Zwei Methoden im Vergleich - Waldwissen.net
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Klettern mit Langseiltechnik<br />
<strong>Zwei</strong> <strong>Methoden</strong> <strong>im</strong> <strong>Vergleich</strong><br />
<strong>Zwei</strong> Klettertechniken sollen einerseits<br />
vor- und anderseits einander<br />
gegenübergestellt werden.<br />
Es ist keinesfalls beabsichtigt,<br />
einer der beiden den Vorzug zu<br />
geben. Der Leser wird die Unterschiede<br />
bezüglich der Voraussetzungen,<br />
Anwendungsbereiche,<br />
Stärken und Schwächen selber<br />
feststellen können:<br />
Auf Bäume klettern! Was wohl einst<br />
<strong>im</strong> Kindergartenalter spielerisch begann,<br />
wird von Spezialisten unter den<br />
Forstleuten professionell und sehr zielstrebig<br />
betrieben. Die Montage eines Würg-<br />
Von Stephan Isler*<br />
seils mit Hilfe der Kletterausrüstung kann<br />
als Stufe I betrachtet werden und ist<br />
Teil der Grundausbildung des Forstwarts<br />
(B-Kurs).<br />
Höhere Anforderungen punkto Gewandtheit<br />
und Schwindelfreiheit stellen<br />
die Arbeiten am Seilkranmast (Aufasten<br />
und Sattelmontage) dar. Das «Stumpen»<br />
oder «Stücken» (Asten bzw. Entfernen<br />
der Krone) als klassische Vorbereitungsarbeit<br />
der Holzernte in den Plenterwäldern<br />
wie auch die Samenernte sind jedoch<br />
schon eigentliche Spezialistenjobs.<br />
Die Samenernte (Zapfenpflücken) n<strong>im</strong>mt<br />
dabei klettertechnisch eine Sonderstellung<br />
ein, weil keine Steigeisen benützt<br />
werden dürfen und auch keine Motorsägenarbeit<br />
ausgeführt wird. Das Gleiche<br />
gilt für die Wertastung am Seil: Beides<br />
sind forstliche Klettertechniken, die nicht<br />
die Entfernung des bestiegenen Baums<br />
bezwecken bzw. in Kauf nehmen (der<br />
Seilkranmast wird nach Abbau der Anlage<br />
meistens gefällt).<br />
Stehende Bäume asten<br />
Nicht überall können Bäume gefällt<br />
werden! Zumindest nicht einfach so und<br />
ohne grössere Schäden an der Umgebung<br />
in Kauf zu nehmen. Protzige Einzelbäume<br />
in der Durchforstung, Überhälter,<br />
Park- und Gartenbäume sind oft heikle<br />
* Der Autor ist Mitarbeiter des Bereichs Schulung<br />
des WVS, 4501 Solothurn.<br />
Einfach und übersichtlich ist die<br />
Ausrüstung bei der Langseiltechnik:<br />
Klettergurt, Karabiner, Prusikschlinge<br />
und Sicherungsseil.<br />
Objekte, wo es unumgänglich ist, Krone<br />
oder Kronenteile von aussen nach innen,<br />
bisweilen gar den ganzen Baum von oben<br />
nach unten «stückweise» zu entfernen.<br />
Lange nicht <strong>im</strong>mer ist der Einsatz von<br />
Spezialgeräten wie Hebebühne, Pneukran<br />
oder gar Helikopter möglich und<br />
wirtschaftlich. Mit der konventionellen<br />
Klettertechnik aber (Motorsägenführer<br />
mit Steigeisen und Sicherungsgurt) ist die<br />
Beweglichkeit stark eingeschränkt, der<br />
Kletterer kann den Stamm nicht verlassen<br />
ohne die Sicherung aufzugeben. Ein dosiertes,<br />
schrittweises Zurückschneiden ist<br />
nicht möglich, denn dazu müsste sich der<br />
Kletterer in allen Richtungen – auch horizontal<br />
– in der Krone bewegen können!<br />
Sind aber – gerade bei Laubbäumen –<br />
Trennschnitte an Ästen, Kronenteilen und<br />
Doldern nur entlang der Stammachse<br />
möglich, wo durch die Hebelwirkung in<br />
Druck- und Zugzonen Kräfte <strong>im</strong> Tonnenbereich<br />
auftreten, so wird es gefährlich!<br />
Es entstehen schwer kalkulierbare Risiken<br />
für Leib und Leben der Beteiligten. Beschädigte<br />
Hausdächer, niedergewalzte<br />
AUSBILDUNG<br />
Hightech aus Alpinismus und Höhlenforschung<br />
bei der Lausanner Methode: nur<br />
durch regelmässige Anwendung können die<br />
Vorteile dieser Technik ausgeschöpft werden.<br />
Zäune, heruntergerissene Leitungen sind<br />
in solchen Fällen das kleinere Übel…<br />
Die Langseiltechnik<br />
Sie ist die Königsdisziplin unter den<br />
Klettertechniken! Und verleiht dem, der<br />
sie beherrscht, eine sch<strong>im</strong>pansenähnliche<br />
Bewegungsfreiheit <strong>im</strong> Baum. Der entscheidende<br />
Unterschied zu den eingangs<br />
erwähnten Anwendungen besteht darin,<br />
dass mit dieser Technik nahezu jede Stelle<br />
in der Baumkrone erreicht und bearbeitet<br />
werden kann. Es ist möglich, die<br />
Stammachse zu verlassen. Vor allem bei ausladenden<br />
Laubholzkronen ist das ein <strong>im</strong>menser<br />
Vorteil: Die Äste und Dolder können<br />
von aussen nach innen in gewünschter<br />
Grösse eingekürzt und <strong>im</strong> Bedarfsfall<br />
mit einem Hilfsseil abgesenkt werden.<br />
Teile dieser Technik hat der ehemalige<br />
WVS-Kursleiter Ernst Engeli aus dem<br />
Bergsport übernommen und für den<br />
Einsatz auf Bäumen modifiziert. Der daraus<br />
entstandene Kurs «Spezialholzerei<br />
mit Sonderrisiken» wird vom WVS seit<br />
WALD UND HOLZ 10/02 23
AUSBILDUNG<br />
Oben links: Vier Pappeln mitten <strong>im</strong> Hofareal, ein anspruchsvolles<br />
Objekt <strong>im</strong> WVS-Kurs «Spezialholzerei mit Sonderrisiken», wo<br />
die Langseiltechnik vermittelt wird.<br />
Oben rechts: Schonend kappen! Mit Hilfe des Hilfsseils wird das<br />
Dolder vom Boden aus gesichert und kontrolliert abgesenkt.<br />
Unten rechts: Das Langseil wird in einer Astgabel umgelenkt. Die<br />
Prusikschlinge erlaubt dosierte Verschiebungen innerhalb der Krone.<br />
Unten links: Die 3-Punkt-Verankerung (Langseil, Sicherungsseil,<br />
Steigeisen) gestattet ein sicheres Bearbeiten der Baumkrone.<br />
24 WALD UND HOLZ 10/02
AUSBILDUNG<br />
Im Einführungskurs werden die vielfältigen Möglichkeiten (<strong>im</strong> Bild das Steigen ohne Steigeisen)<br />
schrittweise instruiert und geübt.<br />
bald zehn Jahren angeboten. Sowohl das<br />
Kurskonzept wie auch das dazugehörige<br />
Lehrmittel hat Markus Saurer, Kursleiter<br />
WVS, entwickelt. Er war es auch, der mit<br />
seinen Kletterdemonstrationen an der<br />
Forstmesse 93 die Besucher in Halle 1<br />
be<strong>im</strong> WVS-Stand beeindruckte.<br />
Der Zustieg zur Krone erfolgt auf konventionelle<br />
Art und Weise, also mittels<br />
Steigeisen und Sicherungsseil dem Stamm<br />
entlang. Es wird nun möglichst hoch eine<br />
genügend starke, günstig geformte und<br />
gut positionierte Astgabel als Verankerungs-<br />
bzw. Umlenkgelegenheit für das<br />
Langseil gewählt. Während das eine Ende<br />
des Langseils <strong>im</strong> Schraubkarabiner und<br />
dieser in den inneren Ösen des Klettergurts<br />
befestigt wird, hängt sich der Kletterer<br />
mittels einer Prusikschlinge in den<br />
zweiten Strang des Langseils, welches so<br />
eine doppelte Aufhängung bildet. Der<br />
Prusikknoten ist ein Klemmknoten, der<br />
sich unbelastet schieben lässt und in belastetem<br />
Zustand blockiert. Diese regulierbare<br />
Aufhängung ermöglicht nun (unter<br />
Zuhilfenahme der Steigeisen und des<br />
Sicherungsseils) den Ästen entlang pendelartige<br />
Bewegungen <strong>im</strong> Kronenraum.<br />
Es sind horizontale und vertikale Verschiebungen<br />
bis zu den Feinästen möglich.<br />
Der Auffanggurt («Repapress, Typ Engeli»),<br />
die Steigeisen, das Langseil (geflochten,<br />
Ø 16 mm, Länge 30 m), das Sicherungsseil<br />
(Stahleinlage, Ø 16 mm,<br />
Länge 3 m, mit Seilkürzer) und die Prusikschlingen<br />
(endlos, Ø 10 mm) bilden die<br />
Grundausrüstung.<br />
Die Lausanner Klettertechnik<br />
Yvan Richard, Forstwart der Stadt Lausanne,<br />
hat ab der zweiten Hälfte der 90er-<br />
Jahre eine Baumklettertechnik entwickelt,<br />
Lausanner Technik: das freie Bewegen in<br />
der Krone.<br />
welche heute als eigenständige und ausgereifte<br />
Methode erlernt werden kann.<br />
Das «Centre de formation professionnelle<br />
forestière» in Le Mont-sur-Lausanne<br />
ist Anbieter von Grundausbildungskursen.<br />
Die Lausanner Kletterei unterscheidet<br />
sich recht deutlich von der «Engeli-Saurer-Methode».<br />
Sie entstand in enger Zusammenarbeit<br />
mit Bergführern, Höhlenforschern<br />
und Rettungsdiensten wie auch<br />
mit den Herstellern von alpintechnischen<br />
Ausrüstungen. Steigklemmen, Seilklemmen<br />
und -bremsen und das Abseilgerät<br />
bilden zusammen mit dem Auffanggurt,<br />
einem längenverstellbaren 5-m-Seil, einem<br />
stahlarmierten Sicherungsseil (nach<br />
Suva für Motorsägearbeiten obligatorisch)<br />
und halbstatischen 11-mm-Seilen<br />
die Grundausrüstung. Der heute verwendete<br />
Klettergurt «Petzl Navaho Boss» ist<br />
Der Aufstieg am freihängenden Seil mit<br />
Hilfe zweier Steigklemmen (eine davon<br />
am linken Unterschenkel).<br />
Der Aufstieg ohne Steigeisen dem Stamm<br />
entlang mittels Steigklemmen.<br />
übrigens das Resultat einer vierjährigen<br />
gemeinsamen Entwicklungsarbeit mit der<br />
französischen Firma und entspricht genau<br />
den Bedürfnissen der Baumkletterspezialisten.<br />
Je nach Arbeit wird auf die Verwendung<br />
von Steigeisen verzichtet, zum Beispiel<br />
bei der Samenernte, bei Kronenkorrekturen<br />
und anderen Baumpflegearbeiten.<br />
In diesen Fällen wird das Astwerk<br />
über eine Leiter, häufig aber ausschliesslich<br />
mit Hilfe der Seiltechnik erreicht. Ist<br />
die Krone nicht zu hoch und günstig ausgeformt,<br />
wird mit Hilfe des Wurfsäckleins<br />
eine dünne Leine über einen genügend<br />
starken Ast gebracht. An dieser Leine<br />
wird anschliessend das Seil aufgezogen<br />
und am Stammfuss verankert. Nun arbeitet<br />
sich der Baumkletterer mit Hilfe zweier<br />
Steigklemmen am frei hängenden Seil<br />
hoch. Ist jedoch der Kronenansatz zu<br />
WALD UND HOLZ 10/02 25
AUSBILDUNG<br />
Die Grundausbildungen 1<br />
26 WALD UND HOLZ 10/02<br />
Lausanner Technik Langseiltechnik WVS<br />
Inhalt Klettern/Technik/Material Klettern/Technik/Kronen bearbeiten<br />
Zielpublikum Profis, welche Arbeiten in Bäumen ausführen Forstleute, welche mit der Motorsäge auf Bäumen<br />
(mit und ohne Steigeisen) arbeiten (mit Steigeisen)<br />
Voraussetzungen körperlich fit, schwindelfrei körperlich fit, schwindelfrei, gute Klettererfahrung mit<br />
Steigeisen, Holzernteerfahrung<br />
Zielsetzungen Bewegen in der Baumkrone ohne Motorsäge- Bewegen und arbeiten mit der Motorsäge in der Baum-<br />
(Unterschiede) arbeiten, Rettungsübungen krone, Rettung auslösen (Koordinaten best<strong>im</strong>men)<br />
Kursdauer 3 Tage 3 Tage<br />
Kosten* Fr. 450.– Fr. 600.– bis 1000.– je nach Rüstlohn, abzüglich allfälliger<br />
Kantonsbeiträge bis 50%<br />
Sprache französisch deutsch, italienisch, französisch<br />
Kursablauf Einführung, verschiedene Klettermethoden, Einführung, Kletterübungen, Knoten, praktische Arbeiten,<br />
Knoten, Demos, Materialkunde, Rettungsübungen Schnitttechniken, Lasten absenken<br />
Lehrmittel Hefter mit Farbbildern und Beschreibungen Ordner mit s/w-Skizzen und Beschreibungen<br />
Ausrüstung Komponenten aus Forst, Bergsport und Höhlen- Steigausrüstung, Langseil, Zusatzmaterial, Spezialkettenforschung<br />
(Material wird <strong>im</strong> Kurs zur Verfügung sägen (Material wird <strong>im</strong> Kurs zur Verfügung gestellt) 2<br />
gestellt)<br />
«Handling» der Ausrüstung komfortabel, anspruchsvoll praxistauglich, solid<br />
Erlernbarkeit, Anwendbarkeit «Die Gerätschaften sind spitze, aber der Umgang «Die Übersicht fällt einigermassen leicht, weil man mit<br />
(Teilnehmerurteil) damit setzt viel Übung voraus. Ohne regelmässiges wenig Geräten und einfachem Klettermaterial auskommt.<br />
Training kann ich mir ein selbstständiges Arbeiten Auch Jahre nach dem Grundkurs und ohne Training habe<br />
nicht vorstellen.» ich erfolgreich mit der Langseiltechnik gearbeitet.»<br />
* Kursort ist Grossraum Lausanne. Kursort dezentral, teilnehmernah, <strong>im</strong> Idealfall <strong>im</strong> Betrieb der<br />
Unterkunft und Verpflegung <strong>im</strong> Preis Teilnehmer (Mobikurs). Unterkunft und Verpflegung <strong>im</strong> Preis<br />
nicht enthalten. nicht enthalten.<br />
1 Das Centre de formation professionelle forestière bietet auch einen Nachfolgekurs an. Inhalt: Motorsägearbeit, Schnitttechniken. Dauer: 2 Tage. Kosten: Fr. 300.–.<br />
2 Für einmaligen Einkauf der Kletterausrüstung be<strong>im</strong> WVS erhält der Kursteilnehmer 10 % Rabatt.<br />
hoch oder die Kronenform ungünstig, so<br />
bedient er sich einer «steigeisenlosen»<br />
Aufstiegstechnik am Stamm, bei welcher<br />
zwei Seile bzw. ihre zu zulaufenden<br />
Schlingen geformten Enden alternierend<br />
benutzt werden. Auch hier kommen die<br />
mechanischen Steigklemmen zum Einsatz.<br />
«Penser secours avant de penser travail»<br />
(zuerst an die Rettung, dann an die Arbeit<br />
denken) heisst der Grundsatz der «Lausanner<br />
Klettertechnik». Die Bergung eines Verletzten<br />
oder Steigunfähigen soll jederzeit<br />
mit eigenen Mitteln bewerkstelligt werden<br />
können. Bedingung für jegliche Aktivität<br />
auf dem Baum ist darum die Montage der<br />
«ligne de vie» (Rettungsseil, wörtlich «Lebensfaden<br />
bzw. -linie»). Die «ligne de vie»<br />
wird vom Erstbesteiger eingezogen. Sie bildet<br />
als Fixseil für die Dauer des Einsatzes die<br />
Verbindung zum Boden und ermöglicht<br />
dem Retter einen raschen Zustieg. ■