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Robert Koldewey und das Vorderasiatische Museum Berlin

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Abb. 1: Entwurfsskizze Walter Andraes<br />

für die Rekonstruktion des Ischtar-Tores<br />

von Babylon im <strong>Vorderasiatische</strong>n <strong>Museum</strong><br />

<strong>Berlin</strong>, 1927, Aquarell.<br />

Beate Sa l j e<br />

<strong>Robert</strong> <strong>Koldewey</strong> <strong>und</strong> <strong>das</strong><br />

<strong>Vorderasiatische</strong> <strong>Museum</strong> <strong>Berlin</strong><br />

125<br />

Die Erforschung des sagenumwobenen Babylon stellt <strong>das</strong> Lebenswerk <strong>Robert</strong><br />

<strong>Koldewey</strong>s dar. Vor allem ihm ist es zu verdanken, <strong>das</strong>s die bedeutendsten<br />

Zeugnisse Babylons hier in <strong>Berlin</strong> so anschaulich wieder auferstehen konnten.<br />

Die Fertigstellung der grandiosen Architekturrekonstruktionen – <strong>das</strong> Ischtar-<br />

Tor, die Prozessionsstraße <strong>und</strong> die Thronsaalfassade – im 1930 neu eröffneten<br />

<strong>Museum</strong> am Kupfergraben hat er leider nicht mehr miterlebt.<br />

Babylon hat zu allen Zeiten die Fantasie der Menschen angeregt <strong>und</strong> ist<br />

nun zu einem der am gründlichsten erforschten Orte der Welt geworden. Die<br />

über 18 Jahre (1899–1917) andauernden archäologischen Ausgrabungen unter<br />

<strong>Robert</strong> <strong>Koldewey</strong> ermöglichen es uns heute, vieles aus historischen Quellen<br />

Bekanntes zu verifizieren. Die Zeugnisse dieser babylonischen Hochkultur gelangten<br />

durch die zu Zeiten des Osmanischen Reiches möglichen F<strong>und</strong>teilungen<br />

nach <strong>Berlin</strong>. Dort wurden sie in der 1899 neu gegründeten <strong>Vorderasiatische</strong>n<br />

Abteilung der Königlichen Museen mit der aus H<strong>und</strong>erttausenden von Ziegelbrocken<br />

rekonstruierten Prozessionsstraße <strong>und</strong> dem Ischtar-Tor zu Babylon<br />

anschaulich umgesetzt – durch den Mitarbeiter <strong>Robert</strong> <strong>Koldewey</strong>s <strong>und</strong> späteren<br />

Direktor des <strong>Museum</strong>s, Walter Andrae. Zusätzlich zu den materiellen Hinterlassenschaften<br />

hatte man nun auch Zugriff auf <strong>das</strong> auf Tausenden von Tontafeln<br />

verewigtem Wissen dieser Kultur. Zahlreiche Berichte der Bibel ließen sich durch<br />

diese Texte zurückverfolgen <strong>und</strong> auch die Schilderungen Herodots, der – wenn<br />

überhaupt – Babylon erst nach der Einnahme der Stadt durch die Perser gesehen<br />

haben dürfte, lassen sich auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen.<br />

„Die Mauern von Babylon“ – unter diesem Titel erschien am 18. Juli 1930<br />

ein Artikel in der „Täglichen R<strong>und</strong>schau, <strong>Berlin</strong>“: 1<br />

„Im Neubau der <strong>Berlin</strong>er Museen wird als Mittelstück des einen großen Flügelbaues<br />

ein Hauptdenkmal vorderasiatischer Kunst seine Ausstellung finden,<br />

<strong>das</strong> bei den Ausgrabungen der Deutschen Orient-Gesellschaft durch <strong>Robert</strong><br />

<strong>Koldewey</strong> aufgedeckt worden ist, <strong>das</strong> Ischtar-Tor von Babylon <strong>und</strong> die Prozessionsstraße<br />

mit dem künstlerischen Schmuck der Schmelzfarbenfriese, die<br />

als großartiges, prächtiges Werk altorientalischer Dekorationskunst wieder<br />

zusammengestellt worden sind. Diese Toranlage ist ein Teil der Stadtmauern<br />

von Babylon, die in jahrelanger hingebender Arbeit aufs genaueste erforscht<br />

worden sind ...“


126 <strong>Robert</strong> <strong>Koldewey</strong> <strong>und</strong> <strong>das</strong> <strong>Vorderasiatische</strong> <strong>Museum</strong> <strong>Berlin</strong><br />

Abb. 2: Die ersten drei Glasurziegelfragmente<br />

aus Babylon, die <strong>Robert</strong> <strong>Koldewey</strong><br />

von der Vorexpedition 1897/98 nach<br />

<strong>Berlin</strong> mitbrachte <strong>und</strong> die zur Entscheidung<br />

beitrugen, Babylon auszugraben<br />

(<strong>Vorderasiatische</strong>s <strong>Museum</strong>; Foto: Olaf<br />

M. Teßmer).<br />

Seit 1930 ist also eines der Sieben Weltw<strong>und</strong>er der Antike – Die Mauern von<br />

Babylon – im <strong>Vorderasiatische</strong>n <strong>Museum</strong> als eine der Hauptattraktionen der<br />

<strong>Museum</strong>sinsel zu bew<strong>und</strong>ern. Die Rekonstruktionen lassen ein Bild der Stadt<br />

Babylon zu Zeiten Nebukadnezars II. im 6. Jahrh<strong>und</strong>ert v. Chr. wiedererstehen.<br />

Begebenheiten, die aus der Bibel bekannt waren, treten nun lebendig vor die<br />

Augen der Menschheit.<br />

Die Anfänge der Ausgrabungen in Babylon<br />

Beeinflusst durch die Orientpolitik des Deutschen Reiches wurde 1886 erstmals<br />

eine Expedition nach Mesopotamien entsandt, um mögliche Orte für Ausgrabungen<br />

zu erk<strong>und</strong>en. Ab 1888 fanden in Sendschirli erste Feldforschungen<br />

durch <strong>das</strong> neu gegründete Orient-Comité statt (siehe S. 50 ff.).<br />

1897 wurde die Erforschung Mesopotamiens als „eine der wichtigsten Aufgaben<br />

der Gegenwart“ bezeichnet <strong>und</strong> die Tatsache begrüßt, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Auswärtige<br />

Amt im Jahr 1894 eine Dependance unter der Leitung von Honorarkonsul<br />

Richarz in Bagdad eröffnet hatte. 2 Der preußische Kultusminister schlug<br />

vor, eine Kommission aus Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften <strong>und</strong><br />

der <strong>Berlin</strong>er Museen zusammenzustellen. Diese sogenannte „Königliche Kommission<br />

für die wissenschaftliche Erforschung der Euphrat- <strong>und</strong> Tigrisländer“<br />

tagte erstmals am 8. Juni 1897 beim Generaldirektor der <strong>Berlin</strong>er Museen,<br />

Richard Schöne. Auf ihren Beschluss wurden Eduard Sachau <strong>und</strong> <strong>Robert</strong> <strong>Koldewey</strong><br />

im Herbst 1897 zu einer Erk<strong>und</strong>ungsreise nach Mesopotamien geschickt.<br />

Finanziert wurde diese Vorexpedition durch James Simon, den großen Mäzen<br />

der <strong>Berlin</strong>er Museen.<br />

Am 24. Januar 1898 wurde die Deutsche Orient-Gesellschaft (DOG) gegründet,<br />

die als Institution die Grabungen für die Museen durchführen sollte.


Beate Salje 127<br />

Abb. 3: Zwei originale Transportkisten<br />

mit glasierten Ziegelfragmenten aus Babylon<br />

(<strong>Vorderasiatische</strong>s <strong>Museum</strong>; Foto:<br />

Olaf M. Teßmer).<br />

Das Verhältnis zwischen der Deutschen Orient-Gesellschaft, der 1899 gegründeten<br />

<strong>Vorderasiatische</strong>n Abteilung <strong>und</strong> der Generalverwaltung der Königlichen<br />

Museen lässt sich heute nur schwer bestimmen. Von den beiden Reisenden,<br />

Sachau <strong>und</strong> <strong>Koldewey</strong>, waren als Ausgrabungsorte Uruk, Assur <strong>und</strong> Babylon<br />

vorgeschlagen worden, wovon letzteres schließlich nach langer Beratung mit<br />

der Deutschen Orient-Gesellschaft <strong>und</strong> deren Beirat den Zuschlag erhielt – der<br />

Generaldirektor der Museen, Richard Schöne, votierte für <strong>Robert</strong> <strong>Koldewey</strong> als<br />

Grabungsleiter. Den Ausschlag hatten letztlich die von <strong>Koldewey</strong> in Babylon<br />

aufgelesenen <strong>und</strong> in <strong>Berlin</strong> vorgelegten drei farbig glasierten Ziegelbruchstücke<br />

gegeben. Generaldirektor Schöne glaubte an diesen Proben den besonderen<br />

Wert der babylonischen Architektur zu erkennen <strong>und</strong> unterstützte mutig die<br />

Einleitung der Ausgrabungen in Babylon. Die Königliche Kommission wurde<br />

1899 nach Erfüllung ihrer Aufgaben wieder aufgelöst.<br />

Seit 1900 war <strong>Robert</strong> <strong>Koldewey</strong> als „Direktorialassistent für Auswärtige<br />

Angelegenheiten“, ebenso wie Theodor Wiegand, der eine Direktorialassistentenstelle<br />

in Konstantinopel inne hatte, direkt dem Generaldirektor der <strong>Berlin</strong>er<br />

Königlichen Museen unterstellt, was die enge Verbindung zwischen den Museen<br />

<strong>und</strong> der Deutschen Orient-Gesellschaft bei den Ausgrabungen in Mesopotamien<br />

bekräftigen sollte. 3 Die staatlichen Gelder gingen über die Generalverwaltung<br />

der Museen an die Deutsche Orient-Gesellschaft, die Mitarbeiter<br />

wurden über die Generalverwaltung der Museen bezahlt <strong>und</strong> die F<strong>und</strong>e waren<br />

laut Statut der Deutschen Orient-Gesellschaft an die Museen zu geben. Die<br />

Grabungsbewilligungen <strong>und</strong> vor allen Dingen die F<strong>und</strong>teilungen waren nur<br />

über die seinerzeit gültigen Verträge zwischen der Generalverwaltung der Mu-


128 <strong>Robert</strong> <strong>Koldewey</strong> <strong>und</strong> <strong>das</strong> <strong>Vorderasiatische</strong> <strong>Museum</strong> <strong>Berlin</strong><br />

seen/dem Staat <strong>und</strong> dem Sultan/dem Osmanischen Reich möglich. 4 Für James<br />

Simon, einen der Mitbegründer der Deutschen Orient-Gesellschaft <strong>und</strong> deren<br />

größter Mäzen, war diese von „ihrer Begründung an nur als eine finanzielle<br />

Hilfstruppe für die Generalverwaltung der Kgl. Museen [gedacht]“. Und weiter:<br />

„Offensichtlich war allgemein anerkannt, daß alle F<strong>und</strong>e ins <strong>Museum</strong> gehörten.<br />

Auch die Grabungsberichte <strong>und</strong> die Photos [sowie die Foto-Negative, d. Verf.]<br />

wurden zunächst an die Generalverwaltung der Museen gesandt <strong>und</strong> von dort<br />

weitergeschickt [d. h. der <strong>Vorderasiatische</strong>n Abteilung übergeben, d. Verf.].<br />

Vollständig überlassen wurde der DOG dagegen die Publikation [d.h. <strong>das</strong> Publikationsrecht,<br />

d. Verf.] der Grabungsergebnisse, wobei auch hier die <strong>Museum</strong>svertreter<br />

eifrig mitmischten [d. h. maßgeblich beteiligt waren, d. Verf.]. So wird<br />

deutlich, daß die Hauptintention tatsächlich eine erfolgreiche Zusammenarbeit<br />

zwischen den Museen <strong>und</strong> der DOG war.“ 5 „Dabei wurde ein Großteil der Grabungen<br />

nicht durch die Mitgliedsbeiträge der Orient-Gesellschaft oder einzelne<br />

private Spenden, sondern durch Zuschüsse des Preußischen Staates <strong>und</strong> aus der<br />

kaiserlichen Privatschatulle Wilhelms II. finanziert.“ 6<br />

Mit der Gründung einer eigenständigen <strong>Vorderasiatische</strong>n Abteilung im<br />

Jahr 1899 musste die Sammlung die repräsentativen Räume im Neuen <strong>Museum</strong><br />

aufgeben <strong>und</strong> in einen Speicherbau im Bereich des heutigen Standortes<br />

umziehen. Diese Räume waren nicht öffentlich zugänglich. Während der Bautätigkeiten<br />

für <strong>das</strong> neue <strong>Museum</strong>sgebäude – <strong>das</strong> heutige Pergamonmuseum<br />

– genoss die Sammlung dann bis 1930 Gastrecht im Kaiser-Friedrich <strong>Museum</strong>,<br />

dem heutigen Bodemuseum.<br />

<strong>Robert</strong> <strong>Koldewey</strong> wurde bei einer seiner wenigen Urlaubsunterbrechungen<br />

der Ausgrabungen in Babylon vom <strong>Berlin</strong>er Tageblatt gebeten, über „Die<br />

Ausgrabungen in Babylon“ zu berichten. Seine Ausführungen erschienen am<br />

22. Oktober 1910 unter eben diesem Titel: 7 „... Es ist merkwürdig <strong>und</strong> sehr<br />

eindrucksvoll, wenn Stätten, die Jahrh<strong>und</strong>erte lang der staunenden Diskussion<br />

der Welt aussichtslos unterlagen, jetzt in selbstverständlicher Wirklichkeit hervortreten.<br />

Dies ist wirklich der Saal, in dem der uns von Kindheit an bekannte,<br />

aber damals für uns nur in sagenhaftem Dämmer lebende Nebukadnezar<br />

thronte, Belsazar schlemmte. Auf den Dächern dieses Palastes standen der<br />

König <strong>und</strong> Daniel, als sie sich über die Vorzüge Marduks <strong>und</strong> Jahwehs unterhielten.<br />

In diese Höfe bestellte Alexander seine Generale <strong>und</strong> gab ihnen die<br />

letzten Befehle zur Eroberung der Welt. Hier krankte <strong>und</strong> litt er, <strong>und</strong> von hier<br />

aus ließ er sich täglich in den Tempel der Ninmach zum Opfer tragen!“<br />

Der Einfluss der Museen<br />

<strong>Robert</strong> <strong>Koldewey</strong> begann 1899 – im Alter von 44 Jahren – seine Ausgrabungen<br />

in Babylon. Um <strong>das</strong> Wirken <strong>Koldewey</strong>s im Auftrage der Königlichen Ber-


Beate Salje 129<br />

liner Museen <strong>und</strong> der <strong>Vorderasiatische</strong>n Abteilung einschätzen zu können, ist<br />

eine Betrachtung der <strong>Museum</strong>sarbeit in <strong>Berlin</strong> notwendig.<br />

Als erster Direktor der <strong>Vorderasiatische</strong>n Abteilung wurde Friedrich Delitzsch<br />

berufen, dessen Tätigkeit im <strong>Museum</strong> von 1899–1918 mit seiner Professur<br />

für Assyriologie an der <strong>Berlin</strong>er Universität verknüpft war. Delitzsch war<br />

somit auch für die großen Ausgrabungen in Babylon von 1899–1917 verantwortlich.<br />

Seine Interessen galten vornehmlich der Philologie. Im Sommer 1902<br />

bereiste er erstmals den Orient <strong>und</strong> studierte neues Textmaterial in Babylon.<br />

1905 ließ er sich ein ganzes Jahr beurlauben, um in Assur <strong>und</strong> in Babylon<br />

Keilschrifttexte zu bearbeiten. Differenzen in der Beurteilung von Grabungsergebnissen<br />

führten zu Zerwürfnissen mit seinem Ausgräber. So wandte er sich<br />

wieder vorrangig dem <strong>Museum</strong>smaterial zu, <strong>das</strong> er auch seinen Studenten<br />

zur Verfügung stellte. Um sich wieder ganz der Wissenschaft <strong>und</strong> seinem neu<br />

gegründeten Assyriologischen Seminar an der Universität widmen zu können,<br />

ersuchte er nach nahezu 20 Jahren <strong>Museum</strong>sdienst im September 1918 um<br />

seine Entlassung.<br />

Die eigentliche <strong>Museum</strong>sarbeit lag in den Händen von Leopold Messerschmidt,<br />

der zunächst ab Herbst 1899 als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter, ab<br />

1903 als Direktorial-Assistent <strong>und</strong> ab 1909 als Kustos bei der <strong>Vorderasiatische</strong>n<br />

Abteilung der Königlichen Museen tätig war. Selbst Philologe <strong>und</strong> Forscher,<br />

schildert er die vielfältige <strong>und</strong> zeitraubende <strong>Museum</strong>sarbeit in einem Brief an<br />

Walter Andrae 1909 folgendermaßen: „… der <strong>Museum</strong>sdienst bringt Einem<br />

so vielerlei durcheinandergehende Anforderungen – Anfragen von aller Welt<br />

über alles Mögliche, schriftlich <strong>und</strong> mündlich – daß man schwer zu einer zusammenhängenden<br />

Arbeit kommt … eine Schriftstellerin … bittet ein umfangreiches<br />

Manuskript mit ‚orientalischem’ Colorit auf Richtigkeit desselben<br />

prüfen zu wollen … ein Herr, der eine dichterische Ader in sich fühlt, hat es auf<br />

die Göttin Istar abgesehen <strong>und</strong> will sie durchaus auf die Bühne bringen, bittet<br />

aber zuvor mich, ihm diese Dame etwas näher vorzustellen … Mein einziger<br />

Trost ist, daß es den Kollegen nicht besser geht …“ 8 Messerschmidt bildete für<br />

die Ausgräber die wichtigste Verbindung zu den Museen, über ihn wurden die<br />

Berichte, Briefe <strong>und</strong> dokumentarischen Unterlagen an die Deutsche Orient-<br />

Gesellschaft weitergeleitet. Auf ihn ist auch die Grabungslizenz für Assur ausgestellt<br />

worden, da er aber Zeit seines Lebens herzleidend war, wurde die Ausgrabung<br />

Walter Andrae übertragen. Die beiden standen in engem Kontakt,<br />

vor allem was die Zusammensetzung der Ziegelbrocken aus Babylon betraf.<br />

1903 trafen die ersten (399) Kisten in der <strong>Vorderasiatische</strong>n Abteilung ein,<br />

die damals in einem Interimsbau untergebracht war (siehe hierzu den Anhang I<br />

mit der 1903 in Babylon gegebenen Anweisung <strong>Koldewey</strong>s zur Zusammensetzung<br />

der Ziegelfragmente in <strong>Berlin</strong> sowie Anhang II mit Andraes Schilderung<br />

des Umgangs mit den Fragmenten von 1903 bis 1930). Einige der Fragmente<br />

wurden zunächst durch Prof. Friedrich Rathgen, den Leiter des chemischen La-


130 <strong>Robert</strong> <strong>Koldewey</strong> <strong>und</strong> <strong>das</strong> <strong>Vorderasiatische</strong> <strong>Museum</strong> <strong>Berlin</strong><br />

Abb. 4: Drache vom Ischtar-Tor,<br />

H. 1,19 m, Br. 1,69 m (<strong>Vorderasiatische</strong>s<br />

<strong>Museum</strong>, Inv.-Nr. VA Bab 4431) – Beispiel<br />

für die ersten Zusammensetzungen von<br />

Relieftieren, bei denen die Bruchflächen<br />

der Ziegelfragmente vor dem Zusammensetzen<br />

zu einzelnen Ziegeln glatt gesägt<br />

<strong>und</strong> beschliffen wurden. Das Ergebnis<br />

waren Tiere, die „wie geleckt“ aussahen<br />

(Foto: Olaf M. Teßmer).<br />

boratoriums der Museen, exemplarisch untersucht. Aufgr<strong>und</strong> des hohen Gehalts<br />

an wasserlöslichen Salzen, die die Glasuren gefährdeten, wurde noch im<br />

selben Jahr eine Entsalzung der Ziegelfragmente von jeweils acht Wochen in<br />

230 großen Bottichen veranlasst. Nach der Festigung der gelockerten Glasuren<br />

mit Paraffin wurden die Ziegelbruchstücke auf langen Tischreihen ausgebreitet,<br />

um die Motive für eine Zusammensetzung sortieren zu können. Das Ergebnis<br />

waren erste Rekonstruktionen von Tierreliefs, die allerdings „wie geleckt“<br />

aussahen.<br />

Die Ziegelbrocken waren glatt gesägt <strong>und</strong> die Fehlstellen übermalt worden.<br />

Walter Andrae schildert seinen Eindruck dieser Rekonstruktionen in einem<br />

Brief an Güterbock, den Vorsitzenden der Deutschen Orient-Gesellschaft:<br />

„... Was mich vor allem w<strong>und</strong>ert, ist, daß man nicht von den Fugen gelassen<br />

hat, obwohl ich u. vielleicht auch <strong>Koldewey</strong> mehrmals geschrieben haben, daß<br />

es gar keine Fugen von auffälliger Breite gab. Die Ziegel schlossen vielmehr<br />

dicht aneinander, wie wir in Babylon an anstehenden Stücken gesehen haben<br />

… Ich persönlich halte nämlich <strong>das</strong> Aneinanderschleifen der Stücke nicht für<br />

schön, weil es ein grausamer Eingriff ist, der nicht einmal eine gute Wirkung<br />

hervorzubringen scheint. Ich dachte es mir viel schöner, wenn die fehlenden<br />

Stücke einfach so ergänzt würden, als ob dort nur die Emailschicht fehlte …<br />

Das würde aussehen, als ob nur einige Stückchen Email abgeblättert wären<br />

<strong>und</strong> im übrigen der echte Eindruck völlig gewahrt, bei aller Wirkung, die sich<br />

überhaupt erzielen lässt …“ 9


Beate Salje 131<br />

Abb. 5: Unterbringung der Bestände<br />

der <strong>Vorderasiatische</strong>n Abteilung in den<br />

Räumen des Kaiser-Friedrich-<strong>Museum</strong>s<br />

(zwischen 1911 <strong>und</strong> 1930), darunter<br />

auch die F<strong>und</strong>e aus Babylon.<br />

Nachdem sich der Streit um die Ausführung der Tiere über Jahre hingezogen<br />

hatte, führte schließlich Walter Andrae in <strong>Berlin</strong> eine Entscheidung<br />

herbei. In einer sogenannten „Bestienkonferenz“ am 14. Oktober 1908 kamen<br />

auf Einladung Kaiser Wilhelms II. alle Beteiligten vom <strong>Museum</strong> <strong>und</strong> von<br />

der Deutschen Orient-Gesellschaft zusammen. Andrae durfte dem Kaiser seinen<br />

Standpunkt vortragen, er berichtet über die Erwiderung des Kaisers in<br />

einem Brief an <strong>Koldewey</strong> Folgendes: Man solle „1) … <strong>das</strong> Alte unangetastet<br />

lassen. 2.) Müssten die Archäologen treu u. ehrlich <strong>das</strong> vorhandene zusammensetzen,<br />

ohne was zuzutun u. wegzunehmen u. er fände die Bestien nach<br />

meiner Art so schön in ihrer Wirkung u. so vollkommen genügend, daß er<br />

wünschte, alle sollten so gemacht werden – Die Gegenmeinung wolle er gar<br />

nicht hören, es schiene ihm so auf alle Fälle <strong>das</strong> richtigste ...“ 10 Dies kam einem<br />

Erlass Wilhelms II. gleich <strong>und</strong> keiner widersprach. Doch auch nach dieser Festlegung,<br />

<strong>das</strong>s die Bruchstücke der Ziegelreliefs erkennbar bleiben müssten,<br />

wurden nach der Abreise Andraes in den Orient die Arbeiten in alter Manier<br />

weitergeführt.<br />

Währenddessen wurden die Grabungen in Babylon ganzjährig fortgesetzt.<br />

Aus den regelmäßigen Berichten <strong>Robert</strong> <strong>Koldewey</strong>s an die Generalverwaltung<br />

der Königlichen Museen (Berichtszeitraum jeweils vom 1. 4. eines Jahres bis<br />

zum 31. 3. des Folgejahres), die bis 1913 neben den Ausgrabungen in Baby-


132 <strong>Robert</strong> <strong>Koldewey</strong> <strong>und</strong> <strong>das</strong> <strong>Vorderasiatische</strong> <strong>Museum</strong> <strong>Berlin</strong><br />

Abb. 6: Siegel des Gottes Adad, F<strong>und</strong> aus<br />

dem Jahre 1900, Lapislazuli, wohl 9. Jh.<br />

v. Chr., H. 12,5 cm, Dm. 3,2 cm (<strong>Vorderasiatische</strong>s<br />

<strong>Museum</strong>, Inv.-Nr. VA Bab 647;<br />

Foto: Olaf M. Teßmer).


Beate Salje 133<br />

Abb. 7: Rekonstruktion des babylonischen<br />

Turmes im Maßstab 1:100, nach<br />

der graphischen Vorlage von <strong>Robert</strong><br />

<strong>Koldewey</strong> (1918), Pappe, bemalt,<br />

H. 48 cm (<strong>Vorderasiatische</strong>s <strong>Museum</strong>,<br />

Inv.-Nr. VAG 258; Foto: Olaf M. Teßmer;<br />

vgl. S. 116, Abb. 9).<br />

lonien auch die in Assyrien einschlossen, sind die gewaltigen Dimensionen der<br />

Ausgrabungen zu ermessen. Sowohl in Babylon als auch in Assur wurde mit<br />

jeweils 200 Arbeitern gleichzeitig gegraben, bei geringem wissenschaftlichem<br />

Personal. Über 18 Jahre verbrachten <strong>Koldewey</strong> <strong>und</strong> sein jeweiliges Team in Kuweirisch,<br />

einem Dorf bei den Ruinen Babylons. Dort entstand gleich zu Beginn<br />

der Grabungen im Jahr 1899 aus einem vom Dorfscheich gemieteten Haus<br />

durch Um- <strong>und</strong> Neubau ein großes Expeditionshaus, <strong>das</strong> genügend Raum zum


134 <strong>Robert</strong> <strong>Koldewey</strong> <strong>und</strong> <strong>das</strong> <strong>Vorderasiatische</strong> <strong>Museum</strong> <strong>Berlin</strong><br />

Abb. 8: Rekonstruktion des babylonischen<br />

Turms, Modell von H. Hallmann<br />

(1991) nach H. Schmid; Pappe, Epoxydharz,<br />

Gips, bemalt, H. 50 cm (<strong>Vorderasiatische</strong>s<br />

<strong>Museum</strong>, Inv.-Nr. VAG 1284;<br />

Foto: Olaf M. Teßmer).<br />

Leben <strong>und</strong> Arbeiten <strong>und</strong> für die Aufbewahrung der F<strong>und</strong>e bot. Immer wieder<br />

unterbrachen spektakuläre F<strong>und</strong>e den Grabungsalltag. 1899 war bereits eine<br />

Statue des Fürsten Puzur-Eštar von Mari aus den Schutthügeln westlich der<br />

Prozessionsstraße gef<strong>und</strong>en worden – eine Statue, die wohl als Beutestück<br />

von Mari nach Babylon verschleppt worden war. Aus dem sogenannten „Haus<br />

des Perlenschleifers“ kam im Jahr 1900, neben anderen bedeutenden F<strong>und</strong>en<br />

wie einem Szepter aus Onyx oder einem Spielbrett aus Bergkristall, ein großes<br />

Prunksiegel des Gottes Adad aus Lapislazuli zum Vorschein.<br />

Doch <strong>das</strong> größte Rätsel Babylons, <strong>das</strong> um die Existenz des Turms zu Babel,<br />

konnte erst in den Jahren 1912 bis 1914 angegangen werden. Die künstlerischen<br />

Darstellungen des Turmbaus zu Babel entsprangen bis dahin der Phantasie.<br />

Am bekanntesten ist wohl <strong>das</strong> Gemälde Pieter Brueghels des Älteren<br />

aus dem Jahre 1563, <strong>das</strong> mit seinem abgestuften R<strong>und</strong>bau teilweise an <strong>das</strong><br />

Kolosseum in Rom erinnert; zu sehen im Kunsthistorischen <strong>Museum</strong> in Wien.<br />

Von der Wirklichkeit waren diese Vorstellungen weit entfernt, was aber mit<br />

der Bauweise der mesopotamischen Zikkurrati zusammenhängt, deren Kern


Beate Salje 135<br />

aus einem noch heute sichtbaren Lehmziegelmassiv besteht. Diese amorphe<br />

Masse ist <strong>das</strong>, was man heute z. B. noch in Uruk sieht <strong>und</strong> was Herodot eventuell<br />

selbst in Babylon noch gesehen hat bzw. über was ihm berichtet wurde.<br />

Im archäologischen Bef<strong>und</strong> sind von den Außenmauern tatsächlich nur<br />

noch die untersten Ziegelschichten vorhanden, die bis auf wenige Gelegenheiten<br />

niedrigen Gr<strong>und</strong>wassers nicht zu sehen sind. Sie konnten jedoch zwei<br />

Mal genauestens studiert <strong>und</strong> aufgenommen werden, zunächst von Friedrich<br />

Wetzel im Jahr 1913 <strong>und</strong> in den 60er Jahren durch Hansjörg Schmid. Aufgr<strong>und</strong><br />

von Vergleichsbeispielen an anderen Orten Mesopotamiens (Ur, Uruk<br />

<strong>und</strong> Borsippa) hatte man eine Vorstellung vom Aussehen solcher Tempeltürme,<br />

so<strong>das</strong>s eine Modellrekonstruktion angefertigt wurde. Anhand von in Babylon<br />

gef<strong>und</strong>enen Keilschrifttafeln kannte man den Namen dieses Stufenturms (babylonisch<br />

Ziqqurrat) „E-temen-an-ki“ („<strong>das</strong> Haus des F<strong>und</strong>amentes des Himmels<br />

<strong>und</strong> der Erde“). Auch seine Funktion als Sitz des Gottes Marduk <strong>und</strong> Ziel<br />

der alljährlich stattfindenden Götterprozession anlässlich des babylonischen<br />

Neujahrsfestes sowie wahrscheinlich auch die Nutzung als Aussichtspunkt zur<br />

Beobachtung der Sternbilder durch chaldäische Sterndeuter ließ sich so ermitteln.<br />

Die Ausmaße des Turmes waren mit 90 mal 90 m Gr<strong>und</strong>fläche <strong>und</strong> 90<br />

m Höhe gewaltig. Nebukadnezar II. ließ ihn erneuern <strong>und</strong> berichtet in seiner<br />

Inschrift auf einem Bauzylinder: „E-temen-an-ki, die Zikkurat von Babylon, deren<br />

Stelle Nabupolassar, der König von Babylon, mein Vater <strong>und</strong> Erzeuger ...<br />

gereinigt <strong>und</strong> auf der Sohle der Gr<strong>und</strong>grube ihr F<strong>und</strong>ament errichtet hatte,<br />

ihre vier Wände außenherum aus Asphalt <strong>und</strong> gebrannten Ziegeln 30 Ellen<br />

hoch errichtet, ihr [eigentliches] Haupt [aber] nicht erhöht hatte: E-temen-an-ki<br />

zu erhöhen, ihr Haupt mit dem Himmel wetteifern zu lassen, legte ich Hand<br />

an ... Einen reinen Hochtem[pel], eine [wohlbehütete] Götterkamm[er] wie in<br />

früheren Tagen errichtete ich für Marduk, meine[n] Herrn, auf seinem Oberbau<br />

kunstvoll.“<br />

Millionen von Ziegeln müssen dafür verbaut worden sein, wahrscheinlich<br />

ein Werk von Jahrzehnten. Konnte mit dem Fall Babylons unter die persische<br />

Oberhoheit zunächst die Religion weiter frei ausgeübt werden, so kam es unter<br />

Xerxes wohl zu einer weitgehenden Zerstörung des Ortes, u. a. dem Abbruch<br />

der Mitteltreppe der Zikkurrat. Alexander der Große, der Babylon zum neuen<br />

Zentrum seines Ostreiches auserkoren hatte, ließ den Schutt des Tempelturms<br />

durch 10 000 Soldaten wegräumen, um einen neuen Tempelturm zu errichten.<br />

Durch seinen plötzlichen Tod im Jahre 323 v. Chr. sollte es nicht mehr dazu<br />

kommen.<br />

Die erste Rekonstruktion des babylonischen Turms durch <strong>Koldewey</strong> selbst<br />

beruhte auf den Untersuchungen <strong>Koldewey</strong>s <strong>und</strong> Friedrich Wetzels im Jahr<br />

1913 <strong>und</strong> konnte durch spätere Untersuchungen verfeinert werden. Erkenntnisse,<br />

die in die Modelle von Martiny aus dem Jahr 1931 <strong>und</strong> von Schmid aus<br />

dem Jahr 1991 einflossen.

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