KUH & CO - Jules Spinatsch
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Christian Steulet: Wie ist Ihr Projekt Ornithologies<br />
enstanden?<br />
Yves Cerf: Ich habe mit meinem Freund Frédéric<br />
Folmer häufig in einer Weise gearbeitet,<br />
dass wir von Themen ausgingen, die wie<br />
Spielregeln funktionieren und die Phantasie<br />
anregen. Unsere Musik ist mitunter libertär<br />
und sehr offen... Da kann es interessant sein,<br />
ihr von Beginn weg eine Ausgangsrichtung<br />
oder vielmehr einen Rahmen zu geben.<br />
Frédéric kannte einen Mann, Jean-Claude<br />
Roché, der Vogelgesang aufgenommen hatte.<br />
Da wir beide auf dem Land wohnen, fanden<br />
wir, Vogelgesang könnte eine gute Ausgangsidee<br />
sein. Wir hörten uns den Vogelgesang an<br />
und stellten fest, dass er ein enormes Repertoire<br />
enthielt, nicht nur an Melodien, sondern<br />
auch an Ideen, Inspirationen, Rhythmen und<br />
Regeln. Wir beschlossen, dazu Musik zu<br />
schreiben.<br />
Improvisieren die Vögel, wenn sie singen?<br />
Nicht im musikwissenschaftlichen Sinn. Vögel<br />
haben ihr eigenes Vokabular, mit dem sie<br />
fabulieren. Ihre ‹Kunst› ist eine Sprache und<br />
eine Ausdrucksweise, die stärker kodifiziert<br />
ist als diejenige der Improvisation. Die Amsel<br />
beispielsweise, die wir in Europa gut kennen,<br />
hat einen Gesang, der auf dem ganzen Kontinent<br />
identisch ist. Weil wir die Amsel jeden<br />
Tag singen hören, fiel uns auf, dass manche<br />
begabter waren als andere. Aber ihr Thema<br />
bleibt omnipräsent. Der Gesang des Vogels<br />
ist in erster Linie ein Mittel der Kommunikation,<br />
der Markierung des Territoriums oder<br />
des Lockens und Werbens. So gesehen, kann<br />
man auch die musikalische Improvisation als<br />
Instrument des Lockens und Werbens ansehen!<br />
Wie sind Sie von dieser natürlichen Sprache<br />
ausgehend vorgegangen?<br />
Wir haben eine gewisse Anzahl Gesänge ausgewählt,<br />
die uns interessierte, und haben uns<br />
überlegt, wie wir diese einsetzen konnten.<br />
E N T Z Ü C K E N U N D E N T S E T Z E N<br />
Jazz mit Vogelgezwitscher<br />
Das kleine gefiederte<br />
Orchester<br />
Von Christian Steulet<br />
Die Bezüge zur Natur und die Evokation der unzähmbaren Kräfte der Natur in der<br />
Musik bei den Klassikern und besonders bei den romantischen Komponisten sind<br />
bekannt. Im Jazz und in den Improvisationsmusiken ist es die Kultur, die mit ihren elektrischeren<br />
und ethnisch gemischteren Bezügen dominiert. Um der Musik ein neue Richtung zu<br />
geben, haben der Saxophonist Yves Cerf und der Bassist Frédéric Folmer gewisse Vogelarten zu<br />
einem kleinen, von ihnen imaginierten Orchester zusammengefügt. Wie haben die Künstler das<br />
Konkrete ins Abstrakte, die Kommunikationsweise der Vögel in eine improvisierte Musiksprache,<br />
den Gesang des Lockens und Werbens in ein kleines Orchester übertragen? Antworten dazu<br />
vom Saxophonisten und Komponisten Yves Cerf.<br />
Die einzige Regel war, den Vogel, der immer<br />
Teil der Musik ist, hörbar zu machen. Ohne<br />
einen Vergleich anstellen zu wollen: Olivier<br />
Messiaen hat mit seiner Transkribierung des<br />
Vogelgesangs eine phantastische Arbeit geleistet.<br />
In manchen seiner Werke für Klavier<br />
ist der Gesang strikte übernommen, aber den<br />
Vogel, den hört man nicht, der wird vom Klavier<br />
gespielt. Wir haben das Gegenteil gemacht:<br />
In unserer Musik hört man uns mit<br />
dem Vogel, gegen diesen oder unter diesem<br />
spielen, oder man hört, wie wir seinen Gesang<br />
als Thema verwenden.<br />
Können Sie uns konkrete Beispiele geben?<br />
Der Steinhuscher hat einen langen und ausserordentlich<br />
konstanten Gesang. Er bleibt<br />
immer auf der gleichen Notenhöhe. Ich habe<br />
ihn ohne Einschränkung vollständig transkribiert,<br />
damit der Vogel der Hauptsolist des<br />
Stücks wird, dann habe ich eine Begleitung<br />
für diesen Solisten geschrieben. Das Orchester<br />
spielt unter ihm, in Kenntnis seines Themas<br />
und seines Rhythmus. Es harmonisiert<br />
entsprechend seinem Gesang. Der Schildrabe,<br />
ein australischer Vogel, singt in der gleichen<br />
Art häufig als Paar. Die beiden Partner<br />
antworten sich in Dreiermelodien, die, obwohl<br />
der Vogel in Australien zu Hause ist,<br />
einen leichten afrikanischen Einschlag haben.<br />
Bei diesem Vogel haben wir einen anderen<br />
Zugang gewählt: Hier spielt das Orchester<br />
das Thema, mit leisen Passagen und<br />
Passagen, in denen der Vogel singt. Man muss<br />
wissen, dass die Vögel nicht eigentlich einen<br />
als Tempo angelegten Rhythmus haben. Sie<br />
haben einen Rhythmus innerhalb der Phrasen,<br />
eine Art Schwingen, wie wir es vom Jazz<br />
kennen. In anderen Stücken haben wir einen<br />
noch anderen Zugang gewählt. Frédéric hat<br />
ein Stück für die Wüstenläuferlerche geschrieben,<br />
indem er sich eher von der Stimmung<br />
und der Vorstellung vom Orient inspirieren<br />
liess – die Wüstenläuferlerche ist im<br />
Maghreb und in Ägypten zu Hause. Hier hat<br />
die Musik eine geographischere Richtung.<br />
Ein anderes Beispiel ist der Blauparadiesvogel.<br />
Sein Gesang ähnelt einem Gackern, er<br />
hat etwas von einer beharrlichen Trompete.<br />
Er macht fünfmal Quak, dann sechsmal, dann<br />
elfmal und hört mit dreizehnmal Quak auf!<br />
Dieser Vogel ist unser spassiger Partner geworden.<br />
Mit ihm spielen wir eine frei improvisierte<br />
Musik.<br />
Was war das Verlockende an diesem Projekt?<br />
Ich denke mir gerne Regeln und neue Spielweisen<br />
aus. Das ist etwas, das mir Spass<br />
macht. Fast immer – und selbst, wenn man<br />
auf eine göttliche Inspiration hofft (er lacht!)<br />
– ist die Regel, das, was uns vom Himmel<br />
fällt, zu transkribieren. Man muss genährt<br />
werden, braucht Bilder und Ideen... Selbst,<br />
wenn das Resultat nur Musik ist, weiss ich es<br />
zu schätzen, dass ihr eine Absicht zugrunde<br />
liegt. Deshalb ist das Projekt Ornithologies<br />
auch konzipiert worden, um in einer natürlichen<br />
Umgebung gespielt zu werden, dem<br />
Parc des Cropettes in Genf. Das ist ein Ort,<br />
der eine magische Aura hat1. 29<br />
Ist der Vogel Partner und zugleich auch Orchesterleiter?<br />
Partner sicher und Leiter in einem gewissen<br />
Sinn, weil wir nicht Lust hatten, in Ironie<br />
oder der Parodie zu verfallen. Wir wollten<br />
nahe bei diesen phantastischen Vögeln bleiben,<br />
deren Gesang jeden von uns schon<br />
erfreut hat und von denen wir begriffen<br />
haben, dass sie eine eigene Sprache haben.<br />
Uns lag daran, diesen Zauber zu respektieren<br />
und nicht ins Triviale zu gleiten und eine<br />
Musik zu machen, die wirklichkeitsfremd<br />
gewesen wäre. Ich weiss nicht, ob es uns<br />
gelungen ist, jedenfalls war dies unser Ziel...<br />
Sie haben dieses Programm vor verschiedenem<br />
Publikum gespielt. Sind Sie mit dem Resultat<br />
zufrieden?<br />
Wir haben es über vierzig Mal an Orientierungskursen<br />
in Genf für 12- bis 15jährige<br />
gespielt. Ich hatte schon andere Projekte an<br />
Schulen gespielt. Bei Ornithologies habe ich<br />
ein anderes Hörverhalten festgestellt, dank<br />
unseren Freunden, den Vögeln, und auch<br />
unserem Zugang – zumindest hoffe ich das.<br />
Wir haben oft leise begonnen, mit nur dem<br />
Vogelgesang. Und nur nach und nach gespielt.<br />
Die Jugendlichen, die zu dieser Morgenstunde<br />
in der Regel nicht besonders auf-