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Vieritz rockt - OUTLAW gGmbH

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Region West 15Wolfgang Focke besucht die Flexi-WG ® in EmdenEhemaliger “Heimzögling”diskutiert mit den Jugendlichender WohngruppeWolfgang Focke kann Geschichtenerzählen. Jedoch sind das keine“Märchen aus 1001 Nacht”, sondernAusschnitte seiner eigenen Realität,die er erlebt hat und die er am liebstenungeschehen machen und vergessenwürde. Da aber beides nichtfunktioniert, will und muss er überdas Erlebte reden: “Ich bin gerademal 25 Jahre alt”, sagt der heute 62-jährige. “Da bin ich zum zweiten Malgeboren, denn ich habe mich damalsentschlossen, mein Leben neuin die Hand zu nehmen.” WolfgangFocke ist als Kind in ein Heim gekommen.“Das waren dann 36 Jungsin zwei Schlafsälen auf kaum mehrals 40 Quadratmetern. Der Alltag bestandaus Beten, Arbeiten, Disziplinund Angst vor den Erziehern, diehäufig Patres waren. Schule gab esfür uns nicht, lesen und schreibenhaben wir nie gelernt. Lesen undrechnen habe ich mir später im Knastselber beigebracht”, beginnt er seineErzählungen. Von der Zeit bevor er10 Jahre alt war, weiß er nicht mehrviel, hat es wahrscheinlich verdrängtoder will nicht darüber reden.“Als ich 14 oder 15 Jahre alt war, habich´s häufig nicht mehr ausgehalten.Dann bin ich abgehauen, immernach Hause - das war da wo meineMutter lebte, und die hat mich jedesMal wieder abholen und zurückbringenlassen”. Das muss Ende der 50-er, Anfang der 60-er Jahre gewesensein, als diese “Normalität” einer damalsweit verbreiteten Heimerziehungdie Grundlage wurde, auf derdie “kriminelle Karriere” des WolfgangFocke nach eigener Einschätzungbegonnen hat. “Ich bin 184 Malabgehauen, war mehrfach auch überTage und Wochen unterwegs. Umweg zu kommen habe ich Fahrräder,auch mal ein Moped genommen.Um zu Essen zu haben, habe ich geklaut.Immer wieder bin ich erwischtworden, alle diese Taten sind irgendwannals kriminelle Vergehenbewertet worden, für die es Strafengegeben hat.” Wurde er dem Heim,in dem er gerade war, wieder überstellt,gab es allein für das Weglaufenin der Regel drei Wochen Einzelarrest.Im Laufe der Jahre wechseltenauch die Heime und damit dieSicherheitsvorkehrungen, der Dranghinaus, der Wunsch zu fliehen bliebund ließ ihn immer ideenreicherseine Fluchten umsetzen.Irgendwann im Alter von 15 oder 16Jahren wurde Wolfgang Focke von“seinem” Heim an einen Bauernhof“ausgeliehen”, offiziell ein Pflegeverhältnis.Hier waren zwar nicht soviele Jungen, dafür aber die Arbeitstagevon 5 Uhr in der Früh bis abends22 Uhr noch länger als bisher. DieKontrollen und Strafen unterschiedensich nicht von denen in den Heimen.Das hieß wieder abhauen, gefundenund in ein neues “sichereres” Heimüberführt zu werden. WolfgangFocke berichtet von Demütigungen,Sehsüchten nach einem besserenLeben, von körperlichen Straforgienund von sexuellen Übergriffen bis zuVergewaltigungen durch Erzieher,die aus seiner Sicht nicht Ausnahmen,sondern Regel waren. Diesen“Heimalltag” mit den beschriebenenFolgen macht er für seine jahrelangekriminelle Karriere verantwortlich.Nach dem Heim schlossen sich 20Jahre Knast und ein Leben mit “illegalemBroterwerb” an. Die Zuhältereihabe er auf einer Flucht aus einemHeim gelernt, auf der ein Mädchen,die aus einem Mädchenheim weggelaufenwar, ihrer beider Lebensunterhaltdurch sexuelle Dienstleistungenverdient habe.Die Jugendlichen der Wohngruppesind zunehmend hin und her gerissenzwischen Eindrücken von “Daskann doch alles nicht sein” bis zu“Was für ein Kerl, der schon so vielerlebt hat”. Sie fragen nach: “Warumhabt ihr euch nicht gewehrt?”, "Wiehältst du das alles überhaupt aus?“,“Warum hast du dich erst so spät entschieden,keine Scheiße mehr zubauen?” - nicht alle Fragen werdenvon Wolfgang Focke befriedigendbeantwortet.Wir erleben einen Mann, der dieWidersprüchlichkeiten seiner Erlebnisseund seines eigenen Handelnsauch nach Jahren noch nicht auflösenkann, der noch heute unter vielemleidet, das er erlebt hat. Er leidetaber auch darunter, dass er anderenviel Unrecht zugefügt hat. Er ist invielerlei Hinsicht ein gebrochenerMann - wie er selbst sagt - in vielemaber auch stark und zuversichtlich. Erhat gelernt, über seine Erlebnisse zusprechen und sich dafür zu engagieren,dass von den Trägern der damaligenHeime, die auch heute noch inder Jugendhilfe tätig sind, das gescheheneUnrecht anerkannt wird.Nur so kann für die ehemaligenHeimzöglinge - wie es damalshieß - eine Grundlage geschaffenwerden, neu zu beginnen undzumindest die Heimzeiten alsVersorgungsansprüche anerkannt zubekommen.Wolfgang Focke lebt jetzt von wenigenhundert Euro Rente, ein Zustand,der ihn über die belastenden Erlebnissehinaus zusätzlich “straft”. DasTreffen in Emden wird mit einem gemeinsamenEssen abgeschlossen.Zurück bleiben Eindrücke, die nachdenklichstimmen, die viele Fragenunbeantwortet lassen. Niemand derTeilnehmerinnen und Teilnehmer istaber von dem Gehörten unberührtgeblieben, für einige war es Anlass,“in eigener Sache” initiativ zu werden.<strong>OUTLAW</strong>-NEWS 02/2008

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