18.11.2012 Aufrufe

Bernd Scharwies - Rebalancing Schule München

Bernd Scharwies - Rebalancing Schule München

Bernd Scharwies - Rebalancing Schule München

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Wenn Gefühle krank machen<br />

Verdauen und Vertrauen aus körpertherapeutischer Sicht | <strong>Bernd</strong> <strong>Scharwies</strong><br />

Mitte der 1980er-Jahre entdeckten die<br />

beiden australischen Mediziner Marshall<br />

und Warren den Keim Helicobacter pylori<br />

als Ursache für Magengeschwüre. Marshall<br />

ließ sich 1985 im Selbstversuch den Magen<br />

spiegeln (nichts Auffälliges wurde gefunden),<br />

anschließend nahm er Helicobakter<br />

flüssig zu sich und entwickelte wenige<br />

Tage später eine Gastritis. Antibiotika<br />

wurden, u. a. wegen einer 1988 veröffentlichten<br />

Studie (Marshall, Goodwin,<br />

Warren), nach der Magengeschwüre mit<br />

Antibiotika geheilt werden konnten, zum<br />

Mittel der Wahl. Scheinbar eine logische<br />

Erklärung. Dem entgegen hält der Mediziner<br />

Thure von Uexküll, Begründer der Psychosomatik,<br />

dass etwa 90 Prozent der Erwachsenen<br />

im Laufe ihres Lebens mit Helicobacter<br />

infiziert sind, aber nur ein Bruchteil<br />

von ihnen jemals an einem Geschwür<br />

erkrankt.<br />

Unsere Gedanken und Gefühle beeinflussen<br />

unser Sein und unser Wirken und machen<br />

uns als Menschen aus. So löst die Erfahrung<br />

von Liebe oft positive Gefühle und Geborgenheit<br />

aus. Dass dies gesund ist, zeigt sich<br />

an einem verbesserten Heilungsverlauf bei<br />

schweren Erkrankungen wie Herzinfarkt,<br />

Schlaganfall oder Krebs. Hingegen leiden<br />

Frauen unter einfachen Krankheiten wie einem<br />

grippalen Infekt oder bei Magenverstimmung<br />

häufiger, wenn sie das Gefühl haben,<br />

dass sie von ihrem Mann kaum beachtet<br />

werden (Leverson, Carstensen,<br />

Gottmann).<br />

Das sehr alte Wissen, dass der Körper leidet,<br />

wenn die Seele krank ist, wird auch in der modernen<br />

Neurobiologie und der Neurophysiologie<br />

nachgewiesen.<br />

„Epidemiologische Untersuchungen haben<br />

gezeigt, dass unter Patienten mit Reizdarmbeschwerden<br />

Menschen mit Angststörungen<br />

und schweren Belastungen wie körperlichem<br />

oder sexuellem Missbrauch häufiger<br />

sind (Levy, Olden, Nalibofff). Zudem sind<br />

Patienten, die über Bauchschmerzen unklarer<br />

Ursache klagen, wohl empfindlicher für<br />

Reize aus dem Verdauungstrakt.“ (Werner<br />

Bartens 2010)<br />

Mehrere Faktoren können unklare chroni-<br />

sche Magen-Darm-Beschwerden begünstigen:<br />

starke Angst, Missbrauch in der Vergangenheit<br />

sowie eine Überempfindlichkeit<br />

für ungewohnte oder irritierende Signale<br />

aus der Körpermitte. Wer kennt nicht das<br />

Unwohlsein in der Bauchgegend vor einem<br />

schwierigen Gespräch, einer Prüfung oder<br />

anderen unangenehmen Alltagssituationen?<br />

Manche Klienten verspüren vor einer<br />

Prüfung ein flaues Gefühl im Magen, andere,<br />

dass sie vor lauter Angst Durchfall hätten.<br />

Einige unter uns erleben ein Kribbeln im<br />

Bauch, wenn sie sich verlieben.<br />

Unser Bauch ist eine Informationszentrale.<br />

Er gibt uns klare Zeichen, wenn in uns etwas<br />

vorgeht, was uns bewegt.<br />

Unser Bauch produziert ständig Gefühle,<br />

und es liegt an uns, Denken, Handeln und<br />

Fühlen in Einklang zu bringen. Gefühle sind<br />

Bewegungen (Emotionen), Informationen,<br />

die unser Körper uns laufend als Unterstützung<br />

zur Verfügung stellt. Oft ist es der<br />

Bauch, der uns eine wichtige Erstinformation<br />

gibt. Sei es eine Warnung, sei es Aufregung,<br />

Freude, Wut oder Angst. Er kann sich<br />

auch zusammenziehen; dann verspüren wir<br />

Druck, Übelkeit, Verdauungsstörungen. Kindern<br />

gelingt es mühelos, dieser Information<br />

eine Stimme zu geben, denn sie bewerten<br />

sie nicht. Erwachsene dagegen verdrängen<br />

sie oder noch schlimmer, sie nehmen sie gar<br />

nicht wahr.<br />

Unser Verdauungstrakt ist ein Wunder. Er<br />

verfügt über ein eigenes Nervensystem und<br />

besitzt mehr Nervenzellen als unser Gehirn.<br />

Er wird über den Parasympathikus angesprochen<br />

und bestimmt unseren Gemütszustand<br />

maßgeblich. Das wird uns jeder bestätigen,<br />

der schon einmal unter einem angespannten<br />

Bauch gelitten hat. Viele Menschen haben<br />

vor aufregenden Situationen, wichtigen<br />

Treffen oder, wenn sie jemandem die Wahrheit<br />

sagen müssen, einen angespannten<br />

Bauch.<br />

Jeder ungelöste Konflikt wirkt sich auf unseren<br />

Bauch aus.<br />

So hat das Erleben einer Trennung und das<br />

dabei entstehende Angstgefühl zur Folge,<br />

dass sich Atemvolumen und Bewegungsim-<br />

Bild: fotolia.de /<br />

puls verringern und Druck im Bauch erzeugt<br />

wird, den wir nicht durch Anstrengung, konzentriertes<br />

Denken oder andere Bemühungen<br />

verändern können. Dadurch erzeugen<br />

wir nur noch mehr Druck. Das muss nicht unbedingt<br />

schmerzhaft sein.<br />

Patienten mit chronischen Unterbauchschmerzen,<br />

die eine eindeutige Diagnose erwarten,<br />

werden regelmäßig enttäuscht. Das<br />

wundert mich keineswegs. Bei jedem Dritten<br />

wird die Ursache für den Schmerz auf<br />

dem Operationstisch gesucht. Zwar finden<br />

die Operateure oft Veränderungen, die womöglich<br />

die Schmerzen hervorrufen, doch<br />

selbst wenn diese Veränderungen operativ<br />

korrigiert werden, lassen die Schmerzen oft<br />

nur für kurze Zeit nach oder bleiben sogar<br />

unverändert. Nach jedem Eingriff entstehen<br />

außerdem Verwachsungen, die weitere<br />

Schmerzen verursachen können, die man<br />

dann durch weitere Eingriffen zu lösen versucht.<br />

Ein Teufelskreis aus Schmerz und<br />

Operation.<br />

Bei Bauchschmerzpatienten gilt grundsätzlich:<br />

Angst und Verzweiflung verstärken die<br />

Beschwerden, weil der Verdauungstrakt offensichtlich<br />

empfindsamer ist und Schmerzen<br />

im Gehirn verstärkt wahrgenommen<br />

werden.<br />

Die Neurobiologie bestätigt, dass Gefühle<br />

im Körper ein bestimmtes Reaktionsmuster<br />

hervorrufen, das durch Botenstoffe übermittelt<br />

wird. Gedanken können uns animieren,<br />

bestimmte Gefühle hervorzubringen.<br />

Wir haben Einfluss darauf, wie wir mit den<br />

Gedanken und den Gefühlen, die sie auslösen,<br />

umgehen. Meditationsformen wie die<br />

Zen-Meditation helfen dabei, diese Freiheit<br />

zu gewinnen. Dies ist unmittelbar erfahrbar:<br />

Wenn sie sich an ein schönes Erlebnis erin-<br />

Juni | 2012


nern, erleben sie unmittelbar gute Gefühle<br />

und damit verbunden ein verändertes Körpergefühl.<br />

Probieren sie es! Ich setze diese<br />

Methode gerne ein, wenn ein Klient beim<br />

Gespräch keinen Zugang zu etwas Leichtem<br />

in seinem Körper findet. Das Gute daran ist,<br />

dass es sofort wirkt. Umgekehrt natürlich<br />

auch: Erinnern sie sich an ein schmerzhaftes<br />

Erlebnis, bekommen sie unangenehme Gefühle,<br />

als ob sie es gerade wirklich erleben.<br />

In meiner Jugend las ich einen Ratgeber aus<br />

der „alternativen Szene“ mit dem Titel „Lieber<br />

krank feiern, als gesund schuften“. In<br />

diesem Buch wurden Symptome beschrieben,<br />

mit denen sich jemand, so hieß es, ohne<br />

Probleme krankschreiben lassen könne.<br />

Dort las ich z. B. für Magenschleimhautentzündung:<br />

„Mit einer Magenschleimhautentzündung,<br />

also einer Entzündung der Innenhaut<br />

des Magens, kannst Du so zwei bis vier<br />

Wochen krankgeschrieben werden. Die Gastritis<br />

kann Jeder mal kriegen. Ursachen sollen<br />

sein: Bakterien, unverträgliche Speisen,<br />

Alkohol oder Medikamente [...] Die Gastritis<br />

ist das bekannteste Beispiel für eine Stresskrankheit.<br />

[…] Hier erkennen sogar die Ärzte<br />

die sozialen und psychischen Ursachen<br />

an.“ Dann werden die typischen Beschwerdebilder<br />

detailliert aufgelistet – mögliche<br />

Fragen des Arztes und mögliche Antworten.<br />

Ich entschied mich damals für ein Experiment.<br />

Ich las die Berichte ausführlich und<br />

machte mich auf den Weg zum Arzt. Und tatsächlich<br />

grummelte und drückte es in meinem<br />

Bauch. Das war nicht eingebildet – die<br />

Schmerzen traten tatsächlich auf. Kaum<br />

aber hatte ich das Attest des Arztes in der<br />

Tasche, waren die Symptome wenige Minuten<br />

später vorbei.<br />

Gedanken und Gefühle sind assoziiert, weil<br />

sich entsprechende neuronale Verbindungen<br />

(Synapsen) bilden, je nachdem wie<br />

stark das auslösende Erlebnis ist. Diese Verbindungen<br />

lassen sich neu bilden, denn wir<br />

besitzen ein „formbares“ Gehirn, das wir ein<br />

Leben lang umstrukturieren können (neuronale<br />

Plastizität).<br />

Solange wir denken können, ist es uns auch<br />

möglich, neue Gedanken zu denken, neue Gefühle<br />

zu haben und neue Erfahrungen zu machen.<br />

Auch in der Intelligenzforschung hat man<br />

herausgefunden, dass wir an sich bis zum<br />

Tod lernfähig sind, wenn wir nur wollen.<br />

Hören wir auf unseren Bauch<br />

Juni | 2012<br />

Wie steht es um Ihren Bauch? Nehmen sie<br />

ihn wahr? Haben sie ein wohliges, warmes<br />

Bauchgefühl? Hören sie Bauchgeräusche,<br />

ein Glucksen? Atmen sie bitte einige Male in<br />

Ihren Bauch. Die Bauchwand sollte sich bei<br />

jedem Atemzug ausdehnen. Viele Klienten<br />

wollen genau dies vermeiden – „Bauch rein,<br />

Brust raus“ ist ihr anstrengendes Ideal –,<br />

dabei bleibt der Bauch eingezogen, das<br />

Zwerchfell bewegt sich kaum. Ganz anders<br />

ist es, wenn sich das Einströmen der Luft bis<br />

in Ihren Bauch hinein auswirkt, so dass sich<br />

die Bauchwand entspannt nach außen<br />

wölbt. Das Zwerchfell ist dann frei beweglich<br />

und schafft Platz für die Eingeweide im<br />

Bauch, die ihrer Tätigkeit nun ungehindert<br />

nachkommen können. Der Bauch ist weich,<br />

empfindlich und verletzlich. Lebenswichtige<br />

Organe sind in ihn eingebettet und benötigen<br />

genügend Raum, um gut arbeiten zu<br />

können. Aus den Büchern des Arztes Ruediger<br />

Dahlke lernte ich viel über die Psychosomatik<br />

des Bauches. In unserer Kultur wird<br />

viel Geld, Zeit und Anstrengung aufgewendet,<br />

um den Bauch in die Norm zu pressen.<br />

Vor noch nicht gar so langer Zeit hielt das<br />

Korsett den Bauch der Frauen in unnachgiebiger<br />

Umklammerung, und selbst heute<br />

noch vollbringt das elastische Mieder wahre<br />

Wunder. Den Rest erledigt das Fitness-Studio.<br />

Im Orient verfolgt man ein völlig anderes<br />

Ideal. Dort heißt es: „Eine Frau ohne<br />

Bauch ist wie ein Himmel ohne Sterne.“ In<br />

Indien ist der Bauch des Mannes ein Symbol<br />

für Reichtum. Im Buddhismus wird die<br />

Buddhafigur meist mit einem runden Bauch<br />

dargestellt, als Zeichen des Loslassens und<br />

der Erdung.<br />

Beginnen Sie regelmäßig damit, leicht in<br />

den Bauch hinein zu atmen, ihn leicht zu berühren<br />

oder zu massieren, dann werden sie<br />

zunehmend mit Ihren Bauchgefühlen in<br />

Kontakt kommen. Ihr Bauchzentrum hat eine<br />

eigene Seele. Zu ihr gehören die Grundtriebe<br />

Hunger, Sexualität, Empfindungen,<br />

Instinkte. Unser Kopf hat oft andere Vorstellungen,<br />

womit, wann und wie unsere fundamentalen<br />

Bedürfnisse befriedigt werden<br />

könnten. Gleichgewicht entsteht in unserem<br />

Körper, wenn Kopf und Bauch wieder im<br />

Einklang miteinander funktionieren.<br />

In meiner Praxis und in den Ausbildungsgruppen<br />

beobachte ich, dass sich der<br />

Mensch vor allem mit den oberen Regionen<br />

seines Körpers beschäftigt, mit seinen intellektuellen<br />

Fähigkeiten und seinem Oberkörper.<br />

Mit der Folge, dass er seine Mitte,<br />

<strong>Bernd</strong> <strong>Scharwies</strong><br />

ist Heilpraktiker, Körpertherapeut, Dozent<br />

und Fachbuchautor. Seine Ausbildungen<br />

umfassen <strong>Rebalancing</strong>, Cranio-<br />

Sacral Therapie, Counseling (Gesprächstherapie)<br />

und Atemtherapie.<br />

1995 gründete er gemeinsam mit seiner<br />

Frau Elfi Müller-<strong>Scharwies</strong> die <strong>Rebalancing</strong><br />

<strong>Schule</strong> <strong>München</strong>.<br />

Kontakt:<br />

Georgenstr.63, D-80799 <strong>München</strong><br />

Tel.: 089 / 26024144<br />

info@rebalancing.de<br />

www.rebalancing.de<br />

den Ort seiner Kraft, verliert.<br />

In <strong>Schule</strong>n östlicher Weisheit wird das Zentrum<br />

im Bauch Hara (Japan), Tan-Tien (China)<br />

und Kath (Sufismus) genannt. Für alle<br />

ist der Bauch das Zentrum der Vitalität.<br />

In unserer westlichen Welt dagegen muss<br />

der Bauch flach und eingezogen sein. Das<br />

Gefühl, mit dem Zentrum Bauch vollständig<br />

in Kontakt und geerdet zu sein, kennen nur<br />

wenige. Im <strong>Rebalancing</strong> erlebe ich oft eine<br />

tiefgreifende Veränderung, wenn dies geschieht.<br />

Die Lunge füllt sich stärker mit<br />

Luft, die Genitalien werden lebendiger, die<br />

Energie des Atems erreicht die Beine, und<br />

die Eingeweide lockern sich.<br />

Den Bauch einzuziehen und zu verstecken,<br />

hat seinen Preis.<br />

Bei H., einer Ausbildungsteilnehmerin, fließen<br />

viele Tränen, als wir achtsam ihren<br />

Bauch berühren. All die Anstrengungen, der<br />

Verzicht und die Entbehrungen halfen ihr<br />

die letzten Jahrzehnte, ihren Bauch flach zu<br />

halten. Für wen hat sie sich so gequält? Der<br />

flache Bauch repräsentierte ihre Selbstkasteiung<br />

und verdeckte ihren Hunger nach Lebendigkeit.<br />

Was drückt es aus, wenn jemand<br />

alles dafür tut, diesem für das Leben ungeeigneten<br />

Idealbild alles aufzuopfern? Wie<br />

viel Anstrengung verbirgt sich dahinter? H.<br />

ist Anfang fünfzig, eine sehr gewissenhafte<br />

und verantwortungsbewusste Frau. Sie me


ditiert, probiert viel aus und ist im gewissen<br />

Sinn immer auf der Suche. Wonach? Wenn<br />

sie in ihrer Mitte gefestigt ist, mag es ihr Sicherheit<br />

vermitteln. Aber zu welchem Preis?<br />

Ein eingezogener Bauch behindert die Verdauung<br />

der Nahrung und die Verarbeitung<br />

der Lebensgeschichte, denn beides braucht<br />

Platz.<br />

Für die Männer gilt das gleiche. Sie haben<br />

oft das Ideal des Waschbrettbauchs, den<br />

man wirklich nur mit viel Training, wenig essen<br />

und den richtigen Genen erreicht. 89<br />

Prozent der deutschen Männer würden gerne<br />

so aussehen, um gut fürs Leben gerüstet zu<br />

sein. Aber der Panzer hat seinen Preis. An<br />

ihm prallt alles ab – nicht nur die Tritte der<br />

anderen, sondern auch die sanfte Wahrnehmung<br />

der eigenen Gefühle. Außen statt innen;<br />

harte Schale, weicher Kern. Muskelpakete<br />

gehen auf Kosten der Flexibilität.<br />

Verdauen<br />

Die Bauchorgane gehören zum autonomen<br />

Nervensystem und haben sich viel früher als<br />

das Gehirn entwickelt. Als Bauch bezeichnen<br />

wir in der Körpertherapie alles, was zwischen<br />

Zwerchfell und Beckenboden liegt.<br />

Der Bauch beherbergt Magen, Bauchspeicheldrüse<br />

(Pankreas), Leber, Gallenblase,<br />

Darm, Nieren und Blase. Alle diese Organe<br />

sind in die Umwandlung der Substanzen einbezogen,<br />

die wir unserem Körper zuführen,<br />

damit sie der Organismus aufnehmen und<br />

verwerten kann. Die Reste werden überwiegend<br />

ausgeschieden. In meiner Praxis begegnen<br />

mir oft Menschen, die mit Verstopfung<br />

zu tun haben. Das bedeutet, dass die<br />

Peristaltik nicht richtig funktioniert. Der<br />

Verdauungstrakt ist stumm, nahezu erstarrt.<br />

Meine Frage ist dann, ob das vielleicht dem<br />

aktuellen Lebensgefühl entspricht. Wenn ja,<br />

dann wäre eine schnelle Abhilfe das Erleben<br />

etwas wirklich Aufregenden, das den Bauch<br />

in Aufruhr versetzt.<br />

Führen Sie ein aufregendes Leben? Oder sind<br />

sie eher ständig mit Ihren Gedanken beschäftigt?<br />

Gedanken können unsere Lebendigkeit<br />

beeinträchtigen.<br />

Wenn wir nicht abschalten können, verlieren<br />

wir Lebensenergie. Alles – Lebensfreude,<br />

Ärger, gute Ideen – bleibt gewissermaßen<br />

im Halse stecken. Dann sind wir vielleicht<br />

überempfindlich, ungeduldig und ängstlich.<br />

Beobachten wir einmal Kinder beim Spielen<br />

und Toben, sich streiten, wenn sie lachen<br />

oder weinen. Wie instinktiv und ohne intel-<br />

lektuelle Kontrolle sie „aus dem Bauch heraus“<br />

leben – unabhängig von Sollen und<br />

Müssen. Wenn es uns gelingt, mehr aus unserem<br />

Bauch heraus zu leben, werden wir<br />

beobachten, wie sehr uns unser Bauch als<br />

erstklassige Informationszentrale dient.<br />

Vermutlich wird es uns gelingen, alles Mögliche<br />

problemloser zu verdauen, Nahrung<br />

genauso wie Gefühle oder Informationen.<br />

Zeit nehmen<br />

Papst Eugen III. fragte seinen Berater, den<br />

Zisterziensermönch Bernhard von Clairvaux,<br />

was er für sich tun könne, er finde keine Zeit<br />

mehr. Bernhard antwortete, dass sich jeder<br />

Mensch dreißig Minuten Zeit für sich selbst<br />

nehmen solle. Es gäbe nur eine Ausnahme:<br />

Menschen wie er, der Papst, die nur sehr wenig<br />

Zeit hätten, weil sie beruflich so sehr gefordert<br />

sind. Solche Menschen sollten sich<br />

eine Stunde Zeit für sich selbst nehmen.<br />

Unser Leben wechselt zwischen Spannung<br />

und Entspannung. So bauen z. B. Ihre Muskeln<br />

gerade eine bestimmte Grundspannung<br />

auf, damit Sie jetzt aufrecht sitzen können.<br />

Bei jeder drohenden Gefahr reagiert unser<br />

Körper mit erhöhter Spannungsbildung und<br />

bereitet uns auf Flucht, Angriff oder Ohnmacht<br />

vor. Vollkommen unwichtig, ob diese<br />

Gefahr real ist oder nur in unseren Vorstellungen<br />

existiert. Allein beunruhigende Gedanken<br />

reichen aus, um die entsprechenden<br />

Schutzmechanismen auszulösen. Normalerweise<br />

schafft es unser Köper von allein, diese<br />

Anspannung wieder in Balance zu bringen.<br />

Das erkennen wir an unserem Atem, der<br />

wieder ruhiger und tiefer fließt, außerdem<br />

werden wir wieder klarer denken und fühlen<br />

können. Andauernde Anspannung überfordert<br />

aber die Selbstregulation. Die Muskeln<br />

werden hart und verlieren an Sensibilität.<br />

Ein harter Muskel kann gefühllos wie ein<br />

Stein sein. Deshalb ist die Muskelspannung<br />

ein wichtiger Gradmesser für unser Gefühlsleben.<br />

Wir finden am ganzen Körper Muskeln,<br />

selbst an den zentralen Bauchprozessen ist<br />

die Muskulatur entscheidend beteiligt. Jede<br />

muskuläre Anspannung reduziert unsere<br />

Wahrnehmung der Umwelt und schränkt damit<br />

die Fähigkeit ein, in Interaktion zu stehen<br />

bzw. das gesamte Spektrum unserer Umwelt<br />

wahrzunehmen. Eine eingeschränkte<br />

Sichtweise bewirkt einseitige Emotionen,<br />

die zu weiterer Anspannung bis hin zur Gefühlstaubheit<br />

führen. Das kann sich zum<br />

Beispiel in kalten Händen bemerkbar machen.<br />

„Eine Reihe von Krankheiten wurde noch vor<br />

zwanzig bis dreißig Jahren als primär seelisch<br />

bedingt angesehen. Nach der bereits<br />

1950 aufgestellten Liste der „heiligen Sieben“<br />

der Psychosomatik galten Asthma,<br />

Neurodermitis, Geschwüre von Magen und<br />

Zwölffingerdarm, entzündliches Gelenkrheuma,<br />

Schilddrüsenüberfunktion, eine<br />

Verkalkung der Herzkranzgefäße sowie bestimmte<br />

Formen der chronisch entzündlichen<br />

Darmerkrankung als körperlicher Ausprägung<br />

psychischer Leiden.“ (Bartsch<br />

2010)<br />

Nur viele Patienten wollen so etwas nicht für<br />

sich geltend machen. Sie sind überzeugt,<br />

dass ihre Beschwerden organische Ursachen<br />

haben – und wechseln von Arzt zu Arzt.<br />

Doch was war zuerst da: die Henne oder das<br />

Ei? Wer die Wechselwirkung von Körper,<br />

Geist, Seele und das Umfeld und die damit<br />

verbundenen prägenden Erfahrungen des<br />

Menschen nicht berücksichtigt, wird auf<br />

längere Sicht ohne Heilungserfolg bleiben.<br />

„Ein Arzt muss über Wahrnehmungsvermögen<br />

und Tastsinn verfügen, die es ihm ermöglichen,<br />

sich in die Befindlichkeiten der<br />

Patienten einzufühlen.“ (Paracelsus) Leider<br />

konzentriert sich auch vermehrt die „Alternativmedizin“<br />

auf vieles, was sich messen,<br />

bestimmen und analysieren lässt.<br />

„In der Konzentration auf zelluläre Defekte<br />

und genetische Faktoren zur Krankheitserklärung<br />

gehen psychosoziale Aspekte immer<br />

mehr verloren.“ (Thure von Uexküll)<br />

Vertrauen und Verdauen<br />

Vertrauen in einen Heilungsprozess bedeutet<br />

auch, Geduld mit uns und dem Klienten<br />

zu besitzen, auch wenn sich Gefühle, Dinge<br />

oder Erfahrungen noch nicht offenbart haben.<br />

Die Lösung besteht dann oft nicht darin,<br />

noch mehr zu tun, noch mehr Informationen<br />

zu sammeln, oder andere Menschen<br />

dazu zu bringen, Dinge genauso wie wir<br />

selbst zu sehen. Oder noch mehr Sorgfalt<br />

und Eifer in Lösungen zu investieren.<br />

Vertrauen ist ein Gefühl, das durch Loslassen<br />

erfahrbar wird.<br />

Manches Mal durfte ich in meiner Praxis, in<br />

den Ausbildungsgruppen und in meinem<br />

Privatleben erfahren, was es bedeutet,<br />

wenn ich meine vorgefertigten Meinungen<br />

Juni | 2012


und mein Wissen loslasse und – wie durch<br />

ein Wunder „Lösungen“ empfangen durfte.<br />

Nach Erkenntnissen des Psychologen Peter<br />

Salmon sind es vor allem die Ärzte, die eine<br />

rein symptomorientierte Diagnostik / Therapie<br />

vorschlagen. In mehr als 90 Prozent<br />

aller untersuchten Fälle gaben Patienten<br />

Hinweise auf psychische Probleme – dennoch<br />

gingen mehr als drei Viertel aller Ärzte<br />

nicht auf dieses Gesprächsangebot ein.<br />

Die Lösung vieler Probleme sitzt in unserem<br />

Bauch. Deswegen seien Sie gut zu ihm.<br />

Beginnen Sie den Tag entspannt. Auch Gedanken<br />

können entspannen. Probieren Sie<br />

es aus: Wenn Sie aufwachen, begrüßen Sie<br />

den Tag freudig. Suchen Sie gezielt angenehme<br />

Situationen, schöne Umgebungen,<br />

freundliche Menschen, anregende Vorträge,<br />

berührende Filme und Theaterstücke. Erlauben<br />

Sie sich auch Langeweile. Geben Sie Ihrem<br />

Bauch die Möglichkeit zum Entspannen.<br />

Der Bauch drückt Ihre Gefühle in seiner<br />

Sprache aus, vergleichbar mit einem Musikstück,<br />

das Gefühle in Tönen vermittelt, oder<br />

einem Bild, das Farben und Formen verwendet.<br />

Ihr seelischer Zustand spiegelt sich in Ihrer<br />

Körperhaltung präzise wieder. Die Gestalt beider<br />

ist gleich, nur die Ausdrucksmittel sind<br />

unterschiedlich.<br />

Literaturhinweis<br />

<strong>Scharwies</strong>, <strong>Bernd</strong>: <strong>Rebalancing</strong>. Param Verlag, 2008<br />

Bartens, Werner: Körperglück. Droemer Verlag, 2010<br />

Dahlke, Ruediger: Der Körper als Spiegel der Seele. Gräfe<br />

und Unzer, 2007<br />

Uexküll, Thure von: Psychosomatische Medizin. Urban und<br />

Fischer, 2010<br />

Dychtwald, Ken: Körperbewusstsein. Synthesis, 1996<br />

Juni | 2012

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!