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Predigt: Violett - Martin-Luther-Gemeinde Bremen-Findorff

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Diese Frauenfreundschaft verändert Celie - mit Staunen entdecktsie die in ihr schlummernden Kräfte, befreit sich langsam ausihrem Gefängnis von Gewalt und Unterdrückung.Aber was hat das ganze mit der Farbe Lila zu tun?Beim Durchblättern fand ich genau die Stelle, die dem Buchseinen Namen gegeben hat. Und ich möchte Ihnen gerne darausdiese eine Seite vorlesen. Denn sie führt uns – wie ich finde -mitten hinein in das, was <strong>Violett</strong> auch im Kirchenjahr bedeutet,(und was Frau Jaeger mit diesen Antependien so wunderschöngestaltet hat.) Es ist ein Ausschnitt aus einem Gespräch zwischender Ich-Erzählerin Celie und der Sängerin Shug – ausgerechnetüber Gott.„Und das isses, sagt Shug. Das, was ich glaub. Gott is in dir drinund in jedem andern auch. Du kommst schon auf die Welt mitGott. Aber nur wer innen sucht, findet Es. Und manchmal wird Esoffenbar, auch wenn du Es nicht suchst, oder nicht weiß, wonachdu suchst. Bei den meisten Leuten, wenn sie Kummer haben,denk ich. Sorgen, ach Gott. Sich hundeelend fühlen.Es? frag ich.Jaja, Es. Gott ist nicht ein Er oder eine Sie, sondern ein Es.Aber wie sieht Es aus, frag ich.Sieht nicht wie irgendwas aus, sagt sie. Is doch kein Kino.Es is nix, was du von was anderm getrennt ankucken kannst,


einschließlich dir selbst. Ich glaube, Gott is alles, sagt Shug.Alles, was is oder gewesen is oder sein wird. Und wenn du dasspürst und froh bist, dass dus spürst, dann hast dus gefunden.Shug (…) runzelt bisschen die Stirn, kuckt raus über den Hof,lehnt sich in ihrem Stuhl zurück, sieht aus wie eine große Rose.Sie sagt: Mein erster Schritt von dem alten weißen Mannweg waren die Bäume. Dann die Luft. Dann die Vögel. Dann andreLeute. Aber an einem Tag, wie ich ganz still dagesessen bin undmich gefühlt hab wie ein Kind ohne Mutter, und das war ich ja, dakam es mir: so ein Gefühl, dass ich ein Teil von allem bin, nichabgetrennt. Und ich hab gelacht und geweint und bin im ganzenHaus rumgerannt. Ich hab genau gewusst, was Es war. Ja,wirklich, wenns passiert, da kannst dus nich verpassen. Es is sone Art wie du weißt schon was, sagst sie und grinst (und reibtoben an meinem Schenkel).Shug! sag ich.Ach, sagt sie. Gott mag die ganzen Gefühle. Das is was vomBesten, was Gott gemacht hat. Und wenn du weißt, dass Gott siemag, dann hast du einen Haufen mehr Spaß dran. Dann kannstdu einfach loslassen und laufen mit allem, was läuft, und Gottdamit preisen, dass du magst, was du magst.Findet Gott das nich schmutzig? frag ich.Nä, sagt sie, Gott hats doch gemacht. Hör mal, Gott hatalles gern, was du gern hast – und noch eine Menge Zeug, was du


nich nich gern hast. Aber mehr wie alles andre mag Gott, wennman was bewundert.Soll das heißen, dass Gott eitel is? frag ich.Nä, sagt sie. Nich eitel, nur will Es was Gutes auch teilen.Ich glaub, es stinkt Gott, wenn du irgendwo in einem Feldan der Farbe Lila vorbeigehst und sie nich siehst.“Fast zufällig kommt sie daher, die Farbe Lila. Fast, als hätte Shugauch rot oder gelb sagen können, an dem man im Feld nichtachtlos vorbeigehen soll. Aber (so weit reicht mein Wissen vomDeutsch-Leistungskurs noch) der Roman hätte nicht diesen Titel,hätte die Farbe Lila nicht eine tiefere Bedeutung.Anfang der 80er Jahre war violett nicht einfach eine modischeFarbe, sondern – manche unter uns erinnern sich bestimmt noch -die Farbe der Frauenbewegung (schlechthin). [Viele feministischeProjekte wählten Lila als Teil ihres Namens, „Lila Latzhosen“ istbis heute ein geprägter Begriff – mit negativen wie positivenAssoziationen.]Aus Blau und Rot, also männlicher und weiblicher Symbolikzusammensetzt, steht <strong>Violett</strong> für den Wunsch bzw. die Sehnsuchtnach ganzheitlichem Menschsein, in dem wir uns nicht auf unserejeweilige Geschlechtsrolle festgelegen und allein darüberdefinieren lassen (so habe ich in der Vorbereitung auf diese


<strong>Predigt</strong> bei der Psychologin Ingrid Riedel erfahren). Es gab Zeiten– und manchmal scheint es so, als gibt es sie noch oder wieder -,da galt es als unschicklich, wenn eine Frau ihr Auto selbstreparierte oder ein Mann Kuchen buk.<strong>Violett</strong> ist hier also die Farbe des Wandels, der Befreiung ausalten Rollen, denn in ihr ist männlich und weiblich (blau und rot)vereint. Jede Frau – das ist inzwischen Allgemeinwissen/ (damitsage ich Ihnen nichts Neues) - hat männliche Seiten, jeder Mannweibliche Anteile. Wir schneiden uns von unserer Lebendigkeitab, wenn wir die abspalten und nicht integrieren. Ein Thema, daslängst auch von Männern entdeckt wurde!Wenn Celie im Roman sich also in einem Feld an der Farbe lilaerfreut, entdeckt sie (symbolisch) neue, bislang nicht gewagteHandlungsmöglichkeiten, die sie ausbrechen lassen aus einerdemütigenden und gewalttätigen Ehe und der Rolle/demVerständnis von Frauen als Opfer (hin zur Selbstbestimmung).„Die Farbe Lila“ steht also für Befreiung. Und zwar – so versteheich es – nicht nur in Bezug auf die Geschlechter-/Genderfrage, esgeht um viel mehr: um jedwede Befreiung aus Gewaltstrukturenund Unterdrückung.


Und hier komme ich auf die christliche Symbolik der Farbe<strong>Violett</strong>. Im Kirchenjahr ist sie die Farbe der Buß- und Passionszeit.Der Leidenszeit. (Sie steht für den Weg zum Kreuz. Für Trauer.)Der Künstler Franz Marc schrieb 1912 an seinen Freund undKollegen August Macke: „Mischst du z.B. das ernste, geistigeBlau mit Rot, dann steigerst Du das Blau bis zur unerträglichenTrauer.“ Als so ein tief-trauriges <strong>Violett</strong> erlebe ich hier dieGrundfarbe des Paramentes an der Kanzel. (Wenn ich es längerbetrachte, spüre ich fast einen Sog, der in die Trauer hineinzieht.)In ihm wie am Altar findet sich der Aspekt des Leidens auch inden ganz zart hinein gewebten Kreuzen wieder. Fast sind sie nurangedeutet.Ich habe vorher nicht erfragt, was die Künstlerin sich dabeigedacht hat – und ich fände es spannend, liebe Frau Jaeger,wenn Sie dazu nachher im Gespräch Auskunft geben würden – ichinterpretiere das so:Die Passionszeit mit ihrer Betrachtung der LeidensgeschichteJesu und des Leidens in der Welt wird oft missverstanden oderauch missbraucht für die Faszination am Leid, am Tod, ja für eineArt Verliebtheit der Kirche ins Leid.Dabei geht es (im Evangelium doch) genau um das Gegenteil: umdie Verwandlung von Leid, um Aufrichtung und Heilung, umAuferstehung aus dem Tod! Jesus hat nicht um des Leidens willen


gelitten, sondern sich dem Leben hingegeben, um Leiden einEnde zu bereiten.Und diese Dynamik entdecke ich auch in dem Kanzelwandbild:Die Waagerechte des Kreuzes ist nicht grade, bildet keinenrechten Winkel, sondern ist einer Schale gleich, oder wie Arme,die sich zum Himmel hin ausstrecken – sich sehnen nach Gott,sich neu dem Leben öffnen, ja sich aufrichten und aufbrechenwie Vogelflügel. Da ist die Auferstehung schon zu ahnen.Gleichzeitig ist es auch wie ein umgedrehter Regenbogen – dasZeichen des Bundes, des Jas: nur diesmal als Antwort an Gott, alsBereitschaft, ihn zu empfangen. Ein Bogen aus lauter <strong>Violett</strong>-Variationen, in der Mitte das Rot für Blutes, für Hingabe, fürLeben.Und so spiegelt das <strong>Violett</strong> der Passionszeit für mich dieSehnsucht nach, ja den Beginn von Heilung, von Befreiung undAufrichtung aus Leid und Unterdrückung. Es ist die Farbe derWandlung, der Umkehr, die das Leid weder ausblendet noch sichdamit abfindet, es weder um jeden Preis meidet noch esverherrlicht. Sondern auf Gottes Kraft, auf sein Kommen undDurchdringen unserer Welt vertraut.<strong>Violett</strong> – das ist ja die Mischung von rot und blau. Rot – Farbe desBlutes, des Feuers, der Leidenschaft, der Liebe, der Kraft, der


Erde/Materie. Rot erhitzt Körper und Gemüt allein beimBetrachten. Und Blau – Farbe des Geistes, der Gelassenheit, derRuhe, des Denkens, des Himmels. Blau kühlt und beruhigt. Wenndiese beiden entgegen gesetzten Pole zusammenkommen, dannist das spannungsreich - der Geist ringt mit dem Fleisch, um es zudurchdringen – so z.B. das alte Verständnis der Fastenzeit -, oderin der Alltagserfahrung: der Bauch streitet mit dem Kopf. (DieseSpannung, ja fast Spaltung könnte hier in dem Antependium amLesepult angedeutet sein.)Zugleich kann die Mischung von rot und blau aber auch eineVerbindung dieser Gegensätze bedeuten, Harmonie schaffen: Im<strong>Violett</strong> berühren sich Himmel und Erde, kommen Gott undMensch zusammen, werden eins. So, wie Shug das in der „FarbeLila“ sehr klar auf den Punkt gebracht hat: „Gott is nix, was duvon was anderm getrennt ankucken kannst, einschließlich dirselbst.“Niemand steht so für dieses Einswerden von Gott und Menschwie Jesus Christus. Er gilt als Mittler zwischen Himmel und Erdeschlechthin. Und so ist violett auch die Farbe der Adventszeit.dieser Zeit, in der wir als Christinnen und Christen uns auf seineAnkunft vorbereiten, auf das Kommen Gottes in diese Welt – inGestalt eines kleinen Kindes in Windeln - in einem Menschen ausFleisch und Blut. In Jesus wurde (für uns) spürbar, dass Gott nicht(nur) in den fernen hohen Himmeln thront, sondern sich ganz und


gar einlässt auf uns Menschen, auf unsere Tränen, unser Lachen,ja unser ganzes Leben.Als Symbol für Jesus Christus hat Frau Jaeger auf dem Altar-Antependium eine Mandorla gewebt. Eine Mandorla - italienischfür Mandel - ist wie ein Heiligenschein – nur um die ganze Personherum. Seit 1500 Jahren kommt sie in der Kunst vor, meist miteiner Abbildung von Christus in der Mitte.In dieser Mandorla, die zugleich auch eine sehr weibliche Formist, ist die Mitte nicht (aus)gestaltet - bis auf ein feines Kreuz. Esweist auf Jesu Leidensweg hin. Zugleich empfinde ich dieOffenheit dieser abstakte Gestaltung wie eine Einladung, uns indieses Kreuz selbst einzutragen, mit dem, woran wir ganzpersönlich leiden, mit unseren Geschichten von Angst, Schuldund Verletzung, mit unserer Sehnsucht nach Heilung undBefreiung. Mit unserem Kreuz, unserem Schicksal, unserer ganzeigenen Bestimmung. Denn auch in jeder und jedem von unskommt das von Gott auf die Welt.Und so laden all die Zeiten im Kirchenjahr, die mit diesenvioletten Behängen ausgestattet sind – die Passionszeit, dieAdventszeit und der Buß- und Bettag, uns ein, uns wieder zuöffnen für die spirituelle Dimension in unserem Leben, für Gott.


(Für Gott nicht als alten weißen Mann, sondern dem Gott, deralles is, was is oder gewesen is oder sein wird.)Darum sind es auch (allesamt) Fastenzeiten. Denn im Fastenverzichten wir auf Unnötiges, lassen den ganzen Ballast weg, derunseren Alltag oft so vollstopft – beschränken uns. Und schaffenso bewusst Raum in uns für Gott. Öffnen unsere Sinne für seineSpuren in unserem Leben. Damit wir in einem Feld nicht achtlosan der Farbe Lila vorbei gehen, sondern uns mit Gott an ihrfreuen.Amen.

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