weder gewonnen noch verloren, um Lebensraum wurde in Europa nicht gekämpft. Das haterst <strong>Hitler</strong> nach einer Pause von rund 1500 Jahren wieder in die europäische Geschichteeingeführt, und es hat sich für Deutschland furchtbar ausgewirkt. Vertreibung, wie die derDeutschen aus ihren früheren Ostgebieten, war genau das, was <strong>Hitler</strong> als Sinn jedes Kriegesimmer gepredigt und im eroberten Polen auch schon seinerseits praktiziert hatte.»Lebensraum« war aber auch noch aus einem anderen Grunde eine irrtümliche Konzeption.Es lohnt sich nämlich im zwanzigsten Jahrhundert gar nicht mehr, um Lebensraum <strong>zu</strong>kämpfen. Wenn <strong>Hitler</strong> Wohlstand und Macht eines Volkes am Umfang des von ihm bewohntenund beackerten Areals maß, wenn er »Bodenpolitik« forderte und betrieb, dannvergaß und verdrängte er die industrielle Revolution. Wohlstand und Macht hängen seit derindustriellen Revolution nicht mehr von der Größe des Bodenbesitzes ab, sondern vomStand der Technologie. Für diese aber ist die Größe des Lebensraums belanglos.Für die technologisch-industrielle Entwicklung eines Landes kann ein Übermaß von»Lebensraum«, also große Ausdehnung bei dünner Bevölkerung, gerade<strong>zu</strong> ein Handikapsein, wovon <strong>zu</strong>m Beispiel die Sowjetunion ein Lied <strong>zu</strong> singen weiß: Es will und will ihrnicht gelingen, das riesige i und rohstoffreiche, aber all<strong>zu</strong> dünn bevölkerte Sibirien <strong>zu</strong> erschließenund <strong>zu</strong> entwickeln. Jedenfalls springt in die Augen, daß einige der ärmsten undschwächsten Länder der heutigen Welt riesig, einige der reichsten und sichersten winzigsind. Mit seiner Lebensraumtheorie lebte <strong>Hitler</strong>, der doch auf manchen Gebieten - Militärtechnologie,aber auch Massenmotorisierung - durchaus modern <strong>zu</strong> denken wußte, nochganz und gar im vorindustriellen Zeitalter.Aber gerade dieser Irrtum <strong>Hitler</strong>s hat ein zähes Leben. Denn die Nostalgie nach demvorindustriellen Zeitalter und der angstvolle Überdruß an der »unmenschlichen« menschengemachtenWelt, in die wir seit zweihundert Jahren immer schneller hineinleben, warennicht nur <strong>zu</strong> <strong>Hitler</strong>s Zeiten weit verbreitet, sie sind auch gerade heute wieder stark. Siemachten <strong>Hitler</strong>s Lebensraumgedanken vielen seiner Zeitgenossen einleuchtend - sahDeutschland auf der Landkarte nicht wirklich im Verhältnis <strong>zu</strong> seiner Stärke und Volkszahlviel <strong>zu</strong> klein aus? Wenn Deutschland allerdings wieder in der Hauptsache ein Bauernlandwerden sollte - worin <strong>Hitler</strong> merkwürdigerweise wie Morgenthau dachte —, dann brauchtees in der Tat mehr Lebensraum, allerdings nur dann.Auch der Gedanke, daß es in den Kriegen des zwanzigsten Jahrhunderts letzten Endesum die Weltherrschaft gehe, ist älter als <strong>Hitler</strong> und hat ihn überdauert. Schon vor dem ErstenWeltkrieg schrieb Kurt Riezler, der Berater des Reichskanzlers Bethmann Hollweg, einhochgebildeter Mann: »Der Idee nach... will jedes Volk wachsen, sich ausdehnen, herrschenund unterwerfen ohne Ende, will immer fester sich <strong>zu</strong>sammenfügen und immer Weiteressich einordnen, immer höhere Ganzheit werden, bis das All unter seiner Herrschaft60
ein Organisches geworden ist.« Das ist reiner <strong>Hitler</strong>, nur salbungsvoller ausgedrückt.Falsch war es trotzdem:Nicht jedes Volk hat solche Ziele. Oder sind <strong>zu</strong>m Beispiel die Schweizer und Schwedenkeine Völker? Nicht einmal von den europäischen Großmächten im Zeitalter des europäischenKolonialimperialismus kann man sagen, daß sie wirklich, jede von ihnen für sich,nach Weltherrschaft strebten: Zu fest saß in ihnen die jahrhundertealte Erfahrung, daß sieeinander nicht abschaffen konnten, daß vielmehr jeder Versuch <strong>zu</strong>r Vorherrschaft auch nurin Europa unfehlbar eine Koalition der dadurch bedrohten übrigen Großmächte herbeiführte,die ihn <strong>zu</strong>m Scheitern brachte.Auch die Alldeutschen der Wilhelminischen Epoche meinten, wenn sie von deutscherWeltmacht schwärmten, meist nur, daß Deutschland als »Weltmacht« neben anderen stehensollte; sie dachten dabei an ein großes deutsches Kolonialreich in Asien und Afrika,gestützt auf deutsche Vorherrschaft auf dem europäischen Kontinent, nicht an Welteroberungund Weltherrschaft im genauen Wortsinn.<strong>Hitler</strong> dagegen meinte es ganz offenbar wortwörtlich, wenn er von Weltherrschaftsprach, auch wenn er kaum erwartete, bei seinen Lebzeiten mehr <strong>zu</strong> erreichen als die deutscheHerrschaft über ganz Europa, einschließlich insbesondere Rußlands (Kolonien interessiertenihn wenig). Aber das »Großgermanische Reich«, das er aus dem eroberten Europamachen wollte und in dem die Völker in eine neue Rassenhierarchie ein- und umgeschmolzenwerden sollten, sollte dann das Sprungbrett <strong>zu</strong>r tatsächlichen Weltherrschaft werden.Nun ist ja etwas dran, daß unsere durch Technologie geschrumpfte und durch Massenvernichtungswaffengefährdete Welt Einheit verlangt und daß damit der Gedanke derWeltherrschaft - Welteinheit, Weltregierung, Weltherrschaft, das liegt alles nah beieinander- im zwanzigsten Jahrhundert wieder auf die Tagesordnung gekommen ist. Nicht darin lag<strong>Hitler</strong>s Irrtum, daß er ihn sich <strong>zu</strong> eigen machte. Sondern darin, daß er im Deutschen Reicheinen ernsthaften Kandidaten für die Weltherrschaft sah. Das Deutschland seiner Zeit warunzweifelhaft eine Großmacht, in Europa die stärkste; aber immer noch eine unter mehreren,und beim Versuch, <strong>zu</strong>gleich Vormacht in Europa und Weltmacht <strong>zu</strong> werden, schoneinmal gescheitert. Nur wenn eine Einigung Europas gelungen wäre — und die war nichtdurch Eroberungs- und Unterwerfungskriege <strong>zu</strong> bewerkstelligen -, hätte ein so geeintes Europa,in dem Deutschland dann hätte aufgehen müssen, bei einer Konkurrenz um Weltherrschaftvielleicht mithalten können. Aber die Einigung Europas -das wäre ja jüdischer Internationalismusgewesen! <strong>Hitler</strong> glaubte es statt dessen mit einem völkischen Großdeutschlandallein schaffen <strong>zu</strong> können, durch Rassenpolitik und Antisemitismus; ein primitiver Irrtum.Eine biologische Aufrüstung Deutschlands durch Rassenverbesserung im Züchtersinnehätte, von aller Problematik einmal abgesehen, Generationen erfordert; und <strong>Hitler</strong>61
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