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Michael Flitner Lärm an der Grenze - artec

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Präludium<br />

„Was denn mit ihrem M<strong>an</strong>n sei, wurde [Frau Klein] gefragt. Sie erzählte nun in<br />

kurzen Worten das Lebensschicksal ihres M<strong>an</strong>nes und also auch ihres, darin war<br />

enthalten unter <strong>an</strong><strong>der</strong>em: dass ihr M<strong>an</strong>n aus dem Odenwald stamme, dass sie bei<br />

Fr<strong>an</strong>kfurt wohnten, dass sie wegen seiner Geräuschempfindlichkeit schon viermal<br />

umgezogen seien, dass er keine Autos und neuerdings auch keine Flugzeuge mehr<br />

ertrage, dass sie sich deshalb entschlossen hätten, ein Jahr nach Bozen zu gehen,<br />

dass jetzt hier aber ebenfalls wie<strong>der</strong> Autos seien und dass sein Nachbar jeden<br />

Morgen um sieben Uhr fernschaue etcetera. Ja, will er denn gar nichts hören, <strong>der</strong><br />

Professor, fragte m<strong>an</strong>. Sie: Das frage sie sich auch bisweilen. Er sage immer wie<strong>der</strong>,<br />

alle sollten endlich ruhig sein. M<strong>an</strong>chmal, wenn <strong>der</strong> Anfall beson<strong>der</strong>s<br />

schlimm sei, sitze er da, ohne jede Reaktion, und stammle vor sich hin, alle sollten<br />

endlich ruhig sein, immer wie<strong>der</strong>: alle sollten endlich ruhig sein. Das sei beängstigend.<br />

Die <strong>an</strong><strong>der</strong>en: Ja, das sei beängstigend. Sie: Gestern Abend habe sie,<br />

einfach so, auf dem Balkon herumgest<strong>an</strong>den, um die Südtiroler Luft zu genießen,<br />

aber ihr M<strong>an</strong>n habe ihr befohlen, die Balkontür zu verschließen, wegen <strong>der</strong> Autos.<br />

Was denn für Autos, habe sie gefragt. Du musst ruhig sein, um sie zu hören, sagte<br />

er, d<strong>an</strong>n wirst du sie hören. Sie sei ruhig gewesen, tatsächlich habe sie jetzt die<br />

Autos gehört. Habe sie die Tür geschlossen, seien die Autos merklich leiser gewesen.<br />

Nun, sagte sie, d<strong>an</strong>n lass eben die Balkontür geschlossen. Dafür, sagte er, bin<br />

ich also nach Klausen geg<strong>an</strong>gen, um hier die Balkontür zu schließen! Sie: Autos<br />

gibt es überall. [...] Du störst dich <strong>an</strong> den Menschen, <strong>an</strong> ihrem Willen, <strong>an</strong> allem,<br />

was sie neu machen. Du erträgst nur das, was schon da war, bevor du da warst.<br />

Züge zum Beispiel. [...]<br />

Er: So, jetzt sind die Balkontüren zu. Jetzt sei einmal ruhig. Sie: Wieso soll<br />

sie immerfort ruhig sein? Er: Da, hörst du das nicht? Sie: Was? Er: Das, höre<br />

doch! Sie: Ja, in <strong>der</strong> Tat. Ein Fernseher. Sie höre einen Fernseher. Er: Mache ich<br />

die Balkontür auf, höre ich den Fernseher nicht, aber die Autos. Mache ich die<br />

Balkontür wie<strong>der</strong> zu, höre ich die Autos nicht mehr, aber den Fernseher. Ein<br />

schöner Chiasmus. Der Chiasmus meines Unglücks. Meiner g<strong>an</strong>zen verdorbenen<br />

Existenz. Badowsky: Hat er es denn mal mit Oropax probiert? Er, Badowsky,<br />

habe letzten Monat neben einer Baugrube gehaust, da hat Oropax geholfen. Frau<br />

Klein: Was habe er denn neben einer Baugrube gemacht? Badowsky: Was er dort<br />

gemacht habe? Nun, nichts. Sie seien dort eine Weile gewesen. Es gab ein Zelt,<br />

irgendwer hatte ein Zelt. Es war auch ständig Bier da. Es war eine gute Zeit,<br />

könne er jedem nur empfehlen.“<br />

Andreas Maier: Klausen. Rom<strong>an</strong>. Fr<strong>an</strong>kfurt/M., 2002, S. 93f.

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