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Megatrends, Auswirkungen auf die Bauwirtschaft - 1. Internationaler ...

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1 <strong>Megatrends</strong> – <strong>Auswirkungen</strong> <strong>auf</strong> <strong>die</strong> <strong>Bauwirtschaft</strong>Dipl.-Ing. Klaus PöllathVizepräsident Technik des Hauptverbands der Deutschen BauindustrieDie Presse meldet: Die deutsche Wirtschaftverliert deutlich an Fahrt. Das StatistischeBundesamt teilt mit, dass das Bruttoinlandsproduktim zweiten Quartal nur noch um0,1 % zulegte. Volkswirte hatten ein Plusvon bis zu 0,5 % erwartet. Unabhängig vomvolatilen Verhalten der Konjunktur oder derBörsenkurse leidet Deutschland schon seitlangem an einer strukturellen Wachstumsschwäche.Die Wirtschaft investiert zu wenig,bzw. nicht hier, sondern im Ausland.Wenn man <strong>die</strong> Abschreibungen von denBruttoanlageinvestitionen abzieht, erhältman <strong>die</strong> Nettoanlageinvestitionen. Deutschlandsteht bei <strong>die</strong>sen Nettoinvestitionen kurzvor dem Substanzverzehr. Bei allen öffentlichenInvestitionen stecken wir schon mittendrin, aber niemand regt sich öffentlich darüber<strong>auf</strong>. Der Anteil der Bruttoinvestitionenam Bruttoinlandsprodukt ist ebenso <strong>auf</strong> Talfahrt.Hinzu kommt, dass <strong>die</strong> zu geringen Investitionenin Deutschland wie folgt <strong>auf</strong>geteiltwerden: 80 % fließen in Sachwerte, nur20 % in Forschung und Entwicklung, in Innovationenund Personalentwicklung.Eine Umfrage vom Juni 2011, <strong>die</strong> derBDI veröffentlicht hat und <strong>die</strong> wissenschaftlichbearbeitet wurde vom Institut der deutschenWirtschaft in Köln, ergab:Deutsche Unternehmen investieren vor allem,um Kosten zu optimieren. Das ist ihnensehr wichtig. Danach folgen Gründe wie <strong>die</strong>Prozessoptimierung, neue Geschäftsfelderund <strong>die</strong> Produktentwicklung. Die Marktentwicklungist den Unternehmen nur mittelwichtig,<strong>die</strong> Investition in Energieeffizienzist unwichtig und <strong>die</strong> Emissionsreduzierungsogar sehr unwichtig.Keine Frage, am Investitionsverhaltendeutscher Unternehmen muss sich etwas ändern.Aber wie sollten sich Unternehmenverhalten, damit in Deutschland ein dauerhafthöheres und nachhaltigeres Wachstummöglich wird?Fragt man <strong>die</strong> Trendforscher, so raten sie,<strong>die</strong> Veränderungen und Strömungen in Gesellschaft,Wirtschaft und Technologie genauzu beobachten, daraus Aussagen über zukünftigeEntwicklungen abzuleiten und dannstrategische Überlegungen und Maßnahmenzu treffen.Denn <strong>die</strong> Bedürfnisse, Werte und Zieleder Menschen ändern sich, es gibt neuetechnologische Entwicklungen, <strong>die</strong> Märktesind ständig in Bewegung. Also muss sichauch <strong>die</strong> Industrie bewegen und reagieren.Entwicklungen frühzeitig zu erkennen undzu nutzen ist ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil.Willy Brandt ging noch einen Schrittweiter und sagte: „Der beste Weg <strong>die</strong> Zukunftvorauszusagen, ist sie zu gestalten.“Darin liegt das Zukunftspotential derdeutschen Wirtschaft - somit auch der <strong>Bauwirtschaft</strong>.Was bestimmt unser Leben im 2<strong>1.</strong> Jahrhundert?Welche <strong>Megatrends</strong> lassen sich beobachten?Was bedeuten <strong>die</strong>se Entwicklungenfür den Baumarkt und wie kann <strong>die</strong>Bauindustrie dar<strong>auf</strong> reagieren?<strong>Megatrends</strong> sind lange Wellen mit einemZeithorizont von mindestens 30 Jahren, siesind so dynamisch, dass sie auch Rückschlägeüberdauern und sie strahlen <strong>auf</strong> viele Bereicheaus, weltweit. Matthias Horx vomZukunftsinstitut in Kelkheim unterscheidetz. B. 11 <strong>Megatrends</strong>: <strong>die</strong> Individualisierung,der steigende Einfluss der Frauen „femaleshift“, der demografische Wandel „silver society“,<strong>die</strong> Globalisierung, <strong>die</strong> digitale Vernetzung„Connectivity“, eine neue Arbeits-


2 <strong>Megatrends</strong> – <strong>Auswirkungen</strong> <strong>auf</strong> <strong>die</strong> <strong>Bauwirtschaft</strong>organisation „New Work“, <strong>die</strong> Gesundheit,<strong>die</strong> Ökologie, <strong>die</strong> Urbanisierung, <strong>die</strong> Mobilitätund <strong>die</strong> Bildung.Besonders vier <strong>Megatrends</strong> werden entscheidendenEinfluss <strong>auf</strong> <strong>die</strong> <strong>Bauwirtschaft</strong>haben: <strong>die</strong> Ökologie, <strong>die</strong> Urbanisierung, <strong>die</strong>Mobilität und <strong>die</strong> Bildung. Diese Strömungensollen vorgestellt und <strong>die</strong> Chancen, <strong>die</strong>sich für <strong>die</strong> <strong>Bauwirtschaft</strong> daraus ergeben,sollen <strong>auf</strong>gezeigt werden.Der Trend zur Ökologie ist im Augenblickin aller Munde. Nach einer Umfragedes Allensbach-Instituts stellt der Klimawandelfür <strong>die</strong> Bevölkerung das größte Problemdar, das es in den nächsten Jahrzehntenzu bewältigen gilt. Bereits 20 % der US-Amerikaner rechnen sich zu den sog.LOHAS, „Lifestyle of Health and Sustainability“.Sie stehen für einen Lebensstil oderKonsumententyp, der konsequent ökologischlebt und Gesundheit und Nachhaltigkeitdurch sein Konsumverhalten und gezielteProduktauswahl fördern will.Die <strong>auf</strong> Grund des Klimawandels notwendigeReduzierung von CO₂-Emissionenund der beschlossene Ausstieg aus derAtomkraft haben <strong>die</strong> Energie zum zentralenThema gemacht: <strong>die</strong> Energiegewinnung, <strong>die</strong>Energieverteilung und zuallererst <strong>die</strong> Energieeinsparung.Die Zahlen des World Economic Forumsbesagen, dass 25 % des gesamten Weltenergiebedarfs<strong>auf</strong> das Wohnen entfallen. AlleinGebäude verbrauchen 70 % der gesamtenElektrizität, 37 % der gesamten Energie,28 % des gesamten Wassers und 30 % vonHolz und Material. Die Energieeinsparverordnungfür Gebäude, <strong>die</strong> EnEV 2009, ist <strong>die</strong>maßgebende Verordnung über energiesparendenWärmeschutz und energiesparendeAnlagentechnik bei Gebäuden. Ein ersterSchritt des Bundes in <strong>die</strong> richtige Richtung.Für <strong>die</strong> <strong>Bauwirtschaft</strong> bietet sich hier einsehr großes Betätigungsfeld. Altbauten müssensaniert werden. Dazu gehört <strong>die</strong> Dämmungvon Dächern, Fassaden, Fenstern undTüren. Dazu gehören Nanoschäume als Isoliermaterialmit einer minimalen thermischenLeitfähigkeit. Dazu gehört <strong>die</strong> Erneuerungder Heizung mit dezentraler Energieversorgungdurch ein Blockheizkraftwerk beigleichzeitiger Stromerzeugung. Dazu gehörtauch eine Umstellung <strong>auf</strong> ein Heiz- undKühlsystem aus erneuerbaren Energien ausz. B. Sonne, Biomasse oder Geothermie.Energetische Gebäudesanierungen werdenin Deutschland derzeit jährlich mit 1,5 MilliardenEuro gefördert. 2,5 Milliarden Eurowären nötig, wenn nach 40 Jahren Sanierungder Bausubstanz <strong>die</strong> Ziele der Bundesregierungerfüllt sein sollen. Es ist absolut unverständlich,dass <strong>die</strong> Fortführung der Förderungder energetischen Gebäudesanierung in<strong>die</strong>sen Tagen im Bundesrat gekippt wird.Alle Neubauten sollen nach einem Richtlinienvorschlagder Brüsseler Kommissionab 2019 ihre benötigte Energie vor Ort selbstherstellen. Solche Nullenergiehäuser gibt esheute schon. Plusenergiehäuser gehen nocheinen Schritt weiter und sie werden Standardwerden. Sie gestalten das gesamte Energie-Management: mit einer hohen Energieeffizienzder Gebäudehülle, der Anlagentechnikund der häuslichen Verbraucher, mit derGewinnung erneuerbarer Energien und mitdem zielgerichteten Einsatz von erwirtschaftetenEnergieüberschüssen.Investoren legen zum Teil heute schongroßen Wert <strong>auf</strong> eine Zertifizierung ihresGebäudes, weil Zertifizierungssysteme vonLEED über BREEAM, sowie das deutscheGütesiegel DGNB den Wert des Gebäudessteigern. Beim DGNB müssen dabei in sechsThemenfeldern 63 Kriterien erfüllt werdenvon Energieeffizienz bis zu Fahrradkomfortund Kindergarten. Ein einheitliches Zertifizierungssystemwird es nicht geben - wederdeutschlandweit noch weltweit - doch dasDGNB-Zertifikat ist ein Exportschlager„Made in Germany“.Zertifiziert werden müssen auch <strong>die</strong>Nachhaltigkeit der Bauunternehmen und <strong>die</strong>Energieeffizienz der gesamten Bauindustrie.Dies betrifft im Rahmen der CorporateSocial Responsibility <strong>die</strong> Öko-Bilanzierung,<strong>die</strong> ein bedeutender Wettbewerbsfaktor werdenwird. Schon heute hat <strong>die</strong> niederländischeStiftung SKAO eine Zertifizierung entwickelt,<strong>die</strong> von den drei großen niederländischenAuftraggebern Rijksgebou-


<strong>Megatrends</strong> – <strong>Auswirkungen</strong> <strong>auf</strong> <strong>die</strong> <strong>Bauwirtschaft</strong> 3wen<strong>die</strong>nst, Rijkswaterstaat und ProRail angewandtwird. Sie räumt denjenigen Bauunternehmen,<strong>die</strong> ihren CO₂-Ausstoß nachhaltigreduzieren, einen Wettbewerbsvorteil vonbis zu 10 % ein.Über Energie muss nachgedacht werden,Energie muss gespart werden, der CO₂-Ausstoß muss verringert werden, dabei müssenKosten gesenkt werden. Der <strong>Bauwirtschaft</strong>bietet sich dabei ein großes Betätigungsfeld.Sie muss selbst aktiv werden,neue Ideen entwickeln und Innovationen in<strong>die</strong> Praxis umsetzen.Und es wird höchste Zeit, dass <strong>die</strong> deutsche<strong>Bauwirtschaft</strong> der eigenen Energieeffizienzund Emissionsreduzierung als wichtigenWettbewerbsvorteil sehr große Bedeutungbeimisst. Sie muss nachdenken überden hohen Dieselverbrauch der Baugeräteund des Fuhrparks, über Alternativen zu Geschäftsreisenoder zu Materialen wie Granitaus China.Für den Umbau der Gesellschaft nachökologischen Kriterien ist neben der Energieeinsparung<strong>die</strong> ökologische Energiegewinnungvon großer Bedeutung. Die <strong>Bauwirtschaft</strong>ist gefordert, an der Erforschungneuer Energiequellen mitzuarbeiten und ihrKnow-how einzubringen. Die Gründung, derTransport und <strong>die</strong> Installation von OffshoreWindparks und Gezeitenkraftwerken, Stromspeicherwie z. B. Pumpspeicherkraftwerke,ebenso nebenwirkungsfreie Geothermiebohrungensind zukünftige und wirtschaftlicheBetätigungsfelder, <strong>die</strong> eines Bauingenieurswürdig sind.Neue Energien zu gewinnen und zu speichernist <strong>die</strong> eine Sache, Strom aus erneuerbarenEnergien dorthin zu transportieren, woer gebraucht wird, <strong>die</strong> andere.Auch an der Energieverteilung kann <strong>die</strong>Bauindustrie mitarbeiten, indem sie z. B.Stromtrassen mit neuartigen Masten vonNord nach Süd baut oder <strong>die</strong> Nord-Stream-Gas-Pipeline von Greifswald aus verlängert.Sollte es den Grundlagenforschern jedochgelingen, elektrischen Strom oder Sonnenlichtrentabel in speicherbare Energieträgerwie Methan und Methanol umzuwandeln,würden sich neue Leitungsnetze und Elektrotankstellenerübrigen.Neue Technologien in alte Strukturen einzubauenist schwierig. Da bietet sich der Gedankean, eine vollständig neue Ökostadt zuerrichten.Die Ölscheichs in den Emiraten denkenlangfristig und planen schon jetzt <strong>die</strong> Zeitnach dem Öl. Sie wollen mit Masdar Cityden erneuerbaren Energietechnologien „Madein Abu Dhabi“ weltweit zum Durchbruchverhelfen. Masdar City, <strong>die</strong> grüne Ökostadtin der Wüste, für 50.000 Einwohner <strong>auf</strong> 6km² geplant, mit einer Investitionssummevon 22 Milliarden Dollar und finanziertdurch Carbon Finance, also durch Investitionenin Treibhausgas-Minderungsprojekte.Das Headquarter von Masdar City ist nebenanderen auch von deutschen Bauunternehmenangeboten, wird aber derzeit nichtweiter vorangetrieben. Die bis 2016 geplanteFertigstellung verzögert sich enorm.Ganz eingestellt wurde der Bau der erstenÖkocity in Asien, Dongtan Eco City an derOstküste Chinas. Das Pilotprojekt für 50.000Einwohner sollte zur Expo 2010 in Shanghaifertiggestellt sein. Man wollte bei Nahrung,Energie und Wasser 100 % Selbstversorgungerreichen.Wenn man etwas Neues entwickeln will,stehen meist alte Vorstellungen, aber auchGesetze, Normen und Richtlinien im Weg.Anpassungen sind häufig schwierig undlangwierig. Das größte Hemmnis stellt <strong>die</strong>Investitionshöhe dar. Wenn <strong>die</strong> Schlüsselfragefür den Siegeszug des ökologischen<strong>Megatrends</strong> lautet: Wie können wir Investoren,<strong>die</strong> Bevölkerung und jeden Einzelnendazu bringen, ökologische Kriterien in ihreEntscheidungen dauerhaft einzubeziehen?Dann lautet <strong>die</strong> Antwort: Wenn wir entsprechendeGesetze haben, wenn wir Anreizeschaffen, wenn wir Angebote machen können,<strong>die</strong> sich finanziell rechnen, wenn es einekonkrete Planung für den return of investgibt.Auch <strong>die</strong> Entstehung von Städten, ihrWachstum und ihr Wandel hängen davon ab,ob Menschen einen Nutzen, einen Vorteilsehen. Damals waren das günstige Verkehrs-


4 <strong>Megatrends</strong> – <strong>Auswirkungen</strong> <strong>auf</strong> <strong>die</strong> <strong>Bauwirtschaft</strong>lagen an Handelswegen oder Flussmündungen,<strong>die</strong> Nähe zu Klöstern und Burgen. Heuteboomen Städte, weil es dort mehr und attraktivereArbeitsplätze gibt, kürzere Wege,eine bessere Infrastruktur. 1950 lebten weltweit30 %, in Europa 50 % der Menschen inStädten. Heute sind es weltweit mehr als <strong>die</strong>Hälfte und in Europa schon mehr als 75 %.Urbanisierung ist ein Megatrend.Für <strong>die</strong> <strong>Bauwirtschaft</strong> bedeutet <strong>die</strong>s, dasses weltweit große Städtebau- und Infrastrukturprojektegibt. Moskau baut nach MoskauCity nun Big City, eine neue Stadt in derStadt, <strong>auf</strong> 12 Millionen m², für ca. 100 MilliardenDollar mit einer Bauzeit von 10 bis 20Jahren. China baut seit 2003 <strong>die</strong> SatellitenstadtLingang bei Shanghai mit dem HamburgerArchitekturbüro gmp. 800.000 Einwohnersollen <strong>auf</strong> 300 km² mit 30 m²Wohnfläche pro Einwohner wie mitten imPara<strong>die</strong>s leben. Die größte Megacity derWelt mit mehr als 40 Millionen Einwohnernsoll im Süden Chinas im Perlflussdelta durchden Zusammenschluss von neun bestehendenMetropolen entstehen. Die Gegend rundum Peking und <strong>die</strong> Hafenstadt Tientsin sollzur sogenannten Bohai Economic Rim werden,einem Gebiet mit mehr als 260 MillionenEinwohnern, das durch Hochgeschwindigkeitszügevernetzt wird. Die Tendenz zuMegacitys zeigt sich ebenso in anderen bevölkerungsreichenLändern wie In<strong>die</strong>n undBrasilien.Auch <strong>die</strong> Anpassung deutscher Städte animmer größere Einwohnerzahlen beschertder Bauindustrie viele Aufträge. Gebäudemüssen so geplant bzw. umgebaut werden,dass sich ihre Nutzung unterschiedlichenBedürfnissen anpassen lässt, dass ihre Nachhaltigkeitüber <strong>die</strong> gesamte Lebensdauer gewährleistetwird im sog. Product-Lifecycle-Management. Die historische Bausubstanzder Städte muss revitalisiert werden, damiteine zeitgemäße Nutzung möglich wird.Unsere Städte müssen umgebaut, aber vorallem auch neu entwickelt werden. Es entstehenneue Stadtquartiere. Die <strong>Bauwirtschaft</strong>ist <strong>auf</strong>gerufen, dabei mitzuwirken,damit sich <strong>die</strong> Fehler der 60-er Jahre nichtwiederholen, als z. B. ganze Straßenzüge mitWaschbeton als Fassadenplatten verunziertwurden. Die <strong>Bauwirtschaft</strong> muss sich einmischen,muss frühzeitig bereits in der Planungsphasemitwirken und aktiv <strong>die</strong> Einbindungder Bürger unterstützen.Moderne Gebäude bestehen aus modernenMaterialien: Bioschaumstoffe, schadstoffadsorbierendeSpanplatten oder gasochromschaltbare Membrane, selbstheilende Materialien,bionische Gebäudehüllen, Ultra-Hochfester Beton, Flüssigkristall-Fenster, intelligenteFassadensysteme aus mitdenkendenMaterialien, Nanocoatings oder Nanopartikelin Verbundstoffen oder Metallenund Hochdrucklüftungssysteme.Bei der Vision „Ambient Intelligence“vernetzen sich einzelne elektronische Systemeund bilden eine intelligente Umgebung.Ein erstes Anwendungsgebiet ist zum Beispieldas intelligente Haus. Hier lässt sich<strong>die</strong> gesamte TGA wie Klimaanlage, Elektrogeräteund Sonnenschutz mit mobilen Computern,sog. PDAs, von überall her be<strong>die</strong>nenoder stellt sich selbstständig und situationsgerecht<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Bedürfnisse der Bewohnerein. Ein intelligentes Gebäude, das mitdenkt,wird den Energieverbrauch nach dem günstigstenPreis steuern, <strong>die</strong> Wartung und <strong>die</strong>Reparaturen managen und wird gegen dunkleWintertage automatisch eine Lichttherapiemit angenehmen Farbtönen starten. Die<strong>Bauwirtschaft</strong> sollte <strong>die</strong>se Entwicklung imAuge behalten. Genauso wie <strong>die</strong> Infrastrukturim Untergrund der Städte mit maroden,undichten, falsch dimensionierten Abwasserkanälen.Der hier bereits eingetreteneSubstanzverzehr erfordert gigantische Investitionssummen,<strong>die</strong> derzeit in keinster Weisevon den Kommunen <strong>auf</strong>gebracht werdenkönnen. Für <strong>die</strong>se umfangreichen TiefbauundWartungsarbeiten werden private Finanzierungsmodellebenötigt.Für rund fünf Euro und mit einer Geschwindigkeitvon 350 km/h kann man vomFlughafen Shanghai zur U-Bahn-Station inder Long-Yang-Straße fahren. Der TransrapidShanghai Maglev benötigt für <strong>die</strong> rund30 Kilometer lange Strecke keine 10 Minuten.Das Chaos in deutschen Städten währendder Rushhour lässt sich so nicht lösen.


<strong>Megatrends</strong> – <strong>Auswirkungen</strong> <strong>auf</strong> <strong>die</strong> <strong>Bauwirtschaft</strong> 5Die steigende Urbanisation geht einher mitsteigenden Verkehrsproblemen. Der starkeIndividualverkehr, <strong>die</strong> daraus resultierendenProbleme der Pendler, <strong>die</strong> Belastung derMenschen durch verkehrsbedingten Smogund Lärm, all das sind <strong>Auswirkungen</strong> derMobilität im 2<strong>1.</strong> Jahrhundert.Die Mobilität ist der dritte Megatrend inunserer Gesellschaft, der näher beleuchtetwerden soll. Die Mobilität von A nach Bsteigt enorm. Dazu kommt <strong>die</strong> zunehmendeIndividualisierung, <strong>die</strong> zur Folge hat, dassdas Kraftfahrzeug <strong>die</strong> Nummer 1 der Transport-und Fortbewegungsmittel bleibt. Zahlenbelegen das eindrucksvoll. 2009 warenweltweit 965 Millionen Fahrzeuge zugelassen,das ist ein Anstieg über <strong>die</strong> letzten 10Jahre von 39 %. 2015 werden ca. 1,13 MilliardenFahrzeuge zugelassen sein. Weltweitliegen <strong>die</strong> Gründe für <strong>die</strong>sen Anstieg hauptsächlichin den Entwicklungs- und Schwellenländern.In Deutschland beruht der Anstiegdar<strong>auf</strong>, dass vermehrt Frauen undSenioren Auto fahren. Während sich <strong>die</strong>deutsche Bevölkerung bis 2030 um geschätzte5 Millionen verringern wird, wird <strong>die</strong> Anzahlder zugelassenen Fahrzeuge um 8,8Millionen <strong>auf</strong> 53,5 Millionen steigen. Nacheiner Stu<strong>die</strong> im Auftrag des Verkehrsministeriumswird sich in den nächsten 40 Jahrendas Güterverkehrs<strong>auf</strong>kommen von 3,7 <strong>auf</strong>5,5 Milliarden t und <strong>die</strong> Leistung von 650<strong>auf</strong> 1200 Milliarden tkm steigern.Die räumliche Mobilität und der Individualverkehrgehören zu einer Lebenseinstellung,<strong>die</strong> auch von hohen Kosten oder ökologischenÜberlegungen kaum beeinflussbarscheint. Man bemüht sich, den CO₂-Richtliniendurch verbrauchsärmere Motoren oderE-Autos nachzukommen, dem hohen Verkehrs<strong>auf</strong>kommendurch Carsharing oder Giga-Linernentgegenzutreten; <strong>auf</strong> das Autoverzichten will man nicht. Ein PKW fährtdurchschnittlich mit 1,5 Personen. Man bautFahrradwege, E-Bikes, den ÖffentlichenNahverkehr aus, man propagiert für <strong>die</strong> Gesundheitzu Fuß zu gehen, man diskutiertüber Lärmschutzwände, Kerosinzuschlag,Feinstaub und Klimaschäden; <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Mobilitätverzichten will man nicht.Ein so langlebiger und stabiler Trend ist fürjeden Wirtschaftszweig ideal. Trotzdem steigen<strong>die</strong> Umsatzzahlen der <strong>Bauwirtschaft</strong>nicht an. Vielleicht genügt es nicht mehr,einfach nur Straßen, Schienen und Flughäfenzu bauen wie bisher.Die <strong>Auswirkungen</strong> des <strong>Megatrends</strong> Mobilität<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Bauindustrie soll für <strong>die</strong> Straßeam Verfügbarkeitsmodell Lederhose derBundesautobahn A9 und für <strong>die</strong> Schiene ander Festen Fahrbahn <strong>auf</strong>gezeigt werden. DasManagement eines Autobahnabschnitts istein komplexes System. Mit Hilfe eines Vertragsmodellswie z. B. des Verfügbarkeitsmodellsoder des Betreibermodells überträgtder Bund den Ausbau und den Unterhalt einesAutobahnabschnitts <strong>auf</strong> einen privatenUnternehmer und zahlt dafür eine Pauschale,was für den Bund wirtschaftlich vorteilhafterist. Auf dem Teilstück der A9 zwischen demOrt Lederhose und der Landesgrenze Thüringen/Bayernist es <strong>die</strong> Aufgabe des Konsortiums,eine Teilstrecke von 19 km Längesechsspurig auszubauen und <strong>die</strong> gesamteStrecke von 46,5 km unter Aufrechterhaltungdes Verkehrs 20 Jahre lang zu unterhaltenund zu betreiben. Das Konsortium mussdabei in der Funktion eines Eigentümers entscheiden,wann es z. B. sinnvoll ist, denFahrbahnbelag zu erneuern, damit er einerseitsimmer funktionstüchtig ist, andererseitsam Ende der 20 Jahre technisch einwandfreiübergeben werden kann.Necessity is the mother of invention.Auch in der <strong>Bauwirtschaft</strong>. Wie kann manden Straßen<strong>auf</strong>bau und -belag verbessern, sodass er dem steigenden Güterverkehr, immergrößeren LKWs, starken Temperatur- undKlimaschwankungen besser standhält, damitnicht so hohe Verschleißkosten anfallen?Wie kann eine Brückenkonstruktion nachhaltigverbessert werden, z. B. durch denEinsatz von Hochfestem Beton bei den Brückenkappen?Wie kann man Straßenbaustellenmit Lean-Management schneller und effizienterabwickeln? Hier kann man Gelddurch Qualität ver<strong>die</strong>nen und Vertrauen <strong>auf</strong>bauen.Das sollte den Verkehrsminister dazuveranlassen, <strong>die</strong>se Vertragsmodelle beizubehalten.


6 <strong>Megatrends</strong> – <strong>Auswirkungen</strong> <strong>auf</strong> <strong>die</strong> <strong>Bauwirtschaft</strong>Ein Beispiel für eine innovative Infrastrukturlösungfür <strong>die</strong> Schiene ist <strong>die</strong> Feste Fahrbahn.Die <strong>Bauwirtschaft</strong> sucht Lösungenz. B. für <strong>die</strong> Dauerhaftigkeit. Die geforderten60 Jahre werden heute noch nicht vollständigerreicht. Sie sucht Lösungen für <strong>die</strong> Verbindungvon Beton zu Schiene, für <strong>die</strong> Befahrbarkeitin Tunneln und <strong>auf</strong> Brücken und fürRettungsmaßnahmen. Sie sucht auch Lösungenfür alternative Einsatzmöglichkeiten <strong>die</strong>serspeziellen Betonfertigteile und all dasmöglichst international kompatibel.Besonders wichtig ist <strong>die</strong> Ressourcenschonung.Im Verkehrswegebau entstehengroße Mengen an mineralischen Abfällen,<strong>die</strong> einen großen Deponieraum erfordernwürden. Bei den mineralischen Bau- undAbbruchabfällen handelt es sich eigentlichum Rohstoffe, aus denen sich bei sachgerechterAufbereitung hochwertige Baustoffegewinnen lassen. Derzeit werden in Deutschlandjährlich 200 Millionen t recycelt unddem Kreisl<strong>auf</strong> wieder zugeführt. Die neueErsatzbaustoffverordnung der Regierungwird dazu führen, dass bis zu 110 Millionen tder Kreisl<strong>auf</strong>wirtschaft entzogen werden.Der Hauptverband der Deutschen Bauindustriewill <strong>die</strong>s verhindern und sucht Möglichkeiten,<strong>die</strong> Kreisl<strong>auf</strong>wirtschaft Bau durch einnoch konsequenteres Baustoffrecycling zufördern.Wir brauchen auch hier neue Ideen. ImZeitalter von Globalisierung und Connectivitybezieht sich der Trend zur Mobilität auch<strong>auf</strong> virtuelle Mobilität, <strong>auf</strong> mobiles Telefonieren,einen mobilen Internetzugang, denAustausch von Informationen, vor allemaber auch <strong>auf</strong> das Denken. Das Denken mussmobil, muss beweglich sein. Auf Grund <strong>die</strong>serMobilität kommt es zu einer weltweitenWissensvernetzung, zu einem enormen Wissenstransfer,geradezu zu einer Wissensexplosion.Die Industriegesellschaft ist dabei,sich zu einer Wissensgesellschaft zu wandeln.Deshalb ist der wesentlichste und weitreichendsteTrend <strong>die</strong> Bildung. Sie verbindetalle anderen Trends. Bildung war und ist, vortausend Jahren genauso wie heute, der bestimmendeFaktor für Entwicklung, Wachstumund Wohlstand.Bildung beginnt in der Familie und findetüberall statt: im Kindergarten, in der Schule,am Ausbildungsplatz, in Universitäten undForschungseinrichtungen, am Arbeitsplatz,lebenslang.Eine Wissensgesellschaft braucht einenhohen Bildungsgrad. Die Breite und Tiefedes Wissens, das für eine erfolgreiche Entwicklungund Vermarktung von Produktennötig ist, nimmt rasant zu. Kräfteverhältnisseverschieben sich. Die Welt um uns herumändert sich, <strong>die</strong> <strong>Bauwirtschaft</strong> muss mithalten.Sie muss sich <strong>auf</strong> eine neue Organisationder Arbeit, <strong>auf</strong> neue Tätigkeits- undKompetenzprofile einstellen.In einer Wissensgesellschaft fallen traditionellemännliche Industriejobs weg. Es gibtstattdessen vermehrt Wissensarbeiter, Servicearbeiter,Strategen und Koordinatoren.Der Kreativsektor nimmt zu. Mobile Arbeitsplätzewerden den Frauen entgegenkommen.Sie werden <strong>die</strong> Bildungsgewinnersein. Es wird mehr Selbstständigkeit, Freelancerund befristete Arbeitsverhältnisse geben.Soft Skills wie Teamarbeit, Kommunikationund selbstständige Weiterbildungwerden noch mehr an Bedeutung gewinnen,ebenso partnerschaftliches Bauen, Simulationstechnologien,E-Learning, Lean Managementbeim Baumanagement und RFIDElemente beim Baubetrieb.Um bei all den zu erwartenden Veränderungen<strong>die</strong> Nase oben zu behalten, braucht<strong>die</strong> <strong>Bauwirtschaft</strong> sowohl geeignete Lösungenaus Forschung und Entwicklung als auchgenügend hochqualifizierte Mitarbeiter.Hans-Dieter Hegner, Ministerialrat im Verkehrsministeriumund Koordinator der ForschungsinitiativeZukunft Bau, nennt <strong>die</strong><strong>Bauwirtschaft</strong> einen Umsatzriesen, aber einenForschungszwerg. Mit noch nicht einmal0,1 % Anteil der Forschungsleistung am Gesamtumsatzsei <strong>die</strong> Branche höchstwahrscheinlichdas Schlusslicht im gesamtenWirtschaftsranking. Hegner führt <strong>die</strong>s <strong>auf</strong><strong>die</strong> starke Zersplitterung der <strong>Bauwirtschaft</strong>zurück und fordert von der <strong>Bauwirtschaft</strong> ei-


<strong>Megatrends</strong> – <strong>Auswirkungen</strong> <strong>auf</strong> <strong>die</strong> <strong>Bauwirtschaft</strong> 7ne Bündelung ihrer Strukturen und Interessen.Die <strong>Bauwirtschaft</strong> muss sich bewegen.Sie muss sich aktiv und tatkräftig dafüreinsetzen, dass <strong>die</strong> Bildungsinvestitionen desBundes steigen, dass <strong>die</strong> Bildung effizienterwird. Die <strong>Bauwirtschaft</strong> muss Geld ausgebenfür Fortbildung, für Forschung und Entwicklung.Sie muss helfen, den Mathematikunterrichtattraktiver zu machen, damit <strong>die</strong> HöhereMathematik kein Hemmnis mehr darstellt,technische Stu<strong>die</strong>ngänge zu wählen und abzuschließen.Sie braucht Menschen mit neuenIdeen und Unternehmer, <strong>die</strong> <strong>die</strong>sen Ideen<strong>auf</strong>geschlossen gegenüber stehen und sie in<strong>die</strong> Praxis umsetzen.Für <strong>die</strong> <strong>Bauwirtschaft</strong> sind <strong>die</strong>se <strong>Megatrends</strong>und ihre <strong>Auswirkungen</strong> eine Riesenchance:Sie wird bauen! Ihre Ingenieurewerden <strong>die</strong> Gesellschaft mit innovativerBautechnik begeistern. Sie werden <strong>die</strong> Menschenüber Großprojekte und technischeVerfahren informieren. Denn Wissen kannTechnikfeindlichkeit überwinden.„Nichts geschieht ohne Risiko, aber ohneRisiko geschieht auch nichts“, sagte einmalWalter Scheel.Die <strong>Bauwirtschaft</strong> wird ihre Arbeitsplätzeattraktiver machen, <strong>auf</strong> den Baustellen <strong>die</strong>Büros aus den Containern herausholen undhöhere Löhne und Gehälter zahlen. Sie wirdihr Image verbessern. Sie wird Frauen undKITAS willkommen heißen. Sie wird sichdem Fortschritt öffnen.Dazu braucht <strong>die</strong> deutsche <strong>Bauwirtschaft</strong>,dazu brauchen alle am Baugeschehen BeteiligtenKongresse wie den „<strong>1.</strong> InternationalenBBB-Kongress“, weil sich dort <strong>die</strong> Chancebietet, mit Menschen aus anderen Wissensgebietenund Forschungsbereichen zusammenzu kommen, sich auszutauschen, voneinanderzu lernen und zusammen zu arbeitenan der Neu<strong>auf</strong>stellung der Deutschen <strong>Bauwirtschaft</strong>und der Bauindustrie. Das ist dasZukunftspotential der <strong>Bauwirtschaft</strong>.

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