10 Barbara Scholkmann, Tübingen Bewertet man die Sitzung und ihre Beiträge insgesamt, so ist festzustellen, daß zu den vielfältigen Fragestellungen der Historischen Umweltforschung insbesondere durch die Kooperation zwischen der <strong>Archäologie</strong> und den verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen wichtige neue Erkenntnisse zu gewinnen sind. Dies gilt <strong>für</strong> die Ebene der Problemstellung ebenso wie diejenige der Interpretation. Sie zu intensivieren und, wenn möglich, durch Heranziehen weiterer Disziplinen auf eine noch breitere Grundlage zu stellen, wird eine wichtige Aufgabe der weiteren Forschung in diesem Bereich sein.
Vorträge Heidelberg: Historische Umweltforschung Anthropologische Dimensionen der historischen Umweltforschung Jenseits der konzeptualisierten Vorstellungen von Umweltdeterminismus 1 oder, in seiner moderneren Form der Kulturökologie 2 , betreibt die historische Umweltforschung die Geschichte nicht nur auf der materiellen Basis von Sachüberresten sondern auch als Geschichte der Wahrnehmung von Umwelt als einer Voraussetzung von Handlungen 3 und der Handlungen in ihren Wirkungen und Nebenwirkungen auf die Umwelt. Entsprechend rückt unser mittellaterliche Illustrator den handelnden Menschen in den Bildmittelpunkt einer vom ihm gestalteten Umwelt 4 . Daß der Rand der Ökumene in Wildnis/Wüstenei verharrt und Tiere als real abgebildet werden, die niemand je gesehen hat, weist aber auch auf eine grundsätzlich andere Dimension der Dinge gegenüber heute. Mit dem Aufkommen der naturwissenschaftlichen Sichtweise zu Beginn der Neuzeit wird die Wahrnehmung der physischen Welt im Abendland abgetrennt von der menschlichen Subjektivität 5 . Dem mittelalterlichen Illustrator ist hingegen bei aller alltagspraktischen Wahrnehmung eine andere Großalternative 6 verpflichtend: Bevor sich die Dinge in einer Welt konstanter Sinneswahrnehmung darbieten, sind sie bereits ein Werk <strong>des</strong> Geistes. D. h., die Außenwelt existiert in ihrer Vielschichtigkeit als Konstruktion <strong>des</strong> sozialisierten Menschen, <strong>für</strong> den ein Drachen damit zu einem wirklich möglichen Lebewesen wird. Für ihn verpflichtend ist die Einsicht, daß der Mensch fest eingebunden ist in die Welt <strong>des</strong> Schöpfergottes, mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen. Natur und Naturereignisse sind Ausdruck göttlichen Willens, seiner Schöpferkraft, seiner Großmut und Barmherzigkeit ebenso wie seines Unmutes oder Zornes. Dieter Groh, der ideengeschichtlich <strong>für</strong> die Vorbereitung der Umweltgeschichte in Deutschland bleibende Verdienste hat und an <strong>des</strong>sen eine Darstellung ich den Titel <strong>des</strong> Vortrages angelehnt habe 7 , hat die drei Kategorien »Gefährdungsminimierung«, »Unterproduktivität« und »Mußepräferenz« als zentral <strong>für</strong> archaische Subsistenzwirtschaften ausgemacht. Ohne besondere Anstrengungen wird man auch die mittelalterliche und frühneuzeitliche Wirtschaftsweise im wesentlichen als auf Subsistenzwirtschaft gegründet bezeichnen dürfen. Die bereits vorhandenen Ströme nachwachsender Rohstoffe oder Nahrungsmittel, die als Holz, Getreide, Wein, Hering oder Ochsen in den Fernhandel gehen, spielen <strong>für</strong> die grundsätzliche Bewertung keine entscheidende Rolle. Entscheidender ist, daß in den Ökonomien, die vor der Entwicklung einer eigenständigen Ökonomietheorie existieren 8 , Gefahrvermeidungsstrategien, Eigenwert von Produktivität und Arbeitsethos in anderer Weise moderiert werden. Da es auch im Mittelalter und der Frühen Neuzeit Gemeinschaftsleistungen mit hoher Bindung von Arbeitskraft gab, wäre grundsätzlich auch der Weg <strong>für</strong> eine landwirtschaftliche Produktivitätssteigerung gangbar gewesen mit dem Ziel der Erhöhung allgemeiner Prosperität. Daß dies nicht der Fall war, sehe ich in der eingangs festgestellten anderen gesellschaftlichen Großalternative begründet. Dies läßt sich an einem einfachen Beispiel zeigen: Das Prinzip der individuellen Nutzen- Bernd Herrmann, Göttingen 1 Sichtweise, die seit Ende <strong>des</strong> 19. Jh. auf den Geographen Friedrich Ratzel zurückzuführen ist. 2 Julian Steward, Cultural causality and law: a trial formulation of the development of early civilizations. American Anthropologist 51, 1-27 3 Verena Winiwarter, Was ist Umweltgeschichte?, IFF Wien 1998 4 Abb aus dem mittellalterlichen Manuskript MS 12322 der Bibliotheque Nationale,Paris 5 das klassische okzidentale Paradigma der Neuzeit. Hierzu z.B: Svetlana Alpers, Kunst als Beschreibung, Köln 1998, bes. Kapitel 3; sowie Grundsätzliches zum Paradigmenwechsel neben dem Wissenschaftshistoriker Thomas Kuhn auch Michel Foucault, Die Geburt der Klinik, Frankfurt 1976, Vorrede. 6 die Verwendung <strong>des</strong> vorsteuerungsfreien Begriffes »Großalternative« anstelle der Begriffe »Mentalität«, »Ideologie« usw. folgt hier einem Vorschlag von Niklas Luhmann, Soziologie <strong>des</strong> Risikos, Berlin usw 1991 7 Dieter Groh, Anthropologische Dimensionen der Geschichte, Frankfurt 1992, insbesondere das Kapitel »Strategien, Zeit und Ressourcen«, hat mich bei der Abfassung angeregt, obwohl ich seine Beurteilung nicht durchgängig teile. 11