April 2006 - Nossner Rundschau
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<strong>April</strong> <strong>2006</strong> 10 <strong>Nossner</strong> <strong>Rundschau</strong><br />
„Im Zauberreich der Elfen.“<br />
Ein Abend mit irischen Märchen und Sagen im „Historischen Weingewölbe“<br />
Es gibt Stunden, Tage, Wochen,<br />
in denen man eine Wandlung in<br />
sich verspürt. Man verfällt ohne<br />
Erkenntnisse einer Ursache in<br />
eine fröhliche Heiterkeit und<br />
Leichtigkeit oder aber fühlt sich<br />
bedrückt, erfasst von Unruhe<br />
und Niedergeschlagenheit. Wir<br />
Menschen einer aufgeklärten,<br />
modernen Zeit sind in der Hektik<br />
und dem Stress befangen und<br />
eingesponnen. Wir vernehmen<br />
allzu oft nicht die innere<br />
Stimme, die zu uns sprechen<br />
möchte. Also – es bleibt keine<br />
Zeit zum Nachdenken und zum<br />
Nachempfinden; der Strom<br />
unseres Lebens reißt uns weiter<br />
und fort. –<br />
Dann plötzlich geschieht ein<br />
kleines Wunder. Man hält inne,<br />
wenn eines Tages eine Einladung<br />
zu einer Veranstaltung auf<br />
den Tisch flattert mit dem<br />
verlockenden Titel:<br />
„Im Zauberreich der Elfen“.<br />
Ein irischer Abend<br />
mit geladenen Gästen.<br />
Über 40 Personen fanden sich<br />
demzufolge am Freitag, dem 24.<br />
Februar im „Historischen<br />
Weingewölbe“ in Nossen mit<br />
ihren diversen Erwartungen ein.<br />
Nach kurzen Begrüßungsworten<br />
des Hausherrn boten den Gästen<br />
zwei außergewöhnliche Künstlerinnen<br />
einen eindrucksvollen<br />
Abend. Gekommen waren die<br />
international bekannte Sopranistin<br />
Kerstin Doelle, bei diesem<br />
Programm als Sagen- und Märchenerzählerin<br />
fungierend und<br />
ihre Begleiterin Katharina Müller<br />
mit ihrer „Keltischen Harfe“<br />
(„celtic harp“). Sofort lag über<br />
den stimmungsvollen Räumen<br />
des „Weingewölbes“ der Hauch<br />
eines einzigartigen Zaubers, den<br />
Katharina Müller ihrer stilvollen<br />
Harfe entlockte. Ihre wohlklingende,<br />
einfühlsame Sopranstimme<br />
mit großem Volumen<br />
verschmolz mit dem Klang der<br />
Harfe und erzeugte schon mit<br />
den erstgesungenen Liedern in<br />
gälischer Sprache ein Flair, das<br />
die Zuhörer aus dem Alltagsgeschehen<br />
riss und befreite. Die<br />
Märchen und Sagen, perfekt von<br />
Kerstin Doelle gelesen, ließen<br />
uns Einblick nehmen in eine –<br />
„scheinbar“ - längst vergangene<br />
Zeit und Welt, die für uns Menschen<br />
des 21. Jahrhunderts nur<br />
noch Utopie ist. Doch wenn<br />
man in sich hineinlauscht, findet<br />
man bei dem vorherrschenden<br />
Streben in die Zukunft plötzlich<br />
einen gedanklichen Weg zurück<br />
Kerstin Doelle, Katharina Müller<br />
– zurück in die Geschichte der<br />
Menschheit. In grauer Vorzeit<br />
lebten Völker, von denen wir<br />
wenig wissen; aber ein winziger<br />
Baustein des Lebens, ein Tropfen<br />
Blut, lebt in uns weiter.<br />
Im hohen Norden war die Heimat<br />
der Kelten, der Ureinwohner<br />
der „grünen Insel“ Irland.<br />
Lange Zeit blieben sie als ein<br />
Volk ohne schriftliche Aufzeichnungen<br />
in ihrem Kulturkreis<br />
leben, bis dann die Expansion<br />
begann und sie sich über ein riesiges<br />
Gebiet von Irland bis zum<br />
Schwarzen Meer ausdehnten.<br />
Sie waren und blieben trotz späterer<br />
Vermischung mit vielen<br />
anderen Völkern immer ihrer<br />
Kultur treu, sie lebten im totalen<br />
Einklang mit der Natur. Am<br />
reinsten verkörperten die Iren<br />
diese Kultur und verschmolzen<br />
mit ihr. Dieses starke Band war<br />
es, das sämtliche Sektionen<br />
europäischer Kunst bis zur Neuzeit<br />
durchwanderte und inspirierte.<br />
Ihre Ornamentik in<br />
verschlungenen, immer naturbetonten<br />
Ranken, Blüten und<br />
Blättern ist keltische Überlieferung<br />
und besticht in ihrer Vollkommenheit<br />
und Schönheit.<br />
Viele keltische – und somit auch<br />
irische Sagen und Märchen<br />
leben in z.T. abgewandelter<br />
Form noch immer mit uns, und<br />
viele christliche Ritualien, aber<br />
auch Aberglauben haben ihre<br />
Wurzeln in den Menschen, die<br />
ihre Kraft aus den Symbolen der<br />
Sonne und des Mondes entnahmen.<br />
Elfen und Feen waren für<br />
sie Realität, obwohl sie aus der<br />
Welt der Geister herrührten. Sie<br />
wurden verehrt oder man fürchtete<br />
sie, denn sie verfügten über<br />
die Macht. Die im Norden<br />
lebenden Bewohner der Inseln,<br />
des Meeres, der Luft und der<br />
Erde waren mit jener Geisterwelt<br />
verwoben zu einer schick-<br />
salhaften Einigkeit. Eine große<br />
Rolle spielte die „Anderswelt“,<br />
das dunkle Reich, das man vor<br />
dem Tod nicht ungestraft betreten<br />
darf. Zwar bleibt man dort<br />
jung, wenn man sich eine zeitlang<br />
darin aufhielt, aber nach der<br />
Rückkehr alterte man unverzüglich.<br />
Fischer waren es vor allem,<br />
die die mystischen, westlich gelegenen<br />
Inseln, wo die Anderswelt<br />
beheimatet ist, ansteuerten.<br />
Viele kehrten niemals zurück. –<br />
Die Druiden, jene Priester oder<br />
auch Magier, gaben ihr Wissen<br />
nur mündlich weiter, schriftliche<br />
Zeugnisse verhießen Unglück,<br />
das war ihre These.<br />
Die Barden als Dichter und<br />
Sänger überbrachten ihre Botschaften<br />
von Kriegen und Kriegern,<br />
von Königen und Prinzessinnen,<br />
aber auch von der Natur<br />
und von hellen und dunklen<br />
Mächten. Ihre Gesänge wanderten<br />
mit ihnen von Land zu<br />
Land. So finden wir keltischirische<br />
Kultur bald im gesamten<br />
Europa. Sie griff über von der<br />
Insel aufs Festland, ward stark in<br />
der Bretagne, im gesamten<br />
Frankenreich, im Innern unseres<br />
Kontinents bis zum fernen<br />
Kärnten, der Steiermark und den<br />
angrenzenden Ländern hinaus.<br />
Vor 2000 Jahren konnten die<br />
Römer den erkämpften Einzug<br />
verhindern und es ereignete sich<br />
eine große Zäsur. Religionsgeschichtlich<br />
gelang es den Eindringlingen,<br />
die Verschmelzung<br />
des Heidentums mit dem<br />
Christentum zu bewältigen. So<br />
leben in uns noch heute viele<br />
Bräuche und Begriffe aus ältester<br />
Zeit, mehr, als wir unbewusst<br />
benützen. Es wäre ein großes<br />
anderes Kapitel, darüber zu<br />
schreiben. –<br />
Wir kehren zurück in unser<br />
„Weingewölbe“. Ein weiter Weg<br />
ist es, von den Kelten über die<br />
Iren mit dem gemeinsamen<br />
geheimnisvollen Wissen, welches<br />
uns nicht mehr zugänglich<br />
ist, über die Jahrhunderte mit<br />
der Zeitenwende, dem Beginn<br />
der christlichen Religion, weiter<br />
zu wandern. Das Ambiente dieses<br />
Raumes, in dem wir sitzen,<br />
lässt uns das Mittelalter erahnen<br />
und führt unsere Gedanken zum<br />
benachbarten Zisterzienserkloster<br />
Altzella. Wir verweilen dort<br />
voller Respekt und Ehrfurcht,<br />
ein paar Minuten, bis uns die<br />
Elfen und Feen mit ihrem zeitlosen<br />
Vermächtnis von „Gut“<br />
und „Böse“, umhangen mit<br />
ihren lichten und dunklen<br />
Schleiern wieder in die rasende<br />
Zeitmaschine bringen und an<br />
dem heutigen Abend absetzen. –<br />
Wir haben den teils ruhigen,<br />
teils emotionalen Ton der Märchenerzählerin<br />
noch im Ohr und<br />
den innigen Klang einer jungen<br />
Stimme, die eins ist mit den<br />
sphärisch-sensiblen bis kraftvollen<br />
Tönen aus ihrer keltischen<br />
Harfe. Vielleicht spürt auch<br />
manch einer der Gäste die zärtliche<br />
Melodie des irischen Volksliedes<br />
„Letzte Rose“ in seinem<br />
Innern, die wie ein letzter<br />
Hauch eines feinsinnig-wohlgelungenen<br />
Abends verweht. –<br />
Nach dem Anflug einer kleinen<br />
Sentimentalität zurück zur Realität.<br />
Wir danken den beiden<br />
Künstlerinnen und dem Hausherrn,<br />
Herrn Komoll mit seinem<br />
kleinen Team. Den Zuletztgenannten<br />
ist es gelungen, eine<br />
hervorragende Harmonie von<br />
irischen Speisen und Getränken<br />
zu bieten.<br />
Den Künstlerinnen sei besonderer<br />
Dank für die Übermittlung<br />
von echt irischen Bräuchen,<br />
Musik und Kultur. Märchen<br />
und Volkslieder mit viel Können<br />
und Charme darzustellen, ist<br />
ihnen mit Bravour gelungen.<br />
Mit einem einschlägigen Zitat<br />
ziehen wir die Bilanz dieses<br />
außergewöhnlichen Abends mit<br />
dem Fazit:<br />
„Die drei Aufgaben der Sprache sind:<br />
Rezitation;<br />
Argumentieren;<br />
Geschichten erzählen.“<br />
Mit diesem jahrhundertealten<br />
Spruch verbinden wir die Hoffnung,<br />
dass Kerstin Doelle und<br />
Katharina Müller Nossen weiterhin<br />
mit ihren „Splendid-Programmen“<br />
die Hand reichen und<br />
zu uns kommen.<br />
Ingeborg Witt