Deutschtürkische Frozzeleien Kraftvoll und dynamisch Bremer ...

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4 BÜHNE DIABOLO WOCHENZEITUNG | Ausgabe 3/12 Vom Individuum und der Masse Tanztheater „Full Body“ – kraftvoll und dynamisch bis zur Atemlosigkeit TEXT | SYLVIA MALLINKRODT-NEIDHARDT Als intelligentes und unterhaltsames Tanztheater, bei dem das Ensemble sich 60 Minuten lang kreativ ausarbeitet – so präsentierte sich das Tanzstück „Full Body“ des Schweizer Choreografen Marcel Leemann bei der Uraufführung im Oldenburgischen Staatstheater. Dabei begeisterten die Tänzerinnen und Tänzer der Tanzcompagnie Oldenburg durch gleichermaßen gefühl- und kraftvolle Tanzdarbietungen. Die beiden Schauspielerinnen Hanna Franck und Kristina Gorjanowa überzeugten in der spartenübergreifenden Produktion durch ihr gekonntes Mitwirken auch in den Bewegungssequenzen. Lang anhaltender Applaus würdigte eine faszinierende Aufführung. Der tänzerische Auftakt ist spektakulär unspektakulär: Eine einzelne Tänzerin – ein Schritt nach hier, ein Schritt nach da, eine Drehung, ein Sprung – verdeutlicht mit Worten und Bewegungen den tänzerischen Ablauf. Fast statisch wirkt das, emotionslos, wie eine Probensituation mit einer einsamen Akteurin auf einer viel zu groß erscheinenden Bühne. Dann sind es zwei Tanzende, einem Liebespaar gleich, zusammen: „Verliert Euch nicht!“ wird rezitiert. Plötzlich ist da Bewegung, Tänzerinnen und Tänzer strömen auf die Tanzfläche, Körper breiten sich einer Flutwelle gleich aus, Arme und Beine machen sich ausdrucksstark selbständig. Schließ- lich verdichtet sich der Tanz, die Individuen rücken näher zusammen, werden zu einer von Emotionen bewegten wogenden Masse. Eine Stunde lang wird das Spannungsverhältnis zwischen dem Individuum und der Masse leidenschaftlichdynamisch zelebriert: Die Tanzenden schreiten, rennen, springen, prallen aneinander, finden zusammen oder drängen auseinander, vereinzeln sich. Es geht um vielerlei Arten der Beziehungen, um Liebe und Kampf, um Einsamkeit, Zweisamkeit und Trennung. Dazu das gesprochene Wort, oft nur Bruchstücke, Wiederholungen in Schleifen. Bis schließlich der Schwarm als das gedachte Thema auch im Text auftaucht, erläutert wird: Schwarmintelligenz, Schwarmaggressivität… Den Tänzerinnen und Tänzern wird viel abverlangt. Leemann ist bekannt für sein „emotionales und physisch anspruchsvolles“ Tanztheater: Kräfte zehrende, Schweiß treibende Dauerbeanspruchung, Verausgabung bis zur Atemlosigkeit. Da müssen auch die Schauspielerinnen mithalten: Sie „gehen auf im Kraftfeld des Schwarms“ – so das Programm. – Kostüm- und Bühnengestaltung (Anike Sedello) sind sparsam, aber effektiv. Schwarz-gelbe Kleidung lässt die Akteure einerseits zur Masse verschmelzen, hebt den Einzelnen andererseits auch aus ihr heraus. Die Requisiten, ein durchscheinender Vorhang im Hintergrund, ein Ple- „Full Body“, Tanzstück von Marcel Leemann, im Vordergrund: die Schauspielerin Kristina Gorjanowa im Hintergrund: Compagnie; Fotograf: Andreas J. Etter xiglaskasten mit Einstiegsöffnung und weiße, biegsame Holzlatten, reichen aus um Begrenzungen, Räume zu schaffen, in denen und durch die man sich hindurch bewegt, verläuft, eingesperrt ist; Straßen, Irrgärten, Kampfarenen, aus denen man wieder zurück findet, sich befreit, um erneut aufzubrechen, „auszuschwärmen“. – Lautstarke elektronische Musik (Beat Halberschmidt) heizt den Tanzenden dazu mit donnernden Beats ein, treibt sie vorwärts, zieht sie zurück, AltArmArbeitslos Volker Löschs Version der Bremer Stadtmusikanten im Theater am Goetheplatz, Bremen TEXT | MARTINA BURANDT Voller Wut zerstören vier SchauspielerInnen mit Äxten die moderne Einrichtung eines Büros. Sie sind Esel, Hund, Katze und Hahn in Volker Löschs neuester Produktion „AltArmArbeitslos“. Auf Grundlage des Grimmschen Märchens von den Bremer Stadtmusikanten, vermischt mit Texten aus Literatur und dem realen (Arbeits-)Leben, erleben wir einen 90-minütigen Aufschrei. Die Bühne: Ein Großraumbüro in sterilem Weiß (Bühnenbild: Carola Reuther). Die stereotype Arbeitswelt besteht hier aus übermotivierten maskentragenden Figuren, die alle wild tanzend (Choreografie: Miroslaw Zydowicz) zwischen Laptops und Telefon agieren und sich zwischendurch tumb den Inhalt ihrer Papierkörbe an den Kopf werfen oder sich über einen Kollegen schamlos lustig machen. Volker Lösch, Hausregisseur und Leitungsmitglied am Staatstheater Stuttgart, inszenierte in Bremen 2010 bereits erfolgreich Schillers „Räuber“. Sein Markenzeichen ist die Beschäftigung mit sozi- alen Fragen unter Einbeziehung von Laiendarstellern. So nutzen Volker Lösch und Beate Seidel für ihre Theaterfassung der Bremer Stadtmusikanten Texte von Heiner Müller sowie Interviews von Bremer Bürgerinnen und Bürgern, die in zwei Gruppen an der Inszenierung beteiligt sind. Da gibt es den Chor der Jungen, die, wie das Eingangsbild klar macht, aktiv, jung und dynamisch am Arbeitsleben teilnehmen. Und dann gibt es den Chor der „Alten“ und das sind alle über 50. „Ich bin 55 – ich bin alt – ich bin arbeitslos.“ Lautet die Erklärung der neuen Bremer Stadtmusikanten. Entgegen dem angeblichen Trend eines Rückgangs von Arbeitslosigkeit, haben Menschen über 50 immer größere Probleme, einen Job zu finden oder ihre Arbeit zu behalten. In Bremen liegt die Steigerung in den letzten Jahren bei 10,2 Prozent, wobei die Statistiken viele gar nicht erfassen. „Rein in die Maßnahme. Raus aus der Statistik. Ich bin eure Ursula von der Leyen!“ Hochschwanger, im blauen adretten Kostümchen, blonder Stufenschnitt und immer aktiv – windelt und pudert die „doppelte Ursula“ (aufgekratzt überzogen gespielt von Johanna Geißler und Philipp Michael Börner) den Haufen arbeitsloser Menschen, schwafelt „Lebensweisheiten“ und verspricht ihnen in neudeutscher Coachingterminologie das Blaue vom Himmel herunter. Der rote Faden der Inszenierung ist das Grimmsche Märchen, das Lösch verwebt mit Szenen aus der „realen Welt“. Insgesamt kommt das Stück eher wie eine Collage, denn als Stück mit einer neuen eigenen Handlung über die Bühne. Da gibt es viele Sprech-Chorszenen, daneben Einzelszenen, wo jemand aus der Gruppe heraustritt, die Maske abnimmt und von seinem eigenen Schicksal erzählt – was übrigens nie wie vorgeführt wirkt. Wir hören von Bewerbungs-Odysseen von unendlichen Maßnahmen und Umschulungen in Berufe, die es am Ende gar nicht gibt wie auch Einblicke in trostlose Tagesabläufe. Inhaltlich wie darstellerisch glänzen die Schauspielprofis und machen so nebenbei auch die Situation der Belegschaft am Bremer Theater klar, wo mit dem dies- begleitet sie. Schließlich Tänzerin Gili Goverman die mit zwei emotionalen Songkompositionen und deren gelungenem Vortrag überrascht. Und da ist sie wieder, die Vieldeutigkeit der tanzenden Individuen, der Masse, des Schwarms: „Just melting in you hopfully I do“… WEITERE VORSTELLUNGEN: 18., 21., 31.1.; 2.2., Exerzierhalle, OL jährigen Intendantenwechsel auch viele Menschen arbeitslos werden. Glenn Goltz lässt im wahrsten Sinne die Hosen runter und macht der Wut über das böseste Gefühl, das einem vermittelt wird, Luft, nämlich: Ohne Arbeit nichts wert zu sein. Mit „AltArmArbeitslos“ wird das Theater zum politischen Ort. Das Stück ist eine Anklage, ein Aufschrei gegen Ungerechtigkeit und gibt gleichzeitig den Menschen eine Stimme, die sich oft vor Scham am liebsten verstecken – das ist anrührend und aufwühlend. Gemeinsamkeit macht stark: In der „Allianz“ aus Esel, Hund, Katze und Hahn prügelt der Chor der Tiere Parolen auf das Publikum ein. Das macht den Abend anstrengend, doch wichtig. Denn hier werden Aussagen getroffen, wo viele den Mund nicht mehr auf bekommen oder im Schaum des alltäglichen medialen Politiker-Geblubbere untergehen. WEITERE VORSTELLUNGEN: 21., 24., 26.1.; 5., 11., 18., 24.2., Theater am Goetheplatz, HB
DIABOLO WOCHENZEITUNG | Ausgabe 3/12 MAGAZIN 5 Was ist Kino? Internationales Symposium zum Film und Filmpreis für Kamerafrau Caroline Champetier TEXT | MARTINA BURANDT Bereits zum 17. Mal findet in Bremen – in Zusammenarbeit von Universität Bremen und dem Kommunalkino / City 46 – das Internationale Symposium zum Film statt. Innerhalb des diesjährigen Themas „Was ist Kino?“ versuchen Experten, dem zeitgenössischen Selbstverständnis des Kinos nachzuspüren. Lange bangte das Kino 46 um seine Existenz. Seit dem Umzug im vergangenen Oktober in das ehemalig City Kino am Bremer Hauptbahnhof, scheint das Leben des Kommunalkinos seinen gewohnten Lauf zu nehmen. Unter dem neuen Namen City 46 findet nun planmäßig vom 19. bis 22. Januar 2012 das Internationale Symposium zum Film statt – ausgerichtet vom Kommunalkino und der Universität Bremen. Was ist Kino? Dieser Frage gehen zum einen Referenten in Vorträgen und Gesprächen zum anderen ein passendes Filmprogramm nach. Dabei geht es um grundsätzliche Überlegungen, wie um die aktuelle Verortung des, durch die Umstellung auf digitale Kinoprojektion gewandelten Kinobetriebes, um die Konkurrenz zu anderen Medien, um neue Rahmenbedingungen, �� um die Rolle der Zuschauer und vieles mehr. Am Freitag, den 20.1. um 19 Uhr wird außerdem in der Weserburg – Museum für Moderne Kunst die Ausstellung „John Smith. Worst Case Szenario. Filme von 1975-2003“ in Anwesenheit des britischen Filmemachers und Künstlers eröffnet (bis 25.3.2012). Und am Donnerstag, den 19.1. wird im Rahmen des Symposiums in der Oberen Rathaushalle der mit 8.000 Euro dotierte 14. Bremer Filmpreis von der Kunst- und Kulturstiftung der Sparkasse Bremen an die französische Kamerafrau Caroline Champetier verliehen. Champetier hat vielfach mit Regisseuren wie Jean-Luc Godard und Benoit Jacquot zusammen gearbeitet, lehrt an der Französischen Filmhochschule und ist die Präsidentin des AFC (Association of French Cinematographers). „Die Schauspieler sind die Objekte des Regisseurs. Ich erleuchte sie, aber diese privilegierte Beziehung ist immer unausgesprochen. Ich bin das Auge, der Blindenhund, das ist alles“, sagt Champetier zu ihrer Rolle als Kamerafrau. Neben der Preisverleihung (diesmal erstmals für das Genre „Kamera“) zeigt das City 46 bis Ende Januar sechs Filme, in Kamerafrau Caroline Champetier erhält den diesjährigen Bremer Filmpreis denen Champetier für die Kameraführung zuständig war; darunter Filme wie „Von Menschen und Göttern“ aus dem Jahr 2010 oder „Klassenverhältnisse“ von 1983. Weitere Informationen: CITY 46 / Kommunalkino Bremen e.V. Fon: 0421 - 957 992 90 / www.city46.de Oder: www.film.uni-bremen.de ��
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