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Christian Ludwig Attersees Esswelten

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Malzeit<br />

<strong>Christian</strong> <strong>Ludwig</strong><br />

<strong>Attersees</strong> <strong>Esswelten</strong><br />

Malerei, Musik, Texte. Der künstlerische<br />

Aktionsradius von <strong>Christian</strong> <strong>Ludwig</strong> Attersee<br />

ist gewaltig groß, die Motive nicht selten<br />

von Essbarem geprägt.<br />

Manchmal kann Kochen auch Kunst sein. Für einen Künstler wie Attersee<br />

aber findet geschmackvoller Impressionismus, bei allem Verständnis für Kulinarik, nach wie vor auf<br />

der Leinwand und nicht auf dem Teller statt. Schon Anfang der sechziger Jahre schuf er die Bildgruppe<br />

„Kompositionen mit Fleischstücken“, erfand später zahlreiche Objekte wie das Attersteck, ein spezielles<br />

Essbesteck, Installationen wie „Speiseblau“ und „Speisekugel“.<br />

Sättigung war und ist in diesem Zusammenhang eine eher sekundäre Angelegenheit: „Wenn ich<br />

damals hungrig war, habe ich mir etwas zum Essen gemalt.“ Erfundene Welten sind wie erlebte<br />

Welten. „Mein Grundzugang zur Beschäftigung mit dem Essen war stets die Nichtauftreibbarkeit. In<br />

der Nachkriegszeit, als Kind, hatte ich Hunger, aber er war mir nicht so bewusst, weil ich die Gegenwelt<br />

nicht gekannt habe. Damals gab es ganz einfach nichts, später hatte ich nicht genügend Geld. Ich fand<br />

es in dieser Situation reizvoll, Abbildungen von Essen zu sammeln. Aus diesem Collagematerial sind<br />

dann viele Arbeiten entstanden.“<br />

Attersee definiert seine Kunst über den Alltag, zwischen Hunger und Sattheit. „Und dazwischen liegt<br />

das, womit ich dann alles verbinde: die Erotik.“ Die Welt der Gegenstände hat ihn stets fasziniert. Die<br />

gebräuchlichsten Alltagsgegenstände sind, von Kleidung einmal abgesehen, frappierend oft im Essbereich<br />

zu finden. „Essen findet drei Mal am Tag statt, in verschiedenen Räumen und mit Gegenständen.<br />

Die Plätze, wo das passiert, haben mich immer interessiert.“ Es ist daher nicht wirklich ein Zufall,<br />

dass Attersee heute auch ein Wirtshausbesitzer ist. Seit Jahren betreibt er in der Wiener Bäckerstraße 5<br />

das „Neu-Wien“, ein Szenelokal mit veritabler Wirtshausküche, die im aktuellen „A la Carte“-Guide mit<br />

einer Krone bewertet ist.<br />

Wirtshäuser sind für Attersee nicht nur gebunden an Haltungen und Ideen der Köche, sondern auch<br />

der Menschen, die es besuchen und das Lokal in diesem Sinn mitbesitzen. „So wird ein Lokal im breitesten<br />

Sinn auch zu einer Art gesellschaftspolitischen Inhalts.“ Am wohlsten fühlt er sich im „Neu-<br />

Text: <strong>Christian</strong> Grünwald<br />

Fotos: Manfred Klimek<br />

Wien“ mit gleich gesinnten Kollegen. „Abends schaut<br />

oft Luc Bondy vorbei, oder ich sitze mit Hermann Nitsch<br />

und Walter Pichler zusammen. Ich hab’ aber auch darauf<br />

<strong>Christian</strong> <strong>Ludwig</strong><br />

Attersee in seinem<br />

Wiener Atelier:<br />

„Servierlust“<br />

heißt nicht nur<br />

einer seiner<br />

Bilderzyklen,<br />

sondern ist<br />

ihm auch eine<br />

Weltanschauung.<br />

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<strong>Christian</strong> <strong>Ludwig</strong> Attersee<br />

geachtet, dass die Preise ein wenig gesenkt werden, weil ich will, dass<br />

mehr junge Leute kommen. Hier sollen zwei Generationen von Künstlern<br />

miteinander kommunizieren.“<br />

Als Wirt im eigentlichen Sinn fühlt sich Attersee aber nicht. „Mich<br />

interessiert nur der Schauplatz und dessen Funktion für eine gewisse<br />

Gesellschaftsgruppe. Wirt ist man, wenn man damit etwas verdienen<br />

muss. Die Grundidee des Lokals ist weniger der Gewinn als der Sinn.<br />

Wenn wir Gewinn machen, wird’s auch gehen, aber das ist nicht das<br />

Programm. Ich versuche, verschiedene Gruppen zusammenzuführen.<br />

Und das Essen muss sowieso funktionieren, sonst geht keiner hin.“<br />

Der so genannte Künstlerstammtisch ist von existenzieller Notwendigkeit:<br />

„Es geht ja vor allem um den Dialog mit gleich gesinnten<br />

Künstlern. Künstler arbeiten in Wirklichkeit für Künstler und nicht<br />

für den Konsumenten. Sie befinden sich im Wettkampf mit sich, das<br />

ist der Grundinhalt von Kunst. Das vergisst man immer: Das ist ein<br />

Wettkampf, die Kunst.“<br />

Rund 350 Ausstellungen hat <strong>Christian</strong> <strong>Ludwig</strong> Attersee bisher<br />

gemacht. In Wirtshausgalerien ebenso wie kürzlich im Amsterdamer<br />

Stedelijk Museum, dem vielleicht wichtigsten Museum für moderne<br />

Kunst in Europa. Arbeit ist fixer Bestandteil seines Lebens, das Ergebnis<br />

ist auch zahlenmäßig imposant. „Ich habe ein Lebenswerk von<br />

7000 Bildern.“ Dass sich Attersee vor der Malerei schon mit dem<br />

Schreiben von Romanen und Liedern beschäftigt hat, wird an seinen<br />

so genannten Sprecherfindungen deutlich. „Den Objekten musste<br />

man ja immer einen Namen geben. Darum habe ich gleich eine eigene<br />

<strong>Attersees</strong>prache entwickelt: Eine bildwerfende Kunstsprache, meistens<br />

geht’s um Wortkombinationen. In einem 1983 erschienenen Buch<br />

gab’s schon rund 1800 Wortschöpfungen.“ Titel wie etwa Servierlust-<br />

„Wenn ich Hunger habe, male ich<br />

mir ein großes Stück Fleisch.<br />

Ich male mir auch<br />

die schönsten Frauen.“<br />

Objekte aus <strong>Attersees</strong> <strong>Esswelten</strong>: Schinkenfinger,<br />

Torte mit Speisekugeln und Speiseblau sowie das<br />

legendäre Attersteck mit Suppenschwammlöffel,<br />

Zeichengabel und Speisepflug.<br />

rundum, Breezekunst, Kirschkatzen, Fischwald oder<br />

Kreuzobst sollen für den Betrachter einerseits ein<br />

Lockruf sein, ihn andererseits aber auch verwirren:<br />

„Mit einem Bildtitel, der das Bild gar nicht beschreibt,<br />

zwinge ich den Betrachter, in das Bild einzutauchen.“<br />

Auch ein Attersee-Englisch hat er entwickelt, „weil<br />

ich nicht immer die blöden Texte bei Schlagern mitsingen<br />

wollte und nun so über eine eigene Gesangssprache<br />

verfüge.“<br />

Neben der Malerei fasziniert <strong>Christian</strong> <strong>Ludwig</strong><br />

Attersee nichts mehr als die Musik. In den verschiedenen<br />

Ateliers und Wohnungen (Wien, Semmering,<br />

Burgenland und Mallorca) befinden sich insgesamt<br />

acht Klaviere und über 50.000 CDs und Schallplatten.<br />

„Ich spiele wie ein Maler, aber das reicht ja auch.“ –<br />

Wie wahr, von Attersee eingespielte CDs finden sich<br />

in jedem besseren Musikgeschäft.<br />

Die Vielfalt des Schaffens fasziniert. Alles kommt<br />

scheinbar spielerisch leicht auf die Welt. „Alles, was<br />

ich mache, ist nicht von oben oder unten befohlen,<br />

sondern seitlich. Ich verarbeite, was mir andere Menschen<br />

zeigen. Und ganz offensichtlich interessiert das<br />

genügend Menschen seit 40 Jahren.“ Kunst ist ein<br />

erweitertes Bild. „Das kann ein Tischtuch sein, eine<br />

Keramik oder ein Bühnenvorhang. Malerei ist fast<br />

überall anwendbar: von der Kleidung über die Esswelt<br />

bis zur Bühne und der Gartengestaltung.“ Im Atelier<br />

warten fabriksneue Kühlschränke im 50er-Jahre-<br />

Design darauf, von Attersee bemalt zu werden. Die<br />

Kunst ist tatsächlich ein weites Feld.<br />

Wie funktioniert die Kreativitätsmaschine Attersee?<br />

„Ich setze mir Mottos und Arbeitstitel für die verschiedenen<br />

Projekte und sammle im Kopf oft über Monate<br />

die entsprechenden Eindrücke. In der Umsetzung<br />

geht’s dann vergleichsweise sehr rasch.<br />

Wichtig ist, Mut und Sicherheit zu gewinnen,<br />

ehe man an die Umsetzung geht. Der<br />

Höhepunkt im Arbeitsalltag ist für mich die<br />

Erstfindung, oder sagen wir, gute Lösung.<br />

Das Schönste am Künstlersein ist, jeden Tag<br />

die Welt neu zu erfinden. Das ist ganz ein<br />

guter Beruf.“ Die Umsetzung ist individuell.<br />

„Das kann man nur im Kopf machen oder<br />

auch auf einem kleinen Stück Papier. Aber,<br />

wenn man es als Produkt hat, dann ist man<br />

ein wenig mehr an der Schöpfung beteiligt<br />

als nur im Denken. Und ich finde es gut,<br />

wenn sich Menschen gegenseitig mit Produkten<br />

überraschen oder auch nur auf die<br />

Nerven gehen. Wir leben ja in einer Welt<br />

aus Produkten: von der Mona Lisa bis zu<br />

einem Stück Fleisch, das nach zwei Tagen<br />

nicht mehr essbar ist. Beides ist gleich wichtig.<br />

Man sollte nicht die Rangordnungen verschieden<br />

einstellen. Ich hab’ nichts von der<br />

Mona Lisa, wenn ich verhungere. Ich habe<br />

„Schlechte Restaurants sind wie eine Ausstellung, wo mir die Bilder<br />

nicht gefallen. Aber<br />

die Bilder muss ich<br />

nicht kaufen.“<br />

umgekehrt im breitesten Sinn<br />

nichts vom Essen allein, wenn ich<br />

es nicht verstehe zu bereichern: mit<br />

Kunst, Leben, Liebe, egal.“<br />

Verbreiterung im Sinn von Masse<br />

hat Attersee mitunter lustvoll betrieben<br />

und dadurch an Popularität<br />

gewonnen. „Ich gehe nicht her, den<br />

Kunstmarkt zu ändern. Wichtig ist,<br />

die Kunst zu ändern. Das unendliche<br />

Produkt hat insofern keinen<br />

Sinn, weil es keinen Spaß macht.<br />

Die Inflation beim Wein ist dieselbe<br />

wie beim Kunstmarkt: Tausende<br />

Künstler produzieren ununterbrochen<br />

mittelmäßige Produkte. Selbst<br />

wenn der eine oder andere gut ist,<br />

kann man nicht allen folgen.“<br />

Obwohl sein Großvater einst der<br />

größte Weinhändler der Slowakei<br />

war, hat ihn die Herstellung eines<br />

eigenen Weins nie interessiert. Die<br />

verschiedenen Attersee-Keller sind<br />

auch so übervoll. Gefüllt, unter anderem<br />

mit wertvollem Bordeaux<br />

und natürlich dem „Grüve“, jenem<br />

Leicht-Veltliner der Gebrüder<br />

Jurtschitsch, für den er seit Mitte<br />

der achtziger Jahre die Etiketten<br />

entwirft. Eigene Getränkeerfindungen,<br />

wie etwa ein Atterbitter, scheiterten<br />

an der Vermarktung: „Man<br />

kann mit so etwas nicht gegen Martini und<br />

Campari antreten.“<br />

Durch das Atelier auf Mallorca hat der 61-Jährige<br />

die spanische Genusskultur lieben gelernt. „Die wird<br />

immer unterschätzt. Spanische Küche ist ländlich,<br />

dem Haushalt und der Familie sehr nahe. In Italien<br />

gibt’s das natürlich dauernd, aber dort wird das viel<br />

anstrengender verkauft. In Spanien ist das viel einfacher<br />

und normaler.“ Ende der siebziger Jahre wurde Attersee von<br />

wohlhabenden Gönnern auf so genannte Essausflüge mitgenommen,<br />

wo man schnell einmal für ein Essen an die Cote d’Azur, Paris oder<br />

Lyon flog, um dort Retticheis zu essen und die versalzenen Zucchiniblüten<br />

zu kritisieren. „Das interessiert mich heute eigentlich nicht<br />

mehr. Ich habe ja nichts gegen Erfindungen, aber mittlerweile<br />

versucht man alles mit allem. Das ist in der Kunst o.k., aber beim<br />

Essen hat das irgendwo eine Grenze. Zumindest bei mir, weil, ich<br />

brauche kein Retticheis. Da habe ich lieber einen Rettich mit einem<br />

Schluck Bier.“ Die von Attersee frequentierten Restaurantadressen<br />

Attersee mit einem für Eckart Witzigmann<br />

entworfenen Platzteller und im Jahr 1966<br />

mit den von ihm entworfenen Speisekugeln<br />

reichen in Österreich vom „Steirereck“<br />

bis zum „Deuring Schlössle“. In New<br />

York zieht es ihn stets magisch in<br />

Steakhäuser und Fleischereien. „Ich<br />

liebe es, die dort aufgehängten prächtigen<br />

Fleischstücke anzusehen.“<br />

Fleisch ist eben ein durchgehendes<br />

Motiv in seinem Lebenswerk. Zu<br />

besichtigen ist dies auch in seinen nächsten Ausstellungen:<br />

Galerie Heike Curtze, Wien, ab 15. Mai; Gut<br />

Gasteil, Semmering/Prigglitz, ab 6. Juli. Zwschendurch<br />

arbeitet Attersee, der Universalist, weiterhin an seinen<br />

Bildern, Texten, Kompositionen und beeindruckenden<br />

Glasobjekten, die im Herbst bei der Architekturbiennale<br />

in Venedig zu sehen sein werden. Kann dieser<br />

Mann eigentlich irgendetwas nicht? „Ich kann nicht<br />

Auto fahren, Ballett tanzen und kochen. Sonst kann<br />

ich eigentlich alles.“<br />

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