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adhärenz, arzt-patienten-beziehung und interventionsmöglichkeiten ...

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ADHÄRENZ, ARZT-PATIENTEN-BEZIEHUNG UNDINTERVENTIONSMÖGLICHKEITENSeit der Entwicklung der hochaktiven antiretroviralen Therapie ist aus der HIV-Infektion eine behandelbare, chronische Erkrankung geworden. Voraussetzung einerbesseren Überlebenschance ist eine wirksame Suppression der Viruslast. Diese istnur durch eine konsequente, regelmäßige Einnahme der antiviralen Medikation zuerzielen. Damit stellt eine gute Adhärenz ein zentrales Element einer erfolgreichenHIV-Therapie dar (1).KAPITEL 1: AUTORITÄRER ARZTBei jedem Patienten besteht die Gefahr, dass er die gemeinsam mit dem Arztfestgesetzten Therapieziele nicht einhält, also eine ungenügende Adhärenz aufweist.Es lässt sich von Beginn der Betreuung an nicht sicher voraussehen, ob ein Patientseine Medikamente konsequent einnimmt oder nicht. Auch können sichEinstellungen <strong>und</strong> Verhaltensweisen im Verlauf der Behandlung ändern. Daher isteine umfassende Unterstützung durch den behandelnden Arzt zu jedem Zeitpunktder Betreuung wichtig (2).FILMSEQUENZ: Arzt-Patienten-GesprächAPAPAHerr Müller, Guten Tag. Was führt Sie heute zu mir?Guten Tag, Herr Dr. Maier. Ich komme zu einem Kontrolltermin. Wir hatten vor2 Wochen die Dosierung der Medikamente erhöht <strong>und</strong> mir geht es seitdemnicht gut.Was fehlt Ihnen denn?Vor allem ist mir häufig übel <strong>und</strong> ich musste schon mehrmals erbrechen.Alles halb so schlimm. Das kann schon einmal vorkommen. Ilona!? KönnenSie bitte kommen <strong>und</strong> bei Herrn Müller Blut abnehmen? Die Leberwerte <strong>und</strong>das Übliche, Sie wissen schon.Herr Müller, halten Sie die Ohren steif. Rufen Sie in 2 Tagen an, ob die Wertein Ordnung sind.Sonst noch ein Wunsch? Auf Wiedersehen.[...]Was haben wir in diesem Beispiel gesehen? Der Arzt behandelt den Patientenherablassend. Er kanzelt ihn ab <strong>und</strong> geht nicht auf seine Bedürfnisse ein. Er äußertsich unverständlich <strong>und</strong> erklärt nicht. Der Patient fühlt sich nicht ernst genommen. Ererwartet Unterstützung <strong>und</strong> Zuspruch, erhält diese aber nicht. Die Ursachen einerautoritären Haltung des Arztes können vielfältig sein <strong>und</strong> etwa auch durch einenschlechten Informationsstand des Arztes bedingt sein.LösungsmöglichkeitenEine umfassende <strong>und</strong> kompetente ärztliche Unterstützung fördert die Adhärenz.Fragen <strong>und</strong> informieren Sie Ihren Patienten:Führen Sie ein längeres Gespräch mit dem Patienten.Gehen Sie auf seine Wünsche <strong>und</strong> Bedürfnisse ein.Ermutigen Sie Ihren Patienten Fragen zu stellen.Seite 1


Informieren Sie ihn <strong>und</strong> klären Sie ihn umfassend in Sätzen auf, die an seinAuffassungsvermögen angepasst sindInformieren Sie sich selbst, denn: HIV-Patienten wissen viel, der Arzt sollte mehrwissen!Geben Sie klare <strong>und</strong> konkrete Verhaltensrichtlinien.Viele Ärzte sprechen zwar das Thema Adhärenz an, aber nur wenige setzenstandardisierte Instrumente zur Überwachung der Adhärenz ein. Mögliche Hilfensind standardisierte Skalen oder Erfassungsbögen sowie das therapeutische DrugMonitoring (3).ZusatzinfoÄrztliche Unterstützung ist gerade im Fall einer Umstellung der Therapie beiTherapieversagen wichtig, da die Adhärenz bei einer Zweit-Therapie generellniedriger ist als bei der Ersttherapie. Da das therapeutische Ergebnis vomAdhärenzniveau abhängt, ist gerade bei der Zweit-Therapie die ärztliche Betreuungvon großer Bedeutung (4, 5).Nun, wie könnte es in unserem ersten Beispiel weitergehen?FILMSEQUENZ: Arzt-Patienten-GesprächPAPAPMoment, ich habe Sie nicht richtig verstanden. Was haben Sie jetzt vor?Warum wollen Sie Blut abnehmen?Wir möchten wissen, wie hoch Ihre Medikamentenspiegel sind. Wir können sobei manchen Medikamenten feststellen, ob die Dosierung ausreicht oder obSie eine höhere oder eine niedrigere Dosierung benötigen.Wurden Ihnen denn in den letzten 2 Wochen noch andere Medikamenteverschrieben? Manche Medikamente bewirken, dass sich die Menge der HIV-Medikamente im Blut verändert.Jetzt wo Sie mich fragen: Ich hatte eine schwere Bronchitis <strong>und</strong> mein Haus<strong>arzt</strong>hat mir ein Antibiotikum verschrieben. Der Name fällt mir allerdings nicht mehrein. Ich muss es seit kurzem nicht mehr einnehmen.Aha, das könnte auch eine Ursache ihrer verstärkten Nebenwirkungen sein.Haben denn die Übelkeit <strong>und</strong> das Erbrechen wieder nachgelassen?Ja, das stimmt allerdings. Gestern <strong>und</strong> heute ging es mir wieder besser.KAPITEL 2: WECHSELNDE BETREUUNGFür Ärzte <strong>und</strong> Behandlungsteam ist es wichtig zu verstehen, warum Patiententherapeutische Anweisungen nicht befolgen. Nur mit einem besseren Verständnis fürdie Situation des Patienten <strong>und</strong> einem Vertrauensverhältnis zwischen Arzt <strong>und</strong>Patient können geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der Adhärenz eingeleitetwerden (1).Wie problematisch es ist, wie ein Vertrauensverhältnis unter einer wechselndenärztlichen Betreuung leidet oder erst gar nicht entstehen kann, können Sie in derfolgenden Szene nachvollziehen.Seite 2


FILMSEQUENZ Arzt-Patienten-GesprächAPAPAHerr Müller, wann waren Sie eigentlich das letzte Mal hier bei uns in derPraxis?Das war vor ca. 6 Wochen.Sagen Sie mal: Bei welchem Arzt waren Sie eigentlich das letzte Mal? Ichkann keine Eintragung in Ihrer Akte finden.Ich erinnere mich nicht mehr so genau. Er war jedenfalls groß, hatte dunkleHaare <strong>und</strong> eine Brille mit r<strong>und</strong>en Gläsern.Ach so. Das war wahrscheinlich Herr Dr. Klein. Der ist heute leider nicht da.Was hat er Ihnen denn gesagt, wie es weitergehen soll?[...]Da HAART nach heutigem Kenntnisstand eine lebenslange Behandlung erfordert, istein langfristig vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis entscheidend. Organisation<strong>und</strong> Atmosphäre in einer Praxis oder Ambulanz können das Vertrauen <strong>und</strong> dieAdhärenz der Patienten ungünstig beeinflussen.In unserem Beispiel behindert ein Wechsel der Betreuungspersonen dieZusammenarbeit zwischen Arzt <strong>und</strong> Patient.LösungsmöglichkeitenWichtig ist, auf Erfahrungen <strong>und</strong> Empfindungen des Patienten Rücksicht zu nehmen.Erleichtern Sie es dem Patienten, mitzuarbeiten!Falls Sie in Ambulanzen oder großen HIV-Praxen arbeiten: Achten Sie darauf,dass Ihre Patienten so häufig wie möglich vom selben Arzt betreut werden.Versichern Sie dem Patienten, dass er sich bei Problemen im Zusammenhangmit der Therapie, etwa ängstigenden Nebenwirkungen, an Sie wenden kann.Fördern Sie Selbstkontrolle <strong>und</strong> Eigeninitiative.Beziehen Sie nahe Bezugspersonen des Patienten, falls möglich, in dieBetreuung ein.ZusatzinfoStudien belegen, dass sich verschiedene Maßnahmen zur Förderung der Adhärenzpositiv im Hinblick auf die Viruslast <strong>und</strong> die Immunsituation auswirken können. Zusolchen Maßnahmen zählen z. B. Case-Management-Programme mit finanziellemAnreiz oder Psychoedukation (6, 7).FILMSEQUENZ: Arzt-Patienten-GesprächPADas müssten Sie doch wissen, was Ihr Kollege das letzte Mal besprochen hat!Ich kann Ihnen das auch nur mit eigenen Worten wiederholen. Wir haben beimletzten Mal nichts an den Medikamenten geändert. Es war weiterhin keineVirus-RNA nachweisbar.Danke! Das hilft mir schon weiter. Wenn Sie das nächste Mal kommen, bitteich Sie, sich speziell bei mir anzumelden. Lassen Sie sich auch am Telefondirekt zu mir durchstellen, wenn es Probleme geben sollte. Ich gebe Ihnen hierschon einmal meine Visitenkarte mit!Aber kommen Sie doch bitte in das Sprechzimmer mit, da können wir in Ruhesprechen.[...]Seite 3


Was könnte der Arzt verbessern? So oder so ähnlich könnte eine Lösung aussehen.KAPITEL 3: FALSCHE ÜBERZEUGUNGENArzt <strong>und</strong> Patient sind Partner. Probleme mit der Adhärenz können von beidenverursacht werden. Die nächste Szene verdeutlicht, eine Überzeugung desPatienten seine Adhärenz beeinflusst.FILMSEQUENZ: Arzt-Patienten-GesprächAPAPAPHerr Müller: Wir sehen uns ja heute das erste Mal wieder, seitdem wir eineBehandlung Ihrer HIV-Infektion begonnen haben. Sie nehmen jetzt diePräparate x <strong>und</strong> y jeweils im Abstand von 12 St<strong>und</strong>en. Wie haben Sie denn dieMedikamente vertragen?Ja, es ging so. Ehrlich gesagt, ganz schlecht. Nach jeder Einnahme war mirspeiübel.Ist es denn mit der Zeit besser geworden? Häufig nimmt die Stärke vonNebenwirkungen ja nach einiger Zeit ab.Ja, äh, Nein. Ein Fre<strong>und</strong> meinte dann noch, das würde alles nichts nützen.Gegen HIV könne man eh nichts machen <strong>und</strong> die Tabletten seien Quatsch.Und dann?Ja, ich glaube, dass er recht hat. Überhaupt ist ja die ganze Chemie schlechtfür meinen Körper. Und dann habe ich aufgehört, die Medikamente zunehmen. Im Moment geht es mir wieder gut.[...]Es kann schwierig sein, Patienten zur Einnahme von Medikamenten zu motivieren,wenn sie sich nicht krank fühlen, wenn sie den Krankheitsprozess nicht verstehenoder die Erkrankung innerlich nicht akzeptieren. Andere Patienten verstehen zwardie Krankheit, können jedoch die negativen Konsequenzen einer unregelmäßigenEinnahme ihrer Medikamente nicht nachvollziehen <strong>und</strong> es ist ihnen letztlich egal, obsie das Medikament nehmen oder nicht. Zudem können Befürchtungen, Ängste <strong>und</strong>Überzeugungen im Zusammenhang mit HAART bestehen, wie in unserem Beispiel.LösungsmöglichkeitenDie Therapie kann nur dann Erfolg haben, wenn es gelingt, sich mit dem Patientenauf ein gemeinsames Behandlungskonzept zu verständigen.Besprechen Sie die Bedürfnisse <strong>und</strong> Erwartungen, die Befürchtungen <strong>und</strong>Überzeugungen im Zusammenhang mit der antiretroviralen Therapie.Klären Sie über den Verlauf der Erkrankung, über die Wirksamkeit der Therapie<strong>und</strong> die Konsequenzen der Nicht-Einnahme der Medikamente auf.Empfehlen Sie dem Patienten, sich einen zweiten Rat einzuholen.ZusatzinfoWie gut ein Arzt seine Patienten kennt, d. h. die Qualität der Arzt-Patienten-Beziehung, beeinflusst die Adhärenz der Patienten. Dies ist das Ergebnis einerQuerschnittsanalyse von 4694 Interviews, die mit 1743 HIV-positiven Patientengeführt wurden. Patienten, die berichten, dass ihr Arzt sie als Person gut kenne,waren adhärenter <strong>und</strong> wiesen häufiger eine supprimierte Viruslast auf (Beach MC etal. J Gen Intern Med. 2006; 21: 661–665.).Seite 4


In diesem Beispiel klärt der Arzt klärt nicht adäquat auf, wie er die Medikamentenehmen muss <strong>und</strong> welche Nebenwirkungen der antiretroviralen Therapie zuerwarten sind. Er überprüft auch nicht, ob seine Anweisungen richtig verstandenwurden oder nicht. Keine gute Voraussetzung, um den Patienten „bei der Stange zuhalten!“.LösungsmöglichkeitenInformation <strong>und</strong> Aufklärung über die Therapie <strong>und</strong> ihre Nebenwirkungen sind für dieAdhärenz von zentraler Bedeutung.Klären Sie über die Notwendigkeit <strong>und</strong> Wirksamkeit einer Langzeittherapie auf.Erklären Sie die Wirkungsweise der Behandlung genau.Sprechen Sie Nebenwirkungen eines Medikaments an <strong>und</strong> wie man damitumgehen kann.Gehen Sie auf mögliche Langzeiteffekte ein.Regen Sie Patienten zum Lesen des Beipackzettels an <strong>und</strong> besprechen Siediesen anschließend gemeinsam.Eine wichtige Rolle spielt die Schulung von Patienten. Untersuchungen zeigen, dassSchulungen den Gebrauch von Langzeittherapeutika verbessern können (12). Ineiner Schulung können Faktoren <strong>und</strong> Bedenken angesprochen werden, die sichungünstig auf die Compliance auswirken.Patientenorganisationen eignen sich sehr gut, um Patienten ergänzend zurärztlichen Aufklärung zu beraten <strong>und</strong> zu trainieren.Auch im Internet können sich Patienten gut informieren.ZusatzinfoNach einer Untersuchung des Wissenschaftlichen Instituts der Ärzte Deutschlandsaus dem Jahr 2003 stellt das Wissen um die Notwendigkeit der Tabletteneinnahme,um den Therapieerfolg nicht zu gefährden, die Disziplin der betroffenen Person <strong>und</strong>die Akzeptanz der Therapie die stärksten Adhärenz-Determinanten dar (WIAD gem.e. V. Adhärenz in der HIV-Therapie: Was beeinflusst den Behandlungserfolg?Abschlussbericht der Phase II. 2003).Sehen Sie wieder ein Beispiel, wie es besser geht ... natürlich nur kurz angerissen.Und in der Wirklichkeit muss jeder seinen eigenen Weg finden!FILMSEQUENZ: Arzt-Patienten-GesprächPAKönnen Sie mir genau erklären, wann ich welche Medikamente wie einnehmenmuss, welche Nebenwirkungen ich zu erwarten habe <strong>und</strong> wie ich michverhalten soll, wenn Nebenwirkungen auftreten. Wenn ich ehrlich bin, habe ichSie nicht richtig verstanden!Aber gerne. Die Substanzen, die im ersten Medikament enthalten sind, heißenLopinavir <strong>und</strong> Ritonavir. Sie gehören zur Substanzklasse der so genanntenProteaseinhibitoren. Sie müssen jeweils 2 Tabletten im Abstand von 12St<strong>und</strong>en mit einer Mahlzeit einnehmen.Ich gebe Ihnen hier noch weitere Informationen zur Behandlung der HIV-Infektion mit Medikamenten mit. Das können Sie sich in Ruhe zu Hausedurchlesen. Wenn Sie Fragen haben, können Sie mich gerne anrufen.Vielleicht interessiert Sie ja auch eine Schulung für HIV-positive Menschen. Ichhabe hier ein Angebot, das etwas für Sie sein könnte.[...]Seite 6


ZusatzinfoEine niedrige Adhärenz beschränkt sich nicht gr<strong>und</strong>sätzlich auf bestimmte sozialeKlassen. Vielmehr lassen sich Gruppen mit erhöhter Vulnerabilität ausfindig machen,wie z. B. Patienten mit Substanz-, Drogen <strong>und</strong> Alkoholgebrauch Menschen mit kognitiver Dysfunktion Psychiatrische Komorbidität Migranten/Angehörige ethnischer Minoritäten Betroffene mit niedriger Schulbildung (Werdende) Mütter <strong>und</strong> Frauen u. a.(Dt. Leitlinien zur Unterstützung der Adhärenz im Rahmen einer antiretroviralenTherapie bei HIV-Infektion, 2004)Was könnte der Arzt verbessern? So oder so ähnlich könnte eine Lösung aussehen.FILMSEQUENZ: Arzt-Patienten-GesprächAAGut, jetzt habe ich mir ein genaues Bild machen können, wie IhreReisetätigkeit aussieht. Ich denke, wir können nun einen Plan aufstellen, mitdessen Hilfe Sie Ihre Medikamente richtig einnehmen können.Wenn Sie morgens fliegen <strong>und</strong> um 8 Uhr Ihre letzte Dosierung einnehmenkönnen, sollten Sie Ihre nächste Dosierung ....KAPITEL 6: MERKMALE DES ARZTES: EMPATHIE, WEITERBILDUNGZu den Faktoren, die sich auf die Adhärenz auswirken können, gehören auchbestimmte Eigenschaften eines Arztes, etwa wie empathisch er seinen Patientenbegegnet <strong>und</strong> welche Auffassung er von seinem Beruf hat. Die Vorstellung eines„Gottes in Weiß“ lässt sich zum Beispiel kaum mit einer vertrauensvollen BetreuungHIV-Infizierter in Einklang bringen.Auch der Stand der Weiterbildung auf dem Gebiet der HIV-Therapie <strong>und</strong> speziell dieAuseinandersetzung mit dem Thema Adhärenz spielen eine wichtige Rolle.FILMSEQUENZ: Arzt-Patienten-Gespräch (mangelnde Empathie,Ausbildungsdefizit)APAPAPHerr Müller, entschuldigen Sie, dass Sie so lange warten mussten, heute istwirklich viel los.Was wollten Sie noch einmal wissen?Meine Frage war, wie ich die Medikamente einnehmen muss, die Sie mirverschrieben haben.Sie müssen Ihre Medikamente genau so einnehmen, wie ich es Ihnen gesagthabe. Und zwar 2-mal täglich.Um wie viel Uhr muss ich die Medikamente einnehmen?Am besten um 8 Uhr morgens <strong>und</strong> um 20 Uhr abends, mit genau 12 St<strong>und</strong>enAbstand.Hmm. Ich arbeite regelmäßig abends von 18 bis 23 Uhr <strong>und</strong> kann zu dieserZeit unmöglich die Medikamente einnehmen. Ich möchte auch nicht, dassmeine Kollegen etwas bemerken.Seite 8


APAPADa kann man aber nichts machen. Sie müssen die Medikamente einnehmen.Und wenn ich die Medikamenteneinnahme verschiebe?Das würde ich Ihnen nicht raten.Oder gibt es andere Medikamente, die nur einmal täglich einzunehmen sind?Ich habe neulich gehört, dass es ein solches Medikament gibt, erinnere michaber nicht mehr an den Namen.Mag sein, ich weiß davon allerdings noch nichts. Aber die kommen für Siesowieso nicht in Frage.So Herr Müller, wenn Sie keine weiteren Fragen haben ...Der Arzt zeichnet sich nicht unbedingt durch selbstkritische Reflexion aus. Einverunsicherter Patient findet in diesem Fall möglicherweise nicht die notwendigeUnterstützung, die er benötigt, um die Therapie langfristig durchzuhalten.Berufliche Überforderung des Arztes <strong>und</strong> seine Unfähigkeit, diese zu vermeiden,führen in der Regel zum Verlust der Empathie <strong>und</strong> zur Flucht in routinierteAbfertigung. In unserem Beispiel ist der Arzt überfordert <strong>und</strong> mit aktuellenEntwicklungen der HIV-Therapie nicht h<strong>und</strong>ertprozentig vertraut. Hier sindVorschläge, wie Sie es besser machen könnten.ZusatzinfoNach einer Studie aus Kanada scheint die Adhärenzrate von HIV-Patienten auchvon der Erfahrung des behandelnden Arztes abzuhängen. Patienten, die einemerfahrenen Arzt behandelt werden, weisen höhere Adhärenzraten auf als Patienten,die von einem weniger erfahrenen Arzt behandelt werden (13).LösungsmöglichkeitenArzt <strong>und</strong> Patient können auf unterschiedliche Art <strong>und</strong> Weise reagieren, wennAusbildungsdefizite zu Tage treten oder persönliche Merkmale des Arztes die Arzt-Patienten-Beziehung <strong>und</strong> damit die Adhärenz behindern.Nehmen Sie sich Zeit <strong>und</strong> reflektieren Sie über sich <strong>und</strong> Ihre berufliche Situation.Nehmen Sie z. B. an einem Training zur Behandlungs<strong>adhärenz</strong> oder an einerBalint-Gruppe teil.Auch ein Arztwechsel durch den Patienten kann eine Lösung darstellen, wenn dieEigenschaften des Behandlers, z. B. Allmachtsansprüche, ein starrer Lebensentwurf,mangelnde Empathie, chronische Erschöpfung oder finanzielle Interessen, dieAdhärenz stören, mit der Betreuung interferieren.ZusatzinfoDie Ergebnisse einer Studie aus vor Beginn der HAART-Ära verdeutlichen, wie dieErfahrung eines Arztes mit der Therapie der HIV-Infektion das therapeutischeOutcome beeinflusst. In diese Studie wurden 403 erwachsene Patienten mit AIDSzwischen 1984 <strong>und</strong> 194 eingeschlossen. Das mittlere Überleben der Patienten, dievon Hausärzten mit wenig Erfahrung betreut wurden, betrug 14 Monate, bei denerfahrenen Ärzten 26 Monate. Die Hausärzte konnten zu jedem Zeitpunkt einenSpezialisten hinzuziehen (14).Seite 9


FILMSEQUENZ: Arzt-Patienten-GesprächPAPHerr Dr. Maier, ich habe den Eindruck, dass Sie sich nicht in meine Situationeinfühlen können. Ich weiß von anderen Betroffenen, dass es sehr wohlAlternativen gibt.Ja, wenn Sie meinen, dann wird das schon stimmen. Aber bei mir nicht.Dann wird das wohl mein letzter Besuch bei Ihnen gewesen sein. Ich werdemir einen anderen Arzt suchen.KAPITEL 7: ERLEICHTERN DER MITARBEIT - FORTLAUFENDEUNTERSTÜTZUNG BEI DER THERAPIEJeder Patient hat ein Potenzial an Autonomie, das er für sich in Anspruch nehmenkann (1). Dieses Potenzial an Eigenverantwortung <strong>und</strong> Mitarbeit sollte als positivgesehen werden. Ein dauerhaftes Angebot, die Mitarbeit des Patienten zuunterstützen, verbessert die Adhärenz (7). Dazu gehören auch praktische Aspekteder Praxisorganisation, etwa wenn es um die Vereinbarung von Terminen oder dieOrganisation der Tabletteneinnahme geht.FILMSEQUENZ: Arzt-Patienten-GesprächAPAPAPGuten Tag, Herr Müller. Wie geht es Ihnen?Guten Tag, Herr Dr. Maier. Nicht so besonders gut, schon seit einigenWochen. Ich konnte meine Medikamente in den letzten 2 Wochen nicht mehrnehmen, weil ich so starken Durchfall hatte.Warum haben Sie sich denn nicht schon vorher bei mir gemeldet?Hatte ich ja, aber Ihre Sprechst<strong>und</strong>enhilfe meinte, sie könne mir auf keinen Falleinen früheren Termin geben.Aha.Und dann habe ich noch Schwierigkeiten, bei den vielen Tabletten denÜberblick zu behalten. Ich bin mir manchmal nicht sicher, ob ich die richtigenTabletten zur richtigen Zeit eingenommen habe.In unserem Beispiel liegt offensichtlich ein Problem der Praxisorganisation vor.Schwierigkeiten, einen geeigneten Ansprechpartner in der Praxis oder Ambulanzanzutreffen, lange Wartezeiten oder andere praktische Hindernisse, die denPatienten bei der Einnahme der Medikamente behindern, können die Adhärenzbeeinträchtigen. Unserem Patienten z. B. bereitet die korrekte Einnahme der HAARTProbleme, obwohl er durchaus zur Mitarbeit motiviert ist. Haben Sie eine Idee, wiees besser ginge?LösungsmöglichkeitenMöglichkeiten, die Mitarbeit in der Therapie dauerhaft zu erleichtern:Berücksichtigen Sie die Wünsche von Patienten bei der Terminvergabe.Notieren Sie Termine <strong>und</strong> erinnern Sie, wenn möglich, den Patienten anKontrolltermine per Postkarte oder telefonisch.Fördern Sie Selbstkontrolle <strong>und</strong> Eigeninitiative.Gestalten Sie Therapiepläne so einfach wie möglich.Stellen Sie Tablettentagebücher <strong>und</strong> –Tabellen zur Verfügung.Empfehlen Sie Tablettendosierer, mit denen die Medikation übersichtlicheingeordnet werden kann, um die richtige <strong>und</strong> regelmäßige Einnahme zu erleichtern.Seite 10


ZusatzinfoEine randomisierte Studie untersuchte die Auswirkung von 15 individuellen 90-minütigen Beratungsgespräche über einen Zeitraum von 15 Monaten bei 240 wenigadhärenten (


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