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Stephan Kohl: Realismus - Beate-jonscher.de

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<strong>Stephan</strong> <strong>Kohl</strong>: <strong>Realismus</strong>: Theorie und Geschichte. München 1977.<br />

(S.187)<br />

3. SYNTHESE<br />

3.1. <strong>Realismus</strong> und Realität<br />

3.1.1. Die Wan<strong>de</strong>lbarkeit <strong>de</strong>s Wirklichen<br />

- <strong>Realismus</strong> ist ein sich historisch wan<strong>de</strong>lbarer Begriff, Geschichte <strong>de</strong>s <strong>Realismus</strong> kann sich nicht<br />

auf eine konstante Größe "Wirklichkeit" beziehen<br />

- literarischer <strong>Realismus</strong> kann nicht in Abhängigkeit von einem bestimmten Wirklichkeitskonzept<br />

bestimmt wer<strong>de</strong>n<br />

(S. 188)<br />

3.1.2. Die kategoriale Verschie<strong>de</strong>nheit von Kunst und Wirklichkeit<br />

- beim "Sprung" von <strong>de</strong>r empirischen zur literarischen Wirklichkeit wer<strong>de</strong>n die Kategorien<br />

gewechselt: aus Wirklichkeit wird ein sprachlich vermitteltes Gebil<strong>de</strong>, das <strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>r<br />

Ästhetik angehört<br />

(S.189)<br />

- je<strong>de</strong> Dichtung macht in irgen<strong>de</strong>inen Weise Aussagen über die Wirklichkeit<br />

- so kann auch in <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rne die Realität <strong>de</strong>s 20. Jhds. ent<strong>de</strong>ckt wer<strong>de</strong>n, "wie sie in ihrer<br />

Unverständlichkeit aus entfrem<strong>de</strong>ter Distanz erlebt wird“<br />

- Spezifik <strong>de</strong>s <strong>Realismus</strong> kann so nicht beschrieben wer<strong>de</strong>n<br />

(S.190)<br />

3.1.3. <strong>Realismus</strong> und Faktentreue<br />

- <strong>Realismus</strong> läßt sich nicht mit Objektivität o<strong>de</strong>r Faktentreue gleichsetzen<br />

- auch Detailliert sagt an sich nichts aus; in <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Literatur gibt es eine Genauigkeit <strong>de</strong>r<br />

Darstellung, aus <strong>de</strong>r sich keine Vorstellung von Realität ergibt<br />

(S.191)<br />

"Erst die spezifisch künstlerische Auswahl und Anordnung von Fakten aus <strong>de</strong>r phänomenalen<br />

Wirklichkeit konstituiert <strong>Realismus</strong> und vermei<strong>de</strong>t, daß im Kunstwerk eine erkenntnistheoretisch<br />

überflüssige Wie<strong>de</strong>rholung <strong>de</strong>r Realität stattfin<strong>de</strong>t. Freiheit im Umgang mit <strong>de</strong>n Tatsachen <strong>de</strong>r und<br />

Dingen <strong>de</strong>r äußeren Wirklichkeit macht es erst möglich, daß das realistische Kunstwerk Ordnung<br />

und Deutung <strong>de</strong>r Welt zu leisten vermag."<br />

(S.192)<br />

- <strong>Realismus</strong> kann auch nicht mit Objektivität i<strong>de</strong>ntifiziert wer<strong>de</strong>n [weil (wie Ingar<strong>de</strong>n nachgewiesen<br />

hat) sich die Kunst nur auf die von ihr erzeugte Wirklichkeit bezieht]<br />

- sinnvoll kann von <strong>Realismus</strong> nur dann gesprochen wer<strong>de</strong>n, wenn entwe<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Wirklichkeit<br />

eine "Wahrheit" konstruiert (193) wird o<strong>de</strong>r traditionelle Wirklichkeitsvorstellungen <strong>de</strong>sillusionistische<br />

zerstört wer<strong>de</strong>n<br />

- das Dargestellte ist verallgemeinerungsfähig; nur durch die Möglichkeit <strong>de</strong>r Generalisierung läßt<br />

sich die "Zeitlosigkeit" realistischer Werke erklären<br />

- es existieren spezifisch realistische Intentionen, die aus <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rgabe <strong>de</strong>r zeitgenössischen<br />

Wirklichkeit mehr machen als ein zufällig gewähltes Mittel zum Ausdruck einer Kunstaussage<br />

- gegenständliche Realistik (194) muß mit ihrer Funktion im Kunstwerk in Verbindung gebracht<br />

wer<strong>de</strong>n, bevor von <strong>Realismus</strong> gesprochen wer<strong>de</strong>n kann<br />

3.1.4. Erkenntniswert <strong>de</strong>r künstlerischen Realität<br />

- <strong>Realismus</strong> zielt auf die Kohärenz <strong>de</strong>s Dargestellten<br />

- er verfügt über eine Erkenntnisleistung, die aus seiner ästhetischen Qualität abzuleiten ist -<br />

Voraussetzung für diese These ist, daß es Einsichten in das Wesen <strong>de</strong>r Wirklichkeit gibt, die nur<br />

vom Kunstwerk vermittelt wer<strong>de</strong>n können<br />

(S.195)<br />

- im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt rückt die Kunst gleichberechtigt neben die Wissenschaft, ersetzt sie teilweise<br />

- Adorno hat nachgewiesen, wie weit die Theorie <strong>de</strong>s sozialistischen <strong>Realismus</strong> hinter diese<br />

Einsicht in das Wesen realistischer Kunst zurückfällt: wie im 18. Jahrhun<strong>de</strong>rt wird <strong>de</strong>r Erkenntniswert<br />

realistischer Kunst mißachtet, da die "Wahrheit <strong>de</strong>r Wirklichkeit" schon von außen<br />

vorgegeben ist


(S.196)<br />

3.2. Inhaltliche Bestimmung von <strong>Realismus</strong><br />

3.2.1. Inhaltsforschung<br />

- die Mittelstellung <strong>de</strong>s realistischen Prinzips zwischen Wirklichkeitsnachahmung und<br />

schöpferischer Erkenntnisleistung schließt eine rein inhaltliche Bestimmung von <strong>Realismus</strong> aus<br />

(S.198)<br />

-eine ausschließliche Konzentration auf die Struktur <strong>de</strong>r literarischen Welt vermag jedoch we<strong>de</strong>r<br />

die Gesellschaftsbezogenheit noch <strong>de</strong>s <strong>Realismus</strong> noch das Verhältnis zur Tradition gebührend zu<br />

erfassen<br />

3.2.2. Die neuen Inhalte<br />

- das Aufbrechen von Konventionen, primär eine methodische Leistung <strong>de</strong>s <strong>Realismus</strong>, geschieht<br />

auch über die Inhalte <strong>de</strong>r Kunst<br />

[- jeweils neue Themen und Sujets]<br />

-<strong>Realismus</strong> als Stofferoberung be<strong>de</strong>utet in <strong>de</strong>r Regel nicht nur die Aufnahme neuer<br />

Lebensbereiche in die Kunst, son<strong>de</strong>rn auch - um eine neue Wirklichkeitsnähe zu erreichen - die<br />

Entwicklung <strong>de</strong>r literarischen Mittel<br />

(S.199)<br />

- übergreifen<strong>de</strong>s Kennzeichen <strong>de</strong>s <strong>Realismus</strong> muß daher die Wendung gegen künstlerische<br />

Konventionen sein [immer o<strong>de</strong>r nur am Anfang einer realistischen "Bewegung"]?<br />

- ein absoluter <strong>Realismus</strong> ist jedoch nicht möglich, genausowenig, wie das vollständige Erreichen<br />

von <strong>Realismus</strong><br />

- Mimesis (Nachahmung <strong>de</strong>r Wirklichkeit) und Imitatio (Nachahmung literarischer Vorbil<strong>de</strong>r)<br />

müssen im Gegensatz zur Praxis bis zum 18. Jahrhun<strong>de</strong>rt streng getrennt wer<strong>de</strong>n, da sich beim<br />

innovativen und oppositionellen Gehalt die Nachahmung von literarischen Vorbil<strong>de</strong>rn wie<br />

selbstverständlich verbietet<br />

(S.200)<br />

- <strong>de</strong>shalb ist es berechtigt, <strong>Realismus</strong> als Epochenbegriff gera<strong>de</strong> für die Literatur <strong>de</strong>s 19.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rts zu verwen<strong>de</strong>n<br />

- <strong>de</strong>r triviale Literaturgeschmack droht die einmal erreichte Trennung von Mimesis und Imitatio<br />

laufend zu verspielen, in<strong>de</strong>m die Erweiterung <strong>de</strong>r literarischen Thematik zur Konvention wird<br />

[-neues Thema kein Beweis für <strong>Realismus</strong>]<br />

- wegen <strong>de</strong>r kategorialen Verschie<strong>de</strong>nheit von Kunst und Wirklichkeit ist die Gleichzeitigkeit von<br />

literarischer und gesellschaftlicher Opposition beim Urheber eines realistischen Werkes nicht<br />

zwingend<br />

(S.201)<br />

- <strong>Realismus</strong> steht jedoch zuerst im Wi<strong>de</strong>rspruch zu künstlerischen Darstellungsnormen; so<br />

stammen realistische Werke <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts auch von sehr konservativen Autoren<br />

(S.203)<br />

- das Verhältnis zum Erbe ist unterschiedlich: [zwischen kritischem Aufarbeiten und Ignorieren]<br />

- realistische Literatur verbün<strong>de</strong>t sich zumeist mit <strong>de</strong>n in einer Gesellschaft aufstreben<strong>de</strong>n Klassen<br />

(S.204)<br />

3.2.3. Konkretisation und Verallgemeinerung am Beispiel <strong>de</strong>r literarischen Figuren<br />

- <strong>de</strong>r spezielle Aussagewert <strong>de</strong>r Nachahmung "gelingt über die Verallgemeinerungsfähigkeit <strong>de</strong>s<br />

dargestellten Partikularen, also <strong>de</strong>n exemplarischen Gehalt <strong>de</strong>s Individuellen".<br />

- es sind jedoch nicht nur außergewöhnliche Menschen literaturfähig, weil nicht Personen, son<strong>de</strong>rn<br />

durch literarische Figuren Lebensweisen gewertet wer<strong>de</strong>n<br />

(S.205)<br />

- diese Art war aller realistischer Literatur eigen, galt aber im <strong>Realismus</strong> <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

nahezu als einzig "natürliche"<br />

- im 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt fällt <strong>de</strong>n Autoren die Verschränkung <strong>de</strong>s Gesellschaftlich mit <strong>de</strong>m<br />

Individuellen zunehmend schwerer<br />

[Ursachen: Wandlung <strong>de</strong>r Werte, Rückgang <strong>de</strong>s Fortschrittsglaubens - aber<br />

Fortschrittsglaube be<strong>de</strong>utet nicht automatisch <strong>Realismus</strong> - s. Avantgar<strong>de</strong>!]<br />

2


-[so verstan<strong>de</strong>ner] <strong>Realismus</strong> ist im 20. Jhd. nur noch in mühsamer Konstruktion zu erreichen<br />

(S.207)<br />

<strong>Realismus</strong><strong>de</strong>finitionen, die die soziale und allgemeine Repräsentanz <strong>de</strong>s abgebil<strong>de</strong>ten<br />

Individuellen zum wesentlichen Merkmal haben, beziehen sich auf Zeiten, die von Ordnung und<br />

Sinnhaftigkeit <strong>de</strong>r Welt ausgehen<br />

- realistische Metho<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n jedoch auch angewandt, wenn Autoren in <strong>de</strong>m Bewußtsein<br />

arbeiten, ihrer Zeit sei die Kenntnis <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Realität abhan<strong>de</strong>n gekommen - die realistische<br />

Literatur ist Versuch, Sicherheit im Umgang mit <strong>de</strong>r Realität zurückzugewinnen<br />

3.2.4. <strong>Realismus</strong> als Sinngebung<br />

- ausgehend von <strong>de</strong>r Erkenntnis, daß die in realistischer Kunst dargestellte Welt nicht Abbildung,<br />

son<strong>de</strong>rn Konstrukt ist, muß nach <strong>de</strong>r Subjektivität und I<strong>de</strong>ologiehaltigkeit <strong>de</strong>s <strong>Realismus</strong> gefragt<br />

wer<strong>de</strong>n<br />

- in vielen Fällen ist es schwierig, eine Grenze zu ziehen, wo die Ent<strong>de</strong>ckung eines Sinns in <strong>de</strong>r<br />

Wirklichkeit in die Setzung eines Sinns umschlägt<br />

(S.207)<br />

- im Bezug auf das 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt sollte nur dort von <strong>Realismus</strong> gesprochen wer<strong>de</strong>n, wo <strong>de</strong>r<br />

Blick auf die Wirklichkeit zur Desillusionierung führt, als Korrektiv zu traditionellen Vorstellungen<br />

- sie kann sich darauf beschränken o<strong>de</strong>r zur einer neuartigen Antizipation <strong>de</strong>s Vollkommenen<br />

führen<br />

(S.209)<br />

3.2.4.1. <strong>Realismus</strong> und I<strong>de</strong>ologie<br />

- die mo<strong>de</strong>rne Medien- und Kulturkritik hat darauf verwiesen, daß auch Authentizität und<br />

Faktentreue im Dienst <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ologie stehen können<br />

(S.210)<br />

[- <strong>de</strong>r Naturalismus zeigt, daß I<strong>de</strong>ologie schon durch die Auswahl <strong>de</strong>r fakten erreicht wird)<br />

- <strong>Realismus</strong> kann keinen Anspruch auf Objektivität erheben<br />

- <strong>de</strong>r naturgemäß i<strong>de</strong>ologische Gehalt <strong>de</strong>r realistischen Kunst wird nicht apriorisch kunstextern <strong>de</strong>r<br />

Literatur aufgetragen<br />

"...soll die realistische Qualität nicht verspielt wer<strong>de</strong>n, muß die weltanschauliche Ten<strong>de</strong>nz als<br />

Ergebnis <strong>de</strong>r schriftstellerischen Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>r Wirklichkeit erscheinen. Auch<br />

sozialistischer <strong>Realismus</strong> ist noch als echter <strong>Realismus</strong> möglich, wenn <strong>de</strong>r Autor in <strong>de</strong>r Gestaltung<br />

seines Werkes <strong>de</strong>n Eindruck vermittelt, aufgrund seiner eigenen Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>r<br />

Wirklichkeit zu <strong>de</strong>nselben Schlüssen gekommen sein wie die marxistischen I<strong>de</strong>ologen."<br />

(S.211)<br />

- <strong>Realismus</strong> ist dann zu konstatieren, wenn (1) die Gestaltung <strong>de</strong>s Werkes <strong>de</strong>n Zusammenhang<br />

von Wirklichkeitserfassung und i<strong>de</strong>ologischen Konsequenzen zwingend erscheinen läßt und (2)<br />

die neue "I<strong>de</strong>ologie" bedingt durch eine relativ größere Wirklichkeitsnähe, nicht mit alten<br />

"I<strong>de</strong>alismen" i<strong>de</strong>ntisch ist<br />

- Bedingung bleibt für <strong>de</strong>n <strong>Realismus</strong> <strong>de</strong>r Bezug zur zeitgenössischen Wirklichkeit, geht dieser<br />

über <strong>de</strong>m Entwurf einer I<strong>de</strong>alität verloren, ist auch das aufklären<strong>de</strong> Vermögen <strong>de</strong>s <strong>Realismus</strong> verspielt<br />

- auch die Wirklichkeitsbezogenheit <strong>de</strong>s <strong>Realismus</strong> ist eine i<strong>de</strong>ologische Norm - die realistische<br />

Wirklichkeitsbezogenheit <strong>de</strong>s pragmatischen Romans von <strong>de</strong>n Anfängen bis zum 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

zeigt Werte <strong>de</strong>s Bürgertums; <strong>de</strong>r <strong>Realismus</strong> löst sich von bürgerliche Gehalten, wenn von <strong>de</strong>r<br />

"scheinbar selbstverständlichen Verknüpfung <strong>de</strong>s Berichteten nach <strong>de</strong>n Gesetzen von Kausalität,<br />

Finalität und 'normaler' Psychologie abgegangen wird<br />

(S. 212)<br />

- neben die meist unbewußte Verbreitung bürgerlicher Werte und Normen tritt in realistischen<br />

Werken die bewußte Vermittlung einer moralischen Vorstellung<br />

- von <strong>Realismus</strong> ist zu sprechen, wenn die zeitgenössische Wirklichkeit so "ernst genommen" wird,<br />

daß ihre Darstellung Bedingung und Grundlage für alle moralischen Intentionen und Versuche <strong>de</strong>r<br />

I<strong>de</strong>ologievermittlung eines Autors abgibt<br />

"Treten dagegen die Bestandteile <strong>de</strong>r Realität - so naturalistisch sie gezeichnet sein mögen - nur in<br />

<strong>de</strong>r Funktion auf, i<strong>de</strong>ologische Inhalte zu 'beglaubigen', spricht man besser von 'Illusionismus'."<br />

3


(S.214)<br />

- I<strong>de</strong>ologen geben jedoch die ihnen unterworfene Kunst gern als "<strong>Realismus</strong>" aus<br />

3.2.4.2. <strong>Realismus</strong> und Subjektivität<br />

-interpretieren<strong>de</strong> Realitätsdarstellung als Eigenschaft <strong>de</strong>s <strong>Realismus</strong> bedingt notwendig die<br />

Subjektivität <strong>de</strong>r Wirklichkeitsabbildung<br />

- hinzu kommt die persönliche Eigenart <strong>de</strong>s Künstlers, Welt zu erfahren<br />

(S.215)<br />

- Subjektivismus kann jedoch in Reflexion und bewußte Einarbeitung <strong>de</strong>s Standpunktes<br />

umschlagen - <strong>Realismus</strong> macht aus <strong>de</strong>r Not individueller Wirklichkeitserfahrung die Tugend eines<br />

selbstkritisch kontrollierten Weltentwurfs nach ethisch-moralischen Grundsätzen: so bedingen sich<br />

Subjektivität und I<strong>de</strong>ologie im <strong>Realismus</strong><br />

(S. 216)<br />

- die Einsicht in die Subjektivität <strong>de</strong>s <strong>Realismus</strong> wirft auch auf die Form <strong>de</strong>r realistischen Kunst ein<br />

neues Licht<br />

(nicht die Ähnlichkeit <strong>de</strong>s realistischen Werkes mit einem original ist ausschlaggebend, son<strong>de</strong>rn<br />

das Kriterium, ob das Abbild im Rezipienten <strong>de</strong>n gleichen Eindruck hervorruft wie die Konfrontation<br />

mit <strong>de</strong>m Original)<br />

(S. 217)<br />

3.3. <strong>Realismus</strong> als Metho<strong>de</strong><br />

2.3.1. Das Beispiel <strong>de</strong>s Naturalismus<br />

(S.218)<br />

zwei Konsequenzen: (1) ein naturalistisches Werk, <strong>de</strong>ssen Personal ausschließlich nach <strong>de</strong>n<br />

Regeln <strong>de</strong>r damaligen <strong>de</strong>terministischen Lehre 'funktioniert', kann die Qualitäten <strong>de</strong>s <strong>Realismus</strong><br />

nicht besitzen, da die Balance zwischen Individuellen und Allgemeinen nicht eingehalten wer<strong>de</strong>n<br />

kann<br />

(2) präzise Wirklichkeitswie<strong>de</strong>rgabe als literarische Metho<strong>de</strong> kann <strong>Realismus</strong> konstituieren,<br />

solange die Möglichkeit <strong>de</strong>r Generalisierung <strong>de</strong>s Ausgesagten nicht verlorengeht<br />

- umgekehrt verlangt <strong>de</strong>r <strong>Realismus</strong> keine verisimilitu<strong>de</strong><br />

(S. 220)<br />

3.3.2. Wirklichkeitskontrolle und Formgebung<br />

- die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>r naturalistischen Kunst konfrontiert noch einmal mit <strong>de</strong>r Tatsache,<br />

daß sich die literarische Wirklichkeitsaussage von <strong>de</strong>r außerliterarischen unterschei<strong>de</strong>n muß, um<br />

als realistisch zu gelten<br />

- das spezifisch Künstlerische, das Anspruch erhebt auf realistische Wirklichkeitsnähe, besteht<br />

zunächst einmal in <strong>de</strong>r Gestaltung und Formgebung nach Maßgabe ästhetischer Prinzipien<br />

- dabei wi<strong>de</strong>rstreiten sich das Prinzip <strong>de</strong>r Kunstformung und das <strong>de</strong>r präzisen<br />

Wirklichkeitsbeschreibung - wird beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich bei <strong>de</strong>r Romangestaltung<br />

(S.221)<br />

"Was <strong>de</strong>n <strong>Realismus</strong> gegenüber <strong>de</strong>r reinen Deskription überhaupt erst als künstlerische Leistung<br />

konstituiert, sind Elemente jenes Bereiches ästhetischer Konventionen, die er im Namen größerer<br />

Wirklichkeitsnähe zu bekämpfen sich programmatisch vornimmt. Die prekäre Balance und die<br />

Relativität <strong>de</strong>s <strong>Realismus</strong> wer<strong>de</strong>n auf beim Blick auf seine grundsätzliche Metho<strong>de</strong> manifest."<br />

3.3.3. <strong>Realismus</strong> und Konvention<br />

- bis Mitte <strong>de</strong>r fünfziger Jahre wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r <strong>Realismus</strong> nie als Metho<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn immer inhaltlich als<br />

Etablierung <strong>de</strong>r Wahrheit im künstlerischen Werk<br />

- in Frankreich wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r <strong>Realismus</strong> zuerst von allen Wahrheitsansprüchen befreit und auf eine<br />

Metho<strong>de</strong> reduziert<br />

(S.222)<br />

- die Suche nach angemessener Wirklichkeitserfassung bedingt die Lösung von <strong>de</strong>n literarischen<br />

Konventionen <strong>de</strong>r Realitätsdarstellung<br />

-es bleibt <strong>de</strong>r Wunsch, wirklichkeitsgerecht zu schreiben, die Realität selbst bleibt ein unfaßbarer,<br />

sich wan<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>r Bezugspunkt<br />

(S.223)<br />

4


3.3.3.1 <strong>Realismus</strong> als Übergangsphänomen<br />

(S.226)<br />

3.3.3.2. Die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s methodischen <strong>Realismus</strong><br />

- ein als Metho<strong>de</strong> konzipierter <strong>Realismus</strong> kann nicht an bestimmte Darstellungsformen gebun<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n<br />

- er bestreitet die realistische Qualität jener Literatur, die in <strong>de</strong>n Konventionen <strong>de</strong>s <strong>Realismus</strong><br />

geschrieben ist, sich <strong>de</strong>r "eingeübten Art <strong>de</strong>r Präsentation" bedient<br />

- die Selbstverständlichkeit, mit <strong>de</strong>r die Konventionen <strong>de</strong>s realistischen Romans <strong>de</strong>s vergangenen<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rts in <strong>de</strong>r Trivialliteratur benutzt wer<strong>de</strong>n, zeugt von <strong>de</strong>r Popularität einer verflossenen<br />

realistischen Form<br />

(S.227)<br />

-<strong>Realismus</strong> kann also nicht als Treue zu bestimmten Konventionen gefaßt wer<strong>de</strong>n<br />

- im methodischen <strong>Realismus</strong> kann ein endgültiger Aufschluß über die Wirklichkeit nicht erhofft<br />

wer<strong>de</strong>n<br />

(S.228)<br />

3.3.4. Zwei Arten <strong>de</strong>s <strong>Realismus</strong><br />

"Der Terminus '<strong>Realismus</strong>' trifft mit gleicher Gültigkeit das Wesentliche zweier differieren<strong>de</strong>r<br />

Schreibweisen: Die Konstruktion einer 'Wahrheit <strong>de</strong>r Wirklichkeit' verdient, solange sie tradierte<br />

I<strong>de</strong>ale an <strong>de</strong>r Wirklichkeit mißt und korrigiert, ebenso 'realistisch' genannt zu wer<strong>de</strong>n, wie das<br />

ausschließlich 'mythenzerstören<strong>de</strong>' Bemühen, die Fassa<strong>de</strong> <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r realen Dinge unverstellt zu<br />

erkennen und zu beschreiben."<br />

- von Aristoteles bis ins 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt war war <strong>Realismus</strong> als ein mit dichterischen Mitteln<br />

dargelegtes Wahrheitskonstrukt konzipiert<br />

- als Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Wirklichkeitserfassung konstituierte er sich mit Flaubert und erreichte seinen<br />

vorläufigen Höhepunkt mit im nouveau roman (dieser bil<strong>de</strong>t unversöhnlichen Gegensatz zum<br />

sozialistischen <strong>Realismus</strong>)<br />

"<strong>Realismus</strong> als Konstrukt schafft durch sein Bestehen auf I<strong>de</strong>alen stets I<strong>de</strong>ologie und for<strong>de</strong>rt eine<br />

erneute realistische Korrektur heraus. Sein Vertrauen auf einen <strong>de</strong>r Welt zugrun<strong>de</strong>liegen<strong>de</strong>n Sinn<br />

und eine Ordnung in <strong>de</strong>r Wirklichkeit"<br />

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