13.07.2015 Aufrufe

Pädagogischer Auftrag – vom Lehrplan der Waldorfschule

Pädagogischer Auftrag – vom Lehrplan der Waldorfschule

Pädagogischer Auftrag – vom Lehrplan der Waldorfschule

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

diesbezüglich viel an Klarheit schaffen. Hier soll die Geschichte des 16.- 17.- 18.- 19.-Jahrhun<strong>der</strong>tsbehandelt werden mit dem Ziel, „dass die Schüler ein Verständnis für die Gegenwart bekommen“ und„dass Sie die leitenden Ideen den Schülern vortragen.“ 2Machen wir uns deutlich, was alles auf <strong>der</strong> Welt in diesen Jahrhun<strong>der</strong>ten geschehen ist und dasBewusstsein <strong>der</strong> Menschen erweitert hat, so versteht man, warum gerade diese Zeit Thema desGeschichtsunterrichts ist. <strong>–</strong> Weltinteresse wird an dieser Epoche erlebbar. Die letzten 'weißenFlecken' verschwinden von den Landkarten unserer Erde, das Bewusstsein beginnt die Erde alsGesamtes zu umfassen. Das 16.<strong>–</strong>19. Jahrhun<strong>der</strong>t ist menschheitsgeschichtlich die Zeit, in <strong>der</strong> sich <strong>der</strong>'Drang-nach-<strong>der</strong>-Welt' wohl am dynamischsten auslebte. Welch´ großartige Ideen, welch´ hohe Idealeleiteten alle neuen Entwicklungen ein (französische Revolution, amerikanische Freiheitskriege, etc.)!Auch im Physikunterricht geht es im Wesentlichen um einen zentralen Bereich menschlicherForschertätigkeit, <strong>der</strong> Menschheitsgeschichte machte und an dem <strong>der</strong> Schüler ein Verständnis für dieTechnik <strong>der</strong> Gegenwart erwerben kann: die Dampfmaschine, die Lokomotive (in <strong>der</strong> Folge auchVerbrennungs- und Elektromotor) und das Telefon.Beide <strong>Lehrplan</strong>angaben zeigen, dass Rudolf Steiner für den Jugendlichen dieses Alters eine intensiveAuseinan<strong>der</strong>setzung mit den wichtigsten technologischen Errungenschaften, welche die Welt'verkleinerten' bzw. dem Menschheitsbewusstsein ungeahnte Möglichkeiten erschlossen, wünscht.Der Schüler setzt sich in <strong>der</strong> 9. Klasse <strong>–</strong> <strong>der</strong> letzten, in <strong>der</strong> es noch kein eigenes Fach Technologiegibt <strong>–</strong> mit <strong>der</strong> rational vorstrukturierten Technik des 18.- 19.-Jahrhun<strong>der</strong>ts auseinan<strong>der</strong>.Dampflokomotive und Telefon zeigen bildlich betrachtet ähnliche Qualitäten: Verbindung,Kommunikation; das eine: geographische Kommunikation, das an<strong>der</strong>e: sozialer Aspekt vonKommunikation. Entscheidend ist, dass <strong>der</strong> Schüler auch die Menschen, ihre Ideen und Intentionenkennenlernt, welche zu den Erfindungen führten. In dieser 'Großmuttertechnologie' kann <strong>der</strong> Schülerdie Technik noch erfassen als 'weltgewordenen-menschlichen-Gedanken', und <strong>der</strong> Blick in dieWerkstatt jener Gedanken sowie in die Biographien jener Erfin<strong>der</strong> bietet noch ein wärmendes,befeuerndes Bild ohne moralische Belastung und heutigen Kulturpessimismus.In <strong>der</strong> Mathematik steht die Kombinatorik, bis hin zur Wahrscheinlichkeitsrechnung, an zentralerStelle. Sie scheint wie geschaffen für diese Klassenstufe, denn je<strong>der</strong> Schüler kann ohne spezifischeVoraussetzungen aus <strong>der</strong> Mittelstufe 'neu einsteigen'; sie bietet ein exzellentes Übfeld für formales,logisches Denken. Darauf aber kommt es in diesem Alter an, „dass man gewisse Formen desDenkens übt“, weniger „daß man die Dinge so macht, wie man sie später braucht.“ 3 DerKombinatorik ergänzend zur Seite stehen alle Arten rhythmischer Rechenverfahren, die den Schülerin ein verstärktes Üben hineinführen, sowie Flächen- und Körperberechnungen usw.An einfachen ebenflächigen, beson<strong>der</strong>s an den platonischen Körpern wird in <strong>der</strong> DarstellendenGeometrie gearbeitet. Es wird hier vor allem versucht, an einem innerlich geschaffenenVorstellungsbild alle die Prozesse vor zu schaffen, die dann ausgeführt werden; und zwarvornehmlich in <strong>der</strong> konstruktiv einfachen und räumlich anschaulichen Darstellungsart desSchrägrisses, aber auch in senkrechter Parallelprojektion.In Biologie und Geographie kann <strong>der</strong> <strong>Lehrplan</strong>ansatz aus dem Menschenkundlichen herauswie<strong>der</strong>um sehr deutlich werden. In <strong>der</strong> Biologie ist <strong>der</strong> Mensch Thema, und zwar sein Knochenbauund die Sinnesorgane. Knochen <strong>–</strong> harte 'facts' für den 9. Klässler und wohl auch jene Teile desKörpers, die durch ihr starkes Wachstum an <strong>der</strong> Ungelenkheit und Formlosigkeit des 14-jährigen'Lümmels' großen Anteil haben. Auch dabei wird deutlich, wie strukturbildende Inhalte eingesetztwerden. Als Zweites werden die Sinnesorgane behandelt, also jener Bereich, durch den sich demMenschen die Welt öffnet, <strong>der</strong> es ihm gestattet, über den engen, dumpf empfundenen eigenenLeibesbereich hinauszuwachsen.Im <strong>Lehrplan</strong> von Biologie und Physik kann man sehen, was 'fächerübergreifend unterrichten' überdas rein Inhaltliche hinausgehend in einer Klasse bedeuten kann. Fächerübergreifend sind dieQualitäten <strong>der</strong> Inhalte. In <strong>der</strong> Physik <strong>der</strong> Bereich des Verkehrs, in <strong>der</strong> Biologie die Sinne desMenschen. Beides Inhalte, wo sich <strong>der</strong> Schüler mit etwas auseinan<strong>der</strong>setzt, was den Menschen mit<strong>der</strong> äußeren, großen Welt verbindet.Auch in <strong>der</strong> Geographie ist <strong>der</strong> Ansatz ähnlich: Die Erde in ihrer inneren Struktur kennenzulernen(Geologie) und in ihrer äußeren Tektur, den großen Gebirgszügen ost/west und nord/süd folgend, für


sich zu 'erobern'.In <strong>der</strong> Chemie wird auf dem in <strong>der</strong> Mittelstufe Erarbeiteten aufgebaut. Schon <strong>der</strong> Klassenlehrer hateinzelne organische Stoffe beschrieben, ihr Verhalten im Experiment gezeigt, ihre Bedeutung für denMenschen auseinan<strong>der</strong>gesetzt. Die Schüler kennen den Alkohol, den Zucker, das Eiweiß, Fette u.a.mehr. Einzelne chemische Prozesse wie die Verbrennung sind bekannt. Nun wird durchschaut, wie<strong>der</strong> Entstehungsprozess eines Stoffes diesem seinen Charakter gibt. Die Verbrennungsprodukte sindan<strong>der</strong>e als die einer Verschwelung des Holzes. Noch an<strong>der</strong>s sind die Ergebnisse <strong>der</strong> Inkohlung, <strong>der</strong>Verwesung organischer Stoffe bis hin zur Humusbildung. Das Erdöl wird in diesem Zusammenhangauch besprochen. In an<strong>der</strong>er Richtung wird die Umwandlung in <strong>der</strong> Pflanze verfolgt, <strong>vom</strong> Zucker zurStärke, zur Zellulose, o<strong>der</strong> zum Alkohol und zur Säure, zu den verschiedenen Frucht-Estern undschließlich zu Fetten und Harzen. Ein wichtiger Prozess, <strong>der</strong> in verschiedener Form immer wie<strong>der</strong>vorkommt, ist die Destillation als eine Weiterführung <strong>der</strong> Verschwelung. Das Flüchtig- und wie<strong>der</strong>Greifbar-werden <strong>der</strong> Stoffe, die Klärung und Reinigung, die es an den Stoffen bewirkt, gibt denSchülern ein gutes Bild dafür, wie auch <strong>der</strong> Prozess, in dem sie selber drinnen stehen, ein klären<strong>der</strong>und reinigen<strong>der</strong> ist.Die Kunstgeschichteepochen nehmen in <strong>der</strong> 9. Klasse einen zentralen Platz ein. Zwei Aufgabenhaben sie zu erfüllen. Erstens einen Ausgleich zu schaffen für das unorganisch Leblose <strong>der</strong>Naturkunde, und zweitens soll <strong>der</strong> Jugendliche in <strong>der</strong> Kunst etwas erleben, was er unbewusst in sichauch erlebt. Je drei Wochen setzt sich <strong>der</strong> Schüler bewusst mit zwei Inkarnationswegen in <strong>der</strong> Kunstauseinan<strong>der</strong>. Einerseits: Die Entwicklung <strong>der</strong> Plastik in <strong>der</strong> vorchristlichen Kultur (Ägypten <strong>–</strong>Griechenland <strong>–</strong> Rom). Erlebbar wird das Irdisch-werden <strong>der</strong> Plastik als Kunsttat des Menschen.An<strong>der</strong>erseits: Die Entwicklung <strong>der</strong> nachchristlichen Malerei. Auch hier kann das Irdisch-werdenerlebt werden: Vom kosmischen Goldgrund über den Blaugrund bis zu Dürer und zur Entdeckung <strong>der</strong>Perspektive. Die zweite Epoche in <strong>der</strong> Kunstbetrachtung wird in methodisch geän<strong>der</strong>ter Formteilweise auch erst in <strong>der</strong> 10. Klasse gegeben.Im Zeichnen wird ausschließlich hell-dunkel bzw. schwarz-weiß gearbeitet (eventuell auchLinoldruck), also ganz in <strong>der</strong> Polarität, in welcher <strong>der</strong> 9. Klässler seelisch ja lebt. Diese Polarität mussaber im Zeichnerischen bewusst gegriffen werden. So kann man helfen, dass im chaotisiertenSeelischen durch gestalterisches Arbeiten mit <strong>der</strong> Polarität, Form entsteht.In Deutsch stehen ebenfalls zwei Hauptinhalte nebeneinan<strong>der</strong>. Erstens Grammatik <strong>–</strong> also Struktur <strong>der</strong>Sprache <strong>–</strong>, zweitens die sogenannte Goethe-Schiller Epoche; eine Auseinan<strong>der</strong>setzung mitwesentlichen Persönlichkeiten und ihren Ideen vor dem Hintergrund <strong>der</strong> Neuzeit bis hin zur Klassik.„Was ist Freundschaft?“, kann hier als Frage gestellt werden; eine Frage, die Verän<strong>der</strong>ungen imKlassenverband und Schülerwesen aufgreift.Ein weiteres Thema des Deutschunterrichtes ist <strong>der</strong> Humor. Zum Humor gehört <strong>der</strong> Abstand zu denDingen, den sich <strong>der</strong> Schüler in <strong>der</strong> Pubertät erwirbt. Er kann so seiner neuen und nicht ganzangenehmen Lage auch eine gute Seite abgewinnen. Außerdem mil<strong>der</strong>t sich im Licht des Humors dieSchärfe von Kritik und Selbsterkenntnis auf ein erträgliches Maß.Im Zuge <strong>der</strong> Distanzierung von seiner Umgebung setzt sich <strong>der</strong> junge Mensch auch von <strong>der</strong>Muttersprache ab. Das kann sogar zur Entstehung eines eigenen Idioms <strong>der</strong> Jugendlichen führen. Indiesen Prozess werden bevorzugt Ausdrucke aus einer Fremdsprache einbezogen. Einen solchen Zugzur Verfremdung <strong>der</strong> Sprache kann <strong>der</strong> Fremdsprachenunterricht nützen, er kann aber auch demVerfall <strong>der</strong> Sprache, <strong>der</strong> damit gewöhnlich verbunden ist, wirksam entgegenarbeiten. Grammatik wirdin einem großen Überblick systematisch wie<strong>der</strong>holt. Auch hier öffnen sich neue Verständnismöglichkeitenfür das bisher nur übend Erlernte. Die Schüler werden mit Denkweisen konfrontiert,die in <strong>der</strong> Muttersprache unüblich sind <strong>–</strong> die Distanz, die dadurch gewonnen wird, macht Freude. AlsLektüre können auch hier Biographien von Forschern, Technikern und an<strong>der</strong>en großenPersönlichkeiten jener Zeit gewählt werden, mit <strong>der</strong> man sich im Geschichtsunterricht befasst. In <strong>der</strong>Achtung vor Menschen, die ihren Mitmenschen auf dem Weg, die Erde zu erobern, vorangingen,reifen Ideale und Ziele des Jugendlichen.Von einem ähnlichen Gesichtspunkt geht das Thema des Musikunterrichtes aus. An Hand <strong>der</strong>Biographie großer Musiker kann <strong>der</strong> Schüler Interesse für ihre unsterblichen Werke entwickeln. Wieim Deutschunterricht werden zwei große Klassiker einan<strong>der</strong> gegenübergestellt: Mozart undBeethoven. Ein Blick zurück in das Barock lässt in ähnlicher Weise eine Gegenüberstellung von


Händel und Bach zu. Dann kann <strong>der</strong> Unterschied zwischen Barock und Klassik herausgearbeitetwerden. Alles wird an Hand von Beispielen aus dem Werk <strong>der</strong> Künstler dargestellt. Der Schüler wirdangeleitet, im vokalen o<strong>der</strong> instrumentalen Nachvollziehen <strong>der</strong> Werke nicht nur empfindungsmäßig,son<strong>der</strong>n aus <strong>der</strong> „Grammatik <strong>der</strong> musikalischen Sprache“ heraus, über das harmonische Gerüst einesbetrachteten Stückes, Verwandlungen von Tonfolgen herauszuhören und wie<strong>der</strong>zugeben und so auchdie Metamorphose des Stils zwischen Barock und Klassik zu verstehen. Diese Umwandlungentspricht <strong>der</strong>jenigen, die er in sich selbst erlebt, und kann ihm in seiner verwirrenden seelischenLage helfen, zur Klarheit zu kommen. Im Eurythmieunterricht werden Dichtungen undKompositionen jener Zeit, die in so beson<strong>der</strong>em Maße für den 9. Klässler von Belang ist, nüchternund sachlich in Bewegungen und Formen umgesetzt. Die künstlerischen Elemente sollen bewussterfasst werden. Humorvolles darf nicht fehlen.Gartenbau wird meistens nicht mehr als Schulfach unterrichtet, son<strong>der</strong>n in Form einesLandwirtschaftspraktikums durchgeführt. Zwei Wochen lang leben die Schüler im bäuerlichenFamilienverband und arbeiten am Hof und auf dem Feld mit. Die Jugendlichen erleben neben vielemNeuen existentiell die Natur als den Tag, das Leben gestaltendes, strukturierendes Element.Im Handwerklichen werden im Tischlern einfache Holzverbindungen erlernt und angewandt. ImTextilbereich wird nach eigen erarbeiteten Schnittmustern geschnei<strong>der</strong>t (Rock, Jacke etc.). ImKupfertreiben und Korbflechten entsteht auf sehr unterschiedliche Weise Ähnliches: Schalen undBecher bzw. verschiedenste Arten von Körben <strong>–</strong> Innenraum entsteht in harter Arbeit von außen.Bildungskriterien aus menschenkundlicher Begründung, 9. Klasse:Verfolgt man diese fächerubergreifenden <strong>Lehrplan</strong>intentionen, so kann man deutlich dieBildungsziele erkennen, um die es aus menschenkundlichen Gründen in dieser Altersstufe geht:a) Strukturierung im Denken; den Intellekt entwickeln, einfaches logisches, kausales Schließen, <strong>vom</strong>Gefühlsurteil (8. Klasse) zum Verstandesurteil.b) Auseinan<strong>der</strong>setzung mit überschaubaren, vorstrukturierten, leicht fassbaren Inhalten; von <strong>der</strong>Entdeckung (7., 8. Klasse) <strong>–</strong> zur Erfindung. Analytisches Vorgehen im Begreifen einesGesamtzusammenhanges.c) Weltinteresse entwickeln; über Faktenwissen Kenntnisse sammeln. Die Technik als 5. <strong>vom</strong>Menschen geschaffenen Kulturbereich kennenlernen; sie als 'Welt-gewordenen Gedanken'entdecken. Der Mensch als Kulturschaffen<strong>der</strong>.d) Ideen und Ideale kennenlernen, die zu handfesten Ergebnissen führen: Ideale mit Willenscharakterals seelische Stütze, Biographien mit Vorbildcharakter (Held, Idol).e) Harmonisierung, Strukturierung des ungeformt Seelischen.


10. Klasse:Im <strong>Lehrplan</strong> <strong>der</strong> 10. Klasse findet sich über den Fächerkanon verteilt inhaltlich das, was dieEntwicklung dieser Altersstufe helfend för<strong>der</strong>n soll. Wie zeigt sich eine 10. Klasse im Vergleich zur9. Klasse? Einzelpersönlichkeiten wachsen in <strong>der</strong> Arbeit stärker aus <strong>der</strong> 'Masse' heraus. Schritte zurEigenaktivität, zum 'Sich-Finden' des Einzelnen sollen erfolgen, und diese Schritte sind zunächst imBereich des Denkens zu setzen. Klarheit im Denken und die Entwicklung einer zunehmendenUrteilsfähigkeit sollen dem Schüler helfen, sich immer besser aus dem Belieben von Sympathien undAntipathien herauszulösen. Daher die analysierende Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Gesetzmäßigkeiten, diedenkend erkannt werden können. Der Gesichtspunkt, das Einzelwesen in den Mittelpunkt <strong>der</strong>Betrachtung zu stellen, findet sich in den Fächern Biologie und Geographie wie<strong>der</strong>.In <strong>der</strong> Biologie heißt es: „Der Mensch als einzelnes Wesen; die inneren Organe, Blutkreislauf undAtmung und ihre Bedeutung für das Seelische und Geistige im Menschen.“ Hier kann <strong>der</strong> Jugendlicheeinen Blick machen in einen Bereich seiner selbst, wo jene Entwicklungsprozesse ihr Wechselspielhaben, denen er gerade in diesem Alter so intensiv ausgesetzt ist.In Geographie: „Die Erde als Gesamtes.“ <strong>–</strong> Der Organismus Erde soll erfasst werden. Kontinente,Meeres- und Luftströmungen (Corrioliskraft <strong>–</strong> Physik, 10. Klasse), Klimazonen, Magnetfeld und <strong>der</strong>Bezug zum Erdinneren (9. Klasse) zeigen dem Jugendlichen anschaulich, wie die Erde in ihrergenialen Organisationsvielfalt selbst einen lebenden Organismus darstellt, <strong>der</strong> wie <strong>der</strong> menschlichehöchst sensibel auf Eingriffe in seine Kreisläufe reagiert. Abstrakt gesprochen beschäftigt sich <strong>der</strong>Schüler in dieser Epoche mit 'makroklimatischen' Aspekten.In die Geographie-Epoche eingebettet findet ein Forstpraktikum statt, wo beobachtend, messendund zeichnend Aufnahmen <strong>der</strong> Situation eines 'mikroklimatischen' Bereichs am Stadtranddurchgeführt werden. Dieses Praktikum umfasst selbstverständlich auch an<strong>der</strong>e Arbeiten im Waldund ist als Langzeitprojekt angelegt. (Auch im Feldmessen erworbene Fähigkeiten werdenpraktizierend genützt.)In <strong>der</strong> Geschichteepoche tritt ein Aspekt in den Vor<strong>der</strong>grund, <strong>der</strong> sichtlich in Zusammenhang mit <strong>der</strong>Geographie steht: „Die Menschheits- und Kulturentwicklung in Abhängigkeit von <strong>der</strong> Erde.“Nomadentum und Sesshaftwerdung, die beson<strong>der</strong>en Kulturen Ägyptens und Griechenlands sollen aus<strong>der</strong> jeweiligen geographischen Lage verstanden werden. Auch hier sehen wir den Zusammenhang vonMensch und Erde sowie die Entwicklung des Menschen, <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Sippe mehr und mehr zumEinzelindividuum heranwächst.Die Deutschepoche setzt ähnlich an: In <strong>der</strong> Nibelungendichtung erlebt <strong>der</strong> Schüler, wie sich <strong>der</strong>einzelne Held in äußeren Kampfeswirren differenziert und individuell aus <strong>der</strong> Sippschaft herauslöst.In dieser Deutschepoche kann eventuell auch <strong>der</strong> zweite Bildungsaspekt methodisch verfolgt werden;es ergibt sich Gelegenheit, <strong>vom</strong> Mittelhochdeutschen her durch Lautverschiebungen undvergleichende Grammatik das Werden <strong>der</strong> Sprache und ihre Konstruktionsprinzipien zu verstehen.Gesetzmäßigkeiten im Sprachlich-Literarischen werden auch in <strong>der</strong> Kunstgeschichte erarbeitet, woMetrik und Poetik den Inhalt bilden. Die Kenntnis <strong>der</strong> verschiedenen Versformen, Rhythmen und denAusdrucksmöglichkeiten <strong>der</strong> Sprache vermittelt dem Schüler Urteilsgrundlagen für ein begründetesVerständnis <strong>der</strong> Dichtung. Beispiele aus <strong>der</strong> Literatur <strong>vom</strong> Mittelalter bis zur Gegenwartveranschaulichen das Erlernte.Der Unterricht in Eurythmie unterstützt Metrik und Poetik durch geeignete Beispiele, die inchorischen Bewegungen zum Ausdruck gebracht werden. Die Schüler sollen selbständig Formendazu entwickeln.In den Fremdsprachen kommt jetzt <strong>der</strong> Humor zu seinem Recht. Pointen wahrzunehmen aus demunmittelbaren Verständnis (ohne Übersetzung) macht Spaß. Gleichzeitig entwickelt sich ein erstesStilverständnis. Darum wird jetzt einfache, aber ungekürzte Literatur verwendet. Zur Freude amklaren Denken gesellt sich die an <strong>der</strong> Grammatik, als Instrument des Denkens. Übereinstimmung <strong>der</strong>Zeiten in direkter und indirekter Rede im Französischen, Verlaufsform und Perfekt im Englischenfor<strong>der</strong>n exaktes Denken und dementsprechende Ausdrucksweise. Darstellen eines Sachverhaltes undBegründung desselben: Argumentation in <strong>der</strong> fremden Sprache för<strong>der</strong>t die Fähigkeit, in dieserSprache zu denken.


Im Musikunterricht ist man darum bemüht, den Schülern Urteilsgrundlagen zu schaffen für ein echtesMusikverständnis. Dazu gehört eine kritische Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> Vermarktung <strong>der</strong> Musik.Den Weg zurück verfolgen von <strong>der</strong> heutigen Einstellung zur Musik als Manipulations- undUnterhaltungsfaktor zur Verantwortung gegenüber allem Klanglichen. Den Zusammenhang zwischendem Klanglichen und Seelischen verstehen, als Wirkung eines Objektiven auf den Bereich desSubjektiven. Beispiele dazu werden erübt in Chorgesang und Kammerbesetzung. Die Harmonielehrewird im Zuge des Erlernten an den Beispielen erweitert.Die Epochen in Mathematik, Physik, Chemie, Darstellende Geometrie und dasFeldmesspraktikum sind in ihrem Ansatz ähnlich. An den Inhalten in <strong>der</strong> Physik zeigt sich dasBildungsprinzip in beson<strong>der</strong>s deutlicher Form. Nirgendwo sind Naturgesetze so überschaubar und inihrer Ableitung deutlicher erfassbar als im Bereich <strong>der</strong> klassischen Mechanik. Der Jugendliche kann<strong>vom</strong> Experiment zur Beobachtung und weiter zur Gesetzmäßigkeit, zu Formel und Berechnungenvorstoßen, ohne dass Undurchschaubares, Uneinsehbares auftritt. Klares Beobachten, logischeSchlüsse, Kausalbezüge und analytisches Denken werden geschult. Weiters stehen in <strong>der</strong> Epoche mitdem Kampf um das neuzeitliche Weltbild namhafte Persönlichkeiten im Mittelpunkt; Einzelkämpfer,die ihren Teil zur Entwicklung <strong>der</strong> heutigen Zeitsituation beigetragen haben. Menschen, welche alsVorreiter unserer materialistischen Zivilisation voll auf <strong>der</strong> Erde angekommen sind; die rein ausihrem beobachtenden Denken im wahren Sinne 'Erdenbürger' geworden sind. Dies ist auch dieAufgabe, die für den 10. Klässler zu bewältigen ist: Ins Praktische des Lebens eintreten, mit beidenBeinen auf dem Boden stehen, Erdenreife <strong>–</strong> aber mit Bewusstsein <strong>–</strong> erlangen. Dann ist <strong>der</strong> Schüler<strong>vom</strong> 6. Klässler zum 10. Klässler fortgeschritten.Auch das Feldmesspraktikum bietet ein großartiges Betätigungsfeld, um sich auf entsprechendeWeise messend, zeichnend mit <strong>der</strong> Erde <strong>–</strong> einem kleinen Teil davon <strong>–</strong> auseinan<strong>der</strong>zusetzen. DiesenTeil kennt <strong>der</strong> Schüler nach den zwei Wochen Praktikum 'wie die eigene Hosentasche'. 'Man' weißBescheid <strong>–</strong> sowohl technisch als auch was die geographische Umsetzung betrifft <strong>–</strong> und hat sogarGenauigkeit erlernt.In enger Beziehung zu diesem Praktikum stehen die Inhalte <strong>der</strong> Trigonometrie, welche den Hauptteil<strong>der</strong> ersten Mathematikepoche bilden und im Feldmessen angewandt werden. Der Cosinussatz hilftaber auch in <strong>der</strong> Physik, um Berechnungen im Statischen auszuführen.Die Kegelschnitte, so sie nicht bereits in früheren Klassen erarbeitet wurden, findet <strong>der</strong> Schüler alsGesetzmäßigkeiten in <strong>der</strong> Physik wie<strong>der</strong> (Wurf <strong>–</strong> Parabel, Schwebung <strong>–</strong> Hyperbel). Im Bereichrhythmischer Rechenverfahren, Potenzrechnen und Logarithmen kann an weiteren Rechengesetzmäßigkeitengearbeitet werden. Überall soll die Mathematik in dieser Klasse einen praktischenLebensbezug aufweisen.Der Bereich <strong>der</strong> irrationalen Zahlen und <strong>der</strong> Inkommensurabilität, aus welcher die Gesetzmäßigkeitdes 'Goldenen Schnittes' abgeleitet werden kann, weist bereits auf eine an<strong>der</strong>e Art von Bildegesetz amMenschen (Le Corbusier) und somit in die 11. Klasse.In <strong>der</strong> Chemie wird an den Polaritäten Säure <strong>–</strong> Base sowie an den Kristallbildungen <strong>der</strong> Salzegearbeitet. Diese Epoche steht in direktem Zusammenhang mit jener in Darstellen<strong>der</strong> Geometrie, woausschließlich an den Platonischen Körpern und ihren Symmetriegesetzmäßigkeiten zeichnerischgearbeitet wird.In <strong>der</strong> Technologie ist das Thema die Eisen- und Stahlerzeugung. Im Digitalunterricht werdeneinfache logische Schaltungen erarbeitet und hergestellt. Es wird gelötet, und ähnlich wie imFeldmessen und in den an<strong>der</strong>en praktischen Gegenständen (Tischlern, Weben usw.) korrigiert dasWerkstück selbst, in seiner unanfechtbaren 'Objektivität', den Schüler. Der Schwerpunkt liegt hier aufdem Gebrauchswert <strong>der</strong> Werkstücke.Dem Bedürfnis <strong>der</strong> Schüler nach lebenspraktischer sinnvoller Betätigung kommt ein Praktikum inErste Hilfe entgegen. Im rechten Augenblick zugreifen, das Richtige tun können, Bescheid wissen <strong>–</strong>das gibt Sicherheit.Im künstlerischen Unterricht wird ausgehend von plastischen Grundübungen mit den polarenGesetzmäßigkeiten konvex <strong>–</strong> konkav experimentiert bzw. im Malen das Aquarellieren und Schichtenerarbeitet.Für eine 10. Klasse lauten die Bildungsziele daher:


a) Objektivität und Klarheit im Denken erlangen; logisches, kausales Schließen (Verstandesurteil <strong>–</strong>Begriffsurteil).b) Analytisches Erkennen von Gesetzmäßigkeiten in <strong>der</strong> Welt. Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem reinMateriellen, physisch-sinnlich Fassbaren. (Voll)bewusster Erdenbürger werden. Bewusstsein: Ichkann die Welt in ihren Gesetzmäßigkeiten verstehen.c) Erkenntnissicherheit bekommen: 'Die Welt ist wahr'.d) Genauigkeit im Tun, Lebenspraxise) zunehmende Verantwortlichkeit am eigenen Tun entwickeln.11. Klasse:Betrachtet man den <strong>Lehrplan</strong> <strong>der</strong> 11. Klasse, so kann man an Hand <strong>der</strong> einzelnen Fächer und <strong>der</strong>enInhalten erkennen, was fächer-übergreifend und thematisch in dieser Klasse bedeutsam ist: 'Krankheitund Tod', 'Prozessuales' und 'Zu-Ende-Gekommenes'. Aus diesen Polaritäten richtet sich <strong>der</strong> ahnendeBlick aber auch auf etwas, das über den Endpunkt hinausweist <strong>–</strong> in den Bereich <strong>der</strong> Unendlichkeit.Derartiges zeigt sich in <strong>der</strong> Mathematik, z.B. bei Folgen und Reihen, wo als Ziel in <strong>der</strong>Zinseszinsrechnung die ∞ kleinen Schritte im Entstehen eines neuen Prozesses überwunden werden.Aber auch in <strong>der</strong> Zellenlehre und Mikroskopie des Biologieunterrichtes bzw. in den ÖkologischenÜbungen wird dies deutlich. Hier folgt dem Blick ms ∞ Kleine auch immer jener ins ∞ Große. DerZellenlehre werden ganz bewusst kosmologische Gesichtspunkte zur Seite gestellt, und das, was in<strong>der</strong> Zelle vorgeht, wird als 'kleiner Kosmos' betrachtet.Ebenso verfährt man in <strong>der</strong> Chemie, wo versucht wird, die 'Stoffes-welt' als Endprodukt chemischer,geronnener Prozesse zu erfassen.Die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem sogenannten Periodensystem <strong>der</strong> Elemente und dem Atomaufbauzeigt ebenfalls begeisternde Klarheit <strong>der</strong> Systematik, aber auch mit aller Deutlichkeit, dass dies dasletzte Surrogat, das Abstrakteste, Eindeutigste, jedoch auch Toteste ist. Dennoch <strong>–</strong> dies kannüberwunden werden. Selbst das 'a-tomos' ist nicht ein 'Endzustand', die Unendlichkeit hat auch hierkeine Grenzen. Und eine neue 'unter-sinnliche' Welt <strong>der</strong> Eigenschaften, <strong>der</strong> Elementarteilchen, <strong>der</strong>Hadronen und Quarks eröffnet sich.Alle diese Aspekte finden sich ebenso in den Inhalten <strong>der</strong> Physik wie<strong>der</strong>; waren es in <strong>der</strong> 10. Klassenoch die Kräftewirksamkeiten <strong>der</strong> Mechanik, welche ganz aus dem Sinnlichen, Beobachtbarenabgeleitet werden konnten, so sind es in <strong>der</strong> 11. Klasse jene Kräftewirksamkeiten des 'untersinnlichen'Bereiches, also die elektromagnetischen Feldwirkungen, die Strahlen bis hin zur


Radioaktivität und die Theorien zum Aufbau <strong>der</strong> Materie. In ihrer jeweilig geschlossen logischenEindeutigkeit tragen sie den Wi<strong>der</strong>spruch in sich und weisen somit ebenfalls in einen un-vorstellbarenBereich <strong>der</strong> Wirklichkeit. Physik und Chemie können solcherart als zusammenhängende Einheiterfasst werden.So werden auch in einer zweiten Mathematikepoche die Gesetzmäßigkeiten <strong>der</strong> EuklidischenGeometrie in <strong>der</strong> Projektiven Geometrie auf eine neue Ebene gehoben. Es soll durch dieAuseinan<strong>der</strong>setzung mit den 'unendlich fernen Elementen' (Fernpunkt, Ferngerade, Fernebene) dieUnendlichkeit denkerisch erfasst werden. In <strong>der</strong> Schwingungslehre wird <strong>der</strong> Inhalt <strong>der</strong> Trigonometrieaus <strong>der</strong> 10. Klasse in Bewegung gebracht und die mathematische Basis für ein Verständnis deswellen-theoretischen Hintergrundes aller drahtlosen Informationsübertragung (Physik 11. Klasse)geschaffen. Auch in <strong>der</strong> Sphärischen Trigonometrie erlebt <strong>der</strong> Schüler eine Steigerung <strong>der</strong>Trigonometrie <strong>der</strong> Ebene. Diese stellt ebenso wie die Analytische Geometrie einen Zusammenschlussvon Arithmetischem und Geometrischem dar. Wie auf vielen Gebieten werden in <strong>der</strong> 11. Klassesomit zwei bislang für den Schüler als getrennt erlebte und entwickelte Arbeitsgebiete miteinan<strong>der</strong>verbunden: Zusammenhänge erschließen sich.Aufbauend auf den Konstruktionsgrundlagen von 9. und 10. Klasse werden in Darstellen<strong>der</strong>Geometrie Schnitte und Durchdringungen einfacher, krummflächiger Körper (Kegel, Zylin<strong>der</strong>,Kugel, Ringkörper, etc.) in Grund-, Auf- und Seitenrissen gezeichnet. Punktweise konstruiert werdendie Schnittkurven sichtbar. Ebenso können Schattendarstellungen konstruktiv in Schrägriss bzw.Schiefer Axonometrie erarbeitet werden.Auch die Geographie <strong>der</strong> 11. Klasse setzt hier an. In <strong>der</strong> Kartographie werden Geographie undMesskunde miteinan<strong>der</strong> in Beziehung gebracht und in den Kartenabwicklungen in ihrenDarstellungsweisen geometrisch erfasst. Es wird das lebendige Element in <strong>der</strong> Geographie in dastoteste, das <strong>der</strong> Kartographie, übergeführt. Daran kann bewusst gemacht werden:1. Wie die Erde <strong>–</strong> die in allen ihren beobachtbaren Kreisläufen und Gestaltungen das Bild eineslebendigen Organismus zeigt (10. Klasse) <strong>–</strong> als Kugel erfasst und sphärisch abgebildet auf <strong>der</strong>Karte zu einem Bild völlig an<strong>der</strong>er Art wird.2. Welche Entwicklungsmöglichkeiten dieses abstrakte Abbild <strong>der</strong> Wirklichkeit in menschlichenLebenszusammenhängen bietet.Es ist auch hier die Verfolgung eines Prozesses aus dem Lebenden ins Tote und aus dem Toten in einan<strong>der</strong>es, neues Lebendiges erkennbar.Im Technologieunterricht werden die verschiedenen Möglichkeiten <strong>der</strong> Energiegewinnung(kalorische-, Atom- und Wasserkraftwerke, Sonnenenergiegewinnung) bis in technische Detailsdurchgedacht, aber auch die Folgen unbedachter Energiemanipulation bewusst gemacht. Nirgendszeigt sich unveräußerliche Kontinuität <strong>der</strong> 'Welt, in <strong>der</strong> wir leben' deutlicher als auf dem Gebiet <strong>der</strong>Energie. Querverbindungen sowohl zur Physik und Chemie wie auch zur Ökologie ergeben sich vonselbst.Der Technologie-Informatikunterricht führt den Schüler in die Welt <strong>der</strong> Halbleiter und in die sichdamit eröffnende Mikroelektronik ein. Kleine elektronische Schaltungen werden hergestellt und zuComputereinheiten (Halbaddierer) zusammengesetzt. So werden die Inhalte <strong>der</strong> Physik 11. Klasse insPraktisch-Technologische erweitert.In <strong>der</strong> Botanik wird Pflanzensystematik betrieben. Auch hier kommt es zu einer Auseinan<strong>der</strong>setzungmit <strong>der</strong> Pflanze <strong>–</strong> dem Lebendigen schlechthin <strong>–</strong> auf <strong>der</strong> totesten, abstraktesten Ebene, die denkbar ist.Parallel dazu aber wird von dieser Ebene ausgehend versucht, durch eine Darstellung <strong>der</strong>Zusammenhänge die einzelnen Glie<strong>der</strong> des 'Organismus-Pflanzenwelt' ideologisch zu einem Bild <strong>der</strong>Entwicklung zusammen zu schauen.Nun bleiben aus dem Bereich des Epochenunterrichts nur noch die Fächer Deutsch, Geschichte undKunstgeschichte, und auch für diese Fachbereiche bilden Schicksal, Prozessuales, Tod undDarüberhinausweisendes den Schwerpunkt.In Deutsch werden Krankheit und Tod als Vorbereitung für das Sozialpraktikum, zB. an Hand vonDichterbiographien, aufgearbeitet. Im mittelalterlichen Epos 'Parzival' wird das Durchgehen durchTodesprozesse hin zum Licht, zum Nicht-Sinnlichen als großes Bild für das, was Thema <strong>der</strong> 11.Klasse ist, erlebbar. Naive Kindlichkeit, Tod, Kreuz und Auferstehung als Urbil<strong>der</strong> des Christentums


tauchen auf. Und auch hier wie<strong>der</strong> die Unendlichkeit <strong>–</strong> in völlig an<strong>der</strong>sartigem Gewand.In den Fremdsprachen stehen lebensphilosophische Fragen und Lyrik im Vor<strong>der</strong>grund. Außerdemkönnen Themen des Deutschunterrichts in abgewandelter Form aufgegriffen und einFremdsprachspiel einstudiert werden.In einer <strong>der</strong> Fremdsprachen wird in <strong>der</strong> 11.Klasse ein Theaterstück aufgeführt. Für jene Schüler,welche nur eine Fremdsprache besuchen, findet Puppenspiel (auch in <strong>der</strong> 12. Klasse) statt. EinUnterricht, wo in intensiver Arbeit und durch Üben darum gerungen wird, einem toten Ding <strong>–</strong> <strong>der</strong>Puppe <strong>–</strong> Leben, Seele zu verleihen. Es sind dies Marionetten, Hand- o<strong>der</strong> Stabpuppen, die selbsthergestellt werden müssen. Kulissen werden gebaut, Regieaufgaben sind zu übernehmen,Beleuchtung und vieles mehr ist zu berücksichtigen. Hier führt <strong>der</strong> Unterricht durch vieleernüchternde Todesprozesse schließlich doch zu neuem Leben <strong>–</strong> wie dies in den Aufführungenbeglückend und begeisternd erfahren wird.Im Kunstgeschichteunterricht <strong>der</strong> 11. Klasse werden jene einan<strong>der</strong> polaren Bildungsmittel, die seit<strong>der</strong> 1. Klasse hauptsächlich gehandhabt wurden <strong>–</strong> das 'Plastisch-Bildnerische' und das 'Musikalisch-Dichterische' <strong>–</strong>, zusammengeführt.Die Polarität des 'Apollinischen' und 'Dionysischen' wird in den verschiedenen Kunstbereichen undZeitepochen aufgesucht. Schließlich wird die Entwicklung bis ins 20. Jahrhun<strong>der</strong>t verfolgt und <strong>der</strong>Impressionismus mit dem Expressionismus verglichen: Der Impressionismus als malerische Musikeines äußeren Geschehens <strong>–</strong> Akkordketten als Stimmungsbil<strong>der</strong>. Der Expressionismus als Ausdruckeines inneren Erlebens <strong>–</strong> Akkorde verfremdet; Dissonanzen als Ausdruck innerer Zerrissenheit.Ein entsprechen<strong>der</strong> Weg durch Impression und Expression kann auch im Bereich <strong>der</strong> Malereigegangen werden, wobei dem Leitgedanken von Krankheit und Schicksal beson<strong>der</strong>e Bedeutungzukommt. Ähnlich ist es im Plastizieren: Hier wird versucht, einfachen seelischen Haltungen bzw.Stimmungen (Frage, Trauer) am menschlichen Körper Ausdruck zu geben. Der 'Körper als Spiegel<strong>der</strong> Seele' wird plastizierend erkannt. Auch hier findet <strong>der</strong> Versuch statt, das 'Objektive' im Bereichdes 'Subjektiven' herauszuformen.Den Musikunterricht ergänzend, studiert je<strong>der</strong> Schüler ein selbstgewähltes Gesangsstück, aus jeweilsselbstgewähltem Genre, als Solo ein um es letztlich im Klassenverband auf <strong>der</strong> Bühne vorzutragen.Das bereits weiter oben geschil<strong>der</strong>te Bemühen in <strong>der</strong> Musik wird im Eurythmieunterrichtunterstützt, indem Beispiele für apollinische und dionysische Dichtung und Musik geübt,Stilcharakteristika erörtert und Geschmacksbildung angeregt werden. Dichtung und Musikalischessollen sich zu einem Element vereinigen. Das selbstverständliche Darinnenstehen in <strong>der</strong>Eigenbewegung, das in <strong>der</strong> Pubertät verlorenging, muss nun auf neuer Stufe wie<strong>der</strong> errungen undgefestigt werden.Das Schuljahr in starkem Maße prägend, findet in <strong>der</strong> 11. Klasse das Sozialpraktikum statt. DreiWochen lang arbeiten die Schüler in Spitälern, Kliniken, Behin<strong>der</strong>tenheimen und -schulen. Durch denerlebbaren Mangel wird dem 'Zeitgeist' etwas an Menschlichkeit entgegengesetzt. Nicht Abschiebendes Themas Krankheit und Tod, son<strong>der</strong>n Konfrontation in geleisteter, sinnvoller Arbeit. Damit kannein neues Bewusstsein für die Qualitäten von Sinneseindrücken geweckt werden, welches gerade in<strong>der</strong> heutigen Zeit, wo zunehmend die Medien Auslöser für unsere Sinne spielen, entscheidendeBildungsbedeutung hat. Was darüber hinaus auf lange Sicht betrachtet an Toleranzfähigkeit bezüglich<strong>der</strong> Mängel an<strong>der</strong>er Menschen o<strong>der</strong> auch <strong>der</strong> eigenen entstehen kann, birgt weitere Entwicklungsmöglichkeitenin sich.Bildungsziele für die 11. Klasse:a) Objektivität im Fühlen und damit zunehmende Urteilsfähigkeit im Seelischen erarbeiten(Geschmacksurteil, Stil, Gesetzmäßigkeiten im Sozialen).b) Beweglichkeit ins Denken bringen und das Gesetzmäßige, streng Logische <strong>der</strong> 10. Klasse in eineneue Dimension führen.c) Denken in Zusammenhängen anregen (Synthese); Prozessuales Denken, welches über das reinKausale hinausweist (Wechsel-Ursachen-Verhältnis).d) Denken <strong>der</strong> Unendlichkeit; sinnlichkeitsfreies Denken; Eintauchen in das Nicht-Sinnliche.e) Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem Dunklen, Toten und die 'Überwindung' des Toten zu neuem Leben(Physik 'unter-sinnlicher' Bereich); Anwendung des Gesetzmäßigen und Überwindung des reinGesetzmäßigen/Logischen.


12. Klasse:In dem <strong>Lehrplan</strong> <strong>der</strong> 12. Klasse soll <strong>–</strong> die Entwicklung <strong>der</strong> zwölf Schuljahre zusammenfassend <strong>–</strong>dasjenige in einem großen Tableau erscheinen, was <strong>der</strong> bedeutendste Bildungsaspekt <strong>der</strong><strong>Waldorfschule</strong> ist: 'Der Mensch <strong>–</strong> Seele <strong>der</strong> Schöpfung'; <strong>der</strong> Mensch als zentrales Wesen im Kosmos.Damit ist fächerübergreifend das Jahresthema <strong>der</strong> 12. Klasse umrissen.In Biologie wird die Evolution unter diesem Gesichtspunkt bearbeitet. Bezüge <strong>der</strong> zwölf Tiergruppenzum Menschen werden deutlich. Ihre Entwicklung gibt die Möglichkeit, Zusammenhänge zurPaläontologie hin zu schaffen und damit zur Erde und ihren Gesteinsschichten; wie auch bereits in <strong>der</strong>Botanikepoche <strong>der</strong> 11. Klasse Bezüge zur Paläontologie auftreten sollen.Der Erdkunde fällt in dieser Klasse eine beson<strong>der</strong>s zentrale, zusammenschließende Rolle zu. Erstenswird aus den Naturkundeepochen aufgegriffen, was in die Bereiche Geologie und Paläontologieweist. So tastet sich <strong>der</strong> Schüler schichtenweise in die Vergangenheit, bis in jenes Erdenzeitalter vor,von dem nichts an<strong>der</strong>es mehr als 'Pflanze' auffindbar ist und darüber hinaus in die Phase desvollständig Undifferenzierten. Die Epoche führt den Schüler sozusagen auf dem Weg zu denUrsprüngen zurück, den er in <strong>der</strong> Biologie <strong>der</strong> 11. und 12. Klasse bezüglich <strong>der</strong> Evolutionsentwicklungbeschritten hat. Der Synthesecharakter dieser Erdkundeepoche zeigt sich noch in einemzweiten großen Thema, wo nochmals aufgegriffen wird, was in <strong>der</strong> 8. Klasse angelegt wurde <strong>–</strong> dieEthnographie. Die Erdkundeepoche erreicht also zwei Ziele:1. Tierreich und Pflanzenreich mit dem Wesen <strong>der</strong> Erde zu verbinden und2. die Menschenkunde als Lehre von einzelnen Menschen mit einer Betrachtung über die Völkerdieser Erde zum Abschluss zu bringen.Der Musikunterricht dient auch einem <strong>der</strong>artigen Verständnis, indem selbsttätig musizierend undhorchend die Tonsprache <strong>der</strong> Völker und Geschichtsepochen als akustischer Ausdruck bestimmterBewusstseinsentwicklungen erfasst werden kann (archaische Tonstrukturen, Tetrachord,heptatonische Leitern etc.).


In ähnlicher Weise soll <strong>der</strong> Schüler in <strong>der</strong> 12. Klasse die eigenständigen Sprach- und Denkstile <strong>der</strong>Fremdsprachen erfassen, sowie die bedeutendsten Impulse <strong>der</strong> Menschen jedes Kulturkreises in<strong>der</strong>en jeweiliger Muttersprache kennenlernen. Somit kann ein fundiertes, qualitatives Verständnis fürdie Beiträge <strong>der</strong> Kulturkreise zur Weltgeschichte entstehen und in <strong>der</strong> Folge auch ein tieferesVerständnis für die eigene Kultur und Sprache.Weiters erarbeitet sich <strong>der</strong> Schüler im Deutschunterricht durch die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong>Literatur von Griechenland bis zur Gegenwart einen literaturgeschichtlichen Überblick und somit dieBefähigung zur Entschlüsselung des Schrifttums als Symptom <strong>der</strong> menschlichen Bewusstseinsentwicklung.Die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem mo<strong>der</strong>nen Menschenbild an Hand von Goethes 'Faust'nimmt hierbei einen zentralen Platz ein. In <strong>der</strong> Gestalt des Faust wird <strong>der</strong> Jugendliche mit einemMenschen und dessen Lebensgang konfrontiert, welcher Bild ist für die zeitgenössische Suche nachSelbstfindung; einer lebenslänglichen Suche nach seinem eigenen Wesenskern, die durchAnfechtung, Irrtümer und Fehler sowie ständige Wandlungen im unermüdlichen Vorwärtsschreitenzur Freiheit und Erlösung führt. In diesem Zusammenhang liefert das Drama die Möglichkeit, sichmit dem mo<strong>der</strong>nen Wissenschaftsbild, seinen Errungenschaften und Grenzen auseinan<strong>der</strong>zusetzen.Aber auch Motive wie Überwindung <strong>der</strong> Erkenntnisgrenzen, Begegnung mit dem Bösen, Erotik undSchuld treffen die latenten Fragen des Jugendlichen.Eine gewisse Entsprechung zur Geographie findet sich in <strong>der</strong> <strong>Lehrplan</strong>angabe Rudolf Steiners fürGeschichte: 'Das Jüngerwerden <strong>der</strong> Menschheit' und das Erarbeiten eines qualitativenVerständnisses, was den inneren Aufbau, was die periodische Gesamtentwicklung <strong>der</strong> Kulturenbetrifft. (Was ist ein 'Altertum', ein 'Mittelalter', eine 'Neuzeit' in einem jeweilig historischenKulturkreis?) Eindeutig wird in dieser Epoche Wert gelegt, historisch Definiertes als äußeren Aspekteines inneren Entwicklungszusammenhanges erlebbar zu machen. Das führt im Unterricht zumbewussten Erfassen des eigenen Standpunktes sowie zu <strong>der</strong> Tatsache, dass je<strong>der</strong> Einzelne durch seineTaten o<strong>der</strong> Un-Taten Geschichte gestaltet, auf die Umwelt wirkt und somit Verantwortung mittragenmuss und darf.In <strong>der</strong> Chemieepoche wird versucht, <strong>vom</strong> herkömmlichen, kausal-analytischen Ansatz <strong>der</strong> Stoffchemiezu einer prozessorientierten Chemie hinzuleiten. Metamorphoseprozesse stehen imMittelpunkt, über die verschiedenen Arten des Eiweiß wird phänomenologisch-qualitativ gearbeitet.Auf diese Weise soll <strong>der</strong> Schüler dem Alter entsprechend qualitative Zusammenhänge erfassen undbetrachten lernen und in eine völlig an<strong>der</strong>sartige Strukturierung <strong>der</strong> Chemie eingeführt werden. DieBiochemie steht im Vor<strong>der</strong>grund, es gilt eine Chemie darzustellen, welche nicht vergiftend, son<strong>der</strong>nUmwelt und Menschen heilend wirken kann.Der Technologieunterricht kann schwerpunktsmäßig entwe<strong>der</strong> an die Arbeitsergebnisse desChemieunterrichts anschließen o<strong>der</strong> die Computertechnologie aus 10. und 11. Klasse weiterführen.Im ersten Fall wird <strong>der</strong> Ansatz wohl <strong>der</strong> sein, dass laborartig die Probleme <strong>der</strong> Umweltbelastung,Entsorgung, Wie<strong>der</strong>aufbereitung usw. bearbeitet und anschließend an das IndustriepraktikumFragen <strong>der</strong> Gesundheitsbelastung von Arbeitsplätzen besprochen werden. Neue Technologien werdenauf ihre Tauglichkeit untersucht, um praktische Probleme zu lösen. Liegt <strong>der</strong> Schwerpunkt aufComputertechnologie, so entwirft <strong>der</strong> Schüler ein Computer-programm, dessen Funktionstüchtigkeitsich schließlich im Computer bewähren muss. So erlebt <strong>der</strong> Jugendliche, dass <strong>der</strong> Mensch nicht alsSklave, son<strong>der</strong>n als gestalten<strong>der</strong> Geist <strong>der</strong> Maschine gegenüberzutreten lernen kann.Ähnlich phänomenologisch wie in <strong>der</strong> Chemie wird auch in <strong>der</strong> Physik vorgegangen. Nachdem <strong>der</strong>Schüler in <strong>der</strong> 11. Klasse in die 'unter-sinnlichen' Bereiche <strong>der</strong> Physik geführt wurde, werden in <strong>der</strong>12. Klasse neue Wege auf dem Gebiet <strong>der</strong> Optik übend beschritten. Der Anwendbarkeit <strong>der</strong>Quantentheorie auf den Mikrokosmos und <strong>der</strong> Relativitätstheorie auf den Makrokosmos wird eine amMenschen orientierte, also mezzokosmische Erkenntnisweise zur Seite gestellt. Vom Sehenausgehend und von <strong>der</strong> denkerischen Durchleuchtung von Tatbeständen wird versucht, einen Bezugzum 'Wesen des Lichtes' zu finden. Standpunktfragen bekommen zentralen Stellenwert. An denentstehenden Fragestellungen wird die Son<strong>der</strong>stellung des Menschen in <strong>der</strong> Welt deutlich.Parallel dazu kann im Kunstunterricht die Goethesche Farbenlehre malend erarbeitet werden.Der Kunstunterricht bietet außerdem die Möglichkeit, sich im Malerischen und Plastischen mit demindividuell sprechendsten Körperteil des Menschen zu befassen: dem Kopf. Malend und plastizierend


o<strong>der</strong> in Stein arbeitend, gibt <strong>der</strong> Schüler seinem eigenen Kopf unverwechselbare Schädelform undGesichtsausdruck. Disharmonien o<strong>der</strong> 'Bruch' in <strong>der</strong> Gestaltung weisen den Schüler auf Wi<strong>der</strong>sprüchein <strong>der</strong> eigenen Seele hin.Ähnliches wird in <strong>der</strong> Eurythmie versucht, wo die Aufgabe gestellt ist, für die Grundgebärde einesMusikstückes o<strong>der</strong> einer Dichtung die entsprechende Form zu entwickeln, sodass in <strong>der</strong>Geschlossenheit <strong>der</strong> Darstellung die Eigenart, die innere Qualität des Kunstwerkes sichtbar wird. DerJugendliche soll in einem eurythmischen Abschluss zeigen können, dass es ihm möglich ist, sich bisin die Gestalt und Bewegung als geschlossene Persönlichkeit hineinzustellen.Was in <strong>der</strong> Mathematik zu leisten ist, und welcher Schritt von <strong>der</strong> 11. in die 12. Klasse getan werdensoll, zeigt sich, wenn man den <strong>Lehrplan</strong> betrachtet, eindrücklich: Führte <strong>der</strong> Weg in <strong>der</strong> 11. Klasse in<strong>der</strong> Analytischen Geometrie noch <strong>vom</strong> anschaulich Geometrischen ins Algebraisch-Rechnerische, soist es nun in <strong>der</strong> 12. Klasse umgekehrt. In <strong>der</strong> Analysis soll sich <strong>der</strong> Schüler aus dem reinZahlenmäßigen einen Erlebniszugang zur Integral- und Differentialrechnung schaffen. Grenzwertevon Folgen sollen als Stellvertreter eines endlosen Prozesses erfasst werden. Durch das Erarbeiten desBegriffes 'Differentialquotient' soll <strong>der</strong> Schüler jene neue Dimension in <strong>der</strong> Mathematik begreifen:Der Quotient zweier Differenzenfolgen, die beide gegen Null gehen, ergibt etwas völlig Neues. Dassoll nicht nur angewandt werden, son<strong>der</strong>n durchschaut, erfahrbar und erlebbar sein. Dem Schülersollen in <strong>der</strong> Analysis die Gleichungen so durchschaubar gemacht werden, „dass man ein Gefühldafür kriegt, wie in den Gleichungen eigentlich die Dinge drinnenstecken“. 4 Dann erst wird dasSinnenfällige, Graphische als Darstellung des Rechnerischen dazugestellt. Aus <strong>der</strong> Gleichung dieForm finden, aus <strong>der</strong> Form die Gleichung erkennen <strong>–</strong> so wird versucht, im Schüler innere Aktivität zuerzeugen und ein Verständnis für das Qualitative in <strong>der</strong> Mathematik anzuregen, was letztlich für einechtes Begreifen <strong>der</strong> Erkenntnisse <strong>der</strong> zeitgenössischen Physik unumgänglich ist. In demZusammenhang kann auch gezeigt werden, daß Gleichungen desselben Typus im Bereich <strong>der</strong>angewandten Physik unterschiedlichst eingesetzt werden können: Optik, Elektrizität,Mechanik/Raumfahrt. Qualität und Quantität fallen auseinan<strong>der</strong>.In einer zweiten Epoche kann mit den Schülern, je nachdem was in <strong>der</strong> 11. Klasse erarbeitet wurde,Projektive Geometrie eventuell aus <strong>der</strong> Zentralprojektion (Perspektive) her aufgebaut o<strong>der</strong> SphärischeGeometrie durchgenommen werden. Die Projektive Geometrie würde <strong>–</strong> so durchgeführt <strong>–</strong> einenVerständniszusammenhang herstellen für die Anwendung in <strong>der</strong> Kavalierperspektive und demPerspektivezeichnen in <strong>der</strong> Architekturepoche, auf <strong>der</strong> Kunstfahrt. Die Sphärische Geometrie kannmehr zeichnerisch o<strong>der</strong> mehr rechnerisch durchgeführt werden, stärker in die Astronomie führeno<strong>der</strong> auf die Erde angewandt bleiben.Eine weitere Möglichkeit für eine zweite Mathematikepoche besteht auch darin, die Wände zwischenden verschiedenen Naturwissenschaften nie<strong>der</strong>zureißen, um Mathematik, Botanik, Astronomie,Embryologie und Geometrie zu einem großen Gesamtbild zusammenzuschließen. Das aber ist stark<strong>vom</strong> Entwicklungsstand <strong>der</strong> Klasse abhängig.Ein gänzlich an<strong>der</strong>er Begriff von 'Toleranz' als im Sozialpraktikum <strong>der</strong> 11. Klasse beschäftigt denSchüler in <strong>der</strong> 12. Klasse während des Industriepraktikums: Hier geht es um Toleranzen im'μ-Bereich' im Produktionsprozess eines Industrieunternehmens, wie zB. des Plansee-Werks in Reutte.Der Schüler macht in diesem dreiwöchigen Praktikum an <strong>der</strong> Arbeit, an den arbeitenden Menschenund damit auch an sich selbst unterschiedlichste Erfahrungen. Sinn dieses Praktikums ist es, dasWirtschaftsleben zunächst einmal 'von <strong>der</strong> Basis her' kennenzulernen; <strong>der</strong> Schüler erlebt, was esbedeutet, in Zusammenarbeit mit an<strong>der</strong>en Menschen einem gemeinschaftlichen Wirtschaftsziel zudienen. Er lernt die Chancen und Probleme unserer mo<strong>der</strong>nen arbeitsteiligen Gesellschaft kennen undkann in <strong>der</strong> Arbeit beobachten, wie Fehlleistungen an einer 'Teil-Stelle' sich für den gesamtenProduktionsprozess <strong>–</strong> für das Ganze <strong>–</strong> auswirken. „Der Teil und das Ganze“ 5 (Heisenberg), welchesals Problemstellung im sogenannten 'Welle/Teilchen-Dualismus' die Schüler in Physik beschäftigthat, wird als eine bis ins heutige Wirtschaftsleben wirkende Bewusstseinsentwicklung <strong>der</strong> Menschheitdeutlich. Natürlich lernt <strong>der</strong> Jugendliche auch, im Produktionsprozess eine Maschine exakt zubedienen, Materialprüfungen und an<strong>der</strong>e Kontrollen vorzunehmen und: am 'eigenen Leib' erfährt er,wieviel persönliche Kraft es braucht, zwischen die Polaritäten Arbeit <strong>–</strong> Freizeit noch ein drittes,geistig-schöpferisches Element bewusst hineinzustellen. Somit erfüllt dieses PraktikumBildungsaufgaben im weitesten Sinn.


Um politische Bildung erlebbar zu gestalten, bilden im Sozialkundeunterricht in Gruppen bearbeiteteFälle (zB. ein Verfahren vor den Höchstgerichten, eine Kollektivvertragsverhandlung,Interpretationen von Opern und Dramen, ein aktueller Gesetzesantrag vor dem Nationalrat) undExkursionen die Ausgangspunkte für die Behandlung des Stoffes, d.i. die 'europäische Staats-,Rechts- und Wirtschaftsentwicklung von <strong>der</strong> Französischen Revolution zum Wohlfahrtsstaat desausgehenden 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts'. An <strong>der</strong> Entfaltung <strong>der</strong> Bürger- und Menschenrechte werden dieEntwicklungslinien konkret studiert, mit ihrer Hilfe werden <strong>der</strong> Ost-West- und <strong>der</strong> Nord-Süd-Konfliktanalysiert. So schließt sich auch hier durch die exemplarische Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Teilgebietenverschiedenster Richtung das große Bild unserer Menschheitskultur, und Gesamtfragen können ausVerantwortung und Einsicht bearbeitet werden.Die Verantwortung des einzelnen für die Gemeinschaft und die Erfahrung, dass im Bemühen aller umein gemeinsames Ziel mehr entstehen kann, als durch die Summe <strong>der</strong> Einzelfähigkeiten vorstellbarist, wird im sogenannten 'Klassenspiel' deutlich. An Hand eines großen Theaterstückes erfährt sichdie Klasse <strong>–</strong> ein letztes Mal <strong>–</strong> in ihren gemeinsamen Möglichkeiten. Sprache, Gestik, Musik, Gesang(eventuell Eurythmie), Inszenierung, Bühnenbild, Beleuchtung, Programm- und Plakatgestaltung <strong>–</strong>dies alles muss erarbeitet und in einigen Aufführungen <strong>–</strong> oft mit Mehrfachbesetzungen <strong>–</strong> bewältigtwerden.Ebenso wird dies im Puppenspiel, nach <strong>der</strong> 11. Klasse nun ein weiteres Mal, geleistet.Als zweiten Abschluss neben dem Klassenspiel hat je<strong>der</strong> Schüler die Aufgabe, sowohl ein praktischkünstlerischesThema als auch ein theoretisches Thema (fächerübergreifend) als Jahresarbeitauszuführen, mit <strong>der</strong> er sich auch wirklich das gesamte Schuljahr neben dem Unterricht beschäftigt;wobei jedem Schüler ein Lehrer als beraten<strong>der</strong> Betreuer zur Verfügung steht.Diese praktischen Abschlussarbeiten werden in einer Ausstellung bzw. Abendvorführung öffentlichdargeboten. Zur theoretischen Arbeit muss je<strong>der</strong> Schüler ein öffentliches Referat mit anschließen<strong>der</strong>Diskussion halten. Auch diesen Veranstaltungen muss die Klasse eine Form zu geben imstande sein.Die 12. Klasse abschließend, findet im Anschluß an die Architekturepoche eine Kunstreise statt. Mitdieser Kunstgeschichteepoche wird gewissermaßen ein Schlussstein gesetzt; <strong>der</strong> Schlussstein vonzwölf Jahren Kunstunterricht an <strong>der</strong> <strong>Waldorfschule</strong>. Auch hier prägt die Frage nach <strong>der</strong>Bewusstseinsentwicklung <strong>der</strong> Menschheit, abgelesen an <strong>der</strong> Baugeschichte, sowie die Frage nachdem Gesamtkunstwerk den Unterricht. Der Mensch als Kulturschaffen<strong>der</strong>, als Gestalten<strong>der</strong>, als in dieNaturumgebung Eingreifen<strong>der</strong> steht im Mittelpunkt dieser Architekturepoche. Fragen bezüglich <strong>der</strong>Aufgabe <strong>der</strong> Kunst in <strong>der</strong> Gegenwart treten auf, die Verantwortung des Künstlers (des Architekten)für die Natur, für die Menschen wird bewusst.So ist zu hoffen, dass die 12. Klasse, stellvertretend als Teil für das Ganze <strong>–</strong> zwölf JahreWaldorfschulbildung <strong>–</strong>, ihren Teil zum Bildungsziel 'Mensch' beiträgt, das Rudolf Steiner 1920 soformuliert hat:„Der Mensch findet, erkennend die Welt, sich selbst, und erkennend sich selbst, offenbart sich ihm dieWelt.“Bildungskriterien aus menschenkundlicher Begründung für die 12. Klasse:a) Von <strong>der</strong> Sinnesbeobachtung, <strong>vom</strong> Tatbestand ausgehend, Qualitäten erfassen lernen.Beobachtungsmaterial und Intuition vereinen lernen. Vom Gestalteten zum Undifferenziertenvordringen.b) Zusammenhänge schaffen, innere Bezüge herstellen und damit das Wirken geistiger Kräfte in <strong>der</strong>Welt anschaubar machen; synthetisch, Ideen-schaffend vorgehen. Zusammenspiel von Geistigemund Sichtbarem, Form und Stoff erleben.c) Einen Prozess vorwärts und rückwärts durchschreiten; innere Aktivität for<strong>der</strong>n.d) Von kausal-analytischen zu ideologischen Betrachtungen wechseln. Gesetz, Notwendigkeit,Freiheit und Verantwortung zusammenschauen lernen. Mensch und Natur, Mensch undGesellschaft (Teil und Ganzes).e) Sich mit <strong>der</strong> Schicksalsfrage konfrontieren; Menschheitsfragen entstehen lassen.f) Der 12. Klassier in Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem christlichen Menschenbild <strong>–</strong> erlebtesGrenzgängertum; Umdenken üben, statt Umdenken predigen.


Klaus Podirsky, 1989Anmerkungen:1R. Steiner: „Anthroposophische Pädagogik und ihre Voraussetzungen“ (1924) GA309; 5. Vortrag2R. Steiner: „Konferenzen mit den Lehrern <strong>der</strong> freien <strong>Waldorfschule</strong> 1919-1924 “, GA300a-c,Konferenz 15.Nov.1920;3ebenda: Konferenz 22.Sept.19204ebenda: Konferenz 30. April 19245W. Heisenberg: „Der Teil und das Ganze <strong>–</strong> Gespräche im Umfeld <strong>der</strong> Atomphysik“; München1996 (2002)

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!