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Von selbsternannten und echten Steppeshäusern - Stephanshausen

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Nr. 8 • 23. Februar 2006 Geisenheim Seite 18<strong>Von</strong> <strong>selbsternannten</strong> <strong>und</strong> <strong>echten</strong> <strong>Steppeshäusern</strong>Spitzen-Sitzung mit heimatsuchenden Fremden, Inline-Skatern <strong>und</strong> einem PsychiaterDer „Protokollantin“ Rita Boos entgehtnichts, was über’s Jahr so inSteppeshausen passiert.Ein abgebrochener Mercedessternvon einem Falschparker <strong>und</strong> eineSektflasche brachte „Hausmeister“Elmar Müller mit in die Bütt.Füllten die ganze Bühne aus:Die fröhlichen Fußbälle vom Reiterhof.<strong>Stephanshausen</strong>. (sm) – Buchstäblichin Strömen floß bei der Sitzung derStephanshäuser Ortsvereine amSamstag der Sekt. Zwei Mal stolperteder Tablett-Träger <strong>und</strong> die vollen Gläserergossen sich auf die Bühne, woman jeder Tanzgruppe einen vomPächter des Dorfgemeinschaftshausesspendierten Trunk servierte. Werbehauptet, daß <strong>Stephanshausen</strong>langsam veraltet, der wurde einesBesseren belehrt. Kaum eine RheingauerGemeinde bringt eine so junge,freche <strong>und</strong> lockere Veranstaltung aufdie Bühne; Gag folgt hier auf Gag, keineHänger, keine Nieten, super Tanzeinlagen<strong>und</strong> viel Lokalkolorit. DieStimmung im Publikum war von Anfangan gut, steigerte sich konstant<strong>und</strong> fiel zu keinem Zeitpunkt ab.Einer wurde bei der Sitzung kräftig gebeutelt,<strong>und</strong> zwar der Verfasser desLeserbriefes „Stephanshäuser wirdman nicht“, der den ausgeschlafenenFastnachtern kurz vor der Sitzungnoch kräftig Stoff zur Satire gelieferthat. Fast in jeder Nummer gab es Seitenhiebeauf die thematisierte „Reinrassigkeit“,<strong>und</strong> die „Ostfriesen desRheingaus“, die Presberger, bliebendiesmal in der zweiten Reihe. DasHighlight war eine umgetextete Versionvon Udo Jürgens „GriechischemWein“, bei deren Vortrag das Publikumschon vor dem Verklingen „Zugabe,Zugabe“ brüllte. „Griechischer Wein,ich bin nur en Selbsternannte, habehier auch koa Verwandte, in diesemOrt wird’ ich immer nur ein Fremdersein, kannst du verzeihn?“„Ich begrüße alle Selbsternannten,Bürgerfre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Bekannte, die mitBerechtigung <strong>und</strong> ohne hier in Steppeshausewohne“, tönte ManfredBoos zu Beginn der Sitzung <strong>und</strong> derprall gefüllte Saal johlte. „Es gibt hierkein wir <strong>und</strong> ihr, es gibt nur uns!“, setzteer nachdrücklich hinzu. Der Gesangverein„Frohsinn“, der diesjährigeOrganisator der Sitzung, sang die Eröffnungsliederin ganz aktuellenT-Shirts mit der Aufschrift „Ich bin einSteppeshäuser“. Elmar Müller, derzweite Moderator des Abends, hattezur Programmankündigung auf vielfältigenWunsch des internationalen Publikumseinen Simultandolmetscher(Manfred Boos) mitgebracht, der ihmmit seinem Gequatsche schwer aufden Wecker (heavy on the clock) ging.Bürgermeister Manfred Federhen,Ortsvorsteher Molitor <strong>und</strong> „the first citywheel of Geisenheim“, Peter Keßeler,erhielten den diesjährigen Fastnachtsorden.WieesUsusist,tobtenalsErstesdieacht- bis zehnjährigen, von AndreaChrist trainierten Tänzer der FreiwilligenFeuerwehr über die Bühne. Danachbekamen alle ihr jährliches Fettvon der Protokollantin des Verkehrs<strong>und</strong>Verschönerungsvereins, RitaBoos. Zum ersten Mal habe sie nichtsüber den ständigen Wechsel im Dorfgemeinschaftshauszu meckern, derjetzige Pächter sei ja schon im zweitenJahr hier <strong>und</strong> unterstütze kräftig dieVereine. Neben den Kritikpunkten aufgerisseneStraßen, unerwünschteHinterlassenschaften von H<strong>und</strong>en<strong>und</strong> natürlich Endlos-Geschichte Kindergartenhatte sich die Protokollantinselbstverständlich auch dem ThemaLeserbriefe gewidmet. Wer hat den ältestenStammbaum im Ort? Die Müllers,die schon das Mehl für’s Brot zumAbendmahl von Jesus <strong>und</strong> seinenJüngern geliefert haben, die Rodenbachs,aus deren Firma das Holz fürdie Arche Noah stammt? Nein, dennnach neuesten genealogischen Forschungenwar Adams Eva eine geboreneRittmeyer aus der gleichnamigenStephanshäuser Familie. Das Publikumquittierte diese Anmerkungen mitgroßem Vergnügen – wo sonst bekommtman Comedy-Esprit <strong>und</strong> Dorfklatschgleichzeitig <strong>und</strong> so gut verpacktserviert?Für den Einzug der „Champions vomDie „Selbsternannten“ rissen mit ihrem Sirtaki die Zuschauer vom Hocker.Bei den Showgirls „No Names“ wurden die männlichen Zuschauerschwach.


Nr. 8 • 23. Februar 2006 Geisenheim Seite 19Stephanshof“ mußte die Schneisedurch die Zuschauerreihen vergrößertwerden; sie kamen zwar nicht zuPferd, aber als frisch aufgepumpteFußbälle. Lilo Verbonden hatte denTanz zum Hit „Fußball ist unser Leben“mit den Reiterfre<strong>und</strong>en einstudiert, diesportlich gut trainiert auf der Bühneauf- <strong>und</strong> abdozzten, einigen ging dabeibuchstäblich die Luft aus. „De städtischeHausmeister“, Elmar Müller, einesder beliebten Zugpferde der SteppeshäuserFassenacht, gab „Verhaltensmaßregeln“aus. „Koa Kippe wer’nhier geraacht, wenn ich oane mit nerKippe erwisch, schmeiß ich alle raus,<strong>und</strong> wer mal’n Bach muß oder en Haufe,der trägt sich hier in die Klo-Listeein“, raunzte er. Weiter ging’s: „HerrMolitor, hat Ihnen heut’ schon jemandgesagt, wie gut Sie aussehen? –Nein? – Na, dann hat Sie heut’ auchnoch niemand belogen.“ Und über dasKlonen: „Gemüse kann man klonen,Tiere auch, ja sogar Menschen, nur nitPresberjer – so blöd kriegt man die niewieder hii.“Die Erwachsenen-Tanzgruppe derFreiwilligen Feuerwehr unter Leitungvon Maria Kehlke hatte Pech mit nichtrechtzeitig gelieferten Kostümen <strong>und</strong>wurde dann noch von Rheinland-PfälzerKostümschneidern, die bei der Sitzungauch zu Gast waren, gerettet.Das Ergebnis war eine feurige Choreographiezu südamerikanischenRhythmen, geboten von höchst ansehnlichenTänzerinnen.Was an der Stephanshäuser Fastnachtso wirkt, ist der unmittelbare <strong>und</strong>mühelose Kontakt zwischen Bühne<strong>und</strong> Saal, der auch durch die räumlicheEnge bewirkt <strong>und</strong> vor allem diePräsenz von Manfred Boos gehaltenwird. Er hat auch das seltene Talent,schlüpfrige Witze auf so unschuldigeArt zu bringen, daß man ges<strong>und</strong>es Lachenohne unangenehmen Beigeschmackgenießen kann. „Draußenstehen zwei Putzfrauen, die jetzt hoffentlichdie Sekt-bekleckerte Bühnesauber machen“, verkündete Boos.Rita Boos als Frau Hannebabbel <strong>und</strong>Marika Hüsch als Frau Labbeduddel,zwei alte Hasen der StephanshäuserFastnacht, aber in dieser Kombinationneu, lieferten sich ein zündendesZwiegespräch. Natürlich war auch hierwieder die richtige Abstammung derDorfbewohner das Thema. „Habbe Sein der Zeitung gelese, hier in Steppeshausemuß man jetzt aaar(i)sch uffden Stammbaum achte“ – „Tja, beiuns sind leider alle Papiere bei derSintflut verloren gegangen.“Nach der Pause – die Sitzungs-Macherschafften es, trotz aller Lockerheitden Zeitplan einzuhalten – brachte einehinreißende Tanznummer die Stimmungzum Überschäumen – im wahrstenSinne des Wortes, denn wiederflog der Sekt ohne Glas auf die Bühne.„Ab jetzt bringen wir die Gläser leernach oben <strong>und</strong> gießen erst dann ein“,ordnete Manfred Boos an. Der Tennisvereinhatte ein tolles Bühnenbild <strong>und</strong>heiße Westernkostüme kreiert, gekonntverband sich hier Sketch mitTanz: Erst lieferten sich ein paar an derSaloon-Bar herumhängende cooleCowboys einen Dialog à la M<strong>und</strong>stuhl-Tassen <strong>und</strong> eine Schlägerei, dannnahmen die Cowgirls mit „These bootsare made for walking“ die Bühne ein –eine unwiderstehliche Mischung ausfrech, elegant <strong>und</strong> sexy. Das Publikumwar wie elektrisiert <strong>und</strong> äußerte auchhier schon vor Ende des Tanzes denlautstarken Wunsch nach der Zugabe.Die Stimmung hätte nicht aufnahmebereitersein können für das nächsteHighlight. „In Abänderung der Tagesordnung“,verkündete Manfred Boos,„kommt jetzt der kleine Kammerchorder heimatsuchenden Zugereisten,der uns gerade noch fristgerecht mitseiner Anmeldung erreicht hat.“ Vier„Jetzt wird der Mück uff amol schlecht“ – Manfred Boos (links) <strong>und</strong> ThomasGietz mit dem komplizierten „Mücken-Tötomat“.„Ihr im Saal habt se doch aach net all“ – Psychiater Herbert Dietrich botseine Dienste an.Die Steppeshäuser Fastnacht lebt – rauschendes Finale am Ende einer gelungenenSitzung.Mitglieder vom „Frohsinn“ <strong>und</strong> Boosselbst sangen das sehnsuchtsvolleLied des Fremden, der bei einemnächtlichen Spaziergang durch dieStephanshäuser Gassen in einerKneipe noch Licht sieht. „Da saß einMann mit grauen Haaren <strong>und</strong> mit bösemBlick – <strong>und</strong> aus dem Radio erklangnur alte deutsche Volksmusik –ich schämte mich <strong>und</strong> ging zum Wirt,der ließ mich ein.“ Für den umgetexteten„Griechischen Wein“ war den tobendenSaalinsassen eine einzige Zugabesichtlich zu wenig, der improvisierteSirtaki der Sänger viel zu kurz.Opa, Oma, Mutter, Vater, alle brauchenden Psychiater – Herbert Dietrich,nicht wegzudenken aus der StephanshäuserKomikerriege, sorgteschon bei seiner Ankunft für Lachsalven.Im weißen Kittel mit der Aufschrift„Trust me, I’m a doctor“, zwischendurcheinen Schluck aus dem überdimensionalenWeißbierglas nehmend,textete er trocken: „Wer imSchrank hat nicht alle Tassen, kannsich von mir verarzte lasse, gern behandleich auch jene, die da heißeSchizophrene, weil ich da sofort erkenn’“– kurzer Blick auf den geradenach vorn eilenden Manfred Boos –„dieser Mann, der ist plem-plem!“ Dernach der Bekloppten-Sprechst<strong>und</strong>efolgende Auftritt der Showgirls „DieNo-Names“, eine hocherotischer Choreographieim Stil von „Cabaret“ (Leitung:Katalin Kufs) versetzte besondersdie männlichen Zuschauer in helleAufregung.Mit Spannung erwartet <strong>und</strong> wieder einvoller Erfolg: Der Sketch-Auftritt desSitzungsleiters. „Da draußen stehenzwei echte Schlappeberjer, jetzt frageich mal ernsthaft, wolle mer die roilasse?“,fragte Elmar Müller. Mit ThomasGietz <strong>und</strong> Manfred Boos hat die StephanshäuserFastnacht zwei echteSketch-Profis, die mit traumwandlerischerSicherheit <strong>und</strong> umwerfender Mimikins Schwarze treffen. Gietz präsentierteseine Erfindung, den „Mükken-Tötomat“,den Boos ausprobierenmußte.Als absolutes Highlight fuhr dann einganzer Zug durch den effektvoll abgedunkeltenSaal – die Männertanzgruppevom ACC. Vorneweg die Lokomotive(Herbert Dietrich auf einem Kinderroller,mit Riesen-Schornstein auf demKopf), dahinter die sechs Anhängselauf Inline-Skatern: Bob der Bauwagen,der Reinigungs-, der Schlaf- <strong>und</strong>der Espresso-Wagen, der ICE <strong>und</strong>schließlich der Winzerexpress, spitzenmäßigdie Kostüme, noch beeindruckenderdie Tatsache, daß niemandbei der rasanten Fahrt auf derBühne auf die Nase fiel, denn einigehatten extra für die Sitzung Inline-Skatinglernen müssen. Nach ein paar Abschlussliedernvom MGV Frohsinnmündete das Finale in einer saalübergreifendenPolonaise, die klar machte,daß alle noch lange nicht nach Hausegehen wollten. Für Narhallamarsch,Tuschs <strong>und</strong> Begleitmusik sorgte währendder ganzen Sitzung die Ein-Mann-Hauskapelle Michael Dietrich,Kulissenschieber war wie immer MichaelChrist.

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