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A+U 3/99 innen-2 - bei der IGUMED

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■ FORUMInterdisziplinäre Gesellschaft fürUmweltmedizin e.V.Eine Gesellschaft zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Zusammenar<strong>bei</strong>t von Natur- und Geisteswissenschaften in <strong>der</strong>umweltmedizinischen Forschung und Anwendung<strong>IGUMED</strong>-Geschäftsstelle: Bergseestr. 57, 79713 Bad Säckingen, Tel: 07761 - 91 34 90, Fax: 07761 - 91 34 91Die neue deutsche Bundesregierung hat ihre Klage gegen den EU-Werbe-Stopp für Tabakwarennoch immer nicht zurückgenommenDie Frühjahrstagung <strong>der</strong> <strong>IGUMED</strong> am 07.und 08. Mai 1<strong>99</strong>9 in Fulda befaßte sich untermedizinischen und juristischen Aspektenmit den Gesundheitsschäden des Tabakskonsums.Der <strong>IGUMED</strong>-Vorstand beschloß, sich andie Bundesregierung zu wenden, weil diesedie deutsche Klage gegen das Verbot <strong>der</strong>Werbung für Tabak durch die Richtlinie98/43/EG vor dem Europäischen Gerichtshofnoch nicht zurückgenommen hat.Den Hintergrund <strong>der</strong> Klage erläuterte fürdie <strong>IGUMED</strong> einführend HanspeterSchmidt, Rechtsanwalt am OberlandesgerichtKarlsruhe und Fachanwalt für Verwaltungsrecht.Die Klage sei von <strong>der</strong> alten Bundesregierungnoch in den letzten Tagenihrer Amtszeit erhoben worden. Die neuenRegierungsparteien, so auch Frau BundesjustizministerinDäubler-Gmelin, hätten denBundestagskampf mit <strong>der</strong> Zusage an dieWähler geführt, die Klage zurückzunehmen.Die Richtlinie sei im Juli 1<strong>99</strong>8 nachlangjährigen Beratungen verabschiedetworden. Sie enthalte ein umfassendes Verbotfür alle Arten <strong>der</strong> Werbung und desSponsoring für Tabakerzeugnisse. Ausgenommenist nur die Werbung an speziellenTabakverkaufsstellen sowie Mitteilungenund Aufmachungen, die für die gewerblicham Tabakhandel Beteiligten bestimmt sind.Die alte Bundesregierung habe aufgrundeines Beschlusses des alten Bundestagesdie Klage mit dem Argument erhoben, dieEuropäische Union habe sich eine Zuständigkeitfür die Gesundheitspolitik angemaßt,die ihr nach dem EU-Vertrag nicht zukomme,weil die Tabakwerberichtlinie nichtin erster Linie auf die Herstellung eines gemeinsamenMarktes, son<strong>der</strong>n auf einengeringeren Konsum von Tabakerzeugnissengerichtet sei. Der neue Bundestag seimit <strong>der</strong> Frage, ob die Klage wirklich zurückgenommenwerden soll, noch nicht befaßt.Das jetzt fe<strong>der</strong>führende Bundesfinanzministeriumführe die Klage gegenwärtig nochimmer, wie von <strong>der</strong> alten Bundesregierungeingereicht, fort. Schmidt trug vor, die IGU-MED geht davon aus, daß Tabakwerbungbetrieben werde, um den Konsum von Tabakerzeugnissenzu steigern. Wäre diesnicht <strong>der</strong> Fall, würde nicht Tabakwerbungim heute gegebenen Umfang betrieben.Daher sei es richtig, die Werbung zumSchutze von Rauchern und Nichtrauchernnicht zuzulassen. Die Bundesregierungstehe unter dem Druck <strong>der</strong> Tabakhersteller,die dagegen argumentieren, daß es sei nichtrichtig sei, ein “legales“ Produkt mit einemWerbeverbot zu belegen. Hier sei zu erwi<strong>der</strong>n,daß das Werbeverbot ein mil<strong>der</strong>esMittel im Vergleich zu einem Totalverbot ist.Es entspreche dem überragenden Interesse<strong>der</strong> Allgemeinheit, aber auch jedes Einzelnen,daß weniger Menschen aktiv o<strong>der</strong> passivRauchen. Schmidt betonte, es solle dieTagung bewußt Ansichten zu Wort kommenlassen, die Anlaß zur kontroversen Diskussiongeben. Es solle deutlich werden,weshalb die deutschen Krankenkassen dieInverkehrbringer von Tabakerzeugnissennicht auf Ersatz <strong>der</strong> Krankheitskosten in Anspruchnehmen, wie dies in den USA heutePraxis sei. Trotz vielfacher Bemühungen seies nicht gelungen, einen Vertreter <strong>der</strong> privateno<strong>der</strong> gesetzlichen Kassen als Referentenzu gew<strong>innen</strong>.Udo Pollmer, Lebensmittelchemiker, Leiterdes Europäischen Instituts für Lebensmittel-und Ernährungswirtschaften, Hochheim,trug zur Physiologie <strong>der</strong> Genußmittelvor. Er betonte den Zusammenhang zwischendem allgemeinen Ernährungsverhaltenund <strong>der</strong> Gewichtszunahme, die mit<strong>der</strong> Rauchentwöhnung typisch einhergehe.Dr. Sabine Schmitt-Grohé, Zentrum für Kin<strong>der</strong>heilkunde,Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität,Bonn, trug zu den gesundheitlichenFolgen des Passivrauchens<strong>bei</strong> Kin<strong>der</strong>n vor. Kin<strong>der</strong> sein insbeson<strong>der</strong>e<strong>bei</strong> elterlichem Rauchen ungeschützt. InDeutschland würden ein Drittel <strong>der</strong> Frauenim Alter zwischen fünfundzwanzig undfünfundfünfzig Jahren rauchen. Bei Männernläge <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Raucher dieserAltersgruppe <strong>bei</strong> etwa <strong>der</strong> Hälfte. Dieser Anteilbestimme auch das Ausmaß <strong>der</strong> kindlichenExposition. Es bestehe auch die MöglichkeitCotinin, den Hauptmetaboliten desNikotin, im Speichel zu messen. Die langeHalbwertszeit von sechzehn bis zwanzigStunden ergebe einen guten Marker. Es lassesich eine direkte Abhängigkeit des kindlichenCotininspiegels mit <strong>der</strong> Höhe des elterlichenNikotinkonsums herstellen. KardiovasculäreFolgen des Passivrauchenskönnen schon im Kindesalter nachgewiesenwerden. Neugeborene, <strong>der</strong>en Mütterwährend <strong>der</strong> Schwangerschaft rauchen, leidenunter Blutdruckerhöhung. Da auch dieMutter in <strong>der</strong> Schwangerschaft fünfzehno<strong>der</strong> mehr Zigaretten, finden sich dieBlutdruckerhöhungen noch im Säuglingsalter.Mütterliches Rauchen führe zu einer vermin<strong>der</strong>tenplacentaren Versorgung. Eskommt zu einer erhöhten Rate von spontanenAborten. Klinisch finde sich eine intrauterineWachstumsretardierung <strong>bei</strong> rauchendenMüttern. Nach dem ersten Lebensjahrsteht das Passivrauchen von Kin<strong>der</strong>n ineinem Zusammenhang mit dem plötzlichenKindstod. Schmitt-Grohè stützte sich aufeine neuseeländische Untersuchung, nach<strong>der</strong> mütterliches Rauchen <strong>der</strong> Hauptrisikofaktorfür den plötzlichen Kindstod (SIDS)sei. Diese Ar<strong>bei</strong>tsgruppe gehe davon aus,daß bis zu 60% aller Kindstodsfälle durchprä- und postnatale Nikotinexpositionenverursacht werde.Dr. Arndt Dohmen, Arzt, Bad Säckingen,und Dr. Franz-Josef Knust, Kin<strong>der</strong>arzt,Seite 262 umwelt·medizin·gesellschaft · 12 · 3/<strong>99</strong>


■ FORUMricht auf Schadensersatz in Höhe von 1,6Millionen US $ und einem Strafschadensersatzvon etwa 80 Millionen US $ im Falleeines Mannes erkannt, <strong>der</strong> mit 21 Jahren zurauchen begonnen hatte und mit 67 Jahrenan Lungenkrebs verstarb. Der ZigarettenherstellerPhilip Morris habe seit langemgewußt, daß dieser Krebs durch den Rauchverursacht werde, dieses Wissen habe eraber gezielt verheimlicht und verharmlost.Der Hersteller habe seine Pflicht zur Aufklärungverletzt und den Kunden arglistigüber Gesundheitsschädigung durch Tabakgetäuscht. Der Aspekt, daß Raucher die mitdem Produkt verbundenen Risiken wissentlichin Kauf nehmen und daher einMitverschulden tragen, wird regelmäßigdurch eine Reduzierung des Schadensersatzesberücksichtigt. Mahlich hält es für möglich,daß das Verfassungsgericht unter demGesichtspunkt <strong>der</strong> Verhältnismäßigkeit reduziert.Jedenfalls zeige die neueste Entscheidung,daß das Kapitel <strong>der</strong> Tabakklagenin den USA noch lange nicht abgeschlossensei.Herr Kunibert Stahl, Jurist im Bundesgesundheitsministerium,Bonn, trug zu denRechtsfragen <strong>der</strong> EU-Richtlinie zur Tabakwerbungvor. Er beschäftigte sich insbeson<strong>der</strong>emit <strong>der</strong> Frage, ob <strong>der</strong> gegen die EU-Tabakwerbe-Richtlinie gerichtete Vorwurf,diese verfolge nicht das Ziel <strong>der</strong> Herstellungeines gemeinsamen Marktes fürTabakerzeugnisse ohne Behin<strong>der</strong>ung, son<strong>der</strong>nZwecke des Gesundheitsschutzes, dievon <strong>der</strong> Zuständigkeit <strong>der</strong> EuropäischenUnion im Verhältnis zu den Mitgliedsstaatennicht gedeckt sei, zu Recht erhobenwird. Er stellte in den Einzelheiten dieRegelung des Europäischen Rechtes dar.Stahl differenzierte in seiner Beurteilung<strong>der</strong> Erfolgsaussichten <strong>der</strong> Klage zwischenden verschiedenen Regelungsteilen <strong>der</strong>Richtlinie. Seine Beurteilung ist nicht nurdann relevant, wenn die Bundesregierungihre Klage nicht zurücknimmt, son<strong>der</strong>nauch bezüglich <strong>der</strong> voraussichtlichenBehandlung <strong>der</strong> klagenden Tabakindustriein Luxemburg.Abschließend trug Peter Marquart, Diplom-Sozialpädagoge,Bad Säckingen, ausseiner Berufspraxis in <strong>der</strong> Betreuung vonRaucherentwöhnungsgruppen im Rahmen<strong>der</strong> kardiovasculären Therapie <strong>der</strong> Hochrheinklinikin Bad Säckingen vor. Er stellteVorgehensweisen in den Mittelpunkt, diees den Rauchern erlauben, selbst zur Entschlußfassungzu gelangen, mit dem Rauchenaufzuhören. Nach seiner Erfahrunggelinge es erstaunlich vielen Rauchern, diemit dem Rauchen aufhören, dies durcheinen einmal gefaßten Entschluß zu tun. Essei nicht immer so, daß die Nikotinentwöhnungin vielfältigen Schritten und mit <strong>der</strong>Lin<strong>der</strong>ung von Entzugserscheinungen einhergehenmüsse. Entscheidend sei es, daß<strong>der</strong> Betroffene selbst den Willen fasse, mitdem Rauchen aufzuhören. Die Gruppehelfe, zu dem Entschluß zu gelangen.Die Beiträge werden zum Teil in Fachzeitschriftenveröffentlicht, es ist die Veröffentlichungin einem Schwerpunktsammelbandbeabsichtigt, zum Teil werden sie indas Internet gestellt:www.prolink.de/~hps/igumed (dort auchFundstellen).Zusammengefaßt von RA H. SchmidtFreiburg im BreisgauEntschließung <strong>der</strong> Interdisziplinären Gesellschaft für Umweltmedizin am 08. Mai 1<strong>99</strong>9“Tabak - Konsum, Therapie, Schäden – Ein Anwendungsfall des Verursacherprinzips?Wir appellieren an die Bundesregierung:Tabak ist ein Konsumprodukt, das tödliche Gesundheitsschäden verursacht. Die Europäische Union hat die Werbung dafür verboten.Gegen dieses Verbot klagte die alte Bundesregierung für Deutschland.Die Sozialdemokraten und GRÜNEN haben den Bundestagswahlkampf mit <strong>der</strong> Aussage geführt, die deutsche Klage gegen dasTabakwerbeverbot sofort zurückzunehmen. Dieses Versprechen wurde noch nicht eingehalten.Das Bundesgesundheitsministerium will die Klage zurücknehmen. Dem Bundesfinanzministerium wurde jedoch die Fe<strong>der</strong>führungfür den Prozeß vor dem Europäischen Gerichtshof übertragen. Der alte Bundestag hatte die Klage befürwortet, <strong>der</strong> neue wurde mit<strong>der</strong> Rücknahme noch nicht befaßt, ebensowenig das Kabinett.Wir halten die Klage für sachlich und moralisch falsch. Wir appellieren an den Herrn Bundeskanzler und das Kabinett, ihre passiveHaltung zu überdenken. Es sollten nicht die Interessen <strong>der</strong> Werbewirtschaft vor das Ziel einer verantwortlichen Gesundheitspolitikgestellt werden. Die deutsche Klage gegen das Verbot <strong>der</strong> Tabakwerbung soll jetzt zurückgenommen werden, wie es die Regierungsparteienden Wählern im Wahlkampf versprochen haben.Wir appellieren an die Bundesregierung, das Verursacherprinzip für Tabakschäden als Teil <strong>der</strong> eigenen Gesundheitspolitik zu identifizieren.Wir bitten insbeson<strong>der</strong>e das Bundesgesundheitsministerium darum, die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlageneiner konsequenten Umsetzung des Verursacherprinzips auch für Tabakschäden in Deutschland zu prüfen und im Rahmen praktischerPolitik umzusetzen.Fulda, den 8. Mai 1<strong>99</strong>9Der Vorstand <strong>der</strong> <strong>IGUMED</strong> e.V.Seite 264 umwelt·medizin·gesellschaft · 12 · 3/<strong>99</strong>

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