <strong>der</strong> Hochschule. In den 20er Jahren<br />

prägten dann zunehmend die Vertreter <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne die TH. Zu ihnen<br />

zählten He<strong>in</strong>rich Tessenow, Architekt des Festspielhauses <strong>in</strong> Dresden-<br />

Hellerau, sowie Hans Poelzig, <strong>der</strong> das Große Schauspielhaus <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-<br />

Mitte, den Vorgängerbau des heutigen Friedrichstadt-Palasts, und das<br />

Haus des Rundfunks <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-Charlottenburg entwarf.<br />

Im Zuge <strong>der</strong> Neugründung wurden nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausbildung <strong>der</strong> Studenten konzeptionell neue Wege beschritten.<br />

E<strong>in</strong>e geisteswissenschaftliche Basis im Rahmen e<strong>in</strong>es Studium generale<br />

war nun verpflichtend. Vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> Erfahrungen <strong>der</strong> NS-<br />

Zeit sollte so <strong>der</strong> „Betriebsbl<strong>in</strong>dheit“ e<strong>in</strong>es technischen Spezialistentums<br />

vorgebeugt werden.<br />

Als <strong>Gerkan</strong> an die Architekturfakultät kam, wurde dort die Atmosphäre<br />

<strong>von</strong> Hans Scharoun beherrscht, <strong>der</strong> 1958 emeritiert werden würde.<br />

Damals war Scharoun zwar noch nicht <strong>der</strong> Architekt <strong>der</strong> berühmten Philharmonie.<br />

Sie sollte erst 1963 e<strong>in</strong>geweiht werden. Doch als herausragen<strong>der</strong><br />

Vertreter <strong>der</strong> Vorkriegsmo<strong>der</strong>ne und als kurzeitiger Berl<strong>in</strong>er Stadtbaurat<br />

nach 1945 gehörte er zu den architektonischen und kulturellen<br />

Leitfiguren jener Jahre <strong>–</strong> nicht nur <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. Allerd<strong>in</strong>gs waren se<strong>in</strong>e genuschelten<br />

Ausführungen über das <strong>von</strong> ihm propagierte organische Bauen<br />

nicht alle<strong>in</strong> wegen <strong>der</strong> Zigarre <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Mundw<strong>in</strong>kel oft nur schwer verständlich.<br />

Scharouns Ausdrucksweise flimmerte nur so <strong>von</strong> esoterisch<br />

anmutenden Begriffen. Die praktische Ausbildung <strong>der</strong> Architekten lag<br />

währenddessen <strong>in</strong> den Händen se<strong>in</strong>er beiden Kollegen Bernhard Hermkes<br />

und Willy Kreuer. Beide bestimmten auch das neue bauliche Umfeld <strong>der</strong><br />

altehrwürdigen Hochschule am Charlottenburger Knie, dem Platz, <strong>der</strong><br />

seit 1953 den Namen des großen Berl<strong>in</strong>er Bürgermeisters Ernst Reuter<br />

46 Bauen lernen


trägt. Hermkes hatte die neue Großform des Platzes entworfen, heute e<strong>in</strong>es<br />

<strong>der</strong> bedeutendsten Ensembles <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Nachkriegsmo<strong>der</strong>ne. An<br />

dessen Rand setzte Kreuer mit se<strong>in</strong>em klar geglie<strong>der</strong>ten Institut für Bergbau<br />

und Hüttenwesen 1957 e<strong>in</strong>en ersten baulichen Markste<strong>in</strong>.<br />

1959 legte <strong>Gerkan</strong> bei Kreuer se<strong>in</strong> Vordiplom ab. Asmus Werner, <strong>der</strong><br />

zeitgleich mit <strong>Gerkan</strong> an <strong>der</strong> TU studierte, schil<strong>der</strong>t se<strong>in</strong>en Kommilitonen<br />

als adrett im Auftreten, „als jemanden, <strong>der</strong> nicht nach vorne drängte,<br />

<strong>der</strong> e<strong>in</strong> gewisses Selbstbewusstse<strong>in</strong> vermittelte und <strong>von</strong> den Kommilitonen<br />

geschätzt wurde“.<br />

Fast 30 Jahre später kehrte <strong>Gerkan</strong> als erfolgreicher Architekt mit<br />

se<strong>in</strong>em Berl<strong>in</strong>er gmp-Büro im Haus Hardenberg <strong>in</strong> die Nähe se<strong>in</strong>er alten<br />

Ausbildungsstätte zurück. Aus dem Fenster des elegant geschwungenen<br />

50er-Jahre-Baus <strong>von</strong> Paul Schwebes fällt <strong>der</strong> Blick auf das mittlerweile<br />

sanierte Institut für Bergbau und Hüttenwesen.<br />

Gleich zu Beg<strong>in</strong>n des Studiums lernt <strong>Gerkan</strong> auch jenen Kommilitonen<br />

kennen, mit dem er als künftigem Büropartner gmp aufbaut: Volkw<strong>in</strong><br />

Marg. In Königsberg geboren und <strong>in</strong> Danzig aufgewachsen, erfuhren<br />

Marg und se<strong>in</strong>e vier Geschwister ihre Prägung durch das evangelische<br />

Pfarrhaus <strong>der</strong> Eltern. Nach 1945 war Margs Vater Pfarrer <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-Prenzlauer<br />

Berg. Geme<strong>in</strong>sam mit ihren Kommilitonen erobern sich <strong>Gerkan</strong><br />

und Marg die Stadt mit ihrer programmatischen Architektur <strong>der</strong> Nachkriegszeit.<br />

Dazu gehören die Neubauten <strong>der</strong> Interbau 1957 im Westen<br />

ebenso wie die Gebäude im Zuckerbäckerstil <strong>der</strong> Stal<strong>in</strong>allee im Ostteil<br />

<strong>der</strong> Stadt. Berl<strong>in</strong> ist zu dieser Zeit zwar bereits <strong>in</strong> Ost- und Westsektoren<br />

gespalten, doch die Trennung ist noch nicht durch die Mauer betoniert.<br />

Das ermöglicht <strong>Gerkan</strong> und Marg den abendlichen Wechsel zwischen den<br />

Stadthälften und Systemen. Im Osten sehen sie sich die Inszenierungen<br />

<strong>der</strong> Brecht-Stücke am Berl<strong>in</strong>er Ensemble an, besuchen die Inszenierungen<br />

<strong>von</strong> Walter Felsenste<strong>in</strong> an <strong>der</strong> Komischen Oper. Für e<strong>in</strong> paar Ost-Mark<br />

essen sie sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pause am Theaterbuffet satt. Und auch sonst erweist<br />

sich Ost-Berl<strong>in</strong> als günstiges Pflaster. Dort s<strong>in</strong>d Bücher ebenso billiger<br />

zu erwerben wie Zeichenutensilien für das Studium. Mit dieser speziellen<br />

Atmosphäre bietet Berl<strong>in</strong> zahlreiche Verlockungen, e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zigartige<br />

Mischung aus Hochkultur und Broiler. Geme<strong>in</strong>sam mit den Kunst- und<br />

47


<strong>von</strong> Marg und se<strong>in</strong>er Frau Anke entwickelte Entwurf, <strong>der</strong> strukturalistischen<br />

Konzepten verpflichtet ist. Er sieht vor, die meisten Sportstätten<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e künstlich terrassierte Landschaft e<strong>in</strong>zufügen, die seitlich durch<br />

e<strong>in</strong>e breite Achse erschlossen wird. Den Zielpunkt <strong>der</strong> Achse bilden zwei<br />

unterschiedlich große Sportstadien.<br />

Der Olympiawettbewerb ist kennzeichnend für <strong>Gerkan</strong> und Marg,<br />

die im geme<strong>in</strong>samen Architekturbüro stets ihre eigenen Projekte verfolgen.<br />

E<strong>in</strong>e Entwicklung, die sich mit <strong>der</strong> Expansion des Büros <strong>in</strong> den 90er<br />

Jahren verstärkt und zu e<strong>in</strong>er Ausdifferenzierung führt. Während Marg<br />

<strong>in</strong> aller Welt Stadien entwirft, wird für <strong>Gerkan</strong> ab 1999 Ch<strong>in</strong>a zu e<strong>in</strong>em<br />

wichtigen Standbe<strong>in</strong>. So führt e<strong>in</strong> weiter Bogen mit wechselnden Maßstäben<br />

und unterschiedlichen Formen <strong>von</strong> Diekirch und Bad Oldesloe<br />

1965 bis nach Schanghai und Shenzhen 2012.<br />

70 Bauen lernen


Erfolgreiche Teamarbeit<br />

zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong><br />

70er Jahre<br />

71


Doppeltes Sechseck. Mit dem Wettbewerbsentwurf<br />

für den neuen Berl<strong>in</strong>er Flughafen Tegel<br />

schaffte das junge Architekturbüro gmp 1966<br />

den Durchbruch<br />

82 Architektur für Flughäfen


Mehr als e<strong>in</strong>mal, so bekennt <strong>Gerkan</strong> rückblickend, befürchtete er, den<br />

Auftrag doch noch an erfahrenere Konkurrenten zu verlieren. Doch am<br />

Ende erhielt gmp den Auftrag und Tegel wurde zu jenem „hand gemachten<br />

Kle<strong>in</strong>od“, als das ihn <strong>Gerkan</strong> gerne bezeichnet. Es ist e<strong>in</strong> Stück Architektur<br />

aus e<strong>in</strong>em Guss. Doch bis dah<strong>in</strong> war e<strong>in</strong> weiter Weg zu beschreiten.<br />

So galt es zunächst erst e<strong>in</strong>mal, das Vertrauen des Bauherrn zu<br />

gew<strong>in</strong>nen. Da erschien es hilfreich, e<strong>in</strong> bisschen <strong>von</strong> jener Größe und Professionalität<br />

vorzutäuschen, die gmp 1966 noch gar nicht besaß. Der Bauherr<br />

aus Berl<strong>in</strong> hatte sich angesagt. Bis heute wird unter den beteiligten<br />

Hamburger Architekten die immer bunter ausgeschmückte Geschichte<br />

erzählt, wie <strong>Gerkan</strong> und Marg <strong>in</strong> ihrem Büro kurzerhand alte Türblätter<br />

aufbockten und sie <strong>in</strong> Zeichentische umwandelten. Aus befreundeten<br />

Büros und <strong>von</strong> <strong>der</strong> Uni Braunschweig wurden ehemalige Kommil<br />

itonen angekarrt, darunter Carsten Brockstedt, Asmus Werner sowie<br />

Claus Claudius, und mit weißen Kitteln ausgestattet. Sie sollten so tun,<br />

als arbeiteten sie <strong>in</strong>tensiv an Entwürfen. Nach dem offiziellen Büro term<strong>in</strong><br />

g<strong>in</strong>gen die Chefs dann mit den Herren aus Berl<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sam essen, aber<br />

nicht ohne vorher heimlich Bescheid zu geben: „Alles okay, ihr könnt die<br />

Tische wie<strong>der</strong> abbauen und nach Hause gehen.“<br />

Doch auch die vorgespielte Professionalität konnte nicht darüber<br />

h<strong>in</strong>wegtäuschen, wie sehr die beiden noch Greenhorns <strong>in</strong> <strong>der</strong> professionellen<br />

Bauwelt waren. Wie<strong>der</strong>um hatte sich e<strong>in</strong>e Delegation <strong>in</strong> Hamburg<br />

angesagt, was zu größter Aufregung im Büro führte. Vom Bäcker wurden<br />

Kekse besorgt, außerdem e<strong>in</strong> Humidor für die Zigarren und e<strong>in</strong>e Auswahl<br />

verschiedener Whiskysorten. Von <strong>der</strong> Professionalität im Provisorium<br />

zeugt die Weitsicht, die Flaschen nicht unangebrochen aufs Tablett<br />

zu stellen, son<strong>der</strong>n mit unterschiedlichen Pegelständen. Das sollte <strong>von</strong><br />

regelmäßigen Geschäftstreffen und e<strong>in</strong>er damit e<strong>in</strong>hergehenden Weltläufigkeit<br />

zeugen. Versteckt <strong>in</strong> <strong>der</strong> benachbarten Abstellkammer, verlieh<br />

<strong>Gerkan</strong>s erste Frau Gerda dem ganzen Ambiente durch das eifrige<br />

Tippen auf e<strong>in</strong>er Schreibmasch<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>en zusätzlichen Anstrich betriebsamer<br />

Geschäftigkeit. Doch das ganze Bemühen war lei<strong>der</strong> vergebens.<br />

Man hatte schlicht vergessen vorher zu klären, wer da eigentlich kommen<br />

wollte. Die Reisegruppe entpuppt sich nämlich nicht als weitere Bauherrendelegation,<br />

son<strong>der</strong>n als Vertreter <strong>der</strong> Firma Dyckerhoff. Deren Ziel<br />

83


Wasserlauf im Gebäude genutzt werden, <strong>der</strong> <strong>der</strong> Haupthalle e<strong>in</strong>en beson<strong>der</strong>en<br />

Charakter verliehen hätte. E<strong>in</strong> Pfeilergang war als Anb<strong>in</strong>dung<br />

an den Stadtraum vorgesehen und nahm zugleich das Motiv <strong>der</strong> antiken<br />

Stoa auf.<br />

Die Jury <strong>in</strong> Teheran lobte die verblüffend e<strong>in</strong>fache Weise, mit <strong>der</strong><br />

die komplizierten funktionellen Anfor<strong>der</strong>ungen bewältig wurden. Der<br />

Entwurf biete e<strong>in</strong> „unverwechselbares Architekturmonument. Die stilistischen<br />

Mittel s<strong>in</strong>d we<strong>der</strong> landläufig <strong>in</strong>ternational noch historisierend.<br />

Vielmehr transformiert <strong>der</strong> Entwurf landestypische und traditionelle<br />

Archi tekturelemente auf eigenständige Weise <strong>in</strong> die Heutezeit.“ Während<br />

<strong>der</strong> dritte Preis an e<strong>in</strong> südafrikanisches Büro g<strong>in</strong>g, machten die ersten<br />

beiden Plätze Europäer unter sich aus. E<strong>der</strong>, Weber, Wieden und<br />

Simmler aus Österreich gewannen den zweiten Preis und setzen sich<br />

damit noch vor ihrem renommierten Landsmann Wilhelm Holzbauer<br />

durch. <strong>Gerkan</strong> und Marg heimsten den ersten Platz e<strong>in</strong>. Da hieß es: Auf<br />

<strong>in</strong> den Iran!<br />

Das Modell <strong>der</strong> Bibliothek, <strong>von</strong> dem bisher nur e<strong>in</strong> Foto gezeigt<br />

worden war, sollte dem Schah persönlich präsentiert werden, und<br />

die Wettbewerbsgew<strong>in</strong>ner sollten <strong>von</strong> ihm ihr Preisgeld <strong>in</strong> Höhe <strong>von</strong><br />

100.000 Dollar erhalten. Doch die Reise mit dem Modell erwies sich als<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung. Die iranischen Sicherheitskräfte am Palast des Schahs<br />

wollten die höchst verdächtigen deutschen Architekten mit ihrer gewaltigen<br />

Kiste nicht passieren lassen. Schließlich aber gelangten sie samt<br />

Modelle doch bis <strong>in</strong> das Audienzzimmer <strong>–</strong> und durch e<strong>in</strong>e Tapetentür trat<br />

<strong>der</strong> bereits <strong>von</strong> Krankheit gezeichnete Schah e<strong>in</strong>, <strong>der</strong> nur wenige Jahre<br />

später <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Kairoer Exil sterben sollte. Mit Handschlag beglückwünschte<br />

er die Preisträger.<br />

Die Rückreise aus dem Iran erwies sich als Teil des Belohnungszeremoniells,<br />

er<strong>in</strong>nert sich <strong>Gerkan</strong>: „Der Schah hatte angewiesen, alle<br />

Preisträger geme<strong>in</strong>sam mit <strong>der</strong> iranischen Staatsmasch<strong>in</strong>e nach Hause<br />

zu fliegen <strong>–</strong> und zwar <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reihenfolge ihres Preisrangs. Wir hatten<br />

also Glück, dass wir den ersten Preis gewonnen hatten und nicht erst<br />

bis Johannisburg fliegen mussten. Die blutjungen Piloten diskutierten<br />

während des Fluges hauptsächlich darüber, wie sie sich <strong>in</strong> Deutschland<br />

Grundig-Fernseher beschaffen konnten. Und tatsächlich gelang es uns,<br />

120 Internationale Erkundungen


Beim ersten <strong>in</strong>ternationalen Auftritt gleich<br />

e<strong>in</strong> erster Preis aus <strong>der</strong> Hand des Schahs<br />

<strong>von</strong> Persien. Doch die politischen Umbrüche<br />

verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n die Ausführung <strong>der</strong> Bibliothek<br />

<strong>in</strong> Teheran<br />

121


Riga zu bauen. Nun kehrte er mit Studenten aus Braunschweig dorth<strong>in</strong><br />

zurück, um mit ihnen an markanten Orten <strong>der</strong> lettischen Hauptstadt<br />

neue Projekte zu entwickeln. Ziel war e<strong>in</strong>e „Rekultivierung <strong>der</strong> Innenstadt,<br />

die anhand e<strong>in</strong>zelner Bauten und Areale <strong>von</strong> den Studenten beispielhaft<br />

durchdekl<strong>in</strong>iert werden sollte“: <strong>der</strong> Bau e<strong>in</strong>es Museums, die<br />

Gestaltung des Areals um den Hauptbahnhof, e<strong>in</strong>e Promenade entlang<br />

<strong>der</strong> Daugava, wo heute die <strong>von</strong> gmp verwirklichte Nationalbank steht,<br />

sowie <strong>der</strong> Entwurf e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>ternationalen Handelszentrums.<br />

Die architektonischen Lösungen, die die Studenten im Sommer<br />

2001 entwickelten, unterschieden sich freilich <strong>von</strong> jenen Bauten, die zeitgleich<br />

im gmp-Büro geplant wurden. An die Stelle klarer geome trischer<br />

Formen und ihrer Variationen traten <strong>in</strong> Riga wilde, nervöse Gebäudeaufrisse.<br />

Geschlitzt, bewegt und durch tiefe E<strong>in</strong>schnitte markiert, zeigte<br />

etwa <strong>der</strong> bernste<strong>in</strong>goldene Museumsentwurf <strong>von</strong> Janis Pruskas, Ieva<br />

Skad<strong>in</strong>a sowie den beiden Braunschweiger Studenten Lars Krückeberg<br />

und Wolfram Putz e<strong>in</strong>e ganz an<strong>der</strong>e Formensprache. Sie verwiesen auf<br />

e<strong>in</strong> neues Kapitel <strong>der</strong> Architekturgeschichte, mit e<strong>in</strong>er dekonstruktivistischen<br />

Formensprache, wie sie für Krückeberg und Putz sowie das später<br />

gegründete Büro GRAFT kennzeichnend wurde. Auf <strong>der</strong>en junge, expressive<br />

Formensprache reagierte <strong>Gerkan</strong> zwar kritisch, aber zugleich ermutigend:<br />

„Wenn ihr da<strong>von</strong> überzeugt seid, dann formuliert es, wir wollen<br />

hier ja ke<strong>in</strong>e Marschordnung vorgeben.“<br />

Mit dem Ende se<strong>in</strong>er Lehrtätigkeit <strong>in</strong> Braunschweig endete auch<br />

die Mitwirkung im Kuratorium <strong>der</strong> Jürgen Ponto-Stiftung. Das Konzept<br />

<strong>der</strong> Workshops fand ab 2007 se<strong>in</strong>e Fortführung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Academy for<br />

Architectural Culture (aac) <strong>der</strong> gmp-Stiftung <strong>in</strong> Hamburg. Deren erklärte<br />

Ziele s<strong>in</strong>d För<strong>der</strong>ung und Ausbildung <strong>von</strong> Studierenden und Absolventen<br />

sowie <strong>der</strong> Forschung auf dem Gebiet <strong>der</strong> Architektur, Landschaftsarchitektur<br />

und Landschaftspflege im In- und Ausland. Die nicht ganz<br />

freiwillige Anschubf<strong>in</strong>anzierung für die Stiftung steuerte ausgerechnet<br />

die Deutsche Bahn bei. Das Startkapital stammte nämlich aus e<strong>in</strong>em<br />

Vergleich, den <strong>Gerkan</strong> mit <strong>der</strong> Bahn abschloss, weil diese nicht abgesprochene<br />

Verän<strong>der</strong>ungen an <strong>der</strong> Decke des Untergeschosses im Berl<strong>in</strong>er<br />

Hauptbahnhof vorgenommen hatte.<br />

160 „Trotz bauen, denken!“ <strong>–</strong> Als Stararchitekt <strong>in</strong> Braunschweig und <strong>der</strong> Welt


International ausgerichtet. Die Workshops <strong>der</strong> Academy for Architectural<br />

Culture (aac) bieten jungen Architekten aus aller Welt e<strong>in</strong>e praxis bezogene<br />

Fortbildung unter <strong>der</strong> fachlichen Aufsicht <strong>der</strong> beiden Gründungspartner<br />

<strong>von</strong> gmp, <strong>Me<strong>in</strong>hard</strong> <strong>von</strong> <strong>Gerkan</strong> und Volkw<strong>in</strong> Marg, sowie<br />

ihrer Partner<br />

161


Entwurfsarbeit als Handarbeit.<br />

<strong>Me<strong>in</strong>hard</strong> <strong>von</strong> <strong>Gerkan</strong>s Skizzen<br />

für die MuK <strong>in</strong> Lübeck<br />

190 Im Klang <strong>der</strong> Architektur


Konzert- und Kongressveranstaltungen <strong>der</strong> zentrale Standort des allsommerlichen<br />

Schleswig-Holste<strong>in</strong> Musik Festivals. Ihr Entwurf folgt<br />

laut <strong>Gerkan</strong> den „Gesetzmäßigkeiten <strong>der</strong> Symmetrien und <strong>der</strong> Axialität“.<br />

Er entschied sich dagegen, die Ziegelarchitektur <strong>der</strong> Altstadt aufzugreifen.<br />

Der kle<strong>in</strong>teilige Backste<strong>in</strong> hätte bei e<strong>in</strong>em <strong>der</strong>art großen zu umbauenden<br />

Volumen schnell zu e<strong>in</strong>em Missverhältnis führen können. Vor<br />

allem aber wollte <strong>Gerkan</strong> jede Anbie<strong>der</strong>ung an den historischen Bestand<br />

v ermeiden und stattdessen den Dialog zwischen Alt und Neu betonen.<br />

Er entschied sich dafür, die Fassade <strong>der</strong> MuK aus weißen Kantblechen<br />

zu bilden. Hohe Doppelstützen, die durch e<strong>in</strong>en Architrav waagerecht<br />

verbunden werden, s<strong>in</strong>d dem Saal vorgelagert und rhythmisieren den<br />

mächtigen Baukörper. Zugleich verleihen ihm die Stützen e<strong>in</strong>e leicht<br />

monumentale Note, e<strong>in</strong> luftige Strenge. <strong>Gerkan</strong> lässt so die Dimensionen<br />

des 120 Meter langen, 55 Meter breiten und 19 Meter hohen Baukörpers<br />

weniger wuchtig ersche<strong>in</strong>en, balanciert Größe und Kle<strong>in</strong>teiligkeit<br />

gekonnt aus.<br />

„Klarer Fall: Ke<strong>in</strong>erlei Tümelei, ke<strong>in</strong>e Backste<strong>in</strong>anbie<strong>der</strong>ung, ke<strong>in</strong><br />

Vertuschen, ke<strong>in</strong>e Mimikry, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> Haus <strong>von</strong> heute <strong>–</strong> ne<strong>in</strong>, nicht<br />

kalt, aber <strong>von</strong> bewegter Strenge“, urteilte Manfred Sack <strong>in</strong> <strong>der</strong> Festschrift<br />

zur Eröffnung. Zugleich bleibt <strong>Gerkan</strong> hier se<strong>in</strong>en aus <strong>der</strong> Geometrie abgeleiteten<br />

Entwurfspr<strong>in</strong>zipien treu: Die MuK erweist sich als e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung<br />

aus dem lichten Zyl<strong>in</strong><strong>der</strong> des großzügig verglasten Foyers und dem<br />

geschlossenen Qua<strong>der</strong> des Konzertsaals, <strong>der</strong> <strong>von</strong> e<strong>in</strong>er Tonne überwölbt<br />

wird. Das Foyer ist e<strong>in</strong>e „vor W<strong>in</strong>d und Wetter geschützte Stadt­ Loggia:<br />

öffentlicher Raum, großartiger E<strong>in</strong>fall“, so Sack. Solche geschützten<br />

Räume weiß je<strong>der</strong> zu schätzen, <strong>der</strong> dem nicht immer sonnigen Reizklima<br />

im Norden Deutschlands entfliehen möchte. War das runde Foyer<br />

<strong>in</strong> Biele feld noch e<strong>in</strong> geschlossener, e<strong>in</strong>geschossiger Funktionsraum, verleiht<br />

<strong>Gerkan</strong> ihm <strong>in</strong> Lübeck Eigenständigkeit. So ist e<strong>in</strong> Raum entstanden,<br />

<strong>der</strong> mit e<strong>in</strong>em umlaufenden Lichtkranz und dem Quadrat <strong>der</strong> Oberlichtpyramiden<br />

auf dem Dach auch e<strong>in</strong>e fünfte Fassade ausbildet. E<strong>in</strong>e<br />

wichtige Entscheidung, die spätestens beim Blick <strong>von</strong> den alten Lübecker<br />

Kirchtürmen auf die neue MuK ihre beson<strong>der</strong>e Qualität erweist. Auch<br />

das bedeutet, dem Vorhandenen Respekt zu zollen. Die Dimensionen<br />

<strong>der</strong> Foyer rotunde machen es zudem möglich, sie nicht nur als Vorraum<br />

191


gestalten gilt. Das betrifft den Städtebau ebenso wie die Architektur, die<br />

Innenraumgestaltung wie die Möblierung. Schon für Tegel war dieser<br />

Ansatz prägend, wo gmp vom Check-<strong>in</strong>-Tresen bis zu den Stühlen <strong>der</strong><br />

Wartebereiche e<strong>in</strong>en Ort aus e<strong>in</strong>em Guss verwirklichte. E<strong>in</strong>e Haltung<br />

mit Langzeitwirkung, denn <strong>in</strong>zwischen erlebt <strong>der</strong> elegante Tegeler Berl<strong>in</strong><br />

Chair mit se<strong>in</strong>en chromglitzernden Kufen e<strong>in</strong>e Renaissance im Möbelvertrieb.<br />

Doch nicht nur für die großen Flughäfen o<strong>der</strong> Veranstaltungshallen,<br />

auch für Restaurants, wie das Le Canard <strong>in</strong> Hamburg und das VǍU<br />

<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, hat <strong>Gerkan</strong> die gesamte Ausstattung entworfen, vom Tisch<br />

über die Sitzmöbel bis zu den Tresen und Regalen. So entstehen architektonische<br />

Gesamtkunstwerke aus e<strong>in</strong>er Hand, aus e<strong>in</strong>er Haltung.<br />

Die Möbel bilden den kle<strong>in</strong>sten Bauste<strong>in</strong> im Architekturkosmos<br />

<strong>Gerkan</strong>s. Und doch verdichtet sich <strong>in</strong> ihnen se<strong>in</strong>e Entwurfsphilo sophie.<br />

Beispielhaft dafür steht <strong>der</strong> Esstisch „Quadratur des Kreises“, <strong>der</strong> auch<br />

den Blickfang <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Wohnhaus an <strong>der</strong> Elbchaussee bildet. Er ist<br />

aus klaren geometrischen Elementen komponiert, dem Kreis und dem<br />

Quadrat. Klappt man die vier Viertelkreise des kle<strong>in</strong>eren runden Tisches<br />

aus, dann verwandelt er sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en größeren Tisch mit e<strong>in</strong>em zentralen<br />

Quadrat, während die vier ausgeklappten Teile sich als Dreiecke zu<br />

e<strong>in</strong>em weiteren Quadrat fügen. E<strong>in</strong>e Spielerei <strong>–</strong> gewiss <strong>–</strong>, aber e<strong>in</strong>e mit<br />

Esprit und Tiefgang sowie mit funktionalem Mehrwert bis h<strong>in</strong> zu den<br />

Griffmulden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mitte des runden Tisches, die das Ausklappen zum<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>spiel werden lassen. E<strong>in</strong> traditionelles Möbel wie <strong>der</strong> ausklappbare<br />

Tisch wird so neu erfunden.<br />

E<strong>in</strong>e gewisse Vorliebe zur spielerischen Doppels<strong>in</strong>nigkeit kennzeichnet<br />

auch <strong>Gerkan</strong>s Entwurf e<strong>in</strong>es Schm<strong>in</strong>ktisches o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Schuhputzsitzbank,<br />

e<strong>in</strong>mal mehr aus se<strong>in</strong>em Liebl<strong>in</strong>gsholz, dem Schweizer<br />

Birnbaum, die mehr s<strong>in</strong>d als funktionale Möbel. Ebenso wie se<strong>in</strong> Rednerpult,<br />

erneut aus Birnbaum, entfalten sie erst beim Auf- und Umklappen<br />

ihre Geheimnisse und präsentieren dabei e<strong>in</strong>e Funktionsvielfalt <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Gestaltungse<strong>in</strong>heit.<br />

Häufig ist die Konstruktion se<strong>in</strong>er Möbel deutlich ablesbar, ja, sie<br />

eignen sich sogar zum Selbstaufbauen. Sie werden, wo immer möglich,<br />

als Steckkonstruktion ausgeführt wie im Fall des Regalsystems und greifen<br />

so das für <strong>Gerkan</strong> zentrale Konzept des Fügens auf.<br />

224 Für Gott und die Welt


Vom Kubus zum Kreis. Geometrische Formen<br />

bilden die Basis für <strong>Gerkan</strong>s Entwürfe<br />

bei Lampen, Tischen und an<strong>der</strong>en Möbeln<br />

225


Bügelbauten mit Klappe. Beim Zusammenfügen<br />

<strong>der</strong> beiden Bügelbauten am Berl<strong>in</strong>er<br />

Haupt bahnhof war allerhöchste technische<br />

Präzision gefor<strong>der</strong>t<br />

270 Zug um Zug <strong>–</strong> Projekte für die Bahn


es zum Hauptbahnhof urteilt: „Es handelt sich um e<strong>in</strong> Unikat, dessen<br />

Planung <strong>von</strong> <strong>der</strong> Beklagten [Deutschen Bahn AG] ursprünglich auch mit<br />

dem Anspruch <strong>in</strong> Auftrag gegeben wurde, e<strong>in</strong> <strong>in</strong> je<strong>der</strong> H<strong>in</strong>sicht herausragendes,<br />

für die Hauptstadt repräsentatives Kunstwerk zu entwerfen.<br />

Der Bahnhof sollte über se<strong>in</strong>en Gebrauchszweck h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong>em beson<strong>der</strong>en<br />

ästhetischen Anspruch genügen und sowohl <strong>der</strong> Hauptstadt als auch<br />

<strong>der</strong> Beklagten selbst als Aushängeschild dienen. [...] Der durch den E<strong>in</strong>bau<br />

<strong>der</strong> Decke bewirkte E<strong>in</strong>griff berührt das Urheberpersönlichkeitsrecht<br />

<strong>der</strong> Kläger daher <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>er Weise, weil die Authentizität des Werkes<br />

auf Dauer verloren ist. H<strong>in</strong>zu kommt, dass <strong>der</strong> Bahnhof <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>er<br />

Weise e<strong>in</strong> öffentlicher Raum ist, den täglich e<strong>in</strong>e Vielzahl <strong>von</strong> Menschen<br />

betreten. Je<strong>der</strong> Fahrgast o<strong>der</strong> Besucher, <strong>der</strong> die unterirdische Bahnhofshalle<br />

aufsucht o<strong>der</strong> sich auf den sie überspannenden Fußgängerbrücken<br />

aufhält, kann die entstellende Flachdecke wahrnehmen.“<br />

In <strong>der</strong> Austernbar im Hauptbahnhof feiert <strong>Gerkan</strong> se<strong>in</strong>en Triumph.<br />

Das Urteil bedeutet e<strong>in</strong>en baukulturellen K.-o.-Schlag für die Bahn und<br />

setzt Maßstäbe für das Urheberrecht <strong>von</strong> Architekten. Zwar ist <strong>der</strong> Prozess<br />

2006 gewonnen, aber die Decke noch lange nicht umgebaut.<br />

„Mehdorn wollte wohl <strong>in</strong> Revision gehen. Dann kam mir zur Kenntnis,<br />

dass im Zuge <strong>der</strong> Privatisierungsabsichten <strong>der</strong> Bahn an <strong>der</strong> Börse<br />

offen gelegt werden muss, was sie für Verb<strong>in</strong>dlichkeiten hat <strong>–</strong> dazu gehören<br />

auch nicht endgültig gewonnene Prozesse, <strong>der</strong>en Streitwert <strong>in</strong> die<br />

Bilanz e<strong>in</strong>getragen werden muss. Wir hatten dabei den Streitwert weit<br />

niedriger angegeben als die Bahn, die uns Architekten abzuschrecken<br />

suchte. Wir trafen uns daher zu <strong>in</strong>formellen Gesprächen <strong>in</strong> Hamburg.<br />

Ziel war es zudem, unsere an<strong>der</strong>en noch offenen f<strong>in</strong>anziellen For<strong>der</strong>ungen<br />

zu begleichen. Bei gutem We<strong>in</strong> verhandelt wir im Le Canard wie auf<br />

dem Bazar und e<strong>in</strong>igten uns schließlich ohne Gesichtsverlust für beide<br />

Seiten darauf, dass unsere offenen For<strong>der</strong>ungen zum Teil beglichen werden,<br />

vor allem aber unsere geme<strong>in</strong>nützige Architekturstiftung aac durch<br />

e<strong>in</strong>e Zustiftung <strong>der</strong> Deutschen Bahn geför<strong>der</strong>t wird.“<br />

Bei e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen Essen im Bahntower am Potsdamer Platz<br />

wird <strong>der</strong> Waffenstillstand zwischen <strong>Gerkan</strong> und Mehdorn endgültig<br />

besiegelt. „Mehdorn unterstrich: Glauben Sie nicht, dass ich je sagen<br />

würde, dass Sie e<strong>in</strong> schlechter Architekt s<strong>in</strong>d.“ Ahnte er, dass er <strong>in</strong> an<strong>der</strong>er<br />

271


Tradition und Mo<strong>der</strong>ne. Gruppenbild <strong>der</strong><br />

Staatschefs beim APEC-Gipfel 2006 <strong>in</strong> Hanoi<br />

vor <strong>der</strong> bewegten Silhouette des nationalen<br />

Konferenzzentrums<br />

286 Internationale Aufbrüche


Straßenverlauf gestellte Hochhausscheibe, die seitlich <strong>von</strong> zwei niedrigeren<br />

Riegeln e<strong>in</strong>gefasst wird. Die kammartige Struktur dieser Riegel ermöglicht<br />

e<strong>in</strong>e natürliche Belichtung <strong>der</strong> Büroräume. In <strong>der</strong> Umgebung<br />

des markanten Gebäudes weisen Schil<strong>der</strong> nachdrücklich darauf h<strong>in</strong>, dass<br />

hier e<strong>in</strong> striktes Fotografierverbot herrscht. Trotz <strong>der</strong> durchaus e<strong>in</strong>drucksvollen<br />

Außenwirkung des Hauses, sollte man sich streng daran halten.<br />

Denn alle<strong>in</strong> schon <strong>der</strong> Versuch, Aufnahmen zu machen, kann zu e<strong>in</strong>er<br />

wilden Verfolgungsjagd quer durch Hanoi führen. An <strong>der</strong>en Ende steht im<br />

besten Fall die Abgabe <strong>der</strong> SD-Karte des Fotoapparats <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hotellobby.<br />

Von den transparenten o<strong>der</strong> gar demokratischen Strukturen westeuropäischer<br />

Prägung ist Vietnam Lichtjahre entfernt. Gleichwohl gilt es<br />

als e<strong>in</strong> Land im Wandel. Und wie <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a sollte <strong>der</strong> Besucher auch hier<br />

nicht die eigenen europäischen Maßstäbe anlegen. Derzeit erlebt das Land<br />

nicht nur <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Architektur e<strong>in</strong>en Mo<strong>der</strong>nisierungsschub, zwischen<br />

dem sich die unterschiedlichen Traditionen ihren eigenen Weg suchen.<br />

„Mo<strong>der</strong>n werden und zu den Quellen zurückkehren“<br />

Als <strong>Me<strong>in</strong>hard</strong> <strong>von</strong> <strong>Gerkan</strong> und Nikolaus Goetze Mitte <strong>der</strong> 90 Jahre das<br />

erste Mal Vietnam besuchten, beherrschten noch endlose Schlangen <strong>von</strong><br />

Fahrrä<strong>der</strong>n die Straßen Hanois. An ihre Stelle s<strong>in</strong>d heute vollbe ladene<br />

Mopeds getreten. Sie s<strong>in</strong>d Zeugnisse des wirtschaftlichen Wandels und<br />

e<strong>in</strong>es <strong>–</strong> langsam <strong>–</strong> wachsenden Wohlstands <strong>der</strong> Bevölkerung. Es gehört<br />

wohl wenig prophetische Gabe dazu zu vermuten, dass anstelle <strong>der</strong> Mopeds<br />

<strong>in</strong> wenigen Jahren wohl Autos das Straßenbild bestimmen werden.<br />

Dieser kulturelle und wirtschaftliche Wandel hat naturgemäß auch<br />

Schattenseiten <strong>–</strong> vom drohenden Verkehrs<strong>in</strong>farkt <strong>in</strong> Hanoi bis zum drastischen<br />

wirtschaftlichen Stadt-Land-Gefälle. Dem sche<strong>in</strong>en die Vietnamesen,<br />

wie all den dramatischen Volten ihrer Geschichte <strong>der</strong> letzten<br />

Jahrzehnte, mit unerschütterlicher Neugier zu begegnen. Das bau liche<br />

Erbe <strong>der</strong> französischen Kolonialzeit des 19. und frühen 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

begreifen sie jedenfalls als ihr eigenes Erbe, gleichermaßen wie die<br />

konfuzianische Tradition, die sich im Literaturtempel Hanois manifestiert.<br />

Und so posieren die Brautpaare mit ausgeliehenen Anzügen und<br />

287


auch den Auftrag erhält. In Schanghai, da ist sich <strong>Gerkan</strong> sicher, gaben die<br />

<strong>in</strong>tensiven politischen Interventionen Frankreichs den Ausschlag, dass<br />

Andreu als Architekt zum Zuge kam.<br />

Im Jahr 2009 eröffnete dann mit dem Grand Theater <strong>in</strong> Chongq<strong>in</strong>g<br />

das erste große Opernhaus, das <strong>Gerkan</strong> zusammen mit Nikolaus Goetze,<br />

Klaus Lentz und Volkmar Sievers <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a fertigstellen konnte. Doch wer<br />

kennt <strong>in</strong> Europa Chongq<strong>in</strong>g, die Stadt, über <strong>der</strong> fast immer e<strong>in</strong>e dichte<br />

Nebeldecke liegt?<br />

<strong>Gerkan</strong> kannte es noch nicht, als er sich am Wettbewerb beteiligte <strong>–</strong><br />

und stand damit gewiss nicht alle<strong>in</strong>. Dabei wird Chongq<strong>in</strong>g, die Millionenstadt<br />

am Jangtsekiang, die auf e<strong>in</strong>er Halb<strong>in</strong>sel liegt und kurzzeitig<br />

sogar e<strong>in</strong>mal ch<strong>in</strong>esische Hauptstadt war, heute aufgrund ihrer Lage an<br />

e<strong>in</strong>er Flussschleife und ihrer Skyl<strong>in</strong>e sogar mit Manhattan verglichen. Mit<br />

über 30 Millionen E<strong>in</strong>wohnern gilt die Verwaltungse<strong>in</strong>heit Chongq<strong>in</strong>g<br />

als größte Stadt <strong>der</strong> Welt überhaupt. Und selbst <strong>der</strong> <strong>in</strong>nere Ballungsraum<br />

<strong>der</strong> Stadt beherbergt noch knapp acht Millionen Menschen. Für zahl reiche<br />

Touristen dient Chongq<strong>in</strong>g als Ausgangspunkt für Schifffahrten auf dem<br />

Jangtsekiang bis zu den Mauern des ebenso legendären wie heftig umstrittenen<br />

Drei-Schluchten-Staudamms.<br />

Das Motiv <strong>der</strong> Schiffe, die <strong>in</strong> Chongq<strong>in</strong>g festmachen, griff <strong>Gerkan</strong><br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Wettbewerbsbeitrag für das Grand Theater auf. Schon <strong>der</strong><br />

Bauplatz des neuen Opernhauses ist spektakulär. Er liegt gegenüber <strong>der</strong><br />

Skyl<strong>in</strong>e Chongq<strong>in</strong>gs auf e<strong>in</strong>em Hochplateau, auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite des<br />

Flusses. Von dort leuchtet <strong>der</strong> Operndampfer nachts <strong>von</strong> <strong>in</strong>nen heraus<br />

<strong>in</strong> verlockendem Jadegrün.<br />

Mit dem Grand Theater unterstreicht <strong>Gerkan</strong> e<strong>in</strong>mal mehr die hohe<br />

Bedeutung e<strong>in</strong>es bildhaften Entwurfs <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a, zu dem sich Materialauswahl<br />

und atmosphärische Gesamtwirkung h<strong>in</strong>zugesellen. Architektur,<br />

das gehört zu se<strong>in</strong>en zentralen Erfahrungen, spielt sich <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a oft<br />

auf e<strong>in</strong>er emotionalen Ebene ab. Ganz an<strong>der</strong>s als <strong>in</strong> Deutschland, wo die<br />

technischen Überlegungen meist dom<strong>in</strong>ieren. So bildhaft sich das Äußere<br />

des Konzert- und Opernhauses präsentiert, so konsequent funktional<br />

ist se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Ordnung. Die beiden großen Säle s<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

an geordnet, „Bug“ und „Heck“ dienen als Zugänge, die Bühnentürme<br />

wachsen wie Schornste<strong>in</strong>e über den Baukörper empor. Das beson<strong>der</strong>e<br />

330 Murmelndes Wasser im pfeifenden W<strong>in</strong>d


Bildmächtige Oper. Vor <strong>der</strong> Hochhauskulisse <strong>von</strong><br />

Chongq<strong>in</strong>g unterstreicht das Grand Theater die emotionale<br />

Bedeutung, die Gebäuden <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a zukommt<br />

331


sich auch das auf Seide gemalte wun<strong>der</strong>bare Herrscherporträt Kangxis,<br />

<strong>der</strong> während se<strong>in</strong>er langen Regentschaft nicht nur als kluger Herrscher<br />

galt, son<strong>der</strong>n zugleich als beson<strong>der</strong>er För<strong>der</strong>er <strong>von</strong> Kunst und Wissenschaft.<br />

Für die Ausstellungsarchitektur hatten <strong>Gerkan</strong> und Schütz zwar<br />

ebenfalls e<strong>in</strong>en Entwurf erarbeitet, <strong>der</strong> jedoch <strong>–</strong> lei<strong>der</strong> <strong>–</strong> noch nicht umgesetzt<br />

wurde.<br />

Tropfen o<strong>der</strong> Träne? Die neue Stadt L<strong>in</strong>gang<br />

„Seit me<strong>in</strong>em Studium werden Städte nicht mehr als ganzheitlicher Organismus<br />

geplant“, sagt <strong>Me<strong>in</strong>hard</strong> <strong>von</strong> <strong>Gerkan</strong> über die Voraussetzung<br />

für se<strong>in</strong>en Entwurf für L<strong>in</strong>gang New City bei Schanghai.<br />

Den Masterplan für e<strong>in</strong>e ganze Stadt zu entwerfen, statt lediglich<br />

e<strong>in</strong>zelne Häuser und Gebäude zu planen, gehört zu jenen Auf gaben, die<br />

sich e<strong>in</strong>em Architekten nur sehr selten stellen. Mit dem Entwurf <strong>der</strong> Planstadt<br />

L<strong>in</strong>gang eröffnet sich für <strong>Gerkan</strong> 2003 diese Gelegenheit. Es mutet<br />

wie e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e biografische Fügung an, dass <strong>Me<strong>in</strong>hard</strong> <strong>von</strong> <strong>Gerkan</strong><br />

die Gelegenheit erhält, e<strong>in</strong>e Stadt zu entwerfen, während se<strong>in</strong> Groß onkel<br />

Arm<strong>in</strong> <strong>von</strong> <strong>Gerkan</strong> e<strong>in</strong> dreiviertel Jahrhun<strong>der</strong>t zuvor mit e<strong>in</strong>er Arbeit über<br />

(antike) Stadtplanung se<strong>in</strong>e wissenschaftliche Kar riere begann.<br />

Das dramatische Wachstum <strong>der</strong> Hafenstadt und Wirtschaftsmetropole<br />

Schanghai führte 2001 zu dem Konzept, das Stadtgebiet durch<br />

neun neue Satellitenstädte zu ergänzen. E<strong>in</strong>e dieser Städte sollte L<strong>in</strong>gang<br />

werden, die <strong>in</strong> den ersten Entwürfen noch den Namen Luchao trug.<br />

Mittler weile hat die Stadt bereits ihren dritten Namen: Nanhui Newtown.<br />

In ihm lebt <strong>der</strong> Name des mittlerweile aufgelösten ehemaligen<br />

Verwaltungsdistrikts fort, zu dem L<strong>in</strong>gang zählte. Je<strong>der</strong> dieser Namenswechsel<br />

muss im Zusammenhang mit Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verwaltung<br />

und vor allem bei den politischen Entscheidungsträgern gesehen werden.<br />

Ursprünglich für „nur“ 300.000 Menschen gedacht, sehen neuere<br />

Planungen bis zu 1,3 Millionen E<strong>in</strong>wohner für L<strong>in</strong>gang vor. Ziel war es<br />

eigentlich „e<strong>in</strong>e Stadt zu schaffen, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die vier Funktionen Wohnen,<br />

Arbeit, Freizeit, Konsum so durchmischt werden, dass es e<strong>in</strong>e lebendige<br />

Stadt wird“, beschreibt <strong>Gerkan</strong> die Zielstellung.<br />

352 Murmelndes Wasser im pfeifenden W<strong>in</strong>d


Dabei war <strong>der</strong> entscheidende Punkt für die Stadtplanung die Nähe<br />

zum neuen Hafen <strong>von</strong> Schanghai. E<strong>in</strong> Megaprojekt, das allerd<strong>in</strong>gs auch<br />

exemplarisch für die Machtkämpfe <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Regionen und Städte<br />

untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> steht <strong>–</strong> und damit für e<strong>in</strong>e dramatische Ressourcenverschwendung.<br />

Denn mit se<strong>in</strong>em Tiefwasserhafen macht Schanghai dem<br />

gleichfalls nur wenige Jahre alten Hafen <strong>von</strong> N<strong>in</strong>gbo Konkurrenz.<br />

Ist es e<strong>in</strong> Zufall, dass <strong>Gerkan</strong> se<strong>in</strong>en Masterplan für diese neue Stadt am<br />

Wasser e<strong>in</strong>mal mehr <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Ferienhaus am Meer <strong>in</strong> Heiligenhafen im<br />

Juli 2002 zeichnete? Die <strong>in</strong>spirierende Atmosphäre am Strand <strong>der</strong> Ostsee,<br />

fernab vom Trubel des Alltags befruchtet <strong>Gerkan</strong> seit Jahrzehnten.<br />

Und wer ihn kennt, <strong>der</strong> weiß, dass er auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er freien Zeit an Entwürfen<br />

weiterzeichnet. Heiligenhafen öffnet dafür den Horizont, <strong>in</strong>nerlich<br />

wie äußerlich.<br />

So spielt das Motiv des Wassers auch bei se<strong>in</strong>em Entwurf für L<strong>in</strong>gang<br />

die entscheidende Rolle. „Zentraler Punkt <strong>der</strong> Konzeption war das<br />

Wagnis, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mitte e<strong>in</strong>er Stadt e<strong>in</strong>en See anzulegen. Das Stadtzentrum,<br />

eigentlich teurer Baugrund, wird zu e<strong>in</strong>em Gelände, das nicht auf Gew<strong>in</strong>n<br />

ausgerichtet ist. Um e<strong>in</strong>e „tote“ Stadtmitte voller Unternehmenszentralen<br />

zu vermeiden, werden diese <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em R<strong>in</strong>g um den See, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Umfang<br />

<strong>von</strong> zehn Kilometern hat, entlang e<strong>in</strong>er Strandpromenade am Ufer<br />

verteilt, um so zudem e<strong>in</strong>e Ballung des Verkehrs zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n.“<br />

An<strong>der</strong>s als <strong>in</strong> Heiligenhafen, wo es vom Ferienhaus zum Meer nur<br />

e<strong>in</strong> paar Schritte über den Strand s<strong>in</strong>d, muss L<strong>in</strong>gang h<strong>in</strong>ter hohen Deichen<br />

vor den zerstörerischen Kräften <strong>der</strong> Taifune geschützt werden, die<br />

vom Gelben Meer und dem Ostch<strong>in</strong>esischen Meer an Land kommen.<br />

Daher gibt erst <strong>der</strong> Blick vom zweiten Geschoss <strong>der</strong> Häuser den Blick auf<br />

das offene Meer frei.<br />

E<strong>in</strong> großer Teil des neuen Stadtareals wurde dem Meer durch Vorspülungen<br />

abgerungen und nach holländischem Vorbild e<strong>in</strong>gedeicht und<br />

entwässert. <strong>Gerkan</strong>s Idee für die neue Stadt reflektiert den jahrhun<strong>der</strong>tealten<br />

Gedanken e<strong>in</strong>er kreisförmigen Planstadt. Für ihn ist „<strong>der</strong> Kreis das<br />

flexibelste und autonomste Gebilde zugleich“. Traditionell bedienen sich<br />

Planer <strong>von</strong> Idealstädten am häufigsten des Kreises o<strong>der</strong> des Rechtecks.<br />

Hippodamos <strong>von</strong> Milet hatte im 5. Jahrhun<strong>der</strong>t vor Christus den Plan<br />

353


Rückkehr zu Freunden. Geme<strong>in</strong>sam mit<br />

Leons Jakr<strong>in</strong>s entwickelt <strong>Me<strong>in</strong>hard</strong> <strong>von</strong> <strong>Gerkan</strong><br />

zahlreiche Ideen für se<strong>in</strong>e Geburtsstadt Riga<br />

366 Rückkehr nach Riga


Noch im selben Monat reist Jakr<strong>in</strong>s nach Hamburg, um <strong>Gerkan</strong> persönlich<br />

kennenzulernen. Dessen Gegenbesuch <strong>in</strong> Riga folgt im eis kalten<br />

Februar 1996. Dieses Mal ist die Reise nach Lettland mehr als nur e<strong>in</strong><br />

sentimental journey. Die ersten geme<strong>in</strong>samen Projekte werden konkret:<br />

e<strong>in</strong> Apartmenthaus auf e<strong>in</strong>em schmalen Eckgrundstück am Rande Rigas<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Zaubesstraße und die Jurmala Residenz, <strong>der</strong> Bau e<strong>in</strong>er Erweiterung<br />

<strong>der</strong> Villa Marta für den russischen Besitzer <strong>der</strong> Parex Bank Victor<br />

Krasovicky und dessen Frau, die kunstbeflissene N<strong>in</strong>a Kondratjeva.<br />

<strong>Gerkan</strong>s Entwurf löst zunächst Entsetzen bei se<strong>in</strong>em Bauherrn aus. „Wir<br />

wollen ke<strong>in</strong>en Pferdestall, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e Villa“, bekommt er als Kommentar<br />

zu se<strong>in</strong>er Holzkonstruktion zu hören.<br />

Als Antwort auf die malerischen Holzhäuser, die locker gruppiert<br />

zwischen den hohen Kiefern und hellen Birken Jurmalas stehen,<br />

hat <strong>Gerkan</strong> ebenfalls e<strong>in</strong>e Holzkonstruktion entworfen. Nicht als e<strong>in</strong>e<br />

Kopie <strong>der</strong> historischen Holzarchitektur, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>mal mehr als <strong>der</strong>en<br />

zeitgemäße Übersetzung: Kubische Grundformen, vertikal angebrachte<br />

Holzlatten und mit Z<strong>in</strong>kblechen verkleidete Sheddächer schaffen e<strong>in</strong>en<br />

Kontra punkt zum überladenen Prunk <strong>der</strong> Villa Marta. Im Lauf e<strong>in</strong>es<br />

Jahrzehnts entsteht so zwischen 1997 und 2006 e<strong>in</strong> Ensemble aus Residenz,<br />

Spa-Bereich und Tennishalle, das jenseits <strong>der</strong> Straße noch um e<strong>in</strong><br />

weiteres Wohnhaus ergänzt wird, die 2002 /03 errichtete Villa Alexandra.<br />

Nach außen h<strong>in</strong> herrscht e<strong>in</strong> nordisches Un<strong>der</strong>statement, im Inneren<br />

entstehen klare und wun<strong>der</strong>bar lichte Wohn- und Repräsentationsräume.<br />

Der Entwurf <strong>Gerkan</strong>s wird <strong>in</strong> Riga <strong>von</strong> Jakr<strong>in</strong>s Baufirma ausgeführt.<br />

E<strong>in</strong> Besuch des Rohbaus zeigt allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>en gewissen technischen<br />

Nachhol bedarf. „Wir bemerkten eigentlich mehr zufällig, dass die<br />

Stahlverb<strong>in</strong>dungs bleche statt verz<strong>in</strong>kt zu se<strong>in</strong>, nur mit schwarzer Farbe<br />

angemalt waren und bereits erste Rostspuren zeigten. Man habe ke<strong>in</strong>e<br />

Verz<strong>in</strong>kerei gefunden, aber <strong>der</strong> Maler habe versichert, dass die Farbe ganz<br />

gut halten würde“, erzählt <strong>Gerkan</strong>. Der fast fertige Rohbau <strong>der</strong> Villa wird<br />

daraufh<strong>in</strong> demontiert, die Stahlbleche neu gefertigt und <strong>in</strong> Deutschland<br />

verz<strong>in</strong>kt. Die E<strong>in</strong>weihung des Erweiterungsbaus <strong>der</strong> Villa Marta wird e<strong>in</strong><br />

rauschendes Fest, zu dem die ganze Familie <strong>Gerkan</strong> anreist. In e<strong>in</strong>em gemieteten<br />

Jumbojet lässt Krasovicky außerdem se<strong>in</strong>e Freunde aus New<br />

York e<strong>in</strong>fliegen. Unter den Gästen bef<strong>in</strong>det sich auch die eng mit N<strong>in</strong>a<br />

367


Die Biografie <strong>Me<strong>in</strong>hard</strong> <strong>von</strong> <strong>Gerkan</strong>s ersche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> zwei Bänden. Die im Register gelisteten<br />

Projekte werden alle im zweiten Band Biografie <strong>in</strong> Bauten dokumentiert; schwarz hervorgehobene<br />

Projekte s<strong>in</strong>d Teil dieses Bandes.<br />

Register <strong>der</strong> Projektauswahl <strong>in</strong><br />

alphabetischer Reihenfolge<br />

1000 Island Lake Empfangsgebäude, Qiandao Lake, Hangzhou, Ch<strong>in</strong>a<br />

A<br />

B<br />

C<br />

D<br />

Apartmenthaus <strong>in</strong> Jurmala, Lettland<br />

Apartmenthaus Zaubes-Straße 12, Riga<br />

Ausstellungspavillon <strong>der</strong> TU Braunschweig<br />

Ausstellungspavillon Elbchaussee 139a, Hamburg<br />

Bahnhof Berl<strong>in</strong>-Spandau<br />

Bankhaus Citadeles Moduli, Riga, Lettland<br />

„Barcodehallen“ Fassadendesign, L<strong>in</strong>gang New City, Ch<strong>in</strong>a<br />

Basketball-Stadion Dongguan, Ch<strong>in</strong>a<br />

Beij<strong>in</strong>g Soho Residences, Pek<strong>in</strong>g, Ch<strong>in</strong>a<br />

Bergbauarchiv Clausthal-Zellerfeld<br />

Bürogebäude Tesdorpfstraße 8, Hamburg<br />

Campus Ra<strong>in</strong>villeterrasse, Hamburg<br />

Canhigh Center, Hangzhou, Ch<strong>in</strong>a<br />

Ch<strong>in</strong>a Life Insurance Datacenter, Schanghai-Pudong<br />

Ch<strong>in</strong>a Maritime Museum, L<strong>in</strong>gang New City<br />

Ch<strong>in</strong>a Mobile Operation Center, Pek<strong>in</strong>g<br />

Ch<strong>in</strong>a Telecom Information Park, Gebäude 16a & 16b, Schanghai<br />

Ch<strong>in</strong>esisches Nationalmuseum, Pek<strong>in</strong>g<br />

Christus-Pavillon, EXPO 2000 <strong>in</strong> Hannover und Kloster Volkenroda<br />

CYTS Tower, Pek<strong>in</strong>g, Ch<strong>in</strong>a<br />

Dalian Tw<strong>in</strong> Towers, Ch<strong>in</strong>a<br />

Deutsch-Japanisches Zentrum, Hamburg<br />

Deutsche Botschaftsschule und Dienstwohnungen, Pek<strong>in</strong>g, Ch<strong>in</strong>a<br />

Development Central Build<strong>in</strong>g, Guangzhou, Ch<strong>in</strong>a<br />

Dix<strong>in</strong>gju Bürokomplex, Pek<strong>in</strong>g, Ch<strong>in</strong>a<br />

Dresdner Bank am Pariser Platz, Berl<strong>in</strong><br />

382 Register <strong>der</strong> Projektauswahl <strong>in</strong> alphabetischer Reihenfolge


E<br />

F<br />

G<br />

H<br />

I<br />

J<br />

K<br />

Energiesparhaus Internationale Bauausstellung, Berl<strong>in</strong><br />

Fachhochschule des Bundes, Schwer<strong>in</strong><br />

Fanes Tower, Cixi, Ch<strong>in</strong>a<br />

Ferienhaus auf dem Graswar<strong>der</strong>, Heiligenhafen<br />

F<strong>in</strong>ca Es Rafalet, Mallorca, Spanien<br />

Flughafen Berl<strong>in</strong> Brandenburg<br />

Flughafen Berl<strong>in</strong>-Tegel<br />

Flughafen Hamburg<br />

Flughafen Stuttgart, Term<strong>in</strong>als 1 und 3<br />

Flughafenlogistik- und Biotechzentrum Tianj<strong>in</strong>, Ch<strong>in</strong>a<br />

Freetrade Port Management Center, L<strong>in</strong>gang New City, Ch<strong>in</strong>a<br />

Gang Cheng Bürogebäude, L<strong>in</strong>gang New City, Ch<strong>in</strong>a<br />

Geme<strong>in</strong>same Vertretung <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> Brandenburg<br />

und Mecklenburg-Vorpommern <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

Gerl<strong>in</strong>g-Haus am Löwentor, Stuttgart<br />

gmp-Büro, Elbchaussee 139, Hamburg<br />

Gongyuan Build<strong>in</strong>g, Hangzhou, Ch<strong>in</strong>a<br />

Hanoi Museum, Vietnam<br />

Hauptbahnhof Berl<strong>in</strong><br />

Hauptgebäude <strong>der</strong> TU Hamburg-Harburg<br />

Hauptsitz <strong>der</strong> Zhejiang Wuchan Group, Hangzhou, Ch<strong>in</strong>a<br />

Hillmann-Garage, Bremen<br />

Hörsaalzentrum <strong>der</strong> TU Chemnitz<br />

Huawei Forschungs- und Entwicklungszentrum, Chengdu, Ch<strong>in</strong>a<br />

Huawei Technologies, Shenzhen, Ch<strong>in</strong>a<br />

Hui Jia Education Center, Pek<strong>in</strong>g, Ch<strong>in</strong>a<br />

Internationales Messe- und Kongresszentrum Nann<strong>in</strong>g, Ch<strong>in</strong>a<br />

Jakob-Kaiser-Haus, Berl<strong>in</strong><br />

Jia M<strong>in</strong>g Center, Pek<strong>in</strong>g, Ch<strong>in</strong>a<br />

Jumbohalle <strong>der</strong> Deutschen Lufthansa, Flughafen Hamburg<br />

Jurmala Residenz und Tennishalle, Lettland<br />

Kapelle Hofgeismar<br />

Kirche im Haidian District, Pek<strong>in</strong>g, Ch<strong>in</strong>a<br />

Ku’damm-Eck, Berl<strong>in</strong><br />

Kulturpalast Dresden<br />

383


Register <strong>der</strong> Projektauswahl <strong>in</strong><br />

chronologischer Reihenfolge<br />

1965<strong>–</strong>1975<br />

1976<strong>–</strong>1985<br />

1986<strong>–</strong>1995<br />

Flughafen Berl<strong>in</strong>-Tegel<br />

Stormarnhalle, Bad Oldesloe<br />

Sportzentrum Diekirch, Luxemburg<br />

Wohnhaus „G“, Hamburg-Blankenese<br />

Wüstensiedlungen Taima und Sulayyil, Saudi-Arabien<br />

Stadthäuser Hamburg BAU 78<br />

Flughafen Stuttgart, Term<strong>in</strong>als 1 und 3<br />

Stadthalle Bielefeld<br />

Energiesparhaus Internationale Bauausstellung, Berl<strong>in</strong><br />

Wohn- und Geschäftshaus Gr<strong>in</strong>delallee 100, Hamburg<br />

Hillmann-Garage, Bremen<br />

Parkhaus <strong>der</strong> Oberpostdirektion Braunschweig<br />

Flughafen Hamburg<br />

gmp-Büro, Elbchaussee 139, Hamburg<br />

Le Canard, Elbchaussee 139, Hamburg<br />

Wohnhaus <strong>von</strong> <strong>Gerkan</strong>, Elbchaussee 139, Hamburg<br />

Jumbohalle <strong>der</strong> Deutschen Lufthansa, Flughafen Hamburg<br />

Ferienhaus auf dem Graswar<strong>der</strong>, Heiligenhafen<br />

Musik- und Kongresshalle Lübeck<br />

Deutsch-Japanisches Zentrum, Hamburg<br />

Nordseepassage, Wilhelmshaven<br />

Ku’damm-Eck, Berl<strong>in</strong><br />

Bahnhof Berl<strong>in</strong>-Spandau<br />

Hauptbahnhof Berl<strong>in</strong><br />

Norddeutsche Metall-Berufsgenossenschaft, Hannover<br />

Jakob-Kaiser-Haus, Berl<strong>in</strong><br />

Hörsaalzentrum <strong>der</strong> TU Chemnitz<br />

386 Register <strong>der</strong> Projektauswahl <strong>in</strong> chronologischer Reihenfolge


1996<strong>–</strong>2005<br />

Typendach, Bahnsteigdächer für die Deutsche Bahn AG<br />

Dresdner Bank am Pariser Platz, Berl<strong>in</strong><br />

Fachhochschule des Bundes, Schwer<strong>in</strong><br />

Gerl<strong>in</strong>g-Haus am Löwentor, Stuttgart<br />

Jurmala Residenz und Tennishalle, Lettland<br />

Restaurant VǍU, Berl<strong>in</strong><br />

Wohnhaus Hamburg-Othmarschen<br />

Metropolitan Express Tra<strong>in</strong>, Innenraumgestaltung<br />

Neue Weimarhalle<br />

Spielbank Bad Steben<br />

Christus-Pavillon, EXPO 2000 <strong>in</strong> Hannover<br />

und Kloster Volkenroda<br />

Wohnhaus Dr. Manke, Melbeck<br />

Geme<strong>in</strong>same Vertretung <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> Brandenburg<br />

und Mecklenburg-Vorpommern <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

Deutsche Botschaftsschule und Dienstwohnungen,<br />

Pek<strong>in</strong>g, Ch<strong>in</strong>a<br />

Philips Messestand<br />

Apartmenthaus <strong>in</strong> Jurmala, Lettland<br />

Bergbauarchiv Clausthal-Zellerfeld<br />

Internationales Messe- und Kongresszentrum Nann<strong>in</strong>g, Ch<strong>in</strong>a<br />

Tempodrom und Liquidrom, Berl<strong>in</strong><br />

Ausstellungspavillon <strong>der</strong> TU Braunschweig<br />

F<strong>in</strong>ca Es Rafalet, Mallorca, Spanien<br />

Canhigh Center, Hangzhou, Ch<strong>in</strong>a<br />

Development Central Build<strong>in</strong>g, Guangzhou, Ch<strong>in</strong>a<br />

Villa an <strong>der</strong> Elbchaussee, Hamburg<br />

Wohnhaus Luserke, Elbchaussee, Hamburg<br />

Zhongguancun Kulturzentrum, Pek<strong>in</strong>g, Ch<strong>in</strong>a<br />

Museum und Archiv für die Stadtentwicklung <strong>von</strong><br />

Schanghai-Pudong, Ch<strong>in</strong>a<br />

Pionierschule Ingolstadt<br />

Kapelle Hofgeismar<br />

Beij<strong>in</strong>g Soho Residences, Pek<strong>in</strong>g, Ch<strong>in</strong>a<br />

Apartmenthaus Zaubes-Straße 12, Riga<br />

387

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!