1. Ratstreffen – 15.09.2008Karin Heuer imGespräch mitProf. Dr. HenriLouis Seukwa1. Welches sind aus Ihrer Sicht hier bei uns die vorherrschendenBilder vom afrikanischen Kontinent?Wenn wir unter dem Begriff Bilder nicht nur die piktographischenElemente sondern alle diskursiven Produktionen d.h. einenWissenskorpus verstehen, der durch diverse mediale Darstellungen,gesellschaftliche Praktiken sowie politisches Handeln über<strong>Afrika</strong> als Kontinent und die <strong>Afrika</strong>ner in Deutschland produziertwird, dann müssen wir feststellen, dass diese Bilder überwiegendnegativ sind. Die Stichwörter, die aus diesen Bildern hervorgehen,womit <strong>Afrika</strong> in der Imagination der Öffentlichkeit asso ziiertwird, sind wohlbekannt: Armut, Hunger, HIV, An alphabetismus,Korruption, Diktatur, Bürgerkriege, Staat zerfall, Naturkatastrophenetc. Kurzum kristallisieren die Gesellschaften <strong>Afrika</strong>s in dieser diskursivenProduktion nahezu all das heraus, was für die hiesigeGesellschaft zu vermeiden gilt bzw. im Prozess ihrer Entwicklungschon überwunden wurde.2. Inwieweit – oder besser gesagt wie – formen und prägendiese Bilder unsere Beziehungen zu <strong>Afrika</strong>?Die diskursiven Produktionen über <strong>Afrika</strong> (Bilder) lassen sichunter zwei Kategorien subsumieren: Afro-Romantismus und Afro-Pessimismus.Die eine, apologetisch, naturalisierend und kulturalisierend,hebt die positiven Eigenschaften der originellen „Afri kanischenTraditionen“ hervor (was auch immer diese sein mögen) und fokussiertdabei vornehmlich das Vor-Koloniale <strong>Afrika</strong>, wobei der„<strong>Afrika</strong>ner“ als „edler Wilder“ bzw. „Naturmensch“ dargestelltwird. Die andere, pejorativ, rassistisch und arrogant, stellt den<strong>Afrika</strong>nischen Kontinent als Sammelbecken von Mängeln an zivilisatorischenund kulturellen Eigenschaften dar, die im Besitz dersog. entwickelten Gesellschaften sind, wobei der „<strong>Afrika</strong>ner“ als„böse, bzw. Taugenichts Wilder“ präsentiert wird. Konstant in diesenbeiden Positionen ist jedoch der „Wilde <strong>Afrika</strong>ner“ sei er edel,böse oder unfähig. Diesem und seiner Gesellschaft kann fortanzum Eintritt, Verbleib und Weiterentwicklung in die menschlicheGeschichte nur durch „Entwicklungshilfe“ des Westens verholfenwerden; so wie es früher schon mit der christlichen Missionierungund der Kolonisierung des afrikanischen Kontinents der Fall war.Bekanntlich positioniert sich der Westen selbst <strong>auf</strong> der Entwicklungsleiterganz oben.Diese Bilder sind sehr mächtig. Sie sind die Kategorien, d.h. dieBrille, wodurch viele Europäer <strong>Afrika</strong> und die dort stammendenMenschen wahrnehmen und betrachten. Anders formuliert, erstdurch diese Bilder wird „ein <strong>Afrika</strong>“ konstruiert, das als legitimesObjekt der europäischen Intervention erscheint, nämlich das „unterentwickelte“<strong>Afrika</strong>.Die unverschämten Bilder, womit die sog. Ent wicklungshilfeOrganisationen um Spenden der deutschen Öffentlichkeit für„gute Zwecke“ in ihren verschiedenen Interventionsgebieten in<strong>Afrika</strong> werben sind u. a. eine Parade-Illustration einer solchenKonstruktion.3. Sie und ich und wahrscheinlich alle anderen An wesendenauch, wünschen sich ein möglichst gleich berechtigtes Verhältniszwischen Europa und <strong>Afrika</strong>. Dazu gehört auch dasVoneinanderlernen. Was können wir hier aus Ihrer Sichtz.B. aus der Kul turgeschichte <strong>Afrika</strong>s lernen?Die Formulierung „Kulturgeschichte“ gefällt mir! Denn sie suggeriertzweierlei: Zunächst, dass <strong>Afrika</strong> mehr als ein rohstoffreicherKontinent ist. Es dürfte eine Binsenweisheit sein, dass keinLand der Welt nachhaltig im Konzert der Nationen mächtig gewordenist allein, weil es im Besitz von großen Mengen an natür-Seite 12
Wir können uns jedoch exemplarisch <strong>auf</strong> ein Beispiel beschränken:den Bildungsbereich. Angesichts der Misere der schulischenoder formellen Bildung in Deutschland, wie die wiederholt beschämendenErgebnisse im internationalen Vergleich es bewiesenhaben sowie die daraus entfachte Debatte über die Fähigkeitdieser Institution, den Heranwachsenden allein mit Kompetenzenauszustatten, die notwendig sind für ihre gesellschaftliche Teilhabeund Weiterentwicklung, können wir in der Tat eine Mengevon der sog. afrikanischen „traditionellen Erziehung“ lernen. Diesewar, um es mit vertrauten Be griffen zusammenzufassen, nichtnur ganzheitlich im Sinne Pestalozzis sondern auch und vor allemLebenswelt-, Sozialraum- und Kompetenz- orientiert. In dieserWeise wurde die Klippe der Vermittlung von fragmentiertem undabstraktem Wissen ohne Bezug zur Lebenswelt der Lernenden,– was heutzutage im hiesigen Bildungssystem stark kritisiertwird – umschifft. Beispiele wie diese können wir sind ebenfalls inanderen kulturellen Gebieten wie Medizin, Politik, Wissenschaft,Kunst, Religion etc. zu finden.4. Was also müssen wir bzw. muss Europa tun oder vor allemlassen, um wirkliche, echte Partner <strong>Afrika</strong>s zu werden? Wosehen Sie hierfür die größten Chancen?lichem Reichtum ist. Im spezifischen Fall <strong>Afrika</strong>s sind sich inzwischenalle seriösen historischen Beobachter sogar darüber einig,dass diese natürlichen Reichtümer <strong>auf</strong>grund ihrer strategischenBedeutung im Kontext der globalen Marktwirtschaft zum großenTeil Ursache vieler politischer Konflikte und menschlichen Elendsdort sind. In diesem Zusammenhang wird von dem „Paradox ofPlenty“ gesprochen.Dies gesagt, ist es anderseits <strong>auf</strong>grund der schon er wähntennegativen Konstruktionen <strong>Afrika</strong>s im europäischen Kontext bzw.in Deutschland (Konstruktionen, die übrigens schon <strong>auf</strong> die Periodeder Aufklärung mit Autoren wie Hegel, Montesquieu etc.zurückzuführen sind) nicht selbstverständlich, hier ohne weiteresdiesen Kontinent mit dem Begriff „Kulturgeschichte“ in Verbindungzu bringen.Wenn wir jedoch davon ausgehen, dass <strong>Afrika</strong> nicht nur dieWiege der Menschheit ist sondern auch eine der ersten, längstenund mächtigsten Zivilisation, der menschlichen Geschichte,nämlich die ägyptische Zivilisation hervor gebracht hat und dassdiese Zivilisation keine spontane Genesis war sondern Produktder Diffusions- und Kris tallisationsprozesse innerhalb afrikanischerKulturen, die in ihren Entstehungsgebieten <strong>auf</strong> verschiedeneArt und Weise u. a. in der Gestalt von großen Reichen wieSonghai, Gao etc. bis ins 18 Jh. blühten, dann und nur dann wirdes nachvollziehbar, gar selbstverständlich, dass <strong>Afrika</strong> eine Kulturgeschichteproduziert hat, die für Europa lernenswert ist. Nunbin ich der Meinung, dass es nicht einfach ist, in diesem Rahmenmit der uns knapp zur Verfügung stehenden Zeit die Frage, unterwelchen Aspekten diese facettenreiche Kulturgeschichte <strong>Afrika</strong>sfür Europa bzw. Deutschland heutzutage von Interesse sein kann,zu beantworten.Es ist sehr schwierig sich unter den heutigen Bedingungen eine„echte“ <strong>Partnerschaft</strong> zwischen <strong>Afrika</strong> und Europa vorzustellen,denn die Machtverhältnisse sind so ungleich zum Vorteil Europas,dass es nur irrealistisch sein kann sich Gedanken über nichtasymmetrische Beziehungen zu machen und dies umso mehr, alsdie Geschichte uns lehrt, dass es in den internationalen Beziehungennicht um Freundschaft, Philanthropie und ähnliches gehtsondern um eigene Interessen, die die Mächtigsten bekanntlichrücksichtslos zu vertreten vermögen.Realitätsnäher wäre in diesem Zusammenhang eher die Fragewelches Interesse Europa an der Beendigung des Elends in <strong>Afrika</strong>haben kann. Die Antwort unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsperspektivedürfte in diesem Kreis naheliegend sein. Dennviele lokal <strong>auf</strong>tretende Probleme wie Flüchtlingsströmungen, Klimawandel,Terrorismus etc. sind global verursacht und ihre nachhaltigeBewältigung auch nur global möglich.5. Und zu guter Letzt: Wenn sie Marketing-Chef der <strong>Afrika</strong>nischeUnion wären, mit welchen Bildern würden Sie dannfür diesen Kontinent werben?Mit den Bildern von Millionen Frauen und Männern in <strong>Afrika</strong> <strong>auf</strong>unterschiedlicher gesellschaftlicher Ebene, die in extrem schwierigenBedingungen alltäglich mit unglaublichem Einfallsreichtumden Widrigkeiten des Lebens trotzen. Diese Überlebenskünstlersind meines Erach tens der gute Samen, aus dem heute eine hoffnungsvolleZukunft <strong>Afrika</strong>s erwachsen kann.Seite 13