vierter Bohemien. Das entscheidende Kennzeichen dieses Lebens ist seine Eindimensionalität.Viele Biographien tragen als Untertitel unter dem Namen ihres Helden die Worte:»Sein Leben und seine Zeit«, wobei das »und« mehr trennt als verbindet. Biographischeund zeitgeschichtliche Kapitel wechseln; das große Individuum steht plastisch vor demHintergrund des flächenhaft eingezeichneten Zeitgeschehens, es hebt sich ebenso von ihmab, wie es darin eingreift. Ein Leben <strong>Hitler</strong>s läßt sich so nicht schreiben. Alles, was daranzählt, verschmilzt mit der Zeitgeschichte, ist Zeitgeschichte. Der junge <strong>Hitler</strong> reflektiert sie;der mittlere reflektiert sie immer noch, wirkt aber auch schon auf sie ein; der spätere bestimmtsie. Erst wird er von der Geschichte gemacht, dann macht er Geschichte. Darüberlohnt sich <strong>zu</strong> reden. Was <strong>Hitler</strong>s Leben sonst hergibt, sind im wesentlichen Fehlanzeigen -nach 1919 wie vorher. Machen wir sie kurz ab.In diesem Leben fehlt - »nachher« wie »vorher« - alles, was einem Menschenlebennormalerweise Schwere, Wärme und Würde gibt: Bildung, Beruf, Liebe und Freundschaft,Ehe, Vaterschaft. Es ist, von der Politik und der politischen Leidenschaft einmal abgesehen,ein inhaltloses Leben, und daher ein zwar gewiß nicht glückliches, aber eigentümlichleichtes, leicht wiegendes, leicht weg<strong>zu</strong>werfendes. Ständige Selbstmordbereitschaft begleitetdenn auch <strong>Hitler</strong>s ganze politische Laufbahn. Und am Ende steht wirklich, wie selbstverständlich,ein Selbstmord.<strong>Hitler</strong>s Ehelosigkeit und Kinderlosigkeit 1 ist bekannt. Auch die Liebe hat in seinem Lebeneine ungewöhnlich geringe Rolle gespielt. Es gibt ein paar Frauen in seinem Leben,nicht viele; er behandelt sie als Nebensache und machte sie nicht glücklich. Eva Braun versuchteaus Kummer über Vernachlässigung und ständige Kränkungen (»er braucht michnur <strong>zu</strong> bestimmten Zwecken«) zweimal, Selbstmord <strong>zu</strong> begehen; ihre Vorgängerin, <strong>Hitler</strong>sNichte Geli Raubal, tat es wirklich - wahrscheinlich aus demselben Grunde. Jedenfalls war<strong>Hitler</strong> auf einer Wahlreise unterwegs und hatte sie nicht mitgenommen, als sie ihn durch ihreTat nötigte, einmal - ein einziges Mal - das, was ihm wichtiger war, um ihretwillen <strong>zu</strong>unterbrechen. <strong>Hitler</strong> betrauerte sie und ersetzte sie. Diese trübe Geschichte ist das, was in<strong>Hitler</strong>s Leben einer großen Liebe am nächsten kommt.<strong>Hitler</strong> hatte keine Freunde. Mit untergeordneten Hilfskräften - Fahrern, Leibwächtern,Sekretären - liebte er stundenlang <strong>zu</strong>sammen<strong>zu</strong>sitzen, wobei er allein das Wort führte. Indieser »Chauffeureska« entspannte er sich. Eigentliche Freundschaft wehrte er lebenslangab. Seine Beziehungen mit Männern wie Göring, Goebbels, Himmler blieben immer kühldistanziert.Den einzigen unter seinen Paladinen, mit dem er aus Frühzeiten auf du und dustand, Röhm, ließ er erschießen. Gewiß hauptsächlich, weil er politisch unbequem gewor-1Neuerdings wird behauptet, daß <strong>Hitler</strong> 1917 als Soldat in Frankreich mit einer Französineinen unehelichen Sohn gezeugt habe. Auch wenn es stimmt - er hat ihn nie gekannt. DasErlebnis der Vaterschaft fehlt in <strong>Hitler</strong>s Leben.2
den war. Die Duzfreundschaft aber war jedenfalls kein Hemmnis. Wenn man <strong>Hitler</strong>s allgemeineIntimitätsscheu bedenkt, drängt sich sogar der Verdacht auf, daß Röhms verjährterFreundschaftsanspruch eher ein <strong>zu</strong>sätzliches Motiv war, ihn aus der Welt <strong>zu</strong> schaffen.Bleiben Bildung und Beruf. Eine geregelte Bildung hat <strong>Hitler</strong> nicht genossen; nur einpaar Jahre Realschule, mit schlechten Zensuren. Allerdings hat er in seinen Bummeljahrenviel gelesen, aber - nach eigenem Eingeständnis - vom Gelesenen immer nur das aufgenommen,was er ohnedies schon <strong>zu</strong> wissen glaubte. Auf politischem Gebiet hatte <strong>Hitler</strong> dasWissen eines leidenschaftlichen Zeitungslesers. Wirklich beschlagen war er nur im Militärischenund Militärtechnischen. Hier befähigte ihn die praktische Erfahrung des Frontsoldaten,sich Gelesenes kritisch verstehend an<strong>zu</strong>eignen. So merkwürdig es klingt, diese Fronterfahrungdürfte sein einziges Bildungserlebnis gewesen sein. Im übrigen blieb er sein Lebenlang der typische Halbgebildete - einer, der alles schon immer besser wußte und mit <strong>zu</strong>sammengelesenemHalb- und Falschwissen um sich warf, am liebsten vor einem Publikum,dem er damit imponierte, weil es nichts wußte. Die Tischgespräche aus dem Führerhauptquartierdokumentieren seine Bildungsmängel auf blamable Weise.Einen Beruf hat <strong>Hitler</strong> nie gehabt und nie gesucht; im Gegenteil, er hat ihn, solange Zeitda<strong>zu</strong> gewesen wäre, gerade<strong>zu</strong> gemieden. Seine Berufsscheu ist ein ebenso auffallender Zugan ihm wie seine Ehescheu und seine Intimitätsscheu. Man kann ihn auch nicht etwa einenBerufspolitiker nennen. Politik war sein Leben, aber nie sein Beruf. In seiner politischenFrühzeit gab er als Beruf wechselnd Maler, Schriftsteller, Kaufmann und Werberedner an;später war er einfach der niemandem verantwortliche Führer — erst nur der Führer der Partei,schließlich Der Führer schlechthin. Das erste politische Amt, das er je bekleidete, wardas des Reichskanzlers; und vom professionellen Standpunkt gesehen war er ein sonderbarerReichskanzler, der wegreiste, wann er wollte, Akten las oder nicht las, wie undwann er wollte, Kabinettssit<strong>zu</strong>ngen nur unregelmäßig abhielt und seit 1938 überhaupt nichtmehr. Seine politische Arbeitsweise war niemals die des höchsten Staatsbeamten, sonderndie eines ungebundenen, freischaffenden Künstlers, der auf seine Inspiration wartet, tagelang,wochenlang scheinbar faulenzt und sich dann, wenn ihn der Geist überkommt, inplötzliche, hektische Aktivität stürzt. Eine geregelte Tätigkeit hat <strong>Hitler</strong> <strong>zu</strong>m ersten Mal inseinen letzten vier Lebensjahren ausgeübt, als militärischer Oberbefehlshaber. Da allerdingskonnte er die täglichen zweimaligen Lagebesprechungen nicht schwänzen. Und dablieb die Inspiration dann mehr und mehr aus.Vielleicht wird man sagen, Leere und Nichtigkeit des privaten Lebens sei nicht ungewöhnlichbei Männern, die sich ganz einem großen selbstgesetzten Ziel widmen und denEhrgeiz haben, Geschichte <strong>zu</strong> machen. Ein Irrtum. Es gibt vier Männer, mit denen <strong>Hitler</strong>,aus jeweils verschiedenen Gründen, einen Vergleich herausfordert, den er allerdings nicht3
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verstärken wollen. So wird der Beg
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nehmes Gefühl von Aufgeklärtheit
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weder gewonnen noch verloren, um Le
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hatte, in die Emigration ging, konn
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hatte - und dann in dem so geeinigt
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derem Zusammenhang zitiert. Das Mü
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sche Ausrottungsversuch, der zwisch
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waffe aufrecht, die er noch in Rese
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Demonstration äußerster Kampfents
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ßenseiterchance, der sich auf Hitl