Januar 2008 - Ortsgruppe Wiesbaden

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002_016_VadW_01_08.qxd 04.01.2008 8:01 Uhr Seite 2 DIE LANDSMANNSCHAFT Und wir haben noch eine Mama! Immer weniger Spätaussiedler kommen nach Deutschland. In der Landesaufnahmestelle Unna-Massen werden die Häuser renoviert, und keiner weiß, wie es weitergeht. Die Spätaussiedler sind rarer geworden, aber die Probleme größer. Die tragische Besonderheit des heutigen Kontingents ist nicht die tatsächlich geringe Anzahl der Zuwanderer, sondern die getrennten Familien. Laut dem neuen Zuwanderungsgesetz bekommen den Aufnahmebescheid nur solche Familienangehörigen eines Spätaussiedlers, die den Sprachtest bestanden haben. Befreit davon werden nur Kinder unter 14 Jahren. Erst vor einem Monat habe ich in Unna- Massen eine Gruppe älterer Frauen kennen gelernt, die ihre Familien in Russland zurückgelassen haben - in der Hoffnung, dass sie irgendwann nachkommen. Ihre erwachsenen Kinder haben eine Testwiederholung abgelehnt, und ihre Ehemänner hoffen sie über die Familienzusammenführung nachkommen zu lassen. Und weil das Verfahren monatelang dauert, mussten sie ihre erste Weihnacht in der Heimat der Vorfahren allein feiern. Noch tragischer ist der Fall der Familie von Alexander Hensel aus Moskau. Seine Ehefrau, eine Nichtdeutsche und Mutter von fünf minderjährigen Kindern, hat den Sprachtest nicht bestanden und gemäß Gesetz keine Einreisegenehmigung erhalten. Weil die Familie jedoch fest entschlossen war, nach Deutschland auszuwandern, wurde das Risiko einer Trennung – in der Hoffnung für nicht lange - in Kauf genommen. Um endlich in einem Land zu leben, in dem Gesetze beachtet werden und keine Willkür herrscht! So kam Alexander allein mit fünf Kindern nach Deutschland und seine Frau zu ihren Verwandten nach Moldawien. Alexander Hensel mit drei seiner Kinder. In Russland konnte man das Gesetz schon immer umgehen, wenn man wollte und konnte. Anders funktioniert die deutsche Gesetzgebung: Die Mutter hat den Sprachtest nicht bestanden, und die Familie muss getrennt werden, oder sie tut es freiwillig. Auch deswegen fällt es den Betroffenen schwer zu glauben, dass die Trennung nur einige Tage dauern wird. Die Einen verurteilen das Zuwanderungsgesetz, andere staunen über die Hilflosigkeit beim Erlernen der Sprache, und wieder andere schimpfen über die kollektive Verantwortungslosigkeit der Familie und der Beamten. Die Ursachen der unbefriedigenden Situation liegen auf der Hand, aber ihre Folgen lassen sich nur viel schwerer beseitigen. Alexander traf mich im Korridor und bat mich, ihm ein Medikamentenrezept ins Russische zu übersetzen. Auf mein Angebot, ein Familienfoto zu machen, reagieren alle erfreut. “Setzt euch hier aufs Bett. Und wo sind die anderen?” Alexander, der mittlere des Fünferpacks, meldete sich sofort bereitwillig zu Wort: “Sie gehen hier zur Schule! Und wir haben noch eine Mama, die kommt bald!” Sind Mildtätigkeit und Gesetz vereinbar? Viele von uns sind hierher gekommen, weil sie in einem Land leben wollten, in dem die Gesetze und nicht die Willkür der Beamten zählen. Auch Alexander Hensel weiß das, aber davon wird das Schicksal seiner Familie nicht leichter. Die Ehefrau habe den Sprachtest nicht bestanden, weil es ihr an Fleiß gemangelt habe, heißt es. Dafür wurden nun vor allem die Kinder hart bestraft. Wie man bei fünf Kindern den Deutschunterricht meistern soll, das hat der Gesetzgeber nicht verraten und Ausnahmefälle erst gar nicht vorgesehen. Dass der gesunde Menschenverstand und die Menschlichkeit bzw. Mildtätigkeit dabei auf der Strecke geblieben sind, gehört nicht zu dieser Begrifflichkeit. Die nüchterne Gesetzgebung stellt fest: Die Familie hat Anspruch auf Aufnahme in Deutschland (Vater Deutscher, Sprachtest bestanden), aber ihre Mitglieder dürfen nicht gemeinsam einwandern. Die Mutter von fünf Kindern darf zwar kommen, aber nicht jetzt, sondern erst, wenn es im Fa- milienzusammenführungsverfahren zu einer Entscheidung gekommen ist. Einen Antrag auf Zusammenführung können nur getrennte Familien stellen, also muss die Familie Hensel getrennt sein. Dabei musste das Ehepaar noch überzeugt werden, dass es dazu nicht gezwungen wird, sondern es freiwillig tut. Man kann nicht die Mutter von ihren Kindern trennen und umgekehrt. Wir haben ja schließlich nicht das Jahr 1941, als russlanddeutsche Mütter von ihren Kindern losgerissen wurden - in diesem Fall ist es ja eine “freiwillige Zwangsentscheidung”. Also, mit erhobenem Zeigefinger: Selber schuld!!! Wäre es nicht die Aufgabe der Botschaftsbeamten, der Familie zu erklären, dass sie nur diese Möglichkeit hat, nach Deutschland auszuwandern, damit sie die richtige Entscheidung treffen kann? Wurde aber anscheinend nicht getan, und die Hensels wollten nicht mehr warten: Wer weiß, was morgen kommt, bis man den Sprachtest meistert, gibt es womöglich andere Gesetze oder das Tor ist zu. Warum kann man dieser kinderreichen Mutter nicht ausnahmsweise – denn ein Härtefall liegt vor – ein Gastvisum geben? Auch das ist gesetzwidrig? Aber kurzerhand eine Familie trennen - ist das im Sinne des Gesetzes? Zumindest weniger problematisch. Vater und Kinder dürfen einreisen, Mutter wird auf die Warteliste gesetzt. Für wie lange? Auch das kann dem verzweifelten Vater und den Kindern, die jeden Tag auf die Mama warten, keiner so genau sagen. Hauptsache, dem Gesetz ist Genüge getan, Mildtätigkeit gehört nicht in diese Kategorie. Die Gesetzgebung hat dafür ein eisernes Argument: Die Hensels wurden nicht nach Deutschland gerufen, sie haben selber den Antrag gestellt, also müssen sie die Konsequenzen tragen. Das Bundesverwaltungsamt hat den Antrag bearbeitet und die Aufnahme teilweise genehmigt. Dass dabei fünf minderjährige Kinder für Monate von ihrer Mutter getrennt werden, dafür hat das Gesetz kein Verständnis. Und so ist nun Alexander für seine Kinder Vater, Mutter und Oma gleichzeitig. Selbstverständlich wird die Mutter irgendwann in diesem Jahr nach Deutschland kommen und Deutsch lernen – die Kinder werden ihre besten Lehrer sein. Viel schwieriger wird es ihr nach allen Strapazen und dramatischen Erlebnissen fallen, die neue Heimat Deutschland lieben zu lernen. Das Trauma, das die Familie heute erlebt, wird nachhaltig fortwirken. Ob das auch im Sinne einer gerechten Gesetzgebung ist? Theodor Thyssen Unsere Titelbilder: - Hessens Ministerpräsident Roland Koch (Mitte) mit dem Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft, Adolf Fetsch (links), und dem Vorsitzenden der Landesgruppe Hessen der Landsmannschaft, Johann Thießen (Bild: E. Blatt); - Kinder der Ortsgruppe München; - die Wissenschaftlerin Elena Seifert (siehe Artikel auf Seite 23).
002_016_VadW_01_08.qxd 04.01.2008 8:01 Uhr Seite 3 Die Landsmannschaft im Internet: Homepage: www.deutscheausrussland.de E-Mail: Lmdr-ev@t-online.de Aus dem Inhalt Und wir haben noch eine Mama! 2 Hessen: Im Dialog 3 Hervorrragende Ergebnisse bei der Spätaussiedlerintegration 4 Weihnachtsfeier in Friedland 5 Jugendverband gegründet 5 Integration braucht Partner 6 Berufliche Integration russlanddeutscher Pädagogen 6-7 Gelungener Unternehmerkongress 7 Auszeichnung für Edwin Grieb 8 IVDK: Seit 15 Jahren in Aktion 9 Neuer Sämann für die Zugvögel 10-11 Dr. Mangold verabschiedet 11 Jahresversammlung des HFDR 12-13 Trauerbuch Odessa 13 Gedenkstätte für die Opfer der Gewalt 14-15 Auch ihm wurde alles genommen 15 Puschkin-Medaille für Alexander Fitz 15 Kunstausstellung in Wiesbaden 16 Die “Bunte Welt” 17 Wendelin Mangold: Gedichte 18 Robert Weber zum 70. 19-20 Lore Reimers kreative Insel 20-21 Johann Warkentin: Gedichte 22 Monographie zur Poesie der Russlanddeutschen 23 Landsmannschaft regional 24-32 Spendenliste 32 Literaturpreis für Deutschen aus Russland 33 Literaturabend in Detmold 33 Die “Kleinen Sternchen” 34 Gelungene Integration 35 Die “Jungen Edisons” 35 Neuerscheinungen 36 Bücherangebot 37 Glückwünsche 38-41 Suchanzeigen 40 Bekanntschaften 41 Silberne Ehrennadel für Katharina Bech 41 Verdienstorden für Peter Pauls 42 Nachhall der Dichterseele 43 Zum Gedenken 44-46 Die schreckliche Wahrheit 46 Russlanddeutsche Gedenktage 46 Svetlana Michel und ihre Ballettschule 48 Redaktionsschluss für die Februar-Ausgabe 2008: 15. Januar 2008 Hessens Ministerpräsident Roland Koch und der Landesbeauftragte der Hessischen Landesregierung für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Rudolf Friedrich, haben am 29. November 2007 in der Hessischen Staatskanzlei ein Gespräch mit Vertretern der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland und der Deutschen Jugend aus Russland geführt. Von Seiten der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland nahmen der Bundesvorsitzende Adolf Fetsch und der hessische Landesvorsitzende Johann Thießen teil, von Seiten der Deutschen Jugend aus Russland Svetlana Ivkin, Mitglied des Vorstandes der DJR-Kreisgruppe Frankfurt am Main. Bei dem Gespräch wurden die Integrationsbemühungen der Hessischen Landesregierung ausführlich dargestellt und diskutiert. Bundesvorsitzender Adolf Fetsch sprach sich sehr lobend über die Integrationspolitik der Hessischen Landesregierung aus, was auch durch die Unterstüt- DIE LANDSMANNSCHAFT Hessen: Ministerpräsident Koch und Landesbeauftragter Friedrich im Dialog mit den Deutschen aus Russland zung des Bundestreffens 2007 der Landsmannschaft in Wiesbaden zum Ausdruck gekommen sei. Landesbeauftragter Rudolf Friedrich stellte fest, dass die Hessische Landesregierung an vielen Stellen bemüht sei, die Spätaussiedler bei ihrer Eingliederung in der neuen Heimat zu unterstützen. “Dass die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland und die Deutsche Jugend aus Russland bei der Integrationsarbeit erfolgreich mitarbeiten, finde ich großartig”, so Friedrich. Ministerpräsident Roland Koch erklärte, dass die Hessische Landesregierung auch in Zukunft ein verlässlicher Partner der Deutschen aus Russland sein werde. Der Meinungsaustausch mit den Spätaussiedlerorganisationen werde in bewährter Weise durch den Landesbeauftragten fortgeführt. “Und es bleibt dabei: Spätaussiedler und Heimatvertriebene sind eine Bereicherung für unser Land”, so der Ministerpräsident abschließend. Presseinformation der Hessischen Landesregierung Nach dem Gespräch in der Staatskanzlei (von links): Landesbeauftragter Rudolf Friedrich, Adolf Fetsch, Bundesvorsitzender der Landsmannschaft, Ministerpräsident Roland Koch, Svetlana Ivkin, Vorstandsmitglied der DJR-Kreisgruppe Frankfurt/Main, und Johann Thießen, Vorsitzender der Landesgruppe Hessen der Landsmannschaft. Foto: E. Blatt Wir wünschen allen unseren Mitgliedern ein erfolgreiches neues Jahr. Ihre Landsmannschaft VOLK AUF DEM WEG Nr. 1 / 2008 3
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