orte der kunst - Fachbereich Philosophie und ...
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Kultinger 14<br />
Magazin des Instituts für Kultur- <strong>und</strong> Medienmanagement ikm Februar 2008<br />
<strong>orte</strong> <strong>der</strong> <strong>kunst</strong><br />
–––<br />
Die Berliner Kunsthalle <strong>und</strong> ihre Vorbil<strong>der</strong><br />
Ist <strong>der</strong> White Cube noch zeitgemäß?<br />
Laden, Kneipe, Wohnzimmer: Berliner Kulturräume<br />
Plus: Die neuen Projekte des IKM<br />
Institut für<br />
Kultur<br />
<strong>und</strong><br />
Medienmanagement
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10963 berlin<br />
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Titel: Serpentine Gallery Pavilion 2007 von Olafur Eliasson <strong>und</strong> Kjetil Thorsen, Foto: © 2007 John Offenbach Zeichnung: Tim Dinter, Gipsstrasse, aus Lästermaul & Wohlstandskind, 2000 Scheinschlag<br />
14 Editorial & Inhalt<br />
–––<br />
Liebe Leserinnen,<br />
lieber Leser des Kultinger,<br />
es war <strong>der</strong> Bürgersinn, <strong>der</strong> Berlin eine Debatte<br />
aufzwang, die über zehn Jahre lang verschleppt<br />
wurde: Wo ist unsere Kunsthalle? Wo <strong>der</strong> Ort,<br />
an dem die lebendige Kunstszene <strong>der</strong> Stadt <strong>und</strong><br />
gr<strong>und</strong>legende Tendenzen <strong>der</strong> Gegenwarts<strong>kunst</strong><br />
gezeigt werden? Und wie sollte eine solche Institution<br />
im 21. Jahrhun<strong>der</strong>t überhaupt beschaffen<br />
sein? Was muss sie leisten? Das Ziel <strong>der</strong><br />
Bewegung war nicht irgendein Hinterhof, son<strong>der</strong>n<br />
<strong>der</strong> prominenteste wie reizbarste Platz <strong>der</strong><br />
Republik. Mitten auf dem Schlossplatz wird<br />
nun in den Jahren 2008/2009 <strong>der</strong> White Cube<br />
Berlin des österreichischen Architekten Adolf<br />
Krischanitz sein Gastspiel geben. Eine temporäre<br />
Kunsthalle, die die Fragen nach einer festen<br />
Adresse gleich mit beantw<strong>orte</strong>n will. Dies alles<br />
ereignet sich auf einem Areal, das reserviert<br />
schien für die Rolle rückwärts ins 19. Jahrhun<strong>der</strong>t.<br />
Schloss hin, Humboldt-Forum her, was<br />
letztlich für die Zwischennutzung sprach, war<br />
eine zündende Idee: Kunst statt Rasen. Einfach<br />
so. Keiner hatte etwas dagegen. Glückte hier<br />
wie<strong>der</strong>, was in Berlin Tradition hat. Dass sich<br />
die Kunst nämlich die Räume sucht, die sie<br />
benötigt, um wirken zu können? Danach wollen<br />
wir in dieser Kultinger-Ausgabe fragen. Die<br />
Redaktion hat sich auf die Suche nach dem idealen<br />
Kunstort begeben, mit Künstlern, Architekten<br />
<strong>und</strong> Museumsmachern gesprochen, in<br />
an<strong>der</strong>e Städte geblickt <strong>und</strong> Selbstversuche<br />
gestartet. Uns interessierten beson<strong>der</strong>s frische<br />
Adressen. Und wie man tatsächlich von M<strong>und</strong>propaganda<br />
zu einer Lyrikst<strong>und</strong>e kommt,<br />
warum eine Galerie immer nur am 18. eines<br />
Monats öffnet <strong>und</strong> warum Bands im Wohnzimmer<br />
spielen, das erfahren Sie auf den kommenden<br />
Seiten. Wir berichten über Menschen <strong>und</strong><br />
Räume, über Sehnsuchts<strong>orte</strong> <strong>und</strong> Verheißun-<br />
gen, Möglichkeiten <strong>und</strong> Ressourcen. Die Illustrationen<br />
für diese Ausgabe überließ uns <strong>der</strong><br />
Zeichner Tim Dinter, <strong>der</strong> in seinen Arbeiten<br />
seit vielen Jahren Berliner Kunsträume <strong>und</strong><br />
ihren Wandel thematisiert hat. Wie Kunst zu<br />
den Menschen kommt, untersucht auch <strong>der</strong><br />
Düsseldorfer Fotograf Thomas Struth seit Jahren.<br />
Er überließ uns eine Arbeit aus seiner<br />
Prado-Serie. Wir danken beiden Künstlern sehr<br />
für ihre Mitarbeit.<br />
––– Ingolf Kern<br />
Sehnsuchtsort o<strong>der</strong> öde Meile? Tim Dinters Sicht auf die Gipsstraße in Mitte<br />
thema Welche <strong>orte</strong> braucht die <strong>kunst</strong>?<br />
4 Es rappelt in <strong>der</strong> Kiste ––– Die Berliner Kunsthalle <strong>und</strong> ihre Vorbil<strong>der</strong><br />
7 Der White Cube fällt ––– Interview mit den Architekten von Graft<br />
8 Wo ist die Kunst? ––– Auf <strong>der</strong> Suche nach dem beson<strong>der</strong>en Ort<br />
11 Rom, Paris, Volksbühne ––– Wo sich Prominente in Kunst verlieben<br />
ikm intern<br />
12 Denkraum Dahlem ––– Exzellenz hat einen Ort<br />
13 Das Publikum von morgen ––– Über das Zentrum für Audience Development<br />
14 IKM Absolventen ––– Ein Tag mit den Galeristen von Klemm's<br />
15 IKM Projekte ––– Von <strong>der</strong> Bernauer Straße bis Las Vegas<br />
15 Impressum
es rappelt in <strong>der</strong> kiste Thema<br />
–––<br />
Die weltweite Debatte um temporäre Museumsarchitektur hat<br />
Berlin erreicht. Auf dem Schlossplatz entsteht eine Kunsthalle auf Zeit, die sich<br />
schon jetzt mit außergewöhnlichen Erwartungen konfrontiert sieht<br />
Lei<strong>der</strong> kein Vorbild für Berlin: Der Serpentine<br />
Pavillon von Olafur Eliasson <strong>und</strong> Kjetil Thorsen<br />
Fünf Jugendliche liegen im Kreis, synchronisiert<br />
bewegen sie Arme <strong>und</strong> Beine, ein menschliches<br />
Prisma. Daneben sitzt ein älteres Paar auf<br />
dem Boden, einen Picknickkorb in <strong>der</strong> Mitte,<br />
die Sonne bricht durch den Dunst. Unter dem<br />
Beton liegt <strong>der</strong> Strand, denn wir sind nicht am<br />
Meer, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> gigantischen Turbine Hall<br />
<strong>der</strong> Tate Mo<strong>der</strong>n in London. Vor drei Jahren<br />
war das so, als Olafur Eliasson in seinem Weather<br />
Project eine gigantische „Sonne“ an die Stirnseite<br />
hängte, die Decke verspiegelt war <strong>und</strong> die auf<br />
dem Boden liegenden Besucher sich selbst<br />
beobachteten.<br />
Eliassons Installationen lösen bewusst die Grenzen<br />
von Architektur <strong>und</strong> Kunst auf. Aber auch<br />
die äußerliche <strong>und</strong> innere Gestaltung rein architektonischer<br />
Präsentationsformen zeitgenössischer<br />
Kunst stehen spätestens seit Frank O.<br />
Gehrys Entwurf für das Guggenheim-Museum<br />
in Bilbao wie<strong>der</strong> zur Diskussion. Der schlichte<br />
weiße Raum, <strong>der</strong> White Cube, wird nicht mehr<br />
als einzig mögliche <strong>und</strong> gar heilige Form <strong>der</strong><br />
Inszenierung angesehen. Zum Beispiel London.<br />
Dort experimentiert etwa die Serpentine Gallery<br />
im Hyde Park mit neuen, temporären Formen.<br />
Jedes Jahr entsteht ein neuer Pavillon für Kunst.<br />
Rem Koolhaas’ Bau von 2006 wirkte wie ein<br />
Hybrid aus gelandetem Luftschiff <strong>und</strong> einer<br />
Glühbirne. Eliasson baute in diesem Jahr einen<br />
Kreisel aus Holz <strong>und</strong> Glas, durch den die Besucher<br />
auf einer Spiralrampe vom Boden bis zum<br />
Dach geleitet wurden. Auch die Megaschauen<br />
2007, Documenta 12, Biennale <strong>und</strong> Skulpturprojekte<br />
Münster suchten nach flüchtiger Architektur<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Vielfalt <strong>der</strong> Inszenierung. Dabei<br />
geht es nicht darum, die Besucher zu infantilisieren<br />
o<strong>der</strong> Kunst zum reinen Unterhaltungserlebnis<br />
zu degradieren. Vielmehr wird versucht, den<br />
Foto: Luke Hayes © Olafur Eliasson 2007<br />
Foto: Bespielungsvorschlag G. Rockenschaub (Panoramaview)<br />
ehrfurchtgebietenden Museumsraum aufzubrechen,<br />
das Spannungsfeld aus Betrachter, Kunst<br />
<strong>und</strong> Raum neu zu bestimmen. Denn die immer<br />
gleiche museale Präsentation birgt die Gefahr,<br />
eine ebenso standardisierte Art des Sehens, vielleicht<br />
sogar des Denkens, zu beför<strong>der</strong>n.<br />
In ganz konkreter Form erreicht diese Debatte<br />
nun auch Berlin. Mitten im Herzen <strong>der</strong> zu<br />
neuem Glanz erstrahlten preußischen Kulturlandschaft,<br />
auf dem Schlossplatz, wird ab Spätsommer<br />
2008 ein zeitgenössisches Kontrastprogramm<br />
zur gegenüberliegenden Museumsinsel<br />
geboten. Bis zum avisierten Baubeginn des<br />
Humboldt-Forums im Jahr 2010 präsentiert<br />
sich dort Berlins international tonangebende,<br />
zeitgenössische Kunstszene in einer temporären<br />
Kunsthalle, dem White Cube Berlin.<br />
Vorausgegangen waren lange Auseinan<strong>der</strong>set-<br />
zungen über die Zwischennutzung des Platzes<br />
<strong>und</strong> ein Wettbewerb zwischen dem Konzept des<br />
Kunstmagazins Monopol <strong>und</strong> dem des White<br />
Cube Berlin. Der Senat entschied sich für das<br />
letztere Projekt. Die Erwartungen sind hoch, Ort<br />
<strong>und</strong> Zeitpunkt eine Verpflichtung, Chance <strong>und</strong><br />
Risiko zugleich. Unweigerlich wird <strong>der</strong> White<br />
Cube Berlin nicht nur die internationale Kunstszene<br />
interessieren, son<strong>der</strong>n auch kulturpolitisch<br />
<strong>und</strong> städtebaulich von Bedeutung sein.<br />
schachtel<br />
Die aktuelle Berliner Kunst hat, sofern Erfolg als<br />
Indikator gelten darf, ihre Qualität <strong>und</strong> Innovationskraft<br />
international bereits unter Beweis<br />
gestellt. Eine großangelegte Präsentation auf<br />
lokalem Boden gab es jedoch noch nicht <strong>und</strong> sie<br />
darf <strong>der</strong> Kunst in nichts nachstehen. Die äußere<br />
Gestaltung des White Cube Berlin ist dabei nicht<br />
zwingend hilfreich. Nach Plänen <strong>der</strong> Architekten<br />
Krischanitz & Frank soll auf dem Schlossplatz<br />
eine weiße Box von 55 mal 20 Metern entstehen.<br />
„Die reine Schachtel“ sehen die Wiener<br />
als „Symbolform <strong>der</strong> durch Kunst bestimmten<br />
Welt.“ Sicherlich war bei <strong>der</strong> Wahl <strong>der</strong> Form<br />
nicht zuletzt die Realisierbarkeit ausschlaggebend,<br />
Auf- <strong>und</strong> Abbaukosten des White Cube<br />
Berlin werden nur etwa 850.000 Euro betragen.<br />
Monopols Konkurrenzprojekt, die Wolke, entworfen<br />
vom Berliner Büro Graft, hätte mehr als<br />
das zehnfache gekostet, wäre aber gleichwohl<br />
größer gewesen. Wie die internationale Debatte<br />
zeigt, ist eine rechteckige Kiste eben nicht die<br />
einzig mögliche Symbolform <strong>der</strong> Kunst. Immerhin<br />
soll die Außenhaut des White Cube Berlin<br />
von Künstlern bespielt werden. Die Schlichtheit<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> dienende Charakter des Krischanitz-<br />
Baus dürfen als Garant dafür gelten, dass <strong>der</strong><br />
künstlerische Inhalt nicht in den Hintergr<strong>und</strong><br />
gedrängt wird. Ein Argument, das Künstler<br />
Architekten immer wie<strong>der</strong> vorwerfen.<br />
relaisstation<br />
Die architektonische Reduktion des temporären<br />
Baus bedeutet gleichzeitig auch eine höhere Aufmerksamkeit<br />
für die kuratorische Gestaltung.<br />
Der White Cube Berlin versteht sich als Relaisstation<br />
zwischen Berliner Ateliers <strong>und</strong> Öffentlichkeit.<br />
Initiiert wurde er von <strong>der</strong> Künstlerin Coco<br />
Kühn <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kulturmanagerin Constanze<br />
Kleiner. Die Stiftung Zukunft Berlin des Unternehmers<br />
<strong>und</strong> Kunstsammlers Dieter Rosenkranz<br />
wird ihn finanzieren. 500.000 Euro sind<br />
für die Bespielung vorgesehen <strong>und</strong> weitgehend<br />
gesichert. Über die künstlerische <strong>und</strong> kuratorische<br />
Qualität soll ein künstlerischer Beirat<br />
wachen. Ihm gehören Katja Blomberg (Haus<br />
am Waldsee, Berlin), Julian Heynen (Kunstsammlung<br />
NRW), Dirk Luckow (Kunsthalle<br />
Kiel) <strong>und</strong> Gerald Matt (Kunsthalle Wien) an.<br />
Einzelschauen etablierter, in <strong>der</strong> Stadt leben<strong>der</strong><br />
Künstler werden den inhaltlichen Kern bilden.<br />
Gruppenschauen <strong>und</strong> Überraschungen sind<br />
möglich, doch Kunst <strong>und</strong> Künstler, nicht Kuratoren<br />
sollen im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> stehen.<br />
Die Auswahl dürfte den Kuratoren gar nicht so<br />
leichtfallen. Berlin gilt seit einigen Jahren international<br />
als tonangeben<strong>der</strong> Produktionsstandort.<br />
Ein gutes Drittel aller auf den drei Mammutschauen<br />
des Kunstsommers 2007 vertretenen<br />
Künstler leben <strong>und</strong> arbeiten hier. Auch die Galerienszene<br />
besitzt inzwischen längst Weltgeltung.<br />
Über 400 Galerien bedeuten Platz eins im europäischen<br />
Ranking. Diese Fakten, dessen sind sich<br />
die Macher bewusst, setzen den White Cube Berlin<br />
auch kulturpolitisch unter Erfolgsdruck.<br />
Denn, wie hinlänglich bekannt ist, gelang es <strong>der</strong><br />
Berliner Politik <strong>und</strong> vor allem den Staatlichen<br />
Museen unter ihrem scheidenden Generaldirektor<br />
Peter-Klaus Schuster jahrelang, die zeitgenössische<br />
Kunst weitgehend zu ignorieren. Große<br />
Erfolge feierten Berliner Künstler wie Thomas<br />
Demand, Tacita Dean o<strong>der</strong> eben Olafur Eliasson<br />
bislang in San Francisco, Basel o<strong>der</strong> New York.<br />
„Es fehlt schmerzlich eine Kunsthalle.“, räumt<br />
Kulturstaatssekretär André Schmitz ein. Ihre<br />
Einrichtung sei ein erklärtes Ziel des Senats<br />
noch in dieser Legislaturperiode; nicht nur, um<br />
Berlins Szene endlich eine adäquate Präsentationsplattform<br />
zu bieten, son<strong>der</strong>n auch, um eine<br />
Lücke in <strong>der</strong> Berliner Kulturlandschaft zu<br />
schließen. Wo sonst bietet sich die Chance,<br />
Zur Silhouette von Berlin-Mitte...
An <strong>der</strong> Grenze zwischen Kunst <strong>und</strong> Architektur:<br />
Olafur Eliassons Weather Project,<br />
das er vor fünf Jahren in <strong>der</strong> Turbine Hall <strong>der</strong><br />
Tate Mo<strong>der</strong>n London einrichtete<br />
...gesellt sich <strong>der</strong> White Cube. Ab September soll<br />
hier die Berliner Kunstszene zu Hause sein<br />
morgens Nofretete zu besuchen, mittags Kirchner<br />
zu betrachten <strong>und</strong> abends die aktuellsten<br />
zeitgenössischen Tendenzen zu besichtigen?<br />
Temporär sieht Coco Kühn den White Cube<br />
Berlin als „ideale Ergänzung zur Museumsinsel,<br />
da die Besucher aus <strong>der</strong> Vergangenheit in die<br />
Gegenwart <strong>der</strong> Kunst kommen können“. Nach<br />
2010 werden es die Besucher wohl etwas weiter<br />
haben, <strong>der</strong> Blumengroßmarkt am südlichen<br />
Ende <strong>der</strong> Friedrichstraße <strong>und</strong> das Gelände hinter<br />
dem Hamburger Bahnhof sind als permanenter<br />
Standort im Gespräch.<br />
leuchtturm<br />
Die große Signalwirkung des Projekts hängt<br />
wesentlich mit dem Standort zusammen. Der<br />
Schlossplatz in <strong>der</strong> Mitte Berlins ist historisch,<br />
politisch <strong>und</strong> städtebaulich aufgeladen wie sonst<br />
kein Platz <strong>der</strong> Republik. Die kritische Rekonstruktion<br />
des Hohenzollernschlosses ist beschlossen,<br />
<strong>der</strong> White Cube Berlin hat die Chance, das<br />
Areal zu emotionalisieren, auf seine künftige<br />
Nutzung als Ort des Geistes, <strong>der</strong> Kultur <strong>und</strong><br />
des Wissens einzustimmen.<br />
Mit ihrer Reichstagsverhüllung zeigten Christo<br />
<strong>und</strong> Jeanne-Claude 1995 beson<strong>der</strong>s eindrucksvoll,<br />
wie Kunst einen Ort verän<strong>der</strong>n kann. Ihr<br />
Erfolg war kein Zufall. Für den Unternehmer<br />
Roland Specker, <strong>der</strong> entscheidend an Genehmigung<br />
<strong>und</strong> Realisierung beteiligt war, stand das<br />
Ziel von Anfang an fest. Mit Hilfe <strong>der</strong> Kunst<br />
wollte er „dem lange vernachlässigten Gebäude<br />
wie<strong>der</strong> zur ihm gebührenden Beachtung verhelfen“.<br />
Das Projekt bewirkte noch mehr, es verankerte<br />
den Reichstag im Stadtraum <strong>und</strong> im kul-<br />
turellen Gedächtnis <strong>der</strong> Stadt. Ähnliches könnte<br />
jetzt dem Schlossplatz wie<strong>der</strong>fahren.<br />
Darüber hinaus soll <strong>der</strong> White Cube Berlin <strong>der</strong><br />
Stadt auch ganz praktisch dienen <strong>und</strong> Touristen<br />
locken. „Mit <strong>der</strong> temporären Kunsthalle ist es<br />
möglich, die Aufmerksamkeit des internationalen<br />
Publikums auf die Kunststadt Berlin zu lenken“,<br />
glaubt André Schmitz. Werner Tammen,<br />
Galerist <strong>und</strong> Vorsitzen<strong>der</strong> des Landesverbands<br />
Berliner Galerien, stimmt ihm zu <strong>und</strong> ist froh,<br />
dass die Politik die zeitgenössische Kunst endlich<br />
in ihrer Bedeutung erkannt hat. Schließlich<br />
seien „Kunst <strong>und</strong> Kultur die beste Braut, die die<br />
Stadt zu bieten hat“. Galerien <strong>und</strong> private Initiativen<br />
wie das Art Forum Berlin beför<strong>der</strong>n das<br />
Image <strong>der</strong> deutschen Hauptstadt als Boomtown<br />
<strong>der</strong> zeitgenössischen Kunst schon länger. Die<br />
Initiative Berlin im Licht <strong>der</strong> Kunst möchte dies<br />
nun weiter festigen. Unter dem Dach <strong>der</strong> Stiftung<br />
Zukunft Berlin haben sich die Berlin Tourismus<br />
Marketing GmbH, Berliner Galerien<br />
sowie öffentliche <strong>und</strong> private Berliner Kunsteinrichtungen<br />
versammelt. Sie planen konzertierte<br />
Programme, gemeinsame Aktionen <strong>und</strong> eine<br />
mehrjährige internationale Kulturmarketingkampagne.<br />
Der White Cube Berlin soll dabei als<br />
„Leuchtturm“ dienen.<br />
Noch vor dem ersten Spatenstich ist Berlins temporäre<br />
Kunsthalle also großen Erwartungen ausgesetzt.<br />
Kühn ist überzeugt, dass die Berliner<br />
Kunstszene stark genug ist, diese zu erfüllen. Ab<br />
September wissen wir mehr. Dann soll die erste<br />
Ausstellung eröffnet werden.<br />
––– Elias Sievernich<br />
Fotos: Bespielungsvorschlag G. Rockenschaub (Panoramaview); Jens Ziehe 2003 (© Olafur Eliasson, 2003)<br />
Fotos: Ricky Ridecos; Graft Gesellschaft von Architekten mbH, Art Cloud<br />
Thema <strong>der</strong> White cube fällt<br />
–––<br />
Kultinger sprach mit den Architekten Wolfram Putz<br />
<strong>und</strong> Thomas Willemeit von Graft über die Frage,<br />
warum Kunst ein Teil von Architektur ist – <strong>und</strong> umgekehrt<br />
Mit einem an eine Wolke erinnernden Entwurf<br />
bestimmten die Berliner Architekten von Graft<br />
die Kampagne um eine temporäre Kunsthalle<br />
für den Schlossplatz, die vom Kunstmagazin<br />
Monopol im Sommer 2006 gestartet worden<br />
war. Sie schenkten Berlin einen Traum, <strong>der</strong> nun<br />
lei<strong>der</strong> nicht wahr wird. Die drei Gründungspartner<br />
Lars Krückeberg, Wolfram Putz <strong>und</strong><br />
Thomas Willemeit haben neben ihrer Berliner<br />
Zentrale noch Büros in Los Angeles <strong>und</strong> Peking.<br />
In den Vereinigten Staaten realisierten sie verschiedene<br />
Projekte. Aktuell ist Graft unter<br />
an<strong>der</strong>em am Wie<strong>der</strong>aufbau von New Orleans<br />
beteiligt, wohin Hollywoodstar Brad Pitt internationale<br />
Architekten eingeladen hat. Im südkoreanischen<br />
Seoul entsteht <strong>der</strong>zeit eine Kunsthalle<br />
nach ihren Plänen.<br />
Der ‚White Cube‘, <strong>der</strong> reduziert schmucklose<br />
Ausstellungsraum, gilt immer noch als<br />
Dogma mo<strong>der</strong>ner Kunstpräsentation. Ist er<br />
noch zeitgemäß?<br />
Putz: Ein weißer Raum kann auch ein starker<br />
Kontext sein. Für manche Kunst ist das sogar<br />
gut. Es wird auch viel Kunst für diese Art Ausstellungsraum<br />
gemacht <strong>und</strong> konzipiert, aber er<br />
passt nicht immer. Der White Cube ist eben<br />
auch eine Etappe in unserer Wahrnehmungsentwicklung,<br />
eine Festung des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts, die<br />
jetzt so langsam geschliffen wird.<br />
Also muss man neue Formen entwickeln?<br />
Putz: Nicht per se. Es kommt immer auf den<br />
Kontext an. Die Uffizien wurden als Amtsgebäude<br />
gebaut <strong>und</strong> funktionieren heute sehr gut<br />
als Museum. Wir wollen einfach einen toleranten<br />
Umgang mit neuen Ideen, denn nur dadurch<br />
entwickeln wir uns weiter. Der Tod <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne<br />
mit ihren absoluten Wahrheiten muss auch<br />
in <strong>der</strong> Architektur akzeptiert werden. Da ist man<br />
in Deutschland nicht immer beson<strong>der</strong>s wagemutig.<br />
Korea o<strong>der</strong> China zum Beispiel befinden<br />
sich sozusagen in einer pubertären Phase, da<br />
brüstet man sich, das radikalste Gebäude zu<br />
bauen. Beides braucht es.<br />
Gibt es denn allgemeine Kriterien für einen<br />
Ort, in dem Kunst gut zur Geltung kommt?<br />
Putz: Nein, wir sind konditioniert, uns Kunst<br />
in möglichst reduzierten Räumen anzuschauen.<br />
Hätten wir in <strong>der</strong> Renaissance gelebt, wären wir<br />
es gewohnt, Gemälde auf vollgehängten Wänden<br />
zu betrachten. Außerdem konnte Kunst<br />
schon immer Teil von Architektur sein <strong>und</strong><br />
umgekehrt.<br />
Willemeit: Architektur kann sich ja selbst<br />
auch skulptural verstehen. Zum Teil unterlagen<br />
Bildhauerei <strong>und</strong> Architektur denselben Prinzipien.<br />
Aber diese Konvergenz ist uns abhanden<br />
gekommen. Wir haben uns an eine Kunstdarstellung<br />
gewöhnt, die eine extreme Distanz zwischen<br />
Betrachter <strong>und</strong> Objekt herstellt. Dabei<br />
zelebriert Architektur oft den unfassbaren Charakter<br />
von Kunst <strong>und</strong> die Unsicherheit, die sie<br />
auslöst. Ähnlich, wie sakrale Architektur das<br />
Mystische inszeniert. Ich glaube, das hat auch<br />
damit zu tun, dass man sich vor <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
mit Kunst fürchtet.<br />
Besteht nicht auch die Gefahr, dass Architektur<br />
die Kunst überwältigt?<br />
Willemeit: Das kann passieren, aber ein starker<br />
Kontext kann auch herausfor<strong>der</strong>n. Das Verhältnis<br />
von Kunst <strong>und</strong> Architektur ist so reich,<br />
dass eine Verengung auf nur eine Form <strong>der</strong> Präsentation<br />
unangemessen ist. Heute gibt es dafür<br />
außerdem zu viele Künstler, die mit neuen<br />
Ansätzen <strong>und</strong> Ausdruckformen arbeiten.<br />
Also, Mut zu Experimenten?<br />
Willemeit: Ja. Dabei geht es nicht nur um<br />
die Neugier des Architekten, son<strong>der</strong>n zum Beispiel<br />
auch darum, ein größeres Publikum anzuziehen.<br />
In viele Museen, beson<strong>der</strong>s für zeitgenössische<br />
Kunst, gelangen nur Insi<strong>der</strong>. Anstatt<br />
eine Situation zu betonieren, die Menschen ausgrenzt,<br />
kann Architektur Barrieren entfernen.<br />
Putz: Am Ende geht es auch um die Erweiterung<br />
des Kunstbegriffs <strong>und</strong> von künstlerischen<br />
Ausdrucksformen. Ein Thema <strong>der</strong> Kunst im<br />
20. Jahrhun<strong>der</strong>t ist ja das Erlebnis von Kunst.<br />
Lebt das nur von <strong>der</strong> Ewigkeit <strong>der</strong> Leinwand<br />
im geheiligten Saal? Wenn Architektur <strong>und</strong><br />
Kunst interagieren, werden wir auch neue<br />
Arten von Kunst sehen.<br />
––– Das Interview führte Elias Sievernich<br />
Oben: Eigentlich ein Trio – Lars Krückeberg,<br />
Wolfram Putz <strong>und</strong> Thomas Willemeit sind Graft<br />
Unten: Leicht <strong>und</strong> schwebend<br />
sollte die Wolke für den Schlossplatz sein
Wo ist die <strong>kunst</strong>? Thema<br />
…ist ein je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> zum ersten Mal in eine fremde<br />
Stadt kommt. Der Kultinger-Redaktion erging<br />
es da nicht an<strong>der</strong>s. Berlin hat viele solcher<br />
Orte. Einschlägige aus dem Reiseführer, beson<strong>der</strong>e<br />
für Flaneure, absurde für Freaks <strong>und</strong> auch<br />
jede Menge No-Gos. Museumsinsel, Staatsoper<br />
Unter den Linden <strong>und</strong> bald auch die temporäre<br />
Kunsthalle auf dem Schlossplatz – sie alle stehen<br />
stellvertretend für das kulturelle Gesamtbild<br />
Berlins. Und sind es doch nicht allein. Es sind<br />
gerade auch die vielen kleinen <strong>und</strong> kleinsten<br />
Kulturinstitutionen, die durch originelle Ideen<br />
<strong>und</strong> ausgefallene Ansätze, sympathische Eigenarten<br />
<strong>und</strong> faszinierende Son<strong>der</strong>barkeiten Berlins<br />
Ruf als Stadt <strong>der</strong> kulturellen Möglichkeiten prägen.<br />
Manche gelangen zu Weltgeltung, an<strong>der</strong>e<br />
überleben kaum ein paar Monate. Einige werden<br />
wichtig, an<strong>der</strong>e gehen im Rausch des Größenwahns<br />
unter. Was ist eigentlich so faszinierend<br />
daran, in Berlin einen Kunstort zu etablieren,<br />
<strong>und</strong> wie gelingt es, ein Publikum zu erreichen,<br />
das von den Angeboten förmlich erschlagen<br />
wird. Wann steigt ein Kiez zur Szene auf?<br />
–––<br />
Auf <strong>der</strong> Suche nach dem beson<strong>der</strong>en Ort…<br />
Und so brechen wir auf <strong>und</strong> ziehen los, ausgestattet<br />
mit Stift <strong>und</strong> Papier <strong>und</strong> einer großen<br />
Portion Enthusiasmus, in den entlegensten<br />
Winkeln <strong>der</strong> Stadt die versteckten Ecken <strong>und</strong><br />
szenigen Treffpunkte des kulturellen Lebens<br />
aufzuspüren. So laufen wir an vermeintlich<br />
wichtigen Türen vorbei o<strong>der</strong> stehen vor verschlossenen,<br />
finden uns inmitten verwirren<strong>der</strong><br />
Veranstaltungen wie<strong>der</strong> – mit zu viel Off <strong>und</strong><br />
viel zu wenig Kunst. Unser Ziel dennoch nie<br />
aus den Augen verlierend, trotten wir müde<br />
nach Hause, um am nächsten Tag wie<strong>der</strong> tapfer<br />
an Absperrungen vorbeizuklettern <strong>und</strong> uns<br />
Livestreamübertragungen aus Altenheimen als<br />
Kunst verkaufen zu lassen.<br />
Es ist illusorisch, Berlin an einem Tag zu<br />
erobern. Deshalb haben wir uns Zeit genommen,<br />
sehr genau hingesehen <strong>und</strong> heftig gestritten.<br />
Am Ende haben wir beson<strong>der</strong>e Orte gef<strong>und</strong>en.<br />
Wir haben Orte entdeckt, an denen sich<br />
die unterschiedlichsten Menschen begegnen<br />
<strong>und</strong> die ungewöhnlichsten Geschichten ereignen.<br />
Orte, die Kunst in verblüffende Zusammenhänge<br />
stellen o<strong>der</strong> einfach nur Unerwartetes,<br />
Überraschendes bieten. Orte, die es so nur<br />
in Berlin geben kann, wie wir finden.<br />
Von diesen beson<strong>der</strong>en Orten erzählen wir, <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> flanierende Zeichner Tim Dinter hat uns<br />
dabei begleitet.<br />
––– Die Kultinger-Redaktion<br />
Zeichnung: Tim Dinter, Rosaluxemburg, Illustrative 2006<br />
musik<br />
blind date im Wohnzimmer<br />
Die Adresse erfährt man im Internet, klingelt<br />
dann bei wildfremden Leuten <strong>und</strong> nimmt auf<br />
einem <strong>der</strong> 35 Klappstühle Platz. Willkommen<br />
bei Live in the Living – dem Wohnzimmerkonzert!<br />
Lärmen<strong>der</strong> Pop in überfüllten Sälen, das<br />
war gestern. Hier gibt das Wohnzimmer <strong>der</strong><br />
akustischen Musik den richtigen Rahmen. Hautnah<br />
erlebt das Publikum aufstrebende Talente<br />
<strong>der</strong> Popmusik, aber auch bekannte Künstler.<br />
Alles ohne Bühne, Scheinwerfer <strong>und</strong> Mikrophone.<br />
Drei verschiedene Künstler spielen zweimal<br />
eine Viertelst<strong>und</strong>e lang. So mancher Blick<br />
schweift beim Hören ins Bücherregal o<strong>der</strong> zur<br />
Tonfigurensammlung auf <strong>der</strong> Fensterbank. Da<br />
Live in the Living immer an einem an<strong>der</strong>en Ort<br />
stattfindet, wird je<strong>der</strong> Besuch zum Blind-Date.<br />
Nur eine Konstante gibt es: die charmante<br />
Organisatorin Elena Brückner. ––– kh<br />
LIVE In THE LIVInG<br />
Infos <strong>und</strong> Anmeldung unter<br />
www.liveintheliving.de<br />
theater<br />
deutschlands coolste soaP<br />
Pünktlich zur Primetime um 20.15 Uhr beginnt<br />
die stets ausverkaufte Vorstellung <strong>der</strong> einzigen<br />
Theatersoap Deutschlands. Gutes Wedding,<br />
schlechtes Wedding vereint alle verrückten wie<br />
charmanten Charaktere, die Berlin – insbeson<strong>der</strong>e<br />
Wedding – so einzigartig machen, auf einer<br />
Bühne. Im Drei-Wochen-Rhythmus erscheint<br />
eine neue Folge. Immer geht es um den vokuhilatragenden<br />
Postboten Kalle, den Dönertaxifahrer<br />
Murat, seine sächselnde Gemahlin Frau<br />
Schinkel, die gemeinsam mit Bürgermeisterin<br />
Eische im Arbeitsamt für Ordnung sorgt, <strong>und</strong><br />
an<strong>der</strong>e Helden des Weddinger Alltags. Die<br />
gekonnte Satire auf die Berliner Kiezklischees<br />
begeistert alle im bunt gemischten Publikum.<br />
Neben seinem ungewöhnlichen Serienformat<br />
zeichnet GWSW auch die Nähe zu seinem Publikum<br />
aus: Gäste werden persönlich begrüßt<br />
(fast alle beim Namen), Neulinge erhalten ein<br />
Willkommensgetränk <strong>und</strong> auch für den Letzten<br />
ohne Karte findet Schauspieler Oliver Tautorat<br />
einen Platz im vollen Saal. Dieses Theater ist<br />
Kult – nicht nur in Wedding! ––– kh<br />
DAS PRIME TIME THEATER<br />
Wedding, Müllerstraße 163 b<br />
Freitag bis Dienstag um 20.15 Uhr<br />
www.primetimetheater.de<br />
Literatur<br />
Wellenreiter des alltags<br />
Hier wird gelesen, gehört, getanzt. Die Surfpoeten<br />
nehmen mit ihrer Mischung aus Party <strong>und</strong><br />
Literatur einen beson<strong>der</strong>en Platz unter den Lesebühnen<br />
ein. Auf jede Geschichte folgt ein Stück<br />
von DJ Lt. Surf, das Publikum tanzt o<strong>der</strong> wiegt<br />
sich vergnügt im Takt <strong>der</strong> Musik. Sonst drohen<br />
die Autoren auch schon mal mit dem Abbruch<br />
<strong>der</strong> Veranstaltung. Zwiegespräche mit Gott,<br />
Abgründe eines One-Night-Stands, Anekdoten<br />
über die große Liebe o<strong>der</strong> Käptn‘ Ahabs spannende<br />
Abenteuer. Die Surfpoeten lieben das gesprochene<br />
Wort, möchten aber nicht auf die<br />
ausgelassene Atmosphäre des Nachtlebens verzichten.<br />
Warum also nur Surf o<strong>der</strong> nur Literatur,<br />
wenn man beides haben kann? So heißt es bei<br />
ihnen: „Libertär <strong>und</strong> kämpferisch, lustig <strong>und</strong><br />
traurig, für jeden ist etwas dabei <strong>und</strong> vielleicht<br />
zieht sich ja sogar jemand aus.“ ––– re<br />
SURFPOETEn<br />
Mitte, Große Hamburger Straße 17<br />
Jeden Mittwoch ab 21 Uhr<br />
www.surfpoeten.de
FiLm<br />
godard ist ein kirgise<br />
Großes Gedränge, sterile Räume <strong>und</strong> grelles<br />
Neonlicht? Blockbuster <strong>und</strong> solche, die es einmal<br />
werden sollten, lassen einen verzweifeln?<br />
Nicht hier. Film<strong>kunst</strong> ist mehr eine Bibliothek<br />
des Sehens, als ein Videoverleih. Wer nach dem<br />
beson<strong>der</strong>en Film sucht, findet sich in einem<br />
Wohnzimmercafé <strong>der</strong> fünfziger Jahre samt Stehlampen<br />
<strong>und</strong> Spots wie<strong>der</strong>. Bei einer Tasse Kaffee<br />
schlen<strong>der</strong>t man gemütlich durch die gut sortierte<br />
Auswahl an Arthouse−Filmen aus aller<br />
Welt, wälzt Filmliteratur <strong>und</strong> trifft in Ruhe<br />
seine Wahl. Geordnet nach Län<strong>der</strong>n, Regisseuren<br />
<strong>und</strong> Genres findet man Arthouse aus allen<br />
Dekaden des Kinos, von Jean Luc Godard bis<br />
zu Takashi Miike, von <strong>der</strong> Hartz-IV-Tragikomödie<br />
aus Kreuzberg bis zum Selbstfindungsprozess<br />
eines kirgisischen Adoptivkindes. Und<br />
wer nicht gern allein schaut, <strong>der</strong> kann im angeschlossenen<br />
Ladenkino, dem b-ware!FilmKlub,<br />
in behaglichen Sesseln neben freakigen Cineasten<br />
Platz nehmen. ––– re<br />
FILMKUnST<br />
Friedrichshain, Revaler Straße 8<br />
www.film<strong>kunst</strong>−berlin.de<br />
<strong>kunst</strong><br />
zahlen bitte!<br />
Wenn Julie August zur Vernissage in ihr Wohnzimmer<br />
bittet, kommen sie alle: Kunstkenner<br />
stehen neben Studenten, Nachbarn neben<br />
Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> dazwischen spielen kleine Kin<strong>der</strong><br />
Verstecken. Eine Familienfeier mit zeitgenössischer<br />
Kunst, oft begleitet von Lesungen o<strong>der</strong><br />
Konzerten. Ein 18 Meter langer Flur entwickelte<br />
sich vom Spaßprojekt zu einer angesagten<br />
Off-Galerie. Aus Julie August’ Faible für mo<strong>der</strong>ne<br />
Kunst <strong>und</strong> Zahlen entstand das Projekt 18m<br />
Galerie für Zahlenwerte. Die Lust am Zahlenspiel<br />
wie<strong>der</strong>holt sich in jedem Ausstellungstitel.<br />
Sechsmal im Jahr präsentiert sie Fotografien,<br />
Malerei <strong>und</strong> Skulpturen, die ihr gefallen <strong>und</strong><br />
mit denen sie zusammenlebt. „Manchmal reibe<br />
ich mich an diesem ständig wechselnden ‚Mitbewohner’,<br />
<strong>der</strong> liebevoll, aber auch ziemlich launisch<br />
sein kann.“ An<strong>der</strong>s als in einem White<br />
Cube muss sich Kunst im nicht neutralen<br />
Wohnzimmer behaupten. Das gelingt hier auf<br />
faszinierende Weise. ––– clc <strong>und</strong> ja<br />
18M GALERIE FüR ZAHLEnWERTE<br />
Schöneberg, Akazienstraße 30<br />
Jeden 18. des Monats ab 18 Uhr<br />
www.18m-galerie.de<br />
bühne<br />
<strong>der</strong> überlebende<br />
In Mitte, so sagt man, tummeln sich die neuesten<br />
<strong>und</strong> angesagtesten Läden <strong>der</strong> Stadt. Nicht<br />
ganz. Denn unter ihnen befindet sich auch ein<br />
kleines <strong>und</strong> alteingesessenes Kneipenatelier: <strong>der</strong><br />
Schokoladen. Die Anfänge des Projektes in einer<br />
ehemaligen Schokoladenfabrik datieren vom<br />
Sommer 1990. Damals wurde das Haus in <strong>der</strong><br />
Ackerstraße besetzt <strong>und</strong> zu einem Wohn- <strong>und</strong><br />
Kulturprojekt erklärt. Musik <strong>und</strong> Filme, Lesungen<br />
<strong>und</strong> Ausstellungen – junge Berliner Künstler<br />
<strong>und</strong> Musiker erfreuen sich <strong>der</strong> Kneipe als<br />
öffentlicher Bühne. Die Abende im Schokoladen<br />
versprechen so – auf den gefühlten 40 qm –<br />
stets ein gemütliches Beisammensein <strong>und</strong><br />
bewegtes Programm jenseits des hippen Mitte-<br />
Mainstreams. ––– kk<br />
SCHOKOLADEn E.V.<br />
Mitte, Ackerstraße 169<br />
www.schokoladen-mitte.de<br />
museum<br />
<strong>der</strong> geherzte stein<br />
Genaugenommen befindet sich das Museum<br />
eigentlich in einem ehemaligen Hauseingang in<br />
Schöneberg. Vor Jahren wurde das Gebäude in<br />
zwei Häuser unterteilt, <strong>und</strong> jedes bekam eine<br />
separate Pf<strong>orte</strong>, das Hauptportal wurde überflüssig.<br />
So trägt es jetzt die Hausnummer: 5/6. Das<br />
ist postalisch zwar nicht einwandfrei, aber es ist<br />
Programm. Das Museum <strong>der</strong> unerhörten Dinge<br />
besetzt einen Raum zwischen Realität <strong>und</strong> Fiktion.<br />
So erfahren wir über das Schicksal eines Steines,<br />
den <strong>der</strong> Schriftsteller Thomas Mann bei seinem<br />
Aufenthalt im Sommer 1925 am Strand<br />
von Ahlbeck auf Usedom fand. Er wurde zu seinem<br />
ständigen Begleiter <strong>und</strong> geliebten Talisman.<br />
„Liebe Gertrude,… seit ich einen Stein am<br />
Strand gef<strong>und</strong>en, ihn mitnahm <strong>und</strong> selbigen<br />
heute in meiner Hosentasche fand, ist mir wohler…“,<br />
heißt es in einem Brief an Gertrude Rauf.<br />
Manche <strong>der</strong> im Museum ausgestellten Exponate<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> ihnen zugr<strong>und</strong>e liegenden Geschichten<br />
sind sehr skurril, an<strong>der</strong>e äußerst unwahrscheinlich,<br />
<strong>und</strong> an<strong>der</strong>e wie<strong>der</strong>um einsichtig klar. Was<br />
sie eint ist die Art, wie die Phantasie die Dinge<br />
beflügelt, die das Museum <strong>der</strong> unerhörten Dinge<br />
so einzigartig macht. ––– re<br />
MUSEUM DER UnERHöRTEn DInGE<br />
Schöneberg, Crellestraße 5/6<br />
Mi bis Fr, 15 bis 19 Uhr<br />
www.museum<strong>der</strong>unerhoertendinge.de<br />
Zeichnung: Tim Dinter, Rosenthalerplatz, monogatari 2004 Foto: ©2008 Thomas Struth, Museo del Prado 7, Madrid 2005, Farbfotografie kaschiert auf Plexiglas, 177,5 x 218,6 cm<br />
Thema rom, Paris, Volksbühne<br />
–––<br />
Wo man zum ersten Mal Kunst erlebt hat, das vergisst man sein<br />
ganzes Leben nicht: Prominente erzählen, wann sie sich in sie verliebt haben<br />
thomas demand, künstLer<br />
Im Wohnzimmer von Jost Herbig,<br />
einem Sammler <strong>der</strong> späten sechziger Jahre.<br />
Ich sah dort Ruscha, Beuys, Buren <strong>und</strong><br />
an<strong>der</strong>e als 13jähriger. Ich war für Jahre<br />
jeden Tag dort, da sein Adoptivsohn mein<br />
bester Schulfre<strong>und</strong> war. Die Sammlung<br />
kam nach Herbigs Tod vor einigen Jahren<br />
bei Christie‘s unter den Hammer.<br />
–––<br />
coco kühn, künstLerin & mitorganisatorin<br />
des White Cube<br />
Im Atelier meines Großvaters.<br />
–––<br />
andré schmitz, berLiner<br />
kuLturstaatsekretär<br />
Als Neuberliner natürlich in die Volksbühne.<br />
Ich kam 1992 von Hildesheim in den<br />
„wilden Osten“ <strong>und</strong> erlebte dort fünf aufregende<br />
Jahre als Verwaltungsdirektor.<br />
–––<br />
thomas Willemeit,<br />
arChitekt graFt<br />
In Rom. Das ist ein Gesamt<strong>kunst</strong>werk.<br />
Ich war zehn, hatte Latein auf dem Gymnasium<br />
<strong>und</strong> es erschien mir absurd, aber dann<br />
war ich zum ersten Mal in Rom. Das<br />
hat mich umgehauen, diese Gleichzeitigkeit<br />
von gelebter Stadt, Alltag <strong>und</strong> unglaub-<br />
licher, materieller Präsenz <strong>der</strong> Geschichte.<br />
–––<br />
christian boros,<br />
unternehmer <strong>und</strong> sammLer<br />
Es passierte in den Düsseldorfer Messehallen.<br />
Dort fand 1984 Von hier aus – Zwei Monate<br />
neue deutsche Kunst statt, die erste von mir freiwillig<br />
besuchte Kunstausstellung. Eines <strong>der</strong><br />
wichtigsten Ereignisse des Kulturbetriebes <strong>der</strong><br />
1980er Jahre. Sie hat mein Leben verän<strong>der</strong>t.<br />
–––<br />
Prof. monika grütters,<br />
Cdu-b<strong>und</strong>estagsabgeordnete<br />
Das Rodin-Museum in Paris hat einen nachhaltigen<br />
Eindruck auf mich gemacht. Es ist<br />
ein Palais mit Park, in dem die Skulpturen eine<br />
11<br />
Der Prado ist für viele ein Erweckungserlebnis, Thomas Struth hat ihn fotografiert<br />
Wirkung entfalten, wie das in einem Neubau<br />
nicht möglich wäre. Im Inneren umfängt<br />
den Besucher die Stimmung des früher privat<br />
genutzten Hauses, das seine Bewohner<br />
immer noch atmet <strong>und</strong> außerdem wun<strong>der</strong>schöne<br />
Perspektiven auf den Park bietet.<br />
–––<br />
roland sPecker, Unternehmer<br />
Und OrganisatOr vOn ChristOs<br />
reiChstagsverhüllUng<br />
Ende <strong>der</strong> Siebziger gründete Peter Raue den<br />
Verein <strong>der</strong> Fre<strong>und</strong>e <strong>der</strong> Nationalgalerie.<br />
1982 kaufte <strong>der</strong> Verein für 1,2 Millionen<br />
US Dollar Barnett Newmans Who‘s Afraid of<br />
Red, Yellow and Blue IV. Damals gab<br />
es große Diskussionen, so viel Geld für ein<br />
Gemälde, das nur drei Farben hat. Ich<br />
fand das faszinierend, denn wenn die von<br />
mir sehr geschätzten Mitglie<strong>der</strong> des Vereins<br />
für den Erwerb eintraten, musste an dem<br />
Bild etwas dran sein. Also begann ich,<br />
mich mit Kunst wirklich auseinan<strong>der</strong>zusetzen.<br />
–––<br />
jonas burgert, künstLer<br />
Im Alter von zwölf Jahren betrat ich einen großen,<br />
menschenleeren Raum im Alten Museum<br />
in Berlin, in dessen Mitte eine Skulptur aus dem<br />
frühen Ägypten stand. Meiner Empfindung<br />
nach war <strong>der</strong> Raum bis in den letzten<br />
Winkel gefüllt: die Energie einer 5000 Jahre<br />
alten Kultur war immer noch präsent <strong>und</strong><br />
for<strong>der</strong>te mich heraus. Ich begriff, wie<br />
Kunst die Möglichkeit bietet, Zeitlosigkeit zu<br />
erreichen, indem ein Inhalt in eine neue<br />
formale Sprache transformiert wird. Es entsteht<br />
die Absurdität, einen Gedanken nicht zu<br />
denken, son<strong>der</strong>n zu empfinden. Nicht „durch“<br />
Form, son<strong>der</strong>n „in“ Form zu sprechen.
Das „alte“ Herzstück <strong>der</strong> Freien Universität:<br />
Der Henry-Ford-Bau<br />
neuer Schwung für den Geist:<br />
Sir norman Fosters Philologische Bibliothek<br />
Exzellenz braucht Räume. Sie braucht einen<br />
inspirierenden Standort, sie braucht Foren <strong>der</strong><br />
Begegnung <strong>und</strong> des Austauschs, sie braucht<br />
eine Architektur, einzelne Gebäude von symbolischer<br />
Kraft <strong>und</strong> Ausstrahlung. Ohne diesen<br />
räumlichen Auftritt kann so recht keine Exzellenz<br />
gedeihen, denn Ambiente <strong>und</strong> Artefakte,<br />
das akademische Quartier in seiner äußeren<br />
Gestalt geben Auskunft über den Geist, <strong>der</strong> im<br />
Inneren regiert.<br />
Dass die Freie Universität mit ihrem geographischen<br />
Ort, Dahlem also, über Jahrzehnte<br />
unverb<strong>und</strong>en lebte, ihren Campus ebenso vernachlässigte<br />
<strong>und</strong> desavouierte wie ihre Lehrstätten<br />
<strong>und</strong> architektonischen Schätze, war<br />
sichtbarer Ausdruck ihres Identitäts- <strong>und</strong><br />
Imageverlustes.<br />
Die „Renaissance“ <strong>der</strong> Freien Universität, ihr<br />
Aufstieg zur Exzellenz-Universität ist deshalb<br />
mit <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>entdeckung ihres Stand<strong>orte</strong>s <strong>und</strong><br />
des Campus, mit <strong>der</strong> Rückbesinnung auf ihre<br />
ästhetische Signatur verb<strong>und</strong>en: Freiheit <strong>und</strong><br />
Mo<strong>der</strong>nität. Beides sind bürgerliche Werte,<br />
beide sind fest im Gründungsauftrag <strong>der</strong> Freien<br />
Universität von 1948 verankert.<br />
Verdrängt wurde ein Prozess des unaufhaltsamen<br />
kulturellen Nie<strong>der</strong>gangs, dass die Freie<br />
intern IKm IKm intern<br />
––– –––<br />
Denkraum Dahlem: Exzellenz hat einen Ort.<br />
Die Freie Universität Berlin beginnt<br />
wie<strong>der</strong> sinnlich erfahrbar zu werden<br />
Universität die Inkarnation <strong>der</strong> bürgerlichen<br />
Demokratie <strong>und</strong> ihrer zukunftsweisenden<br />
Mo<strong>der</strong>ne war, ist <strong>und</strong> bleibt. Mit Dahlem, dem<br />
„Oxford im Grünen“, verfügt sie über den kongenialen<br />
Campus, <strong>der</strong> akademische Freiheit <strong>und</strong><br />
Großzügigkeit, kultivierte Lebensart mit „schöner“<br />
Natürlichkeit geradezu atmet. Ein Hauch<br />
von heiterer Gelassenheit, entspannter (Welt-)<br />
Offenheit, Kontemplation <strong>und</strong> Konzentration<br />
sind die Kennmarken dieses exzellenten Wissenschaftsorts.<br />
Es ist das unverwechselbare Fluidum,<br />
das Schöngeister <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e sensible<br />
Naturen zu verzaubern vermag.<br />
Dahlem ist traditionell eine eigene Welt, die<br />
we<strong>der</strong> vom Zeitgeist noch vom Maskenspiel<br />
<strong>der</strong> Stile <strong>und</strong> Diskurse abhängig erscheint,<br />
son<strong>der</strong>n im produktiven Sinn in sich ruht.<br />
Gerade noch zur rechten Zeit ist sich die Freie<br />
Universität dieser, ihrer eigenen Qualität<br />
bewusst geworden. Und sie hat in diesem<br />
Identitätsrückgewinnungsprozess ihr Erbe <strong>der</strong><br />
klassischen Nachkriegsmo<strong>der</strong>ne wie<strong>der</strong> in<br />
Besitz genommen.<br />
Das „alte“ Herzstück, <strong>der</strong> renovierte Henry-<br />
Ford-Bau, <strong>der</strong> in seiner einladenden Transparenz<br />
<strong>und</strong> seinem freiheitlichen Pathos „Demokratie<br />
als Bauherren“ (Adolf Arndt) geradezu<br />
verkörpert, ist ästhetischer Ausdruck dieses<br />
neuen Selbstbewusstseins. Die demokratische<br />
Konzeptarchitektur <strong>der</strong> Rostlaube aus den späten<br />
sechziger <strong>und</strong> frühen siebziger Jahren kann<br />
nach Jahrzehnten schlimmster Verwahrlosung<br />
dank Sir Norman Fosters sensibler Sanierung<br />
wahrscheinlich erst jetzt ihren Anspruch auf<br />
Kommunikation <strong>und</strong> Begegnung entfalten.<br />
Und sie hat mit Forsters geisteswissenschaftlicher<br />
Bibliothek den „Brain“ erhalten, <strong>der</strong> dem<br />
akademischen Ort nun endgültige ästhetische<br />
Exzellenz verleiht.<br />
Was noch fehlt <strong>und</strong> was noch erneuert werden<br />
muss, kann schrittweise wie<strong>der</strong>hergestellt o<strong>der</strong><br />
neu gebaut werden wie das zukünftige Kongress-<br />
<strong>und</strong> Hotelzentrum von Helmut Jahn. Tatsache<br />
ist aber schon jetzt: Die Freie Universität beginnt<br />
wie<strong>der</strong> sinnlich erfahrbar zu werden – als akademischer<br />
Ort von Rang, eingebettet in einen<br />
urbanen Kulturraum, über den so keine an<strong>der</strong>e<br />
Alma Mater auf <strong>der</strong> Welt verfügt.<br />
––– Klaus Siebenhaar<br />
Fotos: Reinhard Görner, Philipp von Recklinghausen<br />
Foto: Christian Brachwitz<br />
12 1<br />
Woher kommt das Publikum von morgen?<br />
Das Zentrum für Audience Development ist ein Forschungsinstitut,<br />
aber auch ein Dienstleister für mo<strong>der</strong>nes Kulturmarketing<br />
Kultur wird erst im Dialog mit seinen Publika<br />
lebendig <strong>und</strong> wirksam. Der mit staatlicher För<strong>der</strong>ung<br />
verb<strong>und</strong>ene Kultur- <strong>und</strong> Bildungsauftrag<br />
verlangt ein intensives Werben, kreative<br />
Vermittlungskonzepte, einen möglichst „barrierefreien“<br />
Zugang, soll es zu einer möglichst<br />
dauerhaften Beziehung zwischen Museen,<br />
Theatern o<strong>der</strong> Konzerthäusern <strong>und</strong> seinen<br />
Besuchern kommen. Dieser Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
müssen sich heute Kultureinrichtungen mit<br />
offensiven Konzepten stellen.<br />
Aus dieser Überzeugung wurde am Institut für<br />
Kultur- <strong>und</strong> Medienmanagement <strong>der</strong> Freien<br />
Universität Berlin das Zentrum für Audience<br />
Development (ZAD) begründet. Unter <strong>der</strong> Leitung<br />
von Prof. Dr. Klaus Siebenhaar <strong>und</strong> Dr.<br />
Thomas Schmidt-Ott werden Konzepte zur<br />
Publikumsforschung <strong>und</strong> Kulturmarktentwicklung,<br />
Modelle <strong>der</strong> Kulturvermittlung <strong>und</strong> Strategien<br />
<strong>der</strong> Nachfrageorientierung in Kulturinstitutionen<br />
untersucht. Die Beson<strong>der</strong>heit des ZAD<br />
liegt darin, dass es zum einen Forschungsinstitut<br />
ist, zugleich aber auch als Dienstleister auftritt.<br />
In <strong>der</strong> Forschung beschäftigt sich das ZAD beispielsweise<br />
mit empirischer Kulturmarkt- <strong>und</strong><br />
Besucherforschung. Beratend unterstützt das<br />
ZAD die Entwicklung spezifischer Kommunikations-<br />
<strong>und</strong> Kulturvermittlungsstrategien (zum<br />
Beispiel Mauerkonzept <strong>und</strong> Kunstmuseum<br />
Ahrenshoop, siehe Seite 15). Als eigeninitiiertes<br />
Projekt veranstaltet das ZAD in 2008 eine Kon-<br />
ferenzmesse unter dem Titel Audience Development<br />
o<strong>der</strong> Die Kunst, neues Publikum zu gewinnen<br />
<strong>und</strong> bietet dort erstmalig internationalen<br />
Fachvertretern <strong>und</strong> Praktikern eine geeignete<br />
Plattform für einen Gedankenaustausch. Dabei<br />
stellen Kulturinstitutionen aus dem deutschsprachigen<br />
Raum gelungene Beispiele zur Kulturvermittlung<br />
<strong>und</strong> institutionalisierten Publikumsorientierung<br />
vor.<br />
Für die Kulturverwaltung <strong>und</strong> die Berlin Tourismus<br />
Marketing GmbH (BTM) wurde ein Monitoringkonzept<br />
erarbeitet, das schrittweise zu<br />
einer kontinuierlichen <strong>und</strong> konzertierten Benutzerforschung<br />
staatlicher <strong>und</strong> privater Kultureinrichtungen<br />
führen wird.<br />
Das ZAD wird finanziell unterstützt von privaten<br />
För<strong>der</strong>ern, Stiftungsgel<strong>der</strong>n <strong>und</strong> aus <strong>der</strong><br />
Wirtschaft – dem Berliner Mäzenaten-Ehepaar<br />
Braun, <strong>der</strong> Vodafone Stiftung Deutschland <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> Deutschen Bank.<br />
Als Koordinatorin des ZAD fungiert Inga Friedrichs.<br />
Die in Wien ausgebildete Theaterwissenschaftlerin<br />
<strong>und</strong> Germanistin arbeitete zunächst<br />
drei Jahre als Regieassistentin am Theater in St.<br />
Gallen, bevor sie ihren Abschluss am IKM<br />
erwarb mit einer Arbeit zum Erfolgreichen<br />
Audience Development am Beispiel <strong>der</strong> Neuen<br />
Bühne Senftenberg <strong>und</strong> des Theaters Görlitz.<br />
––– Ruwen Egri<br />
Weitere Informationen: www.zad.ikm.fu-berlin.de<br />
Der Kunst, das Publikum <strong>der</strong> Zukunft zu<br />
gewinnen, widmet sich das ZAD
Und noch lange nicht Feierabend: Silvia Kaske<br />
<strong>und</strong> Sebastian Klemm in ihrer<br />
Galerie Klemm's in <strong>der</strong> Brunnenstraße 7<br />
absolventen IKm IKm Projekte<br />
–––<br />
Ein Tag mit den Galeristen Sebastian Klemm <strong>und</strong> Silvia Kaske<br />
Sebastian Klemm <strong>und</strong> Silvia Kaske sind zwei <strong>der</strong><br />
erfolgreichsten Absolventen des IKM mit ihrer<br />
Galerie Klemm’s in Berlin-Mitte. Kultinger hat<br />
ihnen einen Tag über die Schulter geschaut.<br />
10.03 uhr<br />
Etwas müde, mit einem kalten Kaffee im Pappbecher<br />
in <strong>der</strong> Hand, schließen Sebastian Klemm<br />
<strong>und</strong> Silvia Kaske die Tür zu ihrer Galerie auf.<br />
Der gestrige Tag steckt ihnen noch in den Knochen.<br />
Die temporäre Wand <strong>der</strong> vergangenen<br />
Ausstellung wurde eingerissen. Wenn man sich<br />
hier umsieht, ist es schwer vorstellbar, dass in<br />
fünf Tagen die nächste Vernissage folgen soll.<br />
Überall Schutt <strong>und</strong> Trägerreste. Galeriearbeit<br />
kann hart sein. Nun werden die schönen weißen<br />
Wände, die erst vor einem Monat gestrichen<br />
wurden, grau getüncht, <strong>und</strong> nach Ausstellungsende<br />
natürlich wie<strong>der</strong> weiß. Damit haben sie<br />
diesmal einen Maler betraut.<br />
11.07 uhr<br />
Die Fotografin Viktoria Binschtok, die mit vielschichtigen<br />
Stilleben bekannt wurde, kommt<br />
vorbei, um das Licht für ihre neue Ausstellung<br />
zu besprechen. Heute bräuchte je<strong>der</strong> <strong>der</strong> Klemm’s<br />
mal wie<strong>der</strong> acht Arme, Beine <strong>und</strong> Köpfe, um<br />
gleichzeitig die Einladungen zu verfassen <strong>und</strong> zu<br />
versenden, den Pressetext zu schreiben <strong>und</strong> auf<br />
die Website zu stellen, Kontakt mit ausgewählten<br />
Journalisten <strong>und</strong> Sammlern aufzunehmen<br />
<strong>und</strong> schließlich auch den Künstler <strong>und</strong> seine<br />
Arbeiten nicht aus den Augen zu verlieren.<br />
13.21 uhr<br />
Es geht ans Eingemachte: die Hängung. Das ist<br />
eine <strong>Philosophie</strong>, die sich über Tage hinziehen<br />
kann, selbst wenn es nur um acht Bil<strong>der</strong> geht.<br />
Aber dieser Prozess entwickelt seine ganz eigene<br />
Dynamik <strong>und</strong> ist erst dann beendet, wenn man<br />
in sich spürt: So stimmt es! Dafür braucht es<br />
Zeit. Und Geduld! Also Telefon abschalten, eine<br />
anstehende Messebewerbung ignorieren, den<br />
Alltag ausblenden. Soweit das möglich ist.<br />
16.17 uhr<br />
Wachablösung: Ein Schwung von Arbeiten<br />
zurückliegen<strong>der</strong> Ausstellungen ist eingetroffen<br />
<strong>und</strong> for<strong>der</strong>t seinen Platz im Atelierlager von<br />
bereits verkauften Werken, die jetzt schnell verschickt<br />
werden müssen. Dies logistisch zu koordinieren<br />
<strong>und</strong> abzufertigen, ist eine diffizile<br />
Sache. Je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> einmal einen Transport unter<br />
den schwierigen Zollbedingungen <strong>der</strong> Schweiz<br />
o<strong>der</strong> den Vereinigten Staaten auf den Weg<br />
gebracht hat, weiß was hier gemeint ist.<br />
17.32 uhr<br />
Die ersten Anfragen für Viktorias Binschtoks<br />
neue Arbeiten trudeln ein. Jetzt geht es darum,<br />
Informationen zu den Bil<strong>der</strong>n, Preisen <strong>und</strong><br />
Abmessungen zu verschicken. In den nächsten<br />
Tagen drängen sich viele Termine, persönliche<br />
Gesprächen, gefolgt – hoffentlich – von Verkäufen.<br />
Einige Sammler haben sich bereits angemeldet.<br />
Sie wollen schon zwei Tage vor Eröffnung<br />
in die Galerie kommen, um sich in aller Ruhe<br />
die fast fertige Ausstellung anzuschauen.<br />
Während <strong>der</strong> Umbaupause gibt es ansonsten keinen<br />
Publikumsverkehr, schon in <strong>der</strong> kommenden<br />
Woche wird sich das wie<strong>der</strong> än<strong>der</strong>n. Die<br />
Interaktion mit dem Publikum liegt Sebastian<br />
<strong>und</strong> Silvia beson<strong>der</strong>s am Herzen.<br />
19.30 uhr<br />
Die Galerie wird abgeschlossen. Ganz in <strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Nähe gibt es eine Vernissage, die sich die Klemm’s<br />
trotz eines intensiven Arbeitstags nicht entgehen<br />
lassen wollen!<br />
––– Claudia Lamas Cornejo<br />
Foto: Claudia Lamas Cornejo<br />
Entwurf: Büro sinai<br />
1 1<br />
–––<br />
Von <strong>der</strong> Bernauer Straße bis nach Las Vegas: Das IKM <strong>und</strong> seine Arbeit<br />
Rückblick<br />
–––<br />
kulturindex berlin<br />
Die Hochstimmung in <strong>der</strong> Berliner Kulturszene<br />
hält an. Das ergab <strong>der</strong> neunte Kulturindex für<br />
Berlin, <strong>der</strong> halbjährig vom IKM in Zusammenarbeit<br />
mit <strong>der</strong> IHK Berlin erhoben wird. Nach<br />
einem erneuten Anstieg auf 59 Punkte im<br />
Herbst 2007 liegt <strong>der</strong> Index, <strong>der</strong> die Lageeinschätzung<br />
von Kulturinstitutionen <strong>und</strong> –unternehmen<br />
in Berlin wi<strong>der</strong>spiegelt, nun 13 Punkte<br />
über dem Wert vom Herbst 2006.<br />
exPand your brand<br />
Das ebenfalls zum neunten Mal initiierte Forum<br />
für Kultur- <strong>und</strong> Medienmanagement im Winter<br />
2007 stellte Erfolgsmodelle innovativer Markenbildung<br />
<strong>und</strong> Wertschöpfungskonzepte vor. Institutionen<br />
wie die Wochenzeitung Die Zeit, das<br />
Centre Pompidou <strong>und</strong> die Nolde-Kunststiftung<br />
präsentierten ihre Brandingprozesse. Der erfolgreiche<br />
Auf- <strong>und</strong> Ausbau von Marken im Kultur-<br />
<strong>und</strong> Medienbereich wird angesichts sinken<strong>der</strong><br />
Besucherzahlen <strong>und</strong> Ressourcenknappheit die<br />
zentrale Herausfor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Branche sein, so<br />
die Experten auf dem Forum.<br />
Eine Kooperation mit Deutschlandradio Kultur<br />
die lesbarkeit <strong>der</strong> Welt<br />
Für das Festival Die Lesbarkeit <strong>der</strong> Welt. Botschaften<br />
<strong>der</strong> Kulturen wurde das IKM als einer<br />
von 365 Orten in <strong>der</strong> Kampagne Land <strong>der</strong> Ideen<br />
ausgezeichnet. In Kooperation mit acht internationalen<br />
Vertretungen – Ägypten, Israel, Italien,<br />
Japan, Nie<strong>der</strong>lande, Brasilien, Polen <strong>und</strong> die<br />
USA – fanden in Berlin Lesungen <strong>und</strong> Ausstellungen,<br />
Vorträge, Diskussionen <strong>und</strong> Konzerte<br />
statt. Einen Höhepunkt bildete die Lesung von<br />
Iris Berben aus Meir Shalevs Werk Ein russischer<br />
Roman in <strong>der</strong> Israelischen Botschaft.<br />
Vorschau<br />
–––<br />
mauerkonzePt<br />
Vor einem Jahr beschloss <strong>der</strong> Berliner Senat,<br />
die Gedenkstätte Berliner Mauer nach den Plänen<br />
<strong>der</strong> Architekten Mola Winkelmüller <strong>und</strong><br />
des Büros Sinai (Freiraumgestaltung) zu erweitern.<br />
Für 2008 sind nun 209.000 Euro, für<br />
2009 weitere 449.000 Euro bewilligt worden.<br />
Das ZAD wird dafür eine Marketingstudie<br />
Wird erweitert, auch um das Marketing: Die Gedenkstätte Berliner Mauer im Jahr 2009<br />
sowie ein Projekt zur Besuchergewinnung <strong>und</strong><br />
-bindung entwickeln.<br />
<strong>kunst</strong>museum ahrenshooP<br />
In <strong>der</strong> Künstlerkolonie in Ahrenshoop an <strong>der</strong><br />
Ostsee wird das erste Kunstmuseum errichtet.<br />
Nach dem Gr<strong>und</strong>stückskauf durch die Stiftung<br />
Kunstmuseum Ahrenshoop gelangt das Projekt,<br />
das sich auf bürgerlichem Engagement<br />
gründet, nun in die Realisierungsphase. Das<br />
ZAD wird die Kommunikations- <strong>und</strong> Markenstrategie<br />
entwickeln sowie För<strong>der</strong>- <strong>und</strong> Stifterpotentiale,<br />
F<strong>und</strong>raising- <strong>und</strong> Medienpartnerschaften<br />
aufbauen.<br />
camPus hotel seminaris<br />
Ein neues Hotel- <strong>und</strong> Wissenschaftskonferenzzentrum<br />
des Stararchitekten Helmut Jahn entsteht<br />
auf dem Campus <strong>der</strong> Freien Universität<br />
Berlin. Das IKM entwickelt in Kooperation mit<br />
Architekten <strong>und</strong> Projektentwickler ein Kunstkonzept<br />
für das entstehende Gebäudeensemble<br />
<strong>und</strong> wird den Betreiber bei Dachmarkenfindung<br />
<strong>und</strong> Brandingprozess unterstützen.<br />
„What’s the mission?!“<br />
Der Kultur- <strong>und</strong> Bildungsauftrag <strong>der</strong> öffentlichen<br />
Kultureinrichtungen steht zu Beginn des<br />
21. Jahrhun<strong>der</strong>ts auf dem Prüfstein: Die Frage<br />
nach dem gesellschaftlichen Mehrwert inmitten<br />
einer multioptionalen Erlebnisgesellschaft,<br />
die Entwicklung neuer Kulturpublika, die<br />
Chancen von Philantropie <strong>und</strong> Corporate<br />
Social Responsibility o<strong>der</strong> die Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
des „digilogen“ Zeitalters stellen vor diesem<br />
Hintergr<strong>und</strong> die Themenschwerpunkte<br />
<strong>der</strong> praxisorientierten Konferenz dar, auf <strong>der</strong><br />
Wissenschaftler <strong>und</strong> Kulturmanager aus den<br />
USA <strong>und</strong> Deutschland ihre Erfahrungen <strong>und</strong><br />
Zukunftsentwürfe austauschen.<br />
Ein deutsch-amerikanischer Kulturdialog.<br />
In Kooperation mit <strong>der</strong> Stiftung Schloß Neuhardenberg<br />
aus Anlaß 60 Jahre Freie Universität Berlin<br />
Der Klassiker<br />
–––<br />
berlin – neW york – las Vegas<br />
Die zehnte Exkursion steht im Zeichen des<br />
deutsch-amerikanischen Kunst- <strong>und</strong> Kulturaustausches.<br />
Workshops <strong>und</strong> Colloquien in <strong>der</strong><br />
Metropolitan Opera, dem MoMa, <strong>der</strong> Carnegie<br />
Hall, Time Warner, Edelman PR, New York<br />
Times <strong>und</strong> zahlreichen an<strong>der</strong>en Kultur-, Wissenschafts-<br />
<strong>und</strong> Wirtschaftsunternehmen zielen auf<br />
eine praxisnahe Ergründung des amerikanischen<br />
System <strong>der</strong> Kulturfinanzierung <strong>und</strong> -för<strong>der</strong>ung.<br />
impressum<br />
herausgeber<br />
Institut für Kultur- <strong>und</strong> Medienmanagement, WE 8<br />
Freie Universität Berlin<br />
FB <strong>Philosophie</strong> <strong>und</strong> Geisteswissenschaften<br />
Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin<br />
internet & e-mail<br />
www.ikm.fu-berlin.de, kultur@ikm.fu-berlin.de<br />
tel./fax:<br />
(030) 83 85 25 70/63<br />
V.i.s.d.P.<br />
Prof. Dr. Klaus Siebenhaar<br />
redaktion<br />
Ingolf Kern (Chefredaktion), Ruwen Egri (CvD),<br />
Johanna Ayecke, Kerstin Haupt, Katharina Kaupen,<br />
Claudia Lamas Cornejo, Elias Sievernich<br />
layout<br />
Jasmin Müller-Stoy, Henrike noetzold<br />
druckerei<br />
Enka-Druck<br />
Ein Projekt des IKM in Kooperation mit<br />
Monopol – Magazin für Kunst <strong>und</strong> Leben <strong>und</strong> DIE ZEIT
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