Demenz und Harninkontinenz
Demenz und Harninkontinenz
Demenz und Harninkontinenz
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PRAXIS . THEMA<br />
<strong>Demenz</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Harninkontinenz</strong><br />
Die <strong>Harninkontinenz</strong> zählt zu den häufigsten Alterserkrankungen. Schätzungen<br />
gehen von vier bis acht Millionen Betroffenen in Deutschland aus.<br />
Viele der inkontinenten Personen sind zusätzlich von <strong>Demenz</strong> betroffen.<br />
Die Ausscheidung <strong>und</strong> alles was<br />
damit zusammenhängt sind<br />
stark tabuisiert <strong>und</strong> bei vielen<br />
Menschen schambesetzt <strong>und</strong> peinlich.<br />
Dies macht es für Betroffenen<br />
<strong>und</strong> Pflegende schwer, sachlich über<br />
die damit verb<strong>und</strong>enen Probleme zu<br />
sprechen. Besonders schwierig gestaltet<br />
sich ein sachliches Gespräch mit<br />
BUCHTI PP<br />
Patienten, die zusätzlich an <strong>Demenz</strong><br />
leiden. Versteht ein <strong>Demenz</strong>kranker,<br />
warum es bei der Pflege erforderlich<br />
ist, in seinen intimsten Bereich einzugreifen,<br />
z.B. wenn die Vorlage gewechselt<br />
oder die Haut von Ausscheidungen<br />
gereinigt wird? Die aus solchen<br />
Situationen evtl. entstehenden Ekel-,<br />
Scham- <strong>und</strong> Schuldgefühle gegenüber<br />
Zahlreiche Informationen <strong>und</strong> Tipps für die Pflege dementer Patienten<br />
mit Blasen- <strong>und</strong> Darmschwäche erhalten Sie in der Broschüre<br />
„Inkontinenz in der häuslichen Versorgung <strong>Demenz</strong>kranker“ aus der<br />
Praxisreihe der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V., Band 8.<br />
Zu bestellen bei:<br />
Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V., Friedrichstr. 236, 10969 Berlin<br />
Tel.: 030 2593795-0, Kosten: 3 € inkl. Versand<br />
E-Mail: info@deutsche-alzheimer.de, www.deutsche-alzheimer.de<br />
Für die Orientierung von <strong>Demenz</strong>kranken<br />
sind herkömmliche Symbole oft geeigneter<br />
sich selbst <strong>und</strong> den Pflegenden können<br />
bei dementen Personen besonders<br />
ausgeprägt sein <strong>und</strong> führen nicht<br />
selten zu Abwehrreaktionen.<br />
In der Pflege <strong>und</strong> Begleitung von<br />
Menschen mit <strong>Demenz</strong> gilt es besonders,<br />
die vorhandenen Ressourcen zu<br />
stärken <strong>und</strong> zu nutzen, um Eigenständigkeit<br />
<strong>und</strong> somit Kontrollmöglichkeiten<br />
zu erhalten <strong>und</strong> zusätzliche<br />
Beschämung zu vermeiden. Durch<br />
professionelle pflegerische Interventionen<br />
zur Kontinenzförderung kann<br />
Lebensqualität erhalten werden (siehe<br />
Tabelle rechts).<br />
Im nationalen Expertenstandard<br />
„Förderung der Harnkontinenz in der<br />
Pflege“ wird als Ziel formuliert, das<br />
höchstmögliche Maß an Kontinenz<br />
mit der größtmöglichen Selbstständigkeit<br />
für Patienten bzw. Bewohner<br />
zu erreichen. Dazu ist es in einem ersten<br />
Schritt notwendig, die reversiblen<br />
<strong>und</strong> irreversiblen Faktoren, die eine Inkontinenz<br />
begünstigen, die vorliegende<br />
Inkontinenzform <strong>und</strong> Fähigkeiten<br />
<strong>und</strong> Bedürfnisse der Betroffenen festzustellen,<br />
um gezielte Interventionen<br />
auswählen zu können.<br />
FAZIT FÜ R DI E PR AXIS<br />
Das Ziel der Kontinenzförderung ist<br />
erreicht, wenn der pflegebedürftige<br />
Mensch durch pflegerische Interventionen<br />
Kontrolle über seine Ausscheidungen<br />
beibehalten oder wiedererlangen<br />
kann bzw. die Inkontinenz so<br />
kompensiert wird, dass sie die Lebensqualität<br />
nicht allzu stark einschränkt.<br />
Um dieses Ziel mit dementen Patienten<br />
zu ereichen, bedarf es spezieller<br />
pflegerischer Interventionen.<br />
Erika Sirsch<br />
Daniela Hayder<br />
KONTEXT<br />
Ausführliche Literaturangaben<br />
zum Thema finden Sie unter:<br />
www.heilberufe-online.de<br />
22 Heilberufe 8.2006<br />
Foto: PantherMedia
Foto:<br />
Maßnahmen zur Kontinenzförderung<br />
von Menschen mit <strong>Demenz</strong>:<br />
Orientierung <strong>und</strong><br />
Räumlichkeiten<br />
Bewegung<br />
Hygiene <strong>und</strong><br />
Hautpflege<br />
Ernährung <strong>und</strong><br />
Flüssigkeitsaufnahme<br />
Geeignete Kleidung<br />
Persönliche Rituale<br />
Gezieltes<br />
Toilettentraining<br />
Inkontinenzhilfsmittel<br />
CH ECKLISTE<br />
Bei demenziell Erkrankten kann es durch Wahrnehmungsstörungen oder Einschränkung der Orientierung zu Inkontinenz<br />
kommen. Die Toilette wird nicht mehr gef<strong>und</strong>en oder der Weg dahin ist ihnen nicht vertraut. Hier hilft<br />
die Begleitung zur Toilette oder auch das Anbringen spezieller Hinweisschilder, die aus der Lebenswelt der Betroffen<br />
vertraut sind. Ein Herzchen an der Tür wird oft besser erkannt als ein modernes Piktogramm. Bei Menschen mit<br />
<strong>Demenz</strong> kann vorkommen, dass sie ein „schickes“ neues Bad gar nicht als solches erkennen.<br />
Es sollte darauf geachtet werden, dass der Weg zur Toilette nicht verstellt ist, Schwellen <strong>und</strong> Teppiche den Gang zur<br />
Toilette nicht erschweren <strong>und</strong> so einen „rechtzeitigen“ Toilettengang behindern.<br />
Die Mobilität eines Menschen hat Auswirkungen auf die körperliche <strong>und</strong> geistige Verfassung. Durch Bewegung<br />
wird auch die Organtätigkeit, insbesondere die Darmfunktion, angeregt. Der Weg zur Toilette ist somit im doppelten<br />
Sinn ein Training. Zum einen wird die Toilette in definierten Intervallen zur Miktion aufgesucht, zum anderen<br />
wird die körperliche Mobilität gefördert. Halterungen im Bad oder Toilettenerhöhungen können den Erhalt der<br />
Selbstständigkeit erleichtern.<br />
Die Einhaltung der Hygiene ist erforderlich, um Blasenentzündungen vorzubeugen, Gerüche zu vermeiden <strong>und</strong> die<br />
Haut zu schützen. Urin <strong>und</strong> Stuhl greifen die Haut stark an. Gerötete, rissig irritierte Haut kann zu Pilzinfektionen<br />
führen. Zudem können feuchtes Toilettenpapier oder Zusatzstoffe (Duft- oder Konservierungsmittel) in Pflegehilfsmitteln<br />
Allergien auslösen.<br />
Persönliche Vorlieben des Betroffenen sollten in den Speise- <strong>und</strong> Trinkplan einbezogen werden. Große Tassen<br />
<strong>und</strong> Gläser haben sich bewährt, um die Trinkmenge zu erhöhen. Da das Austrinken zur Gewohnheit geworden<br />
ist, leeren viele Menschen die Tasse unabhängig davon, welche Füllmenge sie hat. Flüssigkeit kann auch über die<br />
Nahrung, z.B. Joghurt <strong>und</strong> Suppe, aufgenommen werden. Viele Obstsorten, z.B. Wassermelonen, enthalten viel<br />
Flüssigkeit.<br />
Ballstoffreiche Ernährung beugt Obstipation vor. Hausmittel wie Sauerkrautsaft, Trockenobst, das kalte Glas<br />
Wasser auf nüchternen Magen oder Leinsamen mit viel Flüssigkeit aufgenommen, können als Obstipationsprophylaxe<br />
eingesetzt werden.<br />
Luftdurchlässige, aus Naturfasern bestehende Unterwäsche beugt einem feuchtwarmen Klima vor <strong>und</strong> kann<br />
so vor einer Blaseninfektion schützen. Reißverschlüsse <strong>und</strong> Knöpfe sollten sich gut greifen <strong>und</strong> leicht öffnen<br />
lassen.<br />
Jeder hat eigene Gewohnheiten beim Toilettengang. Das kann z.B. das Lesen der Zeitung sein. Lassen Sie dem<br />
Betroffenen die Zeit, die er braucht, <strong>und</strong> sorgen Sie für eine gewohnte Atmosphäre, auch wenn die Zeitung „nur“<br />
gehalten, aber nicht mehr gelesen wird. Das bedeutet, die Toilette sollte angenehm temperiert, gut gelüftet <strong>und</strong><br />
ansprechend sein.<br />
Viele an <strong>Demenz</strong> Erkrankte verlieren das Gefühl für den geeigneten Ort zur Ausscheidung. Sie wissen jedoch,<br />
dass sie beispielsweise die Kleidung entfernen oder sich hinhocken müssen. Andere Personen suchen die Nähe<br />
der Toilette auf oder werden sichtlich unruhig, wenn sie Harn- oder Stuhldrang verspüren. Die rechtzeitige Interpretation<br />
dieser Zeichen verhindert, dass die Ausscheidung an ungeeigneten Orten geschieht.<br />
Menschen mit demenziellen Erkrankungen verspüren häufig den Harndrang, „schaffen“ es aber nicht mehr rechtzeitig<br />
zur Toilette. Um ihnen dennoch die Möglichkeit zu geben, (teilweise) kontinent zu bleiben oder zu werden,<br />
kann ein Toilettentraining sinnvoll sein. Es gibt verschiedene Arten des Toilettentrainings. Es wird unterschieden in:<br />
angebotenem Toilettengang, dem Toilettengang zu individuellen <strong>und</strong> festgelegten Zeiten. Es kann allerdings einige<br />
Tage oder Wochen dauern, bis sich ein Effekt einstellt. Die positive Anerkennung des Betroffenen, eine positive<br />
Verstärkung, wenn das Toilettentraining erfolgreich verläuft, ist dabei hilfreich.<br />
Um inkontinenten Personen die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, sollten individuelle Hilfsmittel,<br />
die sich speziell an den Bedürfnissen der Person orientieren, ausgesucht werden. Es können ableitende oder<br />
aufsaugende Hilfsmittel sein, die die vorhandenen Selbsthilfepotenziale des Betroffenen unterstützen. Aus Gründen<br />
der Lebensqualität <strong>und</strong> Ökonomie sollten sie so klein wie möglich <strong>und</strong> so groß wie nötig sein. Bei der Nutzung<br />
sind die Hinweise der Hersteller unbedingt zu beachten, um Komplikationen zu vermeiden.<br />
THEMA . PRAXIS<br />
8.2006 Heilberufe 23