guernica 1/2005 - Friedenswerkstatt Linz
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<strong>guernica</strong> 1/<strong>2005</strong> VA-Tech 11<br />
VA Tech: Verraten und verkauft an Siemens<br />
Auf der Strecke bleibt der Wirtschaftsstandort Österreich<br />
Die VA Tech-Übernahme ist der erste Megapoker des puren Finanzkapitalismus in Österreich. VA Tech wurde von dieser Regierung und ihrer<br />
„entpolitisierten“ ÖIAG zunächst dem Kasino-Kapitalismus der Börse unterstützungslos ausgeliefert, um gefräßiges internationales Großkapital<br />
anzulocken. Als sich dieses tatsächlich zu interessieren begann, hat die Regierung Schüssel II durch ihre beredte Untätigkeit der VA Tech jenen<br />
Tritt versetzt, mit dem sie in den Magen des Siemens-Konzerns befördert wurde. Der mit solchen Formen des Kasino-Kapitalismus großteils<br />
unerfahrenen Bevölkerung wurde dieser Ausverkauf österreichischer Interessen hingegen zynischer Weise als eine Maßnahme der Standortsicherung<br />
dargestellt.<br />
Die VA Tech-Aktionäre haben<br />
von Siemens einen höheren<br />
Verkaufspreis für ihre VA Tech-Aktien<br />
gefordert und haben diesen erhalten.<br />
Das Übernahmeverfahren an<br />
der Börse funktioniert dabei nicht<br />
anders wie ein Pokerspiel im Kasino.<br />
Nur ganz ausnahmsweise und<br />
eher zufällig decken sich darin Interessen<br />
der Aktionäre mit jenen der<br />
Mitarbeiter und mit sonstigen Interessen<br />
jenseits von Dividende und<br />
Rendite. Ein solcher seltener Zufall<br />
war in der VA Tech-Hauptversammlung<br />
vom 17. Jänner zu erleben, bei<br />
der Siemens das in der VA Tech-Satzung<br />
verankerte Höchststimmrecht<br />
(welches die Stimmrechte jedes VA<br />
Tech-Aktionärs auf maximal 25 %<br />
limitiert) abschaffen wollte und nur<br />
ganz knapp an der geforderten Drei-<br />
Viertel-Mehrheit scheiterte, was<br />
Hoffnung aufkommen ließ, die<br />
Übernahme könne doch noch scheitern.<br />
Hinter der Ablehnung durch<br />
den Großteil der VA Tech-Aktionäre<br />
verbarg sich jedoch in individualistischer<br />
Gewinnmaximierungsabsicht<br />
nichts anderes als die Aufforderung<br />
Rascher Gesinnungswandel<br />
an Siemens, das Übernahmeangebot<br />
entschieden nachzubessern. Siemens<br />
umgekehrt konnte und wollte<br />
sich nach der kalten Schulter, die<br />
Siemens in Frankreich bei Alstom<br />
gezeigt wurde, bei der „kleinen“ VA<br />
Tech keinen neuerlichen Korb geben<br />
lassen und hat dem Übernahmepoker<br />
durch eine Erhöhung des Angebotspreises<br />
um 10 € pro Aktie ein<br />
frühzeitiges Ende bereitet. Siemens<br />
fordert zwar, dass soviele Aktionäre<br />
dieses Angebot annehmen, um VA<br />
Tech von der Börse nehmen zu können.<br />
Dass sich mehr als 10 % der VA<br />
Tech-Aktionäre einem Verkauf an<br />
Siemens verweigern, ist unwahrscheinlich,<br />
zumal der nachgebesserte<br />
Preis auch jenem Gutachten entspricht,<br />
das der VA Tech-Vorstand<br />
bei J. P. Morgan in Auftrag gegeben<br />
hat und auch jenem Preis fast entspricht,<br />
zu dem die treuesten VA<br />
Tech-Aktionäre beim Börsegang<br />
1994 gekauft haben.<br />
Starker Konkurrent wird vom<br />
Markt genommen. Der aufgefettete<br />
Übernahmepreis verteuert die<br />
In Bayern tritt der Rüstungs- und Atomkonzern Siemens im Rahmen des<br />
„Verbands der Bayrischen Metall- und Elektroindustrie“ auch als Spender<br />
für CSU, SPD, FDP und Grüne auf. Angesichts des raschen Gesinnungswandels,<br />
mit dem die führenden politischen Kräfte aller Coleurs innerhalb<br />
kürzester Zeit ihre Zungeigung zu Siemens entdeckten, kann selbiges<br />
wohl auch hierzulande nicht ganz ausgeschlossen werden.<br />
Eine kleine Kostprobe:<br />
Vorher ...<br />
„Eine Übernahme durch Siemens liegt nicht in unserem Interesse", sagte<br />
Österreichs Finanzminister Karl-Heinz Grasser. Grasser zufolge passe<br />
Siemens nicht zu VA-Tech, weil es zu viele parallele Aktivitäten gäbe.<br />
Werksschließungen und Stellenabbau seien damit wahrscheinlich.<br />
(Financial Times Deutschland, 7.9.2004)<br />
Als „unverständlich" bezeichnete Gusenbauer die Vorgänge und die Haltung<br />
der Regierung rund um die Übernahmegespräche der VA-Tech durch<br />
Siemens Deutschland. Sollte Siemens Deutschland die VA-Tech kaufen, so<br />
sei nicht zu erwarten, dass dies mit dem Ziel geschehe die Firma zu stärken,<br />
sondern einen Konkurrenten auszuschalten. Zu befürchten sei ein<br />
Verlust von bis zu 5.500 Arbeitsplätzen. „Das wäre eine Katastrophe,<br />
denn es wäre die Konsequenz einer vollkommen falschen Politik des Finanzministers",<br />
so Gusenbauer.<br />
(in: OTS-Presseaussendung, 3.9.2004)<br />
Nachher ...<br />
Finanzminister Karl-Heinz Grasser sieht die angestrebte Übernahme der<br />
VA-Tech durch Siemens grundsätzlich positiv. In einer Aussendung betonte<br />
Grasser, dass Siemens Österreich durch seine 125-jährige Tradition bewiesen<br />
habe, den Wirtschaftsstandort Österreich zu fördern. Das Unternehmen<br />
sei einer der wesentlichsten industriellen Partner in Österreich.<br />
„Daher gehe ich davon aus, dass Siemens Österreich auch im Falle der<br />
VA-Tech österreichische Interessen wahrt, und sich seiner Verantwortung<br />
bewusst ist", so Grasser.<br />
(www.wienweb.at, 9.11.2004)<br />
Auch SP-Chef Alfred Gusenbauer steht dem Einstieg von Siemens bei der<br />
VA-Tech grundsätzlich positiv gegenüber. Die jüngste Entwicklung nähre<br />
die Hoffnung, dass es künftig einen stabilen Eigentümer gäbe, erklärte der<br />
SP-Vorsitzende.<br />
(OÖN, 9.11.2004)<br />
Der erstaunte Beobachter fragt: Was ist bloß dazwischen passiert?<br />
An der Faktenlage hat sich nichts geändert.<br />
„Letztlich könnte in der Ignorierung des Privatisierungsauftrages ein Missbrauch der<br />
Verfügungsmacht über fremdes Vermögen gelegen sein, was einer strafrechtlichen Sanktion<br />
unterliegt und auch schon bei Versuch strafbar ist.“<br />
VA Tech-Übernahme für Siemens<br />
um 153 Millionen €. Die erworbenen<br />
etwa 4 Milliarden € jährlicher<br />
Umsatz kosten Siemens damit insgesamt<br />
nur etwa 1 Milliarde €. Dennoch<br />
bleibt die Übernahme der VA<br />
Tech für Siemens ein sehr gutes Geschäft.<br />
Zum einen wird im oligopolen<br />
Markt für Energieanlagen mit<br />
VA Tech ein Wettbewerber eliminiert,<br />
der nach einer längeren kostenintensiven<br />
Erholungsphase gerade<br />
zu einem Aufschwung ansetzt<br />
und damit für Siemens künftig ein<br />
zunehmend stärkerer Konkurrent<br />
hätte werden können. Letztlich ging<br />
es Siemens gerade auch darum, sich<br />
nach den riesigen flächendeckenden<br />
Black-Outs der vergangenen Jahre<br />
rechtzeitig ideale Startbedingungen<br />
zu sichern, bevor der Oligopol seine<br />
Lobbyisten für die erforderlichen<br />
und lange aufgeschobenen Investitionen<br />
in die Energiesysteme und<br />
-netze trommeln lassen wird.<br />
Steuerliche Zuckerl. Zum anderen<br />
wird der Übernahmepreis für<br />
Siemens durch eine Reihe von steuerlichen<br />
Zuckerln ganz entscheidend<br />
aufgebessert. So wird es ein<br />
Leichtes sein, einen Großteil der<br />
millionenschweren steuerlichen Verlustvorträge<br />
der VA Tech, die mit<br />
Gewinnen aus anderen Jahren aufrechenbar<br />
sind, auch in den Siemens-<br />
Konzern hinüberzuretten. Daneben<br />
stellt die jüngste Steuerreform durch<br />
die Gruppenbesteuerung sicher, dass<br />
ein internationaler Konzern in<br />
Österreich nur noch Körperschaftsteuer<br />
zahlt, wenn ihn wirklich<br />
danach verlangt. Aufgrund der<br />
neuen Gruppenbesteuerung steht es<br />
nämlich einem internationalen Konzern<br />
offen, die zu versteuernden Gewinne<br />
im Inland unbegrenzt mit<br />
Verlusten von ausländischen Tochtergesellschaften<br />
aufzurechnen (sogar<br />
Wirtschaftsprüfungskonzerne<br />
wie PriceWaterhouseCoopers sprechen<br />
davon, dass die österreichische<br />
Körperschaftssteuer zu einer freiwilligen<br />
Abgabe bzw. zu einer Bagatellsteuer<br />
umgestaltet wurde). Das<br />
Übrige leistet die lineare Abschreibbarkeit<br />
von Unternehmenskäufen<br />
über zehn Jahre, die bislang nur gewährt<br />
wurde, wenn sich eine Übernahme<br />
tatsächlich als Verlust herausgestellt<br />
hat. Für Siemens bleibt<br />
die VA Tech-Übernahme vor diesem<br />
Hintergrund trotz des nachgebesserten<br />
Preises insgesamt ein sehr lukratives<br />
Geschäft. Angesichts der mit<br />
13 Milliarden € prallvollen Siemens-Kriegskasse<br />
für Unternehmensübernahmen<br />
fällt eine Milliarde<br />
€ für VA Tech nicht wirklich ins<br />
Gewicht.<br />
Personalabbau steht vor der<br />
Tür. Die Art, wie die Nachbesserung<br />
des Übernahmepreises zustande<br />
gekommen ist, widerlegt schon<br />
vor Abschluss der Übernahme das<br />
maßgeblichste „Argument“, mit<br />
dem die Regierung massiv Stimmung<br />
für einen Verkauf an Siemens<br />
gemacht hat. Siemens Österreich, in<br />
Regierungsdiktion künftiger stabiler<br />
österreichischer Kernaktionär der<br />
VA Tech, war nach der Niederlage in<br />
der VA Tech-Hauptversammlung<br />
zwei Tage lang paralysiert und ohne<br />
Zuruf aus München handlungsunfähig.<br />
Dass der Siemens-Konzern-<br />
Boss Pierer aus München sogleich<br />
nach Bekanntgabe der Nachbesserung<br />
ausrichtete, dass nun die Rationalisierungsmaßnahmen,<br />
d. h. der<br />
Personalabbau bei VA Tech noch rascher<br />
zu exekutieren sind, lässt keinen<br />
Zweifel offen, dass Siemens<br />
Österreich im Siemens-Konzern so<br />
frei ist wie ein Hund an der Kette.<br />
Nach der absehbaren Pensionierung<br />
des Siemens-Österreich-Generals<br />
Hochleitner wird diese Kette wahrscheinlich<br />
noch straffer gezogen.<br />
Umgekehrt wird sich aber das machterhaltende<br />
Kalkül der Regierung,<br />
dass medial wahrnehmbare negative<br />
Auswirkungen der VA Tech-Übernahme<br />
sich erst nach der Nationalratswahl<br />
2006 niederschlagen sollten,<br />
nun nicht erfüllen lassen - wer<br />
andern eine Grube gräbt … Die<br />
Rede von Siemens als stabilem<br />
österreichischen „Kernaktionär“ der<br />
VA Tech war aber schon allein deshalb<br />
verlogen und absurd, weil Siemens<br />
von allem Anfang an klargestellt<br />
hat, dass VA Tech von der Börse<br />
genommen werden und im Siemens-Konzern<br />
aufgehen sollte.<br />
Gesetzliche Auflagen ignoriert.<br />
Eine Übernahme der VA Tech durch<br />
Siemens widerspricht aber auch<br />
sämtlichen anderen Kriterien, die<br />
die Regierung im Privatisierungsauftrag<br />
für die VA Tech im Interesse<br />
des Wirtschaftsstandorts Österreich<br />
aufgestellt hat (siehe <strong>guernica</strong><br />
6/2004, Seite 10). Der Verlust dieser<br />
Entscheidungszentrale in Österreich<br />
wird sich in weiterer Folge auch in<br />
einem Verlust qualitativ hochwertiger<br />
Arbeitsplätze nicht nur im Bereich<br />
der jetzigen VA Tech, sondern<br />
auch bei deren Zulieferbetrieben<br />
und industrienahen Dienstleistern<br />
niederschlagen. Der ÖIAG-Vorstand<br />
hat jedoch über die Außerachtlassung<br />
der volkswirtschaftlichen Ziele<br />
des Privatisierungsauftrages hinaus<br />
nicht einmal bescheidenste Anstrengungen<br />
für eine betriebswirtschaftliche<br />
Maximierung des Verkaufserlöses<br />
für das 14,69 %-Paket an der VA<br />
Tech unternommen, was jeglichem<br />
rationalen Marktverhalten widerspricht<br />
und nicht nur bestens dotierten<br />
Vorständen nicht unterlaufen<br />
darf. Auch wenn in einem Übernahmeverfahren<br />
sämtliche Aktionäre,<br />
die das Übernahmeangebot annehmen,<br />
unterschiedslos denselben<br />
nachgebesserten Preis erhalten, so<br />
war das äußerst merkwürdige Verhalten<br />
des ÖIAG-Vorstandes dennoch<br />
in mehrerlei Hinsicht von<br />
rechtlicher Relevanz und verdient<br />
intensivster Aufklärung durch Parlament<br />
und Rechnungshof. Zum einen<br />
könnte eine durch EU-Recht verbotene<br />
staatliche Beihilfe an Siemens<br />
vorgelegen sein. Zum anderen könnte<br />
der ÖIAG-Vorstand durch die<br />
Nichtbeachtung des schriftlichen<br />
Privatisierungsauftrags der ÖIAG<br />
und Dritten Schaden zugefügt haben.<br />
Letztlich könnte in der Ignorierung<br />
des Privatisierungsauftrages<br />
ein Missbrauch der Verfügungsmacht<br />
über fremdes Vermögen gelegen<br />
sein, was einer strafrechtlichen<br />
Sanktion unterliegt und auch schon<br />
bei Versuch strafbar ist. Einige dieser<br />
rechtlichen Aspekte könnten dabei<br />
zusätzlich auch auf jene ÖIAG-<br />
Aufsichtsräte zutreffen, die eine auftragswidrige<br />
Verschleuderung der<br />
VA Tech-Aktien um 55 € mitgetragen<br />
haben. ÖIAG-Vorstand und<br />
-Aufsichtsrat dürfen sich also auf<br />
ein nicht unerhebliches rechtliches<br />
Nachspiel dieses dilettantenhaften<br />
Verschleuderungstheaters freuen.<br />
Heinrich Kunz