19.08.2012 Aufrufe

9. Erotik ehepaare:musterseite Sonderbände 7.2

9. Erotik ehepaare:musterseite Sonderbände 7.2

9. Erotik ehepaare:musterseite Sonderbände 7.2

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Erotik</strong> bei Ehepaaren<br />

Darstellungen von Ehepaaren, die als direkte erotische Bildfindungen anzusprechen sind, gibt es nicht. Das erklärt sich<br />

so: Erstens ist eine Teilnahme athenischer Ehefrauen an Gelagen in der Epoche, aus welcher hier einbezogene Vasenbilder<br />

stammen, unüblich; zweitens hatte erotisch angereicherter Liebesgenuss wohl geringen Stellenwert im Eheleben.<br />

Trotz solcher globaler Aussagen – durch Quellentexte und Forschungsliteratur gleichermaßen zu gewinnen – ist eine<br />

breite Lebenswirklichkeit zu erschließen, die Ausnahmen einer schönen, erotisch erfüllten Zweierbeziehung in<br />

ehelichem Status kennt, und zwar über jene Zeit der Jungvermählten hinaus, in der die Frau besondere Anziehungskraft<br />

auf ihren Mann ausübt. So erwähnt E. Hartmann einen gewissen Nikeratos, der in seine Frau verliebt war und sie in ihn.<br />

Ich frage: Warum dürfen Ehefrauen, die sich zur Hochzeit erotisch anziehend, zuweilen im «Outfit» der Liebesgöttin<br />

– also in verführerischer Gewanddrapierung mit Schleier – präsentieren, diese Kleidung nicht auch später, vielleicht «in<br />

abgeschwächter Form», schätzen, um ihren Ehemännern zu gefallen?<br />

G Und es gab sie doch H<br />

Des Aristophanes Komödie «Lysistrate» offenbart<br />

«zwischen den Zeilen» Hinweise auf sinnlich-erotische<br />

Liebeserfüllung in der Ehe, selbst wenn die als liebestoll<br />

gezeichneten Frauen und Männer dichterische<br />

Übertreibung sind. Wie darf man folgende Feststellung<br />

des Aristophanes verstehen (Lys. 165 f.): «Der Mann hat<br />

keine Freude, wenn ihm das Weib nicht gern zu Willen<br />

ist»? Es kann sich, eingebettet in den Liebesstreik der<br />

Frauen, mit dem sie den Krieg zu beenden vermögen,<br />

durchaus um eine Widerspiegelung von ehelicher <strong>Erotik</strong><br />

handeln. Und schließlich gibt es da mehrere Komödienverse,<br />

welche von Ehefrauen favorisierte erotische Hilfsmittel<br />

und Verhaltensweisen thematisieren, die auffällig<br />

identisch sind mit Vorlieben der Hetären (Kap. V). Be-<br />

�������<br />

� Kapitel VI �<br />

Du nimmst doch gewiss nicht an, dass die Menschen um der<br />

Liebeslust willen Kinder zeugen, da ja die Straßen und Bordelle genug<br />

Möglichkeiten bieten, diese zu erfüllen.<br />

Xenophon Mem. 2, 2, 4<br />

Übers. R. Preiswerk<br />

schaffen die Ehefrauen aufreizende Kleidung in der Komödie<br />

auch erst, um, ähnlich betörend wie Hetären, in<br />

den Liebesstreik zu treten, heißt das m. E. nicht, dass sie<br />

nicht doch irgendwo aus einer Truhe durchsichtige Gewandung<br />

für «bestimmte Anlässe» hervorzauberten, unter<br />

der sie sich sehr wohl bewegten jenseits der Komödienwelt,<br />

in welcher es heißt (Lys. 151 ff.): «Wir sitzen hübsch<br />

geputzt daheim, wir gehen / Im transparenten Kleid von<br />

Kos, wie nackt, / Mit glattgerupftem Schoß [also mit ausgezupften<br />

Schamhaaren] vorbei an ihnen [den Männern]».<br />

Die Annahme, Ehefrauen im antiken Athen hätten<br />

keine erotischen Szenarien als Eigeninitiative gekannt,<br />

bezweifle ich, denn ist die Frau kreativ im Überbringen<br />

ihrer erotisch anregenden Signale, muss dem Mann gar<br />

<strong>Erotik</strong> bei Ehepaaren | 97


nicht unbedingt auffallen, dass nicht er allein, seinem<br />

männlichen Selbstverständnis entsprechend, den sexuellen<br />

Kontakt beginnt. In der «Lysistrate» weist Schminke,<br />

mit der sich die Frauen attraktiv machen, zwar auf ihre<br />

Lüsternheit hin, aber dezent verwendet, könnte es sein,<br />

dass der Mann die Spuren der Verschönerung überhaupt<br />

nicht bemerkt. Bei Xenophon allerdings übertreibt die<br />

junge Frau des Ischomachos, so dass er ihr nachdrücklich<br />

vom Gebrauch der Schminke abrät (Xen. Oik. X 7).<br />

Letztendlich kann man für die Antike kaum Genaues<br />

über eheliches Sexualverhalten, erotische Tricks, gestillte<br />

und ungestillte Liebeswünsche herausfinden. Einerseits<br />

begründet sich der Mangel an bildlichen Darstellungen<br />

von Zärtlichkeiten oder gar Liebesakten, die im Ehebett<br />

vorstellbar sind, sicherlich aus der Tatsache, dass positiv<br />

empfundenes, erfülltes Sexualleben in der Ehe gegenüber<br />

der pragmatisch geforderten Zeugung von Nachkommenschaft<br />

eine geringere Bedeutung zukam. Andererseits ist<br />

der Mangel an bildnerisch umgesetztem Ehegeschehen<br />

primär damit zu erklären, dass die Regeln des bürgerlichen<br />

Anstands es verboten, eheliche Intimitäten in die Öffentlichkeit<br />

zu tragen. E. C. Keuls vermutet, dass die Frau<br />

beim ehelichen Sexualverkehr ihre Kleidung anbehielt.<br />

Meint sie, aus Scham? Gewiss, denn für ihren Forschungskontext<br />

ist der Gedanke an reizvolle Liebe unter<br />

dem Chiton, der den Körper nicht einengte, makellos<br />

wogende Körperformen attraktiv umfloss oder weniger<br />

schöne Figurteile geschickt verbarg, unpassend. Wer auch<br />

in innigen Paarbildern sinnliche Kommunikation rezipiert,<br />

könnte Vasenmalereien mit dem Abschied des Kriegers<br />

von seiner Frau (Abb. 70) zu jenen Ehepaarbildern<br />

zählen, die Erotisches freisetzen. Die Darstellung erlaubt<br />

m. E. den Bezug zum Terminus philótes, der in<br />

der 2. Hälfte des 7. Jhs. v. Chr. vom archaischen Dichter<br />

Mimnermos von Kolophon verwendet wurde für erotische<br />

Verbindungen, die Aphrodite gewährt. Gemäß<br />

B. Wagner-Hasel bezeichnet philótes im Epos allgemeine<br />

Bindungsverhältnisse, die «nicht qua Geburt oder Kon-<br />

98 | <strong>Erotik</strong> bei Ehepaaren<br />

vention bestehen, sondern über ein bestimmtes Ritual erst<br />

gestiftet werden». Und ein solches ist ja die Eheschließung,<br />

welche Bindung u. a. durch geschlechtliche Vereinigung<br />

begründet.<br />

Zarte erotische Signale entsenden auch Darstellungen<br />

aus dem Bereich des Grabkults (Kap. XII). Grabepigramme<br />

des 6./5. Jhs. loben Frauen bezüglich Tüchtigkeit,<br />

Fleiß, Zurückhaltung, Qualität als Wirtschafterin. Erst im<br />

4. Jh. v. Chr. bezeugen sie Liebe zwischen Ehepartnern.<br />

Auf Erotisches abzielende Erinnerungsschriften fehlen.<br />

Zwei Reliefs an Lekythen reihte C. Reinsberg der verhalten<br />

erotischen Ehepaardarstellung ein, indem sie die<br />

Funktion des Ehebettes ansprach. Es handelt sich um<br />

Bildfindungen an Salbölfläschchen aus attischen Gräbern.<br />

Auf dem Gefäß aus der Zeit um 350 v. Chr., das verschollen<br />

ist, lagert der Bräutigam auf dem Ruhebett und<br />

spendet der Liebesgöttin ein Weihrauchopfer ins Thymiaterion.<br />

Es steht neben dem Bett. Ein kleiner Eros unterstreicht<br />

das hochzeitliche Thema. Der Szene attributiv zugeordnet,<br />

hockt er am Boden. Am Fuß der Kline sitzen<br />

Braut und Brautführerin; eine weitere Frau gesellt sichstehend<br />

hinzu. Im Relief des anderen Gefäßes (375/350<br />

v. Chr. Staatliche Museen Berlin, Antikensammlung,<br />

F 2704) sind die Vermählten allein gemeint, vorausgesetzt,<br />

man deutet die beidseitig der Kline auf einem Stuhl<br />

sitzenden Frauen vorstellig, also sieht in ihnen die jung<br />

Verheiratete in ihrer zukünftigen Rolle als Ehe- und Hausfrau.<br />

Die Braut hat ihr Gewand vom Körper gezogen und<br />

hält es mit ihrer Rechten dekorativ hinter sich, ähnlich<br />

wie es Aphrodite tut (Typus Neapel/Paris; römische<br />

Kopie nach griechischem Original um 420 v. Chr.; Paris,<br />

Musée du Louvre, 525). Ansonsten erscheint die Jungvermählte<br />

nackt bis auf das verhüllte rechte Bein. Ob in den<br />

Lekythenreliefs tatsächlich Ehepaare dargestellt sind? Direkter<br />

Bezug auf die Liebesgöttin wäre einleuchtender, besonders<br />

für jene Komposition, in der die Braut fast nackt<br />

gezeigt wird. Ist die «normale» Braut gemeint, dann muss<br />

eine ikonographische Identifikation mit Aphrodite vorlie-<br />

Abb. 70<br />

Ob er heimkehrt, weiß sie nicht. Weinmischgefäß<br />

(Stamnos), um 430 v. Chr. München, Staatliche Antikensammlungen,<br />

Museum antiker Kleinkunst, 2415.


gen. Bearbeitet man die Darstellung unter diesem Gesichtspunkt,<br />

könnte sich vielleicht eine jüngere Entstehungszeit<br />

der Lekythos ergeben. «Eheliche <strong>Erotik</strong>» entdeckt<br />

man sehr verschlüsselt in Vasenmalereien, wenn<br />

durch eine geöffnete Tür der Teil eines Bettes sichtbar wird<br />

oder eine Frau mit gelöstem Gürtel abgebildet ist. Nach<br />

«wenig erotischem Knistern» jenseits der Brautzeit klingt<br />

jener Chorpassus in Euripides’ «Iphigenie in Aulis», demzufolge<br />

gelebte <strong>Erotik</strong> zwischen Eheleuten in den ersten<br />

Monaten ihres neuen Status zwar existiert, bei Fortdauer<br />

jedoch gefährdet sein kann durch der Aphrodite und des<br />

Eros beunruhigende Kraft (v. 544–557): «Selig, wer mit<br />

bescheidnem Sinn / Und mit mäßiger Leidenschaft /<br />

Pflückt die Freuden der Liebe, / Dessen Herz kein tobender<br />

Sturm / Rasender Triebe erschüttert; denn / Zweierlei<br />

Pfeile der süßen Qual / Schießt der goldhaarlockige Gott,<br />

100 | <strong>Erotik</strong> bei Ehepaaren<br />

/ Einen milden zu sanftem Glück, / Einen verderblichen,<br />

der’s zerstört. / Schönste Kypris, behüte vor / Diesem<br />

Pfeil mein häusliches Glück! / Lass mich keusche Begier<br />

und Reiz / Zwar empfinden, allein mit Maß, / Pflücken<br />

der Liebe Freuden und Lust, / Doch obsiegen dem Unmaß!»<br />

E. C. Keuls erwägt anhand eines Vasenbildes, in dem<br />

sie bestimmtes Schuhwerk als «Hochzeitsslipper» erkennt,<br />

diese in Analogie zu den Schnabelschuhen der nieder -<br />

ländischen Barockmalerei zu erklären. Dort symbolisieren<br />

sie Kopulation, Gefahr und Verführung. Die Forscherin<br />

möchte «Hochzeitsslipper» als Zeichen für Sex in der<br />

Ehe interpretieren und vermutet, das Alabastron in<br />

Frauenhand spiele auf jenes Öl an, mit dem die Ehefrau<br />

ihren Mann vor und nach dem Sexualverkehr salbte<br />

(s. Kap. XIII: Aphrodisiaka).

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!