mich bemüht, dieses alles <strong>zu</strong> tun, ohne Blut <strong>zu</strong> vergießen und ohne meinem Volk oder anderendaher das Leid des Krieges <strong>zu</strong><strong>zu</strong>fügen. Ich habe dies... als ein noch vor 21 Jahren unbekannterArbeiter und Soldat meines Volkes, aus meiner eigenen Kraft geschaffen...«Ekelhafte Selbstbeweihräucherung. Lachhafter Stil (»die uns allen so <strong>zu</strong> Herzen gehendensieben Millionen Erwerbslosen«). Aber, <strong>zu</strong>m Teufel, es stimmte ja alles — oder fast alles.Wer sich an die paar Dinge klammerte, die vielleicht doch nicht stimmten (das Chaosüberwunden - ohne Verfassung? Die Ordnung wiederhergestellt — mit Konzentrationslagern?),kam sich selbst manchmal wie ein kleinlich-mängelsuchender Rechthaber vor.Der Rest - was konnte man im April 1939 dagegen vorbringen? Die Wirtschaft blühte jawirklich wieder, die Arbeitslosen hatten wirklich wieder Arbeit (es waren nicht sieben Millionengewesen, sondern sechs, aber gut), die Aufrüstung war Wirklichkeit, der VersaillerVertrag war wirklich totes Papier geworden (und wer hätte das 1933 für möglich gehalten!),das Saarland und das Memelgebiet gehörten wirklich wieder <strong>zu</strong>m Reich, ebenso dieÖsterreicher und Sudetendeutschen, und sie freuten sich wirklich darüber - ihren Jubelschreihatte man noch im Ohr. Krieg hatte es wunderbarerweise deswegen wirklich nichtgegeben, und auch daß <strong>Hitler</strong> vor zwanzig Jahren wirklich ein Unbekannter gewesen war,konnte niemand bestreiten (allerdings kein Arbeiter, aber gut). Hatte er alles aus eigenerKraft geschaffen? Natürlich hatte er Helfer und Mitwirkende gehabt, aber konnte man imErnst behaupten, es wäre alles auch ohne ihn gegangen? Konnte man also <strong>Hitler</strong> noch ablehnen,ohne alles, was er geleistet hatte, ab<strong>zu</strong>lehnen, und waren gegen diese Leistungenseine unangenehmen Züge und seine Übeltaten nicht nur Schönheitsfehler?Was sich alte <strong>Hitler</strong>gegner, gebildete und geschmackvolle Bürger, selbst gläubigeChristen oder Marxisten, in den mittleren und späteren dreißiger Jahren angesichts von <strong>Hitler</strong>sunleugbaren Leistungen und nicht abreißenden Wundertaten fragten — fragen mußten—, war: Könnte es sein, daß meine eigenen Maßstäbe falsch sind? Stimmt vielleicht allesnicht, was ich gelernt und woran ich geglaubt habe? Bin ich nicht durch das, was hier vormeinen Augen geschieht, widerlegt? Wenn die Welt — die wirtschaftliche Welt, die politischeWelt, die moralische Welt - wirklich so wäre, wie ich immer geglaubt habe, dannmüßte doch ein solcher Mann auf die schleunigste und lächerlichste Weise Schiffbruchmachen, ja, er könnte doch überhaupt nie so weit gekommen sein, wie er gekommen ist! Erist aber in weniger als zwanzig Jahren aus dem völligen Nichts <strong>zu</strong>r Zentralfigur der Weltgeworden, und alles gelingt ihm, auch das scheinbar Unmögliche, alles, alles ! Beweist dasnichts? Zwingt mich das nicht <strong>zu</strong> einer Generalrevision aller meiner Begriffe, auch der ästhetischen,auch der moralischen? Muß ich nicht mindestens <strong>zu</strong>geben, daß ich mich in meinenErwartungen und Vorhersagen getäuscht habe, und mit Kritik sehr <strong>zu</strong>rückhaltend, mitmeinem Urteil sehr vorsichtig werden?22
Durchaus begreiflich und sogar sympathisch, dieser Selbstzweifel. Aber von dort bis<strong>zu</strong>m ersten, noch halb widerwilligen »Heil <strong>Hitler</strong>« war es nicht weit.Die so durch den Augenschein <strong>Hitler</strong>scher Leistungen Bekehrten oder Halbbekehrtenwurden im allgemeinen keine Nationalsozialisten; aber sie wurden <strong>Hitler</strong>anhänger, Führergläubige.Und das waren auf den Höhepunkten der allgemeinen Führergläubigkeit wohlsicher mehr als neunzig Prozent aller Deutschen.Eine ungeheure Leistung, so fast das ganze Volk hinter sich <strong>zu</strong> vereinigen, und in wenigerals zehn Jahren vollbracht ! Und vollbracht, im wesentlichen, nicht durch Demagogie,sondern - durch Leistung. Solange <strong>Hitler</strong> nur seine Demagogie, seine hypnotische Beredsamkeit,seine Berauschungs- und Benebelungskünste als Massenregisseur <strong>zu</strong>r Verfügunggehabt hatte — in den zwanziger Jahren —, hatte er kaum je mehr als fünf Prozent derDeutschen damit <strong>zu</strong> Anhängern gemacht; bei den Reichstagswahlen von 1928 waren es 2,5Prozent. Die nächsten vierzig Prozent trieb ihm in den Jahren 1930-1933 die wirtschaftlicheNot <strong>zu</strong> - und das völlige, hilflose Versagen aller anderen Regierungen und Parteien angesichtsdieser Not. Die letzten, entscheidenden fünfzig Prozent aber gewann er nach 1933hauptsächlich durch Leistungen. Wer, etwa im Jahre 1938, in Kreisen, in denen das nochmöglich war, ein kritisches Wort über <strong>Hitler</strong> sagte, bekam unweigerlich früher oder später,manchmal nach halber Zustimmung (»das mit den Juden gefällt mir auch nicht«), die Antwort<strong>zu</strong> hören: »Aber was hat der Mann alles geleistet!« Nicht etwa: »Aber wie mitreißendkann er reden!«, auch nicht: »Aber wie war es wieder herrlich auf dem letzten Parteitag!«,nicht einmal: »Aber was hat er für Erfolge!« Nein:»Was hat der Mann alles geleistet!« Und was konnte man im Jahre 1938, oder auch imFrühjahr 1939, darauf eigentlich erwidern?Es gab noch eine zweite stehende Redensart, die <strong>Hitler</strong>s neu gewonnene Anhänger damalsständig im Munde führten. Sie lautete: »Wenn das der Führer wüßte!«, und sie deutetean, daß Führergläubigkeit und Bekehrung <strong>zu</strong>m Nationalsozialismus eben zweierlei blieben.Was den Menschen am Nationalsozialismus nicht gefiel - und es gab immer noch vieleMenschen, denen vieles nicht gefiel —, davon suchten sie instinktiv <strong>Hitler</strong> <strong>zu</strong> entlasten.Objektiv natürlich mit Unrecht. <strong>Hitler</strong> war genauso für die zerstörerischen Maßnahmen seinesRegimes verantwortlich wie für die aufbauenden. In gewissem Sinne muß man auchdie Zerstörung des Rechtsstaates und des Verfassungsgefüges, auf die wir noch <strong>zu</strong>rückkommenwerden, »Leistungen« <strong>Hitler</strong>s nennen - Leistungen der Zerstörung, in denen ebensovielKraft steckte wie in den positiven Leistungen auf wirtschaftlichem und militärischemGebiet. Irgendwo zwischen ihnen liegen seine Leistungen auf gesellschaftlichemGebiet. In ihnen hält sich Zerstörendes und Aufbauendes die Waage.23
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hatte - und dann in dem so geeinigt
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derem Zusammenhang zitiert. Das Mü
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Freilich kann man sich Hitler als g
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erreicht hatte, sah er nicht. Daß
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kriegs gegen Rußland der Sieg unm
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te Front in Europa«, in den Jahren
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VerbrechenOhne Zweifel ist Hitler e
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chen gegen den Frieden«, also Krie
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eim Ersten Weltkrieg gibt es beim Z
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ardierungen reiner Wohngebiete im
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zen sein dürfte. Der Rest dürfte
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den sechs Vernichtungslagern Trebli
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aktionen fanden weit außerhalb Deu
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gesagt hatte, wenn Deutschland nich
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sche Ausrottungsversuch, der zwisch
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nicht vollzogen - in beiden Fällen
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waffe aufrecht, die er noch in Rese
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Demonstration äußerster Kampfents
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»Wenn der Krieg verlorengeht, wird
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einer sinnlosen, wütenden fünfjä
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ßenseiterchance, der sich auf Hitl