XII. Gespräche in der Chef-Etage
XII. Gespräche in der Chef-Etage
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<strong>XII</strong>. <strong>Gespräche</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Chef</strong>-<strong>Etage</strong><br />
»Wir mögen Menschen, die frisch heraus sagen,<br />
was sie denken. Vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir.«<br />
Mark Twa<strong>in</strong><br />
1. Wie Sie Mitarbeiter motivieren können<br />
Direktor Obermann hat Probleme mit e<strong>in</strong>em Mitarbeiter. Er bestellt<br />
ihn zu sich, empfängt ihn h<strong>in</strong>ter dem Schreibtisch, nachdem er ihn<br />
e<strong>in</strong>e Viertelstunde im Vorzimmer hat warten lassen, und eröffnet<br />
ihm: »Also, Herr Kle<strong>in</strong>, was ich da von Ihnen <strong>in</strong> den letzten Wochen<br />
so gehört habe, gefällt mir gar nicht. Ich habe nicht viel Zeit und<br />
möchte deshalb <strong>in</strong> aller Kürze darauf h<strong>in</strong>weisen, dass es so nicht<br />
weitergehen kann. Was mich bei Ihnen wahns<strong>in</strong>nig stört, ist...«<br />
usw.<br />
Nach etwa fünf M<strong>in</strong>uten wird Herr Kle<strong>in</strong> unwirsch entlassen. Er<br />
bekommt noch die Warnung mit auf den Weg, er müsse mit Konsequenzen<br />
rechnen, wenn sich dieses und jenes nicht än<strong>der</strong>e. Herr<br />
Kle<strong>in</strong> ist so gut wie gar nicht zu Wort gekommen. Mehrmals hat er<br />
etwas e<strong>in</strong>wenden, richtig stellen wollen, aber <strong>der</strong> <strong>Chef</strong> hat ihn<br />
immer gleich unterbrochen mit Bemerkungen wie: »Ich weiß schon,<br />
was Sie jetzt sagen wollen, aber . . .« o<strong>der</strong>: »Es hat wenig S<strong>in</strong>n, wenn<br />
Sie sich jetzt rechtfertigen möchten. Ich weiß ja schließlich, wovon<br />
ich rede...«<br />
Schließlich hat es Herr Kle<strong>in</strong> aufgegeben und Direktor Obermann<br />
reden lassen. Auf dem Rückweg zu se<strong>in</strong>em Arbeitsplatz fragt er sich<br />
verdattert, was das alles eigentlich soll. Offensichtlich liegt doch hier<br />
e<strong>in</strong> Missverständnis vor. Vielleicht hat ihn jemand denunziert? Sägt<br />
jemand an se<strong>in</strong>em Sessel? Ärger gew<strong>in</strong>nt die Oberhand, <strong>der</strong> ihn<br />
nicht recht zum Arbeiten kommen läßt. Lohnt sich denn die ganze<br />
Anstrengung, wenn sie so wenig Beachtung f<strong>in</strong>det? denkt er sich<br />
und beschließt, das jedenfalls nicht auf sich sitzen zu lassen und sich<br />
mit dem Betriebsrat zu besprechen. – E<strong>in</strong> Vorfall, wie er sich täglich<br />
im Arbeitsleben abspielt.<br />
Natürlich machen Mitarbeiter Fehler, aber nicht immer f<strong>in</strong>den Vor-
184 <strong>Gespräche</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Chef</strong>-<strong>Etage</strong><br />
gesetzte den richtigen Ton, wenn sie mit den Betreffenden zu reden<br />
haben.<br />
Im Unterschied zu Direktor Obermann tut sich Dr. Schätz <strong>in</strong> solchen<br />
Situationen wesentlich leichter. Als er neulich mit e<strong>in</strong>em Untergebenen<br />
zu sprechen hatte, verlief das folgen<strong>der</strong>maßen: Dr. Schätz<br />
bat Herrn Pfeifer zu e<strong>in</strong>er Zeit zu sich, wo er sich mit ihm <strong>in</strong> Ruhe<br />
unterhalten konnte. Er wählte dazu die Sitzgarnitur <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Arbeitszimmer<br />
und war emotional ausgeglichen, so dass er ohne<br />
Erregung und Aggressivität sprach. Das Gespräch begann er damit,<br />
dass er sich <strong>in</strong> freundlichem Ton bei Herrn Pfeifer nach dem Stand<br />
e<strong>in</strong>er bestimmten Arbeit erkundigte. Herr Pfeifer berichtete und<br />
Dr. Schätz nahm die Gelegenheit wahr, das e<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e positiv<br />
zu kommentieren und damit dem Mitarbeiter anzuzeigen, dass er<br />
dessen Tätigkeit mit Interesse verfolgt.<br />
Nachdem so e<strong>in</strong>e gute Gesprächsbasis hergestellt war, kam<br />
Dr. Schätz behutsam auf den heiklen Punkt zu sprechen, und zwar<br />
mit <strong>der</strong> e<strong>in</strong>leitenden Bemerkung: »Was mir allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>ige Sorgen<br />
bereitet, ist Folgendes...« Herr Pfeifer bekam bald Gelegenheit, sich<br />
dazu zu äußern, und Dr. Schätz hörte geduldig zu. Nachdem Herr<br />
Pfeifer ausgeredet hatte, stellte se<strong>in</strong> Vorgesetzter noch e<strong>in</strong> paar<br />
sachbezogene Zusatzfragen und gab schließlich e<strong>in</strong>ige Ratschläge,<br />
wie er sich die Bearbeitung dieser Angelegenheit <strong>in</strong> Zukunft vorstellt.<br />
Zum Schluss sagte Dr. Schätz: »Probieren Sie das mal aus! Ich weiß<br />
aus eigener Erfahrung, dass diese Methode etwas br<strong>in</strong>gt. Für Sie<br />
wird die Umstellung im Übrigen ke<strong>in</strong> Problem se<strong>in</strong>, Sie s<strong>in</strong>d ja e<strong>in</strong><br />
beweglicher Mensch.« Herr Pfeifer verließ ohne Groll das <strong>Chef</strong>-<br />
Zimmer. An se<strong>in</strong>em Arbeitsplatz angelangt, überdachte er noch<br />
e<strong>in</strong>mal das vorangegangene Gespräch. Se<strong>in</strong> Vorgesetzter hatte ihn<br />
ernst genommen und <strong>in</strong> Ruhe angehört. Er hatte ihn sogar gelobt.<br />
Die anschließende Kritik war ke<strong>in</strong>e harsche »Gard<strong>in</strong>enpredigt«, vor<br />
allem erhielt er Gelegenheit, auch se<strong>in</strong>en Standpunkt darzulegen.<br />
Die Ratschläge se<strong>in</strong>es <strong>Chef</strong>s erschienen ihm durchaus plausibel.<br />
Herr Pfeifer fühlte sich verstanden und als Mitarbeiter geschätzt. Es<br />
kostete ihn ke<strong>in</strong>erlei Überw<strong>in</strong>dung, gleich wie<strong>der</strong> an die Arbeit zu<br />
gehen und das auszuprobieren, wozu ihm Dr. Schätz geraten hatte.
Wie Sie Mitarbeiter motivieren können 185<br />
Die Verhaltensweisen <strong>der</strong> beiden Vorgesetzten unterscheiden sich<br />
grundsätzlich vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong>: Direktor Obermann tritt autoritär auf,<br />
ist kurz angebunden und hält es nicht e<strong>in</strong>mal für nötig, den Mitarbeiter<br />
auch zu Wort kommen zu lassen. Dr. Schätz h<strong>in</strong>gegen praktiziert<br />
den kooperativen Führungsstil. Er redet mit dem Mitarbeiter<br />
auf gleicher Ebene, kann zuhören und versteht es, ihn zu motivieren.<br />
Se<strong>in</strong>e Kritik fällt vor allem deshalb auf fruchtbaren Boden, weil <strong>der</strong><br />
Kritisierte se<strong>in</strong>en <strong>Chef</strong> als e<strong>in</strong>en Menschen erlebt, <strong>der</strong> nicht ständig<br />
auf se<strong>in</strong>e Amtsautorität pocht und die Fähigkeit besitzt, sich <strong>in</strong> die<br />
Lage des Gesprächspartners zu versetzen.<br />
Wenn Sie mit Untergebenen zu reden haben, sollten Sie sich am<br />
Beispiel des Dr. Schätz orientieren. Im E<strong>in</strong>zelnen sollten Sie vor<br />
allem Folgendes beachten:<br />
1. Überlegen Sie vor jedem Gespräch, wo es am besten<br />
stattf<strong>in</strong>det.<br />
Es ist atmosphärisch e<strong>in</strong> großer Unterschied, ob Sie mit e<strong>in</strong>em<br />
Mitarbeiter <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kant<strong>in</strong>e bei e<strong>in</strong>em Glas Bier reden, ob Sie den<br />
Betreffenden <strong>in</strong> Ihrem Amtszimmer, womöglich h<strong>in</strong>ter dem Schreibtisch,<br />
empfangen o<strong>der</strong> sich zu se<strong>in</strong>em Arbeitsplatz begeben. Dabei<br />
spielt auch die Frage e<strong>in</strong>e Rolle, ob Sie mit ihm alle<strong>in</strong> sprechen<br />
müssen o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Gegenwart an<strong>der</strong>er.<br />
2. Sehen Sie genügend Zeit dafür vor.<br />
E<strong>in</strong> Gespräch, das unter Zeitdruck steht, kann kaum solide Ergebnisse<br />
br<strong>in</strong>gen und lässt zudem die Teilnehmer meist unbefriedigt,<br />
weil sie sich nicht <strong>in</strong> Ruhe äußern konnten. Vielleicht fühlen sie sich<br />
auch überfahren.<br />
3. Vermitteln Sie immer den E<strong>in</strong>druck, dass Sie Ihren<br />
Gesprächspartner ernst nehmen.<br />
Er wird dann auch se<strong>in</strong>erseits eher bereit se<strong>in</strong>, Ihre Vorschläge o<strong>der</strong><br />
Ihre Kritik für berechtigt zu halten. Ironie kann zum Beispiel <strong>in</strong><br />
dieser H<strong>in</strong>sicht geradezu tödlich se<strong>in</strong>.
186 <strong>Gespräche</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Chef</strong>-<strong>Etage</strong><br />
4. Bemühen Sie sich, unvore<strong>in</strong>genommen mit Ihrem Mitarbeiter<br />
zu reden.<br />
Wenn Sie schon negative Erfahrungen mit ihm gemacht haben,<br />
denken Sie daran, dass je<strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en Fehler macht, auch Sie!<br />
Halten Sie sich mit Vorwürfen über früheres Fehlverhalten zurück,<br />
seien Sie nicht nachtragend. Wenn Ihr Mitarbeiter nicht e<strong>in</strong>sichtig<br />
ist, verb<strong>in</strong>den Sie Festigkeit mit Geduld und lassen Sie sich auch<br />
dann nicht zu unbedachten Äußerungen verleiten.<br />
5. Stabilisieren Sie das Selbstwertgefühl Ihres Mitarbeiters durch<br />
positive Bemerkungen.<br />
Zeigen Sie auch Anerkennung für Geleistetes, natürlich ohne unaufrichtig<br />
zu se<strong>in</strong>. Vermitteln Sie nicht den E<strong>in</strong>druck, dass Sie mit nichts<br />
zufrieden s<strong>in</strong>d. Schaffen Sie so e<strong>in</strong>e emotional entspannte, von<br />
Vertrauen getragene Atmosphäre. Dann wird es Ihnen gel<strong>in</strong>gen,<br />
auch schwierige Mitarbeiter mit Ihren Argumenten zu erreichen.<br />
6. Hören Sie gut zu, wenn <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e redet.<br />
Sorgen Sie dafür, dass das Gespräch nicht durch Dritte gestört<br />
wird.<br />
Stellen Sie gegebenenfalls zusätzliche Fragen, die erkennen lassen,<br />
dass Sie an dem jeweiligen Problem wirklich <strong>in</strong>teressiert s<strong>in</strong>d. Versetzen<br />
Sie sich <strong>in</strong> die Lage des an<strong>der</strong>en: Was würden Sie an se<strong>in</strong>er<br />
Stelle tun?<br />
7. Betonen Sie nicht ständig Ihre Autorität.<br />
Protzen Sie nicht mit eigenen Leistungen. Vermeiden Sie alles, was<br />
den Mitarbeiter e<strong>in</strong>schüchtern und daran h<strong>in</strong><strong>der</strong>n kann, se<strong>in</strong>e Me<strong>in</strong>ung<br />
frei zu äußern.<br />
8. Bleiben Sie auf das Wesentliche konzentriert.<br />
Schweifen Sie vor allem nicht <strong>in</strong>s Private ab und mokieren Sie sich<br />
auch nicht über angebliche Pannen bei an<strong>der</strong>en, die Sie langatmig<br />
zum Besten geben.
So erreichen Sie das Ohr Ihres Vorgesetzten 187<br />
9. Drücken Sie sich verständlich aus.<br />
Berücksichtigen Sie es, wenn <strong>der</strong> Mitarbeiter vielleicht nicht Ihren<br />
Bildungsstand und Ihr sprachliches Niveau besitzt. Vermeiden Sie<br />
dann unnötige Fremdwörter und komplizierte Sätze.<br />
10. Nehmen Sie nicht voreilig Stellung.<br />
Warten Sie geduldig ab, bis Sie genügend Informationen zur Beurteilung<br />
des Sachverhaltes erhalten haben. Entscheiden Sie dann aber<br />
klar und konsequent, damit <strong>der</strong> Mitarbeiter weiß, woran er ist.<br />
11. Beenden Sie das Gespräch mit e<strong>in</strong>er freundlichen,<br />
aufmunternden Bemerkung.<br />
Vermeiden Sie jeden Missklang vor allem am Ende e<strong>in</strong>er solchen<br />
Unterredung. Wählen Sie e<strong>in</strong>e Formulierung, die dazu geeignet ist,<br />
Ihren Mitarbeiter zur Umsetzung Ihrer Ratschläge zu motivieren.<br />
12. Vergessen Sie nicht, dass über Vorgesetzte viel geredet wird.<br />
Zwar kann man es nie jedem Recht machen. Aber e<strong>in</strong> Mitarbeiter,<br />
<strong>der</strong> sich von se<strong>in</strong>em <strong>Chef</strong> unfair behandelt fühlt, wird Gelegenheit<br />
nehmen, mit Kollegen darüber zu sprechen, vielleicht auch mit<br />
Außenstehenden. Das kann sich nicht nur auf Ihr Image negativ<br />
auswirken, son<strong>der</strong>n auch die Effektivität <strong>der</strong> Arbeit bee<strong>in</strong>trächtigen<br />
mit allen wohlbekannten Folgen für den Betrieb o<strong>der</strong> die Dienststelle.<br />
2. So erreichen Sie das Ohr Ihres Vorgesetzten<br />
Wechseln wir e<strong>in</strong>mal die Perspektive, <strong>in</strong>dem wir das Gesprächsverhalten<br />
von Mitarbeitern betrachten.<br />
Franz Patzel spricht bei se<strong>in</strong>em <strong>Chef</strong> vor, weil ihn etwas im Arbeitsverlauf<br />
wurmt. Er möchte erreichen, dass se<strong>in</strong> Vorgesetzter ihn<br />
anhört und se<strong>in</strong>e Än<strong>der</strong>ungsvorschläge akzeptiert.<br />
Dieses Gespräch ist für ihn ke<strong>in</strong> alltäglicher Vorgang. Deshalb ist<br />
Franz Patzel etwas aufgeregt. Er hat sich zu diesem Schritt überw<strong>in</strong>den<br />
müssen, weil se<strong>in</strong> <strong>Chef</strong>, Direktor Lenkberg, e<strong>in</strong>e gewichtige
188 <strong>Gespräche</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Chef</strong>-<strong>Etage</strong><br />
Persönlichkeit mit Autorität ist. Kaum hat er <strong>in</strong> dessen Amtszimmer<br />
Platz genommen, da schießt er auch schon los: »Also, Herr Direktor,<br />
da ist etwas, was ich Ihnen, wenn Sie erlauben, dass ich mir das, äh,<br />
herausnehme, ich weiß ja, Sie haben viel zu tun, vielleicht können Sie<br />
mich trotzdem anhören. Ich möchte nur sagen, dass ich etwas<br />
ansprechen möchte, das ist vielleicht e<strong>in</strong> bißchen heikel...«<br />
Da schaltet sich <strong>der</strong> <strong>Chef</strong>, ungeduldig geworden, e<strong>in</strong> und bittet ihn,<br />
se<strong>in</strong> Anliegen doch ohne Umschweife vorzubr<strong>in</strong>gen. Herr Patzel<br />
wird durch diese Belehrung erst recht nervös und verhed<strong>der</strong>t sich<br />
noch mehr. Dabei vergisst er, Wesentliches mitzuteilen. Auch muss<br />
ihn Direktor Lenkberg wie<strong>der</strong>holt um genauere Auskünfte bitten,<br />
weil er Schwierigkeiten hat, zu erkennen, worauf se<strong>in</strong> Mitarbeiter<br />
eigentlich h<strong>in</strong>aus will.<br />
Nach dem Gespräch spricht Franz Patzel bei e<strong>in</strong>er Tasse Kaffee mit<br />
se<strong>in</strong>em Kollegen Egon Schneller über diese Unterredung; denn er ist<br />
gar nicht mit sich zufrieden. Herr Schneller sagt dazu: »Ich habe da<br />
nie Probleme. <strong>Chef</strong>s s<strong>in</strong>d doch auch nur Menschen. Denen muss man<br />
vor allem klar machen, dass man auch jemand ist. Voll auftrumpfen,<br />
das ist me<strong>in</strong>e Devise! Neulich b<strong>in</strong> ich dem Dr. Boßmann über den<br />
Mund gefahren, dass <strong>der</strong> ke<strong>in</strong> Wort mehr herausgebracht hat. Das<br />
war e<strong>in</strong>e Show! Er ist zwar jetzt e<strong>in</strong> bißchen e<strong>in</strong>geschnappt, aber<br />
was soll’s? Mir hat’s jedenfalls gutgetan, mal voll die Sau rauszulassen.<br />
Man wird ja sonst ganz untergebuttert <strong>in</strong> diesem Laden.«<br />
Kollege Patzel hört sich diese starken Worte mit gemischten Gefühlen<br />
an. E<strong>in</strong>erseits imponiert es ihm, wie se<strong>in</strong> Kollege auftreten<br />
kann, an<strong>der</strong>erseits aber verspricht er sich im Endeffekt auch nicht<br />
viel davon. Er hat es ja gesagt: Der Herr Boßmann war »e<strong>in</strong>geschnappt«!<br />
Natürlich ist es ke<strong>in</strong>e große Kunst, beim <strong>Chef</strong> e<strong>in</strong> offenes Ohr zu<br />
f<strong>in</strong>den, wenn man nur dessen Me<strong>in</strong>ung bestätigt. Deshalb gehe ich<br />
hier davon aus, dass Sie ihn erst e<strong>in</strong>mal für Ihren Standpunkt<br />
gew<strong>in</strong>nen müssen.<br />
Lassen Sie mich das auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Punkten zusammenfassen,<br />
wobei vorauszuschicken ist, dass natürlich e<strong>in</strong>e Reihe <strong>der</strong> soeben<br />
erläuterten Ratschläge für den Vorgesetzten entsprechend auch für<br />
das Gesprächsverhalten e<strong>in</strong>es Mitarbeiters gelten.
So erreichen Sie das Ohr Ihres Vorgesetzten 189<br />
1. Gehen Sie gut vorbereitet <strong>in</strong> e<strong>in</strong> solches Gespräch.<br />
Überlegen Sie sich, was Sie im Wesentlichen sagen und erreichen<br />
wollen. Statten Sie sich mit guten Argumenten aus. Denken Sie auch<br />
daran, wie Sie E<strong>in</strong>wänden begegnen können.<br />
2. Stellen Sie nach Möglichkeit sicher, dass Ihr <strong>Chef</strong> auch Zeit für<br />
Sie hat.<br />
Fragen Sie gegebenenfalls vorher an, wann Sie vorsprechen können.<br />
Nennen Sie eventuell auch ungefähr die Zeit, die das Gespräch Ihrer<br />
E<strong>in</strong>schätzung nach <strong>in</strong> Anspruch nehmen wird. Wenn Sie Ihren<br />
Vorgesetzten »überfallen«, wird er Ihr Ersche<strong>in</strong>en als Störung empf<strong>in</strong>den<br />
und kaum e<strong>in</strong> offenes Ohr für Sie haben.<br />
3. Bemühen Sie sich, psychisch ausgeglichen zu se<strong>in</strong>.<br />
Überschlafen Sie die Angelegenheit erst e<strong>in</strong>mal, wenn Sie sich über<br />
etwas sehr aufgeregt haben. Vielleicht können Sie auch vorher noch<br />
mit an<strong>der</strong>en darüber reden und dadurch wie<strong>der</strong> <strong>in</strong>s <strong>in</strong>nere Gleichgewicht<br />
kommen, so dass Sie ruhig und selbstsicher auftreten können.<br />
»Dampf ablassen« alle<strong>in</strong> genügt meist nicht, wenn man etwas<br />
erreichen will.<br />
4. Br<strong>in</strong>gen Sie Ihr Anliegen sachlich, knapp und klar vor.<br />
Kommen Sie ohne Umschweife zum Thema und strapazieren Sie<br />
nicht unnötig die Geduld Ihres vielleicht vielbeschäftigten <strong>Chef</strong>s.<br />
Achten Sie darauf, daß Sie ke<strong>in</strong>e Missverständnisse auslösen und<br />
dass Ihr Vorgesetzter bald im Bilde ist. Vermeiden Sie allzu subjektive,<br />
von Ihrer Augenblicksstimmung diktierte Bewertungen.<br />
5. Überlegen Sie sich, auf welche Weise Sie Ihren Vorgesetzten<br />
für Ihr Problem beson<strong>der</strong>s aufschließen können.<br />
Vielleicht ist er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Punkt beson<strong>der</strong>s ansprechbar, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
an<strong>der</strong>en h<strong>in</strong>gegen gar nicht. Möglicherweise können Sie an bestimmte<br />
eigene Erfahrungen o<strong>der</strong> Äußerungen des <strong>Chef</strong>s anknüpfen<br />
und dadurch mehr Verständnis für Ihr Anliegen f<strong>in</strong>den.
190 <strong>Gespräche</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Chef</strong>-<strong>Etage</strong><br />
6. Achten Sie auf dessen Reaktionen.<br />
Beobachten Sie, wie das, was Sie sagen, bei Ihrem Vorgesetzten<br />
ankommt. Lässt er (körpersprachlich und/o<strong>der</strong> verbal) z.B. Interesse,<br />
Skepsis, Ungeduld o<strong>der</strong> Verärgerung erkennen? Richten Sie<br />
Ihr eigenes Verhalten danach e<strong>in</strong>. Fallen Sie Ihrem <strong>Chef</strong> möglichst<br />
nicht <strong>in</strong>s Wort, das verstimmt nur.<br />
7. Seien Sie vorsichtig, wenn Sie sich über Kollegen äußern.<br />
Reden Sie nie abfällig über an<strong>der</strong>e und lassen Sie sich nicht auf<br />
Klatsch e<strong>in</strong>. Wählen Sie sich die richtigen »Kronzeugen« als Schützenhilfe<br />
für Ihre Argumentation, wenn Sie welche brauchen. Gehen<br />
Sie davon aus, dass Dritte es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel bald erfahren – vielleicht <strong>in</strong><br />
entstellter Wie<strong>der</strong>gabe –, wenn Sie diese <strong>in</strong>s Spiel gebracht haben,<br />
und überlegen Sie sich, ob Sie das auch wollen.<br />
8. Lassen Sie sich nicht zu unbedachten Formulierungen<br />
verleiten.<br />
Vielleicht will Sie Ihr <strong>Chef</strong> mit provokanten Äußerungen aufs Glatteis<br />
führen. Wenn Sie diesen Verdacht haben, schalten Sie e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e<br />
Denkpause e<strong>in</strong>, bevor Sie reagieren. Korrigieren Sie sich gegebenenfalls,<br />
wenn Sie allzu spontan etwas gesagt haben, das Ihre Position<br />
schwächt und gegen Sie ausgelegt werden kann.<br />
9. Schätzen Sie Ihre Möglichkeiten realistisch e<strong>in</strong>.<br />
Auch wenn wir es nicht gern hören: Der <strong>Chef</strong> sitzt meist am<br />
längeren Hebel. Deshalb ist mit Rechthaberei, Starrs<strong>in</strong>n und Trotz <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Regel nicht viel zu erreichen. Oft s<strong>in</strong>d Teilerfolge schon e<strong>in</strong><br />
großer Fortschritt – die »Politik <strong>der</strong> kle<strong>in</strong>en Schritte« ist da die<br />
richtige Methode. Wappnen Sie sich also mit Geduld.<br />
10. Versetzen Sie sich <strong>in</strong> die Lage Ihres <strong>Chef</strong>s.<br />
Versuchen Sie, das Problem auch aus se<strong>in</strong>er Warte zu sehen. Es wird<br />
Ihnen leichter fallen, se<strong>in</strong> Ohr zu f<strong>in</strong>den, wenn Sie ihm das Gefühl<br />
geben, dass Sie se<strong>in</strong>e Situation verstehen, se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>wände grundsätzlich<br />
ernst nehmen und <strong>in</strong> Ihrer Argumentation berücksichtigen.
So erreichen Sie das Ohr Ihres Vorgesetzten 191<br />
11. Fragen Sie zurück, wenn Sie etwas nicht verstanden haben.<br />
In <strong>Gespräche</strong>n kommt es immer wie<strong>der</strong> vor, dass man e<strong>in</strong>e Formulierung<br />
nicht versteht, e<strong>in</strong>er Gedankenverb<strong>in</strong>dung nicht gleich folgen<br />
kann o<strong>der</strong> dass <strong>der</strong> H<strong>in</strong>tergrund e<strong>in</strong>er bestimmten Bemerkung<br />
nicht klar ist. Vielleicht drückt sich Ihr <strong>Chef</strong> auch absichtlich dunkel<br />
aus bzw. ergeht er sich <strong>in</strong> Andeutungen o<strong>der</strong> Anspielungen, die Sie<br />
nicht durchschauen. In solchen Fällen sollten Sie sich nicht scheuen,<br />
um Aufklärung o<strong>der</strong> nähere Erläuterung zu bitten.<br />
12. Bemühen Sie sich um e<strong>in</strong> konkretes Gesprächsergebnis.<br />
Solche <strong>Gespräche</strong> verlaufen lei<strong>der</strong> manchmal im Sande o<strong>der</strong> enden<br />
mit vagen Vertröstungen. Damit sollten Sie sich aber nicht zufriedengeben.<br />
Hier empfiehlt es sich, etwa <strong>in</strong> Frageform klarzustellen,<br />
was das Gespräch konkret ergeben hat:<br />
• »Sie s<strong>in</strong>d also damit e<strong>in</strong>verstanden, dass weitere Parkplätze für die<br />
Mitarbeiter geschaffen werden?«<br />
• »Ich bekomme demnach noch e<strong>in</strong>en Kollegen zur Erledigung<br />
dieser beson<strong>der</strong>en Aufgabe?«<br />
• »Sie werden mich also über den Verlauf des Gesprächs mit dem<br />
Personalchef <strong>in</strong> Kenntnis setzen?«<br />
Der Vorgesetzte bestätigt Ihnen das – vielleicht mit e<strong>in</strong>er relativierenden<br />
Bed<strong>in</strong>gung: »Ja, sobald . . .« – und Sie haben nun Konkretes<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand, mit dem Sie (hoffentlich) etwas anfangen können.<br />
Abschließend noch e<strong>in</strong> grundsätzlicher H<strong>in</strong>weis: In e<strong>in</strong>em Beratungsgespräch<br />
fragte mich e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> mittlerer Angestellter, was ich<br />
von dem Sprichwort halte: »Gehe nie zu de<strong>in</strong>em Fürst, wenn du<br />
nicht gerufen wirst!«<br />
Das Sprichwort ist, wie viele an<strong>der</strong>e auch, richtig und falsch zugleich:<br />
Das Körnchen Wahrheit liegt dar<strong>in</strong>, dass nicht wenige Mitarbeiter<br />
dazu neigen, schnurstracks zu ihrem Vorgesetzten zu laufen,<br />
wenn e<strong>in</strong> Problem auftaucht, statt selber zu entscheiden, Mut zur<br />
Verantwortung zu zeigen und gegebenenfalls auch e<strong>in</strong> Risiko <strong>in</strong><br />
Kauf zu nehmen. Manche <strong>Chef</strong>s können e<strong>in</strong> Lied davon s<strong>in</strong>gen.<br />
Deshalb me<strong>in</strong> Rat: Fragen Sie sich, bevor Sie die nächsthöhere
192 <strong>Gespräche</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Chef</strong>-<strong>Etage</strong><br />
Instanz mit e<strong>in</strong>er Angelegenheit behelligen, ob Sie diese Sache nicht<br />
selber entscheiden und erledigen können, natürlich im Rahmen<br />
Ihrer Kompetenz und Ihrer Möglichkeiten.<br />
Dieses Sprichwort kann aber auch als Auffor<strong>der</strong>ung zur Duckmäuserei<br />
verstanden werden nach dem Pr<strong>in</strong>zip: »Nur nicht auffallen.«<br />
Es kann dazu verleiten, passiv zu bleiben, wo man sich<br />
engagieren sollte. Es gibt nun e<strong>in</strong>mal auch am Arbeitsplatz oft<br />
Situationen, wo es gilt, E<strong>in</strong>fluss zu nehmen und zu sagen, was man<br />
denkt, um Fehlentwicklungen zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n o<strong>der</strong> Ungerechtigkeiten<br />
entgegenzutreten. In solchen Fällen sollten Sie nicht zögern, <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> rechten Weise aktiv zu werden und zum »Fürst« zu gehen, auch<br />
ohne gerufen worden zu se<strong>in</strong>.<br />
3. Verb<strong>in</strong>dlich formulieren<br />
<strong>Gespräche</strong> entwickeln sich häufig negativ, weil Teilnehmer nicht den<br />
richtigen Ton treffen und dadurch an<strong>der</strong>e verstimmen. Hier können<br />
schon fe<strong>in</strong>e Nuancen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Formulierung e<strong>in</strong>e Rolle spielen, vor<br />
allem dann, wenn es zwischen den Gesprächspartnern nicht eben<br />
zum Besten steht. So ist es, um nur e<strong>in</strong> Beispiel zu nennen, e<strong>in</strong><br />
Unterschied, ob Sie zu jemandem sagen: »Behalten Sie das bitte für<br />
sich!« o<strong>der</strong> »Ich sage Ihnen das, weil ich weiß, daß Sie es für sich<br />
behalten werden.«<br />
Der erste Satz ist e<strong>in</strong>e Auffor<strong>der</strong>ung, h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> unausgesprochen die<br />
Befürchtung steht, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e könnte nicht dicht halten. Der zweite<br />
h<strong>in</strong>gegen drückt e<strong>in</strong>e Gewissheit aus und signalisiert Vertrauen <strong>in</strong><br />
den Gesprächspartner.<br />
Welche Formulierung würde bei Ihnen mehr ankommen, Sie eher<br />
zur Diskretion motivieren? Sicher die letztere. Es ist e<strong>in</strong>e alte Erkenntnis,<br />
dass Vertrauen mit Vertrauen honoriert wird. Ausnahmen<br />
bestätigen diese Regel.<br />
Bedenken Sie auch, dass es beim Sprechen entscheidend darauf<br />
ankommt, wie Sie etwas sagen, mit welchem Tonfall und mit welchem<br />
körpersprachlichen Ausdruck. Schon e<strong>in</strong> begleitendes freundliches<br />
Lächeln kann hier manches entschärfen!