Ihr Menschen haltet inne, höret auf <strong>die</strong> innere Stimme. 16 <strong>vita</strong> <strong>sana</strong> sonnseitig leben 3/2005 Bild und Text aus «Lichtfunken» von Maria Imhof-Müller Bestellen können Sie das Buch auf Seite 44
Kathrin Rüeggs Tessiner Tessiner Tagebuchnotizen agebuchnotizen Die Zeitungen waren voll von <strong>die</strong>sem Thema, ich weiss. Im Fernsehen wurden entsprechend unzählige Beiträge gesendet. Und jetzt komme ich auch noch damit – mit dem Thema Kriegsende vor 60 Jahren. Aber ich halte es für derart wichtig, dass ich wage, es Ihnen nochmals zuzumuten. Zumal von den Kriegsereignissen in meinem Tessiner Haus in vielfältiger Weise immer wieder gesprochen wird. Einerseits sind da <strong>die</strong> Erinnerungen, auf <strong>die</strong> Papa Dieter – Beates Vater (Jahrgang 1939) – und ich (Jahrgang 1930) zu sprechen kommen. Und andrerseits ist da das Interesse unserer jungen Hausbewohner Hanneli (Jahrgang 1993) und Tobias (Jahrgang 1982), das <strong>durch</strong> <strong>die</strong> vielen Me<strong>die</strong>nberichte geweckt worden ist. Papa Dieter erzählt allerdings nur ungern von seinen Erlebnissen. Er ist in Sachsen geboren und hat als Kind zusehen müssen, wie seine Mutter von den Russen vergewaltigt wurde. Dagegen gleichen meine Erinnerungen an den Krieg geradezu Schilderungen aus dem Para<strong>die</strong>s. Obwohl es für mich damals schreck- lich war, dass beispielsweise unser Knecht mit unserem Pferd einrücken musste und beide monatelang – oder waren es Jahre? – nicht mehr zurückkamen. Auch <strong>die</strong> auf Grund der Rationierung entstandenen Probleme, <strong>die</strong> Tankfallen, Fliegeralarme und Verdunkelung sind in meinem Gedächtnis noch präsent. Ich erinnere mich auch noch, dass im Geviert des Kreuzgangs beim Basler Münster Kartoffeln angepflanzt worden und dass <strong>die</strong> Sportplätze als Getreideäcker verwendet worden sind. Und wie gut erinnere ich mich daran, wie bei uns in Basel <strong>die</strong> Fensterscheiben klirrten, als <strong>die</strong> etwa 60 km entfernte deutsche Stadt Freiburg bombar<strong>die</strong>rt wurde. Hanneli und Tobias hören interessiert zu, wenn ich erzähle, und sie stellen Fragen – für einen jungen Menschen von heute ist ja <strong>die</strong> ganze Problematik kaum mehr fassbar. Eine winzig kleine Geschichte hat den beiden vor allem Eindruck gemacht. Es war im Jahre 1943. Unsere monatlichen Rationen waren zum Beispiel 1 Ei oder 100 g Butter pro Person. Meine Mutter war entschlossen, zu Weihnacht Mailänderli zu backen. Das hiess also, dass <strong>die</strong> ganze Familie während eines Monats auf <strong>die</strong> begehrten Lebensmittel Ei und Butter verzichten musste. Als es dann so weit war, zelebrierte meine Mutter den Vorgang der Teigzubereitung förmlich. Ich durfte aus dem Teig Herzchen ausstechen, <strong>die</strong> dann in den Ofen kamen – und da klingelte an der Haustüre ein Hausierer. Als meine Mutter wieder zurück in <strong>die</strong> Küche kam, war <strong>die</strong> ganze Herrlichkeit verkohlt.... Ich sehe jetzt noch, wie sich Mama auf den Küchenhocker setzte und weinte und wie ich versuchte, ihr mit der Küchenschürze <strong>die</strong> Tränen abzutrocknen. Kleine Erinnerungen. Aber selbst <strong>die</strong>se haben sich mir tief eingeprägt, so dass ich heute genau wie während der Kriegszeit eine ganz grosse Ehrfurcht vor Lebensmitteln habe. Diese Ehrfurcht kann nur nachfühlen, wer selbst Ähnliches erlebt hat. Manchmal habe ich den ketzerischen Gedanken, dass es auch den heutigen jungen Menschen gut täte, eine Zeit zu erleben, da Lebensmittel nicht im Überfluss verfügbar sind. Jedoch: All <strong>die</strong> fürchterlichen Umstände, <strong>die</strong> zur Verknappung der Lebensmittel geführt hatten, sollen nie, nie mehr wieder kommen! Seinerzeit ging ja ein Schrei <strong>durch</strong> <strong>die</strong> ganze Welt: Nie wieder Krieg! Heute frage ich mich immer wieder, weshalb <strong>die</strong> Welt so vergesslich ist. Herzlich Ihre Das neueste Buch von Kathrin Rüegg mit dem Titel: «Glücksgefühl!» kann beim Verlag bezogen werden. Bestellschein auf Seite 44 <strong>vita</strong> <strong>sana</strong> sonnseitig leben 3/2005 17