Neurobiologische Grundlagen der Ergotherapie
Neurobiologische Grundlagen der Ergotherapie
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Fortbildung | „Artikel des MonAts“<br />
und Aufrechterhaltung <strong>der</strong> Aufmerksamkeit,<br />
adäquate Reaktionen auf externe Ereignisse<br />
und Informationen sowie das Arbeitsgedächtnis,<br />
insbeson<strong>der</strong>e die aktuelle<br />
Planung und Organisation des Verhaltens.<br />
Störungen des orbitofrontalen Regelkreises<br />
(OFC) führen zu Persönlichkeitsverän<strong>der</strong>ungen,<br />
wie z.B. mangelnde Inhibitionskontrolle,<br />
Impulsivität, Irritabilität,<br />
und emotionale Labilität als Ausdruck <strong>der</strong><br />
mangelnden zeitlichen und lokalisatorischer<br />
Organisation des Verhaltens, d.h. des<br />
adäquaten sozialen Verhaltens zum richtigen<br />
Zeitpunkt am richtigen Ort. Normalerweise<br />
wird die intrinsische Motivation<br />
zur Betätigung aufrechterhalten, d.h. auch<br />
Handeln und Lernen ohne die vielfältigen<br />
Formen einer Belohnung.<br />
Störungen des medial-frontalen Regelkreises<br />
(MFC) führen zu Antriebslosigkeit<br />
bis hin zur Apathie. Selbst bei guter kognitivern<br />
Fähigkeiten besteht wenig Interesse<br />
zur Betätigung Vermutlich ist eine insuffiziente<br />
Funktion des N. accumbens, <strong>der</strong><br />
normalerweise als wichtigster Generator<br />
(„Turbo“) von Lernprozessen ist, für das<br />
Verhalten verantwortlich. Dieser Regelkreis<br />
ist zusammen mit Anteilen des OFC<br />
verantwortlich für das intrinsische Belohnungssystem<br />
des ZNS.<br />
Zwei weitere Regelkreise: inferior temporal<br />
und posterior parietal, vermitteln<br />
sensorische Reize zum frontalen Kortex<br />
und dem übrigen Kortex [12]. und unterstützen<br />
instrumentelles Lernen. Läsionen<br />
in diesen hinteren thalamokortikalen<br />
Verbindung, wie sie z. B: Frühgeborenen<br />
entdeckt wurden [8], führen zu abnormer<br />
Wahrnehmungsverarbeitung (Berührung,<br />
Propriozeption und Kraft) und mangeln<strong>der</strong><br />
Objektrepräsentation.<br />
Viele Lernprozesse und Entwicklungsschritte<br />
<strong>der</strong> Kognition und des Verhaltens<br />
verlaufen „assoziativ“ und sind nicht auf bewusste<br />
und kortikale Steuerung angewiesen;<br />
neurophysiologisch beruhen sie auf den<br />
gleichen Regelkreisen, die für die Sensomotorik<br />
zuständig sind. Die Basalganglien sind<br />
auch an <strong>der</strong> Entwicklung und dem Erwerb<br />
sprachlicher und rechnerischer Fähigkeiten<br />
beteiligt [15]. Sie sind dabei für die gleichen<br />
Funktionen wie bei <strong>der</strong> Motorik zuständig:<br />
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Steuerung von Intention, Regulierung von<br />
Geschwindigkeit sowie Ablauf von Handlungen<br />
o<strong>der</strong> Denkprozessen.<br />
kleinhirn<br />
Das Kleinhirn ist mit beinahe allen Arealen<br />
des Gehirns verbunden, es verknüpft<br />
und moduliert Tätigkeiten, kognitive Leistungen<br />
und Affekte mit dem Ziel eines<br />
zeitlich geordneten, effizienten Ablaufes<br />
und Verhaltens. Insofern ist es auch beteiligt<br />
an prozeduralen Lernprozessen. Läsi-<br />
Emotionen und Affekte sowie Kognition<br />
beeinflussen die sensomotorischen<br />
Lernprozesse.<br />
Spezielle neuroanatomisch nachweisbare<br />
Verbindungsstrukturen von<br />
Cortex und Subcortex werden neurophysiologischen<br />
Regelkreisen zugeordnet,<br />
die Sensomotorik, Kognition,<br />
Emotionen und Affekte miteinan<strong>der</strong><br />
verknüpfen.<br />
onen des Kleinhirns beeinträchtigen die<br />
Planungsfähigkeit, die Sprechflüssigkeit,<br />
die Fähigkeit zu abstrakten Überlegungen<br />
sowie das Arbeitsgedächtnis und führen<br />
zu Problemen in <strong>der</strong> räumlichen Orientierung<br />
und zu Affektstörungen (enthemmt<br />
o<strong>der</strong> abgestumpft) [3, 9, 18].<br />
kognitive lernprozesse und<br />
lernprozesse des Verhaltens<br />
Aufmerksamkeitssteuerung, Arbeitsgedächtnis<br />
und Antwortauswahl o<strong>der</strong> -inhibition<br />
sind die wichtigsten Bereiche<br />
eines Systems zur kognitiven Kontrolle<br />
(top-down) des bewussten Verhaltens, das<br />
zu den exekutiven Funktionen gehört. Bewusstes<br />
bzw. geplantes Verhalten benötigt<br />
die Fähigkeit, Ziel und Aufgabenstellung<br />
zu behalten, die „Antwort“ vorzubereiten<br />
und zu planen, irrelevante, nicht zielführende<br />
„Antworten“ zu hemmen und <strong>der</strong><br />
Aufgabenstellung angemessen zu bewältigen.<br />
Der praefrontale Kortex ist insbeson<strong>der</strong>e<br />
für Handlungsplanung, metakognitive<br />
Funktionen und Verhaltenssteuerung<br />
verantwortlich [1]. Er kontrolliert<br />
das Verhalten unter Berücksichtigung <strong>der</strong><br />
äußeren Umstände und Lebensbedingun-<br />
gen sowie <strong>der</strong> inneren Befindlichkeit und<br />
Wünsche. Er steht in Verbindung mit fast<br />
allen Arealen des Kortex sowie dem Hippokampus<br />
und dem limbischen System<br />
und damit dem dopaminergen Belohnungssystem<br />
[13]. Die Informationsverarbeitung<br />
wird entsprechend sensorischer<br />
(externer) und interner Einflüsse<br />
(z. B. Motivation o<strong>der</strong> Erinnerung) modifiziert,<br />
wodurch ein angemessenes Verhalten<br />
erreicht wird. Im Gegensatz zum<br />
motorischen Lernen sind die kognitiven<br />
Lernprozesse und -fortschritte nicht physisch<br />
greifbar und sichtbar, son<strong>der</strong>n erschließen<br />
sich über Än<strong>der</strong>ungen des Verhaltens<br />
und Bewältigung von Aufgaben<br />
o<strong>der</strong> Tests (siehe Beitrag Hirnleistungstraining<br />
in diesem Heft).<br />
Zentrales bewertungssystem<br />
und Flow<br />
Lernprozesse werden durch das zentrale<br />
Bewertungssystem unterstützt. Wenn sich<br />
Erfolge bei Lernprozessen einstellen o<strong>der</strong><br />
Ereignisse positiv bewertet werden, wird<br />
Dopamin über das mesolimbische System<br />
ausgeschüttet („dopamin burst“). Die vermehrte<br />
Konzentration von Dopamin führt<br />
zu positiven Emotionen („Glück“), die als<br />
Belohnung empfunden werden. Die Tätigkeit<br />
o<strong>der</strong> das Ereignis wird im Sinne eines<br />
„positive reinforcement“ gespeichert, wodurch<br />
ihre Wie<strong>der</strong>holung beför<strong>der</strong>t wird.<br />
Bleibt <strong>der</strong> Erfolg aus, wird akut weniger Dopamin<br />
ausgeschüttet („dopamin dip“), was<br />
zu einer negativen Emotion führt („Enttäuschung“);<br />
auch diese Tätigkeit o<strong>der</strong> dieses<br />
Ereignis wird gespeichert, aber im Sinne einer<br />
„negative reinforcement“, und in Zukunft<br />
vermieden. Diese Erkenntnisse sind<br />
im Alltag und bei <strong>der</strong> <strong>Ergotherapie</strong> relevant.<br />
Es existieren 4 Bahnsysteme im ZNS,<br />
die unterschiedliche Wirkungen vermitteln.<br />
Das mesolimbische projiziert zum<br />
limbischen System und wird dem beschriebenen<br />
Belohnungssystem zugeordnet, das<br />
mesokortikale System projiziert zum Frontallappen.<br />
Störungen dieser beiden Regelkreise<br />
führen zu 2 unterschiedlichen Formen<br />
von Aufmerksamkeitsstörungen [17].<br />
Bei einer mesolimbischen Störung versuchen<br />
die Kin<strong>der</strong>, unmittelbare Beachtung<br />
kin<strong>der</strong>ärztliche Praxis 83, 74 – 78 (2012) Nr. 2 www.kin<strong>der</strong>aerztliche-praxis.de