KUH & CO - Jules Spinatsch
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gefrieren kann, wären für einen Lawinenhund<br />
ziemlich ungeeignet gewesen.<br />
Natürlich passte auch die sprichwörtliche<br />
Friedfertigkeit der Bernhardiner zum Nationalcharakter,<br />
den sich die junge multikulturelle<br />
Confœderatio Helvetica gezwungenermassen<br />
aneignen musste. Dass zeitweise eher<br />
verwahrlost gehaltene Bernhardiner selbst<br />
auf dem Pass Kinder nicht nur gerettet, sondern<br />
auch schon im Rudel angefallen und<br />
gerissen haben, wird deshalb gerne verschwiegen.<br />
Nicht mehr verschwiegen wird dagegen die<br />
Tatsache, dass sich die Rasse unseres Nationalhundes<br />
heute auch in einigen anderen<br />
Ländern zunehmender Beliebtheit erfreut:<br />
12 als kulinarische Delikatesse. ■<br />
Beat Sterchi, 1949 in Bern geboren, lebt als freier<br />
Autor in Bern. Er veröffentlicht Prosa und schreibt<br />
für das Theater. Zuletzt erschienen der Gedichtband<br />
Auch sonntags etwas Kleines (Rotpunkt 1999) und<br />
der Theatertext Das Matterhorn ist schön (UA Raum<br />
33, Basel). Das gleichnamige Hörspiel wird 2002 ausgestrahlt.<br />
Für seine Arbeit erhielt er verschiedene<br />
Stipendien und Preise, zuletzt den Basler Hörspielpreis<br />
und den Buchpreis der Stadt Bern.<br />
S. 10: Emil Gottlob Rittmeyer, St. Bernhardsdogge,<br />
in: Friedrich von Tschudi, Das Thierleben<br />
der Alpenwelt, Leipzig 1875<br />
L E I T B I L D E R U N D L E G E N D E N<br />
Mythen und Sagen<br />
Kleine Anthologie der<br />
Schimären<br />
Von Marie André<br />
Einst, so sagt man, lebten in unserem Land viele fantastische Tiere, meist ausgestattet mit<br />
übernatürlichen Kräften, die sie zum Wohl oder zum Schaden des Menschen einsetzen<br />
konnten. Auf Grund der geografischen Lage der Schweiz im Herzen Europas kennt man<br />
diese Fabelwesen natürlich nicht nur bei uns, sondern auch in den Nachbarländern.<br />
Der Drache: Früher lebten in der Schweiz<br />
zahlreiche Drachen. Als Hüter der Bodenschätze<br />
und Wächter über die Zugänge zur<br />
Unterwelt verbreiteten sie im ganzen Land<br />
Angst und Schrecken, besonders um 1200, als<br />
sie offenbar sehr verbreitet waren. Oft versteckten<br />
sie sich in den Bergen, in Wäldern<br />
und an anderen abgeschiedenen Orten – an<br />
einsamen Flussufern, in Höhlen oder im dichten<br />
Unterholz.<br />
Die unersättlichen Drachen tranken aus den<br />
Seen und töteten Schafe und Wachhunde.<br />
Eine Besonderheit der Schweizer Drachen<br />
war, dass es ihnen neben dem Fleisch der<br />
Viehherden auch die frische Alpenmilch<br />
angetan hatte. In der Innerschweiz hielt sich<br />
auch lange der feste Glaube, dass das Gift<br />
einer Schlange seine tödliche Wirkung verliert,<br />
wenn sie zuvor Kuhmilch getrunken hat.<br />
Andererseits kann die Milch auch töten,<br />
denn was für einen Drachen gut ist, kann für<br />
den Menschen Gift sein. Einziges mögliches<br />
Gegenmittel ist ein weisser Hahn.<br />
Am Fusse des Urner Bristenstocks und im<br />
Walliser Saastal glaubte man, dass sich die<br />
Drachen vom Gold im Innern der Berge<br />
ernähren und diese dadurch eines Tages zum<br />
Einsturz bringen würden.<br />
Vom Jura bis zu den Alpen erzählte man sich<br />
von den schuppigen Ungeheuern mit dem<br />
giftigen Atem, die schweflige Flammen speien<br />
konnten. Meist wurden sie als furchterregende,<br />
vogelähnliche Wesen mit Krallenfüssen,<br />
Flughäuten, scharfen Zähnen und<br />
Klauen beschrieben. Es gab eine Vielzahl<br />
verschiedener Drachen, kleinere und grössere,<br />
harmlosere und gefährlichere.<br />
Der schlangenähnliche Lindwurm, der grosse<br />
Landstriche verwüstete, stammte ursprünglich<br />
aus Unterwalden, wurde angeblich aber<br />
auch in Bern, im Aargau, am Ufer des Vierwaldstättersees,<br />
im Emmental und in Freiburg<br />
gesichtet. Der Stollenwurm sah aus wie<br />
eine grauschwarze Schlange, war drei bis<br />
sechs Fuss lang, von gedrungener Statur, hatte<br />
spitze Ohren und kurze Vorderpfoten wie<br />
eine Eidechse und war vor allem am üblen<br />
Geruch zu erkennen, der von ihm ausging.<br />
Manche glauben, dass es diesen Bergdrachen<br />
heute noch gibt. Der Hasenwurm hauste vor-<br />
zugsweise in einem Hasenbau und besass<br />
übernatürliche Stärke, die auf den Menschen<br />
überging, wenn dieser vom Fleisch des Drachen<br />
ass. Typisch für den Tatzelwurm, dessen<br />
Kopf an eine Raubkatze erinnerte, waren<br />
sein schrilles Pfeifen, der giftige Atem und<br />
der stechende Blick.<br />
Am Waadtländer Lac des Chavonnes erfreute<br />
einst ein wunderschöner, freundlicher schneeweisser<br />
Drache mit seinen eleganten Sprüngen<br />
aus dem Wasser heraus die badenden<br />
jungen Damen, denen er auch aus der Hand<br />
frass.<br />
Eine Besonderheit der Schweizer Drachen<br />
sind die Drachensteine, Versteinerungen in<br />
der Grösse eines Stopfeis, deren Kraft auf<br />
verschiedene Weise eingesetzt werden konnte,<br />
beispielsweise zur Behandlung von Kühen,<br />
die keine Milch mehr gaben, oder zur<br />
Heilung von Pestkranken. Ein Exemplar, das<br />
ein Bauer in einer Blutlache gefunden haben<br />
soll, kann im Luzerner Natur-Museum bewundert<br />
werden.<br />
Der Basilisk: Der Blick dieses Mischwesens,<br />
der Steine zerspringen liess und das Gras verbrannte,<br />
war für den Menschen tödlich. Der<br />
eher kleine Basilisk ähnelte einem Hahn mit<br />
Drachenflügeln, dem Schwanz einer Eidechse<br />
und den Augen eines Adlers. Er stand aufrecht<br />
auf seinen Hinterbeinen und trug<br />
manchmal ein Federkleid. Sein Körper war<br />
mit safrangelben Schuppen bedeckt, und auf<br />
dem Kopf schien er ein silbernes Krönchen<br />
zu tragen. Das Ei, aus dem er schlüpfte, wurde<br />
von einem schwarzen Hahn gelegt oder<br />
von einer Schlange namens Colubert in einem<br />
Misthaufen ausgebrütet.