Doch zunächst wollen wir uns mit dem <strong>Formenzeichnen</strong> der ersten Schuljahre beschäftigen.Jeder, dessen Kind die ersten Jahre in eine Waldorfschule ging, kennt diese Zeichnungen'. Und oftargumentiert man auf die Frage <strong>von</strong> schulfremden Freunden und Verwandten ähnlich hilflos wie beiden Fragen nach Eurythmie: „Das sind Vorübungen für das Schreiben.“ Ja, so ist es; es sindVorübungen für das Schreiben. Aber was soll man dann in der 2., 3., 4. Klasse sagen, wenn dasKind dann schreiben kann? „Das sind Vorübungen für die Geometrie.“ Ja, es sind Vorübungen fürdie Geometrie; aber es ist doch noch viel mehr!! Wenn man .die Ausführungen Rudolf Steinersliest, dann erfährt man, dass diese Übungen in dem 'Ätherleib' harmonisierend wirken. Also in jenerLeibeshülle, welche die 'Bildekräfte', die 'Lebenskräfte' in sich trägt – jener Ausgangspunkt allerGestaltungen im Bereich des Lebendigen.Wenn also in der Chaosforschung <strong>von</strong> qualitativem Maß, qualitativen Instrumenten, 'geometrischerIntuition', 'Selbstähnlichkeit' gesprochen wird, so befindet man sich wohl in diesem Kräftebereich.Der <strong>von</strong> Benoit Mandelbrot geschaffene Begriff des '<strong>Fraktal</strong>s' wird wie folgt entwickelt:„Was ist eigentlich ein <strong>Fraktal</strong>, und wie kann man eines herstellen? Die Abbildung zeigt dieEntstehung eines <strong>Fraktal</strong>s, das aus der 'Schneeflockenkurve' hervorgeht, die 1904 <strong>von</strong> Helge <strong>von</strong>Koch konstruiert wurde. Im Wesentlichen entsteht die 'Kochsche Insel' oder Schneeflocke durcheinen Iterationsprozess, in dem immer der gleiche Schritt auf kleinerer Skala wiederholt wird. Aufdiese Weise entsteht eine Kurve beträchtlicher Komplexität, mit einem unglaublich hohenDetaillierungsgrad.Mit ihren vielen Buchten, Einstülpungen und Vorsprüngen erinnert die Kochsche Insel an wirklicheInseln – abgesehen <strong>von</strong> ihrer zu großen Regelmäßigkeit. Wirkliche Inseln brauchen für ihreBeschreibung viel raffiniertere <strong>Fraktal</strong>e. Aber zumindest zeigt die Kochsche Insel einenKomplexitätsgrad, der der gewöhnlichen Geometrie ganz fremd ist. Offensichtlich weist auch schondieses recht simple <strong>Fraktal</strong> daraufhin, dass Mathematik in einer ganz neuen Art benutzt werdenkann, um die Formen der Natur zu beschreiben.“ 4
Das <strong>Fraktal</strong> ist also das Ergebnis eines Formenprinzips, welches in immer kleiner werdendenGrößenskalen ad infinitum angewandt wird.Derartige Formen – jedoch aus exakter Phantasie geboren – werden in der 3. Klasse im<strong>Formenzeichnen</strong> geschaffen. Die Fähigkeit, Symmetrie als eines der ursprünglichsten Prinzipien imKosmos, zu erleben, wird im kreativen Tun angelegt und erübt. Werner Heisenberg formuliertlapidar: „Am Anfang war die Symmetrie“, dies sei die rechte Übersetzung des Beginns desJohannesevangeliums. Auch was 'fraktale Dimension' ist, wird in dem Buch nachgeschaffen.„Wenn wir verstehen wollen, was eine fraktale Dimension ist, so müssen wir zunächst unserengesunden Menschenverstand zusammennehmen und uns daran erinnern, was eine Dimensionüberhaupt bedeutet. Die meisten Leute denken, sie hätten eine recht klare Vorstellung <strong>von</strong> diesemBegriff. Der Raum ist dreidimensional. Eine Wand oder eine Tischplatte oder ein Stück Papier sindzweidimensional. Eine Linie oder eine Kurve oder eine Kante ist eindimensional. Und schließlichist ein Punkt oder selbst eine Menge <strong>von</strong> Punkten nulldimensional. Die Dimensionen, die uns imAlltag begegnen, sind also einfach null, eins, zwei oder drei. Ist die Sache aber wirklich so einfach?Was ist denn zB. die Dimension eines Wollknäuels?Schauen wir es aus großer Entfernung an, so erscheint es als Punkt, hat also die Dimension null.Aus einigen Metern Abstand erkennen wir wieder, dass das Knäuel dreidimensional ist. Was abergeschieht, wenn wir uns weiter annähern? Dann sehen wir einen aufgewickelten Faden. Die Kugelbesteht aus einer verworrenen Linie und ist also offenbar eindimensional. Bei noch nähererBetrachtung verwandelt sich diese Linie in eine Säule endlicher Dicke, und der Faden wirddreidimensional. Noch näher heran, und wir verlieren den Faden aus dem Gesicht, sehen dafüreine Menge feiner Härchen, die sich umeinander schlingen und dadurch den Faden erzeugen –nun ist das Knäuel wiederum eindimensional.Mit anderen Worten, die 'effektive Dimension' des Knäuels ändert sich <strong>von</strong> drei nach eins undwieder zurück, Die scheinbare Dimension hängt da<strong>von</strong> ab, aus welchem Abstand wir das Knäuelansehen. Wir erkennen also, dass der Begriff der Dimension nicht unbedingt so simpel ist, wie wirzunächst glaubten. Vielleicht sind nirgends in der Natur die Dimensionen viel klarer definiert alshier; hängen sie nicht immer da<strong>von</strong> ab, wie wir die Sache ansehen?Mandelbrot ging soweit zu sagen: Wenn diese fraktale Geometrie auf eine unentwirrbareBeziehung zwischen dem Beobachter und seinem Beobachtungsgegenstand hinweist, so passt dassehr gut zu den anderen Entdeckungen unseres Jahrhunderts, Relativitäts- und Quantentheorie, woja ebenfalls eine enge Abhängigkeit zwischen dem Beobachter und dem Beobachteten gefundenwurde. Quantitatives Messen – die Grundidee aller Wissenschaft – wird durch diese Einsicht inFrage gestellt. Die Länge einer Küste hängt da<strong>von</strong> ab, welchen Maßstab wir wählen. Wenn aberhierdurch Quantität ein relativer Begriff wird – weil immer irgendein 'Ausschmieren' <strong>von</strong> Detailsdazugehört –, so wird doch alles viel weniger genau, als wir glaubten.Anstelle einer Größe wie der Länge setzt Mandelbrot das qualitative Maß einer effektiven fraktalenDimension, also ein Maß des relativen Komplexitätsgrades eines Gegenstandes.“ 5Eine fraktale Dimension ist zwar nicht mehr vorstellbar, aber es ist damit durchaus zu arbeiten. Soist es heute mit sehr vielem, womit die moderne Naturwissenschaft, bzw. ihre Mathematik arbeitet:komplexe Zahlen; Materie usw. (Heisenberg zB. bezeichnet Licht als 'Wellikel', als 'Welle-Partikel',um auf die prinzipielle Un-Vorstellbarkeit dieses Begriffsinhaltes hinzuweisen.)Wohin '<strong>Formenzeichnen</strong>' unter Zuhilfenahme des Computers führt, kann man ebenfalls beim Lesendes Buches ahnen, bzw. in entsprechenden Fachzeitschriften nachlesen. Unter „Ein fraktaler Trip inden Weltraum“ heißt es da:„Hunderte, vielleicht tausende <strong>von</strong> Computerabenteurern haben sich mittlerweile auf die Reise indiese (Zahlen-)Menge gemacht, indem sie auf ihrem Heimcomputer Variationen eines iterativenProgramms benützten, das A. K. Dewdney im Scientific American erklärt hatte. Erforscher derMandelbrot-Menge müssen aber nicht fürchten, ins Gedränge zu geraten wie die Touristen imGrand Canyon. Die unirdische Mandelbrot-Landschaft – der mathematische seltsame Attraktor –ist ungeheuer ausgedehnt, ja unendlich, und 'es gibt dort zillionen <strong>von</strong> herrlichen Stellen' zubesuchen, wie der Mathematiker John H. Hubbard <strong>von</strong> der Cornell Universität sagt. Er empfiehlt:'Probieren Sie doch einmal die Gegend mit dem Realteil zwischen 0,26 und 0,27 und dem