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2_7_3 Hedwig - Verband der Familie v. Restorff

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3Ein Jahr später, am 5. Januar 1878, schrieb Fritz einen Brief an seine Mutter und berichtetedarin auch von den Kin<strong>der</strong>n: „Meine treue kleine Frau hat Dir gewiß von uns allenNachricht gegeben, E.“ [Elisabeth] „freut sich seit lange Dir zu schreiben – für unsEltern sind die Kin<strong>der</strong> alle in glücklicher Entwicklung, sie machen uns Freude, Isablüht körperlich auf, verzieht sich mit Oncle A., <strong>Hedwig</strong> lernt vergnügt schreiben. E.spielt vierhändig mit <strong>der</strong> Mama ganz hübsch: ‚Allein Gott in’ genug, viel Grund zumDanken, <strong>der</strong> Herr segne Euch und uns ferner!“„<strong>Hedwig</strong> liegt <strong>der</strong> Länge nach auf <strong>der</strong> Erde u hilft Isa bauen, sorgt überhaupt immermütterlich für Isa“, so berichtete ihre Mutter Bertha über die fünfjährige <strong>Hedwig</strong>, und„<strong>Hedwig</strong> lernt vergnügt schreiben“ ihr Vater Fritz ein knappes Jahr später. Das war kurzvor ihrem sechsten Geburtstag. Kurz darauf ergänzte Bertha etwas ausführlicher diesenkurzen Bericht über die Fortschritte <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> in einem weiteren Brief vom 5. 4. 1878 anihre Schwiegermutter, und wir erfahren auch etwas mehr über die nun sechsjährige <strong>Hedwig</strong>:„Den Kin<strong>der</strong>n steht morgen ein großes Vergnügen bevor, von dem sie aber nochNichts wißen. Es ist Kin<strong>der</strong>fest in Rosenhagen, von Bernstorffs, Meerheimbs unduns. Elisabeth macht jetzt erfreuliche Fortschritte in <strong>der</strong> Selbstbeherrschung u strebtso ernstlich, Alles gut zu machen. Ihr Lernen macht mir Freude, beson<strong>der</strong>s dasClavierspiel mit dem neuen Handleiter, wo das Handgelenk auf zwei beweglichen,gepolsterten Gabeln ruht, die immer auf 1 Stange mitreisen. Es ist für uns Beide 1große Erleichterung, u im Ueben hat E. viel Ausdauer, freut sich schon immer darauf.A.“ [Antoinette, knapp sieben] „ist jetzt sehr artig, ihre Fröhlichkeit ist eine glücklicheMitgabe fürs Leben, immer vergnügt u gefällig. <strong>Hedwig</strong>“ [sechs] „liest jetzt schon ganzfließend, u ist im Vertrauen gesagt, mit ihrer Tiefe u Treuherzigkeit ihres Papasganzer Verzug. Er sagt so oft: ‚Es ist doch garnicht möglich dem Kinde zuwi<strong>der</strong>stehen, sie ist so ganz von Herzen!’ H. U.“ [fünf] „entwickelt sich auch recht gut,hat eine große Paßion auf alles Lernen, setzt sich gern mit seiner Naturgeschichtevon Dir o<strong>der</strong> einem an<strong>der</strong>n Buch zu mir o<strong>der</strong> Agnes u läßt sich erzählen u wie<strong>der</strong>holt.Er lernt aber noch Nichts, soll diesen Sommer noch ganz <strong>der</strong> Luft leben. Isa“ [knappvier] „bekam Weihnacht v. meiner Mama ein 40jähriges Heller-Magazin geschenkt,‚mein Gesangbuch’, in dem sie einen großen Theil des Tages blättert, o<strong>der</strong> eswenigstens unterm Arm trägt.“


4Mehr wüssten wir nicht aus <strong>Hedwig</strong>s Kin<strong>der</strong>zeit, wenn uns nicht ein Bericht aus <strong>der</strong><strong>Familie</strong>ngeschichte <strong>der</strong> <strong>Familie</strong> v. Hennigs vorläge. Haben wir aus den Briefen <strong>der</strong> Elternetwas über die noch recht kleinen Kin<strong>der</strong> und über <strong>der</strong>en Entwicklung erfahren, so gibt die„Geschichte <strong>der</strong> <strong>Familie</strong> v. Hennigs“ einige Informationen auch über <strong>Hedwig</strong>s Eltern weiter:„Ihre Eltern waren echte Land-Edelleute damaliger Prägung, von ernster,tiefreligiöser Lebensauffassung und ebenso bescheidener wie sittenstrengerLebensführung. Im gleichen Sinne wurden die Kin<strong>der</strong> erzogen. ‚Mehr sein alsscheinen’ war auch in diesem Hause die überlieferte, bewährte und täglichvorgelebte Losung. Die Kin<strong>der</strong> lernten auch, gegen sich selbst hart zu werden undKümmernisse z. B. gesundheitlicher Art nicht allzu wichtig zu nehmen, son<strong>der</strong>ndagegen anzugehen.Im übrigen muss es ein fröhliches und harmonisches <strong>Familie</strong>nleben mit <strong>der</strong> grossenKin<strong>der</strong>schar gewesen sein, von dem lei<strong>der</strong> so gut wie gar keine Einzelheiten mehrbekannt sind. Aber dass die Kin<strong>der</strong>, und zwar auch die Mädels, keine Duckmäuserwaren, beweist eine Erinnerung von Gutti v. Laffert, geb. v. Blücher-Quitzenow, diespäter anscheinend noch oft erzählt wurde: als die Eltern einmal von einer Fahrtzurückkamen, sahen sie <strong>Hedwig</strong> mit ihren jüngeren Geschwistern Hans-Ulrich undIsa auf dem Dach und Schornstein des Gutshauses sitzen, was nach <strong>der</strong>englücklicher ‚Bergung’ gewisse Folgen gehabt haben soll.“<strong>Hedwig</strong> ist gerade 23 Jahre alt geworden, als sie am Tage nach ihrem Geburtstag, am 25.Januar 1895, in Radegast den 31jährigen Fritz Ernst Paridam v. Hennigs heiratet. Es ist diedritte Hochzeit in Radegast, denn 1889 hatte schon Antoinette geheiratet und 1891 Elisabeth.<strong>Hedwig</strong> und Fritz v. Hennigs bekommen sechs Söhne und eine Tochter.Bernhard v. Hennigs, einer von <strong>Hedwig</strong>s sechs Söhnen und Verfasser <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong><strong>Familie</strong> v. Hennigs, zitiert mit dem auf Seite 77 beginnenden Kapitel „Meine <strong>Familie</strong>“ auseinem von seinem Vater hinterlassenen Dokument. Die nachfolgenden Seiten hat sein EnkelDr. med. Fritz v. Hennigs fotokopiert und uns für die Homepage unserer <strong>Familie</strong> zurVerfügung gestellt. Es folgt <strong>der</strong> genannte kurze Abschnitt „Meine <strong>Familie</strong>“ (Seite 77 - 78)und danach das Kapitel über <strong>Hedwig</strong> (Seite 107 – 116):


5Fritz v. Hennigs:„Meine <strong>Familie</strong>Der gute Geist meines Vaters hat in Segen auf unseren Geschwisterkreis gewirkt. Esherrscht allgemein gutes Einvernehmen, ich selber habe das vollste Vertrauen allermeiner Geschwister. Und das ist ein wirklicher Gottessegen; Zank und Streit,namentlich um materielle Güter, unter Geschwistern ist wi<strong>der</strong>wärtig. Gott gebe, dassauch meine Kin<strong>der</strong> später dies innige Verhältnis untereinan<strong>der</strong> haben mit Techlin alsHeimat und Mittelpunkt.In den ersten Jahren in Techlin von Januar 1890 bis Frühjahr 1895 führte meineliebe, nun selig entschlafene Schwester Therese mir Wirtschaft und Haushalt. Ihrverdanke ich ausserordentlich viel, sie hat mir diese schwere Übergangszeiterleichtert, mir wirtschaftlich geholfen, und es ist nie eine Trübung des Verhältnisseseingetreten. Sie war ein gross angelegter Charakter, voller Tatkraft und doch vollerUneigennützigkeit. Klug und bescheiden. Jetzt hat sie Gottes Lohn für ihr ganz denMitmenschen gewidmetes Leben.Am 25. Oktober 1894 verlobte ich mich, am 25. Januar 1895 war die Hochzeit mitmeiner lieben Frau. Ihr verdanke ich das wahre Glück meines Lebens. Sie weiss es,und darum mache ich nicht viel Worte darüber.Die sieben Kin<strong>der</strong>, die sie mir schenkte, sind <strong>der</strong> Segen und die Freude des Hauses.Möge Gott sie uns erhalten und zu seiner Ehre und unserer Freude heranwachsenlassen.Meine viele Abwesenheit durch politische und an<strong>der</strong>e Geschäfte schob unwillkürlichdie Erziehung in die Hände meiner Frau. Über das bisherige Resultat kann ich nurmeine helle Freude und Dankbarkeit aussprechen. Mögen die lieben Kin<strong>der</strong> sich zuCharakteren auswachsen, die in <strong>der</strong> Welt mit all ihren Gefahren und immer schwererwerdenden Aufgaben ihren Mann stehen.


6Gott helfe dazu.Die Grundlage dazu – Gottesfurcht, Pflichttreue, Wahrhaftigkeit und Ehrfurcht – ist,denke ich, im Elternhause gelegt.Der Älteste, unser geliebter Hermann, hat schon früh Gelegenheit, seinemVaterlande als Mann zu dienen. Gott erhalte ihn uns.Grosse Sorge ist durch die Erkrankung meiner lieben Frau über uns gekommen. Gottmache sie gesund, sie ist mir und den Kin<strong>der</strong>n unentbehrlich.“Auf Seite 107 <strong>der</strong> <strong>Familie</strong>ngeschichte v. Hennigs beginnt das Kapitel über <strong>Hedwig</strong> v.Hennigs, geb. v. <strong>Restorff</strong>. Zunächst wird ausführlich über die <strong>Familie</strong> v. <strong>Restorff</strong> berichtet.Bernhard v. Hennigs lagen die Erinnerungen von Carl v. <strong>Restorff</strong> von 1911 und die<strong>Familie</strong>ngeschichte von Hans Friedrich v. <strong>Restorff</strong>-Rosenhagen von 1945 vor. Dieser schreibtüber die Geschichte des Gutes Radegast – <strong>Hedwig</strong>s Heimat – am Beginn des 19.Jahrhun<strong>der</strong>ts: „(...) Der Erbteil seiner Tochter Caroline ermöglichte es ihrem EhemannFriedrich Joh. P. bereits 1796, Rakow mit einigen Nebengütern zu kaufen, die 1801teilweise wie<strong>der</strong> verkauft wurden. 1803 (1802 ?) wurden von Gustav Friedrich v.Storch, dem Urgrossvater von Bertha v. <strong>Restorff</strong>, geb. v. Storch, die Güter Radegastmit Steinhagen und Rosenhagen erworben, (...)“.Zwei Absätze weiter schil<strong>der</strong>t Bernhard v. Hennigs die Eheschließung von <strong>Hedwig</strong>s Eltern,mit <strong>der</strong> sich die Radegaster Geschichte <strong>der</strong> <strong>Familie</strong> v. Storch fortsetzte:„Friedrich (Fritz) v. R. heiratete am 1. Mai 1868 in Parchow bei Kröpelin/Meckl.-Schw.Bertha v. Storch, geb. am 29. Mai 1846; durch diese Heirat zog nun also die Enkelinals Ehefrau und Gutsherrin in Radegast ein, wo ihr Grossvater August v. Storch am11. 12. 1784 geboren war, bevor das Gut von dessen Vater verkauft wurde (s. oben).Aus dieser Ehe stammten 2 Söhne und 5 Töchter. Der älteste Sohn Hans-Ulrich(1873 – 1960) erbte Radegast – sein Vater starb am 22. 9. 1913 – und verkaufte es1930 an Edmund Sellschopp. (...) Die dritte <strong>der</strong> 5 Töchter war <strong>Hedwig</strong>, von <strong>der</strong> dienachstehenden Zeilen handeln. (...)


7<strong>Hedwig</strong> v. Hennigs, geb. v. <strong>Restorff</strong>Als eigenartiges Zusammentreffen mag es erscheinen, dass <strong>Hedwig</strong> ebenso wie ihrMann an einem historischen Datum geboren wurde, allerdings nicht ihrerGeburtsheimat Mecklenburg-Schwerin, son<strong>der</strong>n ihrer künftigen Heimat Preussen: am24. Januar 1872, dem 160. Geburtstage von König Friedrich dem Grossen.“An dieser Stelle wird von <strong>Hedwig</strong>s Elternhaus berichtet. [Siehe hier Seite 4.]„Mit <strong>Hedwig</strong> zog neues Leben in Techlin ein. Nach vielen Jahrzehnten nocherinnerten sich Verwandte, die häufig und oft längere Zeit nach Techlin zu Besuchkamen, wie schnell sie es verstanden hat, sich in den neuen, grossenVerwandtenkreis einzuleben und das Erbe ihrer Schwiegereltern weiter zu pflegen:Techlin zugleich Mittelpunkt und Heimat <strong>der</strong> grossen <strong>Familie</strong> sein zu lassen. Ausspäteren mündlichen Erzählungen wie schriftlichen Äusserungen ging immer wie<strong>der</strong>das Gleiche hervor wie auch aus Briefen von damals sehr jungen Nichten, welche 5– 6 Jahrzehnte später geschrieben wurden: ‚ ... Bis 1909 bin ich fast jedes Jahrwochenlang in Techlin gewesen und immer sehr gern. Die Gastfreundschaft DeinerEltern war vorbildlich und ganz die Fortsetzung <strong>der</strong>jenigen unserer Grosseltern, aufdie ich mich auch noch sehr gut besinne ... Ihr (<strong>Hedwig</strong>) zuliebe habe ich Milchtrinken gelernt! Das wollte nämlich viel bei mir sagen.’ O<strong>der</strong>: ‚ ... Wir liebten sie(<strong>Hedwig</strong>) sehr. Sie ging so still und gewissenhaft ihren Weg, sorgte so treu für allesund alle. Vorbildlich hat sie Techlin als Heimat für die grosse <strong>Familie</strong> Eures Vaterserhalten, und seine Geschwister und ihre Kin<strong>der</strong> haben unendlich viel Schönes undLiebes in Techlin genossen. Noch heute sprechen die aus jener Zeit noch Lebendenvon den schönen Erinnerungen aus Techlin, wo sie so glückliche Zeiten verlebt ... Ichglaube, niemand von uns, <strong>der</strong> sie in den Jahren ( – <strong>der</strong> Krankheit – ) gesehen un<strong>der</strong>lebt hat, ist ohne Segen von ihr gegangen.’ O<strong>der</strong>: ‚ ... Tante <strong>Hedwig</strong> war einoffener, geradliniger Charakter ... Humor hatte sie zuweilen auch ... Damals war unsTechlin eigentlich mehr Heimat als Löwenbruch, was sich natürlich später än<strong>der</strong>te,als wir ganz dort wohnten.’ – Als das junge Paar Ostern 1895 Elisabeth und Karl v.Blücher besuchte und damit den über Jahrzehnte währenden, sehr engen


8geschwisterlich-nachbarlichen Verkehr mit Quitzenow eröffnete, hatte es den Kin<strong>der</strong>nGutti und Karl-Friedrich <strong>der</strong>artig viele Ostereier zum Verstecken mitgebracht, dassdieser Ostersegen unvergessen blieb.<strong>Hedwig</strong> war etwas kleiner als ihr Mann, hatte ebenfalls blaue Augen unddunkelblondes Haar. Wegen ihrer Galle musste sie frühzeitig Diät leben und öfterszur Kur nach Karlsbad fahren. Während <strong>der</strong> Reserve-Übungen von Fritz in Lüneburgwar sie im Frühjahr oft längere Wochen mit Hermann in Radegast, wo sie mit ihrenSchwestern“ [Elisabeth, Antoinette, Luise, genannt Isa, und Helene] „gern Tennis spielte; dabeiging es immer sehr fröhlich und lebhaft zu. Hermann verdiente sich dabei alsBalljunge Taschengeld, doch wan<strong>der</strong>te dieses ‚natürlich’ meist nicht in dieHosentasche, son<strong>der</strong>n in die Sparbüchse.Der Grundzug von <strong>Hedwig</strong>s Wesen war zweifellos auch tiefe Gläubigkeit, Güte undGerechtigkeit, die sie ihren Kin<strong>der</strong>n von allem Anfang an weiter vermittelte. Bei Tisch– obenan gegenüber <strong>der</strong> Tür – sass sie stets mit gefalteten Händen, wohl auch denKin<strong>der</strong>n zum Beispiel für Haltung und Benehmen. Als die Kin<strong>der</strong>schar heranwuchs,wurde winterabends die grosse Schnorr’sche Bil<strong>der</strong>bibel besehen, eine Sammlungalt- und neutestamentlicher Graphiken, welche die biblische Geschichte erheblicheinprägsamer vermittelten als das gehörte und gelesene Wort. Ausserdem wurde,ganz beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> Advents- und Weihnachtszeit, abends am Klavier undHarmonium gesungen, und zwar sowohl geistliche wie auch Volkslie<strong>der</strong>. Hierbeispielte <strong>Hedwig</strong> oft nach einem Notenbuch, das von ihrer Mutter geschrieben undbeson<strong>der</strong>s hübsch gesetzt war, ausserdem mit passenden Zeichnungenausgestattet. Von den täglichen Andachten war schon die Rede; in Fritz’Abwesenheit las sie selbst den Andachtstext. Das Abendgebet mit jedem Kindeinzeln war eine Selbstverständlichkeit.Die Erziehung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> lag im einzelnen, wie damals üblich, hauptsächlich bei denErzieherinnen und Hauslehrern bzw. –lehrerinnen. <strong>Hedwig</strong> hat sie aber stets nachbeiden Seiten hin überwacht. So musste ihr ‚Ältester’ sie z. B. nach seinemVormittags-Unterricht oben an <strong>der</strong> Treppe erwarten, wenn sie von <strong>der</strong>Wirtschaftsbesprechung heraufkam, und gleich vom Tun und Lassen be(r)ichten,worauf Lob und Tadel o<strong>der</strong> mehr auf dem Fusse folgten. Während <strong>der</strong> Mahlzeiten


9durften die ‚unten’ bei ihren Erziehern sitzenden Kin<strong>der</strong> nicht ungefragt reden, wasspäter allerdings die Überwindung einer gewissen Scheu erfor<strong>der</strong>te. Auch nahm sieoft indirekt am Unterricht <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> teil, indem sie sich währenddessen an ihrenSchreibtisch im Saal zur Bewältigung ihres sehr umfangreichen Schriftwechsels mitdem grossen Verwandten- und Freundeskreise setzte. Gerade in diesemZusammenhange zeigte sich wie<strong>der</strong>holt, dass sie durchaus nicht nur eine strengeMutter mit lockerem Handgelenk war, die unter ihren immer grösser undunternehmungslustiger werdenden Jungen auf Zucht, Ordnung und grossePünktlichkeit sah, son<strong>der</strong>n dass sie auch Verständnis für ihre kindlichen Nöte hatte:wenn sie nämlich rechtzeitig vorher gefragt wurde, ob sie vielleicht diesen Vormittagauch wie<strong>der</strong> zu schreiben habe, und auf Rückfrage die kritische Zeit betreffs einerwahrscheinlich verhauenen Arbeit o<strong>der</strong> eines schweren lateinischen Stückes erfuhr,erschien sie in <strong>der</strong> Regel rechtzeitig und setzte sich still an ihre Schreibarbeit. Dennauch die Lehrer hatten teilweise ein lockeres Handgelenk. – Im übrigen wurden anden langen Winterabenden gemeinsame Gesellschaftsspiele gespielt, wobei <strong>Hedwig</strong>vielfach kleine Preise in Form von 1 Praliné o<strong>der</strong> Fondant o. ä. aussetzte und nachdem Motto ‚corriger la fortune’ dafür sorgte, dass zum Schluss keiner ohne Preisausging, es sei denn: mit guten Grund! Ausserdem wurden in den AdventswochenNüsse vergoldet und sonstiger Baumschmuck entwe<strong>der</strong> hergestellt o<strong>der</strong> wie<strong>der</strong> inOrdnung gebracht und die für den Techliner Weihnachtsbaum so charakteristischenRosen aus rosa Seidenpapier hergestellt, während die weißen Lilien aus Bethelbezogen wurden. Auch mussten die kleinen Finger natürlich lernen, kleineGeschenke mit Schere, Buntpapier, Klebe usw. selbst zu fertigen.In <strong>der</strong> guten Jahreszeit waren die Kin<strong>der</strong> in den Freistunden meist draussen, spieltendie überall bekannten Spiele und wurden mit <strong>der</strong> Zeit immer selbständiger un<strong>der</strong>findungsreicher, zum Beispiel im ‚Soldatspielen’ und ‚Auf-Jagd-gehen’ mitselbstgeschnitzten Holzgewehren, wobei die Erfahrungen und Beobachtungen <strong>der</strong>älteren Brü<strong>der</strong>, die schon mal als Begleitung eines Schützen auf Gesellschaftsjagdmitgenommen wurden, <strong>der</strong> Phantasie reiche Nahrung boten. Bei anhaltendschlechtem Wetter in <strong>der</strong> warmen Jahreszeit bot <strong>der</strong> grosse Boden unter dem hohenSpitzdach des Gutshauses reichlich Gelegenheit zu den verschiedensten Spielenusw., beson<strong>der</strong>s dann, wenn hierfür <strong>der</strong> Inhalt <strong>der</strong> verschiedenen Kammern mit altemHausrat, Uniformen, Fahnen, Waffen pp. auf seine Verwendungsmöglichkeit


10jungenhafter Beschäftigung geprüft werden durfte. Bei alledem griff <strong>Hedwig</strong> nur ein,wenn dabei ‚Unsinn’ herauskam o<strong>der</strong> drohte. Sonst liess sie den Kin<strong>der</strong>n vielFreiheit. Wesentliche Voraussetzungen hierfür waren die schon erwähnte unbedingtePünktlichkeit und Ordnung, auf denen sich auch <strong>der</strong> ganze Haushalt aufbaute, sowieeinfache und praktische Kleidung, die für die Jungen aus ballenweise bezogenembraunem Manchester-Samtstoff im Matrosenanzug-Schnitt im Hause gefertigt wurdeund das Klettern auf Bäume wie über Zäune usw. lange aushielt. Im Sommer warenes vorwiegend einfache schilfleinene o<strong>der</strong> blau-weiss gestreifte Matrosen-Anzügeaus Waschleinen. Im Frühjahr und Herbst wurden die Truhen zum Anprobieren <strong>der</strong>Sommer- und Winter-Anzüge geöffnet und alle Sachen, soweit möglich, vom älterenauf den nächstjüngeren Bru<strong>der</strong> vererbt. Später kam jeweils eine Sendung fertigerAnzüge aus Berlin zur Auswahl, beson<strong>der</strong>s wenn einer <strong>der</strong> Söhne für Brandenburgeingekleidet werden musste. Dem gleichen Zwecke ‚einfach und praktisch’ dienteauch die Tatsache, dass <strong>Hedwig</strong> allen Kin<strong>der</strong>n einschliesslich Ulrike eigenhändig dieHaare kurz schor.Wenn Strafen nötig gewesen waren, erzählte <strong>Hedwig</strong> oft lachend den anwesendenVerwandten den Zusammenhang. Als einer <strong>der</strong> älteren Söhne, noch ziemlich klein,trotz Mahnung nicht gehorchen, son<strong>der</strong>n verhandeln wollte und spitzbübisch fragte:‚Wie lange haust du mich denn?’, hatte er die Antwort im Nu auf seinem Hinterteil.Ein an<strong>der</strong>er biss gelegentlich seine älteren Brü<strong>der</strong>, wenn er sich gegen Neckereiennicht an<strong>der</strong>s zu helfen wusste; nach vergeblichem Verweis wurde er dann einesTages von <strong>der</strong> Mutter selbst tüchtig gebissen, so dass es ein Mordsgeschrei gab. Diegrösser gewordenen Jungen mussten natürlich gelegentlich auch mit strengerenStrafen Bekanntschaft machen. Aber man muss auch berücksichtigen, dass <strong>der</strong>Raum im Haus, Garten und später auch in Hof und Feld zu gross war, als dassimmer alles sofort an die mütterlichen Ohren drang. So galten solche härterenStrafen wohl häufig auch für an<strong>der</strong>e Fälle mit und dienten zugleich den zufällig nichtB(G)etroffenen als Lehre. Bei sehr strenger Bestrafung gab es hinterher sofort einigeSchlucke Wasser zur Beruhigung <strong>der</strong> Nerven. – Selbstverständlich gab es auchan<strong>der</strong>e Strafmöglichkeiten. Da die 4 Söhne Joachim bis Richard damals fastunzertrennlich mit den etwa gleichaltrigen Söhnen Friedel und Heini des Gärtner-Försters Meyer zusammen spielten, gab es zu <strong>der</strong> Zeit kaum eine empfindlichereStrafe als ein Spielverbot mit diesen beiden. Es war die Zeit des Soldatspielens und


11Jagens mit Holzgewehren. Zu <strong>der</strong> erstgenannten Beschäftigung, die sich zunächst inund um eine Erdhöhle im Garten abspielte, erbaut von Hermann und seinem SchulundSpielkameraden Paul Holzhauer (Sohn des benachbarten staatl. Hegemeistersin Stubbendorf), hatte sich allmählich die ganze männliche Dorfjugendherangefunden. Es ging dabei höchst diszipliniert zu; alle waren mit einerBohnenstange ‚beritten’. Der selbstgewählte Name war: ‚1. Freies Ulanen-Regiment’;Chef war Joachim als ältester, dessen Würde ab 1913 durch seine Kadetten-Uniformund das Reiten auf dem Pony Moritz noch erheblich stieg. Diese ‚Truppe’veranstaltete im Sommer 1912 z. B. hinter <strong>der</strong> ‚Neuen Scheune’ ein Drachensteigen,zu dem alle Anwesenden einschl. Gäste gegen Eintrittsgeld eingeladen waren. Daseingenommene Geld wan<strong>der</strong>te allerdings grossenteils sofort in Mutters stets bereitgehaltene Missions-Büchse.Die Erzieherinnen und Hauslehrerinnen jener Jahre waren teilweise sehr streng.Allerdings, wie Joachim sich erinnert: ‚Jede Gehorsamsfor<strong>der</strong>ung in meinemElternhause war unabdingbar, ebenso die strenge Pflichterfüllung bei Gross undKlein.’ Wie <strong>Hedwig</strong> sich <strong>der</strong> Sorgen ihrer Sprösslinge annahm, geht aus <strong>der</strong>gleichzeitigen Bemerkung hervor, dass die Jungen zitternde Angst hatten, wenn ihreMutter mal verreiste und sie damit <strong>der</strong> Erzieherin schutzlos ausgeliefert waren.Streng mit sich selbst und einfach in ihren persönlichen Ansprüchen, ohne es andem Notwendigen fehlen zu lassen, so erzog <strong>Hedwig</strong> ihre Kin<strong>der</strong> und lebte es ihnenselbst vor.Von dem Ablauf des normalen Arbeitstages von Fritz war bereits die Rede“ [Anm.: in<strong>der</strong> <strong>Familie</strong>ngeschichte v. Hennigs]. „<strong>Hedwig</strong> stand etwas später auf, auch z. B. dann, wennihre Mutter aus Radegast zu Besuch da war und als Frühaufsteherin schon vor demFrühstück um 8.30 Uhr im Garten spazieren ging. Vormittags erfolgte die Ausgabe<strong>der</strong> benötigten Vorräte an Mehl, Zucker usw. für mehrere Tage an die Küche aus denTonnen und Behältern in den Vorratskammern. Dann war die Wirtschafts-Besprechung mit <strong>der</strong> Mamsell und kurz vor dem Essen um 12.30 Uhr die Kontrolle<strong>der</strong> Mahlzeit. War Fritz abwesend, so tranchierte <strong>Hedwig</strong> bei Tisch auch dengrössten Braten selbst. Ausserhalb <strong>der</strong> Nachmittagsruhe wurde die übrige Zeit mitden sonstigen Pflichten <strong>der</strong> Haus- und Gutsfrau ausgefüllt: neben dem regenBriefwechsel die Betreuung und Überwachung des Gartens mit den zahlreichen


12Anlagen für Blumen, Obst und Gemüse, <strong>der</strong> Fe<strong>der</strong>vieh- und Milch-Wirtschaft, soweitsie vom Hause aus betreut wurden, und ganz beson<strong>der</strong>s nicht nur die Pflege <strong>der</strong>eigenen kranken Kin<strong>der</strong> und <strong>der</strong> sonstigen Hausbewohner, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong>kranken, alten und hilfsbedürftigen Bewohner des Dorfes, die weitgehend auf dieHilfe <strong>der</strong> Gutsherrschaft angewiesen waren. Das gehörte zu <strong>der</strong>en Obliegenheiten. Inden Verträgen <strong>der</strong> Gutsleute hiess es damals: ‚Arzt und Apotheke frei’, was z. B auchdie Hebammen-Fuhren einschloss. Der Arzt in Tribsees, ca. 3 – 4 km entfernt bei z.T. – je nach Jahreszeit – schlechtesten Wegen, von denen sich heute wohl kaumnoch jemand ein Bild machen kann, war nicht immer gleich zu haben und mussteauch stets mit Pferdewagen geholt und zurückgebracht werden, so dass er an einemTage nicht allzu viel schaffte. Krankenkassen gab es da auch noch nicht, son<strong>der</strong>n<strong>der</strong> Landarzt bekam vom Gut eine jährliche Pauschale. So lag es auf <strong>der</strong> Hand, dassdie meisten Fälle ohne Arzt auskuriert werden mussten. Hierfür diente eineumfangreiche Haus-Apotheke im Format eines kleinen Klei<strong>der</strong>schrankes. Natürlichblieb es nicht aus, dass schwere Krankheitsfälle beson<strong>der</strong>er Pflege bedurften unddann auch Nachtwachen von <strong>Hedwig</strong> selbst übernommen wurden. Aber diesesFüreinan<strong>der</strong>einstehen in Not und Gefahr band ‚Herrschaft und Leute’ mehrzusammen als die spätere Entwicklung mo<strong>der</strong>ner Rechtsansprüche. Denn auch fürdas Altenteil wurde gesorgt und niemand brauchte nach arbeitsvollem Leben aufdem Gut im Armen- o<strong>der</strong> Siechenhause zu enden.Neben diesen laufenden Obliegenheiten standen die periodischen wie die grosseWäsche einmal im Monat eine ganze Woche lang mit zahlreichen Dorffrauen, wobei<strong>Hedwig</strong> nicht nur bei <strong>der</strong> Wäsche selbst half, son<strong>der</strong>n anschliessend jedes Stück 1 –2mal in die Hand nahm und durchprüfte, bevor alles wie<strong>der</strong> in die Schränkewan<strong>der</strong>te. Viel Wäsche war auch noch aus Techliner selbstgesponnenem Flachs ausHermanns und Ernestines Zeit vorhanden; die restlichen Bestände davon wan<strong>der</strong>tensogar noch in die Haushaltungen <strong>der</strong> Enkelkin<strong>der</strong>! Weiter gehörten zu diesenperiodischen Arbeiten die grossen Schlachtereien, die den umfangreichen Haushaltfür das ganze Jahr versorgen mussten, und die wochenlange Weihnachts-Bäckerei,<strong>der</strong>en Segen sich bis in die weitere Verwandtschaft und Bekanntschaft ergoss. DieHandwerker und Geschäfte in Tribsees, die Post, die Eisenbahn, Schornsteinfegerusw. und natürlich auch Pastor und Küster, Gemeindeschwester und Gendarmdurften nicht vergessen werden! – Zur Abrundung sei an dieser Stelle erwähnt, dass


13etwa alle 2 Jahre die Fussböden in den Zimmern, auf den Fluren und imTreppenhaus mit Farbe gestrichen werden mussten, was beson<strong>der</strong>s wegen <strong>der</strong> dannunbenutzbaren Treppe einige Schwierigkeiten machte, zumal da nur zum 1. Stockeine kleine Hintertreppe führte. In dieser Zeit waren natürlich Gäste nichtunterzubringen. Aber sonst füllten Gäste und Ferienkin<strong>der</strong> im Sommer wochenlangdas Haus. Undenkbar für die heranwachsende Jugend war das Weihnachtsfest ohneTante Röschen (‚Ta.Rö.’), Fritz’ unverheiratete Schwester Rosamunde, Stiftsdame imadeligen Stift zu Barth an <strong>der</strong> Ostsee. Sie blieb oft wochen- o<strong>der</strong> monatelang. Dassaber nebenher immer noch Zeit für den nachbarlichen Verkehr teils nachmittags in<strong>der</strong> Nähe, teils auch abends mit Wagenfahrten von weit über eine Stunde blieb, seihier nochmals erwähnt. Soweit die Kin<strong>der</strong> mitfuhren, was u. a. wegen des damitverbundenen zusätzlichen Ostereier-Segens o. ä. sehr beliebt war, lernten sie esfrühzeitig, im schuckelnden, dunklen Wagen auch über tiefe Schlaglöcher hinwegden Schlaf gesun<strong>der</strong> Jugend zu geniessen, ohne im warmen Bett zu liegen. Von dengrösseren Festlichkeiten, beson<strong>der</strong>s den Jagddiners, welche die Kin<strong>der</strong> schon frühmitmachen durften, war bereits die Rede. Deren Hauptbestreben dabei war es, vonden als Mundschenk fungierenden Diener[n] Ludwig Krüger und Förster Fritz Meyerihre kleinen Gläschen immer wie<strong>der</strong> unauffällig füllen zu lassen. –Das war Techlin bis 1914. Beide Eltern waren in ihrer ganzen Lebenshaltung solide,sparsam und bescheiden. So wie Fritz zwar niemals knauserig, aber wahrhaftgrosszügig doch nur im Ausbau seiner Wirtschaft war und im übrigen nichtverleugnete, dass er ein ‚kleiner pommerscher Landedelmann’ sei, so wusste auch<strong>Hedwig</strong> sehr genau zu rechnen und drehte jeden Pfennig um, wenn die praktischeund rationelle Anlage nicht ganz sicher schien. Was aber notwendig war, wurdeangeschafft; denn an Mitteln hierfür hat es nie gefehlt. Sieben Kin<strong>der</strong> wollen jedochversorgt sein.Unglücklicherweise legten sich in den letzten Julitagen 1914 die meisten Kin<strong>der</strong> mitMasern zu Bett. <strong>Hedwig</strong> übernahm selbst die Pflege. Aus den ersten Kriegstagenund –wochen ist erinnerlich, welche Aufregung die Möglichkeit auslöste, dass auf <strong>der</strong>neuen, etwas abseits vom grossen Verkehr gelegenen Demminer Chaussee Autosmit Spionen und ausländischem Gold zu entkommen versuchen könnten.Entsprechende ‚Jagd’ und Wegesperren waren die Folge. Als dann die Russen


14immer weiter in Ostpreussen eindrangen, wurden im Garten von <strong>Hedwig</strong> sehr resolutSchiessübungen mit den vorhandenen Trommelrevolvern veranstaltet, bis dieSiegesmeldung von Tannenberg diese Sorge verscheuchte. Aber <strong>Hedwig</strong>, auf <strong>der</strong>enSchultern nun so viel zusätzliche Verantwortung in Techlin lastete, hatte sich an denMasern <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> selbst angesteckt. Die Krankheit wurde schwer und schlug nachinnen. Ohne ausreichende Schonung und Erholung in ihrem grossen Pflichtenkreisstehend, beachtete sie auch nicht den Husten, <strong>der</strong> sie nicht wie<strong>der</strong> verliess. Als Fritzsich Anfang 1915 mit ihr in Berlin traf und ihren jammervollen Zustand sah, ging ermit ihr sofort zum Lungenfacharzt. Auf seinen Rat fuhr <strong>Hedwig</strong> unmittelbar in einSanatorium in Ebersteinburg bei Baden-Baden. Als Vertretung für den Haushalt inTechlin und die Kin<strong>der</strong> kam die 23-jährige Nichte Gisela v. Guretzky-Cornitz ausPotsdam. Ständig zuhause waren ja nur noch Bernhard und Richard und die beiden‚Kleinen’, Ulrike und Albrecht. Ist <strong>der</strong> damaligen Jugend diese Zeit <strong>der</strong> grösserenFreiheit auch in schönster Erinnerung geblieben, so ist sie sich naturgemäss desernsten Hintergrundes nicht bewusst geworden und hat Gisela ihrverantwortungsvolles Amt sicher nicht erleichtert. Im Herbst 1915 kam Bernhard aufdie Ritterakademie und gleichzeitig Richard nach Doberan, später ins Kadettenkorpsnach Potsdam. Mit Zwischenaufenthalten in Techlin war <strong>Hedwig</strong> nochmals längereZeit in Ebersteinburg und später in St. Blasien im südlichen Schwarzwald. Überallwar sie bestens aufgehoben, aber Heilung fand sie nicht. Man kann sich unschwervorstellen, was sie in diesen bitteren Jahren innerlich durchgemacht hat: fern <strong>der</strong>Heimat mit ihrem gerade im Kriege beson<strong>der</strong>s wichtigen Pflichtenkreise, denEhemann und ältesten Sohn im Felde bzw. Polen wissend, mit allen meist nur nochim brieflichen Kontakt, den sie natürlich auch mit den verantwortlichen Angestellten inTechlin sowie dem großen(!) Kreise von Verwandten und Freunden aufrechterhielt.Gelegentliche Besuche von Fritz und Hermann in kurzen Urlaubstagen kamen vor,aber selten genug. Es war unglücklich, dass gerade in diesen schweren Jahren, indenen sich die älteren Söhne immer reifer entwickelten, die unmittelbare Führungbei<strong>der</strong> Eltern fehlte und <strong>der</strong> Briefverkehr mit den verschiedenen Stellen, zu denenschliesslich auch diverse Tanten und Nenntanten zählten, die in diesen Notjahren inTechlin Unterschlupf gefunden hatten, je länger je mehr zu Missverständnissen undUnstimmigkeiten führte. Vielleicht wäre die Krankheit noch zu heilen gewesen, wenn<strong>Hedwig</strong> von Anfang an in die Schweiz gekommen wäre. Aber je<strong>der</strong> wird billigerweiseden Entschluss gelten lassen, in dieser ungewissen Kriegszeit nicht auch noch


15ausser Landes gehen zu wollen, zumal da auch in den deutschen Heilstättendurchaus Erfolge erzielt wurden. Erst als diese Hoffnung sich 1918 als endgültigtrügerisch herausstellte, kam <strong>der</strong> Entschluss zustande, nach Davos zu gehen. Überdie Abfahrt von Berlin, das gerade durch das Fieber <strong>der</strong> November-Revolution unddes Kriegsendes geschüttelt wurde, ist bei Fritz schon berichtet worden Wie<strong>der</strong> alsofolgten 10 Monate Abwesenheit und Kur. Aber auch diese Zeit brachte wohl einenStop, jedoch nicht die Heilung <strong>der</strong> Krankheit. Von ihrer Rückkehr Anfang September1919, <strong>der</strong> Feier von Fritz’ 56. Geburtstag und seinem schnellen Tode war schon dieRede.“ Dieser Text über Fritz v. Hennigs liegt uns nicht vor, wohl aber ein Foto von diesemdenkwürdigen Tage:Zur Feier des 56. Geburtstages von Fritz v. Hennigs 1919 – von links nach rechts:Sitzend: Ingeborg v. H.; Jenny v. d. Knesebeck, geb. v. H.; <strong>Hedwig</strong> v. H., geb. v. <strong>Restorff</strong>; Lothar v. d.Knesebeck-Loewenbruch; Rosamunde v. H. (Ta.Rö.); Wilhelm v. d. Knesebeck; Frl. Engler (Hausdame);Stehend: Bernhard, Joachim, Fritz, Hermann, Hans-Christoph, Richard, Frl. Beese (Hauslehrerin);Liegend: Albrecht, Ulrike.Fritz und Hermann mit dem E.K.I von 1914/18, beide Knesebeck-Brü<strong>der</strong> mit dem E.K.II von 1870/71.Von den fast 25 Jahren glücklicher Ehe waren die letzten 5 durch Trennung, Kriegund Krankheit tief überschattet. Die 4 Wochen <strong>der</strong> Pflege ihres Mannes gaben ihreine letzte Gelegenheit, mit ihm über vieles im direkten Gespräch ihre Gedankenauszutauschen, wozu in den letzten Jahren kaum Gelegenheit gewesen war. Mit


16grosser Kraft trug sie diese schwersten Tage ihres knapp 48-jährigen Lebens. 1Sicher nicht jede Frau in dieser Lage wäre dazu fähig gewesen, im Anschluss an dieBeisetzung ihres Mannes den von ihm als seinen politischen Nachfolgerausersehenen Herrn v. B. unter 4 Augen in ein ernstes Gespräch zu ziehen und ihmletzte, schriftlich nicht festgehaltene Gedanken eindringlich zu übermitteln.<strong>Hedwig</strong> stand nun allein als Mutter, Hausfrau und Gutsherrin vor schwerwiegendenEntschlüssen. Von den 7 Kin<strong>der</strong>n war nur Hermann mündig, durfte aber lautTestament das Gut erst in etwa 1 ½ Jahren übernehmen und musste diese Zeit zurErlernung <strong>der</strong> Landwirtschaft nutzen. Joachim, s. Zt. ebenfalls bei den 17. Dragonernin Ludwigslust, wollte nun Landwirt werden. Hans-Christoph stand vor dem Abiturund wollte zur Forst. Bernhard – in Obersekunda – war kurz vor seines Vaters Todeauf <strong>der</strong> Ritterakademie an einem Lungenspitzen-Katarrh erkrankt und vorläufig ansBett gefesselt. Die 3 Jüngsten hatten noch eine lange Schulzeit vor sich.In dieser Lage war Klarheit über den eigenen Gesundheitszustand oberstes Gebot.Sollte sie wie<strong>der</strong> nach Davos fahren? Sie stellte ihren Arzt, Prof. Burkhard, Chefarztam Elisabeth-Krankenhaus in Berlin, <strong>der</strong> sie seit Jahren beriet, vor diese Frage mit<strong>der</strong> Bitte um offene Antwort. Sie lautete: mit Davos vielleicht noch 4 Jahre, ohneDavos noch etwa 2. So entschied <strong>Hedwig</strong> sich dafür, in Techlin zu bleiben. DieserEntschluss entzieht sich ebenso wie <strong>der</strong>jenige von 1915 und später, während desKrieges nicht ausser Landes zu gehen, je<strong>der</strong> nachträglichen Kritik. Wenn doch schondas Ende abzusehen war, dann wollte sie diese letzten Jahre wenigstens noch ausmöglichst unmittelbarer Nähe die Mutter ihrer Kin<strong>der</strong>, Mittelpunkt des grossen<strong>Familie</strong>nkreises und, soweit ihre Kräfte dazu reichten, auch noch Hausfrau undGutsherrin sein und die Übergangszeit bis zum Neubeginn durch ihren ältesten SohnHermann überwachen und erleichtern. So ist es auch völlig klar, dass alles, was sienun noch tat, ganz beson<strong>der</strong>s richtungweisend und beispielhaft für die Zukunft ihrerKin<strong>der</strong> bestimmt war.Zunächst ging das tägliche Leben seinen Gang weiter. Eine gute Hausdame, Frl.Engler, und die schon viele Jahre anwesende Hauslehrerin, Frl. Marie Beese,sorgten für den Haushalt sowie Unterricht und Erziehung <strong>der</strong> ‚Kleinen’. Die1 <strong>Hedwig</strong>, * 24. 1. 1872, † 11. 6. 1922, wurde nach E. v. S., II, S. 66, 50 Jahre alt.


17letztgenannte übernahm ausserdem die anwachsende landwirtschaftlicheBuchführung. Auch ein Hauslehrer kam bald wie<strong>der</strong> hinzu. Ausserdem waren nochzwei Nenntanten Frl. v. Schleinitz, Freundinnen von Therese und Ingeborg, ausBerlin in Anbetracht <strong>der</strong> Notjahre in <strong>der</strong> Stadt als Dauergäste geblieben. <strong>Hedwig</strong>musste viel liegen und hatte sich schon 1917 vor dem Schlafzimmer amSüdostgiebel eine geschlossene Liege-Veranda, das ‚Schwalbennest’, anbauenlassen. Aber sie konnte doch zwischendurch in Haus und Garten nach dem Rechtensehen und viel lesen und schreiben; ihre abwesenden Kin<strong>der</strong> erhielten zunächstzweimal, später einmal wöchentlich Post. Die Kräfte liessen aber langsam nach undzwangen sie immer mehr, zu liegen und sich von allem, was geschah, mündlichberichten zu lassen, was häufig zu zusätzlichen Sorgen führte, die <strong>der</strong> Krankenbesser ferngehalten worden wären.Am 1. Juli 1921 konnte Hermann das Gut selbst übernehmen und hat zunächst nochviel über Tagesfragen ebenso wie über die jüngeren Geschwister und <strong>der</strong>en Zukunftmit seiner Mutter sprechen können. Im Herbst 1921 kam auch Ulrike aus dem Hausenach Heiligengrabe, so dass Albrecht allein zurückblieb. <strong>Hedwig</strong> liess ihn weiterregelmässig an ihr Krankenbett kommen, erzählte ihm Geschichten o<strong>der</strong> gab ihmRätsel auf. Allmählich kürzte sie aber diese Besuchsstunde immer mehr, damit erseine Mutter später nicht noch mehr vermisse als so schon, wie sie sich einer nahenVerwandten gegenüber äusserte. Aber dann konnte sie das Bett gar nicht mehrverlassen. Eine kritische Nacht im Februar ging noch vorüber und gab den Anlassdazu, mit Hermann die Übernahme <strong>der</strong> Vormundschaft für seine 6 unmündigenGeschwister zu vereinbaren. Ostern waren alle Kin<strong>der</strong> zum letzten Male an ihremKrankenbett versammelt. Die letzten Pflegewochen war ihre Schwester Antoinette v.Guretzky-Cornitz in Techlin. Am 11. 6. 1922 wurde <strong>Hedwig</strong> nach 8-jähriger Krankheiterlöst. Am 14., einem strahlenden Sommertage, wurde sie in Gegenwart aller ihrerKin<strong>der</strong> sowie zahlreicher Verwandter und Nachbarn an <strong>der</strong> Seite ihres Mannesbeigesetzt.“Aus: Bernhard v. Hennigs: Geschichte <strong>der</strong> <strong>Familie</strong> v. Hennigs.


18<strong>Hedwig</strong>s Kin<strong>der</strong>1. Hermann Fritz, geboren am 26. 01. 1896,2. Joachim Theodor, geboren am 27. 03. 1901,3. Hans-Christoph Wilhelm, geboren am 06. 07. 1902,4. Bernhard Lothar, geboren am 10. 09. 1903,5. Richard Wilhelm Albert, geboren am 20. 04. 1905,6. Ulrike Bertha Helene, geboren am 08. 08. 1908, und7. Albrecht Helmut Traugott, geboren am 12. 05. 1911,alle geboren in Techlin, Kreis Grimmen.Über Hermann v. Hennigs berichtet die <strong>Familie</strong>ngeschichte v. Hennigs:„Hermann war zu Beginn des Ersten Weltkriegs bei den 16. Dragonern in Lüneburgeingetreten. Er hatte den Krieg unverwundet überstanden. Nach dem Tode seinesVaters 1919 fiel auf ihn als den ältesten Sohn die Verantwortung für seine todkrankeMutter und seine sechs unmündigen Geschwister. 1921 übernahm Hermann dasväterliche Gut Techlin, wo er mit großem Erfolg den Betrieb durch die schwerenNachkriegsjahre brachte.“ Hermann war bei <strong>der</strong> Übernahme von Techlin 25 Jahre alt.Hermann und sein jüngerer Bru<strong>der</strong> Joachim heirateten später zwei Töchter aus Rosenhagen:Hermann v. Hennigs, geboren am 26. 1. 1896, heiratete am 4. Juni 1926 in Rosenhagen diedamals 21jährige Eva v. <strong>Restorff</strong>, und sein jüngerer Bru<strong>der</strong> Joachim v. Hennigs, geboren am27. 3. 1901, heiratete am 6. November 1928 in Rosenhagen die 26jährige Brigitte v. <strong>Restorff</strong>.Nach <strong>der</strong> Verlobung und Vermählung dreier <strong>Restorff</strong>-Geschwister mit drei Stenglin-Geschwistern im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t fanden nun im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t in Rosenhagen dieHochzeiten zweier Hennigs-Brü<strong>der</strong>, Söhne von <strong>Hedwig</strong> aus Radegast, mit zwei <strong>Restorff</strong>-Schwestern statt. Es ist denkbar, dass Krafft v. <strong>Restorff</strong>-Rakow zur Hochzeit seines FreundesJoachim, mit dem er in München studiert und von dort aus eine Italienreise unternommenhatte, das Gedicht über die „Drei Fenster“ verfasst hat. [S. unter Rakow.]Abschrift,Übertragung <strong>der</strong> Briefe und ZusammenstellungMCWvR / April 2007

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