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<strong>Großstadt</strong>. <strong>Und</strong> <strong>auch</strong> <strong>wieder</strong> <strong>nicht</strong><br />
Text: Wolfgang Hofbauer/Photos: Jürgen Skarwan<br />
DUBLIN DIE IRISCHE HAUPTSTADT PULSIERT WIE SELTEN WAS UND BRAUCHT WENIG PLATZ DAZU. SZENEN VOM RAND EUROPAS.
Irland generell ist ein Anziehungspunkt für Dichter: Offiziell, weil es dort so grün ist, inoffiziell, weil sie keine Einkommenssteuer zahlen müssen. Damit ist Dublin die Literaturwelthauptstadt./ Ireland’s green hills – and its policy of exempting artists from income tax – make it an attractive place for writers. Dublin continues to defend its reputation as the literature capital of the world.<br />
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Rund um den Vergnügungsbezirk Temple Bar ist tagsüber das Reich der schrägen Modegeschäfte. Nach Ladenschluss beginnt hier das Nachtleben Marke „loud and crowded“./By night the area around the Temple Bar district is the place to go for a wild evening; by day it’s ruled by off-beat fashion shops. After closing time the quarter reverts to nightlife of the “loud and crowded” variety.<br />
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ESSEN UND TRINKEN – ODER NUR TRINKEN<br />
Der Dubliner Abend beginnt im Pub, daran gibt’s kein Vorbei.<br />
<strong>Und</strong> zwar so ab fünf Uhr. Nicht selten endet er <strong>auch</strong> dort.<br />
Die Auswahl ist enorm (über 700), hier ein paar Favorits:<br />
The Globe, mehr was Schickes (South Great George’s<br />
Street), angeblich mit den schönsten Frauen Dublins, was<br />
sich beim Test <strong>nicht</strong> ganz bestätigt hat. Dann das<br />
Brazen Head, exisitiert seit 1688, hat heute internationales<br />
Publikum und täglich Live Musik (20, Bridge St. Lower).<br />
Im O’Donoghues (15, Merrion Row) begann die Karriere der<br />
Dubliners. Auch jetzt noch ein bekanntes Singing-Pub.<br />
Musikfrei ist The Oak in Dame Street/Crane Lane.<br />
Hier verkehrt die „bessere“ Jugend der Stadt.<br />
Nicht ganz unskurril ist The Mercantile Bar im Adams Trinity<br />
Hotel, 28, Dame Street. Im ersten Stock kann man Steaks<br />
essen und gleichzeitig über die Reling nach unten in das<br />
etwas überladene, aber schöne Pub schauen und<br />
die Leute beim Trinken beobachten.<br />
Essen kann man in Dublin besser als im restlichen Land, was <strong>nicht</strong><br />
viel heißen muss. Es gibt aber durchaus Spitzenrestaurants:<br />
The Rajdoot Tandoori, 26–28, Clarendon Street, ein Inder der Oberklasse.<br />
Günstiger ist Indian Tandoori (16, Dame Street), und schärfer<br />
<strong>auch</strong>. Die jungen Coolen essen ihre Pasta im La Stampa, einem<br />
Ballsaal aus dem 19. Jahrhundert: 35, Dawson Street. Das beste<br />
Fischrestaurant der Stadt ist Lord Edward Seafood Restaurant, eingerichtet<br />
wie ein englischer Club. Hier wird frischester Fisch einfach<br />
und daher umso besser zubereitet: 23, Christchurch Place.<br />
In Dublin finden allabendlich zahlreiche Live-Konzerte statt, von<br />
Ethno über Rock bis hin zu zahlreichen Traditional-Gigs. Wichtige<br />
Veranstaltungsorte sind das Olympia Theatre, ein herrlich viktorianisches<br />
Gebäude in 72, Dame Street, das HQ at the Hall of Fame<br />
in 57, Middle Abbey Street, die modernste Halle der Stadt. Auf<br />
Rockmusic ist The SFX, 28, Upper Sherrad Street, mit einer Kapazität<br />
von 1500 Menschen spezialisiert, und auf junge Künstler, die<br />
sich in traditioneller Musik versuchen: The International Bar in<br />
23, Wicklow Street (jeden Dienstag).<br />
Wie groß Dublin wirklich ist? So groß: Eines sonnigen<br />
Vormittags sehe ich ein wunderschönes Mädchen aus dem<br />
nördlichen Tor des Trinity College heraushuschen. Sie hat lange<br />
schwarze Haare, eilt an mir vorbei, ist <strong>auch</strong> schon für immer<br />
im Getümmel der belebten Straßen verschwunden und bleibt<br />
doch als Nachhall in Erinnerung. Zwei Stunden später aber<br />
begegne ich demselben Mädchen in einer Gasse, ganz woanders<br />
in dieser Stadt. Sie kommt auf mich zu, sagt „hello“, lächelt<br />
mich an – und drückt mir eine Bestellkarte für ein Abo<br />
der Zeitschrift „The Dubliner“ in die Hand. Bevor ich noch ’was<br />
sagen kann, ist sie <strong>auch</strong> schon vorbei und <strong>wieder</strong>um in der<br />
Menschenmenge abget<strong>auch</strong>t. Diesmal aber <strong>nicht</strong> für immer,<br />
denn ich weiß jetzt: Mit ein wenig Glück sehe ich sie ja <strong>wieder</strong>,<br />
in der Grafton Street, im St. Stephens Park oder vielleicht sogar<br />
unter dem Joyce-Denkmal in der Connolly Street, wo sie auf<br />
einer Bank sitzen mag, versunken in einen Band mit Short<br />
Stories von Frank O’Connor oder in den Genuss eines vierstöckigen<br />
Sandwichs mit Thunfisch.<br />
So groß ist Dublin.<br />
Trotz der bestenfalls mittleren Dimensionen: Dublin lebt,<br />
wurlt, brodelt fast. Das fällt umso mehr auf, als man es sich<br />
am Rande Europas so <strong>nicht</strong> erwarten würde. Irland gilt ja nach<br />
langen müden Jahren neuerdings als Europas Tigerstaat, und<br />
Dublin ist dessen pochendes Herz. Das junge Establishment<br />
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Selbstverständlich gibt es in Dublin ein „Writers Museum“: dort wird allen gehuldigt, die in Irland oder anderswo erfolgreich die Feder zur Hand genommen haben – vorausgesetzt natürlich, sie waren Iren./Dublin naturally has its own “Writers Museum”, that pays tribute to famous writers both in Ireland and in the rest of the world – assuming, of course, that they were Irish.<br />
58<br />
DIE MUSTS – AUS DEM PFLICHTENHEFT DES DUBLIN-BESUCHERS<br />
f Trinity College/Old Library mit dem „Book of Kells“ aus dem 8. Jahrhundert,<br />
der schönsten Handschrift des Mittelalters. College Green,<br />
Mo.–Sa. 9.30–17.00, So. 9.30–16.30 Uhr. Eintritt: 5,80 Euro.<br />
f Dublin Writers Museum Hommage an Swift, Shaw, Beckett, Joyce<br />
und eine Menge weiterer irischer Nationalheiliger. 18, Parnell Square<br />
North. Mo.–Sa. 10.00–17.00, So. 11.00–17.00 Uhr. Eintritt: 4 Euro.<br />
f National Gallery of Ireland Europäische Malerei vom 14. bis zum<br />
20. Jahrhundert. Angenehm „uncrowded“. Merrion Square West. Do. bis<br />
20.30 offen, sonst bis 17.30 Uhr. Eintritt frei, aber Spenden erwünscht!<br />
f Guinness-Brauerei Die größte Stout-Brauerei der Welt hat ein zu<br />
modernes, zu lautes und zu multimediales Museum. Immerhin ist beim<br />
Eintritt von 6,50 Euro 1 Pint dabei. Riesiger Bier-Andenken-Shop.<br />
Crane Street. Mo.–Sa. 9.30–17.00, So. 10.30–16.30 Uhr.<br />
f Jameson Distillery Hier erfährt man, wie Whiskey gemacht wird.<br />
Das Beste ist allerdings der Aussichtsturm, welcher die einzige Möglichkeit<br />
bietet, die Stadt ganz zu überblicken. Bow Street. Geführte Touren<br />
täglich 10.00–17.30 Uhr, alle 30 Minuten. Eintritt: 5 Euro.<br />
f Shopping Zwei große Shopping-Meilen: Grafton Street südlich und<br />
Henry Street nördlich des River Liffey. Das Jervis Shopping Center in<br />
der Henry Street ist nur bei Regenwetter zu empfehlen. Die Shops für<br />
irisches Kunsthandwerk und irische Musik liegen unter anderem in<br />
der Nassau Street (z. B. Kilkenny – Irish Style and Design).<br />
f Greyhound-Racing Hunderennen sind ein Nationalsport und tatsächlich<br />
viel spannender, als man erwarten möchte. Mehr Zuschauer<br />
als bei einem guten österreichischen Bundesligaspiel. Wetten bei<br />
brüllenden Buchmachern ist einfach und Pflicht! Shelbourne Park,<br />
South Lotts Road, Mo. und Mi. 20.00, Sa. 19.30 Uhr. Harold’s Cross<br />
Stadium, Harold’s Cross Road, Di., Do. und Fr. 20.00 Uhr.<br />
f Dun Laoghaire – wunderschöner Badeort südlich der Stadt. Zu<br />
erreichen in 30 Minuten mit dem Zug ab Connolly Station. Am Sandycove<br />
Point gibt’s ein James Joyce-Museum und einen Badeplatz, der<br />
das ganze Jahr über in Betrieb ist (neuerdings <strong>auch</strong> für Frauen).<br />
f Market Arcade Arkade an der George Street Great South. Kleine<br />
Shops mit Antiquitäten, Schallplatten und anderen Skurrilitäten.<br />
Stimmungsvoll.<br />
präsentiert sich stolz auf den Titelblättern der Stadtmagazine.<br />
Eventmanager, Architekten und Filmemacher lassen sich feiern<br />
wie Gründerväter. Das Stadtbild wird zunehmend von grauen<br />
Anzügen und knapp sitzenden Chanel-Kostümen dominiert.<br />
<strong>Und</strong> von einer Art Optimismus, der sich weniger in teuren<br />
Geschäften und schicken Restaurants zeigt – das gibt’s woanders<br />
<strong>auch</strong>, und besser – als in dieser ganz bestimmten souveränen,<br />
gelassenen Art der Haltung, des Lächelns, in dieser<br />
Beiläufigkeit, mit der sich Manager nach Büroschluss an die<br />
Biertheken lehnen, mit leicht gelockerter Krawatte.<br />
So was sieht man allerdings <strong>auch</strong> in London. <strong>Und</strong> tatsächlich<br />
lässt sich Dublin für den Fremden nur schwer von<br />
englischen Großstädten unterscheiden. Backstein-Architektur,<br />
Linksverkehr, Fish and Chips, Doppelstockbusse, Physiognomie<br />
der Einwohner, Tweed-Sakkos: Das alles ist irgendwie<br />
englisch, und man muss schon Ire sein, um die Unterschiede<br />
zu sehen (oder zu hören). Diese Erkenntnis macht jeder, der<br />
nach Dublin kommt. <strong>Und</strong> er wird gut daran tun, sie für sich zu<br />
behalten, denn die Iren sind humor- und verständnisvoll, aber<br />
<strong>nicht</strong> bei jedem Thema.<br />
Menschen, die am Trottoir, an eine Hauswand gelehnt, sitzen<br />
und irgendwas verkaufen, gibt es überall auf der Welt, <strong>auch</strong><br />
in Dublin. Aber während sie zum Beispiel in San Francisco Räucherstäbchen<br />
anbieten, in Saigon getrockneten Fisch, und in<br />
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Die Iren haben einen leichten Hang zur Exzentrik. Deshalb gehen sie bei jeder Temperatur baden, selbst im Winter, und fahren mit schräg anmutenden Bootautos durch die Stadt./<br />
The Irish tend to be a bit eccentric. Which is why they go swimming no matter what the temperature is – even in winter – and drive around town in strange-looking boat-busses.<br />
60<br />
Bukarest Lei-Banknoten zum Kilopreis, verkauft man in Dublin Bücher,<br />
und zwar selbst geschriebene. Wie zum Beispiel Pat Ingoldsby. Der<br />
grauhaarige Mann mit den breiten Schultern, dem abgeschabten<br />
Tweed-Sakko und der griffbereiten Plastikplane (für den Fall, dass es<br />
regnet) hält Hof in der Westmoreland Street, unweit der Bank of Ireland.<br />
Mister Ingoldsby weigert sich, seine Bücher in einer Buchhandlung<br />
verkaufen zu lassen, und an einen anderen Verlag als an seinen eigenen<br />
will er sich <strong>auch</strong> <strong>nicht</strong> wenden. Es kann natürlich <strong>auch</strong> umgekehrt<br />
sein. Pat Ingoldsby ist ein so genannter bärbeißiger Ire. Interessiert<br />
sich ein Passant für seine Bücher und erkundigt sich bei ihm, was<br />
denn zum Beispiel in „Scandal Sister“ so alles drinsteht, wird Pat Ingoldsby<br />
sagen: „Kaufen Sie’s einfach, Sir, dann werden Sie’s schon<br />
merken!“ Pat ist kein Marketing-Profi. Er ist Schriftsteller, wie viele Iren.<br />
Über Irland haben sich mittlerweile zwei Dinge herumgesprochen:<br />
Dass dieses Land grün ist, und dass sie dort viele Autoren<br />
HISTORISCH ODER MODERN – DUBLINS SCHÖNSTE HOTELS<br />
Als Dublins bestes Hotel gilt derzeit das Merrion in der Upper Merrion Street. Gehört zu<br />
keiner Kette, ist denkmalgeschützt, hat E-Mail auf jedem Zimmer und eines der besten Restaurants<br />
der Stadt. Ab ca. 300 Euro fürs Doppelzimmer. Reservieren unter www.merrionhotel.com.<br />
In Rufweite, und für Taxifahrer vom Merrion schwer zu unterscheiden, liegt das Merrion<br />
Square Manor Hotel, eigentlich eher ein Gästehaus. Mit 22 kleinen, aber äußerst<br />
geschmackvoll eingerichteten Zimmern (mit TV) und hübschem Frühstücksraum (Full Irish<br />
Breakfast!). Doppelzimmer ab 50 Euro, was das beste Preis-Leistungs-Verhältnis in der<br />
englischsprachigen Welt sein dürfte. Infos unter www.merrionsquaremanor.com.<br />
Eine Institution ist das Shelbourne. Kaiserin Sisi, Laurel & Hardy und Woody Allen sind hier<br />
schon abgestiegen, was freilich die Tarife hebt: 273 Euro für das Einzelzimmer in der Nebensaison<br />
ist der Basispreis. Suiten gibt’s ab 559 Euro. Das Hotel hat den schönsten Tea-Room<br />
der Stadt. Reservieren unter www.shelbourne.ie oder Tel.: 00353/1/663 45 00.<br />
Nicht alle Rockgruppen verwüsten Hotels – U2 hat eines gekauft, umbauen lassen und 1996<br />
eröffnet: The Clarence, am Wellington Quay im Vergnügungsviertel Temple Bar, stammt von 1852,<br />
wurde aber zum schicken Designerhotel umfunktioniert – mit tollem Blick über den River Liffey.<br />
Ab 267 Euro. Reservieren unter www.theclarence.ie oder Tel.: 00353/1/407 08 00.<br />
haben. Beides stimmt, besonders zweiteres. Nicht nur die<br />
Iren haben viele eigene Autoren, es kommen <strong>auch</strong> laufend<br />
welche aus dem Ausland dazu, angeblich, weil es dort so<br />
grün ist. Tatsächlich aber deswegen, weil Künstler in Irland<br />
keine Einkommenssteuer zahlen. Ein Land, in dem aber<br />
Künstler keine Einkommenssteuer zahlen, muss mehr<br />
draufhaben als nur ein paar Politiker, die so was beschließen.<br />
Es muss ein freundliches Klima herrschen, sozusagen.<br />
<strong>Und</strong> zwar insgesamt.<br />
Sohin ist Dublin <strong>nicht</strong> nur historisch, sondern <strong>auch</strong><br />
ganz gegenwärtig und konkret die Welthauptstadt der Literatur.<br />
Shopping in Dublin heißt, Buchhandlungen besuchen.<br />
<strong>Und</strong> in der Tat: Wer bei „Eason’s“ an der Upper<br />
O’Connel Street, nördlich des River Liffey, einkehrt, der<br />
vermeint, in der größten und umfangreichsten Buchhandlung<br />
der Welt zu sein. Erst bei weiteren Rundgängen<br />
in der Stadt wird sich herausstellen, dass das gar <strong>nicht</strong>s<br />
war. „Hodges Figgis“ in der Dawson Street ist zwar <strong>nicht</strong><br />
viel größer, aber buchmäßig wesentlich dichter, und gleich<br />
gegenüber ist „Waterstones“, wo man Bücher auf fünf<br />
ausgedehnten Etagen anbietet.<br />
<strong>Und</strong> zwischen Großen finden sich noch die originellen<br />
Kleinen, die sich auf bestimmte Themengebiete spezialisiert<br />
haben: zum Beispiel „Murder Ink“, wo sie Bücher<br />
über Verbrechen, Übersinnliches und andere Erfreulichkeiten<br />
verkaufen.<br />
Dass Dublin über ein eigenes „Writers Museum“ verfügt,<br />
ist nur logisch. Es befindet sich im Nordteil der Stadt.<br />
Auf zwei Stockwerken wird dort allen gehuldigt, die in<br />
Irland oder anderswo je erfolgreich eine Feder zur Hand<br />
genommen haben – solange es eben Iren gewesen sind.<br />
Dieses „Anderswo“ ist wichtig. Denn, je berühmter einer<br />
war, desto früher ist er abgehauen. Joyce zum Beispiel,<br />
der zweite echte irische Staatsheilige nach St. Patrick, verließ<br />
das Land, als er 22 Jahre alt war, um nie <strong>wieder</strong> zurückzukehren.<br />
Trotzdem schrieb er vorwiegend über Dublin.<br />
Der Tag, an dem sich Leopold Bloom im „Ulysses“ durch<br />
die Pubs der Stadt soff, ist heute eine Art Nationalfeiertag<br />
(16. Juni), und Tausende folgen seinem Vorbild nach literaturhistorisch<br />
genau recherchierten Routen. Die Iren lieben<br />
nämlich die fruchtbare Verbindung von Schreiben und<br />
Trinken. Oder doch zumindest von Lesen und Trinken.<br />
Das irische Nationalheiligtum ist übrigens ein Buch:<br />
„The Book of Kells“ aus dem 8. Jahrhundert.<br />
Der Großraum Dublin zählt heute über eine Million<br />
Menschen, davon etwa 400.000 in der Stadt selbst, die<br />
einen großen Hafen, aber keine gescheite Umfahrung hat.<br />
Daraus ergibt sich, dass jene LKWs, die zum Hafen wollen,<br />
durch die Stadt fahren, oder doch die beiden Kais<br />
entlang, die den River Liffey flankieren – der mitten durch<br />
die Stadt fließt. Folglich haben die Dubliner immer recht<br />
viel Verkehr, denn abgesehen von den Lastautos, ist Irland<br />
<strong>auch</strong> sonst <strong>nicht</strong> gerade untermotorisiert. Der Besucher<br />
mag das als interessanten Akzent empfinden: Immerhin<br />
unterstreicht ein starkes Verkehrsaufkommen ja die<br />
Lebendigkeit und Wirtschaftskraft einer Gegend, und<br />
außerdem sind die Iren im Auto wie die Engländer, nämlich<br />
höflich und fair. Die Dubliner selbst sehen das freilich ein<br />
Seit 1707<br />
Franz West (geb. 1947), Zweierlei, 1984, 42 x 129 cm<br />
Auktion am 14. Mai 2002<br />
Palais Dorotheum<br />
Auktionen Mai – Juni 2002<br />
6. – 8. Mai: Münzen, Orden & historische<br />
Wertpapiere<br />
13. Mai: Biedermeiermöbel<br />
14. Mai: Klassische Moderne & Zeitgenössische Kunst<br />
15. Mai: Jugendstil<br />
16. Mai: Ölgemälde des 19. Jhs.<br />
17. Mai: Juwelen<br />
17. Mai: Silber<br />
22. Mai: Möbel & dekorative Kunst<br />
24. Mai: Briefmarken<br />
28. Mai: Petschaften<br />
29. Mai: Design<br />
4. Juni: Modern Art (International Auctioneers)<br />
4. Juni: Historische Waffen, Uniformen & Militaria<br />
5. Juni: Alte Meister<br />
12. Juni: Glas & Porzellan<br />
13. Juni: Ölgemälde & Aquarelle des 19. Jhs.<br />
14. Juni: Plakate, Reklameschilder & Comics<br />
15. Juni: Jagd- & Sportwaffen<br />
18. Juni: Moderne Graphik<br />
20.– 21. Juni: Briefmarken<br />
25. Juni: Spielzeug & Modelleisenbahnen<br />
27. Juni: Bücher & dekorative Graphik<br />
28. Juni: Autographen<br />
Besichtigung: eine Woche vor der Auktion<br />
Information: Tel.: + 43 1 / 515 60-280<br />
Katalogbestellung: Tel.: + 43 1 / 515 60-200 · Fax: -508<br />
A-1010 Wien, Dorotheergasse 17<br />
client.services@dorotheum.at<br />
www.dorotheum.com
Nach St. Patrick ist James Joyce der zweite echte Nationalheilige der Iren./<br />
Writer James Joyce is second only to St. Patrick as the national hero of the Irish.<br />
GRAPHIK: MARIO GEGENHUBER<br />
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Christchurch<br />
Place<br />
WRITERS<br />
MUSEUM<br />
DUBLIN<br />
OLYMPIA<br />
THEATRE<br />
South Great George’s Street<br />
Parnell Square East<br />
Parnell Street<br />
Henry Street<br />
Middle Abbey Street<br />
Temple Bar<br />
Dame Street<br />
Harcourt St.<br />
Upper O’Connel St.<br />
Aston Quay<br />
Clarendon St.<br />
ANREISE: Austrian Airlines Group fliegt fünfmal pro Woche von Wien nach Dublin./<br />
Austrian Airlines Group flies five times a week from Vienna to Dublin.<br />
Westmoreland St.<br />
Grafton Street<br />
Dawson Street<br />
St. Stephen’s<br />
Green<br />
DUBLIN<br />
Nassau St.<br />
I<br />
TRINITY COLLEGE<br />
College<br />
Park<br />
NATIONAL<br />
GALLERY<br />
GB<br />
Merrion Square West<br />
FR<br />
River Liffey<br />
Merrion<br />
Square<br />
wenig anders. Die häufigen Schlagzeilen über<br />
zumeist jugendliche Verkehrsopfer haben den Charakter<br />
eines Fortsetzungsromans.<br />
Trotzdem empfiehlt es sich <strong>nicht</strong>, an einer roten<br />
Fußgängerampel auf Grün zu warten. Man verliert<br />
dabei zu viel Zeit. Die Ampel an der Ecke Westmoreland<br />
Street/Aston Quay zum Beispiel hat eine Digital-Uhr,<br />
auf die die Stadtverwaltung besonders stolz<br />
ist. Ein zweistelliges Display zählt die Sekunden, bis<br />
es grün wird, und weil es nur zweistellig ist, beginnt<br />
es bei 99 Sekunden. Das ist zu wenig, also zeigt das<br />
Display meistens gar <strong>nicht</strong>s an. Wer will, kann zwei<br />
oder drei Minuten warten, bis die Ampel beginnt, bei<br />
99 loszuzählen, weil dann weiß er, dass es nur mehr<br />
eineinhalb Minuten dauert. Wer das <strong>nicht</strong> will, wird<br />
in diesem Moment schon am Parnell Square sein,<br />
oder in der Nassau Street, oder irgendwo beim ersten<br />
Guinness. Die Dubliner selbst gönnen sich die Ampel-<br />
Uhr-Show kaum. Sie haben Wichtigeres zu tun und<br />
huschen zwischen den Autos durch, als hätten sie’s<br />
im Fernen Osten gelernt.<br />
Aber weg vom Gewusel. Zwischen Verkehrshölle<br />
und kleinstädtischem Winkelwerk sind’s in Dublin<br />
nur ein paar Meter. Rund um den Vergnügungsbezirk<br />
Temple Bar zum Beispiel, ist tagsüber das Reich<br />
der schrägen Modegeschäfte, der Läden mit Che<br />
Guevara-Postern und der Kunsthandlungen. Außerhalb<br />
der Geschäftszeiten findet man hier das Nachtleben,<br />
Abteilung „loud and crowded“. In einer kleinen<br />
Galerie in der Harry Street treffen wir Tristan<br />
Delahaye. Der junge Objektkünstler sieht aus wie<br />
ein Student und veranstaltet gerade eine Vernissage.<br />
Das Ganze hat irgendwie die Anmutung einer<br />
kleinen, intimen Maturafeier inmitten von Kunstwerken,<br />
die <strong>nicht</strong> immer auf den ersten Blick als<br />
solche erkennbar sind. Auch Tristans stolze Eltern<br />
sind da. Wer vor der Galerie stehen bleibt und länger<br />
als fünf Sekunden durch die Auslagenscheiben<br />
schaut, wird von Tristan sofort auf ein Glas Wein eingeladen.<br />
Tristan erklärt sein Prinzip: immer das<br />
machen, worauf man gerade Lust hat. Wenn es ihm<br />
Freude macht, ein rot-weiß gestreiftes Verkehrsmarkierungshütchen<br />
bunt anzupinseln, dann tut er’s<br />
einfach. Das heißt dann „Traffic“ und kostet 400<br />
Euro. <strong>Und</strong> verkauft er so was <strong>auch</strong>? „Na klar“, sagt<br />
Tristan. „Sogar schon bis nach Kanada.“ Es ist in<br />
diesem Moment, als gehörte ihm die Welt, dem kleinen<br />
Objektkünstler in der Altstadt von Dublin.<br />
Tristan ist 23, und das ist in Dublin ein durchschnittliches<br />
Alter, gewissermaßen. Die Bevölkerung<br />
der Stadt ist jünger, als die jeder anderen Stadt in<br />
Westeuropa. Das zeigt sich auf der Straße ebenso wie
64<br />
Wasserstadt Dublin: Mitten durchs Zentrum fließt der River Liffey, der beim<br />
großen Hafen ins Meer mündet./Dublin on the water: The River Liffey flows<br />
through the heart of the city and empties into the sea at the main harbour.<br />
Dublin<br />
The Big Little City<br />
Dublin has a small-city feeling: you can easily run into the same person<br />
several times in the course of a weekend. But Dublin is also the pounding<br />
heart of a reawakened Ireland: the city pulsates with an energy that rivals<br />
some of its big European brothers.<br />
At first glance, Dublin seems like just another big city in England: brick<br />
buildings, fish and chips, double-decker busses, tweed jackets and people<br />
selling things on street corners. But on the streets of Dublin people sell books –<br />
books they’ve written themselves. Pat Ingoldsby, for example, holds court on<br />
Westmoreland Street, and if you pick up his “Scandal Sister” and want to know<br />
what it’s about, he’ll tell you: “Just buy it, sir, and you’ll find out”.<br />
Ireland not only has a large number of its own authors – it also attracts many<br />
writers from abroad. Some of them say they come here because Ireland is so green.<br />
It’s more likely because artists in Ireland are exempt from income tax. In any<br />
event, Dublin continues to defend its reputation – established by writers<br />
such as James Joyce and W. B. Yeats – as the literature capital of the world, a city<br />
with more than its share of bookstores and its own “Writers Museum”.<br />
Dublin also boasts a music scene that can stand comparison with that of London.<br />
U2 started as a garage band in the north part of town, Sinéad O’Connor waited tables<br />
at the Bad Ass Café, Chris De Burgh made his debut at Captain America’s on Grafton<br />
Street, and even Bob Geldof is from Dublin – as are (of course) the Dubliners.<br />
One very nice thing that sets Dubliners apart from other Europeans: they have<br />
no dogs – and if they do, they seem to keep them inside. Which means that here,<br />
one can stroll through the streets with head held high. A true luxury.<br />
in den Pubs, den Museen und den Kirchen, egal wo. <strong>Und</strong> es<br />
zeigt sich in der äußerst lebendigen Musikszene, die den<br />
Vergleich mit jener Londons <strong>nicht</strong> scheuen muss. Man denke<br />
an die Großen: U2 zum Beispiel, sie begannen als Schülerband<br />
im Norden der Stadt. Die Dubliners sowieso. Sinéad<br />
O’Connor war Kellnerin im „Bad Ass Café“, und Chris De<br />
Burgh sang erstmals bei „Captain America’s“ in der Grafton<br />
Street. Auch Weltretter Bob Geldof kommt aus Dublin. Dazu<br />
die höchst lebendige Folk-Szene, von den extra-ernsthaften<br />
Gigs in der Irish Music Hall of Fame und im Traditional<br />
Music Centre bis hin zu den wüsten Geigen-, Ziehharmonika-,<br />
Gesangs- und Bierorgien in zahlreichen Pubs, wo nur<br />
das dichte Gedränge die Besucher am Ausflippen hindert,<br />
und wo sich freilich <strong>auch</strong> die Touristen einfinden. Doch das<br />
stört niemanden und fällt kaum auf.<br />
Das jüngere Publikum strömt in jene Pubs, die zu<br />
späterer Stunde auf House und ähnlich Dröhnendes setzen.<br />
„Judge Roy Bean’s“ in der Nassau Street, gegenüber dem<br />
Trinity College, ist einer der Kristallisationspunkte jugendlichen<br />
Flirrens. Tagsüber ein unverdächtiges Pub der eher<br />
schäbigen Sorte, abends geht die Post ab. Scharen von jungen<br />
Mädchen trainieren hier für die „stag and hen night“,<br />
der angelsächsischen Version des weiblichen Polterabends.<br />
Geflirtet wird viel, allerdings entweder gestikulierend oder<br />
brüllend. Touristen meiden diesen Ort, es sei denn, sie sind<br />
unter 25 oder sowieso schon gehörgeschädigt.<br />
Wer über 25 ist und es trotzdem laut haben möchte,<br />
wendet sich den fashionablen Clubs zu. Der angesagteste<br />
ist „The Pod“ in der Harcourt Street. Hier legen die wichtigen<br />
DJs des Landes auf, die Anlage hat die Kraft zum<br />
Zähneziehen, und am Wochenende sollte man auf „dress<br />
to impress“ setzen, denn die Türsteher pfeifen was auf die<br />
typisch irische Freundlichkeit.<br />
Die typisch irische Freundlichkeit wird manchmal<br />
etwas überlagert von dem typisch irischen Hang zur Exzentrik.<br />
So gehen die Dubliner gerne winters ins Meer<br />
baden, und zwar <strong>nicht</strong> ohne sich vorher mit Sonnenöl einzuschmieren.<br />
Oft <strong>auch</strong> suchen sie ein Stadion auf, um<br />
Hunden dabei zuzuschauen, wie sie einem Stoffhasen<br />
nachlaufen. <strong>Und</strong> die ganze Stadt wurde von der <strong>nicht</strong> minder<br />
originellen Stadtverwaltung mit Schildern zugepflastert,<br />
auf denen zu lesen steht, dass man hier keine Fahrräder<br />
anlehnen darf. Für ein Fahrrad findet man in Dublin<br />
folglich schwerer einen Parkplatz als für ein Auto, was das<br />
Umsteigen leicht macht. Ähnlich wie in London, sieht man<br />
<strong>auch</strong> in Dublin <strong>nicht</strong> viele Radfahrer.<br />
In einem aber unterscheiden sich die Dubliner von<br />
den Engländern, ja überhaupt von allen anderen Europäern:<br />
Sie haben keine Hunde. <strong>Und</strong> wenn doch, so lassen<br />
sie sie zu Hause. Daraus folgt, dass man in Dublin<br />
erhobenen Hauptes durch die Stadt gehen kann.<br />
<strong>Und</strong> das ist ja keine Selbstverständlichkeit.