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Sex, Alkohol und Intelligenz - tmk.ch

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www.tagblatt.<strong>ch</strong> – Hintergr<strong>und</strong>http://www.tagblatt.<strong>ch</strong>/index.php?artikelxml=1315627&ressort=tagblattheute/hintergr...Seite 1 von 330.03.2007HINTERGRUNDAktuell › Hintergr<strong>und</strong>Dienstag, 20. März 2007Drucken | Versenden | Kommentieren | Leserbrief<strong>Sex</strong>, <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> <strong>Intelligenz</strong>Warum sind finnis<strong>ch</strong>e Kinder so intelligent? Eine neueUnicef-Studie lüftet das Geheimnis / Von MathiasBinswangerKind sein ist ni<strong>ch</strong>t immer einfa<strong>ch</strong> – selbst dann ni<strong>ch</strong>t, wennman das unwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>e Glück besitzt, in einementwickelten Land geboren zu sein. Denn dort müssen si<strong>ch</strong>Kinder <strong>und</strong> Jugendli<strong>ch</strong>e ständig zwis<strong>ch</strong>en verführeris<strong>ch</strong>enMessinstrumente der <strong>Intelligenz</strong>: Blick inOptionen wie Gewalt, Computerspiele <strong>und</strong> Drogen auf derein S<strong>ch</strong>weizer S<strong>ch</strong>ulzimmer.einen Seite <strong>und</strong> langfristig nützli<strong>ch</strong>en Optionen wie Lernen, Bild: Trix Niederaukörperli<strong>ch</strong>e Ertü<strong>ch</strong>tigung oder Arbeit auf der anderen Seiteents<strong>ch</strong>eiden. S<strong>ch</strong>on man<strong>ch</strong>er <strong>und</strong> man<strong>ch</strong>e war dieser Situation ni<strong>ch</strong>t gewa<strong>ch</strong>sen, <strong>und</strong> wenn dann au<strong>ch</strong>no<strong>ch</strong> ein intaktes Elternhaus fehlt <strong>und</strong> die Ernährung Big-Mac-rei<strong>ch</strong>, aber frü<strong>ch</strong>tearm ist, könnenKindheit <strong>und</strong> Jugend ganz s<strong>ch</strong>ön hart werden.Aber wie hart? Auf diese Frage gab es bis zu Beginn des Jahres 2007 keine genaue Antwort. Do<strong>ch</strong> jetztbrau<strong>ch</strong>en wir ni<strong>ch</strong>t mehr länger im dunkeln zu tappen. In ihrem neuesten Report «A comprehensiveassessment of the lives and well-being of <strong>ch</strong>ildren and adolescents in advanced nations» liefert die UNO-Organisation Unicef erstmals präzise Verglei<strong>ch</strong>szahlen.Anhand von 40 Indikatoren haben die Unicef-Fors<strong>ch</strong>er eine Rangliste zusammenges<strong>ch</strong>ustert, aus derhervorgeht, dass es den Kindern in Holland <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>weden am besten geht, während die Kindheit in denUSA <strong>und</strong> Grossbritannien besonders s<strong>ch</strong>limm ist. Die S<strong>ch</strong>weiz liegt an se<strong>ch</strong>ster Stelle in diesemVerglei<strong>ch</strong> von 21 Nationen. Indikatoren sind zum Beispiel die Prozentzahl der Haushalte mit Kindern, indenen weder Vater no<strong>ch</strong> Mutter einen Job haben, die Kindersterbli<strong>ch</strong>keit, die s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en Fähigkeiten derKinder (basierend auf der Pisa-Verglei<strong>ch</strong>sstudie), die Prozentzahl der Kinder, die in einer Familie mit nureinem Elternteil aufwa<strong>ch</strong>sen müssen, die Prozentzahl der im Monat mehrfa<strong>ch</strong> betrunkenen Kinder, dieProzentzahl der übergewi<strong>ch</strong>tigen Kinder oder die Prozentzahl der Kinder, die angeben, mit ihrem Lebenzufrieden zu sein. Was den letzten Indikator betrifft, so s<strong>ch</strong>neiden die Holländer am besten ab. DiesesLand besitzt die zufriedensten Kinder, während andererseits die USA den fettesten Na<strong>ch</strong>wu<strong>ch</strong>s aufweist.Dort sind mittlerweile 25 Prozent der Kinder übergewi<strong>ch</strong>tig. Eine Prozentzahl, die in keinem andern Landau<strong>ch</strong> nur annähernd errei<strong>ch</strong>t wird.Was die S<strong>ch</strong>weiz betrifft, so kann man hervorheben, dass die Kinder in unserem Land die nettesten <strong>und</strong>hilfsbereitesten Betreuungspersonen (Lehrer, Trainer, Coa<strong>ch</strong>es etc.) von allen Ländern haben,umgekehrt aber Eltern, die am wenigsten Zeit für Gesprä<strong>ch</strong>e mit ihren Kindern haben. Das s<strong>ch</strong>eint einspezifis<strong>ch</strong>es Problem deuts<strong>ch</strong>spra<strong>ch</strong>iger Familien zu sein, denn au<strong>ch</strong> in Deuts<strong>ch</strong>land <strong>und</strong> Österrei<strong>ch</strong> istdie Zahl gesprä<strong>ch</strong>sbereiter Eltern sehr tief. Offenbar eignet si<strong>ch</strong> die deuts<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e einfa<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t fürden Dialog zwis<strong>ch</strong>en den Generationen.Das Geheimnis des ErfolgsStatt jetzt aber weiter auf die vers<strong>ch</strong>iedenen Indikatoren des Unicef-Reports einzugehen, wollen wir unsauf das wirkli<strong>ch</strong> interessante Resultat konzentrieren. Von den Autoren des Reports völlig unbemerkt,enthüllt der Report nämli<strong>ch</strong> die Faktoren, die offenbar dafür sorgen, dass finnis<strong>ch</strong>e Kinder so intelligentsind. Viellei<strong>ch</strong>t erinnern Sie si<strong>ch</strong>: Finnis<strong>ch</strong>e Kinder haben bei der Pisa-Verglei<strong>ch</strong>sstudie aus dem Jahre2002, in der leseris<strong>ch</strong>e <strong>und</strong> mathematis<strong>ch</strong>e Fähigkeiten von 15-Jährigen vergli<strong>ch</strong>en werden, mit Abstandam besten abges<strong>ch</strong>nitten. Und häufig tau<strong>ch</strong>te seither die Frage auf, was die Finnen bloss mit ihren


www.tagblatt.<strong>ch</strong> – Hintergr<strong>und</strong>http://www.tagblatt.<strong>ch</strong>/index.php?artikelxml=1315627&ressort=tagblattheute/hintergr...Seite 2 von 330.03.2007Kindern ma<strong>ch</strong>en, dass diese so unvers<strong>ch</strong>ämt gut sind. Do<strong>ch</strong> erst jetzt wird das Geheimnis offenbart.Beginnen wir zunä<strong>ch</strong>st bei den Familienverhältnissen. Naiverweise könnte man annehmen, dass intakteFamilienverhältnisse si<strong>ch</strong> positiv auf die s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en Ergebnisse von Kindern auswirken. Dank desUnicef-Reports werden wir aber eines Besseren belehrt. Von den finnis<strong>ch</strong>en Kindern lebt eine besondershohe Anzahl nur mit einem Elternteil (meist die Mutter) oder in einer Pat<strong>ch</strong>work-Familie. Und finnis<strong>ch</strong>eKinder essen mit Abstand am seltensten mit ihren Eltern beziehungsweise mit der Person, die von denEltern übriggeblieben ist. Der Zerfall der traditionellen Familie wirkt si<strong>ch</strong> offenbar positiv auf dies<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en Leistungen der Kinder aus. Das sollte uns gerade au<strong>ch</strong> in der S<strong>ch</strong>weiz zuversi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>stimmen, denn wenn es mit den S<strong>ch</strong>eidungen so weitergeht, haben wir au<strong>ch</strong> hier bald finnis<strong>ch</strong>eVerhältnisse.Do<strong>ch</strong> das ist keineswegs die einzige überras<strong>ch</strong>ende Erkenntnis. Ein weiterer Faktor ist das ErnährungsbeziehungsweiseSu<strong>ch</strong>tverhalten von finnis<strong>ch</strong>en Kindern <strong>und</strong> Jugendli<strong>ch</strong>en, worüber der Unicef-Reportausführli<strong>ch</strong> Auskunft gibt. Das wohl wi<strong>ch</strong>tigste Fazit bezieht si<strong>ch</strong> auf das Essen von Frü<strong>ch</strong>ten. Finnis<strong>ch</strong>eKinder essen mit Abstand am wenigsten Frü<strong>ch</strong>te, <strong>und</strong> nur etwa 20 Prozent kommen tägli<strong>ch</strong> in denGenuss einer Fru<strong>ch</strong>t. Au<strong>ch</strong> hier müssen wir offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> umlernen. Ges<strong>und</strong>e Ernährung bringt keines<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en Hö<strong>ch</strong>stleistungen, <strong>und</strong> Programme, die den Frü<strong>ch</strong>tekonsum von Kindern anheizen, solltens<strong>ch</strong>leunigst gestoppt werden.Do<strong>ch</strong> es kommt no<strong>ch</strong> härter. Finnis<strong>ch</strong>e Kinder rau<strong>ch</strong>en besonders viel, <strong>und</strong> sie sind im Verglei<strong>ch</strong> zuandern Ländern häufig betrunken. Weder <strong>Alkohol</strong> no<strong>ch</strong> Nikotin s<strong>ch</strong>aden also der <strong>Intelligenz</strong>, sondern sies<strong>ch</strong>einen diese ganz im Gegenteil zu fördern. Nur der Has<strong>ch</strong>konsum ist in Finnland ni<strong>ch</strong>t verbreitet,während hier die S<strong>ch</strong>weiz einen besonders hohen Wert aufweist. Die Devise müsste also lauten: Lasstdie Jungen saufen <strong>und</strong> Zigaretten rau<strong>ch</strong>en, aber verbietet ihnen das Has<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>.Der positive Effekt des <strong>Sex</strong>Au<strong>ch</strong> viel <strong>Sex</strong> ist offenbar ein Faktor, der si<strong>ch</strong> positiv auf die s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>en Leistungen auswirkt. Finnis<strong>ch</strong>eJugendli<strong>ch</strong>e im Alter von 15 Jahren haben besonders häufig <strong>Sex</strong> (nur englis<strong>ch</strong>e Jugendli<strong>ch</strong>e sind da no<strong>ch</strong>aktiver), aber das au<strong>ch</strong> nur selten mit Kondom. Trotzdem weist Finnland bei den Teenager-S<strong>ch</strong>wangers<strong>ch</strong>aften, einem weiteren Indikator der Unicef-Studie, eine relativ geringe Zahl auf, waswiederum für die <strong>Intelligenz</strong> der finnis<strong>ch</strong>en Jugend spri<strong>ch</strong>t. In Sa<strong>ch</strong>en Teenager-S<strong>ch</strong>wangers<strong>ch</strong>aftenkann sowieso kein Land mit den USA konkurrieren, wo die Zahl mehr als doppelt so ho<strong>ch</strong> ist wie in denmeisten europäis<strong>ch</strong>en Ländern.Mögli<strong>ch</strong>erweise lässt si<strong>ch</strong> der positive Effekt von viel <strong>Sex</strong> auf die <strong>Intelligenz</strong> au<strong>ch</strong> damit erklären, dasssexuell befriedigte Jugendli<strong>ch</strong>e weniger Gewalt anwenden. Finnland besitzt nämli<strong>ch</strong> die friedli<strong>ch</strong>steJugend aller untersu<strong>ch</strong>ter Länder, <strong>und</strong> das wohlgemerkt trotz viel <strong>Alkohol</strong>. Die Prozentzahl derJugendli<strong>ch</strong>en, die angeben, nie in Kämpfe verstrickt worden zu sein <strong>und</strong> nie mit einer Waffe angegriffenworden zu sein, ist die hö<strong>ch</strong>ste von allen Ländern.Das wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> wi<strong>ch</strong>tigste Resultat kommt aber erst no<strong>ch</strong>. Der Unicef-Report enthält au<strong>ch</strong> Datendazu, wie gerne die Kinder in den vers<strong>ch</strong>iedenen Ländern zur S<strong>ch</strong>ule gehen. Und hier zeigen uns dieFinnen einmal mehr, wo es langgeht.In keinem andern Land gehen die Kinder weniger gern zur S<strong>ch</strong>ule als in Finnland. Offenk<strong>und</strong>ig liegen dieganze moderne Pädagogik <strong>und</strong> Lernpsy<strong>ch</strong>ologie fals<strong>ch</strong> mit ihrer an <strong>und</strong> für si<strong>ch</strong> einleu<strong>ch</strong>tenden Idee,dass man Kinder für den Unterri<strong>ch</strong>t motivieren <strong>und</strong> interessieren muss. Do<strong>ch</strong> ausserordentli<strong>ch</strong>es<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong>e Leistungen werden damit ni<strong>ch</strong>t erzielt. Erst wenn Kinder die S<strong>ch</strong>ule hassen, so müssen wiraus dem Unicef-Report s<strong>ch</strong>liessen, sind sie zu überdur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittli<strong>ch</strong>en Leistungen fähig.So, jetzt wissen wir es also: Finnis<strong>ch</strong>e Kinder leben in wenig intakten Familienverhältnissen, sieernähren si<strong>ch</strong> unges<strong>und</strong>, trinken viel <strong>Alkohol</strong> <strong>und</strong> rau<strong>ch</strong>en häufig. Sie haben viel <strong>Sex</strong>, sind dafür aber


www.tagblatt.<strong>ch</strong> – Hintergr<strong>und</strong>http://www.tagblatt.<strong>ch</strong>/index.php?artikelxml=1315627&ressort=tagblattheute/hintergr...Seite 3 von 330.03.2007sehr friedli<strong>ch</strong>. Und nirgendwo ist die S<strong>ch</strong>ule unter Kindern mehr verhasst als in Finnland. Das sind dieErfolgsfaktoren für eine s<strong>ch</strong>ulis<strong>ch</strong> intelligente Jugend. S<strong>ch</strong>enken wir dem Unicef-Report Glauben, dannzwingen uns die Finnen dazu, unser ganzes angebli<strong>ch</strong>es Wissen über Erziehung <strong>und</strong> Bildung zuhinterfragen.Natürli<strong>ch</strong> gäbe es no<strong>ch</strong> eine andere mögli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>lussfolgerung, do<strong>ch</strong> diese ist so gewagt, dass man siekaum auszuspre<strong>ch</strong>en wagt: Könnte es gar sein, dass sol<strong>ch</strong>e Rankings von Ländern anhand der Pisa-Resultate <strong>und</strong> anhand von Umfrageergebnissen einfa<strong>ch</strong> Unsinn sind?Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirts<strong>ch</strong>aftslehre an der Fa<strong>ch</strong>ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule Nordwests<strong>ch</strong>weiz <strong>und</strong> Autor. Jüngst von ihmers<strong>ch</strong>ienen ist «Die Tretmühlen des Glücks» (Herder-Verlag 2006).Finnis<strong>ch</strong>e Kinder rau<strong>ch</strong>en besonders viel,<strong>und</strong> sie sind im Verglei<strong>ch</strong> zu andern Ländernhäufig betrunken. Weder <strong>Alkohol</strong> no<strong>ch</strong> Nikotins<strong>ch</strong>aden also der <strong>Intelligenz</strong>, sondern sie s<strong>ch</strong>einen dieseganz im Gegenteil zu fördern.Offenk<strong>und</strong>ig liegen die ganze moderne Pädagogik<strong>und</strong> Lernpsy<strong>ch</strong>ologie fals<strong>ch</strong> mit ihreran <strong>und</strong> für si<strong>ch</strong> einleu<strong>ch</strong>tenden Idee,dass man Kinder für den Unterri<strong>ch</strong>t motivieren<strong>und</strong> interessieren muss.

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