INFO 1 / 2008 - GGG Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule e.V.
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sich an ihn halten als Leuchtturm realitätsfester Schulreform oder man konnte<br />
ihn als pragmatischen Opportunisten verdammen. Er war die autoritäre Eiche,<br />
an der man sich vertrauensvoll festhalten oder empört reiben konnte. Auf<br />
ihn konnte man leicht unausgelebte Träume und uneingestandene Selbstvorwürfe<br />
projezieren.<br />
Jede Generation arbeitet sich an ihren Widersprüchen ab, kokettiert damit,<br />
leidet daran, richtet sich damit ein. Für Mümmelmannsberg gab es fortan<br />
eine Symbolfigur, die mit verblüffender Selbstverständlichkeit die Ungereimtheiten<br />
unserer Altersgruppe (ungeniert und unübersehbar) auslebte.<br />
Da hatten wir also:<br />
Einen pedantischen Hippie, der trickreich mit Haushalt und Statistik jonglierte;<br />
Einen urdeutschen Skatspieler, der samstags als orange-gelber Sanyassin<br />
in der Disko hopste;<br />
Einen Bildungsbürokraten, der die Schlager von Nena für Kunst hielt;<br />
Einen sentimentalen Poltergeist;<br />
Einen demokratischen Despoten,<br />
Einen arbeitswütigen Cabrio-Fahrer ...<br />
die Liste ist durchaus unvollständig.<br />
Dieser bürokratische Anarchist aus Eimsbüttel hatte Schule und Stadtteil<br />
Mümmelmannsberg zu seiner ureigensten Sache gemacht. Das städtebauliche<br />
Sozialmodell a la Gropiusstadt in West-Berlin hatte längst Risse bekommen.<br />
Von der konkreten Utopie war vor allem der Beton geblieben. Bis heute<br />
spülen Krisen zu Hause und in der Welt ihre Opfer bevorzugt hierher. Es<br />
begann, glaube ich, Ende der 70er mit den vietnamesischen Boat-People -<br />
übrigens keine geringe Irritation für uns Weltverbesserer, denen noch das Ho<br />
(-Ho-Ho-) - Tschi-Minh in den Ohren klang.<br />
Die GSM ist der Prototyp einer „Trotzdem-Schule“, die am Ziel sozialer<br />
Gerechtigkeit festhält, auch und gerade, wenn der jeweilige Zeitgeist seine<br />
Kollateralopfer hier ablädt. Auch und gerade dann.<br />
Klaus Reinsch war nicht die GSM, auch wenn er selbst die beiden nicht<br />
wirklich auseinander halten wollte. Die GSM ist nun wirklich eine<br />
Gemeinschaftsanstrengung. Aber Klaus passt so gut als Aushängeschild , weil<br />
er besser als sonst jemand die Hartnäckigkeit personifiziert hat, mit der Schulen<br />
wie diese an scheinbar überholten Idealen festhalten. Die GSM war nie<br />
eine Schönwetterschule. Dieses Unternehmen verlangt Kraft, Hartnäckigkeit,<br />
wahrscheinlich Verbissenheit über das übliche Maß hinaus. Und mit solcher<br />
Zähigkeit plus viel Chuzpe, notfalls bis zum Bluff und zur Realitätsverweigerung<br />
- damit war Klaus reichlich gesegnet. Vielleicht hat er den Starrsinn verkörpert,<br />
den man braucht, um gegen den Ungeist der Zeit anzusteuern. Andere<br />
sind gescheitert. Klaus war nicht die GSM, aber er steht für ihren entschlossenen<br />
Kern.<br />
Die Zeit nötigt zu Kompromissen. Bei ihm hatte sie Haar und Bart domestiziert.<br />
Sein Charakter ist ihm treu geblieben bis zuletzt, ob das nun gut ist<br />
oder schlecht, vielleicht in den letzten Jahren mit noch härteren Kanten. Unsere<br />
Stärken können sich unversehens in Schwächen verkehren. Klaus’ Über-<br />
Identifikation mit der Schule hat ihm das Loslassen nicht erlaubt.<br />
Es hatte sich so ergeben, dass ich mit Klaus in den letzten Monaten mehr<br />
Zeit verbracht habe als in Jahrzehnten davor. Es war ein deja-vu, die Wiederbegegnung<br />
mit einem Menschen, Kollegen und Chef aus einem anderen Zeit-<br />
28 <strong>GGG</strong> LV HH Info 1/<strong>2008</strong>