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Von Kleinburgwedel nach Santiago de Compostela Tagebuch einer ...

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<strong>Von</strong> <strong>Kleinburgwe<strong>de</strong>l</strong> <strong>nach</strong> <strong>Santiago</strong> <strong>de</strong> <strong>Compostela</strong><br />

<strong>Tagebuch</strong> <strong>einer</strong> Pilgerreise<br />

von<br />

Berthold Schnei<strong>de</strong>r


Inhaltsverzeichnis<br />

Der Weg durch Deutschland ................................................................................. 1<br />

Der Weg durch Frankreich bis Le Puy................................................................ 19<br />

Die via podiensis ................................................................................................. 29<br />

<strong>Von</strong> Le Puy bis Figeac..................................................................................... 29<br />

<strong>Von</strong> Figeac bis Cahors..................................................................................... 37<br />

Auf <strong>de</strong>m Camino <strong>de</strong> <strong>Santiago</strong> ............................................................................. 43<br />

<strong>Von</strong> St.-Jean-Pied-<strong>de</strong>-Port bis Pamplona ........................................................ 43<br />

<strong>Von</strong> Léon <strong>nach</strong> <strong>Santiago</strong> <strong>de</strong> <strong>Compostela</strong>......................................................... 47<br />

<strong>Von</strong> Pamplona bis Burgos ............................................................................... 59


Der Weg durch Deutschland<br />

1


Otternhagen, 4. Juni (Sonntag)<br />

Nun ist es begonnen. Nach m<strong>einer</strong> Abschiedsvorlesung über 'Wissenschaft und Metho<strong>de</strong>',<br />

<strong>nach</strong> viel Lob (das mich sehr verlegen gemacht hat), <strong>nach</strong> vielen guten Zigarren, Wein,<br />

Büchern (oft über <strong>de</strong>n Jakobsweg) und vielen an<strong>de</strong>ren schönen Geschenken, <strong>nach</strong> <strong>de</strong>r<br />

Entsorgung von 30 Jahren m<strong>einer</strong> Vergangenheit (geschätzt ca. 4 Tonnen Papier) und <strong>de</strong>m<br />

Aufarbeiten <strong>de</strong>r letzten Verpflichtungen habe ich mich endlich heute, am Sonntag <strong>de</strong>n 4. Juni<br />

(<strong>de</strong>m Sterbetag meines Vaters vor 49 Jahren) um 8 Uhr morgens von <strong>Kleinburgwe<strong>de</strong>l</strong> aus auf<br />

<strong>de</strong>n Weg <strong>nach</strong> <strong>Santiago</strong> <strong>de</strong> <strong>Compostela</strong> gemacht.<br />

Ich folgte zunächst <strong>de</strong>m Lauf <strong>de</strong>r We<strong>de</strong>l über die A7 (die ich auf <strong>einer</strong> schön geschwungenen<br />

Fußgängerbrücke überquerte, die mir schon seit 30 Jahren beson<strong>de</strong>rs gefällt), ging dann zur<br />

Wietze und weiter auf <strong>de</strong>m Europawan<strong>de</strong>rweg Nr. 1 (E1) <strong>nach</strong> Westen. Entgegen <strong>de</strong>r<br />

Wettervorhersage wur<strong>de</strong> es ein sonniger, teilweise schwüler Tag. Der Weg führte durch<br />

Moor, Bruchwäl<strong>de</strong>r und Wiesen, auf <strong>de</strong>nen schon mit <strong>de</strong>r Heuernte begonnen wur<strong>de</strong>. Es gab<br />

viele Fliegen, vor allem in <strong>de</strong>n Bruchwäl<strong>de</strong>rn. Ich genoss trotz<strong>de</strong>m das Wan<strong>de</strong>rn auf <strong>de</strong>n<br />

Sandwegen, die von Sommerblumen gesäumt waren. Bei einem Griechen machte ich gegen<br />

14 Uhr Mittagsrast und ließ anschließend meine Trinkflasche mit Retzina und Wasser<br />

auffüllen, damit ich in <strong>de</strong>r Mittagshitze nicht verdurste. Am späten Nachmittag, <strong>nach</strong><strong>de</strong>m ich<br />

am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Otternhagener Moors entlang gegangen war, verlor ich vor Scharell die<br />

Markierung <strong>de</strong>s E1 und ging einige Kilometer auf <strong>de</strong>r Landstraße <strong>nach</strong> Otternhagen. Am<br />

En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Ortes fand ich einen Biergarten und ein Hotel (Hotel Perl). Da Retzina und Wasser<br />

schon längst aufgebraucht waren, machte ich freudig Halt im Biergarten, löschte meinen<br />

enormen Durst mit viel Bier, aß zu Abend Matjes und nahm ein Zimmer im Hotel. So verging<br />

<strong>de</strong>r erste Tag.<br />

Bad Nenndorf, 5. Juni (Montag)<br />

Morgens habe ich <strong>de</strong>n E1 wie<strong>de</strong>rgefun<strong>de</strong>n. Er führt direkt am Hotel vorbei und biegt dort in<br />

die Feldmark ab. Die Markierung an einem Lichtmast war aber teilweise verklebt und <strong>nach</strong><br />

<strong>de</strong>m Abbiegen fehlt zunächst je<strong>de</strong> Markierung.<br />

Es war be<strong>de</strong>ckter Himmel und schwül. Der Weg führte durch viel Wald mit vielen Schnaken<br />

und Bremsen, dann auf komplizierten Brücken über die B6 <strong>nach</strong> Bor<strong>de</strong>nau. Dort konnte ich<br />

das Schloss und Scharnhorst-Denkmal bewun<strong>de</strong>rn, fand aber keine geöffnete Gaststätte, um<br />

meinen Durst zu stillen (ich hatte vergessen, meine Wasserflasche aufzufüllen). Ich ging dann<br />

weiter über die Leine, die sich hier schon zu einem beachtlichen Fluss gemausert hat, und auf<br />

langen gera<strong>de</strong>n und eintönigen Wegen um <strong>de</strong>n Fliegerhorst Wunstorf herum <strong>nach</strong> Steinhu<strong>de</strong>,<br />

das ich gegen Mittag erreichte. Dort fing es zu regnen an; mir taten die Füße und <strong>de</strong>r Rücken<br />

weh und ich hatte Durst. In <strong>einer</strong> Imbiss-Halle machte ich Rast, trank 1½ Maß Bier und aß<br />

eine Curry-Wurst. Später ging ich zum See, <strong>de</strong>r aber im Regen nicht beson<strong>de</strong>rs einla<strong>de</strong>nd<br />

aussah. Ich ging daher auf Feldwegen weiter <strong>nach</strong> Sü<strong>de</strong>n in Richtung Bad-Nenndorf.<br />

Unterwegs begegneten mir zwei Mädchen auf Fahrrä<strong>de</strong>rn, die mich fragten, wo ich hinwolle.<br />

Als ich ihnen sagte: '<strong>nach</strong> <strong>Santiago</strong> <strong>de</strong> <strong>Compostela</strong>', wollten sie sich ausschütten vor Lachen.<br />

Der Feldweg führte weiter <strong>nach</strong> I<strong>de</strong>nsen, wo ich bei <strong>de</strong>r romanischen Sigwardskirche aus <strong>de</strong>m<br />

12.-13. Jahrhun<strong>de</strong>rt Rast machte. Die Füße und <strong>de</strong>r Rücken taten nicht mehr so weh und ich<br />

hatte in Steinhu<strong>de</strong> meine Wasserflasche aufgefüllt, so dass ich auch <strong>de</strong>n Durst löschen konnte.<br />

Der Regen hatte inzwischen auch aufgehört. Es ging weiter am Mittellandkanal entlang, <strong>de</strong>n<br />

ich auf <strong>einer</strong> Fußgängerbrücke bei Haste überquerte. Dann ging es durch viel Wald und<br />

2


schließlich auf einem Betonweg an <strong>de</strong>r A2 entlang. Das war mir zuviel. Ich bog kurz vor Bad<br />

Nenndorf vom E1 <strong>nach</strong> <strong>de</strong>m Ort Riehe ab, wo ein Schild einen Landgasthof ankündigte. Der<br />

Gasthof hatte Ruhetag, aber im angeschlossenen Hotel bekam ich ein schönes Zimmer. Im<br />

Gasthof wur<strong>de</strong> gera<strong>de</strong> eine Blutspen<strong>de</strong>aktion been<strong>de</strong>t. <strong>Von</strong> <strong>de</strong>n übrig gebliebenen<br />

Wurstbroten gab mir die Wirtin zwei und dazu zwei Flaschen Paulaner Weißbier. Da war <strong>de</strong>r<br />

Abend gerettet.<br />

Bad Mün<strong>de</strong>r, 6. Juni (Dienstag)<br />

Sigwardskirche in I<strong>de</strong>nsen<br />

Am Morgen, beim Frühstück in Riehe, klagte die Wirtin einem Gast ihr Leid. Ihr Mann sei<br />

krank und k<strong>einer</strong> könne ihm helfen; er habe halt in s<strong>einer</strong> Jugend zu viel und zu schwer<br />

arbeiten gemusst. Auch sie habe in ihrem ganzen Leben nur gearbeitet; man habe immer<br />

angebaut o<strong>de</strong>r ausgebaut. Die erhofften Gäste <strong>de</strong>r EXPO blieben aus, aber sie seien<br />

glücklicherweise nicht darauf angewiesen; durch Hochzeits- o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Festgesellschaften,<br />

die im Gasthof feiern und im Hotel über<strong>nach</strong>ten, seien sie ganz gut ausgelastet.<br />

Nach diesem Einblick in die Sorgen <strong>de</strong>r Wirtsleute ging ich weiter <strong>nach</strong> Sü<strong>de</strong>n, verließ die<br />

Nord<strong>de</strong>utsche Tiefebene und überstieg <strong>de</strong>n Deister. Der Weg zum Deister begann im Kurpark<br />

von Bad Nenndorf, wo die Wege von ungezählten, schön gestutzten Kugelahorn-Bäumen<br />

gesäumt sind. Auf <strong>einer</strong> Fußgängerbrücke ging es über die A2 und dann auf gepflegten<br />

Waldwegen über <strong>de</strong>n Deister. Der Himmel war be<strong>de</strong>ckt, aber es regnete nicht. Es gab viele<br />

Möglichkeiten zum Rasten und Einkehren. Eine davon, <strong>de</strong>n Nordmann-Turm, nahm ich gegen<br />

Mittag wahr, aß eine Erbsensuppe, trank viel Bier und hörte <strong>de</strong>n Gesprächen <strong>de</strong>r Rentner zu,<br />

die mit in <strong>de</strong>r Gaststätte saßen und über ihre Krankheiten und Wehwehchen klagten. Ich ging<br />

dann weiter über die Deisterhöhe zum Annaturm und von da <strong>nach</strong> Westen in Richtung Bad<br />

Mün<strong>de</strong>r. Inzwischen kam sogar die Sonne heraus. Bad Mün<strong>de</strong>r erreichte ich gegen 18 Uhr<br />

und fand dort ein Hotelzimmer, Aben<strong>de</strong>ssen und viel Bier. Im Westen sah ich das zweite<br />

Mittelgebirge, <strong>de</strong>n Süntel, liegen, <strong>de</strong>n ich morgen zu überqueren ge<strong>de</strong>nke.<br />

Aerzen, 7. Juni (Mittwoch)<br />

Bei leichtem Regen ging ich auf von Pappeln gesäumten Wegen vorbei an Sport- und<br />

Industrieanlagen zum Fuß <strong>de</strong>s Süntel. Dort führte eine breite, geteerte Straße in Serpentinen<br />

3


zum Süntelturm. Unterwegs überholte ich eine Wan<strong>de</strong>rgruppe, die meinten, ich ginge zu<br />

schnell; das sei auf diesen Wegen verboten. Ich behielt trotz<strong>de</strong>m meinen Schritt bei. Im<br />

Süntelturm war die Gaststätte schon geöffnet und ich bekam (als erster Gast <strong>de</strong>s Tages) Bier<br />

und eine gute Suppe. Beim Abstieg <strong>nach</strong> Hameln wur<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>m leichten ein starker Regen.<br />

Beim Mittagessen im Rattenfängerhaus in Hameln überlegte ich, ob es sich lohne an diesem<br />

Tag weiterzugehen. Als aber die Sonne wie<strong>de</strong>r zum Vorschein kam, entschloss ich mich doch<br />

zum Weiterwan<strong>de</strong>rn. Zuvor hatte ich noch in <strong>einer</strong> Drogerie eine große Dose Penatencreme<br />

gekauft, die mir bei <strong>de</strong>r weiteren Wan<strong>de</strong>rung noch gute Dienste leistete.<br />

Der Weg führte über die Weser und auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite zum Klüturm hoch. Dann ging es<br />

durch viel Wald <strong>nach</strong> Aerzen. Dort fand ich im Hotel 'Gol<strong>de</strong>ner Engel' ein Zimmer und in<br />

<strong>einer</strong> jugoslawischen Gaststätte ein gutes Aben<strong>de</strong>ssen.<br />

Lemgo, 8. Juni (Donnerstag)<br />

Der Morgen begann freundlich. Die Sonne schien und es war nicht zu warm, das richtige<br />

Wetter zum Wan<strong>de</strong>rn. Nur die Wirtin war griesgrämig und schimpfte über alles Mögliche:<br />

dass sie es so schwer hat und alles allein machen muss, dass die Steuern so hoch sind, die<br />

Benzinpreise steigen, keine Gäste von <strong>de</strong>r EXPO kommen usw. Die Wirtsleute haben es eben<br />

auch nicht leicht.<br />

Ich ging von Aerzen zurück zum E1, am Gasthaus Waldquelle vorbei (wo ich gestern kein<br />

Zimmer bekam) und über <strong>de</strong>n Lüningsberg zur Hohen Asch, <strong>de</strong>m höchsten Berg im<br />

Lippeschen Bergland. Allmählich machten sich wie<strong>de</strong>r die Wehwehchen bemerkbar: die<br />

Rucksacken<strong>de</strong>n scheuerten mir die Hüften auf. Ich schmierte die Stellen dick mit<br />

Penatencreme ein (und manches An<strong>de</strong>re wur<strong>de</strong> auch weiß verschmiert), aber es brannte<br />

trotz<strong>de</strong>m und ich musste <strong>de</strong>n Rucksack immer an<strong>de</strong>rs verlagern. Inzwischen wur<strong>de</strong> es mittags<br />

und die Sonne brannte heiß herab. Ich hatte Durst und fand kein geöffnetes Gasthaus (ich<br />

hatte wie<strong>de</strong>r vergessen meine Wasserflasche zu füllen).<br />

Nach <strong>de</strong>r Hohen Asch folgte ich <strong>einer</strong> falschen Markierung, die mich fast wie<strong>de</strong>r<br />

zurückführte. Gegen 14.30 Uhr kam ich <strong>nach</strong> Alverdissen, wo ein Kaufmannsla<strong>de</strong>n um 15<br />

Uhr öffnete. Ich wartete im Schatten vor <strong>de</strong>r Kirche bis 15 Uhr und konnte endlich etwas zum<br />

Trinken kaufen und meinen Durst stillen. Anschließend ging ich zur B6 und an ihr entlang<br />

Richtung Lemgo. Kurz vor <strong>de</strong>r Stadt fand ich einen Fußweg, <strong>de</strong>r durch <strong>de</strong>n Lemgoer<br />

Stadtwald über einen Hügel (auf <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Friedhof lag) <strong>nach</strong> Lemgo führte. Dort kam ich<br />

gegen 20 Uhr an, bekam ein Zimmer im Hansa-Hotel (in <strong>de</strong>m ich schon vor 12 Jahren bei<br />

m<strong>einer</strong> Wan<strong>de</strong>rung durch Deutschland über<strong>nach</strong>tete) und ließ mich erschöpft aufs Bett fallen.<br />

Ich konnte nicht mehr Essen und trank nur Wasser aus <strong>de</strong>r Leitung. Ich bekam Schüttelfrost,<br />

<strong>de</strong>r aber <strong>nach</strong> ca. <strong>einer</strong> Stun<strong>de</strong> verschwand, so dass ich doch noch schlafen konnte.<br />

Oerlinghausen, 9. Juni (Freitag)<br />

Morgens fühlte ich mich wie<strong>de</strong>r einigermaßen erholt und machte mich <strong>nach</strong> einem einfachen<br />

Frühstück (viel essen konnte ich nicht) auf <strong>de</strong>n Weg. Der Wetterbericht im Radio verkün<strong>de</strong>te<br />

30° C im Schatten; und das wur<strong>de</strong> es auch (nur dass ich meist keinen Schatten hatte). Ich<br />

verließ <strong>de</strong>n E1 und ging auf Nebenstraßen (o<strong>de</strong>r wenn es gar nicht mehr an<strong>de</strong>rs ging auf <strong>de</strong>m<br />

Fußweg neben <strong>de</strong>r stark befahrenen B 66) Richtung Bielefeld. Ich hatte nämlich bereits im<br />

Februar Hilia und Norbert versprochen, sie auf meinem Weg <strong>nach</strong> <strong>Santiago</strong> in Bielefeld zu<br />

besuchen. Morgens hatte ich Hilia angerufen und erfahren, dass heute Norbert operiert wird<br />

und einen Bypass bekommt. Sie hat mich aber gebeten, trotz<strong>de</strong>m bei ihr vorbeizukommen.<br />

4


Ganz schaffte ich an diesem heißen Tag aber die Strecke <strong>nach</strong> Bielefeld nicht mehr. Im<br />

schönen Bergstädtchen Oerlinghausen machte ich abends Halt, stärkte mich in <strong>einer</strong><br />

Gaststätte mit viel Bier und einem einfachen Aben<strong>de</strong>ssen und bekam auf Empfehlung <strong>de</strong>s<br />

Wirts in einem nahe gelegenen Hotel garni ein schönes Zimmer für die Nacht. Hier konnte ich<br />

mich weiter erholen. Mein Rücken war noch wund, schien aber auf <strong>de</strong>m Weg <strong>de</strong>r Besserung<br />

zu sein.<br />

Bielefeld, 10. Juni (Samstag)<br />

Am Morgen ging ich frisch gestärkt auf <strong>de</strong>m Kamm <strong>de</strong>s Teutoburger Wal<strong>de</strong>s <strong>nach</strong> Bielefeld.<br />

Die Sonne schien schon warm, aber <strong>de</strong>r Weg war schattig. In <strong>de</strong>r Gaststätte 'Zum eisernen<br />

Anton' (schon fast in Bielefeld) machte ich Rast und trank meinen Frühschoppen (<strong>de</strong>r meist<br />

aus min<strong>de</strong>stens einem Liter Bier o<strong>de</strong>r Alster bestand). Dann ging es weiter bis zur<br />

Sparrenburg, die ich Punkt 12 Uhr erreichte. Obwohl <strong>de</strong>r Biergarten winkte, ging ich in <strong>de</strong>r<br />

Mittagshitze gleich weiter, hinab ins Zentrum von Bielefeld und dann wie<strong>de</strong>r hinauf zum<br />

Johannisberg. Ziemlich erschöpft kam ich gegen 13 Uhr bei Hilia in Uerentrup an. Dort<br />

wur<strong>de</strong> ich herzlich empfangen und konnte mich erholen; meinen Durst löschen, mich duschen<br />

und ausruhen. Hilia hat auch gleich meine verschwitzten Sachen gewaschen. Die Bypass-<br />

Operation von Norbert war gut verlaufen und ich konnte <strong>nach</strong>mittags mit ihm telefonieren.<br />

Wir waren alle darüber sehr erleichtert und froh. Abends ging ich mit Hilia in einem guten<br />

Restaurant vornehm essen ('dinieren' müsste man wohl sagen) und wir plau<strong>de</strong>rten über unsere<br />

Kin<strong>de</strong>r und Enkel und über vergangene Zeiten. Mein Rücken hatte sich weiter gebessert.<br />

Hid<strong>de</strong>sen (bei Detmold), 11. Juni (Pfingstsonntag)<br />

Nach einem guten Frühstück verließ ich Punkt 8 Uhr Hilia und wan<strong>de</strong>rte weiter <strong>nach</strong> Sü<strong>de</strong>n;<br />

zunächst wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n Johannisberg, dann <strong>nach</strong> Bielefeld hinab und zur Sparrenburg hoch<br />

und schließlich auf <strong>de</strong>m Hermannsweg über <strong>de</strong>n Kamm <strong>de</strong>s Teutoburger Wal<strong>de</strong>s. Die Sonne<br />

schien heiß von einem wolkenlosen Himmel, aber <strong>de</strong>r Weg war meist schattig und bot<br />

gelegentlich schöne Ausblicke <strong>nach</strong> Osten, zum Lippeschen Bergland, o<strong>de</strong>r <strong>nach</strong> Westen in<br />

die flache und sandige Senne, die bis zur Münsteraner Tiefebene reicht. Beim 'eisernen Anton'<br />

machte ich wie<strong>de</strong>r Frühschoppen und ging dann weiter bis Oerlinghausen, wo ich zu Mittag<br />

aß. Dann ging es weiter auf <strong>de</strong>m Hermannsweg <strong>nach</strong> Sü<strong>de</strong>n, vorbei an Ausgrabungen<br />

keltischer Siedlungen und Fluchtburgen und an sandigen Hei<strong>de</strong>stücken, in <strong>de</strong>nen das<br />

Hei<strong>de</strong>kraut schon zum Blühen ansetzte. Ich traf viele Pfingstausflügler, vor allem in <strong>de</strong>r Nähe<br />

von Parkplätzen. Am späten Nachmittag fiel mir das Wan<strong>de</strong>rn doch schwerer; die Füße taten<br />

weh und <strong>de</strong>r Rucksack drückte, wenn auch die aufgescheuerten Stellen fast verheilt waren<br />

und nicht mehr brannten. Gegen Abend erreichte ich Hid<strong>de</strong>sen, ein Vorort von Detmold, und<br />

bekam dort in einem Gasthof noch das letzte Zimmer (ohne Dusche und WC). Aber das Essen<br />

war vorzüglich (und ich konnte wie<strong>de</strong>r gut essen) und Bier gab es reichlich.<br />

Leopoldstal, 12. Juni (Pfingstmontag)<br />

Morgens <strong>nach</strong> <strong>de</strong>m Frühstück stieg ich zum Hermanns<strong>de</strong>nkmal hoch. Es war zwar noch etwas<br />

kalt, versprach aber ein schöner Tag zu wer<strong>de</strong>n. Unmittelbar unter <strong>de</strong>m mächtigen Sockel<br />

versuchte ich, Hermann von Hinten zu skizzieren, verzerrte aber die sowieso schon verzerrte<br />

Perspektive noch mehr, so dass er eher wie Asterix aussieht.<br />

Anschließend begann <strong>de</strong>r bisher schönste Teil <strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>rung. Ich hatte kaum Schmerzen, die<br />

Sonne schien, aber <strong>de</strong>r Weg war meist schattig und zeigte schöne Ausblicke auf die Lippesche<br />

Landschaft. Es tauchten immer wie<strong>de</strong>r Gasthäuser mit geöffneten Biergärten auf. In einem<br />

5


nahm ich gegen 10.30 Uhr meinen Frühschoppen. Im Hotel Bärenstein, wo ich vor 12 Jahren<br />

über<strong>nach</strong>tete, aß ich im schattigen Garten gut zu Mittag. Da<strong>nach</strong> ging ich zu <strong>de</strong>n<br />

Externsteinen, bei <strong>de</strong>nen aber ein sehr reger Betrieb herrschte. Ich ging daher rasch weiter zur<br />

Silbermühle, die idyllisch an einem großen Teich liegt, und stärkte mich dort mit <strong>einer</strong><br />

geräucherten Forelle und viel Bier. Der E1 führte weiter auf <strong>de</strong>n Velmerstot, <strong>de</strong>m höchsten<br />

Berg und gleichzeitig südlichen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Teutoburger Wal<strong>de</strong>s. Da<strong>nach</strong> beginnt das<br />

Eggegebirge, wo es lange keine Gasthäuser mehr gibt. Da es schon Abend wur<strong>de</strong>, stieg ich<br />

<strong>nach</strong> Osten ab und fand im nächsten Ort, Leopoldstal, ein gutes Gasthaus, das mir nicht nur<br />

ein schönes Zimmer, son<strong>de</strong>rn auch ein gutes Aben<strong>de</strong>ssen und viel Bier bot. So beschloss ich<br />

<strong>de</strong>n schönen Pfingstmontag.<br />

Herbram-Wald, 13. Juni (Dienstag)<br />

Hermanns<strong>de</strong>nkmal bei Detmold<br />

Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel und erwärmte die Landschaft schon<br />

beträchtlich, als ich mich um 8 Uhr auf <strong>de</strong>n Weg machte. Ich vergoss viel Schweiß beim<br />

Aufstieg auf <strong>de</strong>n Kamm <strong>de</strong>s Eggegebirges. Oben führte <strong>de</strong>r Weg ziemlich gera<strong>de</strong> stun<strong>de</strong>nlang<br />

zwischen Büschen und Bäumen hindurch, die kaum einen Ausblick auf die Warburger Bör<strong>de</strong><br />

(im Osten) o<strong>de</strong>r die Pa<strong>de</strong>rborner Ebene (im Westen) zuließen. An einigen Stellen waren die<br />

Waldschä<strong>de</strong>n auffallend; es gab kaum mehr Fichten. An an<strong>de</strong>ren Stellen stand aber ein dichter<br />

Fichtenwald.<br />

Gegen Mittag kam ich zur Iburg. Die Gaststätte hatte aber Ruhetag. So stieg ich ca. 3 km <strong>nach</strong><br />

Bad Driburg ab. Der Ort machte in <strong>de</strong>r Mittagshitze einen verlassenen Eindruck. Ich fand aber<br />

eine geöffnete jugoslawische Gaststätte (Adria-Grill), die mir im Schatten nicht nur viel Bier,<br />

son<strong>de</strong>rn auch einen Grillteller mit gewürzten Reis bot. Wenn wir in Deutschland die<br />

ausländischen Gaststätten nicht hätten, hätte ich vielleicht verdursten und verhungern müssen!<br />

Nach <strong>de</strong>m Essen stieg ich die 3 km wie<strong>de</strong>r hoch zum Kamm <strong>de</strong>s Eggegebirges und ging in <strong>de</strong>r<br />

6


Nachmittagshitze weiter durch Büsche und Bäume. Ich hatte wie<strong>de</strong>r vergessen, meine<br />

Wasserflasche aufzufüllen und wur<strong>de</strong> sehr, sehr durstig. Am Nachmittag erreichte ich an <strong>de</strong>r<br />

Bahnlinie Kassel-Altenbecken als nächsten Ort Herbram-Wald. Vor 12 Jahren gab es hier nur<br />

ein einfaches Gasthaus, in <strong>de</strong>m ich über<strong>nach</strong>tete. Nun war aus <strong>de</strong>m einfachen Gasthaus ein<br />

vornehmes italienisches Restaurant gewor<strong>de</strong>n, das aber Ruhetag hatte. Glücklicherweise gab<br />

es gleich daneben ein noch vornehmeres Hotel Hubertushof, wo ich meinen Durst löschen, ein<br />

gutes Aben<strong>de</strong>ssen einnehmen und in einem schönen Zimmer über<strong>nach</strong>ten konnte.<br />

Blankenro<strong>de</strong>, 14. Juni (Mittwoch)<br />

Morgens, <strong>nach</strong> einem ausführlichen Frühstück, wan<strong>de</strong>rte ich weiter auf <strong>de</strong>m E1, zunächst auf<br />

einem holprigen Waldweg an <strong>de</strong>r Bahnlinie entlang und später über <strong>de</strong>n südlichen Teil <strong>de</strong>s<br />

Eggegebirges. Die Temperaturen waren kühler als gestern und das Gehen machte richtig<br />

Spaß. Gegen Mittag wollte ich nicht mehr durch Wald gehen, bog zum Dorf Kleinenberg ab<br />

und aß in <strong>einer</strong> Gaststätte Spargel mit Schinken. Im Dorf lag die barocke Wallfahrtskapelle<br />

'Mariä Heimsuchung’, in <strong>de</strong>r gera<strong>de</strong>, als ich sie mir ansehen wollte, eine Pilgergruppe einen<br />

Gottesdienst abhielt. Ich nahm daran teil und habe so auch etwas für 'meine Seele' getan.<br />

Dann ging es wie<strong>de</strong>r zum E1 und durch die Wäl<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Eggegebirges. Gegen Abend erreichte<br />

ich das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Gebirges und <strong>de</strong>n Ort Blankenro<strong>de</strong>. Vor 12 Jahren gab es dort noch kein<br />

Gasthaus und ich musste weitergehen. Nun gibt es einige Pensionen und das Hotel Eggewald,<br />

wo ich einkehrte, mich an Bier und einem guten Essen labte und über<strong>nach</strong>tete.<br />

Obermarsberg, 15. Juni (Donnerstag)<br />

Am Morgen wur<strong>de</strong> ich vom Regen geweckt, <strong>de</strong>r gegen die Fenster schlug und auf das Dach<br />

trommelte. Als <strong>nach</strong> <strong>de</strong>m Frühstück <strong>de</strong>r Regen etwas <strong>nach</strong>ließ, ging ich auf einem schönen<br />

'Lehrpfad' weiter. Alle 100 m stand eine Tafel mit belehren<strong>de</strong>n Texten, die sich aber oft auf<br />

Sprüche wie: "Der Wald ist voller Geheimnisse" o<strong>de</strong>r "Auch Insekten sind nützlich"<br />

beschränkten. Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Weges (und Egge-Gebirges) lag am Waldrand eine schöne Hütte<br />

mit Blick auf das Diemeltal. Gera<strong>de</strong> als ich mich in <strong>de</strong>r Hütte ausruhte, begann es heftig zu<br />

regnen. Ich wartete <strong>de</strong>n Regen ab und versuchte Französisch zu lernen. Nach <strong>de</strong>m Regen ging<br />

ich weiter auf <strong>de</strong>m E1 und erreichte gegen Mittag Nie<strong>de</strong>rmarsberg an <strong>de</strong>r Diemel. Dort aß ich<br />

bei einem Griechen zu Mittag und stieg anschließend hoch <strong>nach</strong> Obermarsberg.<br />

Obermarsberg besitzt die älteste Kirche <strong>de</strong>r Gegend. 772 wur<strong>de</strong> sie vom hl. Sturmius<br />

gegrün<strong>de</strong>t, <strong>nach</strong><strong>de</strong>m die Franken ein sächsisches Heiligtum, die 'Irminsul', zerstört hatten.<br />

Karl <strong>de</strong>r Große soll 779 höchstpersönlich <strong>de</strong>n Bau <strong>einer</strong> Steinkirche angeordnet haben, die<br />

799 vom Papst Leo III eingeweiht wur<strong>de</strong>. Die heutige Stiftskirche stammt aus <strong>de</strong>m 13.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rt. Etwas später wur<strong>de</strong> die frühgotische Nikolai-Kapelle mit einem prächtigen,<br />

8-eckigen Turm gebaut, die mir so gut gefiel, dass ich sie skizzierte. Bis zum 30-jährigen<br />

Krieg soll Obermarsberg eine reiche, mit Mauern und Türmen (von <strong>de</strong>nen noch einige Reste<br />

stehen) befestigte Stadt gewesen sein. Doch seit<strong>de</strong>m verlagerte sich <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>l immer mehr<br />

in das Diemeltal <strong>nach</strong> Nie<strong>de</strong>rmarsberg. Heute gibt es hier nur noch einige kleine Geschäfte,<br />

eine etwas trübe aussehen<strong>de</strong> Kneipe und ein Gasthaus mit Frem<strong>de</strong>nzimmer. "Sic transit gloria<br />

mundi". Da es bei meinem Umherschweifen und meinen historischen Studien inzwischen<br />

Abend gewor<strong>de</strong>n war, nahm ich eines dieser Frem<strong>de</strong>nzimmer. Beim Auspacken <strong>de</strong>s<br />

Rucksacks stellte ich fest, dass ich meine alte schwarze Jacke in Blankenro<strong>de</strong> vergessen hatte.<br />

Ich habe sie bisher nicht gebraucht und wer<strong>de</strong> sie in Zukunft auch entbehren können.<br />

7


Nikolai Kapelle in Obermarsberg<br />

Willingen (Hochsauerland), 16. Juni (Freitag)<br />

Der Morgen war hell und klar. Als ich um 6 Uhr aufwachte, schauten in mein Fenster (das<br />

<strong>nach</strong> Osten ging) feine, rosa Wölkchen herein. Das erinnerte mich an die "rosenfingrige Eos"<br />

bei Homer. Ich war zwar wach, hatte aber gestern <strong>de</strong>r Wirtin versprochen, nicht vor 8.30 Uhr<br />

zu frühstücken. Deshalb vertrieb ich mir die Zeit bis dahin mit Französisch Lernen und die<br />

Gegend Bewun<strong>de</strong>rn (die um Obermarsberg wirklich schön ist). Aber es nutzte nichts; <strong>nach</strong><br />

<strong>de</strong>m Frühstück musste ich weiter ("<strong>de</strong>r Weg ist das Ziel"). Der E1 ist hier beson<strong>de</strong>rs<br />

weitschweifig geführt. Für die Straßen-Entfernung von 4 km zum nächsten Ort benötigt er<br />

hoch über <strong>de</strong>m Diemeltal durch viel Wald etwa 10 km. Irgendwo verfehlte ich eine<br />

Markierung und ging noch länger. Gegen Mittag erreichte ich Padberg, wo ich mich <strong>nach</strong> <strong>de</strong>m<br />

weiteren Weg erkundigte. Der Mann, <strong>de</strong>n ich fragte, riet mir, zum Diemelsee zu gehen und<br />

ließ sich nicht abhalten, mich ca. 1 km weit mit <strong>de</strong>m Auto mitzunehmen; er müsse sowieso zu<br />

einem Schießstand, in <strong>de</strong>m er sein 'Knarre' ausprobieren wolle, und <strong>de</strong>r läge am Weg. So ließ<br />

ich mich halt bis zum Schießstand fahren und ging unter lautem Geknalle die restlichen 3 km<br />

bis zum Diemelsee. Im Gasthaus am See konnte ich zwar Bier, aber kein Essen bekommen,<br />

da nur die Tochter <strong>de</strong>r Wirtsleute da war; und die konnte nicht kochen . Ja, Ja - die heutige<br />

Jugend! Gegen 14 Uhr kamen aber die Eltern zurück, die mir doch noch ein Schnitzel mit<br />

Kartoffeln und Salat machten und servierten.<br />

Bis Willingen im Hochsauerland waren es noch 16-18 km. Ich wollte diesen Ort noch<br />

erreichen und ging daher weiter, zunächst am See entlang und dann wie<strong>de</strong>r auf einsamen<br />

Höhen und durch Wäl<strong>de</strong>r. Etwa 3 km vor Willingen fragte ich in <strong>einer</strong> Pension <strong>nach</strong> einem<br />

Zimmer, bekam aber einen negativen Bescheid. Es sei 'Biker-Treff' und alles belegt. In<br />

Willingen bekam ich aber trotz<strong>de</strong>m im Hotel Sauerlän<strong>de</strong>r Hof ein schönes Zimmer und –<br />

noch besser – "Aecht Schlenkerla Rauchbier" aus Bamberg.<br />

8


Neuastenberg, 17. Juni (Samstag)<br />

Bei strahlen<strong>de</strong>m Sonnenschein – aber noch etwas kühl – suchte ich zunächst in Willingen<br />

einen Briefkasten, um ein paar Postkarten einzuwerfen, fand aber nur einen, <strong>de</strong>r wegen<br />

Bauarbeiten stillgelegt war. Also nahm ich die Postkarten mit auf meinen Weg, <strong>de</strong>r mich<br />

zunächst durch die Zeltlager <strong>de</strong>s 'Biker-Treff' und dann durch das schöne Hoppecke-Tal bis<br />

hoch zum Naturschutzgebiet 'Neuer Hagen' führte, das von einem Naturschutz-Verein<br />

erworben wur<strong>de</strong> und als Hochmoor gepflegt wird. Der Weg führte wie<strong>de</strong>r hinab <strong>nach</strong><br />

Nie<strong>de</strong>rsfeld. Dort machte ich in <strong>einer</strong> Gaststätte gleich neben <strong>de</strong>r Kirche Mittag und bekam<br />

"Krüstchen" (Schweineschnitzel auf Toast) mit Salat. Der Salat war aber sicht- und<br />

schmeckbar angefault und das Krüstchen sah auch so aus, als ob das Verfallsdatum bereits<br />

überschritten sei. Ich ließ das Essen stehen, nährte mich flüssig mit Bier und ging weiter zur<br />

Ruhrquelle (einem tröpfeln<strong>de</strong>n Wässerchen) und von dort hoch <strong>nach</strong> Winterberg. Dort fand<br />

gera<strong>de</strong> ein Radrennen statt (60 Run<strong>de</strong>n rund um Winterberg). Mitten im Trubel fand ich einen<br />

ruhigen Biergarten. Dort erholte ich mich von <strong>de</strong>n Strapazen <strong>de</strong>s Aufstiegs und <strong>de</strong>m<br />

schlechten Essen in Nie<strong>de</strong>rsfeld und fühlte mich anschließend so stark, dass ich frisch,<br />

fromm, fröhlich, frei <strong>de</strong>n Aufstieg zum Kahlen Asten, <strong>de</strong>m höchsten Berg <strong>de</strong>s Sauerlands<br />

(842 m) anging. Die Kellnerin riet mir, weiter <strong>nach</strong> Neuastenberg zu gehen (ca. 3 km entfernt)<br />

und nicht in einem <strong>de</strong>r Berghotels zu über<strong>nach</strong>ten; das sei zu teuer. Ich folgte <strong>de</strong>m Rat, fand<br />

in Neusatenberg <strong>de</strong>n Gasthof zur Post, bekam ein schönes Zimmer mit herrlichem Blick über<br />

die "1000 Hügel" <strong>de</strong>s Sauerlands und beschloss bei gebackener Forelle und Bier <strong>de</strong>n Tag.<br />

Wei<strong>de</strong>nhausen (Wittgenst<strong>einer</strong> Land), 18. Juni (Sonntag)<br />

Morgens, als es noch kühl war (es versprach wie<strong>de</strong>r ein sehr heißer Tag zu wer<strong>de</strong>n), wan<strong>de</strong>rte<br />

ich bei strahlen<strong>de</strong>m Sonnenschein auf <strong>de</strong>m Grenzweg weiter, <strong>de</strong>r das Wittgenst<strong>einer</strong> Land im<br />

Osten vom Kur-Kölschen Land im Westen trennt. Beim Kreuzungspunkt ‚Kühwei<strong>de</strong>’ traf ich<br />

wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n E1 und musste mich entschei<strong>de</strong>n, ob ich <strong>de</strong>n Grenzweg weiter <strong>nach</strong> Westen<br />

gehen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m E1 <strong>nach</strong> Sü<strong>de</strong>n in das Wittgenst<strong>einer</strong> Land folgen sollte. Da es Mittag und<br />

sehr heiß war, wählte ich <strong>de</strong>n E1, <strong>de</strong>r <strong>nach</strong> einigen Kilometern <strong>nach</strong> Bad Berleburg (mit<br />

einem großen Schloss und vielen alten, mit Schiefer-Ornamenten geschmückten Häusern)<br />

führte. Dort machte im Wittgenst<strong>einer</strong> Hof Mittag, wo ich vor 12 Jahren über<strong>nach</strong>tet hatte.<br />

Nach gutem Essen und viel Bier fühlte ich mich so stark, dass ich <strong>de</strong>n E1 fortsetzte. Der<br />

führte wie<strong>de</strong>r auf einsame Höhen. Lei<strong>de</strong>r hatte ich wie<strong>de</strong>r vergessen, meine Wasserflasche<br />

aufzufüllen, so dass ich in <strong>de</strong>r Hitze <strong>de</strong>s Nachmittags sehr durstig wur<strong>de</strong>. Ich folgte daher<br />

einem Wegweiser, <strong>de</strong>r zu einem Dorf im Tale wies, in <strong>de</strong>m <strong>nach</strong> m<strong>einer</strong> Karte ein Gasthaus<br />

sein sollte. Lei<strong>de</strong>r war dieses Gasthaus inzwischen nicht mehr in Betrieb und ich musste noch<br />

einige Kilometer auf <strong>de</strong>r Landstraße entlanggehen, bis ich endlich in Wei<strong>de</strong>nhausen eine<br />

geöffnete Gaststätte fand. Im Ort war gera<strong>de</strong> die Heuernte im vollen Gange. Es gab einige<br />

Pensionen und in <strong>einer</strong> war die Oma zu Hause geblieben und gab mir ein Zimmer und<br />

Aben<strong>de</strong>ssen. Bier konnte ich mir aus <strong>de</strong>m Kühlschrank besorgen.<br />

Hillersbach-Ginsburg, 19. Juni (Montag)<br />

Das Frühstück in Wei<strong>de</strong>nhausen nahm ich in Gesellschaft eines Ehepaares ein, das hier an<br />

einem Familienfest teilgenommen hat. Der Mann stammt aus <strong>de</strong>m Ort und lebt jetzt in<br />

Frankfurt. Er hat noch 8 Geschwister, von <strong>de</strong>nen 5 in <strong>de</strong>r Gegend leben. Der Zusammenhalt<br />

<strong>de</strong>r Familie sei sehr gut; in je<strong>de</strong>m Jahr gebe es ein großes Familienfest. Früher hätten die<br />

Leute hier, im landwirtschaftlich be<strong>nach</strong>teiligten Wittgenst<strong>einer</strong> Land, ein schweres Leben<br />

gehabt und auch heute müsste man in <strong>de</strong>r Landwirtschaft noch hart arbeiten.<br />

9


Auch ich musste hart arbeiten und <strong>nach</strong> <strong>de</strong>m Frühstück im Schweiße meines Angesichts vom<br />

Tal wie<strong>de</strong>r auf die Höhe aufsteigen. Dort ging ich auf Feld- und Waldwegen <strong>nach</strong> Westen und<br />

erreichte gegen Mittag Erndtebrück an <strong>de</strong>r E<strong>de</strong>r. Es war wie<strong>de</strong>r ein sonniger, heißer Tag. Im<br />

Wittgenst<strong>einer</strong> Hof machte ich Mittagsrast und ersetzte meinen enormen Flüssigkeitsverlust<br />

mit Bier. Dann ging ich auf einem schattigen Weg weiter die E<strong>de</strong>r aufwärts bis Altenteich.<br />

Dort traf ich im Gasthaus Männer vom Wan<strong>de</strong>rclub "Erster Schritt" aus Duisburg, die eine<br />

Wan<strong>de</strong>rung zur E<strong>de</strong>rquelle gemacht hatten. Bei meinem Eintritt in die Gaststube sangen sie<br />

mir zu Ehren ein Wan<strong>de</strong>rlied. Als sie hörten, dass ich <strong>nach</strong> <strong>Santiago</strong> <strong>de</strong> <strong>Compostela</strong> wollte,<br />

zahlten sie mein Bier. Im Gegenzug versprach ich, ihnen aus <strong>Santiago</strong> eine Karte zu schicken.<br />

Da<strong>nach</strong> ging es wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Wald und auf <strong>einer</strong> Ski-Langlauf-Loipe bergauf. Der Weg zog<br />

sich hin. Gegen 17 Uhr sah ich endlich Häuser. Eines davon war das Hotel Ginsburger Hei<strong>de</strong>,<br />

das noch ein schönes Zimmer für mich frei hatte. Das nahm ich und blieb über Nacht. <strong>Von</strong><br />

meinem Zimmer aus, das ein großes Panoramafenster hatte, konnte ich <strong>de</strong>n Sonnenuntergang<br />

und die Abenddämmerung bewun<strong>de</strong>rn, die über die Waldlichtung, in <strong>de</strong>r das Hotel lag, und<br />

die Hügel <strong>de</strong>s Rothaargebirges langsam hereinzog.<br />

Siegen-Gosenbach, 20. Juni (Dienstag)<br />

Der Tag war heiß (jemand sprach von 37° im Schatten), aber ich habe mich inzwischen<br />

eingewan<strong>de</strong>rt und konnte – mehr o<strong>de</strong>r min<strong>de</strong>r mühelos – Strecken von ca. 40 km pro Tag<br />

schaffen, die ich in <strong>de</strong>n letzten Tagen gegangen bin. Der Weg führte mich in großem Bogen<br />

durch die Wäl<strong>de</strong>r und über die Bergrücken <strong>de</strong>s Rothaargebirges <strong>nach</strong> Dreis-Tiefenbach bei<br />

Siegen. Dort machte ich in <strong>einer</strong> Pizzeria Mittagsrast. Da<strong>nach</strong> ging es weiter <strong>nach</strong> Siegen.<br />

Zunächst musste ich in <strong>de</strong>r Nachmittagshitze auf <strong>de</strong>n Burgberg (465m) hochsteigen.<br />

Glücklicherweise hatte ich meine Wasserflasche aufgefüllt und konnte mich erfrischen. Auf<br />

<strong>de</strong>r Höhe traf ich wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n E1, <strong>de</strong>n ich in Bad Berleburg verlassen hatte. Es ging dann<br />

in vielen Kurven durch Wohngebiete hinab <strong>nach</strong> Siegen bis zum Bahnhof, <strong>de</strong>n ich gegen 16<br />

Uhr erreichte. In <strong>de</strong>r Bahnhofsgaststätte stärkte ich mich wie<strong>de</strong>r mit Bier und stellte meine<br />

Betrachtungen über die 'Überalterungen' an, da in <strong>de</strong>r Gaststätte fast ausschließlich Rentner<br />

saßen, die noch älter waren als ich. Nach <strong>de</strong>r Stärkung und <strong>de</strong>n Betrachtungen ging ich weiter<br />

auf <strong>de</strong>m E1, <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite <strong>de</strong>r Sieg wie<strong>de</strong>r in die Höhe und in <strong>de</strong>n Wald führte. Es<br />

ging auf langen Waldwegen weiter <strong>nach</strong> Westen. Glücklicherweise war es nicht mehr so heiß<br />

und so ganz angenehm zu gehen. Nach <strong>de</strong>r Unterquerung <strong>de</strong>r Autobahn hielt ich <strong>nach</strong> einem<br />

Quartier Ausschau. Im ersten Dorf, durch das ich kam, gab es keine Möglichkeit zum<br />

Über<strong>nach</strong>ten. Man verwies mich zum nächsten Dorf, das ca. 4 km entfernt war. Dort, in<br />

Gosenbach, fand ich das Gasthaus und Hotel Lange, das mir nicht nur ein Zimmer, son<strong>de</strong>rn<br />

auch in einem schattigen Biergarten Bier und ein gutes Aben<strong>de</strong>ssen bot. Es war gera<strong>de</strong> die<br />

Zeit <strong>de</strong>r Fußball-Europameisterschaft und im Biergarten war ein großer Fernsehschirm<br />

aufgestellt, auf <strong>de</strong>m ich verfolgen konnte, wie schlecht die <strong>de</strong>utsche Mannschaft spielte. Hier,<br />

im Biergarten, saßen nun wie<strong>de</strong>r mehr jüngere Leute. Mit <strong>de</strong>r Überalterung scheint es also<br />

doch nicht ganz so schlimm zu sein. Man soll eben aus spontanen Beobachtungen keine<br />

weitreichen<strong>de</strong>n Schlüsse ziehen.<br />

Wissen (Sieg), 21. Juni (Mittwoch)<br />

Es war wie<strong>de</strong>r ein sehr heißer Tag. Morgens stieg ich auf die Höhen <strong>de</strong>s Giebelwal<strong>de</strong>s und<br />

folgte zum letzten Mal <strong>de</strong>m E1. Glücklicherweise war <strong>de</strong>r Weg meist schattig. Nach<strong>de</strong>m ich<br />

<strong>de</strong>n Gipfel <strong>de</strong>s Giebelberges (527m) erreicht hatte, ging es 3 km steil abwärts. Da konnte ich<br />

meinen Stock sehr gut gebrauchen. Kaum hatte ich das Tal erreicht, führte <strong>de</strong>r Weg wie<strong>de</strong>r<br />

steil aufwärts zur Freusburg. Das scheint so eine Art Kultstätte für Wan<strong>de</strong>rvereine zu sein. Es<br />

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kreuzen sich hier viele Wan<strong>de</strong>rwege; es gibt ein Wan<strong>de</strong>rmuseum und eine Jugendherberge,<br />

aber keine Gaststätte. Als ich vor 12 Jahren hier vorbeikam, war noch eine vorhan<strong>de</strong>n.<br />

Offensichtlich kommen zu wenige Wan<strong>de</strong>rer vorbei. Aber vor <strong>de</strong>m Museum war ein Brunnen,<br />

an <strong>de</strong>m ich meine Wasserflasche <strong>nach</strong>füllen konnte.<br />

Bei <strong>de</strong>r Freusburg verließ ich <strong>de</strong>n E1 und folgte <strong>nach</strong> Westen <strong>de</strong>m nördlichen Sieg-<br />

Höhenweg. Nach 6 km erreichte ich gegen Mittag <strong>de</strong>n Ort Kirchen und machte in <strong>einer</strong><br />

Pizzeria Rast. Nach <strong>de</strong>r Rast war die Hitze nicht geringer gewor<strong>de</strong>n und ich musste wie<strong>de</strong>r<br />

auf die Höhe und auf meist schattenlosen Feldwegen weiter <strong>nach</strong> Westen. Als ich am späten<br />

Nachmittag <strong>de</strong>n Ort Wissen erreichte und gleich neben <strong>de</strong>r Sieg <strong>de</strong>n Gasthof 'Alte Post' fand,<br />

beschloss ich hier zu bleiben. Ich war ziemlich erschöpft. In <strong>de</strong>r schattigen Gaststube erholte<br />

ich mich bei Bier und einem guten Aben<strong>de</strong>ssen. Nach <strong>de</strong>m Aben<strong>de</strong>ssen fing es zu regnen an.<br />

Dattenfeld, 22. Juni (Fronleichnam)<br />

Am Morgen war <strong>de</strong>r Himmel be<strong>de</strong>ckt, aber es regnete nicht mehr. Heute war Fronleichnam,<br />

das in <strong>de</strong>n katholischen Gegen<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r Prozession groß gefeiert wird. Früher, in Bamberg,<br />

habe ich oft an <strong>de</strong>r Fronleichnamsprozession teilgenommen und ein paar Mal die Fahne <strong>de</strong>s<br />

Aufseesianums getragen. Nachher bekam ich eine Extraportion Eis. Heute verließ ich unter<br />

lautem Glockengeläute die Alte Post und wan<strong>de</strong>rte die Sieg abwärts. Zunächst ging aber <strong>de</strong>r<br />

Höhenweg aufwärts und – als ich ca. 200 m Höhe gewonnen hatte – wie<strong>de</strong>r abwärts. Das<br />

Spiel wie<strong>de</strong>rholte sich noch ca. 5-6 mal. Gegen 13 Uhr kam ich in die Gemein<strong>de</strong> Win<strong>de</strong>ck.<br />

Ich hoffte, dass es nun zügiger voranging; aber weit gefehlt. Die Kurven und Höhen wur<strong>de</strong>n<br />

zahlreicher. Zu<strong>de</strong>m drückten die Wan<strong>de</strong>rschuhe auf meine Zehen, die schon ganz wund<br />

gescheuert waren. Meine Füße hatten sich offenbar verbreitert und die Schuhe waren eine<br />

Nummer zu klein gewor<strong>de</strong>n. Ich zog meine Clarks Straßenschuhe an, die ich schon 2 Jahre<br />

fast täglich getragen habe. Damit ging es etwas besser. Gegen 15 Uhr fand ich im Schloss<br />

Maues endlich einen Biergarten, in <strong>de</strong>m ich nicht nur Bier son<strong>de</strong>rn zur Stärkung auch eine<br />

'Hausplatte' (Blut-, Leberwurst, Speck, Gurken) bekam. Dann stieg ich zur Ruine Win<strong>de</strong>ck<br />

hoch und ging weiter <strong>nach</strong> Dattenfeld, wo ich im Cafe Burgblick ein Zimmer und ein<br />

vorzügliches Aben<strong>de</strong>ssen bekam.<br />

Neustadt (Wied), 23. Juni (Freitag)<br />

Die Wan<strong>de</strong>rschuhe, die meine Zehen abgedrückt haben, ließ ich im Cafe Burgblick zurück<br />

und ging mit <strong>de</strong>n Straßenschuhen weiter. Der Morgen war kühl, teils wolkig, teils sonnig. Der<br />

Wirt hatte mir geraten, <strong>de</strong>n Sieg-Höhenweg nicht weiter zu verfolgen, son<strong>de</strong>rn <strong>nach</strong> Sü<strong>de</strong>n<br />

durch <strong>de</strong>n Westerwald zum Rhein zu gehen, und ich befolgte seinen Rat. Der Nachteil war,<br />

dass es in diese Richtung keine Hauptwan<strong>de</strong>rwege gab und ich teilweise auf Landstraßen<br />

gehen musste. Ich überquerte die Sieg und fand einen lokalen Rundwan<strong>de</strong>rweg, <strong>de</strong>r mich auf<br />

die Höhe und dann <strong>nach</strong> Leuscheid führte. Kurz vor Leuscheid fing es heftig an zu regnen und<br />

ich konnte feststellen, dass we<strong>de</strong>r mein alter Anorak noch meine neue Wan<strong>de</strong>rhose<br />

wasserdicht waren. In Leuscheid hatte eine Gaststätte schon geöffnet und ich stellte bei 3<br />

großen Bieren erfreut fest, dass bei<strong>de</strong> Kleidungsstücke schnell wie<strong>de</strong>r trocknen. Nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r<br />

Regen aufgehört hatte, ging ich weiter auf <strong>de</strong>r 'Raiffeisen Straße' über Weyerbusch (wo<br />

Raiffeisen seine erste Genossenschaft eröffnet hatte) bis Flammersfeld. Einen weiteren<br />

Regenschauer konnte ich in <strong>einer</strong> Hütte an <strong>de</strong>r Straße überstehen und einen dritten in einem<br />

Cafe in Flammersfeld. In Flammersfeld fand ich <strong>de</strong>n Wan<strong>de</strong>rweg II, <strong>de</strong>r über Kloster<br />

Ebenstein, Neustadt an <strong>de</strong>r Wied bis Linz am Rhein führt. Ich folgte ihm bei einem angenehm<br />

kühlen aber trockenen Wetter durch viel Wald bis Neustadt an <strong>de</strong>r Wied, wo ich im<br />

Wiedischen Hof Quartier fand. Die Gesellschaft in <strong>de</strong>r Gaststätte war gemischt. Neben<br />

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einigen Besoffenen, die an <strong>de</strong>r Theke herumlungerten und die Wirtin anpöbelten (die aber gut<br />

mit ihnen fertig wur<strong>de</strong>) spielten einige ältere, ehrenwerte Bürger Karten und ein junges Paar<br />

aß Chateaubriand für 2 Personen und tat sehr verliebt.<br />

Burgbrohl, 24. Juni (Samstag)<br />

Heute, am Johannistag, ging ich auf <strong>de</strong>m Wan<strong>de</strong>rweg II weiter <strong>nach</strong> Linz am Rhein, das ich<br />

gegen Mittag erreichte. Das Wetter war freundlich und sonnig, aber nicht zu warm. In Linz<br />

hielt ich meine Mittagsrast, sah mir die Altstadt an und ging dann auf einem Uferweg <strong>de</strong>n<br />

Rhein aufwärts. Bei Bad Hönningen setzte ich auf <strong>einer</strong> Personenfähre über <strong>de</strong>n Rhein und<br />

kam <strong>nach</strong> Bad Breisig. Dort machte ich in <strong>einer</strong> Weinstube am Rhein Rast und trank 2 Liter<br />

Weinschorle. Als <strong>de</strong>r Wirt hörte, dass ich <strong>nach</strong> <strong>Santiago</strong> wollte, verlangte er nur 20 DM für<br />

<strong>de</strong>n vielen Wein. Vom Wein beschwingt und guten Mutes wan<strong>de</strong>rte ich weiter an <strong>de</strong>r Burg<br />

Brohleck vorbei in die Eifel. Burgbrohl erreichte ich bei beginnen<strong>de</strong>r Dunkelheit und fand in<br />

einem Hotel Aben<strong>de</strong>ssen und Zimmer.<br />

Maria Laach, 25. Juni (Sonntag)<br />

Heute bin ich auf meinem Weg nur ca. 10 km weiter gekommen, aber mehr als 30 km<br />

gegangen. Morgens, bei gelegentlich leichtem Regen, folgte ich einem markierten Weg durch<br />

die Feldflur von Burgbrohl, <strong>de</strong>r in die Richtung <strong>de</strong>s Laacher Sees führen sollte. Erst später<br />

merkte ich, dass es sich um einen Rundweg han<strong>de</strong>lt, <strong>de</strong>n ich in <strong>de</strong>r verkehrten Richtung<br />

begonnen habe, so dass ich statt <strong>de</strong>r vorgesehenen 3 km fast 6 km bis zum See benötigte. Ich<br />

ging dann am See entlang. Der Regen hatte inzwischen aufgehört. Als Kloster Maria Laach in<br />

Sicht kam, versuchte ich es zu skizzieren. Ich ging dann weiter und erreichte gegen Mittag das<br />

Kloster. Da Sonntag war, gönnte ich mir ein Mittagessen im vornehmen Seehotel, in <strong>de</strong>m<br />

auch Mario Adorf mit <strong>einer</strong> Gesellschaft zu Mittag aß (aber nicht an meinem Tisch). Nach<br />

<strong>de</strong>m Essen stellte ich fest, dass an Maria Laach ein 'Jakobsweg' vorbeiführt, <strong>de</strong>r von Bonn<br />

<strong>nach</strong> Moseleck markiert ist. Ich war so begeistert, dass ich endlich auf <strong>de</strong>m Jakobsweg war,<br />

dass ich sofort <strong>de</strong>r Markierung durch <strong>de</strong>n Buchenwald folgte. Inzwischen war die Sonne<br />

gekommen und es wur<strong>de</strong> ziemlich warm und schwül. Der Weg führte unter <strong>de</strong>r Autobahn<br />

hindurch und zog sich ziemlich in die Länge. Das kam mir merkwürdig vor; <strong>de</strong>nn <strong>nach</strong><br />

m<strong>einer</strong> Karte hätte ich schon <strong>nach</strong> 2 km <strong>de</strong>n nächsten Ort erreichen sollen. Als ich <strong>nach</strong> ca. 10<br />

km endlich einen Ort erreichte, stellte ich fest, dass ich statt <strong>nach</strong> <strong>Santiago</strong>, <strong>nach</strong> Nor<strong>de</strong>n in<br />

Richtung Bonn gegangen war. Es blieb mir nichts an<strong>de</strong>res übrig, als wie<strong>de</strong>r umzukehren und<br />

die langen Feldwege zurück <strong>nach</strong> Maria Laach zu gehen. Als ich das Kloster endlich<br />

erreichte, fing es zu regnen an. Da beschloss ich, hier zu bleiben und im vornehmen See-Hotel<br />

zu über<strong>nach</strong>ten. Ich hatte so noch Gelegenheit, ohne die vielen Sonntagsgäste, die inzwischen<br />

abgereist waren, die Kirche anzusehen und <strong>de</strong>n Gesängen <strong>de</strong>r Mönche zu lauschen.<br />

12


Mayen, 26. Juni (Montag mittags)<br />

Kloster Maria Laach<br />

Nach <strong>einer</strong> erholsamen Nachtruhe im Komfortbett und einem frugalen Frühstück mit<br />

Bratwürsten, Rührei und Räucherlachs wan<strong>de</strong>rte ich auf <strong>de</strong>m Jakobsweg weiter; diesmal in<br />

die richtige Richtung <strong>nach</strong> Sü<strong>de</strong>n. Bei Sonnenschein ging es durch die Vulkaneifel.<br />

Vulkangestein bestimmt die Landschaft, die Industrie und die Häuser. Viele Häuser sind aus<br />

Basalt- o<strong>de</strong>r Tuffstein gebaut, die Dächer mit Schiefer ge<strong>de</strong>ckt. Das gibt <strong>de</strong>n Dörfern ein<br />

graues, düsteres Aussehen. Der Jakobsweg führt viel durch Fel<strong>de</strong>r, an <strong>de</strong>ren Rän<strong>de</strong>rn die<br />

ganze Pracht <strong>de</strong>r Sommerblumen blühte (Johanniskraut, Kreuzblumen, Mohn,<br />

Glockenblumen, Mä<strong>de</strong>lesüß u.ä.). Es machte mir Spaß zu wan<strong>de</strong>rn. Meine Zehen haben sich<br />

in <strong>de</strong>n Straßenschuhen wie<strong>de</strong>r beruhigt. Die industrielle Nutzung wur<strong>de</strong> mir in <strong>de</strong>n vielen<br />

Basaltwerken vorgeführt, an <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Weg vorbeiführt und die meist in erloschenen<br />

Vulkankegeln eingerichtet sind. Kurz vor Mayen führt <strong>de</strong>r Weg an <strong>einer</strong> umfangreichen<br />

Erd<strong>de</strong>ponie entlang, die gera<strong>de</strong> mit viel Aufwand abge<strong>de</strong>ckt und stillgelegt wird. Später geht<br />

es an aktiven Kompostierungsanlagen und Hal<strong>de</strong>n mit Bauschutt vorbei. Auch das gehört zur<br />

Zivilisation. In Mayen machte ich in <strong>de</strong>r Gaststätte 'Altes Backhaus' Mittagsrast und bereitete<br />

mich mit 2 Maß Bier und einem Schwenkbraten auf <strong>de</strong>n weiteren Weg zur Mosel vor.<br />

Kaisersesch, 26. Juni (Montag abends)<br />

Ganz bis zur Mosel bin ich am Nachmittag nicht mehr gekommen, aber immerhin in <strong>de</strong>n<br />

Kreis Cochem, <strong>nach</strong> Kaisersesch. In Mayen verließ ich <strong>de</strong>n Jakobsweg, da ich <strong>nach</strong> Trier<br />

wollte und <strong>de</strong>r Weg mehr <strong>nach</strong> Koblenz führt. Ich ging auf <strong>de</strong>r Landstraße weiter zum<br />

schönen Städtchen Monreal. Dies liegt in einem engen Tal, wird von zwei Burgruinen<br />

überragt und hat eine schöne Altstadt hat, in <strong>de</strong>r eine Weinstube und zwei Gasthäuser zur<br />

Einkehr einla<strong>de</strong>n. Die Weinstube und Gasthäuser öffneten aber erst um 17 Uhr und es war<br />

gera<strong>de</strong> 16 Uhr. Ich löschte daher meinen Durst mit Spru<strong>de</strong>lwasser in einem La<strong>de</strong>n und<br />

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eschloss <strong>nach</strong> Kaisersesch weiterzugehen. Der La<strong>de</strong>nbesitzer riet mir, einen Radwan<strong>de</strong>rweg<br />

entlang <strong>einer</strong> stillgelegten Bahnlinie zu benutzen, da ich da nicht über die Berge steigen<br />

müsse. Ich befolgte <strong>de</strong>n Rat. Der Weg war zwar etwas länger (ca. 15 km lang) als die<br />

Landstraße, dafür aber fast eben und autofrei. Es war eine schöne Abendwan<strong>de</strong>rung. Kurz vor<br />

Kaisersesch stärkte ich mich in <strong>einer</strong> Gaststätte. Dort empfahl man mir, in Kaisersesch im<br />

Waldhotel 'Zum Kurfürsten' zu über<strong>nach</strong>ten; das sei 'das beste Haus am Platz'. Auch diesen<br />

Rat befolgte ich. Da bin ich also wie<strong>de</strong>r in einem vornehmen Hotel gelan<strong>de</strong>t, in <strong>de</strong>m ich mich<br />

bei Rehbraten, Pfifferlingen, Spätzle und viel Bier von <strong>de</strong>n Strapazen <strong>de</strong>s Tages erholen<br />

konnte.<br />

Alf (Mosel), 27. Juni (Dienstag)<br />

Morgens, bei Sonnenschein und kühlen Temperaturen, verließ ich das 'beste Haus am Platz',<br />

schlen<strong>de</strong>rte durch Kaisersesch, überquerte die Autobahn und fand dahinter einen Feldweg mit<br />

<strong>de</strong>m Schild 'Postkutschenweg'. Diesem Weg folgte ich. Die Beschil<strong>de</strong>rung hörte aber bald auf<br />

und ich musste aufs Gera<strong>de</strong>wohl weitergehen. Ich erinnerte mich, dass früher die<br />

Postkutschen meist auf <strong>de</strong>n Höhen fuhren, da in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rungen oft Sumpf war. Also stieg<br />

ich auf die Höhe und ging dort weiter <strong>nach</strong> Sü<strong>de</strong>n. Nach ca. 8 km erreichte ich <strong>de</strong>n Ort<br />

Landkern und nahm dort im Gasthof 'Zur Post' meinen Frühschoppen. Der Gastwirt, <strong>de</strong>r auch<br />

Agent <strong>de</strong>r Deutschen Post war, bestätigte mir, dass ich völlig richtig gegangen sei. Nach <strong>de</strong>m<br />

Ort sei <strong>de</strong>r Weg wie<strong>de</strong>r beschil<strong>de</strong>rt und ich könne auf ihm am schnellsten <strong>nach</strong> Cochem<br />

kommen. Also ging ich <strong>de</strong>n Weg weiter und erreichte tatsächlich <strong>nach</strong> einem steilen Abstieg<br />

um ca. 350 Höhenmeter (die armen Postkutschenpfer<strong>de</strong>!) gegen Mittag Cochem und die<br />

Mosel. Dort machte ich in einem Cafe bei Kaffee und Apfelkuchen Mittagsrast und skizzierte<br />

die Burg. Nachher versuchte ich <strong>de</strong>n Mosel-Höhenweg zu fin<strong>de</strong>n, verirrte mich aber im Wald<br />

und brauchte für die Strecke von Cochem <strong>nach</strong> Eller, die auf <strong>de</strong>r Straße 7 km beträgt,<br />

min<strong>de</strong>stens 12 km. Gegen 16 Uhr kam ich endlich im Weinort Eller an, stärkte mich mit<br />

einem Schinkenbrot und 1,2 l Weinschorle und ging weiter an <strong>de</strong>r Mosel entlang (nicht mehr<br />

<strong>de</strong>n Höhenweg) bis zur nächsten Moselschleife <strong>nach</strong> Alf. Dort fand ich in <strong>einer</strong> Weinstube<br />

mit Pension ein Zimmer, bekam aber kein Aben<strong>de</strong>ssen. In <strong>einer</strong> Pizzeria an <strong>de</strong>r Mosel aß ich<br />

eine Pizza und trank dazu 1 l Chianti.<br />

14<br />

Burg Cochem an <strong>de</strong>r Mosel


Platten, 28. Juni (Mittwoch)<br />

Bei schönem Sommerwetter folgte ich wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Mosel-Höhenweg. Er ging wie<strong>de</strong>r steil auf<br />

300 –400 m hoch zur Burg Arres und dann durch Wald am Steilabfall zur Mosel entlang. Er<br />

bietet viele schöne Ausblicke auf die Mosel mit ihren vielen Schleifen, auf die Weinberge und<br />

auf so berühmte Weinorte und Weinlagen wie 'Reiler Heißer Stein', 'Kröver Nacktarsch' o<strong>de</strong>r<br />

'Ürziger Schwarzlay'. Bei Ürzig führt <strong>de</strong>r Weg wie<strong>de</strong>r ins Tal hinab. Dort machte ich in <strong>einer</strong><br />

Straußenwirtschaft (die eigentlich geschlossen war) bei <strong>einer</strong> Flasche Wein Mittagsrast und<br />

stärkte mich so für <strong>de</strong>n nächsten langen Anstieg auf <strong>de</strong>n Rothenberg (365m). Der fiel mir in<br />

<strong>de</strong>r Nachmittagshitze doch etwas beschwerlich. Als ich bei Zeltingen tief unten die Mosel mit<br />

ihren vielen Windungen sah, beschloss ich, nicht da hinabzusteigen, son<strong>de</strong>rn auf <strong>de</strong>r Höhe bis<br />

zum nächsten Ort zu gehen, wo ich über<strong>nach</strong>ten könne. Dies war <strong>de</strong>r Weinort Platten, wo ich<br />

im Gästehaus eines Weinguts nicht nur ein Zimmer, son<strong>de</strong>rn auch vorzüglichen Wein und ein<br />

gutes Hausmacher-Essen bekam. Die übrigen Gäste waren Hollän<strong>de</strong>r, die schon seit mehreren<br />

Jahren dort ihren Urlaub verbringen. Bei <strong>de</strong>m guten Essen und Wein kann ich mir das ganz<br />

angenehm vorstellen.<br />

Trier, 29. Juni (Donnerstag)<br />

<strong>Von</strong> Platten aus stieg ich über <strong>de</strong>n Wallfahrtsort Klausen wie<strong>de</strong>r zum Mosel-Höhenweg auf<br />

und folgte ihm, an Piesport vorbei bis Klüsserath. Zwischendurch verlor ich einmal die<br />

Markierung und ging durch ein Basaltwerk, in <strong>de</strong>m unter großem Lärm Basalt gebrochen,<br />

zerkl<strong>einer</strong>t und zu Hal<strong>de</strong>n aufgeschüttet wur<strong>de</strong>. Ich fand zwar wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Weg; aber wegen<br />

<strong>de</strong>s Umwegs kam ich erst gegen 14 Uhr <strong>nach</strong> Klüsserath. An diesem Tag hatte ich mich bei<br />

meinen Freun<strong>de</strong>n Inge und Wonnefried in Trier zu Besuch angemel<strong>de</strong>t. Ich rief sie von<br />

Klüsserath aus an und sagte ihnen, dass es später wer<strong>de</strong>n könne. Sie hatten aber alles schon<br />

für Mittag vorbereitet schlugen vor, mich in Klüsserath mit <strong>de</strong>m Auto abzuholen, da sie am<br />

nächsten Tag <strong>nach</strong> Tschechien fahren wollten. Ich willigte ein und verbrachte bei ihnen in<br />

Trier einen schönen Nachmittag und Abend; mit vielem guten Essen und Trinken und mit<br />

Gesprächen und schönen Erinnerungen. Der Sohn Alexan<strong>de</strong>r kam gegen Abend auch noch<br />

dazu. Es wur<strong>de</strong> ein richtig schöner Abend.<br />

Römisches Weinschiff beim Dom zu Trier<br />

15


Tawern, 30. Juni (Freitag)<br />

Am Morgen kaufte ich mir in Trier neue Schuhe und Strümpfe, da meine alten Straßenschuhe<br />

schon be<strong>de</strong>nklich ihre Form verloren hatten und auseinan<strong>de</strong>r zu fallen drohten. In <strong>einer</strong><br />

Weinstube neben <strong>de</strong>m Dom skizzierte ich das Trierer Weinschiff, eine Steinskulptur <strong>de</strong>r alten<br />

Römer. In <strong>de</strong>r Touristeninformation, wo ich mich <strong>nach</strong> <strong>de</strong>m Jakobsweg erkundigte, bekam ich<br />

ein Faltblatt: "Der Weg als Ziel – Jakobsweg – Pilgern von Trier <strong>nach</strong> Perl". Dem entnahm<br />

ich, dass man (mit Gel<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r EU) <strong>de</strong>n alten Pilgerweg wie<strong>de</strong>r hergerichtet und mit <strong>einer</strong><br />

stilisierten Jakobsmuschel (die aber eher wie eine schiefe Sonne aussieht) markiert hat. Den<br />

Weg musste ich natürlich gehen. Auf <strong>de</strong>m Faltblatt sah es so aus, als ob sich <strong>de</strong>r Weg von<br />

Perl über Metz, Dijon, Le Puy bis <strong>nach</strong> <strong>Santiago</strong> <strong>de</strong> <strong>Compostela</strong> fortsetzen ließe.<br />

Lei<strong>de</strong>r fand ich in Trier die Markierung nicht und ging daher zunächst an <strong>de</strong>r Mosel entlang<br />

bis Konz, wo die Saar in die Mosel fließt. Dort, an <strong>de</strong>r Brücke über die Saar, waren aber<br />

große Schil<strong>de</strong>r aufgestellt, die <strong>de</strong>n Weg beschrieben (und natürlich auch darauf hinwiesen,<br />

dass die EU die Finanzierung übernommen hat). Dort fand ich auch die Markierung mit <strong>de</strong>r<br />

stilisierten Jakobsmuschel. Die Richtung <strong>de</strong>r Muschelstrahlen sollte bei Kreuzungen auch die<br />

Richtung anzeigen, in <strong>de</strong>r man weitergehen müsse. Aber, wie ich später feststellte, klappt dies<br />

nicht immer. <strong>Von</strong> Konz führt <strong>de</strong>r Weg durch das Tal <strong>de</strong>s Fuchsgrabens zunächst <strong>nach</strong><br />

Tawern. Als ich in Tawern ankam, begann es schon dunkel zu wer<strong>de</strong>n und ich sah mich <strong>nach</strong><br />

<strong>einer</strong> Über<strong>nach</strong>tungsmöglichkeit um. Man verwies mich an ein Gasthaus, bei <strong>de</strong>m die<br />

Schwiegertochter auch Zimmer vermietet. Aber die Schwiegertochter wollte mir kein Zimmer<br />

vermieten. Ich ging daher zum nächsten Gasthaus, das auch ein Hotel war und mir sofort ein<br />

Zimmer gab. Ich aß zu Abend und wur<strong>de</strong> anschließend in <strong>de</strong>n Kreis <strong>de</strong>r Dorfbewohner<br />

aufgenommen, die mit mir Bier und Schnaps um die Wette tranken. Ich konnte ganz gut<br />

mithalten und schlief anschließend tief und fest bis zum nächsten Morgen.<br />

Perl, 1. Juli (Samstag)<br />

Stilisierte Jakobsmuschel als Wegzeichen für <strong>de</strong>n Jakobsweg<br />

Heute bin ich <strong>de</strong>n '<strong>de</strong>utschen' Jakobsweg bis zur Endstation Perl an <strong>de</strong>r Mosel, das an <strong>de</strong>r<br />

Grenze zu Luxemburg und Frankreich liegt, gegangen. Nach Tawern führte <strong>de</strong>r Weg auf<br />

einen Hügel zu einem römischen Tempelbezirk, <strong>de</strong>r ausgegraben und wie<strong>de</strong>rhergestellt<br />

16


wur<strong>de</strong>. Hier verlief eine alte Römerstraße von Italien <strong>nach</strong> Trier, das ja unter Konstantin Sitz<br />

<strong>de</strong>s römischen Kaisers war. Die Anlage ist beeindruckend. Ich fin<strong>de</strong> es be<strong>de</strong>nkenswert, dass<br />

diese reiche Anlage, die einmal voller Leben gewesen sein muss, jetzt mitten in <strong>de</strong>r Wildnis<br />

liegt. Vom Tempelbezirk aus geht <strong>de</strong>r Weg weiter in die Höhe und folgt <strong>einer</strong> alten<br />

Römerstraße. Ich verfehlte aber eine <strong>de</strong>r stilisierten Jakobsmuscheln und kam zum Ort<br />

Onsdorf, <strong>de</strong>r lei<strong>de</strong>r kein Gasthaus hatte. So musste ich ohne Frühschoppen auf <strong>de</strong>r Landstraße<br />

wie<strong>de</strong>r zur Höhe und zur alten Römerstraße aufsteigen. Glücklicherweise hatte ich in Tawern<br />

meine Wasserflasche gefüllt. Beim Ort Fisch verlässt <strong>de</strong>r Jakobsweg die Römerstraße und<br />

geht zu <strong>einer</strong> alten Jakobskirche, die neu renoviert wur<strong>de</strong>. Im Vorplatz hat man auch eine<br />

Bronzetafel eingelassen, auf <strong>de</strong>r verkün<strong>de</strong>t wird, dass es bis <strong>Santiago</strong> <strong>de</strong> <strong>Compostela</strong> noch<br />

1970 km seien. Da hab ich ja noch etwas vor mir. Lei<strong>de</strong>r war in Fisch auch kein Gasthaus<br />

verfügbar, so dass ich auch die Mittagsrast verschieben musste. An <strong>de</strong>r Jakobskirche war aber<br />

eine Quelle in Stein gefasst. Dort konnte ich meinen Durst löschen und die Wasserflasche<br />

wie<strong>de</strong>r auffüllen. Der Weg führte weiter auf und ab, vorwiegend an Fel<strong>de</strong>rn und Wei<strong>de</strong>n<br />

vorbei und bot in <strong>de</strong>r Mittagshitze kaum Schatten. Die Markierung mit <strong>de</strong>r stilisierten<br />

Jakobsmuschel war mangelhaft; an wichtigen Kreuzungen fehlte sie ganz und an <strong>einer</strong><br />

Kreuzung zeigte die Muschel in die falsche Richtung. Da bin ich schwitzend ca. 200 m steil in<br />

die Höhe gestiegen und lan<strong>de</strong>te an <strong>einer</strong> Kuhwei<strong>de</strong>. So musste ich wie<strong>de</strong>r absteigen und in die<br />

an<strong>de</strong>re Richtung gehen. Am Nachmittag erreichte ich <strong>de</strong>n Ort Kreuzweiler, wo am Sportplatz<br />

eine Gaststätte geöffnete hatte. Dort konnte ich meine Mittagsrast <strong>nach</strong>holen. Die weitere<br />

Strecke verlief vorwiegend über lange Flurbereinigungswege aus Beton o<strong>de</strong>r Asphalt. Beim<br />

Übergang über die Autobahn verfehlte ich erneut die Markierung und ging die letzten<br />

Kilometer auf <strong>einer</strong> Landstraße <strong>nach</strong> Perl. Dort kam ich gegen Abend an, bekam in einem<br />

Hotel neben <strong>de</strong>r Kirche ein Zimmer und verbrachte meine letzte Nacht in Deutschland, wobei<br />

ich mich über die Planer <strong>de</strong>s Jakobsweges ärgerte, die <strong>de</strong>n Weg entwe<strong>de</strong>r über einsame Höhen<br />

o<strong>de</strong>r durch Orte ohne Gasthäuser gelegt haben.<br />

17


Thionville, 2. Juli (Sonntag)<br />

Der Weg durch Frankreich bis Le Puy<br />

Am Morgen ging ich zur Mosel und zum Grenzpunkt zwischen Deutschland, Luxemburg und<br />

Frankreich. Ich blieb am rechten Moselufer, das hier schon französisch ist. Am an<strong>de</strong>ren Ufer<br />

liegt Schengen, das zu Luxemburg gehört. Grenzkontrollen o<strong>de</strong>r Schlagbäume gibt es hier, wo<br />

das Schengener Abkommen geschlossen wur<strong>de</strong>, natürlich nicht. Ich stieß auf <strong>de</strong>n 'Chemin <strong>de</strong><br />

la Moselle' , ein Asphaltweg für Radfahrer, Fußgänger und Skater, <strong>de</strong>r (wie eine große Tafel<br />

verkün<strong>de</strong>t) mit Mitteln <strong>de</strong>r EG errichtet wur<strong>de</strong> und bis Thionville führt. Diesem Weg folgte<br />

ich. In Sierk les Bains, wo die alte Burg <strong>de</strong>r Herzöge von Lothringen steht, besorge ich mir<br />

Franc, besichtigte die Burg und nahm in einem Restaurant mein erstes französisches Menu<br />

mit <strong>einer</strong> Flasche Rotwein ein. Dann ging es weiter an <strong>de</strong>r Mosel entlang. Der Tag wur<strong>de</strong><br />

drückend heiß und schwül. Der Chemin <strong>de</strong> la Moselle war (wegen <strong>de</strong>s Sonntags) mit vielen<br />

Radfahrern und Skatern, aber kaum mit Fußgängern bevölkert. Der Weg führte zum an<strong>de</strong>ren<br />

Moselufer und am Atomkraftwerk Cattenom vorbei, über <strong>de</strong>ssen Zu- und Ablaufkanäle man<br />

auf schmalen Stahlbrücken gehen musste. Gegen Abend, als ich noch ca. 4 km von Thionville<br />

entfernt war, kam ein Gewitter auf, das mich auf freiem Feld voll erwischte. Vom Hagel und<br />

19


<strong>de</strong>m wolkenbruchartigen Regen wur<strong>de</strong> ich sofort durchnässt und gegen die Sturmböen, die<br />

von vorne kamen, konnte ich nur mühsam angehen. Pu<strong>de</strong>lnass zog ich in Thionville ein. Der<br />

Gewitterregen hatte inzwischen aufgehört. Das erste Hotel, in <strong>de</strong>m ich fragte, gab mir kein<br />

Zimmer, aber im nächsten, <strong>de</strong>m Hotel <strong>de</strong> Parc, konnte ich über<strong>nach</strong>ten. Es war <strong>de</strong>r Abend, an<br />

<strong>de</strong>m die Fußball-Europameisterschaft mit <strong>de</strong>m Spiel Frankreich gegen Italien zu En<strong>de</strong> ging.<br />

Die Stadt war wie ausgestorben. In einem Restaurant, das keinen Fernseher aufgestellt hatte,<br />

konnte ich (<strong>nach</strong><strong>de</strong>m ich mich geduscht und umgezogen hatte) zu Abend essen. Als dann<br />

Frankreich Europameister gewor<strong>de</strong>n war, fing ein ohrenbetäuben<strong>de</strong>r Lärm an. Ich wühlte<br />

mich durch die Menschenmassen, die auf <strong>de</strong>r Straße tanzten, zu meinem Hotel und schlief<br />

trotz <strong>de</strong>s Lärms sofort ein.<br />

Metz, 3. Juli (Montag)<br />

<strong>Von</strong> Thionville bis Metz hatte ich die bisher schlimmste Wegstrecke zu gehen. Zuerst<br />

versuchte ich in Thionville an <strong>de</strong>r Mosel entlang einen Fußweg zu fin<strong>de</strong>n. Aber die Fußwege<br />

en<strong>de</strong>ten mit <strong>de</strong>r Stadtgrenze. Ich musste auf <strong>einer</strong> Landstraße gehen, die stark befahren war<br />

und an ausge<strong>de</strong>hnten Industriebrachen, Hal<strong>de</strong>n von Kohle und sonstigen Schüttgütern,<br />

verrotteten Hochofenanlagen und ausge<strong>de</strong>hnten Öl- und Gasraffinerien entlang führte. Später<br />

ging die Landstraße durch langgezogene Straßendörfer. Hier hatte ich wenigstens einen<br />

Gehsteig (Trottoir nennt man das hier) und gelegentlich eine Bar o<strong>de</strong>r ein Restaurant, wo ich<br />

Rast machen konnte. Auf <strong>de</strong>m Weg verlor ich einen <strong>de</strong>r Nasenbügel m<strong>einer</strong> Brille. In einem<br />

Optikergeschäft wur<strong>de</strong> er mir kostenlos ersetzt. Das fand ich sehr erfreulich an diesem sonst<br />

wenig erfreulichen Tag. Als ich gegen 17 Uhr die Vororte von Metz erreichte, gab ich das<br />

Wan<strong>de</strong>rn auf und ließ mich vom Bus in das Zentrum von Metz fahren. Dort fand ich im Hotel<br />

Cathedral, gleich neben <strong>de</strong>r Kathedrale ein schönes Zimmer. Ich schaute mir noch die Altstadt<br />

von Metz an und aß in einem Restaurant gut zu Abend.<br />

Jouy-aux-Arches, 4. Juli (Dienstag)<br />

Morgens fing es an zu regnen und hörte nicht auf. Ich schaute mir die Kathedrale von innen<br />

an. Die Höhe und Größe <strong>de</strong>s Raums mit <strong>de</strong>n vielen hochgotischen Säulen und Kapitellen hat<br />

mich beeindruckt. Anschließend besorgte ich mir Karten im Maßstab 1:100 000 und sah, dass<br />

es an <strong>de</strong>r Mosel entlang einen Wan<strong>de</strong>rweg Metz-Nancy gibt. In <strong>einer</strong> Bar überlegte ich, ob ich<br />

trotz <strong>de</strong>s Regens <strong>de</strong>n Weg gehen soll. Als es mittags immer noch regnete, kaufte ich mir einen<br />

Schirm und ging los. Zunächst wan<strong>de</strong>rte ich mit Schirm durch die Gartenanlagen entlang <strong>de</strong>r<br />

Mosel, später durch Vororte. Nach <strong>einer</strong> Suche von ca. 2 Stun<strong>de</strong>n fand ich endlich <strong>de</strong>n Weg,<br />

<strong>de</strong>r an einem alten Kanal parallel zur Mosel entlang führt. Inzwischen hatte <strong>de</strong>r Regen<br />

aufgehört; <strong>de</strong>r Weg war aber nass und lehmig. Etwa 15 km vom Zentrum von Metz entfernt<br />

führte <strong>de</strong>r Weg bei einem Wasserkraftwerk auf langen Brücken über <strong>de</strong>n Kanal und die Mosel<br />

<strong>nach</strong> Ars-sur-Moselle. Dort hoffte ich eine Über<strong>nach</strong>tungsmöglichkeit zu fin<strong>de</strong>n, zumal <strong>de</strong>r<br />

Ort am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 'Parc Naturelle Regional <strong>de</strong> Lourraine' liegt. Aber es gab kein Hotel. In<br />

<strong>einer</strong> Bar riet man mir, ca. 3 km zurück zu einem Gewerbepark in Jouy aux Arches am<br />

Autobahnkreuz Metz-Sud zu gehen; da gäbe es Hotels und Motels. Es blieb mir also nichts<br />

an<strong>de</strong>res übrig, als wie<strong>de</strong>r die Mosel und <strong>de</strong>n Kanal auf <strong>de</strong>n langen Brücken zu überqueren und<br />

zu diesem Gewerbepark zu gehen. Dort bekam ich in einem Motel ein Zimmer.<br />

Nancy, 5. Juli (Mittwoch)<br />

Der Morgen war kühl und sah <strong>nach</strong> Regen aus. Mit Anorak und Schirm machte ich mich<br />

<strong>de</strong>shalb vom Motel aus auf <strong>de</strong>n Weg zurück <strong>nach</strong> Ars sur Moselle und suchte <strong>de</strong>n Fußweg<br />

<strong>nach</strong> Nancy, fand ihn aber nicht. So musste ich auf <strong>de</strong>r Landstraße weitergehen. in einem <strong>de</strong>r<br />

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nächsten Orte sah ich ein Schild, das zu <strong>einer</strong> alten Abtei in Gorze, einem Ort im Naturpark<br />

von Lothringen wies. Vom starken Autoverkehr genervt, schlug ich diesen Weg ein. Er führte<br />

zwar weg von Nancy, hat sich aber gelohnt. Endlich konnte ich wie<strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>rwege ohne<br />

Verkehr in <strong>einer</strong> schönen, hügeligen Landschaft gehen und die Aussicht auf das Moseltal<br />

genießen. Der Ort Gorze schmiegt sich malerisch an <strong>de</strong>n umgeben<strong>de</strong>n Berghang und wird von<br />

<strong>de</strong>r romanischen Abtei mit einem barocken Turmhelm beherrscht. Er hat alte, gut instand<br />

gehaltene Häuser und ein schönes Restaurant und Hotel. Dort machte ich Mittag und<br />

genehmigte mir ein köstliches Menu mit <strong>einer</strong> Flasche Wein.<br />

Turmhelm <strong>de</strong>r Abteilkirche in Gorze (Lothringen)<br />

Beim Rückweg zur Mosel fing es wie<strong>de</strong>r zu regnen an. An <strong>de</strong>r Mosel fand ich <strong>de</strong>n<br />

Wan<strong>de</strong>rweg <strong>nach</strong> Nancy, <strong>de</strong>r – von Büschen eingefasst, die je<strong>de</strong> Sicht ver<strong>de</strong>cken – auf einem<br />

schmalen Damm (auf <strong>de</strong>m offensichtlich einmal eine Eisenbahnlinie verlief) zwischen Mosel<br />

und Kanal verläuft. Inzwischen war die Sonne wie<strong>de</strong>r herausgekommen und es wur<strong>de</strong><br />

ziemlich warm. Am späten Nachmittag erreichte ich <strong>de</strong>n Ort Pagny-sur-Moselle, <strong>de</strong>r einen<br />

Bahnhof hat, von <strong>de</strong>m aus in ca. <strong>einer</strong> halben Stun<strong>de</strong> ein Zug zum ca. 20 km entfernten Nancy<br />

fuhr. Da ich heute schon viel im Naturpark gewan<strong>de</strong>rt war, beschloss ich, diesen Zug zu<br />

nehmen. In Nancy konnte ich Hotels erwarten, was – <strong>nach</strong> m<strong>einer</strong> gestrigen Erfahrung - in<br />

<strong>de</strong>n kl<strong>einer</strong>en Orten Lothringens nicht sehr wahrscheinlich ist. Nach 20 Minuten Fahrt kam<br />

ich in Nancy an und fand am Bahnhof auch gleich ein Hotel und ein Elsässer Gasthaus, in<br />

<strong>de</strong>m ich mir die Spezialitäten aus Elsass gut schmecken ließ.<br />

Dijon, 6. Juli (Donnerstag)<br />

In <strong>de</strong>r Touristen Information von Nancy erkundigte ich mich, ob es Wan<strong>de</strong>rwege von Nancy<br />

<strong>nach</strong> Burgund gäbe. Aber es gibt keine. Ich müsste auf Autostraßen gehen und könnte nicht<br />

damit rechnen, im Abstand von 30-40 km Hotels o<strong>de</strong>r Pensionen (die hier 'Chambres Hostes'<br />

heißen) zu fin<strong>de</strong>n. Schweren Herzens entschloss ich mich daher, von Nancy <strong>nach</strong> Dijon mit<br />

<strong>de</strong>m Zug zu fahren. Ein Zug <strong>nach</strong> Dijon fuhr um 13 Uhr von Nancy ab. Ich hatte also noch<br />

reichlich Zeit, mir Nancy anzusehen, zumal die Sonne wie<strong>de</strong>r vom Himmel lachte. Ich ging<br />

durch die Altstadt zum Schloss und Hotel <strong>de</strong> Ville, die über einen prächtigen Platz<br />

miteinan<strong>de</strong>r verbun<strong>de</strong>n sind. In <strong>einer</strong> <strong>de</strong>r Bars an diesem Platz nahm ich meinen<br />

Frühschoppen, <strong>de</strong>r heute – da ich noch nicht gewan<strong>de</strong>rt war – aus einigen 'Ricard' bestand.<br />

21


Die Zugfahrt bestätigte, dass auf <strong>de</strong>r Strecke kaum größere Ortschaften liegen, in <strong>de</strong>nen man<br />

ein Hotel erwarten könne. Es ging fast nur durch riesige Fel<strong>de</strong>r. Gelegentlich sah man große<br />

Bauernhöfe. Gegen 17 Uhr kam ich in Dijon an. Ich hatte noch reichlich Zeit, mir die Stadt<br />

anzusehen und die vielen Sehenswürdigkeiten (Kathedrale, Kirchen, Schloss, alte Paläste) zu<br />

bewun<strong>de</strong>rn. Man könnte einige Tage hier verbringen. Vor vielen Jahren war ich mit m<strong>einer</strong><br />

Frau hier auf einem Kongress. Da hatten wir schon Gelegenheit die schöne Stadt und ihre<br />

Umgebung zu genießen. Heute nahm ich in <strong>de</strong>r Altstadt in einem kleinen 2-Sterne-Hotel ein<br />

Zimmer und aß dann auf <strong>de</strong>r Straße vor einem Weinrestaurant ein vorzügliches Menu.<br />

Nuits-Saint-Georges, 7. Juli (Freitag)<br />

Nach <strong>einer</strong> schlechten Nacht in einem schlechten Bett (wie das Hotel 2 Sterne bekommen<br />

konnte, ist mir ein Rätsel; man kann sich nicht einmal mehr auf die Sterne verlassen) und<br />

einem einfachen Frühstück verließ ich Punkt 8 Uhr das Hotel und wan<strong>de</strong>rte weiter <strong>nach</strong><br />

Sü<strong>de</strong>n. Ich ging zunächst auf eine <strong>de</strong>r Ausfallstraßen aus Dijon hinaus. Am Stadtrand fand ich<br />

einen Wegweiser zur 'Route <strong>de</strong> Grand Cru', die – laut Prospekt – durch die besten Weinlagen<br />

<strong>de</strong>r Welt führt. Diese Route nahm ich. Sie führte zunächst durch Wohngebiete. Nach ca. 10<br />

km erreichte ich die Weinberge <strong>de</strong>s Cote d'Or und <strong>de</strong>n Weinort Marsannay-la-Cote, <strong>de</strong>r<br />

Patenstadt von Schweich an <strong>de</strong>r Mosel ist. Das Wetter war angenehm. Es dräute zwar<br />

gelegentlich Regen, blieb aber trocken mit häufigem Sonnenschein und viel Wind. Die Straße<br />

war fast autofrei; es war eine Lust zu wan<strong>de</strong>rn. Beeindruckend waren – neben <strong>de</strong>n riesigen,<br />

gut gepflegten Weinfel<strong>de</strong>rn – die romanischen Kirchen, <strong>de</strong>ren Türme mit dicken Stützmauern<br />

versehen waren. Offensichtlich traute man damals nicht so richtig <strong>de</strong>r Statik. Bei <strong>einer</strong> kurzen<br />

Rast in Fixin versuchte ich einen dieser Türme zu skizzieren.<br />

Romanischer Kirchturm in Fixin (Cote d’Or)<br />

Im berühmten Weinort Grevrey-Chambertin machte ich gegen 12 Uhr Mittag. Ein Schild<br />

verkün<strong>de</strong>te, dass <strong>de</strong>r Chambertin <strong>de</strong>r 'Roi <strong>de</strong> Grand Cru' sei. Diesen König konnte ich mir<br />

doch nicht entgehen lassen. Das nächste (und gleichzeitig beste) Restaurant war Les<br />

Millesimes. Der Speiseraum lag im Keller, <strong>de</strong>r mit viel Liebe zum Detail fürstlich ausgestattet<br />

war. Als einzigen Gast bediente mich <strong>de</strong>r Ober sehr fürsorglich. Er reichte mir ein dickes<br />

Buch mit <strong>de</strong>n Weinen. Die Nummern überschritten die 1000. Ich gab es auf, daraus zu wählen<br />

und bat <strong>de</strong>n Ober die Weine selbst zu entschei<strong>de</strong>n. Das angebotenen Menu bestand aus 4<br />

Gängen: einem Teller mit köstlichen Pasteten, einem leichten Fischgericht, als Fleischgang<br />

gebratene Wachteln in <strong>einer</strong> köstlichen Soße und als Nachtisch Variationen aus Mouse <strong>de</strong><br />

22


Chocolate und frischen Früchten. Zur Pastete und zum Fisch servierte er mir einen weißen<br />

Burgun<strong>de</strong>r, Jahrgang 1974, und zu <strong>de</strong>n Wachteln einen roten, vollen Burgun<strong>de</strong>r, Jahrgang<br />

1982; bei<strong>de</strong>s Weine aus Chambertin. Es schmeckte mir hervorragend. Dafür waren die ca. 60<br />

DM, die ich zu zahlen hatte, gera<strong>de</strong>zu preiswert.<br />

So gestärkt setzte ich die Route <strong>de</strong> Grand Cru fort. Inzwischen hatte die Sonne die Oberhand<br />

gewonnen und strahlte heiß von einem fast wolkenlosen Himmel. Nach Chambolle-Musigny<br />

verließ die Route die Straße und ging auf gut markierten Feldwegen weiter durch die<br />

Weinfel<strong>de</strong>r. Am späten Nachmittag erreichte ich <strong>de</strong>n berühmten Weinort Nuits-Saint-<br />

Georges. Ich fand dort ein nettes kleines Hotel, das für mich noch ein Zimmer frei hatte. Da<br />

blieb ich, kaufte mir ein Paar Socken (meine waren inzwischen total zerrissen), schaute mir<br />

<strong>de</strong>n Ort an und aß ein beschei<strong>de</strong>neres Menu als heute Mittag, das mir aber vorzüglich<br />

schmeckte, ebenso wie <strong>de</strong>r einfachere Wein, <strong>de</strong>n ich dazu trank.<br />

Meursault, 8. Juli (Samstag)<br />

<strong>Von</strong> einem berühmten Weinort zum an<strong>de</strong>rn! <strong>Von</strong> Nuits-Saint-Georges ging ich <strong>de</strong>n Berg hoch<br />

zur Haut Cote. Die Landschaft und die Weinfel<strong>de</strong>r än<strong>de</strong>rten sich. Das Land wur<strong>de</strong> hügeliger,<br />

die Weinfel<strong>de</strong>r kl<strong>einer</strong>, oft unterbrochen von Rapsfel<strong>de</strong>rn, und die Weinstöcke höher. Das<br />

Wetter war i<strong>de</strong>al zum Wan<strong>de</strong>rn (be<strong>de</strong>ckt und nicht zu heiß). So kam ich gut voran. In einem<br />

kleinen Weindorf nahm ich in <strong>de</strong>r Bar zusammen mit mehreren Bauern <strong>de</strong>s Dorfs meinen<br />

Frühschoppen. Ich war erstaunt als ich sah, dass die Bauern ihren Wein mit verschie<strong>de</strong>nen<br />

süßen Sirups vermischten. Diese Sirup-Flaschen stehen in Frankreich in je<strong>de</strong>r Bar (in <strong>einer</strong><br />

zählte ich einmal mehr als 20 verschie<strong>de</strong>ne Flaschen). Der Sirup wird nicht nur mit Wasser,<br />

son<strong>de</strong>rn auch mit Bier und – z.B. hier im Ort – mit Wein verdünnt. Ich trank aber lieber<br />

unverfälschten Wein, <strong>de</strong>r süffig und trocken war. Gegen Mittag sah ich unten im Tal schon<br />

Beaune liegen. In einem Restaurant in Pernand Vergiesses, das in einem Weinberg liegt und<br />

einen schönen Blick <strong>nach</strong> Beaune bietet, machte ich Mittagsrast und gönnte mir – neben <strong>de</strong>m<br />

Menu – ein Flasche Meursault, wo ich heute noch hinwan<strong>de</strong>rn wollte. Nach <strong>de</strong>m Essen stieg<br />

ich ins Tal hinab, ging durch die Vororte von Beaune ins Centre Ville. Vor Jahrzehnten hatten<br />

wir hier eine Tagung, zu <strong>de</strong>r meine ganze Familie mitgekommen war. Dabei konnten wir die<br />

Stadt und ihr gotisches Krankenhaus, das Hotel Dieu, ausführlich bewun<strong>de</strong>rn. Heute war die<br />

Stadt mit Touristen überfüllt und ich verließ sie rasch wie<strong>de</strong>r, <strong>nach</strong><strong>de</strong>m ich mich in <strong>einer</strong> Bar<br />

mit Bier gestärkt und mir eine Karte für <strong>de</strong>n weiteren Weg besorgt hatte. Beim Weg <strong>nach</strong><br />

Sü<strong>de</strong>n kam ich am 4-Sterne Hotel <strong>de</strong> la Poste vorbei, wo wir damals mit allen Kin<strong>de</strong>rn diniert<br />

hatten. Susanne, die damals 3 o<strong>de</strong>r 4 Jahre alt war, wollte unbedingt Spagetti mit<br />

Tomatenmark aus <strong>de</strong>r Tube und konnte nur mühsam von Madame zu Hühnerbrüstchen<br />

überre<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />

Bis Pommard ging ich auf <strong>de</strong>r Landstraße, da ich <strong>de</strong>n Weg durch die Weinberge nicht fand.<br />

Dort genehmigte ich mir eine Flasche von <strong>de</strong>m guten Rotwein (allerdings keinen Chateau <strong>de</strong><br />

Pommard) und ging dann weiter, teils durch Weinberge, teils auf <strong>de</strong>r Landstraße bis<br />

Meursault, das berühmt für seine Weißweine ist. Ich hatte mir vor Jahrzehnten eine Kiste<br />

dieser Weißweine (Jahrgang 1972) besorgt, von <strong>de</strong>nen ich immer noch eine Flasche habe (im<br />

KDW in Berlin stellte ich vor einiger Zeit fest, dass man inzwischen für eine solche Flasche<br />

800 DM verlangt). In <strong>de</strong>r Ortsmitte waren verschie<strong>de</strong>ne Hotels zur Auswahl. Ich wählte das<br />

Hotel Centre, das in alten Gemäuern im Erdgeschoss eine stilvoll eingerichtete Bar und ein<br />

Restaurant sowie im Obergeschoss freundliche Zimmer hatte.<br />

23


Buxy, 9. Juli (Sonntag)<br />

Als ich kurz <strong>nach</strong> 9 Uhr in Meursault losging, begann es zu regnen. Ich ging mit Schirm durch<br />

die Stadt, die sonntäglich still und leer war, und dann auf <strong>einer</strong> Landstraße durch die<br />

Weingärten <strong>nach</strong> Chagny, in <strong>de</strong>m gera<strong>de</strong> Sonntagsmarkt abgehalten wur<strong>de</strong>. An einem<br />

Fleischerstand kaufte ich mir eine geräucherte Wurst und ein Stück Leberpastete und in <strong>einer</strong><br />

Boulangerie ein Baguette. In <strong>einer</strong> Bar wartete ich das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Regens ab und machte dann<br />

am Stadtrand auf <strong>einer</strong> Bank am 'Canal Cenrtral' (<strong>de</strong>r durch ganz Frankreich reicht und das<br />

Mittelmeer mit <strong>de</strong>m Atlantik verbin<strong>de</strong>t) Mittag. <strong>Von</strong> dort führte eine schnurgera<strong>de</strong> Allee<br />

Richtung Sü<strong>de</strong>n <strong>nach</strong> Cluny. Auf dieser Straße wan<strong>de</strong>rte ich weiter. Der Autoverkehr war<br />

spärlich. Gelegentlich setzte Regen ein, <strong>de</strong>r aber nicht allzu lange andauerte. Die Weinfel<strong>de</strong>r<br />

wur<strong>de</strong>n durch Sonnenblumenfel<strong>de</strong>r abgelöst, was an <strong>de</strong>m grauen, regnerischen Tag etwas<br />

Helle brachte. Etwa 30 km vor Cluny wur<strong>de</strong> ich mü<strong>de</strong> und es fing erneut heftig zu regnen an.<br />

Ich beschloss daher, im nächsten Ort, wo es ein Hotel gibt, über Nacht zu bleiben. Der Ort<br />

war Buxy, ein kleines Städtchen mit <strong>einer</strong> Burg und vielen 'Caves', in <strong>de</strong>nen man <strong>de</strong>n Wein<br />

verkosten konnte. Diese hatten aber alle schon geschlossen. Ich über<strong>nach</strong>tete in einem<br />

Chateau-Hotel, das in einem schönen, aber tropfnassen Park liegt.<br />

Cluny, 10. Juli (Montag)<br />

Nun bin ich also in <strong>de</strong>r berühmten Abbaye <strong>de</strong> Cluny. <strong>Von</strong> Buxy aus ging ich auf <strong>de</strong>m 'Voie<br />

Verte', <strong>de</strong>r 'Grünen Trasse' weiter. Dies ist eine stillgelegte Eisenbahntrasse, auf <strong>de</strong>r die<br />

Schwellen und Geleise entfernt und durch Asphalt ersetzt wur<strong>de</strong>n. Hier konnte ich ungestört<br />

von Autos auf <strong>de</strong>m kürzesten Weg <strong>nach</strong> Cluny kommen. Nur in <strong>de</strong>r Nähe von Ortschaften<br />

waren gelegentlich Radfahrer unterwegs. Der Weg ist auch informativ: die Namen <strong>de</strong>r<br />

Schlösser, Ortschaften, Gaststätten, Ateliers und Flüsse, die am Weg liegen o<strong>de</strong>r die <strong>de</strong>r Weg<br />

kreuzt, wer<strong>de</strong>n auf Tafeln angegeben und bei Schlössern wird auch die Geschichte kurz<br />

erzählt. Die Sonne hat <strong>de</strong>n Regen wie<strong>de</strong>r verdrängt, so dass es ein angenehmes Wan<strong>de</strong>rn war.<br />

In Saint-Gengoux-le-National, ein mittelalterliches Städtchen mit <strong>einer</strong> interessanten,<br />

gotischen Kirche, einigen Türmen und einem alten Waschhaus (an <strong>de</strong>ssen frisch spru<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>r<br />

Quelle ich meine Wasserflasche füllte), machte ich Mittagsrast. Dann ging es auf <strong>de</strong>m Voie<br />

Verte weiter <strong>nach</strong> Sü<strong>de</strong>n, an Taizé vorbei (wo ich mir die alte romanische Kirche anschaute)<br />

<strong>nach</strong> Cluny, das ich in <strong>de</strong>r Abendsonne erreichte. Am Empfang im Hotel fragte mich<br />

Madame, ob ich 'Pélerine <strong>de</strong> St. Jaques' sei und <strong>nach</strong> <strong>Santiago</strong> wolle. Ich wur<strong>de</strong> von ihr<br />

freundlich bedient und sie empfahl mir eine gutes und preiswertes Restaurant zum<br />

Aben<strong>de</strong>ssen. Lei<strong>de</strong>r waren in <strong>de</strong>m Restaurant schon alle Plätze besetzt. In <strong>einer</strong> Brasserie<br />

gleich neben <strong>de</strong>m Klosterkomplex (<strong>de</strong>r auch viele Ruinen umfasst), war aber noch Platz frei<br />

und ich bekam ein gutes Essen und vor allem frisches Bier.<br />

Cluny, 11. Juli (Dienstag)<br />

Am Morgen erkundigte ich mich in <strong>de</strong>r Tourist Information <strong>nach</strong> <strong>de</strong>m Jakobsweg, konnte<br />

aber – außer einem allgemeinen Prospekt <strong>de</strong>r Jakobsgesellschaft – keine befriedigen<strong>de</strong><br />

Information bekommen. So schaute ich mir die Ruinen und Gebäu<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Klosteranlage an<br />

(wobei ich das Wahrzeichen, <strong>de</strong>n Weihwasserturm skizzierte), kaufte mir Karten und suchte<br />

in <strong>de</strong>r Brasserie, in <strong>de</strong>r ich gestern gegessen hatte, mir selbst auf <strong>de</strong>r Karte einen Weg <strong>nach</strong> Le<br />

Puy. Darüber wur<strong>de</strong> es Mittag und es begann wie<strong>de</strong>r heftig zu regnen. Ich hoffte, dass <strong>de</strong>r<br />

Regen bald aufhören wür<strong>de</strong> und aß in <strong>de</strong>r Brasserie das Mittagsmenu. Als es gegen 15 Uhr<br />

immer noch heftig regnete, suchte ich mir ein Zimmer und blieb in Cluny.<br />

24


Matour, 12. Juli (Mittwoch)<br />

Weihwasserturm in Cluny<br />

Am morgen regnete es noch immer, aber nicht mehr so heftig. Gegen 9 Uhr machte ich mich<br />

unterm Regenschirm auf <strong>de</strong>n Weg, <strong>de</strong>n ich gestern ausgesucht hatte. Er führte auf kleinen<br />

Nebenstraßen in die Berge zu zwei Dörfern mit alten, romanischen Kirchen. Die Dörfer lagen<br />

malerisch auf <strong>de</strong>n Hügeln; aber die Regenschleier und Wolkenfetzen, die über die Hügel<br />

stürmten, trübten <strong>de</strong>n Enthusiasmus und die schönen Aussichten. Nach ca. <strong>einer</strong> Stun<strong>de</strong> hörte<br />

<strong>de</strong>r Regen auf. Ich ging in einem Tal auf <strong>de</strong>r Distriktstraße weiter bergauf. Die Landschaft<br />

bekam einen bergigen Charakter, mit steilen Hängen auf bei<strong>de</strong>n Seiten <strong>de</strong>s Tals, auf <strong>de</strong>nen<br />

Kühe wei<strong>de</strong>ten. Oben waren die Hänge mit Na<strong>de</strong>lwald be<strong>de</strong>ckt, aus <strong>de</strong>m gelegentlich<br />

Felskegel hervorragten. Weinfel<strong>de</strong>r waren nicht mehr zu sehen. Gegen 15 Uhr erreichte ich<br />

<strong>de</strong>n Ort Matour und das Hotel Le Lion d'Or. Dort machte ich an <strong>de</strong>r Bar eine Pause. Als ich<br />

feststellte, dass es wie<strong>de</strong>r heftig zu regnen anfing und bis zum nächsten Ort noch 20 km mit<br />

erheblichen Steigungen vor mir lagen, beschloss ich, im Gol<strong>de</strong>nen Löwen zu bleiben; zumal<br />

die Bar, das Restaurant und die Zimmer einen gemütlichen, einla<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Eindruck machten.<br />

Der Ort bemüht sich, Ferienort zu wer<strong>de</strong>n. Die Gegend ist sehr schön; man hat ein<br />

Schwimmbad in <strong>einer</strong> Bergmul<strong>de</strong> gebaut und im alten Rathaus eine Galerie eingerichtet. Die<br />

Bewohner sind Fans vom Motorsport. Am Ortseingang kün<strong>de</strong>te ein großes Plakat die 43.<br />

Rallye <strong>de</strong> Matour an und über <strong>de</strong>r Bar hingen Fotos vom 'Moto Club Matrayes'. Man tut also<br />

etwas für die erhofften Feriengäste.<br />

Belmont-<strong>de</strong>-la-Loire, 13. Juli (Donnerstag)<br />

Als ich am Morgen Matour verließ, war <strong>de</strong>r Himmel be<strong>de</strong>ckt, aber es regnete nicht. Ich<br />

wan<strong>de</strong>rte weiter auf Nebenstraßen in die Berge, die zu <strong>de</strong>n Rhône-Alpes gehören. Richtig steil<br />

wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Weg bei St. Rocho, das 700 m hoch liegt. Die Straße war schmal und einsam, die<br />

Na<strong>de</strong>lwäl<strong>de</strong>r zogen sich jetzt bis ins Tal hinab. Gegen 18 Uhr erreichte ich das Dorf Belmont<br />

<strong>de</strong> la Loire, das schon 800 m hoch liegt. Dort fing es wie<strong>de</strong>r zu regnen an und ich kam gera<strong>de</strong><br />

zu einem Hotel, das allerdings nicht sehr einla<strong>de</strong>nd aussah (die Fenster waren <strong>nach</strong> außen<br />

verspiegelt und sahen bei <strong>de</strong>r trüben Witterung wie schwarze Löcher aus). Trotz<strong>de</strong>m nahm<br />

ich ein Zimmer (das offensichtlich schon lange nicht mehr benutzt war) und aß als einziger<br />

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Gast ein einfaches Aben<strong>de</strong>ssen (bestehend aus Salami als Vorspeise, einem dünnen Steak und<br />

Pommes Frites als Hauptgang und einem Becher Joghurt als Nachspeise), das mir <strong>de</strong>r Wirt<br />

schnell zubereitete. Aber <strong>de</strong>r Wein dazu war gut.<br />

Thizy, 14. Juli (Freitag, französischer Nationalfeiertag)<br />

Bei strömen<strong>de</strong>m Regen und Kälte (ein Thermometer an einem Uhrengeschäft zeigte 8° an)<br />

verließ ich das Hotel und stieg 5 km lang auf einen Pass hoch. Dann ging es im Regen durch<br />

Wald wie<strong>de</strong>r 5 km hinab usw. Auf <strong>de</strong>n Passhöhen ging <strong>de</strong>r Regen teilweise in Schneeregen<br />

über. Gegen Mittag erreichte ich Cours-la-Ville und wollte dort Mittag essen. Aber wegen <strong>de</strong>s<br />

Nationalfeiertags waren alle Restaurants geschlossen. Nur eine Bar war geöffnet, in <strong>de</strong>r ich<br />

mich mit Bier und Schokola<strong>de</strong> stärken konnte. Ich ging dann weiter. Es war ein trauriger<br />

Nationalfeiertag. Die Dörfer waren im anhalten<strong>de</strong>n Regen menschenleer; nur die Fähnchen<br />

hingen nass und traurig im Regen und gelegentlich bellte ein Hund. Am späten Nachmittag<br />

erreichte ich Thizy, das auf einem Hügel liegt und von <strong>de</strong>r gotischen Chapelle St. George<br />

überragt wird. Dort war wenigstens ein Cafe geöffnet, in <strong>de</strong>m ich mich bei Café aux lait<br />

aufwärmen konnte. Madame erzählte mir, dass ich als Pelegrine <strong>de</strong> St. Jaques in <strong>de</strong>r Curie<br />

kostenlos über<strong>nach</strong>ten könne und schickte mich dahin. Aber in <strong>de</strong>r Curie war niemand, <strong>de</strong>r<br />

mir öffnete. Ich suchte also weiter <strong>nach</strong> <strong>einer</strong> Unterkunft und fand ein Hotel, in <strong>de</strong>m ich ein<br />

Zimmer bekam. Das Restaurant war aber geschlossen und Madame wollte auch das Hotel<br />

verlassen, um in <strong>de</strong>r Familie zu feiern. So ging ich auf mein Zimmer, aß <strong>de</strong>n Rest <strong>de</strong>r<br />

Schokola<strong>de</strong> und ging früh zu Bett. In Le Puy muss ich mich für einige Tage ausruhen. Der<br />

Anlauf zum Jakobsweg hat mich mehr mitgenommen, als ich erwartet hatte. Das kalte und<br />

regnerische Wetter hebt natürlich auch nicht die Stimmung.<br />

Neulise, 15. Juli (Samstag)<br />

Als ich das Hotel verließ, war es zwar kalt und grau, aber es regnete nicht. Meine alten,<br />

bequemen Straßenschuhe waren endgültig aus <strong>de</strong>m Leim gegangen und ich entsorgte sie in<br />

einem Container. Jetzt hatte ich nur noch die Schuhe, die ich mir in Trier gekauft hatte. Die<br />

hatten aber eine dünne Sohle und waren für felsige Strecken nicht geeignet. Aber noch hatte<br />

ich keine Felsen, son<strong>de</strong>rn Asphaltstraßen. Zunächst umrun<strong>de</strong>te ich eine Stun<strong>de</strong> lang Thizy<br />

und Bourg-<strong>de</strong>-Thizy (2 Orte, die ineinan<strong>de</strong>r übergehen, aber auf zwei getrennten Hügeln<br />

liegen), bis ich die Abzweigung <strong>de</strong>r Nebenstraße <strong>nach</strong> Régny fand, die ich weiter gehen<br />

wollte. Die Straße führte am Fluss Trambouse entlang und hatte wenig Verkehr. Gegen<br />

Mittag erreichte ich Régny und machte in einem Restaurant bei einem guten Menu<br />

ausführlich Mittagspause. Es ging dann weiter in die Berge, wo es gelegentlich immer wie<strong>de</strong>r<br />

Regenschauer gab. Die Nebenstraße führte – bergauf und bergab - durch alte Ortschaften mit<br />

beeindrucken<strong>de</strong>n romanischen o<strong>de</strong>r gotischen Kirchen. Gegen Abend erreichte ich Saint-Justla-Pendie.<br />

Am Ortseingang verkün<strong>de</strong>te ein Schild, dass es hier ein Hotel gäbe. Aber im Ort<br />

fand ich keines und in <strong>einer</strong> Bar versicherte man mir, dass dies schon längst aufgegeben<br />

wor<strong>de</strong>n sei. Das nächste Hotel gäbe es in Neulise, das 7 km entfernt im Tal <strong>de</strong>r Loire liege. Es<br />

blieb mir nichts an<strong>de</strong>res übrig, als in <strong>de</strong>r beginnen<strong>de</strong>n Dunkelheit dorthin zu gehen. Das Hotel<br />

lag gleich am Ortseingang und wur<strong>de</strong> von einem großen Schäferhund bewacht, <strong>de</strong>r mich aber<br />

eintreten ließ. In <strong>de</strong>r Bar bekam ich ein reichhaltiges Aben<strong>de</strong>ssen und dann ein nicht sehr<br />

gemütlich aussehen<strong>de</strong>s Zimmer.<br />

Feurs, 16. Juli (Sonntag)<br />

Das Zimmer war eines <strong>de</strong>r schlechtesten, das ich bisher hatte. Die ganze Nacht über tuckerte<br />

ein Kühlaggregat, irgendwelche Wasserleitungen machten in unregelmäßigen Abstän<strong>de</strong>n<br />

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lauten Krach, das Bett war zu kurz (höchstens 180 cm lang), das Zimmer sehr kalt und feucht.<br />

Außer<strong>de</strong>m taten mir meine Zehen weh, waren teilweise entzün<strong>de</strong>t und fühlten sich kalt und<br />

taub an. Offensichtlich habe ich mir eine Neuropathie eingehan<strong>de</strong>lt. Ich schlief kaum (und<br />

hatte dafür 150 FF zu zahlen).<br />

Als ich morgens aufstand regnete es heftig. Aber <strong>nach</strong> <strong>de</strong>m Frühstück, gegen 9 Uhr, hörte <strong>de</strong>r<br />

Regen auf und ich konnte ohne Schirm <strong>de</strong>n Weg im Tal <strong>de</strong>r Loire fortsetzen. Die ersten 10<br />

km musste ich auf <strong>de</strong>r Nationalstraße gehen. Glücklicherweise war <strong>de</strong>r Verkehr am<br />

Sonntagmorgen noch gering. Da<strong>nach</strong> überquerte ich bei Balligny die Loire und ging auf <strong>einer</strong><br />

ruhigen Landstraße parallel zur Loire weiter. Meine Füße schmerzten sehr. In immer kürzeren<br />

Abstän<strong>de</strong>n musste ich eine Pause einlegen und ihnen etwas Erholung gönnen. Am späten<br />

Nachmittag erreichte ich endlich Feurs und fand dort am Bahnhof ein gutes Hotel (mit 2<br />

Sternen). Dort nahm ich ein Zimmer, ba<strong>de</strong>te mich ausführlich in <strong>de</strong>r Ba<strong>de</strong>wanne und pflegte<br />

meine Füße. Die Fußballen sind stark verhornhautet und zwischen <strong>de</strong>n Hornhautballen<br />

teilweise wund. Auch zwischen <strong>de</strong>n Zehen haben sich Hornhautballen gebil<strong>de</strong>t und die<br />

gegenüberliegen<strong>de</strong>n Hautstellen aufgescheuert. Diese aufgescheuerten Stellen haben sich<br />

teilweise entzün<strong>de</strong>t. Ich behan<strong>de</strong>lte die entzün<strong>de</strong>ten Stellen mit Salbe und Pflaster so gut es<br />

ging. Ich glaube, dass ich die restlichen ca. 60 km bis Le Puy mit <strong>de</strong>m Zug zurücklegen und<br />

mich dort für <strong>de</strong>n Jakobsweg erst einmal ausruhen sollte. Auch meine Ausrüstung muss ich<br />

ergänzen. Ich brauche dringend neue Strümpfe und ein paar feste Schuhe. Hoffentlich<br />

bekomme ich in Le Puy passen<strong>de</strong> Schuhe.<br />

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Die via podiensis<br />

<strong>Von</strong> Le Puy bis Figeac<br />

Le Puy-en-Velay, 17. – 19 Juli (Montag – Mittwoch)<br />

<strong>Von</strong> Feurs bin ich zunächst mit <strong>einer</strong> Lokalbahn <strong>nach</strong> St. Etienne und von dort ebenfalls mit<br />

<strong>einer</strong> Lokalbahn <strong>nach</strong> Le Puy gefahren. Die letzte Strecke ging die Loire aufwärts an <strong>de</strong>n<br />

Schluchten <strong>de</strong>r Loire (Gorges <strong>de</strong> la Loire) vorbei, die unter <strong>de</strong>r an <strong>de</strong>r Steilwand kleben<strong>de</strong>n<br />

Bahnstrecke heftig bro<strong>de</strong>lte. Das Wetter hat sich schlagartig geän<strong>de</strong>rt. Die Sonne schien von<br />

einem wolkenlosen, blauen Himmel und es war sehr warm.<br />

Am frühen Nachmittag kam ich in Le Puy an und erkundigte mich in <strong>de</strong>r Tourist Information<br />

<strong>nach</strong> <strong>de</strong>m Jakobsweg. Hier bekam ich nun endlich erschöpfen<strong>de</strong> Auskunft, kostenlos ein<br />

Heftchen mit <strong>de</strong>n Über<strong>nach</strong>tungsmöglichkeiten (bis Figeac) und gegen Bezahlung drei<br />

Bücher mit ausführlichen Karten und Beschreibungen <strong>de</strong>s Wegs und <strong>de</strong>r Orte, an <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r<br />

Weg vorbeiführt. Zur Über<strong>nach</strong>tung stehen für die Pilger Herbergen (Gites) bereit. Der Gite<br />

von Le Puy war aber schon besetzt (complete). Man hat aber in <strong>de</strong>n Schlafsälen <strong>de</strong>s<br />

Priesterseminars Notquartiere (d.h. Matratzen) bereitgestellt. Da ich meine Füße pflegen und<br />

mich erholen wollte, zog ich es vor, ein Hotelzimmer zu nehmen und fand auch ein gutes<br />

Zimmer im Bahnhofshotel.<br />

Mein Freund Joseph aus Grünberg, mit <strong>de</strong>m ich schon manche Strecke gewan<strong>de</strong>rt bin, wollte<br />

gerne ein Stück <strong>de</strong>s Jakobswegs mit mir gehen. Ich hatte ihm versprochen, dass ich ihn von<br />

Le Puy aus anrufen wer<strong>de</strong> und wir das erste Stück <strong>de</strong>r via podiensis zusammen gehen wollen.<br />

Ich rief ihn also an. Er hatte sich die Bahnverbindungen bereits ausgesucht und konnte am<br />

Donnerstag <strong>de</strong>n 20. Juli früh morgens in Le Puy sein. Die Zeit bis dahin nutzte ich, um mich<br />

über <strong>de</strong>n Weg ausführlich zu informieren, mir Le Puy anzusehen und mich zu erholen. Je<strong>de</strong>n<br />

Abend fin<strong>de</strong>t in einem Haus in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>r Kathedrale ein Treffen statt, wo die<br />

ortsansässigen 'erfahrenen Pilger' <strong>de</strong>n Neulingen Auskunft über <strong>de</strong>n Weg geben. Ich ging zu<br />

diesem Treffen, wur<strong>de</strong> freundlich mit einem Kir empfangen und bekam (trotz m<strong>einer</strong><br />

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geringen Französisch-Kenntnisse) die gewünschten Auskünfte: dass <strong>de</strong>r Weg, <strong>de</strong>r 'Gran<strong>de</strong><br />

Randonnée' (GR) 65, gut markiert sei, man einen Pilgerpass (Créanciale) brauche, <strong>de</strong>r je<strong>de</strong>n<br />

Morgen <strong>nach</strong> <strong>de</strong>r Pilgermesse um 7 Uhr in <strong>de</strong>r Kathedrale ausgestellt wer<strong>de</strong>, und man in <strong>de</strong>n<br />

Gites – wenn noch Platz ist – gut und preiswert über<strong>nach</strong>ten könne. Es seien aber zu dieser<br />

Zeit sehr viele Pilger unterwegs.<br />

Am nächsten Morgen ging ich früh um 7 Uhr zur Kathedrale in die Pilgermesse. Die Pilger<br />

wur<strong>de</strong>n gebeten in <strong>de</strong>m schön geschnitzten Holzgestühl, das sonst nur für die Priester<br />

bestimmt ist, an <strong>de</strong>r Messe teilzunehmen. Nach <strong>de</strong>r Messe gab es <strong>de</strong>n Pilgersegen. Der<br />

Priester unterhielt sich mit je<strong>de</strong>m und schenkte je<strong>de</strong>m ein kleines, geweihtes Medaillon, in<br />

<strong>de</strong>m auf <strong>de</strong>r einen Seite das Bild von 'Notre Dame du Puy' (<strong>de</strong>r Marienstatue 'la vierge noire'<br />

in <strong>de</strong>r Kathedrale) und auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren das von 'Notre Dame du France' (<strong>einer</strong> großen Statue,<br />

die auf <strong>de</strong>m Rocher Corneille, einem großen Felsen hinter <strong>de</strong>r Kathedrale, die Stadt überragt)<br />

eingraviert ist. 'Notre Dame' soll uns auf <strong>de</strong>r Pilgerfahrt beschützen. Er stellte mir auch mein<br />

Créanciale aus, in <strong>de</strong>m bestätigt wird, dass ich ein frommer Mensch bin (woher weiß <strong>de</strong>r<br />

Priester das?), <strong>de</strong>r zum Heiligen Jakobus pilgern will. Nachher schaute ich mir die Altstadt<br />

und die Kathedrale ausführlich an. Kathedrale und Altstadt sind auf einem Hügel erbaut, zu<br />

<strong>de</strong>m zahlreiche Treppen empor führen. Die Kathedrale zeigt verschie<strong>de</strong>ne Stile und hat viele<br />

Kuppeln und Gewölbe, die <strong>de</strong>n maurischen und byzantinischen Einfluss zeigen . Ich<br />

versuchte diese ineinan<strong>de</strong>r verschränkten Bogen und Gewölbe zu skizzieren. Nachher kaufte<br />

ich in einem Sportgeschäft ein Paar Wan<strong>de</strong>rstiefel Größe 48 und zwei Paar dicke Socken. Die<br />

Stiefel waren zwei Nummern größer als meine alten; sie dürften mir also nicht mehr meine<br />

Zehen eindrücken. Es waren übrigens die einzigen Schuhe, die in dieser Größe in <strong>de</strong>r Stadt zu<br />

haben waren. Im Übrigen versuchte ich, mich zu erholen und meine Füße mit Salben und<br />

Fußbä<strong>de</strong>rn zu pflegen. Die Entzündungen sind schon zurückgegangen. Ich hoffe, dass auch<br />

die wun<strong>de</strong>n Stellen noch verheilen.<br />

Saint-Privat-<strong>de</strong>-Allier, 20. Juli (Donnerstag)<br />

Innenansicht <strong>de</strong>r Kathedrale von Le Puy<br />

Pünktlich um 7.40 Uhr traf heute Joseph bei strahlen<strong>de</strong>m Sonnenschein in Le Puy mit <strong>de</strong>m<br />

Zug ein. Ich holte ihn am Bahnhof ab und freute mich, dass ich nun einen Wan<strong>de</strong>rgenossen<br />

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habe, mit <strong>de</strong>m ich erzählen und gemeinsam <strong>de</strong>n Weg und die Landschaft erleben kann. Wir<br />

stiegen zunächst zur Kathedrale hoch, wo gera<strong>de</strong> die Pilgermesse been<strong>de</strong>t war, wir aber<br />

Joseph noch das Créanciale erhielt. Dann ging es die Treppen hinab zum Place <strong>de</strong> Plot, wo<br />

sich morgens die Pilger treffen und auf <strong>einer</strong> Steintafel angezeigt wird, dass hier die via<br />

po<strong>de</strong>nsis beginnt. Die meisten Pilger waren aber schon weggegangen. Der Weg führte weiter<br />

durch die Rue St. Jaques und die Rue <strong>de</strong>s Capucins <strong>de</strong>n Berg hoch und traf dort auf die Rue<br />

<strong>de</strong> Compostelle, wo die Markierung <strong>de</strong>s GR65 beginnen. Oben auf <strong>de</strong>m Berg hatten wir eine<br />

sehr schöne Sicht auf die Stadt und ihre Kirchen und Felsen (eindrucksvoll <strong>de</strong>r Rocher St.-<br />

Michel-d'Aiguilhe mit <strong>einer</strong> alten Kirche auf <strong>de</strong>r Spitze!). Wir machten Rast und verzehrten<br />

die von Joseph aus Grünberg mitgebrachten Brote. Dann ging es <strong>de</strong>n steinigen Weg weiter<br />

bergauf. <strong>Von</strong> La Roche bis St.-Christophe-sur-Dolaison führte <strong>de</strong>r Weg an <strong>einer</strong> Schlucht<br />

vorbei durch ein schattiges Wäldchen. Ein Franzose, <strong>de</strong>r uns begegnete und <strong>de</strong>utsch sprach,<br />

erzählte uns, dass er dieses Gebiet für <strong>de</strong>n schönsten Flecken Frankreichs halte und <strong>de</strong>n Weg<br />

täglich gehe. Nach <strong>de</strong>m Wäldchen wur<strong>de</strong> es aber schattenlos. Der Weg führte weiter durch<br />

Fel<strong>de</strong>r bergauf. Die Mittagssonne brannte heiß auf uns herab. Nach einem letzten steilen<br />

Anstieg auf eine Höhe von 1270 m hatten wir wie<strong>de</strong>r einen Waldweg, an <strong>de</strong>ssen Rand wir<br />

Erdbeeren fan<strong>de</strong>n und pflückten. <strong>Von</strong> dort mussten wir steil ins Tal <strong>de</strong>s Allier absteigen. Als<br />

wir etwa 2/3 <strong>de</strong>s Abstiegs zurückgelegt hatten, stellte Joseph fest, dass er sein Handy verloren<br />

hatte. Ich nahm seinen Rucksack und stieg weiter <strong>nach</strong> St. Privat ab, um dort eine<br />

Über<strong>nach</strong>tung zu besorgen, er eilte zurück auf die Höhe, um sein Handy zu suchen. In St.<br />

Privat <strong>de</strong> Allier, einem kleinen Ort, <strong>de</strong>r malerisch über <strong>de</strong>n Gorges <strong>de</strong> Allier liegt (es wur<strong>de</strong>n<br />

Schlauchbootfahrten durch die Gorges angeboten) war in <strong>de</strong>m Gite nur noch ein Bett frei. Im<br />

einzigen Hotel <strong>de</strong>s Ortes bekam ich aber noch ein Doppelzimmer. Dort legte ich unsere<br />

Rucksäcke ab und wartete in <strong>de</strong>r Bar auf Joseph. Tatsächlich kam er <strong>nach</strong> einiger Zeit mit<br />

<strong>de</strong>m Handy an. Er hatte es an <strong>de</strong>r Stelle, wo wir Erdbeeren gepflückt hatten, gefun<strong>de</strong>n, konnte<br />

es aber lei<strong>de</strong>r nicht benutzen, da in <strong>de</strong>m Ort keine Funkverbindung bestand.<br />

Sauges, 21. Juli (Freitag)<br />

Die zweite Etappe <strong>de</strong>r via podiensis führte von St. Privat <strong>nach</strong> Sauges. Zunächst ging es<br />

wie<strong>de</strong>r bergauf <strong>nach</strong> Rochegu<strong>de</strong>, einem kleinen Dorf, das von <strong>einer</strong> Burgruine und einem<br />

kleinen Kirchlein überragt wird. Es waren mehrere Pilgergruppen an <strong>de</strong>m schönen Sonnentag<br />

unterwegs. Einige kletterten zum Kirchlein hoch und läuteten aus Spaß die Glocken. <strong>Von</strong><br />

Rochegu<strong>de</strong> aus ging es über einen steilen Felspfad wie<strong>de</strong>r hinab ins Tal <strong>de</strong>s Allier, das bei<br />

Monistrol-<strong>de</strong>-Allier erreicht wur<strong>de</strong>. Dort gab es eine Bar, in <strong>de</strong>r ich meinen Frühschoppen zu<br />

mir nahm. Nach<strong>de</strong>m wir <strong>de</strong>n Allier auf <strong>einer</strong> alten Brücke überquert hatten (daneben wur<strong>de</strong><br />

eine neue, größere gebaut), ging es wie<strong>de</strong>r steil bergauf. Im Dorf Montaure aßen wir das Brot<br />

und die Wurst, die wir in St. Privat gekauft hatten und tranken dazu Wasser, das wir mit <strong>einer</strong><br />

Handkurbel aus einem Brunnen am Wege pumpten. Das Wasser war kühl und schmeckte fast<br />

besser als Bier. In <strong>de</strong>r Mittagshitze stiegen wir weiter bergauf und gingen dann auf <strong>de</strong>r<br />

Hochfläche entlang, bis wir am späten Nachmittag mü<strong>de</strong> und durstig Sauges erreichten. Über<br />

einen mit Ginster, Wachol<strong>de</strong>r und kleinen Kiefern locker bewachsenen Abhang ging es hinab<br />

zur Stadt. Auf <strong>de</strong>m Abhang waren verschie<strong>de</strong>ne Holzplastiken verteilt. Eine stellte <strong>de</strong>n 'Bête<br />

du Gévaudan' dar, einen Wolf, <strong>de</strong>r im 18. Jahrhun<strong>de</strong>rt in <strong>de</strong>r Gegend viele Kin<strong>de</strong>r und Leute<br />

umgebracht haben soll. Dem ist auch in Sauges ein Museum gewidmet, das wir aber nicht<br />

besuchten. Wir gingen vielmehr zum Gite, wo wir in einem kleinen Zimmer, in <strong>de</strong>m schon ein<br />

junges und schweigsames Paar untergekommen war, zwei Schlafstellen bekamen. Der Gite<br />

lag an einem See, an <strong>de</strong>m auch ein Campingplatz und mehrere Sportplätze angelegt waren.<br />

Am See herrschte reger Ba<strong>de</strong>betrieb. Wir waren hungrig und durstig und verzichteten <strong>de</strong>shalb<br />

auf ein Bad im See. Wir gingen – <strong>nach</strong><strong>de</strong>m wir geduscht hatten und ich mein Hemd und<br />

Unterhose gewaschen hatte – in die Stadt und stärkten uns in <strong>einer</strong> Pizzeria mit Pizza und viel<br />

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Wein. Abends saßen wir in <strong>de</strong>r beginnen<strong>de</strong>n Abenddämmerung noch lange auf <strong>einer</strong> Bank am<br />

See (<strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>r einsam war) und plau<strong>de</strong>rten lange über unsere Freu<strong>de</strong>n und Lei<strong>de</strong>n. Es war<br />

ein schöner Abend.<br />

Saint-Alban-sur-Limagnole, 22. Juli (Samstag)<br />

Der nächste 'halte <strong>de</strong> l'etape' war diesmal weiter entfernt; ca. 32 km. Nach <strong>de</strong>r Morgentoilette<br />

und einem improvisierten Frühstück im salle commune <strong>de</strong>r Gite (bei <strong>de</strong>m uns eine Pilgerin zu<br />

einem Weg, <strong>de</strong>r weiter nördlich verläuft, überre<strong>de</strong>n wollte, wir aber lieber auf <strong>de</strong>m GR65<br />

bleiben wollten) gingen wir bei Sonnenschein und blauem Himmel los; erst langsam<br />

ansteigend, dann durch eine schöne Berglandschaft mit Kiefern, Fichten, Wei<strong>de</strong>n und Fel<strong>de</strong>rn.<br />

In einem Dorf kamen wir zwischen eine Kuhher<strong>de</strong>, die gera<strong>de</strong> auf die Wei<strong>de</strong> getrieben wur<strong>de</strong><br />

und zu rennen anfing. Wir konnten uns aber unversehrt durch die Her<strong>de</strong> durchwin<strong>de</strong>n. Gegen<br />

Mittag kamen wir durch ein Tal in <strong>de</strong>r Nähe von Chanaleilles. Ein Plakat am Weg gab an,<br />

dass es nur 300 m entfernt eine Bar geben sollte. Aus <strong>de</strong>n 300 m wur<strong>de</strong> aber mehr als 1 km.<br />

Trotz<strong>de</strong>m hat das Bier gut geschmeckt. Joseph konnte in <strong>de</strong>m angeschlossenen La<strong>de</strong>n Äpfel<br />

für die weitere Wegzehrung erstehen. Der Weg führte vom Tal weg auf eine Höhe von 1300<br />

m. Bei einem Steilhang mussten wir über einen Wei<strong>de</strong>zaun klettern und zwischen <strong>de</strong>n Kühen<br />

hochsteigen. Die Kühe waren aber offensichtlich Pilger gewöhnt und blieben friedlich. Oben<br />

ging es durch ausge<strong>de</strong>hnte Wäl<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r Landstraße weiter. Es war sehr heiß und wir<br />

wur<strong>de</strong>n sehr mü<strong>de</strong>. In einem Waldstück begegneten uns zwei Pilger, die mit Maultieren<br />

unterwegs waren. Joseph benei<strong>de</strong>te sie, da die Maultiere das Gepäck trugen; sein Rucksack<br />

drückte ihn schwer (und m<strong>einer</strong> mich auch). In einem Dorf saßen einige Bewohner im<br />

Schatten beim Samstag-Nachmittag-Kaffee und riefen uns zu, wir sollten doch schneller<br />

gehen: 'Allez hop'. Die hatten gut re<strong>de</strong>n! Am späten Nachmittag erreichten wir endlich St.<br />

Alban und mussten durch ein ausge<strong>de</strong>hntes Villengebiet zur Burg aus <strong>de</strong>m 13. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

und von dort zum Stadtkern absteigen. Der Gite war mit einem Hotel kombiniert. Es gab aber<br />

nur im Hotel noch Betten. Während Joseph mit <strong>de</strong>m Wirt über <strong>de</strong>n Zimmerpreis verhan<strong>de</strong>lte<br />

(und dabei 20 FF herunterhan<strong>de</strong>lte), löschte ich meinen enormen Durst mit einem echten<br />

Maßkrug voll Bier.<br />

Aumont-Aubrac, 23. Juli (Sonntag)<br />

Nach <strong>de</strong>n Anstrengungen <strong>de</strong>s vergangenen Tages hatten wir uns für heute nur eine kurze<br />

Etappe von ca. 15 km vorgenommen. Wir verließen das Hotel erst gegen 9.30, als die meisten<br />

Pilger schon unterwegs waren. Im Nordosten hatten sich dunkle Wolken zusammengeballt<br />

und es donnerte. Aber glücklicherweise führte unser Weg <strong>nach</strong> Südwesten und da wur<strong>de</strong> es<br />

immer heller. Es kam sogar die Sonne wie<strong>de</strong>r zum Vorschein. Auf schönen Waldwegen führte<br />

<strong>de</strong>r Weg über mehrere Hügel ins Tal <strong>de</strong>s Truyere <strong>nach</strong> les Estrets. Dort sollte es <strong>nach</strong> <strong>de</strong>r<br />

Karte und einem Wegschild eine Bar geben. Aber lei<strong>de</strong>r war die inzwischen aufgegeben<br />

wor<strong>de</strong>n. An einem Brunnen füllte ich meine Wasserflasche <strong>nach</strong> und wir machten im Schatten<br />

<strong>einer</strong> großen Pinie Mittagsrast. Anschließend gingen wir auf schönen Waldwegen bergauf und<br />

bergab weiter, an an<strong>de</strong>ren Pilgern vorbei, die an schattigen Plätzen Rast machten. Am frühen<br />

Nachmittag erreichten wir Aumont-Aubrac und fan<strong>de</strong>n in einem guten Hotel ein angenehmes<br />

Zimmer. Der Himmel hatte sich wie<strong>de</strong>r mit Wolken bezogen und es wur<strong>de</strong> empfindlich kühl.<br />

So verbrachten wir <strong>de</strong>n Rest <strong>de</strong>s Tages vorwiegend in <strong>de</strong>r Bar.<br />

Nasbinals, 24. Juli (Montag)<br />

Über Nacht gab es ein heftiges Gewitter. Am Morgen waren dicke Wolken am Himmel und<br />

es war kühl, aber es regnete nicht. Den Weg über die Autobahn kürzten wir auf <strong>de</strong>r<br />

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Landstraße ab, die <strong>nach</strong> ca. 3 km wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n GR65 stieß. Dann ging es vorwiegend über<br />

baumlose Hochflächen, die z.T. mit großen Felsblöcken be<strong>de</strong>ckt waren. Gegen 16 Uhr<br />

erreichten wir Nasbinals, wo wir über<strong>nach</strong>ten wollten. Die Suche <strong>nach</strong> einem<br />

Über<strong>nach</strong>tungsplatz gestaltete sich fast dramatisch. Die Hotelzimmer waren alle schon belegt.<br />

In <strong>de</strong>r Gite war in einem 8-Bett-Zimmer noch ein Bett frei. Joseph konnte aber mit <strong>de</strong>m ihm<br />

angeborenen Charme einen Familienvater, <strong>de</strong>r mit s<strong>einer</strong> Frau und <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn unterwegs<br />

war, überre<strong>de</strong>n, zwei <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r in ein Bett zu legen und uns das freie Bett zu geben. Damit<br />

war aber Madame nicht einverstan<strong>de</strong>n, die gegen Abend kam, um die Betten zu verteilen und<br />

die paar Franc dafür zu kassieren. Sie schimpfte etwas, ging aber dann wie<strong>de</strong>r (<strong>nach</strong><strong>de</strong>m sie<br />

auch unser Geld genommen hatte) und wir konnten bleiben. Wir kauften Wein und Esswaren<br />

ein und bereiteten uns in <strong>de</strong>r Küche, in <strong>de</strong>r auch schon die Familien kochten, unser<br />

Aben<strong>de</strong>ssen. Ich hatte in <strong>einer</strong> Fleischerei vorgekochte Kutteln (tripes) gekauft und machte sie<br />

mir warm; Joseph begnügte sich mit Wurst und Käse.<br />

Saint-Chély-d'Aubrac, 25. Juli (Dienstag)<br />

Heute war das Fest von Saint Jacques, zu <strong>de</strong>ssen (angeblichen) Gebeinen wir pilgern wollten.<br />

Im vergangenen Jahr fiel dieses Fest auf einen Sonntag und es war ein Heiliges Jahr. Es sollen<br />

aber damals nicht so viele Pilger unterwegs gewesen sein wie in diesem Jahr. Aus <strong>de</strong>r<br />

Erfahrung von Gestern haben wir gelernt und morgens am vorgesehenen Zielort eine<br />

Über<strong>nach</strong>tungsmöglichkeit telefonisch vorbestellt. Die Telefonnummern waren in <strong>de</strong>r<br />

Broschüre, die ich in Le Puy erhalten habe, angegeben. Der Gite war schon besetzt und auch<br />

das billige Hotel hatte kein Zimmer frei. So blieb nur das teuere Hotel übrig, in <strong>de</strong>m wir ein<br />

Zimmer reservieren lassen konnten. Der Weg führte wie<strong>de</strong>r hoch auf die kahlen Hochwei<strong>de</strong>n.<br />

Auf diesen Flächen sah man erst, wie viele Pilger unterwegs waren. Wir begegneten auch<br />

<strong>einer</strong> Gruppe von 4 <strong>de</strong>utschen Frauen, die über ein Reisebüro die Hotels schon gebucht<br />

hatten, zu <strong>de</strong>nen ihr Gepäck mit <strong>de</strong>m Auto gebracht wur<strong>de</strong>. Sie konnten also unbeschwert<br />

pilgern, worum sie Joseph, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Rucksack schwer drückte, benei<strong>de</strong>te. Lei<strong>de</strong>r fing es wie<strong>de</strong>r<br />

zu regnen an und es wur<strong>de</strong> sehr kalt. Gegen Mittag erreichten wir <strong>de</strong>n Ort Aubrac, <strong>de</strong>r 1300 m<br />

hoch liegt und <strong>de</strong>r ganzen Gegend <strong>de</strong>n Namen gibt. In einem alten Pilgerbuch wird die<br />

Gegend nicht gut beschrieben. Es soll dort strengen Frost, Wölfe und Banditen geben.<br />

Glücklicherweise bekamen wir davon nichts mit. Der Ort spielte im hun<strong>de</strong>rtjährigen Krieg<br />

zwischen Englän<strong>de</strong>rn und Franzosen eine große Rolle. Jean d'Arc soll hier gewesen sein und<br />

es soll auch hier Frie<strong>de</strong>n geschlossen wor<strong>de</strong>n sein, wie uns ein Pilger erzählte. Aus <strong>de</strong>r Zeit<br />

stammen noch die Befestigungsanlagen, vor allem <strong>de</strong>r 'Tour <strong>de</strong>s Anglais', <strong>de</strong>r mächtig neben<br />

<strong>de</strong>r 'Eglise Notre-Dame-<strong>de</strong>s-Pauvres' steht. In einem Restaurant aß ich ein großes Stück<br />

Hei<strong>de</strong>lbeerkuchen, während Joseph sich mit <strong>einer</strong> <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Pilgerinnen unterhielt, die<br />

ihre 'Mitstreiterinnen' suchte. Wahrscheinlich haben die sich im an<strong>de</strong>ren Restaurant häuslich<br />

nie<strong>de</strong>rgelassen. Nach <strong>de</strong>r Mittagsrast gingen wir im Regen weiter zwischen Hecken hindurch<br />

und erreichten gegen 15 Uhr St.-Chély-d'Aubrac, wo wir das Zimmer bereits vorbestellt<br />

hatten. Im Hotel wur<strong>de</strong>n wir von Madame sehr freundlich empfangen. Sie bot uns Zeitungen<br />

an, damit wir unsere Schuhe damit ausstopfen und trocknen konnten. Die waren aber gar nicht<br />

durchnässt. Der Ort liegt malerisch in einem engen Tal, von Buchenwäl<strong>de</strong>rn eingerahmt. Er<br />

hat eine schöne alte Kirche und einen kleinen Dorfplatz mit <strong>einer</strong> Bar, vor <strong>de</strong>r unter <strong>de</strong>r<br />

Markise ein französischer Pilger saß, <strong>de</strong>r in Nasbinals versucht hatte, uns bei <strong>de</strong>r Suche <strong>nach</strong><br />

<strong>einer</strong> Unterkunft zu helfen. Ich setzte mich zu ihm und unterhielt mich mit ihm in Englisch<br />

über die Schwierigkeiten und Freu<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Pilgerlebens. Abends nahmen wir im Hotel das<br />

Dinner und gönnten uns – neben <strong>einer</strong> guten Flasche Wein – die Spezialität <strong>de</strong>s Hauses.<br />

'Tripes d'Aubrac'. Ich lernte dabei eine neue Art <strong>de</strong>r Zubereitung von Kutteln kennen. Sie<br />

wer<strong>de</strong>n hier mit Kräutern und Gewürzen in einem Darm eingewickelt als eine Art Klöße<br />

gekocht und in <strong>einer</strong> köstlichen Rotweinsoße serviert.<br />

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Espalion, 26. Juli (Mittwoch)<br />

Heute begann <strong>de</strong>r Abstieg vom Zentralmassiv ins Tal <strong>de</strong>s Lot. Wir hatten uns vorgenommen,<br />

ca. 30 km bis Estaign zu gehen, um morgen nur noch 16 km von Golinhac entfernt zu sein. In<br />

Estaign hatten wir in <strong>einer</strong> Herberge (nicht <strong>de</strong>m Gite) Betten vorbestellt, aber in Golhinac gibt<br />

es nur einen Gite, <strong>de</strong>r keine Vorbestellung annimmt. Wir wollten also morgen möglichst früh<br />

dort sein, um noch ein Bett zu erwischen. Es war kühl, regnete aber nicht mehr. Gegen Mittag<br />

kam sogar die Sonne heraus. Der Weg führte weitgehend durch Wald, hinab <strong>nach</strong> Saint-<br />

Côme-d'Olt, einem kleinen Städtchen am Lot mit alten Häusern, einem Kloster und <strong>einer</strong><br />

romanischen Kirche aus <strong>de</strong>m 10. Jahrhun<strong>de</strong>rt. Hier gab es auch wie<strong>de</strong>r Weinfel<strong>de</strong>r.<br />

Unterwegs begannen meine Füße wie<strong>de</strong>r heftig zu Schmerzen. Es hatten sich nicht nur die<br />

kleinen Zehen, die von <strong>de</strong>n gegenüberliegen<strong>de</strong>n Hornhautstellen aufgerieben waren,<br />

entzün<strong>de</strong>t, son<strong>de</strong>rn ich bekam auch am großen Zeh eine Entzündung <strong>de</strong>r Gichtknolle. Bei<br />

<strong>einer</strong> Rast am Weg traf ich <strong>de</strong>n französischen Pilger mit s<strong>einer</strong> Frau wie<strong>de</strong>r, die – wie die<br />

Franziskaner - einen großen Rosenkranz als Gürtel trug. Der Mann hatte auch Probleme mit<br />

seinen Zehen. Die Frau gab mir kleine Pflaster, die ich zwischen die Zehen klemmen konnte,<br />

um die aufgescheuerten und entzün<strong>de</strong>ten Stellen vor <strong>de</strong>r Hornhaut zu schützen. So schaffte<br />

ich noch auf <strong>de</strong>r Straße am Lot entlang die Strecke bis Espalion; die weiteren 11 km bis<br />

Estaign gingen aber nicht mehr. Wir nahmen im Hotel Mo<strong>de</strong>rne in Espalion ein Zimmer. Da<br />

Joseph am Samstag zu Hause bei s<strong>einer</strong> Frau sein wollte, beschlossen wir, unsere gemeinsame<br />

Pilgerreise hier zu been<strong>de</strong>n. Es gibt von hier aus einen Bus <strong>nach</strong> Ro<strong>de</strong>z und dort eine<br />

Zugverbindung <strong>nach</strong> Paris. Das letzte gemeinsame Dinner im Restaurant <strong>de</strong>s Hotels war<br />

köstlich. Morgen wollen wir früh aufstehen, um <strong>de</strong>n 8-Uhr-Bus gut zu erreichen. Joseph will<br />

von Ro<strong>de</strong>z aus <strong>nach</strong> Hause fahren. Ich will ihn bis Figeac begleiten und dort ein paar Tage<br />

Pause machen, bis meine Füße (hoffentlich) wie<strong>de</strong>r in Ordnung kommen.<br />

Figeac, 27. und 28. Juli (Donnerstag und Freitag)<br />

Wir haben <strong>de</strong>n Plan in die Tat umgesetzt, sind mit <strong>de</strong>m Bus bis Ro<strong>de</strong>z und von dort mit <strong>de</strong>m<br />

Zug weitergefahren – Joseph bis Paris, Frankfurt und Grünberg, ich bis Figeac. Auf <strong>de</strong>m<br />

Bahnhof verabschie<strong>de</strong>ten wir uns herzlich, wobei mir Joseph noch viele Ermahnungen und<br />

gute Ratschläge mit auf <strong>de</strong>n Weg gab. Ich humpelte dann anschließend in die Stadt hinab und<br />

suchte mir ein Hotel, in <strong>de</strong>m ich ein paar Tage bleiben konnte. Dies war das Hotel <strong>de</strong>s Baines,<br />

direkt am Ufer <strong>de</strong>s Célé. In <strong>einer</strong> Apotheke kaufte ich mir Salben und Pflaster, um meine<br />

wun<strong>de</strong>n Füße zu pflegen; für <strong>de</strong>n Gichtanfall hatte ich Voltaren-Salbe und Colchicin-<br />

Tabletten (die aus <strong>de</strong>r Herbstzeitlose gewonnen wer<strong>de</strong>n) dabei, mit <strong>de</strong>nen ich die Entzündung<br />

rasch überwin<strong>de</strong>n konnte. Figeac hat einen schönen mittelalterlichen Stadtkern mit mehreren<br />

gotischen Häusern. In einem ist die Tourist Information untergebracht. Ich versuchte das<br />

Gebäu<strong>de</strong> zu skizzieren, während ich unter einem Sonnenschirm bei einem Bier saß. Meist lag<br />

ich aber auf meinem Bett, pflegte meine Füße und bewun<strong>de</strong>rte die Aussicht auf die Eglise St.<br />

Saureur, die ich auch in <strong>einer</strong> Skizze festzuhalten versuchte.<br />

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Gotisches Haus und Blick aus meinem Zimmer in Figeac<br />

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Gréalou, 29. Juli (Samstag)<br />

<strong>Von</strong> Figeac bis Cahors<br />

Am Samstag waren meine Füße wie<strong>de</strong>r soweit hergestellt, dass ich das zweite Teilstück <strong>de</strong>r<br />

via podiensis in Angriff nehmen konnte. Punkt 8.30 Uhr verließ ich das Hotel in Figeac und<br />

ging <strong>de</strong>n markierten GR65 weiter, <strong>de</strong>r am Hotel vorbeiführt. Zunächst ging es durch einen<br />

Buchenwald steil auf die Höhe. Dort führte <strong>de</strong>r Weg – mal sanft ansteigend, mal abfallend;<br />

mal auf Nebenstraßen, mal auf Feldwegen – durch die schöne Landschaft <strong>de</strong>s Quercy, die von<br />

<strong>einer</strong> großen, verkarsteten Kalkstein-Hochfläche gebil<strong>de</strong>t wird und <strong>de</strong>m fränkischen Jura<br />

ähnelt. Zahlreiche Bächlein, Täler, Senken und Kalkhügel ergeben ein reich geglie<strong>de</strong>rtes Bild;<br />

Fel<strong>de</strong>r wechseln sich mit niedrigen Eichenwäl<strong>de</strong>rn ab, die <strong>de</strong>r Landschaft <strong>de</strong>n Namen gegeben<br />

haben. Es schien die Sonne ('retour <strong>de</strong> soleil' lautete die Schlagzeile im heutigen<br />

Wetterbericht), war aber (noch) nicht zu warm. Es war angenehm zu wan<strong>de</strong>rn, zumal mir<br />

meine Füße (zumin<strong>de</strong>st an diesem Morgen) nicht weh taten. Oben, auf <strong>de</strong>r Höhe über Figeac,<br />

kam ich an einem großen Obelisken (l'Aiguille du Cingle) aus <strong>de</strong>m 13. Jahrhun<strong>de</strong>rt vorbei,<br />

<strong>de</strong>r (zusammen mit 3 weiteren Obelisken) die Grenze <strong>de</strong>r Benediktinerabtei kennzeichnet, die<br />

755 von Pépin in Figeac gegrün<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n war. Gegen Mittag erreichte ich Faycelles, ein<br />

Dorf mit schönen alten Häusern und <strong>einer</strong> alten Kirche, das auf einem großen Kalkhügel<br />

errichtet ist. Am Dorfeingang kam mir ein junger Mann entgegen, <strong>de</strong>r mich erst auf<br />

französisch, dann auf englisch fragte, ob ich seine Frau gesehen hätte. Ich hatte sie aber nicht<br />

gesehen. Im Dorf machte ich auf <strong>de</strong>r Terrasse eines Restaurants Mittagsrast, von <strong>de</strong>r aus ich<br />

eine schöne Übersicht über die Gegend hatte. Inzwischen war es ziemlich heiß gewor<strong>de</strong>n. In<br />

<strong>de</strong>r Mittagshitze ging ich weiter über die Hochfläche. Es gab kaum Schatten und auch auf <strong>de</strong>r<br />

Hochfläche kaum Dörfer. Ich kam nur an verstreuten Bauernhöfen vorbei, die 'Mas' genannt<br />

wer<strong>de</strong>n (z.B. Mas <strong>de</strong> la Croix, Mas <strong>de</strong> Verones) und meist ziemlich verlassen aussahen.<br />

Unterwegs traf ich einen Amerikaner, <strong>de</strong>r <strong>nach</strong> seinem Retirement Europa zu Fuß kennen<br />

lernen möchte. Wir gingen ein Stück zusammen und unterhielten uns über die Unterschie<strong>de</strong> in<br />

europäischer und amerikanischer Lebensweise. Als mir aber die Füße wie<strong>de</strong>r weh taten und<br />

ich eine Rast einlegen musste, trennten wir uns wie<strong>de</strong>r. Am Wegrand blühten die<br />

Herbstzeitlosen; und zwar die Sorte ('crocus' genannt), aus <strong>de</strong>ren Staubgefäße <strong>de</strong>r Safran<br />

gewonnen wird. Ich sah auch mehrere Dolmen, unseren Hünengräbern ähnlich, die von<br />

Steinzeitmenschen als Grabkammern aufgeschichtet wor<strong>de</strong>n waren. Gegen Abend erreichte<br />

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ich Gréalou und fand dort in einem beschei<strong>de</strong>nen Hotel mit <strong>de</strong>m schönen Namen: Hotel les<br />

Quatre Vents ein einfaches Zimmer ohne Dusche und WC, für das aber <strong>de</strong>r stolze Preis von<br />

200 Franc verlangt wur<strong>de</strong>. Dort traf ich auch <strong>de</strong>n amerikanischen Wan<strong>de</strong>rer wie<strong>de</strong>r.<br />

Cahors, 1. August (Dienstag)<br />

Inzwischen habe ich Cahors erreicht, konnte aber das <strong>Tagebuch</strong> nicht weiterführen, weil ich<br />

a) meinen Kugelschreiber verloren habe und b) sowieso abends keine Gelegenheit zum<br />

Schreiben fand. So muss ich nun über die vergangenen 3 Tage zusammenfassend berichten.<br />

Am Sonntag, <strong>de</strong>n 30. Juli, verließ ich morgens zusammen mit <strong>de</strong>m Amerikaner das Hotel in<br />

Gréalou. wobei wir bei<strong>de</strong> über <strong>de</strong>n teueren Zimmerpreis schimpften. Der Weg führte weiter<br />

über die Kalkhochfläche, vorbei an Dolmen, Büschen und niedrigen Eichen, die keinen<br />

Schatten gaben. Die Sonne brannte schon am Morgen heiß auf uns herab. Gegen Mittag ging<br />

es steil ins Tal <strong>de</strong>s Lot <strong>nach</strong> Cajarc hinab. Dort trennten wir uns. Der amerikanische Wan<strong>de</strong>rer<br />

wollte bleiben und suchte eine Unterkunft, ich wollte nur Mittagsrast machen und dann<br />

weitergehen. In einem Restaurant am Marktplatz aß ich zu Mittag und schaute <strong>de</strong>m<br />

Sonntagstreiben zu. Gegen 12.30 Uhr war die Hitze so groß, dass auch die unentwegten<br />

Spaziergänger die Straße verlassen und in <strong>de</strong>r Wohnung o<strong>de</strong>r <strong>einer</strong> schattigen Bar<br />

Unterschlupf gesucht hatten. Ich beschloss, trotz <strong>de</strong>r Hitze weiterzugehen. Der Weg führte<br />

erst durch Gärten am Lot entlang und dann steil auf felsigem Weg durch niedrige Eichen<br />

hinauf zur Hochfläche. Es war ein heißer und einsamer Weg. Erst gegen Abend erreichte ich<br />

das nächste Dorf, Limogne-en-Quercy und fand dort <strong>de</strong>n Gite. Davor warteten schon mehrere<br />

Pilger, unter ihnen auch <strong>de</strong>r freundliche junge Mann, <strong>de</strong>r mich in Faycelles <strong>nach</strong> s<strong>einer</strong> Frau<br />

gefragt hatte. Er war mit s<strong>einer</strong> ganzen Familie unterwegs; d.h. mit s<strong>einer</strong> Frau und 4 Kin<strong>de</strong>rn<br />

im Alter zwischen 8 und 14 Jahren. Um 19 Uhr sollte Madame von <strong>de</strong>r städtischen<br />

Kommunalverwaltung kommen, um die Betten zuzuteilen. Als sie um 19.30 Uhr noch nicht<br />

da war, ließ ich <strong>de</strong>n Rucksack liegen, bat <strong>de</strong>n jungen Mann, wenn möglich für mich ein Bett<br />

zu besorgen und ging in ein Restaurant, um meinen Hunger und Durst zu stillen. Als ich<br />

gegen 21.30 Uhr zurückkam, war Madame da gewesen (sie war erst gegen 21 Uhr<br />

gekommen), hatte mir aber kein Bett zugewiesen, da <strong>de</strong>r Gite schon 'complete' war. Der<br />

freundliche junge Mann verzog sich aber mit s<strong>einer</strong> Familie – entgegen <strong>de</strong>r ausdrücklichen<br />

Anweisung von Madame - in einen kleinen Turnsaal, <strong>de</strong>r zur Gite gehörte und überließ mir<br />

eines <strong>de</strong>r ihnen zugewiesenen Betten unter <strong>de</strong>r Treppe. Die Familie über<strong>nach</strong>tete im Turnsaal<br />

auf <strong>de</strong>n mitgebrachten Isomatten. So hatte ich es <strong>de</strong>n freundlichen Leuten zu verdanken, dass<br />

ich in dieser Nacht ein Dach über <strong>de</strong>m Kopf hatte. In <strong>de</strong>r Nacht schien <strong>de</strong>r Vollmond, aber es<br />

war empfindlich kühl.<br />

Am nächsten Tag (Montag, <strong>de</strong>n 31. Juli) wollte ich bis Vaylats kommen, wo in einem Kloster<br />

(Couvent) Über<strong>nach</strong>tungsmöglichkeiten bestan<strong>de</strong>n. Ich rief morgens dort an und fragte, ob 'un<br />

lit pour une person' zu haben wäre, bekam aber von Soeur Monique die barsche Antwort 'No'.<br />

So beschloss ich, an diesem Tag auf <strong>de</strong>m GR65 so weit zu gehen, wie ich kam, und irgendwo<br />

in <strong>de</strong>r Landschaft zu über<strong>nach</strong>ten. Der Tag war wie<strong>de</strong>r sehr heiß und <strong>de</strong>r Weg über die<br />

Hochfläche von Limogne (le causse <strong>de</strong> Limogne) zwar landschaftlich sehr schön, aber auch<br />

sehr steinig, was meinen Füßen gar nicht gut bekam. Am späten Vormittag machte ich in<br />

Varaire, das eine schöne gotische Kirche hat, in <strong>einer</strong> daneben gelegenen Bar Rast. Es sollte<br />

die einzige Gelegenheit <strong>de</strong>s Tages gewesen sein, wo ich mir etwas zum Essen und Trinken<br />

kaufen konnte. Ich ging dann weiter über die Hochfläche. Nach <strong>de</strong>r Karte sollte es im Dorf<br />

Bach (das von einem Deutschen dieses Namens im 18. Jahrhun<strong>de</strong>rt gegrün<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>) ein<br />

Café geben. Ein Bauer, <strong>de</strong>n ich da<strong>nach</strong> fragte, sagte mir, dass das inzwischen aufgegeben<br />

wor<strong>de</strong>n sei und verwies mich an eine neu gebaute Bushaltestelle, an die man eine Toilette mit<br />

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einem Waschbecken angebaut hatte. Dort konnte ich meinen Durst stillen und meine<br />

inzwischen längst leere Wasserflasche neu füllen. Ich ging dann weiter. Gegen Abend kam<br />

ich zu einem einsamen Bauernhof (Mas d'Albert). Vom Bauern, <strong>de</strong>r gera<strong>de</strong> zur Haustür<br />

herauskam, erbat ich erneut Wasser, das er mir auch gerne gab. Nach einigen weiteren<br />

Kilometern durch die einsame Hochfläche ging allmählich die Sonne unter und ich suchte mir<br />

im Eichenwald neben <strong>de</strong>m Weg einen Platz, wo ich meinen Schlafsack ausbreiten konnte. Der<br />

Sonnenuntergang war sehr schön. Die Stimmung wur<strong>de</strong> aber von <strong>de</strong>n Schnaken gestört, die<br />

mein Gesicht umschwirrten und es ziemlich zerstachen. Später, als es kalt wur<strong>de</strong>, hörten zwar<br />

die Schnaken auf, dafür aber drückte mich <strong>de</strong>r harte Untergrund. So kam ich zu wenig Schlaf<br />

und hatte ausreichend Gelegenheit, <strong>de</strong>n herrlichen Sternenhimmel zu bewun<strong>de</strong>rn.<br />

Am nächsten Morgen (Dienstag, <strong>de</strong>n 1. August) erhob ich mich, sobald es einigermaßen hell<br />

war, vom harten Untergrund und rollte meinen Schlafsack ein. Zum Frühstück hatte ich nur<br />

noch <strong>de</strong>n Rest <strong>de</strong>s Wassers vom Bauern und einige harte Brotkrümel. Während ich diese aß,<br />

hörte ich auf <strong>de</strong>m nahen GR65 das Getrappel von Füßen. Es waren also schon Pilger<br />

unterwegs. Später stellte sich heraus, dass dies die nette Familie war, die mir in Limogne ihr<br />

Bett angeboten hatte. Sie waren auch von Soeur Monique abgewiesen wor<strong>de</strong>n und hatten im<br />

Freien beim Bauern über<strong>nach</strong>tet, <strong>de</strong>r mir am Abend das Wasser gegeben hatte. Der Weg<br />

führte weiter über die Hochfläche (es soll früher einmal eine Hauptstraße <strong>de</strong>r alten Römer<br />

gewesen sein), dann in ein enges Flusstal, aber gleich wie<strong>de</strong>r auf die Höhe. Es wur<strong>de</strong> sehr<br />

heiß und ich bedauerte, dass ich kein Wasser mehr hatte. Etwa 6 km vor Cahors traf ich die<br />

nette Familie wie<strong>de</strong>r, und sie erzählten mir ihr gestriges Abenteuer. Wir gingen ein Stück <strong>de</strong>s<br />

Wegs zusammen. Der junge Mann erzählte mir dabei, dass das 'Gold' dieser Gegend die<br />

Trüffel seien. Mir war aber ein Bier lieber, das ich in Cahors erwarten konnte. Deshalb<br />

verzichteten wir darauf, <strong>nach</strong> Trüffeln zu suchen. Er erzählte mir weiter, dass er mit <strong>de</strong>r<br />

Familie einmal <strong>nach</strong> Jerusalem zu Fuß pilgern wolle. Ich hatte aber meine Zweifel, ob ihm da<br />

die Familie folgen wür<strong>de</strong>, zumal schon jetzt die bei<strong>de</strong>n kl<strong>einer</strong>en Mädchen immer mehr<br />

zurückblieben. Auf <strong>de</strong>r letzten Anhöhe vor Cahors trennten wir uns. Er musste auf <strong>de</strong>n Rest<br />

s<strong>einer</strong> Familie warten und ich wollte <strong>nach</strong> Cahors, um meinen Durst zu löschen. Bald ging<br />

auch <strong>de</strong>r Weg steil <strong>nach</strong> Cahors hinab, das ich gegen Mittag erreichte. Die Altstadt liegt in<br />

<strong>einer</strong> fast kreisrun<strong>de</strong>n Schleife <strong>de</strong>s Lot und ist über mehrere Brücken zu erreichen. Beson<strong>de</strong>rs<br />

prächtig ist <strong>de</strong>r Pont Valentré mit acht Bogen und drei mächtigen Türmen aus <strong>de</strong>m 14.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rt. Ich bewun<strong>de</strong>rte diese Brücke von <strong>einer</strong> Bar aus, in <strong>de</strong>r ich endlich meinen Durst<br />

löschen konnte. Meine Zehen hatten sich aber wie<strong>de</strong>r entzün<strong>de</strong>t. So konnte ich nur durch<br />

Cahors humpeln und das trübte doch <strong>de</strong>n Enthusiasmus für die schönen alten Kirchen und<br />

Plätze. Auf einem dieser Plätze, <strong>de</strong>r Place Gambetta, setzte ich mich in <strong>de</strong>n Schatten von<br />

Sonnenschirmen, trank Bier und skizzierte das Gambetta Denkmal. Ich überlegte mir, dass ich<br />

mit diesen Füssen kaum die noch ca. 1000 km bis <strong>Santiago</strong> schaffen wür<strong>de</strong>. Ich beschloss<br />

daher, die via podiensis nicht weiter zu gehen, son<strong>de</strong>rn mit <strong>de</strong>m Zug über Toulouse <strong>nach</strong><br />

Bayonne und von dort zum Fuß <strong>de</strong>r Pyrenäen <strong>nach</strong> Saint-Jean-Pied-<strong>de</strong>-Port zu fahren. In <strong>de</strong>n<br />

paar Tagen Pause hoffte ich, dass sich meine Füße wie<strong>de</strong>r so weit regenerieren wür<strong>de</strong>n, dass<br />

ich mit neuen Kräften <strong>de</strong>n Camino <strong>de</strong> <strong>Santiago</strong> angehen und auch <strong>Santiago</strong> <strong>de</strong> <strong>Compostela</strong><br />

erreichen wür<strong>de</strong>. Ich suchte mir also ein Zimmer in einem guten Hotel, ba<strong>de</strong>te und pflegte<br />

meine Füße und wartete auf <strong>de</strong>n nächsten Tag.<br />

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Gambetta Denkmal und Turm <strong>de</strong>s Gambetta Lyceums in Cahors<br />

Bayonne, 4. August (Freitag)<br />

Ich habe meine Absicht in die Tat umgesetzt. Am Mittwoch <strong>de</strong>n 2. August nahm ich in<br />

Cahors einen Zug <strong>nach</strong> Toulouse. Ich bekam erst mittags eine Verbindung und war gegen 16<br />

Uhr in Toulouse. Da es von dort keine günstige Verbindung weiter <strong>nach</strong> Bayonne gab, nahm<br />

ich mir in einem Hotel in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s Bahnhofs ein Zimmer und schaute mir die Stadt an.<br />

Vor Jahren war ich mit m<strong>einer</strong> Frau zu <strong>einer</strong> Tagung in Toulouse und wohnte damals im<br />

vornehmen Hotel d’Opera am Hotel <strong>de</strong> Ville. Das Hotel fand ich wie<strong>de</strong>r und nahm in <strong>de</strong>r Bar<br />

einen Apperitive. Auch das alte Hospital auf <strong>einer</strong> Insel <strong>de</strong>r Garonne, in <strong>de</strong>m das Konferenz-<br />

Dinner stattfand, sah ich von Ferne. Sonst erkannte ich wenig wie<strong>de</strong>r. In <strong>einer</strong> Apotheke<br />

kaufte ich mir neue Salben und Pflaster für meine Füße.<br />

Am nächsten Morgen (Donnerstag, 3. August) regnete es in Strömen. Gegen 10 Uhr bekam<br />

ich einen Zug <strong>nach</strong> Bayonne. Der Regen hielt auf <strong>de</strong>r ganzen Strecke an, so dass ich von <strong>de</strong>n<br />

Stationen Lour<strong>de</strong>s und Pau sowie von <strong>de</strong>r ganzen Landschaft wenig mitbekam. Am späten<br />

Vormittag kam ich in Bayonne an. Der Regen hatte kurz ausgesetzt, kam aber, als ich in <strong>de</strong>r<br />

Stadt war wie<strong>de</strong>r. In <strong>de</strong>r Stadt wur<strong>de</strong> gera<strong>de</strong> ein großes Fest gefeiert und <strong>de</strong>mentsprechend<br />

war die Stadt von Leuten überfüllt. Die meisten (und auch die Bedienung in <strong>de</strong>n Restaurants<br />

und die Verkäufer in <strong>de</strong>n Geschäften) trugen weiße Hosen und weiße T-Shirts, hatten um <strong>de</strong>n<br />

Bauch eine breite rote Schärpe und um <strong>de</strong>n Hals ein rotes Tuch; manche hatten noch<br />

zusätzlich rote Baskenmützen auf <strong>de</strong>m Kopf. Es gab am Ufer <strong>de</strong>s Adour einen Rummelplatz<br />

mit Riesenrad und Karussells und in <strong>de</strong>r Stadt viele Bu<strong>de</strong>n, an <strong>de</strong>nen Souvenirs, Speisen und<br />

Getränke angeboten wur<strong>de</strong>n. Durch die Stadt zogen (meist bei Regen) viele Musikgruppen,<br />

die einen Hei<strong>de</strong>nlärm machten und versuchten, sich gegenseitig zu überbieten. Ich nahm mir<br />

in einem teuren Hotel ein Zimmer für zwei Nächte (die billigen Hotels waren ausgebucht) und<br />

pflegte meine Füße. Am nächsten Tag (Freitag, 4. August) hörte <strong>de</strong>r Regen auf. Auf einem<br />

abgezäunten Platz vor <strong>de</strong>r Zita<strong>de</strong>lle wur<strong>de</strong> eine Corrida abgehalten: In die Umzäunung wur<strong>de</strong><br />

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ein Stier getrieben, <strong>de</strong>m man die Hörner mit Schaumstoff umwickelt hatte, und – wer wollte –<br />

konnte sich in die Umzäunung begeben und vom Stier jagen lassen. Beson<strong>de</strong>rs Mutige<br />

versuchten, <strong>de</strong>n Stier an <strong>de</strong>n Hörnern zu packen. Einem jungen Burschen gelang dies und er<br />

wur<strong>de</strong> vom Stier etwa 30 m über <strong>de</strong>n Platz geschleift. Später sah ich ihn in <strong>de</strong>r Stadt wie<strong>de</strong>r,<br />

wie er mit blankem Oberkörper stolz seine mit Jod bepinselten Schürfwun<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>m<br />

Rücken zur Schau trug. Ich, mit meinen wun<strong>de</strong>n Füßen, verzichtete weise darauf, in die<br />

Umzäunung zu steigen; ging lieber in die Stadt und gönnte mir an einem Stand ein Duzend<br />

Austern und eine Flasche frischen, baskischen Weißweins.<br />

Saint-Jean-Pied-<strong>de</strong>-Port, 5. August (Samstag)<br />

Am nächsten Morgen fuhr ich mit <strong>de</strong>r Lokalbahn <strong>nach</strong> St.-Jean-Pied-<strong>de</strong>-Port, <strong>de</strong>m Grenzort<br />

zwischen Frankreich und Spanien, <strong>de</strong>r gleichzeitig Endpunkt <strong>de</strong>r via podiensis ist. Das schöne<br />

Städtchen, das am Hang über <strong>de</strong>m Fluss Nive liegt und von <strong>de</strong>r von Vauban ausgebauten<br />

Zita<strong>de</strong>lle überragt wird, war von Pilgern und Touristen überfüllt. In <strong>de</strong>r Gite ließ ich mir einen<br />

Stempel in mein Créanciale geben. Eine freundliche, <strong>de</strong>utsch sprechen<strong>de</strong> Dame bedauerte,<br />

dass alle Plätze in <strong>de</strong>m Gite bereits belegt seien und riet mir, in <strong>de</strong>n Hotels etwas zu suchen.<br />

Sie fragte mich auch, welche Information ich über <strong>de</strong>n spanischen Teil <strong>de</strong>s Jakobswegs, <strong>de</strong>n<br />

Camino <strong>de</strong> <strong>Santiago</strong>, hätte. Als ich ihr die Karten und Beschreibungen zeigte, die mir<br />

Ingeborg und Wonnefried zu meinem Abschied geschenkt hatten, meinte sie anerkennend,<br />

dass dies <strong>de</strong>r beste Führer und ich somit gut gerüstet sei. Ihrem Rat folgend suchte ich mir ein<br />

Hotelzimmer, fand aber nur im teuersten Hotel noch ein freies, sehr komfortables Zimmer.<br />

Den Rest <strong>de</strong>s Tages verbrachte ich damit, mir das Städtchen anzuschauen und in einem<br />

Restaurant ein gutes Aben<strong>de</strong>ssen einzunehmen.<br />

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Roncesvalles, 6. August (Sonntag)<br />

Auf <strong>de</strong>m Camino <strong>de</strong> <strong>Santiago</strong><br />

<strong>Von</strong> St.-Jean-Pied-<strong>de</strong>-Port bis Pamplona<br />

Morgens, gegen 9 Uhr ging ich zuerst in die Kirche Notre Dame. Da ich aber von <strong>de</strong>r in<br />

baskisch gehaltenen Predigt nichts verstand, verließ ich sie wie<strong>de</strong>r, ging auf <strong>de</strong>r alten<br />

Römerbrücke über <strong>de</strong>n Nive und dann weiter durch die Rue <strong>de</strong> Commerce, wo ich mir in<br />

<strong>einer</strong> Schlachterei eine Wurst und in <strong>einer</strong> Bäckerei ein kleines Baguette als Wegzehrung<br />

kaufte. Dann verließ ich die Stadt durch die Porte d'Espagne und es begann <strong>de</strong>r Aufstieg zu<br />

<strong>de</strong>n Höhen <strong>de</strong>r Pyrenäen. Es war kühl und bewölkt, regnete aber nicht. Der Weg war eine<br />

schmale Asphaltstraße, die steil und in vielen Kurven zu <strong>de</strong>n Bergdörfern hinaufführte. Es<br />

war eine <strong>de</strong>r schönsten Etappen, die ich bisher hatte. Oft boten sich fantastische Ausblicke in<br />

die Schluchten und Täler, tief unter mir. An <strong>de</strong>n Hängen blühte Ginster und Hei<strong>de</strong>kraut,<br />

soweit die Kühe o<strong>de</strong>r Schafe sie nicht abgewei<strong>de</strong>t hatten. Gelegentlich hüllte mich eine<br />

Wolke ein, die dann weiter ins Tal zog, gelegentlich schien auch die Sonne. Kurz vor <strong>de</strong>r<br />

Passhöhe und Grenze <strong>nach</strong> Spanien, bog an einem eindrucksvollen Kreuz <strong>de</strong>r Jakobsweg von<br />

<strong>de</strong>r Straße ab. Es ging auf einem Feldweg, umrahmt von Felsgruppen, steil zum Pass und zur<br />

Grenze hoch. Oben am Pass liegt <strong>de</strong>r ‚Fuente <strong>de</strong> Rodan’, aus <strong>de</strong>m schon Roland bei seinen<br />

Kämpfen gegen die Mauren getrunken haben soll. Ich erfrrischte mich auch an <strong>de</strong>m kühlen<br />

Wasser und ging dann weiter. Die Grenze wird durch einen Großen Stein markiert, auf <strong>de</strong>m<br />

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NAVARRA eingemeißelt ist. Auf einem an<strong>de</strong>ren Stein daneben wird verkün<strong>de</strong>t, dass es bis<br />

<strong>Santiago</strong> <strong>de</strong> <strong>Compostela</strong> noch 765 km sind. Nun war ich also auf <strong>de</strong>m Camino <strong>de</strong> <strong>Santiago</strong>.<br />

Der Weg führte weiter auf <strong>de</strong>r Höhe entlang an verschie<strong>de</strong>nen Berggipfeln vorbei. Ich traf<br />

einzelne Pilgergruppen, die schon früh in St.-Jean-Pied-<strong>de</strong>-Port losgegangen waren und nun<br />

Pause machten. Ein spanischer Pilger bot mir einen Schluck Wasser an und erzählte mir, dass<br />

er im vergangenen Jahr die Strecke von Léon <strong>nach</strong> <strong>Santiago</strong> gegangen sei und nun <strong>de</strong>n<br />

Anfang <strong>de</strong>s Camino machen wolle. Ich musste ein paar Mal Pause machen und meine Füße<br />

erholen, die zwar nicht mehr entzün<strong>de</strong>t waren, aber noch schmerzten. Am späten Nachmittag<br />

erreichte ich <strong>de</strong>n Abstieg <strong>nach</strong> Roncevalles. Es ging auf einem Felspfad durch einen<br />

Buchenwald steil <strong>nach</strong> unten und bald tauchten die Mauern und <strong>de</strong>r Turm <strong>de</strong>s Klosters<br />

zwischen <strong>de</strong>n Bäumen auf. Im Kloster nahm mich eine freundliche Dame, die englisch<br />

sprach, in Empfang, teilte mir im Schlafsaal ein Bett zu und führte mich ins Büro, in <strong>de</strong>m in<br />

mein Créancial (das in Spanien Cre<strong>de</strong>ncial heißt) ein Stempel gedrückt wur<strong>de</strong>. Dieses<br />

Stempeln ist in Spanien obligatorisch, wenn man in einem Refugio o<strong>de</strong>r Albergo über<strong>nach</strong>ten<br />

will. Damit soll offensichtlich verhin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n, dass sich Dauergäste einquartieren. Die<br />

Über<strong>nach</strong>tung kostet meistens nichts; es hängt aber ein Kasten mit <strong>de</strong>r Aufschrift 'Donato' an<br />

<strong>de</strong>r Wand, in <strong>de</strong>n man eine Spen<strong>de</strong> werfen kann (was ich auch tat). Abends nahm ich um 19<br />

Uhr am feierlichen Pilgergottesdienst teil und anschließend (wie in Spanien üblich um 20.30<br />

Uhr) gab es in <strong>de</strong>r Hostelleria ein Pilgermenu für 30 Franc (einschließlich <strong>einer</strong> Flasche<br />

Wein). Da es hier keine Bank gibt, an <strong>de</strong>r man umtauschen kann, nehmen sie noch<br />

französisches Geld. Es waren sehr viele Pilger untergekommen. An meinem Tisch saßen<br />

einige junge Spanier, die nur spanisch sprachen. So beschränkte sich unsere Unterhaltung<br />

vorwiegend auf Gesten und freundliche Mienen.<br />

Zubiri, 7. August (Montag)<br />

Im Schlafsaal wur<strong>de</strong> es bereits um 6 Uhr unruhig (ruhig war es die ganze Nacht nicht; immer<br />

schnarchte jemand o<strong>de</strong>r wälzte sich laut hin und her). Als es hell genug war (ca. 7.30 Uhr)<br />

machte ich mich auch auf <strong>de</strong>n Weg und ging mit zahlreichen weiteren Pilgern, die teils<br />

alleine, teils in Gruppen gingen, auf <strong>de</strong>m Camino <strong>de</strong> <strong>Santiago</strong> weiter. Es ging zunächst auf<br />

einem Waldweg parallel zur Straße leicht bergab <strong>nach</strong> Burguete. Die Landschaft lag in<br />

dichtem Nebel, so dass wenig von ihr zu sehen war. Als ich Burguete erreichte, löste sich aber<br />

<strong>de</strong>r Nebel auf. Im Dorf besorgte ich mir zunächst an einem Geldautomaten Peseten und<br />

frühstückte dann in <strong>einer</strong> Bäckerei, in <strong>de</strong>r schon an<strong>de</strong>re Pilger beim Frühstück saßen. Nach<br />

<strong>de</strong>m Ort verließ <strong>de</strong>r Weg die Straße und es ging auf Feldwegen bergauf und bergab. Er führte<br />

uns auf <strong>de</strong>n Gipfel <strong>de</strong>s Alto <strong>de</strong> Erro, <strong>de</strong>r mit Pinien, Buchen und Eichen bestan<strong>de</strong>n ist, so dass<br />

wenig von <strong>de</strong>r darunter liegen<strong>de</strong>n Landschaft zu sehen war. Die Bäume spen<strong>de</strong>ten aber<br />

Schatten, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r heißen Mittagssonne das Wan<strong>de</strong>rn erleichterte. Vom Gipfel <strong>de</strong>s Berges<br />

ging es an <strong>de</strong>n 'Fußspuren Rolands' (zwei größere Felsplatten) vorbei steil abwärts ins Tal <strong>de</strong>s<br />

Rio Arga, <strong>de</strong>n ich am frühen Nachmittag bei Zubiri erreichte und auf <strong>einer</strong> alten Römerbrücke<br />

überschritt. In Zubiri gab es ein (kommunales) Albergo und ein Hotel. Das Hotel hatte kein<br />

Bett mehr frei, da im Ort gera<strong>de</strong> ein Fest gefeiert wur<strong>de</strong>. Ich ging also zum Albergo, das bei<br />

<strong>de</strong>r Schule untergebracht war und aus einem Schlafsaal mit ca. 12 Doppelbetten und daneben<br />

liegen<strong>de</strong>r Dusche mit WC bestand. Ein paar Pilger warteten vor <strong>de</strong>r Tür, auf <strong>de</strong>r 'cerato'<br />

(geschlossen) stand. Die Tür war aber offen, so dass wir in <strong>de</strong>n Schlafsaal gehen und mit<br />

unserem Rucksack eine Matratze belegen konnten. Gegen 17 Uhr kam eine Senora von <strong>de</strong>r<br />

Gemein<strong>de</strong>verwaltung, die uns <strong>de</strong>n Stempel in das Cre<strong>de</strong>ncial gab und für das Bett 500 Pesos<br />

(ca. 5 DM) verlangte. Sie erzählte uns auch, dass es wegen <strong>de</strong>r Fiesta <strong>nach</strong>ts laut wer<strong>de</strong>n<br />

könne, da auf <strong>de</strong>r Straße und <strong>de</strong>m Schulhof verschie<strong>de</strong>ne Veranstaltungen stattfin<strong>de</strong>n. Einige<br />

Pilger gingen, ich blieb aber, da mir die Füße weh taten und ich nicht mehr bis zum nächsten<br />

Albergo gehen wollte. Zu Abend aß ich in einem Restaurant zusammen mit einem 73-jährigen<br />

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französischen Kapitän, <strong>de</strong>r bereits Anfang Juni in Le Puy losgegangen war und trotz<br />

erheblicher Fußprobleme noch <strong>nach</strong> <strong>Santiago</strong> kommen möchte. Er war mit seinem<br />

Frachtschiff auch ein paar Mal in <strong>de</strong>utschen Häfen, aber vor allem in Ostasien beschäftigt.<br />

Wir tauschten unsere Erinnerungen an Japan und <strong>de</strong>n Hafen von Kobe aus, <strong>de</strong>n ich von einem<br />

Kongress her kenne. In <strong>de</strong>r Nacht wur<strong>de</strong>n wir ein paar Mal von lautem Geschrei und Musik<br />

geweckt. Ich konnte aber trotz<strong>de</strong>m einigermaßen gut schlafen.<br />

Pamplona, 8. und 9. August (Dienstag und Mittwoch)<br />

Am Morgen ging ich gegen 8 Uhr weiter <strong>nach</strong> Pamplona. Der Weg führte am Rio Arga<br />

entlang und bot we<strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>re Schönheiten noch Schwierigkeiten. Wenn ich je<strong>de</strong> Stun<strong>de</strong><br />

eine Pause einlegte und meine Füße massierte, konnte ich die Strecke ohne große Schmerzen<br />

bewältigen. Bei <strong>einer</strong> dieser Pausen traf ich an einem Brunnen <strong>de</strong>n französischen Kapitän<br />

wie<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r seine wun<strong>de</strong>n Füße im Wasser <strong>de</strong>s Brunnens kühlte. Die Energie, mit <strong>de</strong>r er trotz<br />

wun<strong>de</strong>r Füße <strong>de</strong>n Jakobsweg weiter ging, bewun<strong>de</strong>rte ich und gab mir Ansporn, auch weiter<br />

zu gehen. Inzwischen war die Mittagshitze gekommen und <strong>de</strong>r Weg führte über einen<br />

baumlosen Berg, dann unter <strong>de</strong>r Autobahn hindurch bis zu <strong>de</strong>n Vororten von Pamplona. In<br />

<strong>einer</strong> Bar machte ich eine längere Mittagspause und erreichte dann die mittelalterliche<br />

Magdalenen-Brücke, die über <strong>de</strong>n Arga zu <strong>de</strong>n hohen Stadtmauern von Pamplona führt. Die<br />

Stadt war ziemlich ausgestorben; es war gera<strong>de</strong> Siesta. Nach einigem Suchen fand ich ein<br />

gutes Hotel und bekam dort ein Zimmer mit Bad. Endlich konnte ich mich ausführlich ba<strong>de</strong>n,<br />

meine verschwitzten Hem<strong>de</strong>n und Hosen waschen und meine Füße ausruhen. Ich befürchtete,<br />

dass ich mit diesen Füssen <strong>Santiago</strong> nicht mehr erreichen wür<strong>de</strong>, wenn ich <strong>de</strong>n ganzen Weg<br />

weitergehen wür<strong>de</strong>, und beschloss daher, mich zwei Tage auszuruhen und dann mit <strong>de</strong>m Zug<br />

<strong>nach</strong> Léon zu fahren. <strong>Von</strong> dort wollte ich weiter <strong>de</strong>n Camino <strong>de</strong> <strong>Santiago</strong> gehen und hoffte so<br />

das Ziel noch zu erreichen. In <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Tagen ruhte ich mich viel auf schattigen Bänken in<br />

<strong>de</strong>r Altstadt von Pamplona aus, bewun<strong>de</strong>rte Plätze, Parks (vor allem um die Zita<strong>de</strong>lle), sah auf<br />

<strong>de</strong>m Camino <strong>de</strong> <strong>Santiago</strong>, <strong>de</strong>r durch diese Parks führte, zahlreiche Pilger mit Rucksack und<br />

Pilgerstab wan<strong>de</strong>rn und skizzierte einige Motive, die mir beson<strong>de</strong>rs gut gefallen haben.<br />

Stadtmauer mit Kathedrale und Magdalenenbrücke in Pamplona<br />

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Palencia, 10. August (Donnerstag) und Léon, 11. August (Freitag)<br />

Mit <strong>de</strong>m Zug von Pamplona <strong>nach</strong> Léon zu kommen, war komplizierter als ich dachte. Der<br />

direkte Zug, <strong>de</strong>r mittags in Pamplona abfährt und gegen 17 Uhr in Léon ist, war für Tage<br />

ausgebucht. Ich musste also Regionalzüge nehmen; zuerst von Pamplona <strong>nach</strong> Vitoria, dann<br />

weiter <strong>nach</strong> Palencia. Da kam ich abends an. Da es für die Weiterfahrt zu spät war, nahm ich<br />

mir in Palencia ein Hotelzimmer. Am nächsten Tag ging erst gegen Mittag ein Zug weiter<br />

<strong>nach</strong> Léon. Ich hatte also reichlich Gelegenheit, mir die Stadt und insbeson<strong>de</strong>re die<br />

hochgotische Kathedrale anzusehen. Die vielen verzierten Fensterbogen und Säulen <strong>de</strong>r<br />

Kathedrale imponierten mir so sehr, dass ich sie zu skizzieren versuchte. In Léon kam ich am<br />

frühen Nachmittag an, bekam in einem Hotel am Bahnhof ein Zimmer und hatte noch<br />

reichlich Zeit, die Stadt zu besichtigen. Auch hier war die gotische Kathedrale beeindruckend;<br />

beson<strong>de</strong>rs die wun<strong>de</strong>rbaren Glasfenster hatten es mir angetan, die in <strong>de</strong>r Abendsonne herrlich<br />

leuchteten. Einen Kontrast dazu bil<strong>de</strong>te die romanische Basilika Santo Isidore, in <strong>de</strong>ren<br />

schlichten Innenraum durch die kleinen, von Säulen und Bogen umrahmten Fenster kaum<br />

Licht kam. Dazwischen lagen einige prächtige Renaissance Paläste, in <strong>de</strong>nen teils ein<br />

Museum, teils das feudale Hostal San Marcos untergebracht sind. Hier imponierten vor allem<br />

die reich geschmückten Fassa<strong>de</strong>n und Innenhöfe. Die Stadt war überfüllt mit Touristen und<br />

Pilgern. Gegen Abend fing es auch noch zu regnen an und ich zog mich in mein Hotel zurück.<br />

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In <strong>de</strong>r Kathedrale von Palencia


<strong>Von</strong> Léon <strong>nach</strong> <strong>Santiago</strong> <strong>de</strong> <strong>Compostela</strong><br />

Hospital <strong>de</strong> Órbigo, 12. August (Samstag)<br />

Morgens um 8 Uhr ging ich zur Puente <strong>de</strong> San Marcos, über die <strong>de</strong>r Camino <strong>de</strong> <strong>Santiago</strong><br />

führt, und setzte dort meine Pilgerreise fort. Es ging auf <strong>einer</strong> langen, gera<strong>de</strong>n Straße (<strong>de</strong>r N-<br />

120) durch Vororte und Industriegebiete aus Léon hinaus. Nach <strong>de</strong>r Stadt und <strong>de</strong>n<br />

Industrieanlagen waren auf bei<strong>de</strong>n Seiten <strong>de</strong>r Straße abgeerntete o<strong>de</strong>r brach liegen<strong>de</strong> Fel<strong>de</strong>r.<br />

Die Gegend war flach und wenig schön. Gelegentlich ging es durch ein Dorf mit verfallenen<br />

Häusern. Da die Häuser ganz aus Lehm gebaut waren, bil<strong>de</strong>n die verfallenen Häuser einen<br />

unschönen Lehmhaufen. Später war neben <strong>de</strong>r Landstraße ein Fußpfad angelegt und mit <strong>de</strong>r<br />

Jakobsmuschel auf einem ca. 1 m hohen Steinsockel reichlich markiert. Gelegentlich<br />

verkün<strong>de</strong>ten große Schil<strong>de</strong>r, dass dieser Pfad von <strong>de</strong>r Europäischen Gemeinschaft finanziert<br />

wor<strong>de</strong>n war. Gegen Mittag erreichte ich Villadangos <strong>de</strong>l Páramo, ein kleines Städtchen mit<br />

<strong>einer</strong> 'Luxusherberge'. Die Herberge war aber noch geschlossen und ich wollte sowieso<br />

weitergehen. So verließ ich in <strong>de</strong>r Mittagshitze <strong>nach</strong> <strong>einer</strong> Rast in <strong>einer</strong> Bar (wo ich ein junges<br />

Pilgerpaar aus Irland traf) wie<strong>de</strong>r das Städtchen. Die Gegend war weiter flach. Man hatte aber<br />

große Bewässerungsanlagen gebaut und an bei<strong>de</strong>n Seiten <strong>de</strong>r Straße Maisfel<strong>de</strong>r angelegt. Der<br />

Anblick <strong>de</strong>r grünen Maispflanzen war etwas erfreulicher als <strong>de</strong>r von grauen und staubigen<br />

Brachfel<strong>de</strong>rn. Es waren viele Pilger teils zu Fuß auf <strong>de</strong>m Pfad neben <strong>de</strong>r Straße, teils mit <strong>de</strong>m<br />

Rad auf <strong>de</strong>r Straße unterwegs und wir begrüßten uns mit lautem 'Ola' o<strong>de</strong>r 'Bel Camino'. Ein<br />

Straßenschild zeigte an, dass <strong>Santiago</strong> <strong>de</strong> <strong>Compostela</strong> noch 330 km entfernt ist. Eine Gruppe<br />

von Radpilgern gruppierte sich mit lautem Hallo um dieses Schild zu einem Erinnerungsphoto<br />

und holte mich auch mit hinzu. Gegen Abend bog <strong>de</strong>r Weg von <strong>de</strong>r Straße ab und führte auf<br />

<strong>einer</strong> alten, st<strong>einer</strong>nen Römerbrücke über <strong>de</strong>n Rio Órbigo <strong>nach</strong> Hospital <strong>de</strong> Òrbigo. Im alten<br />

Pfarrhaus war das Albergo eingerichtet, das vom Christophorus Jugendwerk aus Freiburg<br />

betreut wur<strong>de</strong>. Eine freundliche junge Dame aus Freiburg empfing mich mit einem kühlen<br />

Schluck Wasser aus einem Tonkrug und wies mir eine Matratze im Gartenhaus zu. Sie<br />

versuchte auch <strong>de</strong>n Boiler in Gang zu setzen, so dass wir uns mit warmen Wasser duschen<br />

konnten. Es waren überwiegend <strong>de</strong>utsche Pilger in <strong>de</strong>r Herberge. Ich kaufte mir Wurst, Brot<br />

und Wein zum Aben<strong>de</strong>ssen, das ich im Garten zusammen mit <strong>einer</strong> älteren Pilgerin aus Ba<strong>de</strong>n<br />

einnahm. Sie war sehr religiös und veranlasste mich, mit ihr zur Samstag-Abendmesse in die<br />

nahe Kirche zu gehen. Nachher setzte ich mich noch auf die Mauer <strong>de</strong>r Römerbrücke und<br />

genoss die schöne Aussicht auf die Brücke, das Tal und die alten Häuser <strong>de</strong>s Städtchens bei<br />

Sonnenuntergang.<br />

El Ganso, 13. August (Sonntag)<br />

Der Weg führte weiter bis Astorga an <strong>de</strong>r Straße entlang. Auf <strong>de</strong>n umliegen<strong>de</strong>n, abgeernteten<br />

Fel<strong>de</strong>rn waren am Sonntagmorgen mehrere Jäger unterwegs, die auf Rebhühner Jagd machten<br />

und laut knallten. Ich konnte nicht feststellen, ob sie etwas erwischt hatten. Astorga erreichte<br />

ich gegen Mittag. Die Stadt liegt auf einem Hügel über <strong>de</strong>m Tal <strong>de</strong>s Rio Tuerto und wird<br />

überragt von <strong>de</strong>r spätgotischen Kathedrale (mit <strong>de</strong>utlichen Renaissance Einflüssen). Es waren<br />

viele Touristen in <strong>de</strong>r Stadt und zur Besichtigung <strong>de</strong>r Kathedrale musste man Schlange<br />

stehen. Ich sah sie mir <strong>de</strong>shalb nur von außen an, machte in einem Restaurant Mittagsrast und<br />

verließ dann wie<strong>de</strong>r die Stadt. Es ging nun in die Berge von Léon, zunächst auf <strong>einer</strong> wenig<br />

befahrenen Straße, später auf <strong>de</strong>m neu angelegten Pilgerpfad. Die Landschaft än<strong>de</strong>rte sich; die<br />

Fel<strong>de</strong>r verschwan<strong>de</strong>n und machten Büschen und Felsbrocken Platz. Der Weg stieg stetig an.<br />

Es waren nur noch wenige Pilger unterwegs. In Santa Catalina <strong>de</strong> Somoza machte ich in <strong>einer</strong><br />

Bar Rast und traf dort auf drei junge Deutsche, die sich gestärkt und erfrischt hatten und<br />

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anschließend auf <strong>de</strong>m Dorfplatz im Schatten einiger Bäumen Siesta hielten. Ich ging in <strong>de</strong>r<br />

Hitze allein weiter bergauf. Die Landschaft wur<strong>de</strong> immer zerklüfteter. Die Täler mit einigen<br />

Bauernhäusern lagen schon tief unten. Gegen Abend erreichte ich das Dorf El Ganso, in <strong>de</strong>m<br />

es neben <strong>de</strong>r alten romanischen <strong>Santiago</strong>-Kirche die 'Cowboy Bar' (Meson Cowboy) gab.<br />

Dort sagte man mir, dass in <strong>de</strong>m geplanten Etappenziel, Rabanal <strong>de</strong>l Camino, das noch etwa 8<br />

km entfernt war, das Albergo schon 'completo' sei. In El Ganso gäbe es aber auch ein<br />

Albergo. Ein Mädchen führte mich hin. Es bestand aus einem ca. 30 qm großen Raum in<br />

einem Gemein<strong>de</strong>haus, in <strong>de</strong>m 8 Doppelbetten mit Matratzen aufgeschlagen waren. Einige <strong>de</strong>r<br />

Matratzen waren schon belegt, die meisten aber noch frei. Ich legte meinen Rucksack auf eine<br />

<strong>de</strong>r freien Matratzen und packte meinen Schlafsack aus. Toiletten gab es nicht, aber auf <strong>de</strong>m<br />

Platz vor <strong>de</strong>m Gemein<strong>de</strong>haus war ein schön gemauerter Dorfbrunnen. Ich zog meine<br />

verschwitzten Sachen aus, duschte mich mit Hilfe eines Schlauchs, <strong>de</strong>r am Brunnen hing, kalt<br />

ab, zog mir ein trockenes Hemd und eine trockene Hose an und ging in die Cowboy Bar zum<br />

Aben<strong>de</strong>ssen. Dort traf ich die drei <strong>de</strong>utschen Pilger wie<strong>de</strong>r, die auch im Albergo über<strong>nach</strong>ten<br />

wollten. Ich erfuhr, dass sie aus Düsseldorf kommen und das Teilstück von Léon bis <strong>Santiago</strong><br />

gehen wollen. Die ersten Etappen hatten sie aber schon ganz schön angestrengt. Einer von<br />

ihnen hatte Blasen und konnte nur noch humpeln. Zum Aben<strong>de</strong>ssen briet uns die Wirtin je 3<br />

Spiegeleier mit reichlich Schinken und servierte dazu einen guten Salat und viel Wein. Später<br />

kamen noch einige Spanier dazu, die Apfelwein (Sidra) trinken wollten. Der Wirt zelebrierte<br />

das Einschenken auf baskische Art, in<strong>de</strong>m er die Flasche mit <strong>de</strong>r rechten Hand hoch über<br />

seinen Kopf hielt und <strong>de</strong>n Apfelwein in ein Glas goss, das er mit <strong>de</strong>r linken Hand in Höhe<br />

s<strong>einer</strong> Hüfte hielt. Auf diese Zeremonie war er sehr stolz und wie<strong>de</strong>rholte sie mehrmals. Den<br />

Wein, <strong>de</strong>r im Glas lan<strong>de</strong>te, verteilte er großzügig an seine Gäste. Es wur<strong>de</strong> ein vergnüglicher<br />

Abend. Nachts schien <strong>de</strong>r Vollmond vom wolkenlosen Himmel. Als ich einmal aufstand, um<br />

<strong>de</strong>n vielen Wein bei einem Busch loszuwer<strong>de</strong>n, hatte ich einen wun<strong>de</strong>rbaren Blick über die<br />

zerklüftete Landschaft und die hohen Berge im Hintergrund, die im Mondlicht sanft<br />

schillerten.<br />

Molinaseca, 14. August (Montag)<br />

Wie üblich, brachen die ersten Pilger um 6 Uhr bereits bei Dunkelheit auf. Da ich dabei auch<br />

wach wur<strong>de</strong>, rollte ich meinen Schlafsack zusammen und machte in <strong>de</strong>r beginnen<strong>de</strong>n<br />

Morgendämmerung meine Morgentoilette. Als ich einen wichtigen Teil davon hinter einem<br />

Busch erledigt hatte, sah ich etwa ein Dutzend Hun<strong>de</strong> lautlos um mich herumstehen, die sich,<br />

als ich vom Busch weggegangen war, auf meine Hinterlassenschaft stürzten und daran gütlich<br />

taten. Das erinnerte mich an eine Begebenheit aus <strong>de</strong>n 70-er Jahren. Ein Stu<strong>de</strong>nt hatte mir<br />

<strong>nach</strong> <strong>de</strong>r Vorlesung die rote Mao-Bibel gebracht und eine Stelle gezeigt, in <strong>de</strong>r Mao die<br />

westliche Wissenschaft mit Hun<strong>de</strong>scheiße verglich. Menschenscheiße könnte man noch als<br />

Hun<strong>de</strong>futter verwen<strong>de</strong>n, aber Hun<strong>de</strong>scheiße sei zu gar nichts mehr zu gebrauchen.<br />

Der Weg führte weiter bergauf, durch einen Pinien- und später Eichenwald <strong>nach</strong> Rabanal. Bei<br />

Sonnenaufgang erreichte ich <strong>de</strong>n Ort, <strong>de</strong>r sich am Berghang hinaufzog und eine schöne alte<br />

Kirche hat, neben <strong>de</strong>r im früheren Pfarrhaus das Albergo untergebracht ist. Es war aber um<br />

diese Zeit schon leer und geschlossen. In einem Geschäft kaufte ich mir etwas zum<br />

Frühstücken. Dort traf ich auch die drei Düsseldorfer wie<strong>de</strong>r, die schon vor mir El Ganso<br />

verlassen hatten. Nach <strong>de</strong>m Ort ging es auf einem steilen, sandigen Pfad weiter bergauf, <strong>de</strong>r<br />

<strong>nach</strong> ca. 1 km auf die Landstraße traf, die sich in langen Serpentinen zum Pass hinaufwand<br />

und dabei grandiose Ausblicke auf die tiefen Täler und noch höheren Berge bot. Auf <strong>de</strong>r<br />

Straße waren viele Pilger unterwegs, teils zu Fuß, teils mit <strong>de</strong>m Rad. Kurz vor <strong>de</strong>m Pass ging<br />

es durch ein Dorf mit meist verlassenen und halb verfallenen Häusern. Einige <strong>de</strong>r Häuser<br />

waren als Feriendomizile hergerichtet. In Liegestühlen vor <strong>de</strong>m Haus faulenzten ihre Besitzer<br />

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und sahen <strong>de</strong>n Pilgern zu, die auf steilem und steinigen Weg sich <strong>nach</strong> oben quälten. Auf <strong>de</strong>r<br />

Passhöhe steht das Cruz Ferro, ein kleines eisernes Kreuz auf <strong>einer</strong> hohen Stange, an <strong>de</strong>ren<br />

Fuß ein großer Steinhaufen liegt. Es ist Sitte, dass die Pilger einen Stein mitbringen und ihn<br />

vor <strong>de</strong>m Kreuz ablegen. Die meisten nahmen aber einen <strong>de</strong>r herumliegen<strong>de</strong>n Steine und<br />

warfen ihn zum Haufen. Neben <strong>de</strong>m Kreuz steht eine kleine Kapelle, die Eremita <strong>de</strong> <strong>Santiago</strong>.<br />

Dort machte ich Rast und ruhte meine Füße aus, die sich bisher wacker gehalten hatten, nun<br />

aber wie<strong>de</strong>r zu schmerzen anfingen. Der Platz bot eine wun<strong>de</strong>rbare Aussicht, war aber sehr<br />

bevölkert, da neben <strong>de</strong>n Fuß- und Radpilgern auch noch ein Omnibus mit Buspilgern dort<br />

Rast machte. Nach <strong>de</strong>r Rast ging ich weiter mit vielen an<strong>de</strong>ren Pilgern in <strong>de</strong>r Mittagshitze die<br />

Straße hinab ins Tal <strong>de</strong>s Rio Meruelo. Auf halber Höhe liegt das Ruinendorf Manjarin, in <strong>de</strong>m<br />

einige Enthusiasten eine Hütte als Refugio hergerichtet hatten und sich dort um die Pilger<br />

kümmerten. Ich nahm ihre Gastfreundschaft gerne an und trank die Flasche Wasser, die sie<br />

mir boten, ging aber dann weiter. Der Weg wur<strong>de</strong> nun steiler, verließ die Straße und führte<br />

über einen Felspfad hinab <strong>nach</strong> El Acebo. Dort traf ich <strong>de</strong>n Pilgerbus wie<strong>de</strong>r. Seine Insassen<br />

hatten sich in ein Restaurant begeben und nahmen dort ihr vorbestelltes, reichhaltiges<br />

Mittagessen ein. Ich begnügte mich an <strong>de</strong>r Bar mit Bier und <strong>einer</strong> großen Thunfisch Tortilla.<br />

Dann ging es weiter bergab. Gegen Abend erreichte ich Molinaseca, das in einem engen Tal<br />

am Rio Meruela liegt. Den Ort erreicht man über eine mittelalterliche Steinbrücke. Darunter,<br />

im Fluss, tummelte sich die Dorfjugend. Hinter <strong>de</strong>r Brücke sprach mich ein junges Mädchen<br />

in Englisch an und erzählte mir, dass das Albergo noch 500m entfernt, aber 'completo' sei. Ich<br />

könne aber gleich an <strong>de</strong>r Brücke in <strong>de</strong>r Hostelleria Palaco für 4000 Peseten über<strong>nach</strong>ten. Da<br />

mir meine Füße weh taten, nahm ich das Angebot an und bekam ein schönes großes Zimmer<br />

mit Bad und Blick auf <strong>de</strong>n Fluss und <strong>de</strong>n gegenüberliegend Berghang. Was das Mädchen mir<br />

nicht erzählt hatte, war, dass in <strong>de</strong>r Nacht auf <strong>de</strong>m Platz zwischen <strong>de</strong>r Hostelleria und <strong>de</strong>m<br />

Fluss ein großes Volksfest mit lauter Musik und Tanz gefeiert wur<strong>de</strong>. Vor En<strong>de</strong> dieser<br />

Festlichkeit war an Schlafen nicht zu <strong>de</strong>nken. Das Fest en<strong>de</strong>te um Mitter<strong>nach</strong>t mit einem<br />

großen Feuerwerk und dieses en<strong>de</strong>te damit, dass die Büsche und Bäume <strong>de</strong>s<br />

gegenüberliegen<strong>de</strong>n Berghangs angezün<strong>de</strong>t und so ein eindrucksvoller Waldbrand erzeugt<br />

wur<strong>de</strong>. Jetzt wur<strong>de</strong> mir auch klar, weshalb auf <strong>de</strong>m Weg ins Tal so viele abgebrannte Hänge<br />

zu sehen waren.<br />

Villafranca <strong>de</strong>l Bierzo, 15.August (Dienstag)<br />

Heute ist das Fest Maria Himmelfahrt, das hier groß gefeiert wird und das ich auch seit<br />

Kindheit gut in Erinnerung habe; da es das Patronatsfest von Vierzehnheiligen ist. Ich <strong>de</strong>nke<br />

an die Zeit zurück, da wir als Kin<strong>de</strong>r an diesem Festtag <strong>nach</strong> Vierzehnheiligen gepilgert sind.<br />

Mit <strong>de</strong>m Zug fuhren wir bis Lichtenfels. Dann ging es auf <strong>de</strong>m mit jungen Akazien<br />

gesäumten Pilgerweg hinauf <strong>nach</strong> Vierzehnheiligen. Zur Stärkung <strong>de</strong>r Pilger war am Anfang<br />

<strong>de</strong>s Weges ein Bratwurststand aufgebaut und wir bekamen erst einmal eine Bratwurst. Später,<br />

<strong>nach</strong> <strong>de</strong>m Krieg, sind wir zu Fuß ganz von Altenkunstadt über <strong>de</strong>n Jura Nordabhang <strong>nach</strong><br />

Vierzehnheiligen gepilgert. Da gab es keine Bratwürste mehr.<br />

Auch hier wird das Fest groß gefeiert. Als ich etwa um 8 Uhr losging, kamen die<br />

Dorfbewohner in Festtagskleidung zur Kirche. Ich ging aus <strong>de</strong>r Stadt hinaus auf die Straße<br />

<strong>nach</strong> Ponferrada. Da kam ich auch an <strong>de</strong>m Albergo vorbei, das bei <strong>de</strong>n Umklei<strong>de</strong>räumen eines<br />

Sportplatzes untergebracht war. Man hat einfach auf <strong>de</strong>r Veranda vor <strong>de</strong>n Umklei<strong>de</strong>räumen<br />

Doppelbetten aufgestellt, in <strong>de</strong>nen die Pilger (wenige Meter von <strong>de</strong>r Straße entfernt) schlafen<br />

konnten. Da habe ich im Palaco angenehmer über<strong>nach</strong>tet. Auf <strong>de</strong>r Straße holte ich mehrere<br />

Pilgergruppen ein. Etwa 5 km vor Poferrada bog <strong>de</strong>r Weg von <strong>de</strong>r Straße ab und führte durch<br />

die Weinberge; später kamen die Gärten und Vororte <strong>de</strong>r Stadt, die mit ihrer mächtigen Burg<br />

und <strong>de</strong>r Kathedrale auf einem Hügel lag. Die Bars waren noch geschlossen. So kaufte ich mir<br />

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in einem kleinen La<strong>de</strong>n vor <strong>de</strong>r Burg Brot und Milch und machte im Anblick <strong>de</strong>r mächtigen,<br />

aber teilweise verfallenen Burgmauern Frühstück. Ich ging dann weiter über <strong>de</strong>n Rio Boeza<br />

und Rio Sil hinweg durch die westlichen Wohngebiete <strong>de</strong>r Stadt, dann durch die riesigen<br />

Schlackenhal<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Wärmekraftwerks von Compostilla in die hügelige Landschaft. Ich ging<br />

meist auf Feldwegen durch Fel<strong>de</strong>r mit Kürbis o<strong>de</strong>r Melonen, Wein o<strong>de</strong>r Mais. Es wur<strong>de</strong><br />

wie<strong>de</strong>r sehr heiß. In Fuentes Nuevas wur<strong>de</strong> vor <strong>de</strong>r Kirche gera<strong>de</strong> Gottesdienst gefeiert und<br />

viel Leute stan<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>r Straße in <strong>de</strong>r Mittagssonne. Ich hörte auch kurz <strong>de</strong>r Predigt zu, ging<br />

aber bald weiter, da ich sowieso nichts verstand. Später machte ich Mittagsrast in <strong>einer</strong> Bar,<br />

wo ich zu meinem Bier gebackene Schweinsrippchen bekam. Auf <strong>de</strong>m weiteren Weg wur<strong>de</strong>n<br />

die Weinfel<strong>de</strong>r immer zahlreicher; es ging durch das große Weinbaugebiet von Bierzo. Die<br />

Reben wer<strong>de</strong>n hier nicht an Drähten o<strong>de</strong>r Stöcken gebun<strong>de</strong>n. Vielmehr stehen die Weinstöcke<br />

wie kleine Büsche völlig frei. Die Trauben sind dabei meist von Blättern be<strong>de</strong>ckt.<br />

Offensichtlich ist die Sonne hier so stark (was ich auch am eigenen Leibe verspürte), dass die<br />

Trauben auch im Schatten <strong>de</strong>r Blätter reifen und süß wer<strong>de</strong>n. Unterwegs begegnete mir in <strong>de</strong>r<br />

Nachmittagshitze ein spanischer Pilger, <strong>de</strong>r neben seinem Rucksack auch noch eine große<br />

Gitarre mitführte. Wir grüßten uns freundlich mit 'Ola', konnten aber nicht viel erzählen, da<br />

ich kein Spanisch kann. Später verlief <strong>de</strong>r Weg wie<strong>de</strong>r auf <strong>einer</strong> Landstraße mit wenig<br />

Autoverkehr. Ich kam an <strong>einer</strong> 'Si<strong>de</strong>ria' (Apfelwein Gasthaus) vorbei, an <strong>de</strong>r ein Schild<br />

verkün<strong>de</strong>te: 'Bester Äppelwoi von Bierzo'. Man erwartet hier offenbar hessische Pilger o<strong>de</strong>r<br />

Touristen. Die Gaststätte war aber geschlossen, so dass ich nicht ausprobieren konnte, ob <strong>de</strong>r<br />

'Äppelwoi' wirklich so gut ist. Am späten Nachmittag erreichte ich Villafranca <strong>de</strong>l Bierzo, das<br />

in einem engen Tal vor mächtigen Bergen liegt, auf die ich morgen hinaufsteigen wer<strong>de</strong>.<br />

Gleich am Eingang zur Stadt liegt die alte Iglesia <strong>de</strong> <strong>Santiago</strong> und daneben das Albergo.<br />

Dieses war aber schon 'completo'. Ich stieg also zur Stadt hinab und versuchte, in <strong>de</strong>n dortigen<br />

Hotels ein Zimmer zu bekommen. Die waren aber auch schon alle belegt. Als ich etwas ratlos<br />

auf <strong>de</strong>m Marktplatz herumstand, sprach mich eine Senora an, und fragte (soweit ich sie<br />

verstand), ob ich ein 'Habitacion' haben wolle. Ich sagte natürlich sofort 'Si, Senora'; und hatte<br />

so eine Bleibe für die Nacht. In dieser Hosteleria waren auch die drei Düsseldorfer<br />

untergekommen. Wir saßen abends auf <strong>de</strong>m schönen Marktplatz bei Bier zusammen und<br />

trösteten uns gegenseitig mit unseren Wehwehchen; dafür sei die Landschaft von Bierco und<br />

vor allem Villafranca sehr schön, so dass die offenen Blasen und sonstigen Fußbeschwer<strong>de</strong>n<br />

in Kauf genommen wer<strong>de</strong>n könnten.<br />

O Cebreiro, 16. August (Mittwoch)<br />

Da sich die übrigen Gäste <strong>de</strong>r Hosteleria bereits um 6 Uhr mit viel Lärm auf <strong>de</strong>n Weg<br />

machten, hab ich schon gegen 7 Uhr das Quartier und Villafranca verlassen. Der Weg verlief<br />

auf <strong>de</strong>r stark befahrenen Nationalstraße N IV durch das Tal <strong>de</strong>s Rio Valcárcel, das auf bei<strong>de</strong>n<br />

Seiten von steilen und hohen Felshängen eingeengt wird. In <strong>de</strong>r Morgendämmerung<br />

schlängelten sich mit mir zahlreiche an<strong>de</strong>re Pilger am Straßenrand entlang bergauf. Wir<br />

wur<strong>de</strong>n nicht nur von <strong>de</strong>n Autos auf <strong>de</strong>r engen Straße belästigt, son<strong>de</strong>rn auch noch von<br />

Baufahrzeugen und <strong>de</strong>m Lärm von Baumaschinen, die an <strong>de</strong>n Felshängen entlang eine neue<br />

Autobahn bauten. Später erfuhr ich, dass es auch noch einen Fußweg über die Berge gibt, <strong>de</strong>r<br />

steil <strong>nach</strong> oben auf eine Höhe von ca. 1000 m und bei Traba<strong>de</strong>lo ebenso steil wie<strong>de</strong>r hinab ins<br />

Tal <strong>de</strong>s Valcárcel führt. Für diesen Weg braucht man aber ca. eine Stun<strong>de</strong> länger. Wegen<br />

m<strong>einer</strong> Füße war ich ganz froh, dass ich diesen Weg nicht gefun<strong>de</strong>n habe und so gar nicht in<br />

Versuchung kam, ihn zu gehen. Nach ca. 15 km, bei <strong>de</strong>r Ortschaft Ambascasas verließ <strong>de</strong>r<br />

Pilgerweg die Nationalstraße und führte weiter am Rio Valcárcel entlang. Ich hatte schon<br />

ziemlich an Höhe gewonnen. Die umgeben<strong>de</strong>n Berge ragten nicht mehr so hoch und düster<br />

empor. Aus <strong>de</strong>m Fluss war ein kl<strong>einer</strong> Bach gewor<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r durch saftigen Wiesen und kleine<br />

Orte plätschert. Die Sonne schien jetzt, am späten Vormittag, heiß herab. Die Steigungen<br />

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wur<strong>de</strong>n steiler und auch die Pilgerschar war weiter auseinan<strong>de</strong>rgezogen. In <strong>einer</strong> Bar, in <strong>de</strong>r<br />

ich Mittagsrast machte, versuchte <strong>de</strong>r Wirt mir klarzumachen, dass ich jetzt, in <strong>de</strong>r<br />

Mittagshitze, nicht weitergehen solle, zumal ich bis zum Gipfel <strong>de</strong>s El Cebreiro, auf <strong>de</strong>m die<br />

Herberge liegt, noch etwa 800 Höhenmeter emporsteigen muss. Ich bedankte mich für diesen<br />

Rat, ging aber trotz<strong>de</strong>m weiter. Gleich hinter <strong>de</strong>m Dorf, wo ich Rast gemacht hatte, begann<br />

<strong>de</strong>r steile Anstieg auf <strong>de</strong>n Gipfel. Auf halber Höhe spru<strong>de</strong>lte aus <strong>de</strong>m Felsen eine Quelle mit<br />

kühlem, frischem Wasser, mit <strong>de</strong>m ich meinen enormen Durst löschte. Es schmeckte mir<br />

besser als das Bier vorhin in <strong>de</strong>r Bar. Ich war nicht <strong>de</strong>r einzige, <strong>de</strong>r das Wasser genoss. Als<br />

ich mich an <strong>de</strong>r Quelle etwas ausruhte, kam mit einem Kleinwagen eine spanische Familie<br />

angefahren und füllte das Wasser in mehrere große Kanister ab, die etwa die Wochenration an<br />

Trinkwassers fassten. Ich stieg dann weiter bergan. Die Beschwerlichkeit <strong>de</strong>s Anstiegs wur<strong>de</strong><br />

durch herrliche Ausblicke auf die Täler, kleine Ortschaften und die umgeben<strong>de</strong>n Berge<br />

belohnt. Kurz vor <strong>de</strong>m Gipfel markiert ein behauener Stein die Grenze zwischen Kastilien<br />

und Galizien und kurz dahinter, in Galizien, verkün<strong>de</strong>t ein Stein, dass es von hier noch 152<br />

km bis <strong>Santiago</strong> <strong>de</strong> <strong>Compostela</strong> seien. Auf <strong>de</strong>m weiteren Weg sollte ich alle 500 m diese<br />

Steine fin<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>n Pilgern die jeweils noch zu gehen<strong>de</strong> Strecke anzeigen. Nach einem<br />

weiteren Kilometer hatte ich <strong>de</strong>n Gipfel erreicht. Man hat dort um die alte, romanische Kirche<br />

Santa Maria la Real verschie<strong>de</strong>ne Gebäu<strong>de</strong> renoviert bzw. neu errichtet; u.a. auch eine große,<br />

mo<strong>de</strong>rne Herberge. Als ich ankam, waren aber die Betten schon vergeben und ich musste mit<br />

einem Platz auf <strong>de</strong>m Fußbo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Schlafsaals vorlieb nehmen. Es gab eine kleine<br />

Diskussion, da ich keine Isomatte dabei hatte. Ein junger Englän<strong>de</strong>r (am nächsten Tag erfuhr<br />

ich, dass er William heißt, Willi genannt wird und 17 Jahre alt ist) erbot sich, bei <strong>de</strong>n Pilgern,<br />

die ein Bett belegt hatten, in Spanisch <strong>nach</strong>zufragen, ob jemand mir seine Isomatte leihen<br />

wolle. Tatsächlich bekam ich von einem Spanier eine Matte, die ich ihm aber am nächsten<br />

Morgen schon sehr früh zurückgeben sollte; was ich auch feierlich versprach. Den Abend<br />

verbrachte ich damit, ausführlich <strong>de</strong>n Ort anzusehen und von <strong>de</strong>m 1300 m hohen Berggipfel<br />

aus die Galizische Landschaft zu bewun<strong>de</strong>rn. Man hat einige <strong>de</strong>r alten, strohge<strong>de</strong>ckten<br />

Rundhäuser, die 'pallozas' genannt wer<strong>de</strong>n, wie<strong>de</strong>r hergerichtet und darin ein Museum und<br />

verschie<strong>de</strong>ne Gaststätten (Meson o<strong>de</strong>r Bar) untergebracht. In <strong>einer</strong> dieser Gaststätten aß ich zu<br />

Abend und erfrischte mich mit Wein und Apfelwein. Später schlen<strong>de</strong>rte ich noch auf <strong>de</strong>m<br />

Gipfel herum. Es war inzwischen ein scharfer Wind aufgekommen und ziemlich kalt<br />

gewor<strong>de</strong>n. Auf einem größeren Felsen hatte ein <strong>de</strong>utscher Kaplan seine Jugendgruppe<br />

versammelt und erzählte ihr begeistert von <strong>de</strong>r Schönheit <strong>de</strong>r Natur und <strong>de</strong>r Größe und<br />

Erhabenheit Gottes, <strong>de</strong>s Schöpfers aller dieser schönen Dinge. Die Jugendlichen hörten im<br />

kalten Wind weniger begeistert zu und stürmten, als <strong>de</strong>r Kaplan geen<strong>de</strong>t hatte sofort zurück zu<br />

<strong>de</strong>n warmen Häusern. Einige wollten sich in <strong>de</strong>r Bar aufwärmen, wur<strong>de</strong>n aber vom Kaplan<br />

entrüstet daran gehin<strong>de</strong>rt. Es wollten sehr viele Pilger auf <strong>de</strong>m Berg über<strong>nach</strong>ten und es<br />

kamen immer noch neue hinzu. Ich traf auch die drei Düsseldorfer wie<strong>de</strong>r. Einer von ihnen<br />

pflegte auf einem Felsblock seine aufgescheuerten und entzün<strong>de</strong>ten Blasen an <strong>de</strong>n Füßen. Als<br />

ich in <strong>de</strong>n Schlafsaal zurückkam, lagen neben m<strong>einer</strong> geliehenen Isomatte noch zahlreiche<br />

an<strong>de</strong>re auf <strong>de</strong>m Fußbo<strong>de</strong>n und es war kaum mehr ein Quadratzentimeter Platz frei. Ich fragte<br />

mich, wie dies in <strong>de</strong>r Nacht gehen sollte, wenn jemand auf die Toilette gehen will, rollte mich<br />

in meinen Schlafsack ein und versuchte auf <strong>de</strong>m Fußbo<strong>de</strong>n zu schlafen.<br />

Sarria, 17. August (Donnerstag)<br />

Entgegen meinen Befürchtungen schlief ich recht gut; zumin<strong>de</strong>st ein paar Stun<strong>de</strong>n lang.<br />

Gegen 5 Uhr wur<strong>de</strong> es im überfüllten Schlafsaal aber laut. Der Spanier, <strong>de</strong>r mir die Isomatte<br />

geliehen hatte, kam bereits kurz vor 5 Uhr an und holte sie sich wie<strong>de</strong>r ab. Ich rollte meinen<br />

Schlafsack ein und versucht ein freies Klo zu fin<strong>de</strong>n, was mir <strong>nach</strong> ca. <strong>einer</strong> halben Stun<strong>de</strong><br />

auch gelang. Gegen 7 Uhr machte ich mich im Schein <strong>de</strong>s Vollmonds und bei beginnen<strong>de</strong>r<br />

51


Morgendämmerung inmitten <strong>de</strong>r großen Pilgerschar auf <strong>de</strong>n Weg weiter <strong>nach</strong> Westen. Unter<br />

uns lagen die Täler in dichtem Nebel. Man hatte <strong>de</strong>n Eindruck, auf <strong>de</strong>n Klippen am Ran<strong>de</strong><br />

eines großen Meeres entlangzugehen. Es ging zunächst auf <strong>de</strong>r Höhe entlang zum Alto <strong>de</strong> San<br />

Roque, wo eine große Bronzestatue <strong>de</strong>s Heiligen in die Morgendämmerung hineinragt. Einige<br />

Pilger gingen zur Statue und verrichteten ihre Morgenandacht. Das Gros ging weiter bis zum<br />

Ort Hospital da Con<strong>de</strong>sa. Dort hatte bereits eine Bar geöffnet und wir holten das Frühstück<br />

<strong>nach</strong>. Ich bestellte mal kein Bier, son<strong>de</strong>rn gutes Bauernbrot mit Butter und Honig und trank<br />

dazu zwei große Cafe con Leche. Bei dieser Rast gesellte sich <strong>de</strong>r junge Englän<strong>de</strong>r Willi zu<br />

mir und fragte mich, ob er mit mir gehen könne. Ich stimmte gerne zu; so hatte ich einen<br />

Begleiter, mit <strong>de</strong>m ich mich unterhalten konnte. Er hatte gera<strong>de</strong> die Schule been<strong>de</strong>t und will<br />

<strong>de</strong>n Weg von Léon bis <strong>Santiago</strong> gehen, um sein Spanisch zu verbessern und abzunehmen. Ich<br />

meinte, dass man bei<strong>de</strong>s doch bequemer haben könne. Vor Tricastela, einem schönen alten<br />

Städtchen im Tal <strong>de</strong>s Ouribio, führte <strong>de</strong>r Weg über Felsbrocken steil abwärts. Willi hatte<br />

Beschwer<strong>de</strong>n mit seinem Knie und er musste sich zwischen durch kurz ausruhen. Meinen<br />

Füßen ging es erstaunlich gut. Tricastela erreichten wir gegen Mittag. Vor <strong>de</strong>m Albergo<br />

stapelten sich schon mehrere Rucksäcke von Pilgern, die hier über<strong>nach</strong>ten wollten. Wenn das<br />

Albergo geöffnet wird, wird <strong>de</strong>n Pilgern in <strong>de</strong>r Reihenfolge <strong>de</strong>r Rucksäcke ein Bett<br />

zugewiesen. Wenn alle Betten vergeben sind, muss man weiterziehen. Ich wollte aber nicht<br />

über<strong>nach</strong>ten, son<strong>de</strong>rn an diesem Tag noch ca. 20 km weiter bis Sarria gehen. Ich machte also<br />

nur in <strong>de</strong>r neben <strong>de</strong>m Albergo gelegenen Bar Mittag und mich dann wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n Weg.<br />

Willi begleitete mich weiter. Im Ort begegnete uns ein Prozession, <strong>de</strong>ren Beginn durch laute<br />

Böllerschüsse angekündigt wur<strong>de</strong>. Eine Musikgruppe mit Du<strong>de</strong>lsäcken begleitete die<br />

Prozession. Das erinnerte Willi an Schottland. Nach Tricastela führte <strong>de</strong>r Weg durch schattige<br />

Wäl<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n Alto <strong>de</strong> Riocabo, einem 896 m hohen Berg. Dort sahen wir in <strong>de</strong>r Ferne schon<br />

Sarria liegen. Auf <strong>de</strong>m Berg wur<strong>de</strong>n Schieferplatten abgebaut; am Wegrand lagen größere<br />

Stapel dieser Platten. Bis wir Sarria erreichten, mussten wir aber doch noch eine größere<br />

Strecke auf <strong>de</strong>r Landstraße ohne Schatten gehen, was uns bei<strong>de</strong>n schwer fiel. Etwa 6 km vor<br />

Sarria kehrten wir kurz im Albergo ein. Willi wur<strong>de</strong> dort mit viel Hallo von jungen<br />

Spanierinnen begrüßt, mit <strong>de</strong>nen er früher ein Stück <strong>de</strong>s Weges gegangen war und <strong>de</strong>nen er<br />

versprach, aus England Fotos von <strong>de</strong>r gemeinsamen Wan<strong>de</strong>rung zu schicken. Ich traf dort<br />

einen Deutschen aus Stuttgart, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n ganzen Weg von Stuttgart über die Schweiz und<br />

Frankreich bis <strong>nach</strong> Sarria gegangen ist. Wir wollten aber nicht im Albergo über<strong>nach</strong>ten,<br />

son<strong>de</strong>rn in einem guten Hotel, wo wir im Bad unsere Füße pflegen und in einem eigenen<br />

Zimmer in Ruhe schlafen können. Wir gingen also weiter und erreichten ziemlich erschöpft<br />

gegen Abend die Stadt und das Drei-Sterne-Hotel Alfonso IX, wo je<strong>de</strong>r von uns ein schönes,<br />

großes Zimmer nahm. In Vorwegnahme meines 68. Geburtstags, <strong>de</strong>r morgen ist, lud ich Willi<br />

zum Aben<strong>de</strong>ssen ein. Die Flasche Wein, die ich spendieren wollte, musste ich aber alleine<br />

austrinken, da Willi keinen Alkohol trank. Er ging dann auch früh zu Bett und ich feierte mit<br />

einigen spanischen Weinbrän<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>r Bar allein in meinen Geburtstag hinein.<br />

Portomarin, 18. August (Freitag)<br />

Die heutige Etappe war mit 21 km verhältnismäßig kurz. Deshalb schlief ich in meinem<br />

großen, bequemen Bett bis 8 Uhr, frühstückte ausführlich und verließ erst <strong>nach</strong> 9 Uhr das<br />

Hotel. Willi schlief noch, so dass ich allein weiterzog. Es ging durch <strong>de</strong>n Ort, zur alten<br />

Pfarrkirche und zum Magdalenenkloster hinauf, dann wie<strong>de</strong>r steil ins Tal hinab und weiter<br />

durch die Landschaft. Der Weg bot we<strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>re Sehenswürdigkeiten noch<br />

Schwierigkeiten; es ging auf und ab – meist auf Feldwegen – durch verschie<strong>de</strong>ne Dörfer und<br />

durch die Landschaft. Am frühen Nachmittag sah ich unter mir <strong>de</strong>n Rio Mino und die<br />

Talsperre von Belesar liegen, die zwischen 1956 und 1962 gebaut wur<strong>de</strong> und in <strong>de</strong>r das alte<br />

Portomarin verschwun<strong>de</strong>n ist. Das neue Portomarin hat man auf einem Hang über <strong>de</strong>m<br />

52


Stausee errichtet und dabei auch einige alte Gebäu<strong>de</strong>, vor allem die wuchtige Johanniterkirche<br />

San Juan wie<strong>de</strong>r aufgebaut. Neben <strong>de</strong>r neuen Schule ist ein großes Albergo eingerichtet und<br />

während <strong>de</strong>r Ferien wer<strong>de</strong>n auch in die Schulsäle Betten gestellt. Ich fand dort noch freie<br />

Matratzen und belegte eine mit meinem Ruck- und Schlafsack. So hatte ich für die Nacht<br />

vorgesorgt und konnte mir in Ruhe die Stadt ansehen. Es hatte inzwischen zu regnen<br />

angefangen. Die Hauptstraße war aber auf <strong>einer</strong> Seite mit Bogengängen gesäumt, unter <strong>de</strong>nen<br />

vor <strong>de</strong>n Cafes und Bars Tische und Stühle aufgestellt waren. Dort versuchte ich die Kirche<br />

San Juan zu skizzieren. Dabei kamen immer wie<strong>de</strong>r Pilger vorbei. Ich traf auch Willi und die<br />

drei Düsseldorfer wie<strong>de</strong>r.<br />

Palas <strong>de</strong> Rei, 19. August (Samstag)<br />

Kirche San Juan in Portomarin<br />

Als sich zwischen 6 und 8 Uhr <strong>de</strong>r Pilgerstrom zum Jakobsweg aufmachte, regnete es immer<br />

noch. Ich gehörte zu <strong>de</strong>n Nachzüglern. Der Weg verlief meist an <strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>r Landstraße<br />

<strong>nach</strong> <strong>Santiago</strong> <strong>de</strong> <strong>Compostela</strong>. Es ging gelegentlich durch Wald, meist aber an Wiesen und<br />

Fel<strong>de</strong>rn mit üppiger Vegetation vorbei (vorwiegend Mais, gelegentlich aber auch Wein) und<br />

durch alte, verlassen aussehen<strong>de</strong> Bauerndörfer, in <strong>de</strong>nen sich noch Ruinen früherer<br />

Pilgerhospize und Befestigungsanlagen (zur Sicherung <strong>de</strong>s Pilgerweges) fin<strong>de</strong>n.<br />

Charakteristisch sind die Galicischen Getrei<strong>de</strong>speicher, die wie Altarschreine aussehen und<br />

<strong>de</strong>ren Sockel und schmale Querwän<strong>de</strong> oft mit kunstvollen Steinmetzarbeiten geschmückt<br />

sind. Kurz vor Palas <strong>de</strong> Rei setzte ein heftiger Gewitterregen ein. Schon ziemlich durchnässt<br />

suchte ich Schutz in einem kleinen La<strong>de</strong>n. Ein Spanier, <strong>de</strong>r dort auch vor <strong>de</strong>m Regen Schutz<br />

suchte, war früher Gastarbeiter in Stuttgart. Er freute sich, einen Deutschen zu treffen, und lud<br />

mich zu <strong>einer</strong> Dose Bier ein. Ich freute mich auch und nahm die Einladung gerne an. Als <strong>de</strong>r<br />

Regen <strong>nach</strong>gelassen hatte ging ich zum Albergo. Dort waren schon viele Pilger. Ich wur<strong>de</strong><br />

zwar sehr freundlich empfangen; man konnte mir aber nur noch einen Platz auf <strong>de</strong>m<br />

Fußbo<strong>de</strong>n anbieten. Ich ging weiter zur nächsten Bar, die auch 'Habitaciones' anbot, und<br />

bekam dort ein zwar fensterloses, aber sonst ganz nettes Zimmer. Die Unterkunft für die<br />

Nacht war also gesichert. Als ich mir <strong>de</strong>n Ort anschaute, fand ich ein Auto, das frische<br />

'Pulpos' (Tintenfische) anbot. In einem Zelt vor <strong>de</strong>m Auto wur<strong>de</strong>n die Tintenfische in großen<br />

Kupferkesseln in Öl gesotten und in <strong>einer</strong> Art Garage daneben waren Tische und Bänke<br />

aufgestellt. Dort konnte man die Fische zusammen mit Brot und Wein verzehren. Ich nahm an<br />

einem <strong>de</strong>r Holztische Platz, bestellte eine große Portion Pulpos, die in <strong>einer</strong> Holzschale<br />

serviert wur<strong>de</strong>, und eine Flasche Wein. Die Fische schmeckten köstlich und ich war satt für<br />

<strong>de</strong>n Rest <strong>de</strong>s Tages.<br />

53


Arzúa, 20. August (Sonntag)<br />

Der Tag verlief ähnlich wie <strong>de</strong>r gestrige. Ab 6 Uhr wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r kleinen Pension schon<br />

aufgebrochen. Ich stand um 7 Uhr auf und machte mich, fast am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Pilgerstroms, auf<br />

<strong>de</strong>n Weg. Zu Beginn regnete es nur leicht. Der Regen wur<strong>de</strong> aber bald heftiger und dauerhaft.<br />

Der Weg verlief wie<strong>de</strong>r weitgehend neben <strong>de</strong>r Landstraße, durch Fel<strong>de</strong>r, Wäl<strong>de</strong>r (es<br />

überwogen nun die Eukalyptuswäl<strong>de</strong>r) und Dörfer. Unterwegs traf ich die Düsseldorfer Pilger<br />

wie<strong>de</strong>r, die sich auf zwei verringert hatten. Einer hatte aufgegeben und sich von einem<br />

Verwandten, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Auto <strong>nach</strong> <strong>Santiago</strong> unterwegs war, abholen und dort hin fahren<br />

lassen. Gegen Mittag erreichte ich <strong>de</strong>n Ort Meli<strong>de</strong>. Der Regen hatte <strong>nach</strong>gelassen. In <strong>einer</strong><br />

Bar, in <strong>de</strong>r schon an<strong>de</strong>re Pilger saßen, machte ich Mittagspause, bis <strong>de</strong>r Regen ganz aufgehört<br />

hatte. Ich ging dann weiter durch die Hauptstraße, die von Sonntagsbummlern stark belebt<br />

war. Auf einem Platz stan<strong>de</strong>n Verkaufsbu<strong>de</strong>n, die Esswaren, Kleidung und an<strong>de</strong>ren Kram<br />

anboten und von vielen Leuten umlagert waren. Ich schlängelte mich durch die<br />

Menschmassen und verließ die Stadt. Der Weg führte weiter durch einige Täler. Die Flüsse<br />

waren meist ausgetrocknet; über einige führten schöne, alte Steinbrücken. Gegen 15 Uhr<br />

erreichte ich Arzúa. Das Albergo war – wie erwartet – bereits belegt. Ich bekam aber nicht<br />

weit vom Albergo entfernt im 'Hostal Teodora' ein schönes Einzelzimmer mit Dusche und<br />

WC. Welch ein Komfort im Vergleich zum Albergo, wo sich ca. 60 Pilger mit einem WC und<br />

Duschraum begnügen müssen! Beim Aben<strong>de</strong>ssen im Restaurant saß an meinem Tisch ein<br />

älterer englischer Journalist, <strong>de</strong>r sich schon seit mehreren Jahren mit <strong>de</strong>m Jakobsweg<br />

beschäftigt, darüber Artikel und Bücher schreibt und – wie er mir stolz verkün<strong>de</strong>te – im<br />

Internet eine Web-Seite eingerichtet hat und pflegt. Er hatte diesmal die Route an <strong>de</strong>r<br />

baskischen Küste entlang bereist und will darüber schreiben.<br />

Monte do Gozo, 21, August (Montag)<br />

Heute habe ich das letzte Teilstück <strong>de</strong>s Camino <strong>de</strong> <strong>Santiago</strong> geschafft. Morgens, als ich<br />

losging, war dichter Nebel, <strong>de</strong>r bis Mittag anhielt. So sah ich nichts von <strong>de</strong>r Landschaft,<br />

son<strong>de</strong>rn nur <strong>de</strong>n Weg, <strong>de</strong>r – wie in <strong>de</strong>n vergangenen Tagen – durch Fel<strong>de</strong>r und<br />

Eukalyptuswäl<strong>de</strong>r führte. An einem Rastplatz unter großen Eichen traf ich die bei<strong>de</strong>n<br />

verbliebenen Düsseldorfer wie<strong>de</strong>r. Sie erzählten mir, dass in <strong>Santiago</strong> schon alle Hotels<br />

ausgebucht seien. Ich sollte in <strong>de</strong>m großen Albergo auf <strong>de</strong>m Monte do Gozo vor <strong>Santiago</strong><br />

über<strong>nach</strong>ten. Sie wollten mit <strong>de</strong>m Verwandten zu einem kleinen Ort fahren und dort eine<br />

Unterkunft suchen. Wir versprachen aber, dass wir uns morgen um 12 Uhr zur Missa <strong>de</strong>l<br />

Peregrinos in <strong>de</strong>r Kathedrale in <strong>Santiago</strong> wie<strong>de</strong>rsehen wollten. Ich ging also auf <strong>de</strong>m<br />

Pilgerweg weiter, am Flugplatz von <strong>Santiago</strong> vorbei, wo gera<strong>de</strong> mit viel Lärm eine<br />

Düsenmaschine startete, und dann über die Autobahn zum Monte do Gozo. Dort waren in<br />

zahlreichen einstöckigen Häusern, die <strong>de</strong>n Eindruck <strong>einer</strong> Barackensiedlung machten, für<br />

mehr als 800 Pilger Betten bereitgestellt. Es waren jeweils in einem Zimmer 6 Doppelbetten<br />

untergebracht. Je<strong>de</strong>s Haus hatte etwa 20 Zimmer und zwei große Dusch- und Toilettenräume.<br />

Im Vergleich zu manchen an<strong>de</strong>ren Albergos war hier alles sehr komfortabel und sauber. Auf<br />

<strong>de</strong>m Hauptplatz gab es eine große Cafeteria und mehrere Restaurants; dazu noch Lä<strong>de</strong>n und<br />

einen eigenen Waschsalon. Die Pilger sollte ja sauber sein und gut riechen, wenn sie in die<br />

Kathedrale von <strong>Santiago</strong> kommen. Ich belegte mir ein Bett, wusch mich, mein Hemd und<br />

Unterhose, aß in einem <strong>de</strong>r Restaurants zu Abend und legte mich früh schlafen. Morgen will<br />

ich <strong>nach</strong> <strong>Santiago</strong> gehen, <strong>de</strong>ssen Vororte vom Berg aus schon zu sehen waren, die<br />

notwendigen Zeremonien vornehmen, Karten schreiben und dann möglichst bald zurück <strong>nach</strong><br />

Pamplona fahren. Jetzt, wo ich (trotz <strong>de</strong>r Neuropathien an <strong>de</strong>r Zehen) wie<strong>de</strong>r gut gehen kann,<br />

will ich <strong>de</strong>n ausgelassenen Teil <strong>de</strong>s Camino <strong>de</strong> <strong>Santiago</strong> noch <strong>nach</strong>holen; das nahm ich mir<br />

vor.<br />

54


<strong>Santiago</strong> <strong>de</strong> <strong>Compostela</strong>, 22. August (Dienstag)<br />

Morgens verließ ich mit vielen Pilgern das Albergo auf <strong>de</strong>m Monte do Gozo und machte mich<br />

auf <strong>de</strong>n Weg <strong>nach</strong> <strong>Santiago</strong> <strong>de</strong> <strong>Compostela</strong>. Es ging über die Autobahn, durch<br />

Industrievororte und zuletzt durch die Altstadt zur Kathedrale. Diese liegt majestätisch auf<br />

einem weiten, erhöhten Platz (<strong>de</strong>m Plaza <strong>de</strong>l Obradoiro) und ist von prächtigen Renaissance-<br />

Palästen umgeben. In einem dieser Paläste ist das 5-Sterne-Hotel, <strong>de</strong>r Parador Hostal <strong>de</strong> los<br />

Reyes Católicos, untergebracht. Pilger, die min<strong>de</strong>stens die letzten 150 km zu Fuß gegangen<br />

sind, können dort ein kostenloses Menu bekommen. Ich machte aber von diesem Angebot<br />

keinen Gebrauch. Die Kathedrale selbst hat viele Türme und weist viele Stile auf. Die<br />

Fassa<strong>de</strong> und die Türme sind mit barockem Zierwerk überla<strong>de</strong>n. Das Innere wird von zwei<br />

mächtigen, gekreuzten Kirchenschiffen gebil<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>ren Schnittpunkt von <strong>einer</strong> großen Kuppel<br />

überwölbt ist. An <strong>de</strong>r Kuppel hängt das große silberne Weihrauchfass, das Botafumeiro, das<br />

bei feierlichen Gottesdiensten herabgelassen und durch die Kirche geschwenkt wird, „als<br />

Ritus und zur Reinigung <strong>de</strong>r Luft, die im Innern <strong>de</strong>s Gotteshauses durch die Ausdünstungen<br />

<strong>de</strong>r Pilgermassen verunreinigt wur<strong>de</strong>“. Dort, im Zentrum <strong>de</strong>r Kathedrale liegt auch <strong>de</strong>r<br />

Hauptaltar über <strong>de</strong>r Krypta, in <strong>de</strong>r die angeblichen Gebeine <strong>de</strong>s Heiligen Jakobus in einem<br />

vergol<strong>de</strong>ten Schrein aufbewahrt wer<strong>de</strong>n. Über <strong>de</strong>m Hauptaltar steht – eingerahmt von einem<br />

großen, barocken Baldachin – die überlebensgroße Statue <strong>de</strong>s Heiligen. Ich ging in die<br />

Kathedrale, die am Morgen noch verhältnismäßig leer war, verrichtete die Gebete am Schrein<br />

mit <strong>de</strong>n Gebeinen, umarmte und küsste die Statue (zu <strong>de</strong>r man auf <strong>einer</strong> schmalen Treppe<br />

hinter <strong>de</strong>m Altar hochsteigen kann) und verweilte noch einige Zeit in <strong>de</strong>m mächtigen<br />

Bauwerk. Dann ging ich zur Officina <strong>de</strong> Acogida <strong>de</strong>l Peregrino, <strong>de</strong>r Empfangstelle für Pilger,<br />

die in einem alten Haus, <strong>de</strong>r Casa <strong>de</strong>l Deán, nicht weit von <strong>de</strong>r Kathedrale entfernt,<br />

untergebracht ist, und holte mir meine Urkun<strong>de</strong>, die bestätigt, dass ich min<strong>de</strong>stens die letzten<br />

150 km vor <strong>Santiago</strong> zu Fuß zurückgelegt habe. Die Dame, die mir die Urkun<strong>de</strong> ausstellte,<br />

prüfte genau die Stempel in meinem Cre<strong>de</strong>ncial und war damit zufrie<strong>de</strong>n. Dann suchte ich mir<br />

ein Zimmer für die Nacht und fand nicht weit vom Pilgerbüro in <strong>de</strong>r Rúa <strong>de</strong>l Villar eine Bar,<br />

die Zimmer vermietete und für mich noch eines frei hatte.<br />

Um 12 Uhr ging ich zurück zur Kathedrale, zur Missa <strong>de</strong>l Peregrinos. Der riesige Raum war<br />

überfüllt von Pilgern (es müssen mehrere tausend gewesen sein). Ich fand nur einen Stehplatz,<br />

eingezwängt zwischen an<strong>de</strong>ren Pilgern. Aus <strong>de</strong>r Ferne sah ich auch Willi und die drei<br />

Düsseldorfer, hatte aber keine Möglichkeit, mich zu ihnen durchzuzwängen. Das Hochamt<br />

war sehr schön und feierlich gestaltet. Eine Nonne las mit klarer Stimme die Texte, die ich<br />

sogar etwas verstand, und sang die Lie<strong>de</strong>r. Zum Schluss wur<strong>de</strong> das Weihrauchfass von <strong>de</strong>r<br />

Kuppel herabgelassen, <strong>de</strong>r Weihrauch wur<strong>de</strong> angezün<strong>de</strong>t und dann kamen 6 Männer und<br />

brachten durch kräftiges Ziehen an <strong>de</strong>n Seilen das Weihrauchfass zum Schwingen, bis es hoch<br />

durch das Querschiff pen<strong>de</strong>lte. Es war sehr beeindruckend.<br />

Inzwischen hatte es heftig zu regnen angefangen und ich ging zurück zur Bar und in mein<br />

Zimmer. Willi und die drei Düsseldorfer habe ich nicht mehr getroffen. Am Nachmittag ging<br />

ich zum Bahnhof und besorgte mir eine Fahrkarte für <strong>de</strong>n Zug, <strong>de</strong>r am nächsten Tag um 9 Uhr<br />

<strong>nach</strong> Vitoria fuhr. <strong>Von</strong> Vitoria konnte ich mit <strong>de</strong>m Bus <strong>nach</strong> Pamplona kommen.<br />

Anschließend schaute ich mir die Altstadt an, soweit dies im Regen möglich war, skizzierte<br />

<strong>de</strong>n Uhrenturm an <strong>de</strong>r Kathedrale und beschloss <strong>de</strong>n Tag in <strong>Santiago</strong> <strong>de</strong> <strong>Compostela</strong> mit<br />

Schreiben von Postkarten an alle Bekannte (auch an <strong>de</strong>n Wan<strong>de</strong>rverein aus Duisburg).<br />

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Vitoria, 23. August (Mittwoch)<br />

Uhrenturm <strong>de</strong>r Kathedrale von <strong>Santiago</strong> <strong>de</strong> <strong>Compostela</strong><br />

Morgens, um 8.30 ging ich zum Bahnhof und wartete auf <strong>de</strong>n Zug. Viele an<strong>de</strong>re Pilger<br />

warteten ebenfalls. Aber, während wir uns unterwegs stets mit ‚Ola’ begrüßten und uns<br />

zunickten, nahmen wir nun keine Notiz voneinan<strong>de</strong>r. Wir waren nun nicht mehr Pilger,<br />

son<strong>de</strong>rn Reisen<strong>de</strong>.<br />

Über die Fahrt ist wenig zu berichten. Gegen 19 Uhr kam ich in Vitoria an, fand in einem<br />

kleinen Hotel in Bahnhofnähe ein Zimmer, schaute mir die Stadt an, aß in <strong>einer</strong> Brasserie zu<br />

Abend und bereitete mich auf die Nachholstrecke <strong>de</strong>r Pilgerfahrt vor, in<strong>de</strong>m ich mir eine<br />

Busverbindung <strong>nach</strong> Pamplona aussuchte.<br />

57


Puente la Reina, 24. August (Donnerstag)<br />

<strong>Von</strong> Pamplona bis Burgos<br />

Morgens um 11 Uhr fuhr ich mit <strong>de</strong>m Bus von Vitoria <strong>nach</strong> Pamplona, wo ich gegen 13 Uhr<br />

ankam. Es war ein sonniger, heißer Tag. In Pamplona macht ich mich in <strong>de</strong>r Mittagshitze<br />

gleich auf <strong>de</strong>n Weg <strong>nach</strong> Punte la Reina. Erst umrun<strong>de</strong>te ich die Zita<strong>de</strong>lle, dann ging ich an<br />

<strong>de</strong>r Universität vorbei – und dann begann <strong>de</strong>r Anstieg; zunächst <strong>nach</strong> Cizur (wo ich mich in<br />

<strong>einer</strong> Si<strong>de</strong>ria mit Apfelwein erfrischte) und von dort durch abgeerntete Fel<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n Alto <strong>de</strong><br />

Santa Maria <strong>de</strong> Erreniega, <strong>de</strong>r zur Sierra <strong>de</strong>l Perdón gehört und sich mächtig mit <strong>einer</strong> Höhe<br />

von ca. 800 m vor mir erhob. Oben war <strong>de</strong>r Berg mit zahlreichen Windrä<strong>de</strong>rn bestückt. Es<br />

wehte ein heißer, heftiger Südwind, gegen <strong>de</strong>n ich angehen musste und <strong>de</strong>r mich stark<br />

austrocknete. In <strong>de</strong>r Mittagshitze waren nur wenige Pilger unterwegs; <strong>einer</strong> überholte mich<br />

keuchend und bat mich, ihm die Wasserflasche aus seinem Rucksack zu geben. Er wollte<br />

nicht stehen bleiben. Oben auf <strong>de</strong>m Bergrücken wehte <strong>de</strong>r Südwind noch heftiger; man<br />

musste sich richtig dagegen stemmen, hatte aber eine schöne Aussicht auf Pamplona und die<br />

Pyrenäen im Nor<strong>de</strong>n und auf die breite Senke im Westen, die im Sü<strong>de</strong>n und Nor<strong>de</strong>n von<br />

mächtigen Felsmassiven begrenzt war und durch die <strong>de</strong>r Jakobsweg führt. Vom Gipfel ging<br />

<strong>de</strong>r Weg steil hinab in diese Senke und führte meist auf Feldwegen durch einige Dörfer<br />

schließlich <strong>nach</strong> Puente la Reina. Bevor ich <strong>de</strong>n Ort erreichte, musste ich aber noch einmal<br />

zum Ort Obanos hochsteigen. Dort kaufte ich in einem La<strong>de</strong>n eine große Flasche<br />

Orangenspru<strong>de</strong>l, trank sie aus und konnte so gestärkt endlich das Etappenziel erreichen. In<br />

Puente la Reina bekam ich im Albergo eine Matratze in einem kleinen Zimmer, in <strong>de</strong>m nur<br />

noch 4 weitere Matratzen lagen. Nach<strong>de</strong>m ich geduscht und mich ausgeruht hatte, schaute ich<br />

mir die Altstadt an, die im wesentlichen aus <strong>einer</strong> langen Straße (Calle Mayor) bestand, an <strong>de</strong>r<br />

ein altes Kloster, die Kirche <strong>Santiago</strong> el Mayor, das Rathaus, ein Restaurant und einige Bars<br />

liegen und die zur alten Brücke über <strong>de</strong>n Arga führt, die <strong>de</strong>r Stadt <strong>de</strong>n Namen gab. Im<br />

Restaurant aß ich das Pilgermenu und trank eine Flasche Wein dazu, die im Preis inbegriffen<br />

war. Dann ging ich zurück zum Albergo, legte mich auf meine Matratze und schlief ein.<br />

Irache, 25. August (Freitag)<br />

Da wir nur zu viert im Zimmer schliefen, war die Nacht ruhiger als in <strong>de</strong>n großen Schlafsälen.<br />

Morgens stand ich gegen 7 Uhr auf und ging um 7.30 los. Der Weg führte über die alte<br />

Brücke und dann weiter parallel zur Landstraße über einige Hügel, auf <strong>de</strong>nen Dörfer lagen.<br />

Im Dorf Maneru hatte die Bar schon geöffnet und ich konnte das Frühstück <strong>nach</strong>holen. Dann<br />

musste ich <strong>de</strong>n Hügel hinab und später zum Dorf Cirauqui (was auf <strong>de</strong>utsch Kreuzotternnest<br />

heißt) emporsteigen. Aus <strong>de</strong>m Ort hinaus ging es über eine alte, halb verfallenen<br />

Römerbrücke und ein Stück über eine römische Heerstraße. Heute taten mir die Füße stärker<br />

weh als gestern und ich musste öfter Pause machen. Gegen 13 Uhr erreichte ich Estella. Auf<br />

<strong>de</strong>r alten Pilgerbrücke überquerte ich <strong>de</strong>n Rio Ega und rastete am an<strong>de</strong>ren Ufer vor <strong>de</strong>r Kirche<br />

San Miguel, die ein reich geschmücktes romanisches Portal mit herrliche Figuren hat. Die<br />

Stadt hat noch mehrere an<strong>de</strong>re alte Kirchen, Klöster und Paläste aufzuweisen, von <strong>de</strong>nen mir<br />

vor allem <strong>de</strong>r romanische Palacio <strong>de</strong> los Reyos <strong>de</strong> Navarra gefiel, in <strong>de</strong>m heute ein Museum<br />

untergebracht ist.. Im Albergo ließ ich mir in das Cre<strong>de</strong>ncial <strong>de</strong>n Stempel geben. Ich wollte<br />

aber nicht bleiben, son<strong>de</strong>rn weiter gehen. Zuvor stärkte ich mich in <strong>einer</strong> Bar. Der Weg ging<br />

weiter <strong>nach</strong> Westen, and <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>gas Irache und <strong>de</strong>m alten Kloster Nuestra Senora la Real <strong>de</strong><br />

Irache vorbei. Die Bo<strong>de</strong>ga hatte am Weg <strong>de</strong>n Fuente <strong>de</strong>l Vino (Weinbrunnen) angelegt, aus<br />

<strong>de</strong>ssen Hahn statt Wasser köstlicher roter Wein fließt. Ich ließ mir natürlich die Gelegenheit<br />

nicht entgehen, diesen Wein reichlich zu genießen. Der weitere Weg wur<strong>de</strong> mir aber da<strong>nach</strong><br />

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ziemlich beschwerlich und meine Füße taten auch wie<strong>de</strong>r weh. Als ich am Hotel Irache<br />

vorbeikam, nahm ich dies als Wink <strong>de</strong>s Himmels, ging zur Rezeption und nahm mir ein<br />

schönes Zimmer. Abends aß ich ein hervorragen<strong>de</strong>s 4-Gänge Menu im Restaurant <strong>de</strong>s Hotels<br />

und genoss dazu eine Flasche guten Navarra-Weins aus <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>ga. Der schmeckte mir so<br />

gut, dass ich mir vornahm, in Zukunft lieber Weine aus Navarra statt aus <strong>de</strong>m Rioja zu<br />

bestellen.<br />

Viana, 26. August (Samstag)<br />

Über Nacht gab es ein heftiges Gewitter, aber am Morgen war <strong>de</strong>r Himmel klar und es<br />

versprach ein sonniger Tag zu wer<strong>de</strong>n. Nach einem reichlichen Frühstück verließ ich gegen<br />

8.30 das Hotel und ging weiter auf <strong>de</strong>m Camino. Es ging durch Weinberge, Ölhaine und<br />

durch ein Wäldchen mit Bäumen, die ich nicht kannte, <strong>nach</strong> Villamayor <strong>de</strong> Monjardin, das ich<br />

gestern schon erreichen wollte. Der Ort liegt etwas erhöht am Fuße <strong>de</strong>s Bergs Monjardin, <strong>de</strong>r<br />

894 m hoch und weithin sichtbar von <strong>de</strong>r Ruine <strong>de</strong>s Castillo <strong>de</strong> Deyo gekrönt ist. Unterwegs<br />

traf ich einen Pilger aus Marktredwitz in Oberfranken und ging ein Stück mit ihm zusammen.<br />

Er war – wie ich – gera<strong>de</strong> pensioniert wor<strong>de</strong>n. S<strong>einer</strong> Erzählung <strong>nach</strong> hatte er früher<br />

mehrmals geschäftlich in Portugal zu tun und war dabei mit <strong>de</strong>m Auto auch <strong>nach</strong> <strong>Santiago</strong> <strong>de</strong><br />

<strong>Compostela</strong> und zum Jakobsweg gekommen. Nun will er <strong>de</strong>n Weg von Pamplona bis<br />

<strong>Santiago</strong> zu Fuß gehen. Er war noch frisch und ist gleich die Strecke von Pamplona <strong>nach</strong><br />

Estella (ca. 40 km) an einem Tag gegangen. In Estella hat er im Albergo über<strong>nach</strong>tet, das er<br />

sehr lobte (im Gegensatz zur Über<strong>nach</strong>tung in <strong>einer</strong> großen Turnhalle in Pamplona, die im<br />

August als Albergo dient). Für ihn war es also <strong>de</strong>r zweite Pilgertag. In Villamayor rasteten wir<br />

kurz am Fuente <strong>de</strong> los Moros, <strong>de</strong>m Maurenbrunnen, <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m 13. Jahrhun<strong>de</strong>rt stammt und<br />

mit einem gotischen Bauwerk über<strong>de</strong>ckt ist. Darin war es schattig und kühl. Dann ging es auf<br />

Feldwegen weiter durch Weinberge und abgeerntete Getrei<strong>de</strong>fel<strong>de</strong>r, an Bergzüge vorbei, die<br />

etwa 1000 m hoch waren. Etwa 5 km vor Los Arcos taten mir die Füße weh und ich musste<br />

rasten. Mein Begleiter war noch frisch und ging weiter. Wir haben uns später nicht wie<strong>de</strong>r<br />

getroffen. In Los Arcos, wo es ein Albergo und Hotels gibt, war ich gegen Mittag. Zum<br />

Bleiben war es mir noch zu früh. Ich machte daher in <strong>einer</strong> Bar Mittagspause und ging dann<br />

in <strong>de</strong>r Mittagshitze weiter in Richtung Viana. Die Berge im Sü<strong>de</strong>n und Nor<strong>de</strong>n zogen sich<br />

zurück, so dass die Gegend einen offeneren und weitläufigeren Eindruck machte, als vor Los<br />

Arcos. Sie glich fast <strong>einer</strong> Hochebene, die aber von mehreren Flusstälern und Schluchten<br />

durchzogen war. Das be<strong>de</strong>utete je<strong>de</strong>s Mal einen Abstieg zum Flussbett (das jetzt im August<br />

kaum Wasser führte) bzw. zum Fuß <strong>de</strong>r Schlucht und anschließend wie<strong>de</strong>r einen Aufstieg. An<br />

<strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>r Täler lagen Wein- und Olivenhaine. Unterwegs begegnete mir eine Mutter mit<br />

ihrer ca. 16 jährigen Tochter aus München. Ich hatte die bei<strong>de</strong>n schon in Puente la Reina in<br />

<strong>de</strong>r Kirche gesehen. Wir gingen ein Stück zusammen durch <strong>de</strong>n Barranco Mataburros<br />

(Eselstöter Schlucht) und freuten uns über die alten Olivenbäume, die an <strong>de</strong>n Hängen <strong>de</strong>r<br />

Schlucht wuchsen. Dann taten mir aber wie<strong>de</strong>r die Füße weh; ich musste rasten und die<br />

bei<strong>de</strong>n zogen weiter. Viana erreichte ich gegen Abend sehr mü<strong>de</strong> und abgespannt (die<br />

Tagesetappe betrug auch ca. 38 km). Auf <strong>de</strong>r Hauptsraße herrschte schon Samstag-Abend-<br />

Betrieb; d.h. viele Leute flanierten auf <strong>de</strong>r Straße im Sonntagsstaat o<strong>de</strong>r saßen vor <strong>de</strong>n Cafes<br />

und Bars. Ich fand zunächst nicht die Herberge und hatte schon wie<strong>de</strong>r die Stadt verlassen, bis<br />

ich meinen Irrtum merkte. Ein Passant sagte mir, dass das Albergo in <strong>de</strong>r Altstadt hinter <strong>de</strong>r<br />

Kirche San Pedro liegt. Dort fand ich es auch und bekam in einem <strong>de</strong>r kl<strong>einer</strong>en Schlafsäle<br />

noch ein Bett. Später, gegen 21 Uhr, traf ich auf <strong>de</strong>r Hauptstraße wie<strong>de</strong>r Mutter und Tochter<br />

aus München und ging mit ihnen zusammen in ein Restaurant, wo es ein Pilgermenu gab (wie<br />

üblich für 1000 Peseten). Wir setzten uns an einen Tisch, wo schon mehrere an<strong>de</strong>re Pilger<br />

saßen. Als wir hinreichend viel Wein getrunken hatten, versuchte ich einem Franzosen, <strong>de</strong>r<br />

Englisch sprach, die Geheimnisse <strong>de</strong>r Chaostheorie zu erklären. Er verstand sie aber nicht.<br />

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Gegen 23 Uhr brachen wir alle zum Albergo auf. Mir ging es nicht gut. Ich hatte Durchfall<br />

und musste in <strong>de</strong>r Nacht mehrmals aus m<strong>einer</strong> Matratze klettern und das Klo aufsuchen, was<br />

die an<strong>de</strong>ren Mitbewohner <strong>de</strong>s Zimmers sicher nicht erfreut hat. Es hat sich aber niemand<br />

beschwert.<br />

Logroño, 27. August (Sonntag)<br />

Morgens war ich vom Durchfall ziemlich geschwächt. Ich trank etwas Wasser und ging<br />

weiter auf <strong>de</strong>m Jakobsweg, ohne etwas zu essen. Der Weg verlief durch Fel<strong>de</strong>r zum Tal <strong>de</strong>s<br />

Ebro, an <strong>de</strong>m Logroño liegt. Bevor <strong>de</strong>r Ebro erreicht wird, geht es noch durch<br />

Industrievororte . In einem dieser Orte (Felisa) hatte eine Frau mit einem Jungen einen<br />

kleinen Stand mit Jakobs-Devotionalien aufgebaut. Die Frau bot mir einen Schluck Wasser<br />

und einige grüne Feigen an, die an einem Busch bei ihrem Haus wuchsen. Ich nahm die<br />

Gaben dankend an, ließ mir einen Stempel ins Cre<strong>de</strong>ncial geben, kaufte aber keine<br />

Devotionalien. Etwas weiter traf ich Mutter und Tochter aus München wie<strong>de</strong>r, die versuchten,<br />

von einem Feigenbusch die reifen Früchte zu pflücken. Es waren aber nur wenige reife<br />

Früchte dran. Dann erreichten wird die Brücke über <strong>de</strong>n Ebro und dahinter Logroño, das <strong>de</strong>r<br />

Sitz <strong>de</strong>s Parlaments von Rioja ist. Am Sonntagmorgen war noch nicht viel Betrieb in <strong>de</strong>r<br />

Stadt. Ich fühlte mich ziemlich schwach und ruhte mich auf <strong>einer</strong> Bank am Ebro aus, während<br />

Mutter und Tochter weitergingen. Später kaufte ich mir in einem kleinen La<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r schon<br />

geöffnet hatte, eine Flasche Kakao und trank sie aus. Dann bekam ich aber schon wie<strong>de</strong>r<br />

Durchfall und konnte gera<strong>de</strong> noch in einem Cafe die Toilette erreichen. Ich sah ein, dass es<br />

keinen Zweck hatte, so weiter zu gehen, suchte mir ein Hotel, nahm ein Zimmer mit Dusche<br />

und WC und legte mich ins Bett. Später bekam ich auch noch Fieber; ich hatte mir also eine<br />

Magen-Darm-Infektion geholt. Den Sonntag verbrachte ich weitgehend im Bett, nur<br />

gelegentlich unterbrochen vom notwendigen Besuch <strong>de</strong>r Toilette.<br />

Nájera, 28. August (Montag)<br />

Über Nacht ging es mir überraschend besser. Das Fieber verschwand und ich musste in <strong>de</strong>r<br />

Nacht nur noch dreimal aufs Klo. Deshalb entschloss ich mich, <strong>nach</strong> einem leichten Frühstück<br />

<strong>de</strong>n Weg fortzusetzen. Der führte zunächst über die Ausfallstraßen durch die Industriegebiete<br />

und Schutthal<strong>de</strong>n von Logroño. Nach ca. 7 km, beim Stausee la Grajera, wur<strong>de</strong>n die<br />

Landschaft und <strong>de</strong>r Weg schöner. Man hat am Ufer dieses Sees eine Park angelegt, durch <strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Weg führt. Ich stieg auf <strong>de</strong>n Alto <strong>de</strong> Grajera und ging von dort weiter durch die<br />

Weinberge <strong>de</strong>s Rioja <strong>nach</strong> Navararrete, das ich mittags erreichte. Abgesehen davon, dass ich<br />

flau im Magen war (ich hatte seit 2 Tagen nichts mehr darin behalten), ging es mir ganz gut.<br />

In <strong>einer</strong> Bar aß ich zu Bier eine Tortilla, die mir gut schmeckte und die ich auch im Magen<br />

behielt. Anschließend ruhte ich mich auf <strong>de</strong>m schattigen Platz vor <strong>de</strong>r Kirche La Asunción<br />

aus und ging dann weiter <strong>nach</strong> Nájera. Der Weg führte durch Weinfel<strong>de</strong>r, die über ein weit<br />

verzweigtes System vom Gräben und Röhren bewässert wur<strong>de</strong>n. Es war zwar sonnig, aber<br />

nicht zu heiß. Nur die zahlreichen Fliegen, die mich umschwirrten, waren lästig; ein paar<br />

davon habe ich auch verschluckt. Vor Nájera ging es noch durch ein Industriegebiet und dort<br />

durch eine große Kiesgrube, in <strong>de</strong>r mit lautem Getöse Kies geför<strong>de</strong>rt, Steine zerkl<strong>einer</strong>t und<br />

zu Hal<strong>de</strong>n aufgetürmt wur<strong>de</strong>n. Aber da war ich auch schon fast in <strong>de</strong>r Stadt. Dort hielt ich<br />

mich nicht lange mit <strong>de</strong>r Suche <strong>nach</strong> <strong>de</strong>m Albergo auf, son<strong>de</strong>rn ging in das nächstbeste Hotel<br />

San Fernando, das auch gleichzeitig das beste Haus <strong>de</strong>s Ortes war und sehr schön am Rio<br />

Nájerilla liegt. Nach<strong>de</strong>m ich geduscht hatte, ging ich an <strong>de</strong>r Uferpromena<strong>de</strong> entlang und<br />

schaute <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn und Hun<strong>de</strong>n zu, die im Fluss herumplanschten.<br />

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Santo Domingo <strong>de</strong> la Calzada, 29. August (Dienstag)<br />

Die Tagesetappe war nur 20 km lang und führte vorwiegend durch die Weinfel<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Rioja.<br />

Der Morgen war sonnig und nicht zu warm. Gegen Mittag erreichte ich die Hochfläche von<br />

Cirueña. In einem kleinen Eichenwäldchen lagerten schon mehrere Pilger. Ich setze mich<br />

dazu, aß zwei Apfelsinen, die ich mir in Nájera gekauft hatte, und ruhte meine Füße aus.<br />

Dann ging es bergab bis <strong>nach</strong> Santo Domingo. Die Herberge, die dort von <strong>de</strong>r ‚Brü<strong>de</strong>rschaft<br />

<strong>de</strong>s Heiligen Domingo’ betrieben wird, wird im Führer als „eine <strong>de</strong>r besten und<br />

traditionsreichsten <strong>de</strong>s ganzen Jakobsweges“ beschrieben. Tatsächlich soll sie schon seit <strong>de</strong>m<br />

10. Jahrhun<strong>de</strong>rt existieren. Sie ist in einem klassizistischen Haus aus <strong>de</strong>m 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt (die<br />

Jahreszahl 1831 steht über <strong>de</strong>m Portal) untergebracht. Im Erdgeschoss wur<strong>de</strong> ich von<br />

freundlichen Damen empfangen und in einen Schlafsaal im zweiten Stock geführt. Dort<br />

stan<strong>de</strong>n richtige Holzbetten. Die Matratzen hatten einen Überzug aus buntem Stoff und es gab<br />

sogar Kissen. Die Waschräume waren sauber. Es gab auch eine gut eingerichtete Küche und<br />

daneben einen Ess- und Aufenthaltsraum mit einem großen Tisch. Die Bewertung <strong>de</strong>s Führers<br />

kann ich also nur bestätigen. Da es erst früher Nachmittag war, schaute ich mir ausführlich die<br />

Stadt und die Kathedrale an, die nicht weit vom Albergo entfernt lag. Eine beson<strong>de</strong>re<br />

Attraktion ist <strong>de</strong>r Hühnerstall an <strong>de</strong>r Seitenwand <strong>de</strong>r Kathedrale, eine mit einem Renaissance-<br />

Gitter abgeschlossene Nische, in <strong>de</strong>r ein Huhn und ein Hahn gehalten wer<strong>de</strong>n (sie sollen alle<br />

drei Wochen ausgetauscht wer<strong>de</strong>n). Dies geht auf eine Geschichte aus <strong>de</strong>m 14. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

zurück. Der Sohn eines Pilgerpaares aus Köln soll fälschlich beschuldigt wor<strong>de</strong>n sein, einen<br />

silbernen Becher gestohlen zu haben, und wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>shalb aufgehängt. Bevor die Eltern<br />

weiterreisten, hörten sie, wie ihr Sohn ihnen mitteilte, dass er von Heiligen Domingo an <strong>de</strong>n<br />

Beinen gehalten wer<strong>de</strong> und <strong>de</strong>shalb noch lebe. Die Eltern gingen zum Landrichter, <strong>de</strong>r gera<strong>de</strong><br />

einen Hahn und ein Huhn verspeiste. Der glaubte ihnen nicht und sagte, dass ihr Sohn<br />

genauso lebendig sei wie die bei<strong>de</strong>n Vögel auf seinem Teller. Die bei<strong>de</strong>n Vögel sprangen<br />

sofort auf; es wuchs ihnen neues Gefie<strong>de</strong>r und sie liefen gackernd umher und bewiesen so die<br />

Unschuld <strong>de</strong>s Jungen. Neben <strong>de</strong>r Kathedrale hat aber Santo Domingo noch weitere prächtige<br />

Kirchen und auch Renaissance-Paläste zu bieten. In einem Palast ist ein Museum<br />

untergebracht, in einem an<strong>de</strong>ren, neben <strong>de</strong>r Kathedrale, das 5-Sterne Hotel Parador Santo<br />

Domingo <strong>de</strong> la Calzada. Ich fühlte mich allerdings in <strong>de</strong>r Herberge auch sehr wohl, zumal sie<br />

be<strong>de</strong>utend billiger ist, nämlich nichts kostet. Da es mir dort so gut ging, spen<strong>de</strong>te ich <strong>de</strong>m<br />

Albergo ein Donato von 5000 Peseten.<br />

Villafranca Montes <strong>de</strong> Oca, 30. August (Mittwoch)<br />

Der Weg von Santo Domingo <strong>nach</strong> Burgos verläuft weitgehend neben <strong>de</strong>r Nationalstraße N<br />

120. Die Landschaft än<strong>de</strong>rte sich. Die grünen Weinfel<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong>n abgelöst durch graue<br />

Stoppelfel<strong>de</strong>r, die hohen, mit Wald bestan<strong>de</strong>nen Berge durch graue, baumlose Hügel. Der<br />

Weg führte aus <strong>de</strong>r Provinz Rioja hinaus in die Provinz Burgos. Gelegentlich ging es durch<br />

ein Dorf, in <strong>de</strong>m ich am Brunnen (falls <strong>einer</strong> vorhan<strong>de</strong>n war) meine Wasserflasche wie<strong>de</strong>r<br />

auffüllen konnte. In einem Dorf gab es sogar eine Bar, in <strong>de</strong>r ich das Frühstück <strong>nach</strong>holen<br />

konnte. Das Land war leicht hügelig und <strong>de</strong>r Weg neben <strong>de</strong>r Straße gut einzusehen. So hatte<br />

man einen guten Überblick über die Pilgergruppen. Es waren nicht allzu viele Pilger<br />

unterwegs: eine Gruppe junger Italiener in einheitlichen T-Shirts, auf <strong>de</strong>nen neben <strong>de</strong>r<br />

obligatorischen Jakobsmuschel auch ‚Milano’ geschrieben stand, einige spanische Gruppen,<br />

eine Gruppe älterer Franzosen, die in <strong>de</strong>r Küche von Santo Domingo mit viel Kartoffeln,<br />

Gemüse und Knoblauch eine köstlich duften<strong>de</strong> Suppe gekocht hatten, und ein älterer<br />

Einzelpilger mit langem Bart. Ich hielt ihn zunächst auch für einen Franzosen, stellte aber<br />

später fest, dass er ein Schweizer war. Ich bemerkte, dass nicht nur ich Probleme mit <strong>de</strong>n<br />

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Füßen hatte. Manch an<strong>de</strong>rer Pilger humpelte auch o<strong>de</strong>r kühlte und behan<strong>de</strong>lte an einem<br />

Dorfbrunnen seine entzün<strong>de</strong>ten Füße. Manchmal überholte ich eine Gruppe, dann wur<strong>de</strong> ich<br />

wie<strong>de</strong>r von ihr überholt. Als ich einmal wie<strong>de</strong>r die jungen Italiener überholte und <strong>einer</strong> von<br />

ihnen zurückbleiben wollte, wies ihn ein an<strong>de</strong>rer zurecht. Ich sah dass er auf mich <strong>de</strong>utete und<br />

etwas von ‚vechio’ sprach. Offensichtlich meinte er, dass sein Kamerad sich doch von <strong>de</strong>m<br />

‚Alten’ nicht beschämen lassen sollte. Am späten Mittag erreichten wir das Albergo in<br />

Belorado. Eine freundliche Dame aus Deutschland empfing uns und bot einen Schluck<br />

Wasser an. Da stellte ich auch fest, dass <strong>de</strong>r Pilger mit Bart Schwyzerdütsch sprach. Ich<br />

wollte in Belorado nicht bleiben, son<strong>de</strong>rn weitergehen, damit ich morgen Burgos erreichen<br />

konnte. Ich ließ mir also <strong>de</strong>n Stempel in das Cre<strong>de</strong>ncial geben, aß in einem Restaurant zu<br />

Mittag und verließ dann wie<strong>de</strong>r die Stadt. Es war inzwischen sehr schwül gewor<strong>de</strong>n. Der Weg<br />

ging weiter an Stoppelfel<strong>de</strong>rn entlang. Soweit ich sehen konnte, war ich nun <strong>de</strong>r einzige<br />

Pilger auf <strong>de</strong>m Weg. Meine Füße begannen wie<strong>de</strong>r erheblich zu schmerzen und ich war froh,<br />

als ich gegen 17 Uhr Villafranca Montes <strong>de</strong> Oca erreichte. Der kleine Ort liegt am Rio Oca.<br />

Der Fluss, <strong>de</strong>r auch jetzt Wasser führte, war von Pappeln und Erlenbüschen gesäumt; eine<br />

Abwechslung zu <strong>de</strong>n grauen Stoppelfel<strong>de</strong>rn, die ich vorher durchwan<strong>de</strong>rt hatte. Kurz vor <strong>de</strong>m<br />

Ort führte <strong>de</strong>r Jakobsweg wie<strong>de</strong>r auf die N120 und auf <strong>einer</strong> Brücke über <strong>de</strong>n Oca. Gleich<br />

hinter <strong>de</strong>r Brücke war eine Fernfahrer Raststätte mit Bar, Restaurant und Pension. In dieser<br />

Pension nahm ich ein Zimmer und erholte mich – diesmal mit Gin Tonic – von <strong>de</strong>n Strapazen.<br />

Burgos, 31. August (Donnerstag)<br />

Heute habe ich also die letzte Etappe dieser Pilgerreise abgeschlossen. Der Weg von<br />

Villafranca Montes Oca bis Burgos war schöner als ich erwartet hatte. Vom Tal <strong>de</strong>s Oca<br />

führte <strong>de</strong>r Weg, vorbei an <strong>de</strong>r <strong>Santiago</strong> Kirche und einem alten Hospiz, durch<br />

Sonnenblumenfel<strong>de</strong>r zu <strong>de</strong>n Montes <strong>de</strong> Oca hoch. Die Sonnenblumenfel<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong>n bald<br />

abgelöst von Hängen mit Büschen, bunten Blumen und blühen<strong>de</strong>m Hei<strong>de</strong>kraut. Auf <strong>de</strong>r Höhe<br />

waren dichte Eichenwäl<strong>de</strong>r, die Schatten spen<strong>de</strong>ten. Hier war <strong>de</strong>r Weg gesäumt von Farn,<br />

Buschwerk und blühen<strong>de</strong>m Hei<strong>de</strong>kraut. Es war <strong>einer</strong> <strong>de</strong>r schönsten Wan<strong>de</strong>rwege seit<br />

Pamplona. Nach<strong>de</strong>m ich einen schmalen Taleinschnitt durchquert hatte, wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Weg<br />

sandig. Statt <strong>de</strong>r Eichen wuchsen hier Kiefern und es blühte viel Hei<strong>de</strong>kraut. Die Landschaft<br />

erinnerte mich an die Wäl<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Südhei<strong>de</strong>, nördlich von Celle. Nach etwa 10 km erreichte<br />

ich die alte, romanische Klosterkirche von San Juan <strong>de</strong> Ortega, die recht malerisch in <strong>de</strong>r<br />

Hei<strong>de</strong>landschaft liegt. Dort gibt es ein Albergo, das jetzt, gegen Mittag, geschlossen war, und<br />

eine Bar, in <strong>de</strong>r schon einige an<strong>de</strong>re Pilger sich erholten. Dort machte ich bei viel Bier und<br />

einem Schinkenbrot Mittag. Da<strong>nach</strong> besichtigte ich noch die alte Kirche mit <strong>de</strong>m prunkvollen<br />

gotischen Mausoleum <strong>de</strong>s Heiligen Juan <strong>de</strong> Ortega und ging dann weiter <strong>nach</strong> Burgos. Der<br />

Weg wur<strong>de</strong> nun steiniger, die Kiefern und das Heidkraut verschwan<strong>de</strong>n. Ich ging in <strong>de</strong>r<br />

Mittagshitze zu einigen Dörfern hinab, wo auf <strong>de</strong>n Fel<strong>de</strong>rn das Stroh zu Ballen gepresst und<br />

abgefahren wur<strong>de</strong>. Dann musste ich wie<strong>de</strong>r auf steinigem Weg zur Sierra <strong>de</strong> Atapuerca hoch,<br />

einem baumlosen, felsigen Höhenzug, von <strong>de</strong>m aus man in <strong>de</strong>r Ferne schon Burgos sah. Um<br />

dahin zu kommen, musste ich aber wie<strong>de</strong>r ins Tal <strong>de</strong>s Pico hinab, auf <strong>de</strong>r Landtrasse durch<br />

einige Dörfer und über die Autobahn und Bahnstrecke hinweg. Endlich erreichte ich die<br />

Vororte von Burgos. Dann ging es aber noch etwa 8 km weit auf <strong>de</strong>r N 1 durch<br />

Industriegebiete, am Flughafen vorbei und durch endlos lange Häuserschluchten. Meine<br />

Zehen hatten sich wie<strong>de</strong>r entzün<strong>de</strong>t und ich konnte nur humpelnd unter Schmerzen<br />

vorankommen. Aber die Schmerzen gehören zur Pilgerfahrt, sie haben mich bisher begleitet<br />

und warum sollen sie auf <strong>de</strong>r letzten Etappe fehlen?<br />

Im Zentrum von Burgos suchte ich mir ein gutes Hotel (das Drei-Sterne-Hotel Fernán<br />

Gonzáles, das am Ufer <strong>de</strong>s Rio Arlanzón in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>r Kathedrale liegt), ba<strong>de</strong>te mich<br />

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ausführlich, behan<strong>de</strong>lte meine entzün<strong>de</strong>ten Zehen und humpelte dann anschließend zur<br />

Kathedrale, die ich besichtigte. In einem Restaurant auf <strong>de</strong>m Platz vor <strong>de</strong>r Kathedrale aß ich<br />

Pulpos und trank im Anblick <strong>de</strong>r von Scheinwerfern angestrahlten Kathedrale kühlen<br />

Weißwein.<br />

Damit habe ich die Pilgerfahrt been<strong>de</strong>t. Die ca. 150 km von Burgos <strong>nach</strong> Léon durch <strong>de</strong>n<br />

‚campo plano’ (ebenes Feld) will ich meinen entzün<strong>de</strong>ten Füßen nicht mehr zumuten. Vom<br />

Zug aus, <strong>de</strong>r ein großes Stück parallel zum Pilgerweg fährt, sah ich, dass <strong>de</strong>r Weg fast gera<strong>de</strong><br />

durch Stoppelfel<strong>de</strong>r führt. Es gibt keine Bäume, die Schatten spen<strong>de</strong>n, nicht einmal Büsche<br />

o<strong>de</strong>r Hügel, die wenigstens für das Auge etwas Abwechslung bieten. Dieses Wegstück wollte<br />

ich nicht mehr gehen und beschloss daher, am nächsten Tag mit <strong>de</strong>m Zug in Etappen zurück<br />

<strong>nach</strong> Deutschland zu fahren.<br />

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