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03/2006 - Chronische Niereninsuffizienz - Was ist Nephrologie?

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Interdisziplinäre Fortbildungsreihe derÖsterreichischen Gesellschaft für <strong>Nephrologie</strong>9. Jahrgang / Nr. 3 / <strong>2006</strong>P.b.b. GZ 02Z<strong>03</strong>1654 M, Benachrichtigungspostamt 1080 Wien Falls unzustellbar, bitte retour an: MEDMEDIA Verlag, Alser Straße 21/8, 1080 Wien<strong>Chronische</strong> <strong>Niereninsuffizienz</strong>• Aufschlussreiche NET-Inzidenz-Unterschiede• Serumkreatinin vs. Cystatin C – wer <strong>ist</strong> der bessere Marker?• Klinische Relevanz der Mikroalbuminurie• Ätiologischer Faktor Rauchen


4SEITEN DER GESELLSCHAFTLiebe Kolleginnen und Kollegen!Ich möchte im Folgenden kurz über einige Aktivitäten derArbeitsgruppen und des Vorstandes der ÖsterreichischenGesellschaft für <strong>Nephrologie</strong> berichten, von denen ichglaube, dass sie die Zukunft unseres Faches wesentlich bestimmenwerden.Österreichischer Strukturplan Gesundheit(ÖSG) – nephrologische VersorgungGemeinsam mit dem Österreichischen Bundesinstitut fürGesundheit hat ein Expertengremium unserer Gesellschaftbegonnen, Vorschläge zu erarbeiten, die die Struktur derVersorgung von Patienten mit Nieren- und Hochdruckkrankheitenin Österreich im ÖSG definieren sollen.Welche Le<strong>ist</strong>ungen an welchen Standorten? In Analogie zuanderen Gebieten der Medizin (wie z. B. der Onkologie)soll ein Modell entstehen, welches unter anderem für denintramuralen Bereich festlegt, welche Le<strong>ist</strong>ungen an welchenStandorten unter Vorhaltung einer entsprechenden Infrastrukturerbracht werden müssen, wobei Zentren derMaximalversorgung eng mit anderen Einheiten einer Regionkooperieren, um so eine optimale Versorgung, aberauch Nutzung der Ressourcen sicherzustellen. Die Zusammensetzungdes Gremiums <strong>ist</strong> so gewählt, dass alle Bereiche(private Dialysestationen bis zu Universitätskliniken)entsprechend vertreten sind. Sollte es gelingen, einen gutenund tragbaren Entwurf zu erarbeiten (wovon ich ausgehe)und anschließend auch die politischen Entscheidungsträgerdavon zu überzeugen, wäre dies eine enorme Chance fürdie Entwicklung unseres Faches.Qualitätssicherungssystem: Unmittelbar im Zusammenhangmit dieser Aufgabe steht die Entwicklung eines Qualitätssicherungssystems.In Deutschland wurde ein derartigesSystem bereits beschlossen, wobei eine Refundierungder Le<strong>ist</strong>ung nur bei Erfüllung der Qualitätskriterien erfolgt.Je eher wir daher selbst ein derartiges Qualitätssicherungssystemerstellen, desto größer sind unsere Möglichkeiten,bei einer ähnlichen Entwicklung in Österreich an derGestaltung mitwirken zu können.Mitglieder der AG „Aus- und Weiterbildung“ haben sichmit den Entwicklungen auf europäischer Ebene auseinandergesetzt und an einer Sitzung der Fachgesellschaften undvon Vertretern der Österreichischen Ärztekammer teilgenommen.Prinzipiell <strong>ist</strong> auf europäischer Ebene eine Vereinheitlichungder Facharztausbildung in den EU-Ländernvorgesehen, die u. a. auch eine Verkürzung der Ausbildungszeitvorsieht. Für die derzeitigen Additivfächer desSonderfaches Innere Medizin bedeutet dies, dass die gesamteAusbildungszeit reduziert werden muss. In der Sitzungwurde diese Entwicklung prinzipiell von allen Gesellschaftenbegrüßt.„Common Trunk“ plus Spezialisierung: Das derzeit vorliegende(aber noch nicht beschlossene) Konzept sieht einebreite Ausbildung in Innerer Medizin für 3 Jahre vor („commontrunk“), wobei diese in stärker strukturierten Krankenanstaltenin Form einer Rotation absolviert werden muss.Daran anschließend <strong>ist</strong> eine 3- oder 4-jährige Ausbildungim jeweiligen Spezialfach zu absolvieren (Abschluss z. B. alsFacharzt für Innere Medizin mit Schwerpunkt <strong>Nephrologie</strong>).Jene KollegInnen, welche keine Spezialisierung anstrebenwürden, werden weitere 3 oder 4 Jahre in allgemeinerinnerer Medizin ausgebildet.All diese Diskussionen sind derzeit im Gange und nochnicht abgeschlossen. Sollten Sie weitere Informationenwünschen, stehe ich natürlich gerne zur Verfügung.Erlauben Sie mir zum Abschluss auch noch die Bitte, dassmöglichst alle Mitglieder unserer Gesellschaft im Sekretariatder Klinischen Abteilung für <strong>Nephrologie</strong> ihre E-Mail-Adresse bekannt geben (Tel. 0512 504 25855). Wir planenin Zukunft, Informationen verstärkt über dieses Mediumzu versenden, um so die Portokosten für die Gesellschaft zureduzieren.Mit freundlichen GrüßenUniv.-Prof.Dr. Gert MayerNeuregelung derFacharztausbildung in ÖsterreichUniv.-Prof. Dr. Gert Mayer


An den Vorstand derÖsterreichischen Gesellschaft für <strong>Nephrologie</strong>Sekretariat: Klinische Abteilung für <strong>Nephrologie</strong>, Universitätsklinik für Innere MedizinA-6020 Innsbruck, Anichstraße 35, Fax: +43 (0) 512 – 504 DW 25857Ich ersuche um Aufnahme in dieÖsterreichische Gesellschaft für <strong>Nephrologie</strong>alsOrdentliches MitgliedAußerordentliches MitgliedUnterstützendes MitgliedName/Titel:Dienstanschrift:Telefon:Fax:E-Mail:Netzpräsenz:Privatanschrift:Datum:Unterschrift:


6TEACHING POINTSinn und Unsinnder Kreatinin-BestimmungDr. Chr<strong>ist</strong>ine Winzer, Univ.-Prof. Dr. Erich PohankaAbteilung für <strong>Nephrologie</strong> und Dialyse, Klinik für Innere Medizin III, Medizinische Universität WienWer die Nierenfunktion seinesPatienten beurteilen möchte,lässt im Labor das Serumkreatinin(SKr) bestimmen. So hat essich seit vielen Jahren eingebürgert,denn die Methode <strong>ist</strong> verlässlich,schnell und überdies preiswert. Dassbei der Beurteilung der erhobenenWerte allerdings Limitationen ex<strong>ist</strong>ieren,wird dabei oft übersehen.Ein typischer Fall?Dr.Chr<strong>ist</strong>ine WinzerEine 75-jährige Patientin wird wegengastrointestinalen Beschwerden hospitalisiert. Sie leidet seitlängerem unter Inappetenz, die auch bereits zum Gewichtsverlustgeführt hat. Seit kurzer Zeit kommt es zusätzlich zurezidivierendem Erbrechen. Bei der Aufnahme wiegt sie 48kg, der Blutdruck wird mit 160/80 mmHg gemessen. Beiden Laborbefunden zeigen sich eine mäßig ausgeprägte Anämie,eine deutlich erhöhte Blutsenkung bei normalem CRP-Wert, die Cholinesterase <strong>ist</strong> mit 2,9 kU/l ebenso erniedrigtwie das Serum-Albumin mit 32 g/l. Der Blutzucker <strong>ist</strong> imNormbereich, Cholesterin und Triglyzeride befinden sichGFR ml/min80 -60 -40 -0,5 0,65 0,9720 -10 -0 -1995 96 97 98 99 00 01-----1,94Abb. 1: Fallbeispiel: 75-jährige Patientin, Gewicht 48 kg, Verlaufvon Serumkreatinin und glomerulärer Filtrationsrate-3,9-Serumkreatinin123456789101112mg/dlUniv.-Prof. Dr.Erich Pohankaknapp darunter. Weiter zeigt sich einmäßig erhöhtes Serumkreatinin von3,9 mg/dl, der BUN beträgt 36mg/dl, der Harnbefund und das Sedimentsind unauffällig, insbesonderefindet sich keine Proteinurie.Nach dem klinischen Zustandsbildder Patientin wird eine entzündlicheoder maligne Magendarmerkrankungvermutet, der Intestinaltrakt wird inder Folge endoskopisch untersucht;im Magen und Duodenum findensich dabei nur geringe, unspezifischeVeränderungen im Sinne einer Gastritismit vereinzelten Erosionen, das Kolon <strong>ist</strong> weitgehend unauffällig.Der klinische Zustand bessert sich nicht unter einschlägigerTherapie mit Protonenpumpenblockern, sodassdie Untersuchungen fortgesetzt werden. Wegen des mäßig erhöhtenKreatininwertes wird auch ein Nephrologe hinzugezogen,der die Bestimmung einer Kreatinin-Clearance veranlasst;das Ergebnis zeigt 14 ml/min, im Ultraschall zeigensich beide Nieren verkleinert und mit verdichtetem Parenchym.Damit <strong>ist</strong> die Diagnose klar; es handelt sich um eine terminalechronische <strong>Niereninsuffizienz</strong> (vermutlich im Rahmeneiner Nephrosklerose) im Vollbild der Urämie. Die Beschwerdensind durch eine urämische Gastroenteritis bedingt undhaben eine urämische Anorexie verursacht, wodurch sich dieGewichtsabnahme und die Abweichung jener Laborparametererklären, die eine unzureichende Ernährung reflektieren.Die Anämie <strong>ist</strong> ebenfalls renaler Genese und unterstreicht dieChronizität der Erkrankung. Nachdem mit konservativenMitteln keine Besserung erreichbar <strong>ist</strong>, wird bei der Patientindie Nierenersatztherapie eingeleitet, worauf sich die Beschwerdesymptomatikprompt bessert.Unterschätzung der renalenFunktionseinschränkungDie Patientin hat einige ältere Befunde aus den vergangenenJahren mitgebracht. Aus den SKr-Werten kann die GFR retrospektivnach Cockcroft-Gault ausgerechnet werden; die


TEACHING POINT7Serumkreatininµmol/lSTADIUM 5GFR< 15 ml/min– 12884 – 10707 – 8530 – 6354 – 4177 – 2mg/dlSerumkreatinin-sensitivSTADIUM 4GFR15–29 ml/minSTADIUM 3GFR30–59 ml/min STADIUM GFR260–89 ml/min+ pers<strong>ist</strong>ierendeAlbuminurienicht Serumkreatinin-sensitivSTADIUM 1GFR > 90 ml/min+ pers<strong>ist</strong>ierendeAlbuminurieNormalwert0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130Glomeruläre Filtrationsrate (ml/min)Abb. 2: Stadien der chronischen <strong>Niereninsuffizienz</strong> und dieBeziehung zwischen Serumkreatinin und GFRAbbildung 1 zeigt den Verlauf der beiden Parameter über6 Jahre, die letzten erhobenen Werte ergeben eine GFR von11 ml/Minute.Das Beispiel zeigt eindrucksvoll, wie das Ausmaß des renalenFunktionsausfalles über Jahre hindurch wegen der nochnormalen SKr-Befunde überhaupt unbemerkt geblieben <strong>ist</strong>und später – bis zum Auftreten der urämischen Symptomatik– völlig unterschätzt wurde. Die Ursache für die mangelndeFrüherkennung liegt an der nicht-linearen Beziehungzwischen SKr und GFR. Die Abbildung 2 zeigt, dass ein erhöhtesSerumkreatinin im Durchschnitt erst bei einer GFRvon < 60 ml/min auftritt. In Anbetracht der anerkanntenNormalwerte für die GFR (Frauen 95 ± 20; Männer 120 ±25 ml/min) bedeutet dies, dass das Serumkreatinin erst zu--------------steigen beginnt, wenn die Nierenfunktion bereits um 30–50 %eingeschränkt <strong>ist</strong>. Nach dieser Erkenntnis wird auch klar,warum die Stadieneinteilung einer chronischen <strong>Niereninsuffizienz</strong>nach unterschiedlichen Bereichen der GFR erfolgt.Diese erfolgte auf der Basis eines National Health and NutritionExamination Surveys (NHANES) von 1999–2000unter Berücksichtigung der durch die National Kidney Foundationelaborierten und international akzeptiertenK/DOQI-Guidelines /Kidney Disease Outcomes Quality Initiative).Während das erste Stadium nicht durch eine reduzierteGFR, sondern durch das Bestehen einer pers<strong>ist</strong>ierendenAlbuminurie als Hinweis für einen glomerulären Defektdefiniert <strong>ist</strong>, zeigt sich ein Anstieg des Serumkreatinins erstim 3. Stadium der Erkrankung (ab einer GFR < 59 ml/min).Somit befinden sich die ersten beiden von insgesamt 5 Stadieneiner CNI im „Serumkreatinin-blinden“ Bereich.<strong>Was</strong> passiert beim Verlustvon Nephronen?Die Filtrationsle<strong>ist</strong>ung der Nieren wird durch die glomeruläreFiltrationsrate (GFR) definiert, die der Summe der Filtrationsratenaller funktionstüchtigen Nephrone entspricht.Daher kann aus der Bestimmung der GFR ungefähr auf dieAnzahl funktionsfähiger Nephrone geschlossen werden. Allerdingsmuss berücksichtigt werden, dass die Niere einemFunktionsverlust zunächst durch die so genannte adaptiveHyperfiltration und/oder eine tubuläre erhöhte Nährstoffund<strong>Was</strong>serreabsorption in den noch funktionsfähigenNephronen entgegenwirkt. Dieser Mechanismus erklärt,warum im Stadium 1 einer chronischen <strong>Niereninsuffizienz</strong>zwar bereits strukturelle Schäden am Organ bestehen, aberdas funktionelle Defizit wegen der erfolgreichen Kompensa-FOTOS: FOTOLIAAbb. 3: Der Vergleich der Muskelmasse der beiden abgebildeten Körper macht evident, dass Unterschiede in der Kreatininproduktionbestehen.


8TEACHING POINTtion nicht zur Wirkung kommt. Erst im Stadium 2 erfolgtdie Kompensation nicht mehr vollständig und beginnt sichals Reduktion der GFR zu äußern.Die Hyperfiltration <strong>ist</strong> allerdings mit einem Anstieg des intraglomerulärenDrucks verbunden, was für die Progressioneiner <strong>Niereninsuffizienz</strong> nachteilig <strong>ist</strong>. Durch eine frühzeitigeBehandlung mit ACE-Hemmer oder AT-II-Rezeptorblockerkann die renale Hämodynamik günstig beeinflusstwerden, was zur Progressionsverzögerung beiträgt. Allerdings<strong>ist</strong> der Nutzen am größten, wenn die Behandlung einsetzt,bevor bereits ein Großteil der Nephrone zu Schaden gekommen<strong>ist</strong>, weshalb die Früherkennung essenziell für die Funktionserhaltung<strong>ist</strong>.Falsch niedriges Serumkreatinin durchreduzierte MuskelmasseTabelle 1: Erhöhte Serumkreatinin-Konzentration unabhängig von der GFR• gesteigerte Kreatinin-ProduktionTagesschwankungen 0,5–1,0 mg/dl- nach einer fleischreichen Mahlzeit- muskulärer Schädigung, z. B. Sport, Rhabdomyolyse- Personen mit hoher Muskelmasse• reduzierte tubuläre Kreatinin-Sekretiondurch aktive Transportmechanismen, die durch andereorganische Kationen gehemmt werden können- Trimethoprim- Cimetidin- Ranitidin- Famotidin• Interferenz mit dem kolorimetrischen Assay- Aceton bei diabetischer Ketoazidose (SKr-Anstiegbis 2 mg/dl), rasch reversibel unter Insulin-Therapie- Cefoxitin- FlucytosinUnabhängig von der grundsätzlichen Problematik eines „Serumkreatinin-blinden“Bereichs, der schon normalerweise dieFrüherkennung erschwert, können verschiedene Faktoren dieSKr-Werte beeinflussen und dadurch das Ausmaß einer renalenFunktionsstörung verfälschen. Im vorliegenden Fall bestandbei der Patientin eine altersbedingte Reduktion derMuskelmasse, die möglicherweise noch durch Ernährungsgewohnheitenund zuletzt durch Inappetenz verstärktwurde. Das Resultat war jedenfalls eine offensichtliche Diskrepanzzwischen dem Ausmaß der Kreatininerhöhung unddem Abfall der GFR. Es handelt sich dabei um kein seltenesProblem, denn durch die Verschiebungen der Alterspyramidehaben wir es zunehmend mit einem geriatrischen Patientenkollektivzu tun, dessen Muskulatur bereits physiologisch,durch Verlust an Mobilität oder auch bedingt durchkonsumierende Erkrankungen verringert <strong>ist</strong> (Abb. 3).Erniedrige SKr-Werten können somit durch das Alter, durchMuskelabbau, z. B. bei muskulären Erkrankungen/Lähmungen,sowie durch Malnutrition und vegetarische Kost verursachtwerden. Bei Frauen werden generell niedrigere SKr-Werte gefunden. Mögliche Ursachen für erhöhte SKr-Konzentrationensind in Tabelle 1 zusammengefasst.Berechnung der GFR oder Bestimmungder Kreatinin-Clearance?Als Goldstandard zur Bestimmung der GFR gilt die Inulin-Clearance, das als physiologisch inerte Substanz glomerulärfiltriert und in der Niere weder sezerniert, reabsorbiert, synthetisiertoder metabolisiert wird, sodass die im Harn ausgeschiedeneMenge der am Glomerulus sezernierten entspricht.Exakte, allerdings sehr aufwändige und daher seltenverwendete Tests sind jene, in denen die Clearance radioaktivmarkierter Substanzen wie Iothalamat, DTPA oder EDTAzum Einsatz kommen.Im klinischen Alltag wird die GFR mit Formeln berechnet;etabliert sind die Cockcroft-Gault-Formel, die MDRD-Formel(Modification of Diet in Renal Disease), die vereinfachteMDRD-Formel und in der Pädiatrie die Schwartz-Formel(Tabelle 2). Für klinische Zwecke kann sie auch mit der gemessenenKreatinin-Clearance gleichgesetzt werden. Da dieBestimmung der Kreatinin-Clearance eine präzise Harnsammlungüber einen definierten Zeitraum (zume<strong>ist</strong> über 24Stunden) erfordert, <strong>ist</strong> die Anwendung dieser Methode vorallem bei älteren und hilfsbedürftigen Patienten oft gar nichtoder nur mit der Erzielung ungenauer Werte durchführbar.Bei bereits stark eingeschränkter Nierenfunktion überschätztdie Kreatinin-Clearance außerdem die tatsächlicheglomeruläre Filtration, was auf eine gesteigerte tubuläre Kreatininsekretionbei erhöhten Serumkreatininspiegeln zurückzuführen<strong>ist</strong>.Aus diesen Gründen <strong>ist</strong> die Berechnung der GFR besser praktikabel(Tabelle 2). Besonders die vereinfachte MDRD-Formelhat den Vorteil, dass neben dem SKr das Alter und dasGeschlecht für die Berechnung verwendet werden. Einerseitssind dies Parameter, die in den Stammdaten der Patientenenthalten, dem analysierenden Labor somit bekannt unddemnach auch automatisch berechenbar sind, andererseitsdienen sie gleichzeitig als Marker für eine erniedrigte Muskelmasse,sodass auch Unterschiede in der Kreatinin-Produktionin diese Formel teilweise einfließen.Die Limitationen in der Anwendung dieser Formeln liegeneinerseits in einer fehlenden Berücksichtigung von interindividuellenNormschwankungen des Serumkreatinins, die


TEACHING POINT9Tabelle 2: Formeln zur Berechnung der NierenfunktionFür ErwachseneMDRD-Formel GFR [ml/min/1,73 m 2 ] = 170 x SKr –0,999 x Alter –0,176 x SHS –0,170 x SAlb +0,318x (0,762 bei Frauen)x (1,180 bei Farbigen)Vereinfachte MDRD Formel GFR [ml/min/1,73 m 2 ] = 186 x SKr –1,154 x Alter –0,2<strong>03</strong>x (0,742 bei Frauen)x (1,21 bei Farbigen)Cockcroft-Gault-Formel Kreatinin-Clearance [ml/min] = (140 – Alter) x Gewicht/(72 x SKr)x (0,85 bei Frauen)Für KinderFormel von Schwartz G. J.,Brion L. P., Spitzer A. GFR [ml/min/1,73 m 2 ] = (k*L)/SKrL = Körpergröße in cm; k = 0,33 (


10TEACHING POINTwährend erhöhte Kreatininspiegel erst bei einer GFR< 75 ml/min/1,73 m 2 zu beobachten waren.Widersprüchliche Ergebnisse zeigen sich auch nach Nierentransplantation.Während einerseits Vorteile bei der Verlaufsmessungpostuliert wurden, zeigte sich umgekehrt eine Beeinflussungder Cystatin-C-Spiegel durch Kortikosteroide.In der Bevölkerungsschicht der > 65-Jährigen konnte gezeigtwerden, dass Cystatin C sogar ein starker unabhängiger Prädiktorfür kardiovaskuläre Ereignisse und Tod mit und ohneVorliegen einer eingeschränkten Nierenfunktion <strong>ist</strong>.In einer anderen kürzlich erschienenen Analyse wurde aberdoch eine Einflussnahme durch Alter, Geschlecht, Gewicht,Größe, Rauchen und Serumkonzentrationen von C-reaktivemProtein festgestellt. Ob Cystatin C das SKr in der Beurteilungder GFR tatsächlich ablösen kann, wird sich dahererst in der Zukunft weisen.ZusammenfassungDie alleinige Bestimmung des Serumkreatinin <strong>ist</strong> nicht dazugeeignet, die globale Nierenfunktion zu beurteilen. Limitationenfür die Beurteilung dieses Parameters werden in derklinischen Routine me<strong>ist</strong> nur unzureichend berücksichtigtund können zu Fehlinterpretationen führen. Vor allem zurFrüherkennung <strong>ist</strong> die Erfassung der GFR der reinen Bestimmungdes Serumkreatinins deutlich überlegen und Hinweiseauf eventuelle strukturelle Schädigungen (Mikroalbuminurie)an den Nieren sollte in der weiteren Diagnostik berücksichtigtwerden.■Literatur bei den Verfassern• Das Serumkreatinin kann eine beginnende Verschlechterungender GFR nicht nachweisen (Stadien I–II) und <strong>ist</strong>deshalb nicht geeignet zur Früherkennung renalerErkrankungen• Das Serumkreatinin <strong>ist</strong> ein guter Verlaufsparameterin den Stadien III–V.• Zur Beurteilung der globalen Nierenfunktion <strong>ist</strong> dieBestimmung der GFR erforderlich.• Eine automatische Berechnung der vereinfachtenMDRD-Formel durch das Labor <strong>ist</strong> einfach und sinnvoll.QUIZA. Die Stadieneinteilung einer chronischen <strong>Niereninsuffizienz</strong> erfolgt durch:(1 richtige Antwort)1. die Serumkreatininspiegel2. die Serum-Cystatin C-Spiegel3. das Ausmaß einer Proteinurie4. die glomeruläre FiltrationsrateB. Erniedrigte Serumkreatininspiegel können gefunden werden:(4 richtige Antworten)1. im Alter2. bei Muskelerkrankungen/Lähmungen3. bei Malnutrition4. bei Rauchen5. bei körperlicher Anstrengung6. bei vegetarischer KostC. ACE-Hemmer und AT-II-Rezeptorblocker können:(4 richtige Antworten)1. den intraglomerulären Druck senken2. den intraglomerulären Druck steigern3. die GFR senken4. zu einem Anstieg des Serumkreatinins führen5. zu einem Abfall des Serumkreatinins führen6. das Ausmaß einer Proteinurie senkenQUIZDie richtige Antwortenfinden Sie auf Seite 24


12GRAVIERENDE NIERENERSATZTHERAPIE-INZIDENZUNTERSCHIEDEIN EUROPA UND DEN USAEpidemiologie chronischer NierenerkrankungenOA Dr. Manfred Wallner3. Interne Abteilung, Schwerpunkt <strong>Nephrologie</strong> und Dialyse, Klinikum Kreuzschwestern, WelsDer in den letzten 20 Jahren zu beobachtendedramatische Anstiegvon Patienten mit terminaler<strong>Niereninsuffizienz</strong> in den modernenGesellschaften <strong>ist</strong> zumindestteilweise ein Phänomen des so genannten„epidemiologischen Übergangs“(„epidemiologic transition“)von akuten, me<strong>ist</strong> infektiösen Erkrankungenhin zu mehr chronischen,„degenerativen“ Erkrankungen.OA Dr.Manfred WallnerTabelle 1: Inzidenz und Prävalenz der NET(Nierenersatztherapie) in ausgewähltenLändern Europas – „unadjusted“Land Inzidenz Tag 1 NET Prävalenz der NET(pmp * )31.12. (pmp)Österreich 159 858Belgien gesamt 180 978Dänemark 133 768Finnland 94 685Griechenland 195 922Island 75 479Italien 137 889(11 von 20 Regionen)Norwegen 100 708Spanien gesamt 132 928Schweden 122 801Niederlande 104 704UK gesamt 108 685USA (zum Vergleich) 336 1.4<strong>03</strong>* pmp = per million populationQuelle: ERA-EDTA Reg<strong>ist</strong>ry –Annual Report 2004Me<strong>ist</strong> wird dies als Resultat einer besserenErnährung und einer erfolgreichen Infektionskontrolleinterpretiert. Daraus ergeben sich als scheinbar unausweichlicheFolgen die Überalterung der Bevölkerung, die globaleEpidemie des Typ-2-Diabetes und die massive Zunahme derAdipositas sowohl in den entwickelten wie auch in den wenigerentwickelten Ländern. Diese drei Phänomene repräsentiereneinige der wichtigsten Risikofaktoren für die Entstehungder chronischen <strong>Niereninsuffizienz</strong>, die wiederum dieHauptursache der terminalen <strong>Niereninsuffizienz</strong> darstellt.Eine teuflische Spirale?Epidemiologische Eckdatenzur chronischen NierenersatztherapieWeltweit erhielten im Jahr 20<strong>03</strong> etwa 1,7 Millionen Menscheneine chronische Nierenersatztherapie (NET).Während 1,3 Millionen davon einer chronischen Dialysebehandlungunterzogen wurden, lebten rund 400.000 miteinem funktionsfähigen Transplantat. 90 % dieser Patientenstammen aus den so genannten entwickelten Staaten, die sichdie Kosten der NET (noch) le<strong>ist</strong>en können. Die jährlicheWachstumsrate der Nierenersatztherapie liegt in diesen Staatenzwischen 5 und 8 %. Im Jahr 2010 werden schätzungsweiseweltweit deutlich mehr als 2 Millionen Menschen voneiner chronischen NET abhängig sein.In der Europäischen Union befanden sich 20<strong>03</strong> rund360.000 Menschen an der chronischen NET, zwei Dritteldavon dialysepflichtig, ein Drittel erfolgreich transplantiert.Für weniger als 0,1 % der Bevölkerung werden dafür rund2 % der Gesundheitsbudgets der Mitgliedsländer ausgegeben.Die jährliche Inzidenzrate liegt in der EU bei durchschnittlich135 neuen Patienten mit chronischer NET proMillion Einwohner. Zwischen den einzelnen Ländern gibt esgroße Unterschiede in den Inzidenzraten (siehe Tabelle 1),die wir derzeit nur partiell erklären können.In Österreich begannen im Jahr 2004 156 pro Million Einwohnermit der chronischen NET. Die Inzidenz stieg somitin Österreich innerhalb von zehn Jahren (1994–2004) um55 % (von 815 auf 1.263). Ähnlich wie in anderen Ländern<strong>ist</strong> auch in Österreich der dramatische Anstieg in erster Linieauf die Zunahme der diabetischen Nephropathie im Rahmendes Typ-2-Diabetes und der vaskulären (hypertensiven)Nephropathie zurückzuführen (siehe Abbildung 1), wobeiauch hier regional große Unterschiede festzustellen sind. DieZahl der prävalenten Patienten an NET stieg in Österreich


131.300 -1.200 -1.000 -800 -600 -400 -200 -0 -1965196719691971197319751977197919811983198519871989199119931995199719992001Quelle: Kramar R., Stummvoll H.K., Österreichisches Dialyse- und Transplantationsreg<strong>ist</strong>er, Jahresbericht 2004Abb. 1: Inzidente Patienten an chronischer NET. Primäre renale Diagnose 1965–2004innerhalb des Zeitraumes von 1994 bis 2004 um 60 % von4.345 auf 6.944.In den USA liegt die jährliche Inzidenzrate für die NET bei336 pro Million Einwohner, wobei sich die verschiedenenEthnien deutlich voneinander unterscheiden: während in derweißen Bevölkerung die Inzidenzrate 256 pro Million Einwohnerbeträgt, steigt sie bei den African Americans auf 982pro Million Einwohner. Die prävalente ESRD-Population(„end-stage renal disease“) hat sich in den Vereinigten Staatenvon 1990 bis 2000 fast verdoppelt (von 196.000 auf382.000). Bis zum Jahr 2015 rechnet man mit über700.000 prävalenten ESRD-Patienten (Steigerung um 85%). Die Inzidenzrate wird von 2000 bis 2015 um 44 %wachsen (von 93.000 auf 136.000 Patienten).<strong>Chronische</strong> Nierenkrankheit –die unbekannte Größe20<strong>03</strong>2004VaskDM-2DM-1RestIN/PNHeredGNSN(OO)Nur grobe Schätzungen: Für Inzidenz und Prävalenz derterminalen <strong>Niereninsuffizienz</strong> (ESRD) gibt es dank der weltweitin vielen Ländern geführten Dialysereg<strong>ist</strong>er seit vielenJahren relativ genaue Daten. Allerdings repräsentierenESRD-Patienten nur die Spitze eines Eisbergs. Der weitausgrößte Teil dieser Patienten rekrutiert sich aus der großenMasse der chronisch Nierenkranken. <strong>Was</strong> die Zahl der Patientenbetrifft, die an einer chronischen Nierenkrankheit leidenund (noch) nicht nierenersatzpflichtig sind, verfügen wirme<strong>ist</strong> nur über grobe Schätzungen. Diese beruhen in vielenFällen auf Rückschlüssen, die aus den Reg<strong>ist</strong>erdaten gezogenwurden. ESRD-Patienten stellen aber eine ganz bestimmteSelektion aus der Gruppe der chronisch nierenkranken Patientendar und sind nicht unbedingt repräsentativ für diegesamte Population.Sowohl Dialysebeginn als auch präemptive Transplantationsind klar definierte Ereignisse, die unmittelbar mit hohen,vom Gesundheitssystem zu übernehmenden Kosten verbundensind, wogegen die chronische<strong>Niereninsuffizienz</strong> me<strong>ist</strong> spät entdecktund in den Anfangsstadienhäufig bagatellisiert wird.Drei Gründe für die „Bagatellisierung“der chronischen Nierenerkrankung:Das Erkennen und Behandelnder chronischen Nierenkrankheitobliegt in den me<strong>ist</strong>en Fällenden praktischen Ärzten odernicht nephrologisch orientiertenFachärzten, in der Regel wird erstsehr spät, wenn überhaupt, derNephrologe beigezogen. Es besteht somit der begründete Verdacht,dass die chronische Nierenkrankheit „unterdiagnostiziert“und „unterbehandelt“ <strong>ist</strong>.Dafür sind im wesentlichen drei Gründe verantwortlich zumachen: zum Ersten gab es bis vor wenigen Jahren keine einheitlicheDefinition der chronischen Nierenkrankheit, zweitenswar (und <strong>ist</strong>) vielen Ärzten der nicht-lineare Zusammenhangzwischen Serum-Kreatinin und glomerulärer Filtrationsratenicht (mehr) bewusst, so dass „geringfügigen“ Erhöhungendes Serum-Kreatinins keine besondere Bedeutungbeigemessen wurde; zum dritten wurde ein erhöhter Serum-Kreatinin-Wert in seiner Auswirkung auf die Prognose desPatienten nicht ausreichend gewürdigt. Erst in den letztenJahren wurde die eingeschränkte Nierenfunktion als Hochrisikofaktorfür kardiovaskuläre Erkrankungen erkannt,womit schlagartig auch das Interesse der Nichtnephrologenfür die Nierenfunktion ihrer Patienten wuchs.Aussagekräftige US-Daten: Dank der nun in vielen Richtlinienempfohlenen MDRD-Formel zur Berechnung der glomerulärenFiltrationsrate konnte – trotz aller Caveats, diedieser Formel anhaften – eine Standardisierung der Einteilungder chronischen <strong>Niereninsuffizienz</strong> erreicht werden.Unter Berücksichtigung der fünf Stadien dieser Einteilungund unter Verwendung der Daten des Third National Healthand Nutrition Examination Survey (NHANES III) fandenCoresh und Mitarbeiter, dass 11 % (19,2 Millionen) deramerikanischen Bevölkerung eine chronische Nierenerkrankungaufweisen.Mit anderen Worten: die Zahl der chronisch nierenkrankenPatienten liegt um bis zum 50-Fachen höher als die Zahl derPatienten mit chronischer NET. Bei mehr als 8 Millionendavon beträgt die glomeruläre Filtrationsrate weniger als 60ml/min. Es handelt sich dabei um eine der aussagekräftigstenepidemiologischen Untersuchungen über die Prävalenz derchronischen Nierenkrankheit in einer westlichen Gesellschaft.Allerdings sind diese Daten angesichts der stark unterschied-


1450 -45 -40 -35 -30 -25 -20 -15 -10 -5 -0 -NETMortalitätStadium 2 Stadium 3 Stadium 424,3 % und 45,7 % für die jeweiligen Stadien (siehe Abbildung2). Insgesamt erhielten 3,1 % der Patienten mit Stadium2 bis 4 eine NET, 24,9 % jedoch starben. Somit <strong>ist</strong> dasRisiko zu sterben für einen chronisch nierenkranken Patientenum ein Vielfaches höher, als die chronische NET zu erleben.Diese Daten belegen auch, dass die ESRD-Populationnicht unbedingt repräsentativ für die große Zahl der chronischenNierenpatienten <strong>ist</strong>.Nach: Keith D.S., Nichols G.A., Gullion C.M. et al., Arch Intern Med 2004; 164:659-663Abb. 2: Mortalitätsrate verglichen mit NET-Rate (in %)für Stadium 2, 3 und 4 der chronischen Nierenkrankheitlichen Inzidenzraten nicht ohne Einschränkungen auf die Situationin Europa zu übertragen. Trotzdem müssen wir davonausgehen, dass auch in Europa die Zahl der chronisch nierenkrankenPatienten die der Patienten mit NET, konservativ geschätzt,um das 20- bis 30-Fache übertrifft.Wenn man davon ausgeht, dass die chronische Nierenkrankheit,welcher Genese auch immer, die häufigste Ursache fürdie terminale <strong>Niereninsuffizienz</strong> (ESRD) darstellt, verwundertes, dass weniger als 2 % der Population mit chronischerNierenkrankheit in den Vereinigten Staaten schließlich einechronische NET erhalten. <strong>Was</strong> passiert mit den übrigen98 %? Dieses „Paradoxon der fehlenden Dialysepatienten“versuchten Keith und Mitarbeiter im Rahmen einer longitudinalenStudie mit den Daten einer großen „ManagedCare“-Organisation (Kaiser Permanente Northwest Divisionin Portland, Oregon) zu klären. Dabei wurden 28.000 Patientenälter als 17 Jahre und mit einer glomerulären Filtrationsrateunter 90 ml/min/1,73 m 2 (entsprechend einemKDOQI-Stadium 2, 3 und 4) über 5 Jahre beobachtet. Endpunktewaren: Austritt aus der Organisation, Tod, Transplantation,Dialyse, keines der Vorhergehenden. Während dieRate für die NET 1,1 %, 1,3 % und 19,9 % für die KDOQI-Stadien 2, 3 und 4 betrug, lag die Mortalität bei 19,5 %,Unterschiedezwischen Europa und USAIn einer weiteren Untersuchung aus den USA wurde gezeigt,dass die Prävalenz der chronischen Nierenkrankheit in denletzten zehn Jahren relativ stabil geblieben <strong>ist</strong>, während dieInzidenz der NET signifikant zugenommen hat. Dieskönnte auf ein besseres Überleben insbesondere von kardiovaskulärenErkrankungen hindeuten, spiegelt aber wahrscheinlichauch einen liberaleren Zugang zur NET wider.Entsprechende Daten für Europa fehlen. Durch das verbesserteÜberleben im Stadium der chronischen Nierenkrankheit<strong>ist</strong> somit in den nächsten Jahren mit einem weiterendeutlichen Wachstum der NET-Population zu rechnen.Für die enorme Diskrepanz zwischen der Inzidenz der NETin Europa und den Vereinigten Staaten (2- bis 3-mal so großin den USA) gab es bislang keine suffiziente Erklärung. Zumeinen vermutete man eine höhere Prävalenz der chronischenNierenkrankheit in der ethnisch sehr heterogenen amerikanischenBevölkerung, zum anderen weisen African Americansund Hispanier eine raschere Progression zur terminalen <strong>Niereninsuffizienz</strong>auf als Kaukasier.Eine kürzlich publizierte Studie aus Norwegen, die Anlass zugleich zwei Editorials im selben Heft des „Journal of theAmerican Society of Nephrology“ gab, kam zu überraschendenErgebnissen. Dabei handelt es sich um die erste validePrävalenzstudie in einem europäischen Staat mit ausreichen-Tabelle 2: Prävalenz der chronischen Nierenkrankheit in den Stadien 1 bis 4in Norwegen und in den USA (Angaben in %)Stadium der Norwegen USA USA USA USAchronischen 1995–1997 1988–1994 1988–1994 1988–1994 1999–2000Nierenkrankheit Weiße (n = 65.181) Weiße (n = 6.635) Schwarze (n = 4.163) Gesamt (n = 15.625) Gesamt (n = 4.104)1 2,7 2,8 5,8 3,3 3,82 3,2 3,2 2,5 3,0 4,<strong>03</strong> 4,2 4,8 3,1 4,3 3,74 0,16 0,21 0,25 0,20 0,13Gesamt 10,2 11,0 11,6 11,0 11,7Nach: Hallan S.I., Coresh J., Astor B.C. et al., J Am Soc Nephrol <strong>2006</strong>; 17:2275-2284


163,5 -3 -US-WeißeNorwegen2,5 -2 -1,5 -1 -0,5 -0 -GesamtNon-DiabetesDiabetesAlter < 60aAlter > 60aFrauenMännerStadien 2–4 in Norwegen als in den USA. Diesen Einwandversuchen die Autoren zu entkräften, indem sie auf die inetwa gleich große kardiovaskuläre Gesamtmortalität in beidenLändern und auf die höhere Lebenserwartung in Norwegenhinweisen. Nach Meinung der Autoren könnte daherneben der niedrigeren Diabetesprävalenz eine bessere Versorgungder Patienten im Prädialysestadium für diesen gewaltigenUnterschied verantwortlich sein.Abb. 3: Relatives Risiko für das Fortschreiten der chronischenNierenkrankheit vom Stadium 3 und 4 zu Stadium 5 (terminale<strong>Niereninsuffizienz</strong>, ESRD) für US-Weiße verglichen mitnorwegischen Patienten (Risk-Ratio)dem Datenmaterial und ohne Selektionsbias. In einer für dasgesamte Land repräsentativen Region in Mittelnorwegennahmen rund 65.000 Personen im Alter von 20 Jahren oderälter (entsprechend 70 % der in Frage kommenden Bevölkerung)an einer Querschnittuntersuchung mit ausführlichemFragebogen, klinischer Untersuchung und Kreatininbestimmungteil. In einer Subgruppe wurde auch Albuminim Harn bestimmt. Gemeinsam mit der Gruppe um JosefCoresh von der Johns Hopkins University in Baltimore wurdendie norwegischen Daten mit den NHANES-II- und -III-Auswertungen verglichen. Die Prävalenz der chronischenNierenerkrankung liegt in Norwegen bei 10,2 % (siehe Tabelle2) und <strong>ist</strong> somit durchaus mit jener in den USA zu vergleichen(11,0 % 1988–1994 und 11,7 % 1999–2000).Raschere Krankheitsprogression in den USA? Die wichtigsteAussage dieser zweifellos noch viele Diskussionen entfachendenStudie <strong>ist</strong> folgende: das relative Risiko, die terminale<strong>Niereninsuffizienz</strong> zu erreichen, <strong>ist</strong> bei der weißen Bevölkerungin den USA im KDOQI-Stadium 3 oder 4 um das2,5-Fache höher als in der norwegischen Bevölkerung(siehe Abbildung 3). Während Alter und GFR zu Beginn derDialyse ähnlich und Hypertonie und kardiovaskuläre Mortalitätin beiden Bevölkerungsgruppen vergleichbar waren,hatten amerikanische Patienten eine höhere Prävalenz vonDiabetes und Adipositas und wurden erst später von einemNephrologen gesehen als die norwegischen. Die Autorenschließen aus ihrer Studie, dass die höhere Inzidenzrate fürdie NET in den USA nicht auf einen größeren „Pool“ vonchronisch nierenkranken Patienten zurückzuführen <strong>ist</strong>, sondernauf eine raschere Progression der Nierenerkrankung. Daes sich um eine Querschnittuntersuchung handelt, wissen wirnicht, wie hoch die Mortalitätsrate innerhalb der verschiedenenStadien in Norwegen <strong>ist</strong>. Für die USA gibt es dieseDaten. Rein theoretisch vorstellbar, wenn auch nicht sehrwahrscheinlich, wäre eine höhere Mortalität der KDOQI-ResümeeWie auch immer wir die Daten dieser bemerkenswerten Studieaus Norwegen beurteilen werden: zu den größten Herausforderungenfür die Gesundheitssysteme in den nächstenJahren zählt nicht nur die ausreichende Bereitstellung eineradäquaten Nierenersatztherapie für die stetig wachsende Zahlterminal niereninsuffizienter Patienten, sondern vor allem dieEtablierung primär- und sekundärpräventiver Maßnahmeninnerhalb von Risikopopulationen (Hochdruckkranke, Diabetiker,Adipöse, alte Menschen etc.) und bei den bereitschronisch nierenkranken Patienten, um das Fortschreiten der<strong>Niereninsuffizienz</strong> zu verzögern und vielleicht sogar zu verhindern.■Literatur beim VerfasserDie Folgeerscheinungen des epidemiologischen Übergangs(Überalterung, Typ-2-Diabetes, Adipositas) zählen zu denwichtigsten Risikofaktoren für die Entstehung derchronischen Nierenkrankheit.In den entwickelten Ländern we<strong>ist</strong> die chronische Nierenersatztherapieeine jährliche Zunahme der Inzidenzrate von5 bis 8 % auf.In Österreich betrug die Inzidenzrate zur NET im Jahr 2004156 pro Million Einwohner und war damit um 55 % höherals 10 Jahre zuvor. Innerhalb Europas gibt es großeUnterschiede zwischen den einzelnen Ländern.Die Prävalenz der chronischen Nierenkrankheit scheintin Europa und den USA in etwa gleich zu sein und liegtzwischen 9 und 12 % der Bevölkerung.Das Risiko, als chronisch nierenkranker Weißer an die NETzu kommen, <strong>ist</strong> in den USA 2,5-mal so hoch als in Norwegen.Die Ursachen dafür sind noch nicht geklärt.Primär- und sekundärpräventive Maßnahmen sind dringendgefragt, um Risikopopulationen zu schützen und dieProgression der chronischen Nierenkrankheit zu verzögernund zu verhindern.


18ALTERNATIVE ZUM KREATININ IN DER GFR-ABSCHÄTZUNGCystatin C zur Bestimmungder NierenfunktionDr. med. Lorenz Risch 1 , Prim. Dr. Ulrich Neyer 1,21 Vorarlberg Institute for Vascular Investigation and Treatment (VIVIT), Akademisches Lehrkrankenhaus Feldkirch2 Leiter der Abteilung für <strong>Nephrologie</strong> und Dialyse, Akademisches Lehrkrankenhaus FeldkirchDie vorliegende Arbeit stellt Stärkenund Schwächen von CystatinC als Parameter der Nierenfunktionvor und skizziert möglicheEinsatzgebiete.Im klinischen Alltag wird zur Abschätzungder Nierenfunktion me<strong>ist</strong>ensdas Serumkreatinin herangezogen,welches mittels Formeln in eineSchätz-GFR (eGFR) umgerechnetwerden kann. Die Bestimmung desSerumkreatinins <strong>ist</strong> zwar einfach undrelativ billig, hat aber auch die Nachteileder fehlenden Standardisierung, der Anfälligkeit auf Interferenzenund der relativen Insensitivität, welche erst Einschränkungender GFR < 60 ml/min/1,73 m 2 einigermaßenzuverlässig zu erkennen vermag. Neben dem kürzlich empfohlenenGebrauch von Kreatinin-basierten Formeln zur Bestimmungder eGFR findet in Leitlinien zur Bestimmung derNierenfunktion der Einsatz von Cystatin als potenziell einsetzbarerParameter zur Bestimmung der Nierenfunktion Erwähnung,allerdings ohne dass Empfehlungen zum Gebrauchabgegeben werden 1-4 .Struktur und FunktionDr. med.Lorenz RischCystatin C gehört zur Cystatin-Supergenfamilie der Cystein-Proteasen-Inhibitoren. Cystatin C wird vom CST3-Gen kodiert,welches aus 3 Exons besteht und sich auf Chromosom20 bei p11.2 befindet 5 . Das Protein besteht aus 120 Aminosäuren,hat in seiner nicht-hydroxylierten Form ein Molekulargewichtvon 13,34 kD und we<strong>ist</strong> bei physiologischempH eine positive Nettoladung auf (pI 9,3). Abbildung 1 zeigtim Modell die Aminosäurensequenz und schematischeStruktur von Cystatin C. Es wird angenommen, dass CystatinC (Synonym: -trace) als Produkt eines Gens vom „housekeepingtype“ in konstanter Rate von allen bisher untersuchtenkernhaltigen humanen Zellen sezerniert wird 7 . CystatinC <strong>ist</strong> in allen Körperflüssigkeiten nachweisbar, in besondershohen Konzentrationen im Blutplasma, Liquor undPrim. Dr.Ulrich NeyerSeminalplasma 7,8 . Als biologische Eigenschaftwird Cystatin C die Hemmungvon Cystein-Proteasen, d. h.proteinverdauende Enzyme mit derAminosäure Cystein im katalytischenZentrum, zugeschrieben. Die inhibitorischeRegion <strong>ist</strong> in der Abbildung1 mit einem Rahmen gekennzeichnet.Es wird angenommen, dass CystatinC einem proteolytischen Gewebeabbaudurch Cysteinproteasen entgegenwirkt9 . Des Weiteren wurden antimikrobielleund antivirale Eigenschaftenbeschrieben 10,11 . Cystatin C wirktauch immunmodulatorisch. So konnte z. B. gezeigt werden,dass Vorbehandlung von neutrophilen Granulozyten mitCystatin eine Verminderung der durch C 5a bewirkten ChemotaxiszurFolge hat 12 . Letzlich konnte beobachtet werden,dass Cystatin C bei Hirnschädigung in gewissen Zellen aufreguliertwird 13-15 . Bei der hereditären Form der zerebralenAmyloidangiopathie, einer Erkrankung, welche bei Betroffenenin jungen Jahren zerebrale Blutungen verursacht, <strong>ist</strong> imCystatin C an der Stelle 68 die Aminosäure Leucin durchGlutamin ersetzt 16 . Cystatin C <strong>ist</strong> bei diesen Patienten dasvorwiegende Protein in Amyloiddepots, welche u. a. in derMedia zerebraler Arterien lokalisiert sind 17 .Metabolismus und EinflussfaktorenDie Konzentration von Cystatin C im Serum wirdhauptsächlich durch die GFR bestimmt. Cystatin C wird aufgrunddes niedrigen Molekulargewichts und der positivenNettoladung im Glomerulus hauptsächlich frei filtriert 18 . Danachwird es zum größten Teil durch die Zellen des proximalenNierentubulus reabsorbiert und intrazellulär abgebaut,so dass nur ein geringer Anteil im Urin nachweisbar wird 18,19 .Für die Serumkonzentration von Cystatin C bedeutet das,dass sie bei Verschlechterung der Nierenfunktion analog demKreatinin ansteigt, während sie bei Verbesserung einer vermindertenNierenfunktion absinkt. Es konnte aufgezeigtwerden, dass Cystatin C schon bei geringeren Einschränkun-


19gen der GFR ansteigt als das Serumkreatinin 20 . Bei akutemNierenversagen und nach Nephrektomie bei Nierenspendernkonnte zudem gezeigt werden, dass Cystatin C als Indikatoreiner Verschlechterung der Nierenfunktion 1–2 Tage früheransteigt als Serumkreatinin 21,22 .Entgegen früheren Annahmen konnten einige non-renaleEinflussfaktoren auf die Konzentration von Cystatin C imSerum identifiziert werden. So führt die Verabreichung vonGlukokortikoiden dosisabhängig zu einer Erhöhung derCystatin-C-Konzentrationen 23 . Als Mechanismus hierzukonnte ein Promotor-mediierter Effekt der Cystatin-C-Expressiondemonstriert werden 24 . Weiters konnte gezeigt werden,dass hyperthyreote Zustände mit erhöhten und Hypothyreosemit erniedrigten Cystatin-C-Werten einhergeht25,26 . Epidemiologische Daten der PREVEND-Studieweisen darauf hin, dass Cystatin-C-Konzentrationen unabhängigvon der Kreatinin-Clearance auch mit Alter, Körpergrößeund -gewicht, Geschlecht, Raucherstatus und derCRP-Konzentration assoziiert sind 27 . Allerdings werden dieseletzten Assoziationen zur Zeit noch kontrovers beurteilt. Inder Schwangerschaft werden relativ erhöhte Cystatin-C-Konzentrationenbeobachtet, was veränderten Filtrationseigenschaftenzugeschrieben wird 28 .Methoden der Cystatin-C-MessungBisher wurden v. a. Daten von 2 kommerziell erhältlichenTestformaten zur Cystatin-C-Bestimmung publiziert. 1994wurde erstmals ein immunturbidimetrischer Test beschrieben(PETIA = Particle-enhanced Turbidimetric Assay;DAKO Diagnostics), welcher akkurate und schnelle Resultate(7 Minuten Messzeit) lieferte 29 . 1997 erschien dann dieBeschreibung eines immunnephelometrischen Tests(PENIA = Particle-enhanced Nephelometric Immunoassay;DADE-Behring; 6 Minuten Messzeit) 30 .Die Präzision beider Cystatin-C-Assays <strong>ist</strong> geringer als jeneder me<strong>ist</strong>en gebräuchlichen Assays für Serumkreatinin. Weiterentwicklungder Assays vermag die Präzisionscharakter<strong>ist</strong>ikajedoch noch zu verbessern 31 . Die publizierten Variationskoeffizientenliegen über dem Messbereich innerhalb derSerie zwischen 1,1–6,2 %, zwischen den Serien zwischen1,2–11,5 % 29,30 . Die Präzision des PENIA-Assays erscheintbei tieferen Werten etwas besser zu sein 30 . Als In-vitro-Interferenzender Cystatin-C-Messung wurden bis anhin je nachverwendetem Test gewisse, hochtitrige Rheumafaktoren(nicht alle), Bilirubinämie und Chylomikronämie beschrieben32 .Obwohl die International Federation of Clinical Chem<strong>ist</strong>ry(IFCC) eine Arbeitsgruppe zur Standardisierung der Cystatin-C-Messungeingesetzt hat, werden mit den 2 Methodenaufgrund von Kalibrationsunterschieden zurzeit noch keinevergleichbaren Werte erhalten. Bezüglich der diagnostischenDie blaue Ebene markiert die inhibitorische Region für Cystein-Proteasen. EinErsatz des violett dargestellten Leucins an der Stelle 68 durch Glutamin wirdbei Patienten mit zerebraler Amyloidangiopathie beobachtet. Prolin an der Stelle3 (blau) liegt teilweise hydroxyliert vor. Diese Abbildung wurde freundlicherweisevon Prof. A.O. Grubb, Lund, Schweden, zur Verfügung gestellt.Abb. 1: Aminosäurensequenz und schematische Struktur vonhumanem Cystatin CWertigkeit suggeriert eine Studie sowie eine Metaanalyse,dass die PENIA-Messung der PETIA-Methode etwas überlegen<strong>ist</strong> 33,34 . Dies dürfte seinen Grund weniger im Assay,sondern vielmehr in der Messtechnik haben: turbidimetrischeAssays sind weniger sensitiv als nephelometrische Messvorrichtungen.Folgerichtig wurde für den DAKO-Assaydenn auch eine nephelometrisches Testprotokoll erarbeitet 35 .Generell kann festgehalten werden, dass unabhängig vomTesthersteller immunnephelometrische den turbidimetrischenMethoden vorgezogen werden sollten.ProbenstabilitätDie Probenstabilität von Cystatin C im Serum beträgt beiRaumtemperatur mindestens 48 h, bei 4 °C bis 1 Woche, bei–20 °C mindestens 1 Monat, bei –80 °C mindestens 6 Monate20,30,36,37 . Dahingegen wird Cystatin C im Urin schnellproteolytisch abgebaut, sodass für Messungen im Urin Konservierungsmittelzugegeben werden müssen, um eine ausreichendeStabilität des Analyten zu gewährle<strong>ist</strong>en. Allerdingswirkt eine Zugabe von Proteasenhemmern nicht einer Degradierungvon Cystatin C im Harntrakt entgegen. EineMessung von Cystatin C im Urin zeigt bei Tubulusschädigungender Niere gegenüber Gesunden immerhin bis zu 200-fach erhöhte Konzentrationen 38 . Die Messung einer Cystatin-C-Clearancezum Zwecke einer GFR-Bestimmungmacht keinen Sinn, da Cystatin C im Nierentubulus degradiertwird.ReferenzwerteReferenzwerte für Cystatin C wurden in zahlreichen Kollektivenuntersucht. Die Referenzbereiche variieren je nach verwendetemAntikörper, Kalibrator und Testmethode. (Eine


20kritische Zusammenstellung findetsich bei Mussap und Plebani. 39 ) Eszeigte sich dabei, dass weder Geschlechtnoch Muskelmasse einenEinfluss auf die Cystatin-C-Wertehaben 40 . Wie aus Abbildung 2 ersichtlich<strong>ist</strong>, besteht nur eine geringeAltersabhängigkeit der Cystatin-C-Referenzwerte: ab dem 1. bis zum 59.Lebensjahr gelten dieselben Referenzwerte.Ab dem 60. Lebensjahrspiegeln ansteigende Cystatin-C-Werte die mit zunehmendem Alterabnehmende GFR. Die erhöhtenund abfallenden Werte im 1. Lebensjahrlassen sich mit der Reifung derNierenfunktion während diesesZeitraumes erklären. Die wesentlichenVorteile von Cystatin C im Vergleichzu Kreatinin liegen also darin, dass die Referenzwertehauptsächlich durch die Nierenfunktion und nicht zusätzlichdurch Gechlecht oder Muskelmasse beeinflusst werden. Darauslässt sich schließen, dass sich ein Cystatin-C-Resultat direktin einen GFR-Wert umsetzen lässt, ohne dass andere Faktorenwie Körpergewicht, Geschlecht oder Größe mit einberechnetwerden müssen (siehe Tabelle 1).Intraindividuelle Variabilität4,50 -4,00 -3,50 -3,00 -2,50 -2,00 -1,50 -1,00 -0,50 -0 -Gemäß Cimerman et al. besteht keine zirkadiane Rhythmikder Serumkonzentrationen von Cystatin C 42 . Bei Erwachsenenmit normaler Nierenfunktion und erwachsenen Nierentransplantiertenmit erniedrigter GFR wurde im Vergleichzum Serumkreatinin eine höhere biologische Variabilitätgefunden 43,44 . Dies kann zum einen Teil mit der leichtniedrigeren Präzision von immunologischen Testen, zum anderenmit der größeren Sensitivität von Cystatin C erklärtwerden. Letztere gibt vermutlich auch kleinere temporäreSchwankungen der GFR im Kreatinin-blinden Bereich wieder,während das Serumkreatinin zu träge <strong>ist</strong>, um dieseSchwankungen anzuzeigen. Keevil et al. und Cimerman etal. haben die inter- und intraindividuelle Variabilität genaueruntersucht mit der Schlussfolgerung, dass Cystatin C zurEntdeckung einer erniedrigten Nierenfunktion gut geeignet<strong>ist</strong>, bezüglich Monitorisierung der Nierenfunktion allerdingsgewisse Vorbehalte angebracht werden müssen: bei Gesundenliegt die kritische Differenz von Cystatin-C-Werten, umstat<strong>ist</strong>isch sicher einen unterschiedlichen Wert anzuzeigen,bei ca. 45 % 42,43 . Dieser Wert <strong>ist</strong> bei Kreatinin wesentlichkleiner.serum cystatin C (mg/l)-24–28 wk-29–36 wk-0–3 mo-4–11 mo-1–3 y-4–8 yDie Referenzwerte zwischen dem 1. und 59. Lebensjahr unterscheiden sich nicht signifikant. Anders als beim Serumkreatininhaben weder Muskelmasse noch Geschlecht einen Einfluss auf die Referenzwerte. Die höheren Werte beiSäuglingen lassen sich mit der allmählichen Reifung der Nierenfunktion erklären. Bei den über 60-Jährigen sind dieerhöhten Werte durch eine Abnahme der GFR bedingt. (Altersangaben: wk = Woche, mo = Monat, y =Jahr; 24–36 wksind Frühgeborene). Abbildung mit freundlichen Genehmigung von Elsevier aus Clin Chim Acta 2000; 297:55-66.Abb. 2: Referenzwerte von Cystatin C (PENIA) in den verschiedenen Altersgruppen-9–17 y-19–29 y-30–39 y-40–49 yCystatin C als Marker der NierenfunktionErste Studien (1985) mit ziemlich unpräzisen Messmethodenhaben gezeigt, dass Cystatin C mindestens so gut mit derGFR korreliert wie das Serumkreatinin 45,46 . Mit der Verfügbarkeitvon besseren Messmethoden wurden in den letzten12 Jahren zahlreiche Studien in verschiedenen Patientenkollektivendurchgeführt, welche diese frühen Ergebnisse präzisierten.So wurden zahlreiche Studien in Kollektiven mitunselektierten Patienten sowie in gut charakterisierten Patientengruppen(z. B. Kinder, Diabetiker, Nierentransplantierte,Zirrhotiker, Paraplegiker) publiziert, die in Metaanalysengepoolt untersucht werden konnten. Die Metaanalysensind v. a. deshalb von Wichtigkeit, da die me<strong>ist</strong>en Studienrelativ wenige Individuen eingeschlossen haben und besondersauch für negative Resultate eine zu geringe stat<strong>ist</strong>ischePower aufgewiesen haben. Initial haben die me<strong>ist</strong>en Studiendie Serumkonzentrationen von Cystatin C und Kreatininin Funktion einer Referenzclearance beschrieben. Seitkürzerem sind nun auch Studien publiziert, welche die Serumkonzentrationenvon Cystatin C mit einer Kreatinin-basierteneGFR oder Cystatin-C-basierte eGFR mit KreatininbasierteneGFR vergleichen.Cystatin C vs. Kreatinin: Dharnidarka et al. haben in ihrerMetaanalyse die Resultate von Studien analysiert, welche diediagnostische Wertigkeit von Cystatin C mit jener des Kreatininsin der Erfassung einer eingeschränkten Nierenfunktion(gemessen mit einer Clearance-Studie eines exogen zugeführtenMarkers) verglichen haben. In 11 Studien, welche total997 Patienten eingeschlossen haben, wies Cystatin C in der-50–59 y-60–69 y-70–79 y-80–89 y-90–100 y


22kombinierten ROC-Analyse (Receiver Operating Character<strong>ist</strong>ic)eine signifikant größere Fläche unter der Kurve (AUC)auf als Kreatinin (0,926, 95%-CI 0,892–0,96 versus 0,837,95%-CI 0,796–0,878; p < 0,001), wobei eine größere AUCauf eine bessere diagnostische Wertigkeit hinwe<strong>ist</strong> 34 . Eine andereMetaanalyse, welche 20 Studien in eine kombiniertenROC-Analyse einschloss, konnte diese Resultate bestätigen 47 .Dabei <strong>ist</strong> festzuhalten, dass weder Cystatin C noch Kreatinineine Nierenfunktionsbestimmung mit einer Clearance-Studie exogen zugeführter Markersubstanzen ersetzen kann.Die im Rahmen dieser Fragestellung untersuchte Vielzahl anPatientenkollektiven umfasst Kinder 48 , Patienten fortschrittenenAlters 49 , Nierentransplantierte 44 , Diabetiker 50 sowiePatienten mit Hepatopathie 51 , Chemotherapie 52 oder Paraplegie53 . Studien, welche dabei als „negatives Resultat“ keineÜberlegenheit von Cystatin C gegenüber Kreatinin feststellen,weisen allesamt eine zu geringe Fallzahl auf, um dieseKonklusion mit suffizienter stat<strong>ist</strong>ischer Power zu untermauern.Cystatin-C-basierte versus Kreatinin-basierte Schätzungder GFR: Kürzlich wurden auch Cystatin-C-basierte Formelnzur Schätzung der GFR publiziert. Eine Zusammenstellungsolcher Formeln <strong>ist</strong> in Tabelle 1 wiedergegeben. Es<strong>ist</strong> dabei zu beachten, dass die Formeln gemäß der verwendetenBestimmungsmethode eingesetzt werden. Zum Gebrauchsind die Formeln von Grubb et al. 54 , Hoek et al. 56und Rule et al. 57 empfohlen. Rule et al. haben zudem eineFormel für Nierentransplantierte evaluiert, welche den Effektvon Glukokortikoid-Medikation kompensiert 23 . Seitkurzem sind nun wenige Studien publiziert, welche die diagnostischeWertigkeit der 4-Variablen-MDRD-Formel mitjener von Cystatin-C-basierten eGFR vergleichen 54,57,59-62,75 .Die untersuchten Kollektive bestehen hierbei aus Diabetikern,Zirrhotikern und Nierentransplantierten. 6 von 7 dieserStudien zeigen für die Cystatin-C-basierte eGFR signifikantoder non-signifikant bessere diagnostische Eigenschaftenals für die 4-Variablen-MDRD-eGFR 54,57,59,61,62,75 .Ein interessanter Ansatz <strong>ist</strong> schließlich die Entwicklung einerGleichung, welche sowohl Cystatin C als auch Kreatinin zurBerechnung der eGFR benutzt, wie sie von Rule et al. für diePENIA-Methode berichtet wurde 57 :Composite eGFR = √[66,8 x (Cystatin C) –1,3 ] x [273 x (Kreatinin)–1,22 x (Alter) –0,299 x (0,738, wenn weiblich)]Ein solcher Ansatz hat sowohl gegenüber der Cystatin-C- alsauch Kreatinin-basierten eGFR verbesserte diagnostische Eigenschaften,was jedoch noch bestätigender Studien bedarf.Cystatin C als Prädiktor einer Verschlechterung der Nierenfunktion:Perkins et al. präsentierten kürzlich longitudinaleDaten bezüglich des Progression der diabetischenNephropathie bei 30 Pima-Indianern mit Typ-2-Diabetesmellitus, welche bei Studienbeginn eine normale oder erhöhteGFR aufwiesen 63 . Dabei zeigte sich während einer Follow-up-Periodevon 4 Jahren einerseits, dass die reziprokenCystatin-C-Werte hochsignifikant mit der abnehmenden125I-Iothalamat-Clearance korrelierten. In diesem Kollektivwaren weder die reziproken Kreatininwerte, die Cockcroft-Gault-Kreatinin-Clearance, noch die 4-Variablen-MDRDsignifikant mit dem Referenzclearance-Verlauf korreliert. Andererseitskonnten die Autoren zeigen, dass die intraindividuelleVariabilität der Cystatin-C-Werte kleiner war als jeneder gemessenen GFR. Die Autoren interpretierten ihre Resultatedahingehend, dass Cystatin C v. a. in den frühen Stadiender diabetischen Nephropathie ein besserer Parameterzum Nierenfunktionsmonitoring <strong>ist</strong> als Kreatinin-basierteTabelle 1: Cystatin-C-basierte Formeln zur Errechnung der eGFR(Einsetzen von Cystatin-C-Werten in mg/l)Methode Kollektive Formel ReferenzPETIA Allgemein GFR (ml/min x 1,73 m 2 ) = 84,69 x Cystatin C –1,680 Grubb et al. 54x 1,384 (wenn Kind


24Schätzungen und dass Cystatin C, ähnlich dem HbA 1c beimDiabetes mellitus, ein integraler Marker der GFR darstellenkönnte.Nachfolgend einer Nephrektomie bei Nierenspendern stiegCystatin C als Folge der Nierenfunktionseinschränkung 1 bis2 Tage früher an als Kreatinin 64 . Ein ähnliches Verhalten derbeiden Parameter wurde auch bei Patienten mit akutem Nierenversagenbeobachtet, was insgesamt eine sensitivere undschnellere Erfassung der akuten Nierenfunktionsverschlechterungsuggeriert 65 .Cystatin C als Prädiktor kardiovaskulärer Erkrankungenund der Mortalität: Die Jahre 2005/<strong>2006</strong> stehen im Zeicheneiner Reihe namhafter Studien, welche Cystatin C und Kreatinin-basierteSchätzungen der Nierenfunktion als Prädiktorenvon Mortalität 66.67 , PAVK 68 , subklinischer Hirninfarkte69 , Schlaganfall und Myokardinfarkt verglichen 70,71 . Eszeigte sich dabei, dass Cystatin C ein deutlich stärkerer Prädiktorder jeweilig studierten Outcomes <strong>ist</strong> als Kreatinin oderKreatinin-basierte Schätzungen der eGFR, welche erst beideutlich eingeschränkter Nierenfunktion mit einem signifikantenRisiko assoziiert waren. Diesen Studien war als Limitationeigen, dass sie keine direkte Messung der GFR vorgenommenhaben, sodass zurzeit nicht eindeutig auseinandergehalten werden kann, ob die genannten Risiken durch CystatinC mediiert sind oder lediglich eine verminderte GFRreflektieren.Nichtsdestrotz wurde aufgrund der obgenannten Studien dieneue Entität der präklinischen Nierenerkrankung postuliert(analog den Konzepten des „Prädiabetes“ oder der „Prähypertension)72,73,74 . Diese soll durch die Absenz klinisch fassbarerNierenerkrankung (d. h. GFR > 60 ml/min/1,73 m 2 )und gleichzeitig erhöhter Cystatin-C-Konzentrationen (d. h.> 1,0 mg/l mit dem PENIA-Test) gekennzeichnet sein undein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Nierenerkrankungund kardiovaskulärer Erkrankungen anzeigen. Dieswürde u. U. auch ein frühzeitiges Installieren von nephroprotektivenMaßnahmen mit allen günstigen Folgen für Individuumund Gesellschaft ermöglichen.SchlussfolgerungenMit Cystatin C haben Kliniker einen alternativen Marker zurEinschätzung der Nierenfunktion zur Verfügung, allerdingsohne dass der Einsatz bisher von Leitlinien empfohlen wird.Es zeichnen sich schon jetzt mögliche Einsatzgebiete ab. ImplausibleKreatinin-Resultate können mittels Cystatin C geprüftwerden. Zusätzlich kann Cystatin C in Situationen, inwelchen Kreatinin keine validen Rückschlüsse auf die Nierenfunktionerlaubt (z. B. analytische Interferenzen, Muskelerkrankungen,Leberzirrhose, sehr alte Patienten, Malnutrition,paraplegische/quadriplegische Patienten, amputierte Patienten,vegetarische Ernährung) wertvolle Informationen liefern.Zusätzlich erscheint der Parameter zur Monitorisierungder Nierenfunktion bei Frühstadien der diabetischenNephropathie geeignet. Bei der Interpretation von Cystatin-C-Werten <strong>ist</strong> v. a. auf Glukokortikoid-Medikation oderSchilddrüsendysfunktion zu achten. Bevor Cystatin C zurBestimmung der Nierenfunktion routinemäßig eingesetztwerden kann, sind allerdings zusätzliche Studien, welche u.a. auch Kosten berücksichtigen, benötigt. Für einen zuverlässigenEinsatz von Cystatin-C-basierten Schätzungen dereGFR werden ebenfalls weitere groß angelegte Studienbenötigt. Aufgrund der Datenlage dürfte sich ein häufigerGebrauch von Cystatin C zur Risikostratifizierung und Einschätzungdes kardiovaskulären Risikos in absehbarer Zukunftdurchsetzen.■Literatur bei den Verfassernlorenzrisch@hotmail.comCystatin C <strong>ist</strong> ein niedermolekulares Protein, welches eineEinschränkung der GFR sensitiver erkennt als Kreatinin. Alsmögliches Einsatzgebiet zeichnet sich die Kontrolle implausiblerKreatinin-Resultate ab. Im Weiteren kann Cystatin Cals alternativer Marker in Situationen, in welchen Kreatininphysiologischerweise keine validen Rückschlüsse auf dieNierenfunktion erlaubt, wertvolle Informationen liefern.Bevor Cystatin C zur Bestimmung der Nierenfunktion routinemäßigeingesetzt werden kann, werden allerdings zusätzlicheStudien benötigt. Aufgrund der Datenlage dürfte sichein häufiger Gebrauch von Cystatin C zur Risikostratifizierungund Einschätzung des kardiovaskulären Risikos in absehbarerZukunft durchsetzen.AUFLÖSUNG DES NEPHRO-QUIZA. Die Stadieneinteilung einer chronischen<strong>Niereninsuffizienz</strong> erfolgt durch:richtige Antwort Nr. 4B. Falsch niedrige Serumkreatininspiegel könnenverursacht werden durch:richtige Antworten Nr. 1, 2, 3, 6C. ACE-Hemmer und AT-II-Rezeptorblocker können:richtige Antworten Nr. 1, 3, 4, 6


25DIAGNOSE UND KLINISCHE RELEVANZMikroalbuminurieOA Dr. Franz FreundlAbteilung für Innere Medizin mit <strong>Nephrologie</strong> und Dialyse, Landesklinikum Mostviertel, AmstettenDie Mikroalbuminurie <strong>ist</strong> ein Marker für eine generelleEndothelzellschädigung. Sie <strong>ist</strong> mit einem erhöhten Risikofür kardiovaskuläre Erkrankungen assoziiert. DiePrävalenz in der Normalbevölkerung liegt bei 7–8 %. Siesteigt mit zunehmendem Lebensalter (über 25 % der über70-Jährigen).Bestimmung der Albumin-AusscheidungDie Mikroalbuminurie <strong>ist</strong> definiert als Albuminausscheidungim Harn von 30–300 mg über 24 h (oder 20–200 µg proMilliliter oder 20–200 µg pro Minute) in 2 von 3 Messungen(siehe Tabelle 1).Teststreifen: Die Eiweißbestimmung im Harn mit Hilfe derherkömmlichen Teststreifen <strong>ist</strong> ein relativ unsensibler Markerfür eine Proteinurie. Ein positives Ergebnis erhält manerst bei einer Eiweißausscheidung von über 300–500mg/Tag (Normwert weniger als 150 mg; zume<strong>ist</strong> weniger als100 mg).Eine sensitivere Methode <strong>ist</strong> die Verwendung eines AlbuminspezifischenTests.OA Dr.Franz FreundlAlbumin im 24-h-Harn: Der Goldstandard für den Nachweiseiner Mikroalbuminurie <strong>ist</strong> die 24-h-Harnsammelmethode.Das Screening kann durch eine zeitlich begrenzte Harnsammlung(z. B. über Nacht: µg/min), oder mit dem Morgenharndurchgeführt werden. Eine Mikroalbuminurie <strong>ist</strong> unwahrscheinlich,wenn die Albuminausscheidung weniger als 20µg/min in einer zeitlich begrenzten Urinmenge oder wenigerals 20–30 mg/l in einer beliebigen Harnprobe beträgt.Wenn man die Albuminkonzentration alleine bestimmt odersie mit einem sensitiven Test-Streifen (z. B. Micraltest) bestimmt,können falsch-negative undfalsch-positive Ergebnisse erhaltenwerden, da die Albuminkonzentrationauch vom Urinvolumen abhängt.Albumin/Kreatinin-Ratio: Der Effektdes Urinvolumens kann durchdie Albumin/Kreatinin-Ratio in einerbeliebigen Harnprobe vermiedenwerden. Ein Wert von über 30 mg/gbedeutet eine Albuminausscheidungvon über 30 mg/Tag und damit eineMikroalbuminurie.Die Verwendung der Albumin/Kreatinin-Ratio <strong>ist</strong> der empfohleneScreening-Test sowohl für Diabetiker als auch fürkardiovaskuläre Risikopatienen wie Hypertoniker und solchemit metabolischem Syndrom.Es <strong>ist</strong> keine Harnsammlung nötig, auch kein Morgenharn,es genügt ein beliebiger Spot-Harn, wenngleich die bestenÜbereinstimmungen zum 24-h-Harn vormittags bestehen.Die Bestimmung <strong>ist</strong> kostengünstig und einfach zu wiederholen.Aussagekraft: Eine erhöhte Albuminurie zeigt eine Schädigungder glomerulären Basalmembran an. Albumin <strong>ist</strong> einelektronegatives Serumprotein mit einem Molekulargewichtvon 66.349 Dalton. Nach der glomerulären Filtrationwird ein Teil des Albumins von tubulären Epithelzellen absorbiert.Es besteht Evidenz, dass das Eiweiß in der Tubulusflüssigkeitnephrotoxisch <strong>ist</strong> und die Rate der Proteinausscheidung einwichtiger Prädiktor für das Fortschreiten einer Nephropathie<strong>ist</strong>.Tabelle 1: Definition erhöhter AlbuminausscheidungKategorie „Spot collection“ „24-h-collection“ „Timed collection“(µg/mg Kreatinin) (mg/24 h) (µg/min)Normal < 30 < 30 < 20Mikroalbuminurie 30–299 30–299 20–199Makroalbuminurie > 300 > 300 > 200K/DOQI-Guidelines Diabetes & Kidney Disease, Am J Kidney Dis <strong>2006</strong>


26Nephropathie-Inzidenz (%)20 --10 --0 -0 3 6 12 18 24Monate Follow-up---Abb. 1: Irbesartan verzögert die Entwicklung einer Nephropathie beiTyp-2-DiabetesLimitationen und FallstrickeIntraindividuelle Variabilität: Es besteht eine zirkadiane Variabilitätder Urinalbuminausscheidung. Sie beträgt bei Gesundennachts 70 % der tagsüber ausgeschiedenen Menge.Die Linearität der Beziehung zwischen Spot-Harn und 24-h-Harn variiert im Laufe des Tages. Die Korrelation <strong>ist</strong> fürProben morgens am besten, auch die Proben im Laufe desNachmittags korrelieren gut.Bei Hypertonikern besteht eine ähnliche Variabilität, jedochin einem höheren Bereich. Die Variabilität <strong>ist</strong> bei Typ-1-Diabetikernzwischen Schlafperioden und tagsüber deutlichgrößer.Der Harn soll kurz nach der Gewinnung untersucht werden.Er kann jedoch bei 4 Grad C ohne Lichtexposition bis zueiner Woche aufgehoben werden.--PlazeboIrbesartan 150 mgIrbesartan 300 mgEffekt von Irbesartan (150 bzw. 300 mg/d) bzw. Plazebo bei hypertensiven Typ-2-Diabetikernund Mikroalbuminurie. Der primäre Endpunkt war die Zeitspanne bis zum erstmaligen Auftreteneiner offenkundigen Nephropathie (Urin-Albumin-Ausscheidung > 200 mcg/min undzumindest 30-prozentige Erhöhung des Ausgangswerts bei 2 aufeinander folgenden Messungen).Dieser Endpunkt war unter Plazebo im Vergleich zu Irbesartan signifikant erhöht (14,9 %vs. 9,7/5,2 % unter 150/300 mg Irbesartan). Der Benefit durch Irbesartan war nicht von Blutdruckunterschiedenabhängig. Adaptiert nach: Parving H.H., Lehnert H., Brochner-MortensenJ. et al., N Engl J Med 2001; 345:870-Verfälschte Werte: Ergebnisse können nicht korrekt interpretiertwerden, wenn ein Harnwegsinfekt, Fieber, eine unkontrollierteHyperglykämie oder Hypertonie oder eine Herzinsuffizienzvorliegt.Eine starke körperliche Belastung kann zu einer transientenSteigerung der Albuminausscheidung führen. Eine solche sollin den letzten 24 h vor der Bestimmung vermieden werden.Die Zuverlässigkeit der Albumin/Kreatinin-Ratio <strong>ist</strong> vermindert,wenn die Kreatinin-Ausscheidung völlig vom erwartetenWert abweicht. Dies betrifft insbesondere Patienten mitgrenzwertigen Werten. Die Albuminausscheidung wird beieinem muskulären Mann mit einem hohen Wert an Kreatininausscheidungunterschätzt, überschätzt bei einem kachektischenPatienten mit deutlich reduzierter Muskelmasseund Kreatininausscheidung.Bei einer Entzündung kann Albumin von jeder Stellevom Nierenbecken bis zur Urethra hinzukommen. Beifehlender Inflammation im Harntrakt <strong>ist</strong> intaktesAlbumin glomerulären Ursprungs die Hauptquelle fürAlbumin im Urin und es <strong>ist</strong> nur eine kleine Menge vonkleinen Albuminfragmenten vorhanden.Immunologische Methoden können nur kompletteAlbuminmoleküle nachweisen. Peptidfragmente vonAlbumin können durch Farbstofftests (z. B. Biuret)und spezifische Spektrophotometrie bestimmt werden.Die immonologischen Methoden werden zume<strong>ist</strong> fürklinische Zwecke gebraucht. Sie sind kostengünstigund können kleine Mengen von Albumin im Bereich,der als Mikroalbuminurie definiert <strong>ist</strong>, nachweisen (i.e. weniger als 200 mg/l).Korrelation mit KV-ErkrankungenHOPE-Studie: Unter über 9.000 Teilnehmern in derHOPE-Studie (Heart Outcomes Prevention Evaluation)war das Vorhandensein einer Mikroalbuminurie miteinem erhöhten Risiko für die Gesamtendpunkte (Myokardinfarkt,Schlaganfall, kardiovaskuläre Mortalität) sowohlohne (x 1,61) als auch mit Diabetes (x 1,97) assoziiert.Das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse stieg mit zunehmendenabsoluten Werten der Mikroalbuminurie progressiv an.Niedrige Werte einer Mikroalbuminurie deutlich unter deroben angegebenen Definition sind mit einer Erhöhung deskardiovaskulären Risikos additiv zu den herkömmlichen Risikofaktorenverbunden.Third Copenhagen Heart Study: In der Third CopenhagenHeart Study wurde bei 2.726 Patienten die Albuminuriegemessen, sie wurden sodann bezüglich der Entwicklungeiner koronaren Herzerkrankung bzw. der Mortalität überwacht.Patienten in der oberen Quartile der Urinalbuminausscheidung(mehr als 4,8 µg/min [6,9 mg/Tag]) hatten ein für andereRisikofaktoren adjustiertes Risiko für Tod von 1,9 sowiefür koronare Herzerkrankung von 2,0.Unter den hypertensiven Patienten war die kumulative Inzidenzfür eine Herzerkrankung (11 gegenüber 5 %) und fürMortalität (28 gegenüber 13 %) bei einer Albuminausscheidung> 5 µg/min (7,5 mg/Tag) signifikant erhöht, verglichenzu Werten von < 5 µg/min (Klausen et al., Circulation 2004).Ähnliche Ergebnisse fanden sich in einem Review der FraminghamHeart Study unter 1.568 nicht-hypertensiven,nicht-diabetischen Männern und Frauen (mittleres Alter 55Jahre; Arnlov et al., Circulation 2005).


28Therapie und TherapieintensivierungDer Nachweis einer Mikroalbuminurie we<strong>ist</strong> somit auf einhohes kardiovaskuläres und/oder renales Risiko hin. EineTherapieintensivierung <strong>ist</strong> erforderlich: eine weitere Reduktiondes Blutdrucks, eine Verbesserung des Glukosestoffwechsels,eine Blockade des Renin-Angiotensin-Systems(siehe Abbildung 1 und 2).AIPRI- und REIN-Studie: Nachweis der blutdruckunabhängigenrenoprotektiven Wirkung der ACE-Hemmer.Eine Metaanalyse von Jafar fand eine Risikoreduktion von37 % für das Auftreten einer terminalen <strong>Niereninsuffizienz</strong>und von 35 % für die Verdoppelung der Serum-Kreatininkonzentrationunter ACE-Hemmern.Die Berechnung der NNT (Number Needed to Treat) ergab,dass 24 Patienten über 2 Jahre behandelt werden müssen, umeinen Fall von Dialysepflichtigkeit zu verhindern.Für Angiotensin-Rezeptor-Blocker, und zwar für Losartan(Brenner B.M. et al., N Engl J Med 2001) und für Irbesartan(Lews et al., N Engl J Med 2001), wurde Blutdruck-unabhängigeNephroprotektion, d. h. Verminderung des Risikosder Verdoppelung der Serum-Kreatininkonzentration, inprospektiven Studien belegt, sodass von einem Substanz-unabhängigenKlasseneffekt auszugehen <strong>ist</strong>.Empfehlungen bei Nicht-DiabetikernBei pers<strong>ist</strong>ierender Mikroalbuminurie und Hypertoniesollte mit einem ACE-Inhibitor oder einem Angiotensin-II-Rezeptorblocker therapiert werden, da diese die Albuminausscheidungim Vergleich zu anderen Antihypertensiva wirksamerreduzieren können. Der Zielblutdruck beträgt


29GFR-Änderung (ml/min/Monat)0 --–0,2 --–0,4 --–0,6 --–0,8 --–1 --–1,2 -KontrolleLow-Protein-DiätIn 2 Studien mit Patienten mit diabetischer Nephropathie führte eine Einschränkungder Proteinzufuhr mit der Nahrung – auf maximal 0,6 g/kg KG pro Tag bzw.auf 30–40 % jener in der Kontrollgruppe – zu einer 75%igen Reduktion der GFR-Verringerung (nach: Walker J.D., Bending J.J., Dodds R.A. et al., Lancet 1998;2:1411; und Zeller K., Whittaker E., Sullivan L. et al., N Engl J Med1991;324:78).Abb. 3: Protein-Restriktion verlangsamt die Progression derdiabetischen NephropathieEs <strong>ist</strong> heute kaum mehr umstritten, dass Medikamente, diedas Renin-Angiotensin-System blockieren, und zwar sowohlACE-Hemmer als auch Angiotensinrezeptorblocker, bei diabetischerals auch bei nicht-diabetischer NierenerkrankungMittel der ersten Wahl darstellen. Die bisher einzige randomisierteStudie, die ACE-Hemmer und Angiotensinrezeptorblockerdirekt verglich, wurde bei 250 Patienten mit Typ-2-Diabetes durchgeführt. Es wurde Enalapril (ACE-Hemmer)mit Telmisarten (ARB) verglichen: DETAIL-Studie (BarnettA. el al., J Am Soc Nephrol <strong>2006</strong>). Nach 5 Jahren Therapiewar die Veränderung der GFR, als harter Endpunkt der Studie,in beiden Gruppen gleich. Wie erwartet, sank die GFRim 1. Jahr etwas stärker und im 2. Jahr geringer ab und bliebdann weitgehend stabil. Die Albuminurie und der Kreatininwertnahmen nicht zu. Zugleich war die kardiovaskuläreMorbidität und Mortalität in beiden Gruppen sehr gering.ACE-Hemmer und A-II-Blocker sind somit gleich potenteAntihypertensiva.Der Zielblutdruck bei Typ-2-Diabetes und Nephropathie beträgtunter 130/80 mmHg. 7 Tage nach Therapiebeginn mitHemmern des Renin-Angiotensin-Systems sollen das Serumkaliumund das Serumkreatinin kontrolliert werden, ebensonach jeder Dosissteigerung, da ein geringes (weniger als5%iges) Risiko einer Hyperkaliämie und einer nicht bekanntenNierenarterienstenose besteht.


30Wenn der Blutdruck damit nicht im Zielbereich liegt, sollals nächster Schritt ein Beta-Blocker oder ein Diuretikumoder, wenn diese inadäquat sind, ein Nicht-Dihydropyridin-Kalzium-Antagon<strong>ist</strong> (Verapamil, Diltiazem) hinzugefügtwerden. Bei älteren Patienten <strong>ist</strong> es klug, Gefäßstenosen, besonderssolche der Karotiden auszuschließen, bevor der Blutdruckin den Zielbereich gesenkt wird.Der Blutdruck soll langsam gesenkt werden. Der Blutdrucksoll sowohl im Sitzen als auch im Stehen gemessen werden,da eine autonome Denervation bei Typ-2-Diabetes-Patienten,die eine Nephro- und Polyneuropathie haben, häufig <strong>ist</strong>.Patienten mit Diabetes neigen dazu, Kochsalz zu retinieren.Der Hochdruck <strong>ist</strong> besonders volumensensitiv. Kochsalz solldaher reduziert werden (Ziel 5–6 g/Tag), gelegentlich soll dieUrinkochsalzausscheidung monitiert werden, und Diuretikasollen verschrieben werden.ACE-Hemmer-Dosierung über maximal blutdrucksenkendenDosen: Das Rationale hierfür <strong>ist</strong> in der Tatsache begründet,dass die Niere lokale Renin-Angiotensin-Systemebesitzt, z. B. in proximalen Tubulusepithelzellen, besondersbei Hyperglykämie oder Eiweißbeladung, in Podozyten oderin Mesangialzellen.Dies macht verständlich, dass z. B. bei Diabetes trotz niedrigerPlasma-Renin-Aktivität die Nierendurchblutung vermehrtAngiotensin-II-abhängig <strong>ist</strong> und dass selbst maximalblutdruck-senkende Dosen von ACE-Hemmern die intrarenalenAngiotensin-II-Spiegel nicht absenken. In der Niereex<strong>ist</strong>ieren offensichtlich tiefe RAS-Kompartments, die fürdiese Medikamente nur schwer zugänglich sind. Dies erklärtwahrscheinlich, warum ACE-Hemmer-Dosen, die über denmaximal blutdrucksenkenden Dosen liegen, zu einem weiterenRückgang der Protenurie führen. Mit extrem hohenACE-Hemmer-Dosen konnte im Tierexperiment sogar eineRückbildung der Glomerulosklerose (Adamczak, Ritz E. etal., Am J Nephrol 2004) beobachtet werden.Diabeteseinstellung: Eine gute Blutzuckerkontrolle soll angestrebtwerden, wobei es nach der U. K. Prospective DiabetesStudy (UKPDS-Studie, Lancet 1998) nicht von Bedeutungwar, ob dies durch Insulin oder orale antihyperglykämischeMedikamente (Sufonylharnstoffe, Metformin) erreichtwurde. Ziel der Diabeteseinstellung bei Typ-1-Diabetes<strong>ist</strong> ein HbA 1c < 6,5 % und bei Typ-2-Diabetes ein HbA 1cvon zumindest < 7 %. Wegen des Makroangiopathierisikoswäre ein HbA 1c von < 6 % das optimale Ziel, welches jedochin der Praxis schon allein aufgrund des Hypoglykämie-Risikosme<strong>ist</strong> nicht möglich <strong>ist</strong>.Nikotinverzicht: Rauchen soll vermieden werden. Patientenmit Typ-2-Diabetes, die rauchen, haben ein erhöhtes Risikofür eine Mikroalbuminurie. Die Progression zu einer „EndStage Renal Disease“ (Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie)<strong>ist</strong> 2-mal so schnell.Protein-Restriktion: Eine Proteinzufuhr von weniger als0,8 g/kg Körpergewicht verzögert die Progression (siehe Abbildung3).Somit <strong>ist</strong> bei Typ-2-Diabetikern ein multifaktorieller Therapieansatzerforderlich (Blutdrucksenkung, Diabeteseinstellung,Cholesterinsenkung (LDL < 100 mg), Statintherapie,Aspirintherapie, wenn erforderlich Erythropoetintherapie,Lifestyle, um bei optimaler Therapie die GFR-Abnahme aufca. 2 ml/Jahr reduzieren zu können (dänische STENO-2-Studie,Gaede et al., NEJM 20<strong>03</strong>).■Literatur beim VerfasserIn den letzten Jahren wurde eine geringe Zunahme in derHarnalbuminausscheidung, die durch Routinemethodennicht nachgewiesen wird, als prognostischer Marker fürein erhöhtes renales und/oder kardiovaskuläres Risiko beidiabetischen und nicht-diabetischen Patienten erkannt.Die Untersuchung auf Mikroalbuminurie wird daher zur Risikobeurteilungfür Diabetiker, Hypertoniker und Patienten mitmetabolischem Syndrom empfohlen.IMPRESSUMVerlag: MEDMEDIA Verlag und Mediaservice Ges.m.b.H. Herausgeber: Österreichische Gesellschaft für <strong>Nephrologie</strong>, Univ.-Prof. Dr. Gert Mayer undao. Univ.-Prof. Dr. Alexander Rosenkranz, Klinischen Abteilung für <strong>Nephrologie</strong>, Universitätsklinik für Innere Medizin, Innsbruck. Chefredakteur: Univ.-Doz.Dr. Karl Lhotta, Klinische Abteilung für <strong>Nephrologie</strong>, Universitätsklinik für Innere Medizin, Innsbruck. Anzeigen/Organisation: MEDMEDIA Verlag undMediaservice Ges.m.b.H., Alser Straße 21/8, 1080 Wien, Tel.: 01/407 31 11. Projektleitung: Friederike Maierhofer. Produktion: Alexandra Kogler. Redaktion:Susanne Hinger, Peter Lex. Layout/DTP: Martin Grill. Lektorat: Peter Lex. Druck: Bauer Druck, Wien. Druckauflage: 5.900 im 2. Quartal <strong>2006</strong>, geprüftvon der Österreichischen Auflagenkontrolle. Grundsätze und Ziele von NephroScript: Information für nephrologisch interessierte Krankenhaus- undniedergelassene Ärzte. Angaben über Dosierungen, Applikationsformen und Indikationen von pharmazeutischen Spezialitäten müssen vom jeweiligen Anwenderauf ihre Richtigkeit überprüft werden. Herausgeber und Medieninhaber übernehmen dafür keine Gewähr. Literatur zu den Fachbeiträgen bei den jeweiligenAutoren. Allgemeine Hinweise: Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die persönliche und/oder wissenschaftliche Meinung desjeweiligen Autors wieder und fallen somit in den persönlichen Verantwortungsbereich des Verfassers. Mit „Freies Thema“ gekennzeichneteBeiträge sind entgeltliche Einschaltungen gem. § 26 Mediengesetz und fallen in den Verantwortungsbereich des jeweiligen Auftraggebers;sie müssen nicht die Meinung von Herausgeber, Reviewer oder Redaktion wiedergeben. Angaben über Dosierungen, Applikationsformenund Indikationen von pharmazeutischen Spezialitäten müssen vom jeweiligen Anwender auf ihre Richtigkeit überprüft werden. 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32RISIKO- UND PROGRESSIONSFAKTOR AUCH BEI RENALEN ERKRANKUNGENRauchen und NiereUniv.-Doz. Dr. Karl LhottaKlinische Abteilung für <strong>Nephrologie</strong>, Universitätsklinik für Innere Medizin, InnsbruckRauchen erhöht das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisseum das 2–3-Fache und <strong>ist</strong> für 90 % der Lungenkarzinomesowie 80 % der Fälle von chronisch-obstruktiverLungenerkrankung verantwortlich. Weniger im öffentlichenBewusstsein verankert <strong>ist</strong> die Tatsache, dass Zigarettenrauchenauch für die Nieren schädlich <strong>ist</strong>. Im Folgendenwerden Pathomechanismen und klinische Auswirkungenvon Rauchen auf die Nieren zusammengefasst.Tabelle 1: Pathomechanismen derGefäßschädigung durch Zigarettenrauch• erhöhter Sympathikotonus, Katecholamine• Vasopressinspiegel• verminderte NO-Produktion• oxidativer Stress• Leukozytose, CRP , Interleukin 6 , TNF-alpha• lösliche Adhäsionsmoleküle• vermehrte Adhäsion und transendothelialeMigration von Monozyten• Proliferation glatter Muskelzellen• Anstieg von Cholesterin, LDL, Triglyzeriden,vermindertes HDL• LDL-Oxidation• vermehrte Plättchenaggregation• Fibrinogen• verminderte Thrombolyse• Insulinres<strong>ist</strong>enz➛➛➛➛➛➛➛➛Mit einem Raucheranteil von über 40 % <strong>ist</strong> Österreich Spitzenreiterin Europa. Hierzulande rauchen 43 % der Männerund 31 % der Frauen. Bei den Jugendlichen haben dieMädchen mit 26 % bereits die Nase vorne (Burschen 20 %).Zigarettenrauch enthält mehr als 4.000 Inhaltsstoffe. Davonam besten erforscht <strong>ist</strong> Nikotin, welches auch für das Suchtpotenzialverantwortlich <strong>ist</strong>. Nikotin bindet an postganglionärecholinerge Rezeptoren in Gehirn, autonomen Ganglien, Nebennierenund neuromuskulären Endplatten. Als Nettoeffektresultiert eine Sympathikusaktivierung mit Anstieg des Blutdruckesum 5–10 mmHg und der Herzfrequenz um 10–15Schläge pro Minute. Freisetzung von Katecholaminen und Vasopressinsowie verminderte NO-Bildungtragen zur Vasokonstriktion undErhöhung des peripheren Gefäßwiderstandesbei. Für die gefäßschädigendeWirkung durch Zigarettenrauch dürftendiese Effekte aber von untergeordneterBedeutung sein. Wahrscheinlich stellt der oxidative Stressdurch Zigarettenrauch die Hauptursache dar. Zigarettenrauchenthält große Mengen an freien Radikalen und stimuliert zusätzlichdie endogene Radikalbildung, zum Beispiel durch Stimulierungvon Leukozyten. Weitere zentrale pathogenetischeMechanismen sind proinflammatorische Effekte, direkte Toxizitätan Endothelzellen, Lipidmodifikation und Insulinres<strong>ist</strong>enzals Folge des Rauchens (Tabelle 1).Akute Effekte auf die NiereZigarettenrauchen führt bei Nierengesunden durch intrarenaleVasokonstriktion zu einer Zunahme des renovaskulären Widerstandes,einer Abnahme der Filtrationsfraktion und einerAbnahme der glomerulären Filtrationsrate um etwa 20ml/min. Diese akute Verringerung der GFR fehlt bei Patientenmit einer IgA-Nephropathie, allerdings findet sich ein Anstiegder Albuminausscheidung. Bei chronischen Rauchernfehlen diese akuten Auswirkungen von Nikotin auf die renaleHämodynamik ebenfalls, dafür <strong>ist</strong> bei ihnen eine konstanteReduktion des renalen Plasmaflusses bei erhaltener GFR zu beobachten.Epidemiologische UntersuchungenUniv.-Doz. Dr.Karl LhottaIm Rahmen der PREVEND-Studie (bei allen erwachsenenEinwohnern der Stadt Groningen) war das Risiko für eineMikroalbuminurie bei Rauchern um 30 % höher als bei Nichtrauchern.Bei Probanden, die mehr als 20 Zigaretten pro Tagrauchen, war das Risiko sogar verdoppelt. In derselben Studiewurde gezeigt, dass das Risiko für eine reduzierte GFR fürRaucher um 60 % erhöht <strong>ist</strong> und sich, ähnlich der Mikroalbuminurie,bei starken Rauchern verdoppelt. Auch in einergroßen australischen Studie (AusDiab Kidney Study) an gesundenProbanden war Rauchen mit einem um 60 % höherenRisiko für eine Proteinurie verbunden. In derselben Studiewurde ein erhöhtes Risiko für eine eingeschränkte Nieren-


Tabelle 2: Auswirkungen von Rauchen auf dieNiere und NierenerkrankungenAkut• Abfall der GFR bei Gesunden• Anstieg renovaskulärer Widerstand• Albuminurie➛Chronisch• erhöhte Inzidenz von Mikroalbuminurie undverminderter GFR• beschleunigte Progression(GFR-Verlust ca. 50 % größer)• erhöhtes Risiko für ESRD bei Zystennnieren undIgA-Nephropathie• atherosklerotische Nierenarterienstenose• Herzinsuffizienz und PAVK bei Dialyse• höhere Mortalität bei Dialyse• erhöhte Mortalität nach NTX• doppeltes Risiko für Transplantatverlustfunktion von 30 % gefunden. Dieses Risiko war bei Männernsogar 4-mal höher. Jedes gerauchte Pack-Year verringerte dieGFR um 3–4 ml/min.Auch das Risiko für eine höhergradige <strong>Niereninsuffizienz</strong> (inetwa Stadium 4) wird durch Rauchen vergrößert. So fand eineCase-Control-Studie in Schweden ein für Probanden, die mehrals 20 Zigaretten pro Tag rauchen oder mehr als 30 Pack-Yearsrauchten, ein um 50 % erhöhtes Risiko. Dieses Risiko bestandvor allem für die Diagnosen Nephrosklerose und chronischeGlomerulonephritis.Rauchen und KrankheitsprogressionZahlreiche Untersuchungen belegen, dass Rauchen die Progressionverschiedenster chronischer Nierenerkrankungenbeschleunigt. Eine Studie bei Patienten mit schwerer essenziellerHypertonie fand bei Nichtrauchern einen GFR-Verlustvon 0,1 ml/min pro Monat im Vergleich zu 0,4 ml/min proMonat bei Rauchern. Bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes wird dasRisiko für das Auftreten einer Mikroalbuminurie und Makroalbuminurieum das 2–3-Fache erhöht. Eine prospektive Untersuchungbei Typ-2-Diabetikern unter optimaler BlutzuckerundBlutdruckeinstellung inklusive ACE-Hemmer zeigte beiRauchern einen monatlichen GFR-Verlust von 0,7 ml/min imVergleich zu 0,4 ml/min bei Nichtrauchern. Bei den Rauchernnahm die Proteinurie um 4 g/Tag zu (Nichtraucher 1 g/Tag).Für Patienten mit Zystennieren oder IgA-Nephropathie, die5–15 Zigaretten rauchen, <strong>ist</strong> das Risiko für Erreichen einer terminalen<strong>Niereninsuffizienz</strong> um den Faktor 3,5, bei mehr als15 Zigaretten um den Faktor 5,8 erhöht. Zumindest in dieserUntersuchung konnte das Risiko bei Rauchern durch Gabeeines ACE-Hemmers deutlich reduziert werden.Rauchen bei Dialysepatienten➛Der Anteil von rauchenden Dialysepatienten scheint deutlichgeringer zu sein als in der Allgemeinbevölkerung (7–14 % imVergleich zu 30 %). Die Ursache dafür <strong>ist</strong> unklar, dürfte aberam ehesten in einer erhöhten kardiovaskulären Mortalität beiRauchern mit chronischer <strong>Niereninsuffizienz</strong> liegen. Rauchen<strong>ist</strong> bei Dialysepatienten mit einem vermehrten Auftreten vonHerzinsuffizienz (+60 %) und PAVK (+70 %) sowie mit einererhöhten Mortalität (+40 %) assoziiert.Rauchen und NierenarterienstenoseEine schwere hämodynamisch signifikante atherosklerotischeNierenarterienstenose kommt fast ausschließlich bei Rauchernvor. 70–80 % dieser Patienten sind Raucher.Rauchen nach NierentransplantationEigene Untersuchungen zeigen, dass der Anteil an Patienten,die nach einer NTX rauchen, deutlich rückläufig <strong>ist</strong>.Während von Patienten, die vor 1990 transplantiert wurden,über 30 % rauchten, <strong>ist</strong> der Anteil auf derzeit etwa 10 %zurückgegangen. In der ALERT-Studie erhöhte Rauchen dasRisiko für Transplantatverlust sowie Verdoppelung des Serumkreatininsnach 5–6 Jahren um das 2,3-Fache. Ähnliche Ergebnissewurden auch von anderen Autoren gefunden. AndereUntersuchungen fanden eine erhöhte Mortalitätsrate beiRauchern (RR 1,42) durch kardiovaskuläre Ereignisse und einerhöhtes Auftreten maligner Tumoren bei Rauchern nachNTX. Auch eine Raucheranamnese des Spenders (lautUNOS bei 40 % positiv) <strong>ist</strong> mit einer geringgradigen Reduktiondes Transplantatüberlebens verbunden.H<strong>ist</strong>ologische Veränderungen bei RauchernEigene Untersuchungen an Biopsien von Patienten mit Glomerulonephritisergaben, dass durch Rauchen vor allem diekleinen renalen Arterien im Sinne einer myointimalen Hyperplasiegeschädigt werden. Diese Veränderungen sind unabhängigvom Blutdruck der Patienten. Daneben fand sich auch einTrend zu einer vermehrten Hyalinose der Arteriolen. EigeneUntersuchungen bei Nierentransplantierten bestätigen dieseErgebnisse, wobei diese Veränderungen in Nierentransplantatenwesentlich früher auftreten als in Eigennieren. Eine experimentelleStudie an teilnephrektomierten Ratten fand zusätzlicheine vermehrte Glomerulosklerose und tubulointerstitielleFibrose unter dem Einfluss von azetongelöstem Zigarettenrauch.■Es steht heute außer Zweifel, dass Zigarettenrauchensowohl ein Risikofaktor für das Auftreten einer Nierenerkrankungals auch ein wesentlicher Progressionsfaktorbei bestehender Nierenerkrankung <strong>ist</strong>. Einstellen einesNikotinabusus <strong>ist</strong> die wirksamste progressionshemmendeMaßnahme und somit ein ganz wichtiger Aspekt in derBehandlung nierenkranker Patienten.


⊳Offizielle Verabschiedung der Teilnehmerdurch Dr. Elisabeth Zanon, Gesundheitslandesrätinund Landeshauptmann-Stv.von TirolLinks von ihr: Dr. Herbert Weissenböck(Vorstand TILAK), rechts: MichaelPrenner (Organisator Euregio),Univ.-Prof. Dr. Chr<strong>ist</strong>of Hörmann(Univ.-Klink für Anästhesie, Innsbruck)Euregio-Tour <strong>2006</strong> für die TransplantaEine 320 km lange Radtour – in nur 3 Tagen von Innsbrucknach Verona. Die von Wyeth unterstützte Euregio-Tour<strong>2006</strong> <strong>ist</strong> ein eindrucksvolles Beispiel dafür,dass Organtransplantierte dank moderner Medikamentewieder mitten im Leben stehen können und sogar sportlicheHöchstle<strong>ist</strong>ungen erbringen können.23. Juni <strong>2006</strong>, acht Uhr morgens, der Platz vor dem InnsbruckerTivoli-Stadium füllt sich mit ambitionierten Radfahren,die zu einer dreitägigen Tour nach Verona aufbrechenwollen. Auf den ersten Blick scheint es eine normale Veranstaltungzu sein. Dennoch <strong>ist</strong> diese zum sechsten Mal veranstalteteTour etwas Besonderes: Organisiert wird die „Radtourfür die Transplantation“ von Michael Prenner, demzweifach nierentransplantierten Präsidenten des TransplantSportclubs Südtirol – Alto Adige, in Zusammenarbeit mit derKlinischen Abteilung für Allgemein- und Transplantationschirurgieder Univ.-Klinik Innsbruck.Innsbruck–Verona in 3 TagenInsgesamt 320 km gilt es in drei Tagen zu bewältigen, dasZiel <strong>ist</strong> Verona. Die erste Etappe erstreckt sich von Innsbrucküber den Brenner nach St. Leonhard, die zweite über Eppannach Trento, die dritte über Rovereto nach Verona.Die Gruppe <strong>ist</strong> bunt gemischt, die Teilnehmer kommen ausÖsterreich, Deutschland, Italien, Norwegen und Belgien.Insgesamt stellen 91 Personen, darunter 22 Transplantierte,18 Ärzte, 28 Krankenschwestern, 22 Begleitpersonen und lastnot least Ralf Knauseder, M.Sc., von Wyeth ihr sportlichesKönnen und ihre Belastbarkeit unter Beweis.Starkes Zeichen für die Transplantation und OrganspendeZiel dieser sportlichen Initiative <strong>ist</strong> es, die Öffentlichkeit fürdie Transplantation und für die Wichtigkeit der Organspendezu sensiblisieren. „Wir können zwar auf immer größere Erfolgein der Transplantationschirurgie und bei den Medikamentengegen Abstoßungsreaktionen verweisen, stoßenaber aufgrund der zu geringen Zahl an Spenderorganen anunsere Grenzen“, skizziert Univ.-Prof. Dr. Raimund Margreiter,der Vorstand der Innsbrucker Univ.-Klinik für Chirurgieund Leiter der Klinischen Abteilung für Allgemein-,Nach rund 250 km immer noch wohlauf:Univ.-Prof. Dr. Alfred Königsrainer undRalf Knauseder, M.Sc.


Zwischenstationin SterzingBlick vomJaufenpass ins TalJaufenpass (2094 m):Ralf Knauseder (Wyeth)freut sich, dass er esgeschafft hat.tion⊳Start in Innsbruck vor dem GoldenenDachl: 320 km liegen vor densportlichen Teilnehmern.ao. Univ.-Prof. Dr. Stefan Schneeberger,Univ.-Klinik für Chirurgie, Transplantationv. l. n. r.: Hermann Fetz (TransplantkoordinatorUniversitätsklinik Innsbruck,Mitorganisator Euregio), Dr. HerbertWeissenböck (Vorstand TILAK),Dr. Elisabeth Zanon (Gesundheitslandesrätinvon Tirol) und Michael Prenner(Organisator Euregio)Univ.-Prof. Dr. Alfred Königsrainer, Univ.-Klinik TübingenFOTOS: R. KNAUSEDERThorax- und Transplantationschirurgie, die Problematik.Die von der Firma Wyeth unterstützte Euregio-Tour verstehtsich auch als Dank an die Organspender. Darüberhinaus <strong>ist</strong> sie ein eindrucksvoller Beweis dafür, dass Patientendurch eine Organtransplantation nicht nur überlebenkönnen, sondern dass sich dank moderner Medikamentedieses Leben auch höchst lebenswert gestalten lässtund sogar sportliche Höchstle<strong>ist</strong>ungen ermöglicht.Um welche Höchstle<strong>ist</strong>ungen es sich hier handelt, welcheKräfte diese Tour den Teilnehmern abverlangte und welcheKondition für diese Le<strong>ist</strong>ungen tatsächlich notwendigwar, lässt sich am besten an den Worten von RalfKnauseder, Wyeth, erahnen, der sich – nach Eigendefinition– als untrainierter Schreibtischathlet der Herausforderunggestellt hat. „Ich musste allerdings feststellen, dassich leider immer der Letzte war. Ich war bege<strong>ist</strong>ert von dergroßen Kameradschaft, die mir von den Teilnehmern entgegengebracht wurde.“■Sportler unter Tour<strong>ist</strong>en: Ankunft in Verona

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