Neurobiologische Grundlagen der Ergotherapie
Neurobiologische Grundlagen der Ergotherapie
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Fortbildung | „Artikel des MonAts“<br />
versunken, zufrieden mit sich selbst und<br />
glücklich ist und dabei externe Reize ausblendet.<br />
Beobachtet und gemessen wurde<br />
Flow bei Musikern o<strong>der</strong> Künstlern, aber<br />
auch bei verschiedenen an<strong>der</strong>en Beschäftigungen<br />
des täglichen Lebens. Funktionelle<br />
MR-Studien zeigten, dass im ZNS je<br />
nach dem inneren Zustand unterschiedliche<br />
Areale aktiviert werden. Konzentrierten<br />
sich die Probanden auf das Ziel ihrer<br />
visuomotorisch o<strong>der</strong> auditiv orientierten<br />
Tätigkeit, wurden die entsprechenden kor-<br />
tikalen Areale aktiviert, waren die Probanden<br />
in <strong>der</strong> Lust am Arbeiten versunken,<br />
wurden die frontalen Areale aktiviert [5].<br />
Flow unterstützt die intrinsische Motivation,<br />
för<strong>der</strong>t die Selbstregulation von Emotionen<br />
und die Wahrnehmungsverarbeitung<br />
und damit die Lernprozesse. Das<br />
Flow erlebnis wirkt sich auch nachhaltig<br />
auf die psychische Befindlichkeit aus. Das<br />
beschriebene Motivationssystem und als<br />
auch in das o. g. Belohnungssystem wird<br />
außerdem vermittelt von <strong>der</strong> Produktion<br />
und Ausschüttung von Noradrenalin im<br />
Locus Coeruleus o<strong>der</strong> von Serotonin im in<br />
den Nuclei raphae im Hirnstamm, die über<br />
eigene Bahnsystem im ZNS verteilt werden.<br />
Auch sie wirken sich auf den Organismus<br />
und die Emotionen und damit die<br />
Informationsverarbeitung aus.<br />
neuroplastizität und speicherung/<br />
gedächtnis<br />
Bei <strong>der</strong> kindlichen Entwicklung werden<br />
reifungsbedingte Verän<strong>der</strong>ungen des Organismus,<br />
insbeson<strong>der</strong>e des ZNS, durch<br />
umwelt- o<strong>der</strong> erfahrungsbedingte Einflüsse<br />
modifiziert, was letztlich als ein<br />
steter Lern- und Speicherungsprozess begriffen<br />
werden muss. Offensichtlich gibt<br />
es bei einigen Fähigkeiten auch sensible<br />
Phasen o<strong>der</strong> gar kritische Perioden, die<br />
78<br />
Wenn die affektiven und emotionalen<br />
Einflüsse auf die Lernprozesse<br />
gestört sind, gilt es die „appetitiven“<br />
Verhaltensweisen zu för<strong>der</strong>n<br />
und die defensiven zu min<strong>der</strong>n sowie<br />
die Wirkung des Belohnungssystems<br />
zu nutzen.<br />
für das Sehen am besten erforscht worden<br />
sind. Die Lernprozesse werden repräsentiert<br />
durch Entstehung und Untergang<br />
von Synapsen bzw. Neuronenverbänden.<br />
Bei Läsionen des ZNS regenerieren die geschädigten<br />
Neuronen nur im begrenzten<br />
Umfang. Die wichtigste Option stellt die<br />
Reorganisation des ZNS dar, um eine Verbesserung<br />
von Funktionen und Fähigkeiten<br />
im Laufe <strong>der</strong> kindlichen Entwicklung<br />
o<strong>der</strong> im Rahmen eines Rehabilitationsprozesses<br />
zu erreichen. Dass es bei praktischen<br />
und mentalen Aktivitäten im Rahmen<br />
eines Übungs- o<strong>der</strong> Lernprozesses zu<br />
funktionellen (neurophysiologischen) und<br />
strukturellen (neuroanatomischen) Verän<strong>der</strong>ungen<br />
auch im Erwachsenenalter kommen<br />
kann, belegen zahlreiche Studien [11].<br />
Gelernte Bewegungsabläufe und Verhaltensweisen<br />
werden auf verschiedenen<br />
Ebenen bzw. in unterschiedlichen Arealen<br />
des ZNS gespeichert. Die Langzeit-Speicherung<br />
ist komplex abgesichert. Wie<strong>der</strong>holtes<br />
Üben spezieller Bewegungen und<br />
Tätigkeiten führt z. B. zur Vergrößerung<br />
<strong>der</strong> entsprechenden Areale im Motorkortex.<br />
Synaptische Verknüpfungen werden<br />
Lernprozess und Speicherung von<br />
Lernerfolgen sind eng verknüpft mit<br />
den Umgebungsbedingungen und<br />
dem aktuellen Kontext <strong>der</strong> Lernsituation.<br />
Sie werden geför<strong>der</strong>t durch die<br />
Wahl angemessener und sinnvoller<br />
Lernziele, die für den Betroffenen relevant<br />
sind. Insofern gelten für die<br />
normale Entwicklung und die Therapie<br />
bei gestörter Entwicklung bzw.<br />
bei Erkrankungen die gleichen neurophysiologischen<br />
<strong>Grundlagen</strong>.<br />
verän<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> entstehen neu, sogar neuronale<br />
Netzwerke können gebildet werden.<br />
Psychische Einflüsse, wie Motivation,<br />
Freude am Lernen, d. h. die emotionale<br />
Mitbeteiligung, <strong>der</strong> die Aktivierung<br />
des limbischen Systems entspricht, können<br />
über die Neurotransmitter Noradrenalin,<br />
Dopamin und Azetylcholin die strukturellen<br />
und funktionellen Verän<strong>der</strong>ungen<br />
unterstützen.<br />
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Korrespondenzadresse<br />
Prof. Dr. Dieter Karch<br />
Ehem. Leiten<strong>der</strong> Arzt des<br />
Kin<strong>der</strong>zentrums Maulbronn, Klinik für<br />
Kin<strong>der</strong>neurologie und Sozialpädiatrie<br />
Knittlinger Steige 21<br />
75433 Maulbronn<br />
Tel.: 070 43 / 160<br />
E-Mail: karch@kize.de<br />
kin<strong>der</strong>ärztliche Praxis 83, 74 – 78 (2012) Nr. 2 www.kin<strong>der</strong>aerztliche-praxis.de