Dossier - Klimawandel & Gerechtigkeit
Dossier - Klimawandel & Gerechtigkeit
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XIV<br />
<strong>Dossier</strong> <strong>Klimawandel</strong> und <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
Prof. Dr. Johannes Müller<br />
ist Leiter des Instituts für Gesellschaftspolitik<br />
(IGP) und Professor für Sozialwissenschaften<br />
und Entwicklungspolitik<br />
an der Hochschule für Philosophie<br />
in München.<br />
Dr. Michael Reder<br />
ist Mitarbeiter des IGP und Dozent für<br />
Sozial- und Religionsphilosophie an der<br />
Hochschule für Philosophie in München.<br />
Prof. Dr. Dr. Johannes Wallacher<br />
ist Mitarbeiter des IGP und Professor für<br />
Sozialwissenschaften und Wirtschaftsethik<br />
an der Hochschule für Philosophie<br />
in München.<br />
wandel reduziert und die Fähigkeit<br />
erhöht, nicht vermeidbare<br />
Auswirkungen menschenwürdig<br />
zu bewältigen. Wesentliche<br />
Grundlage für eine Erweiterung<br />
von Handlungsvermögen ist ein<br />
verbesserter Zugang zu Einrichtungen,<br />
die den spezifischen Bedürfnissen<br />
der Armen Rechnung<br />
tragen, angefangen von<br />
medizinischer Versorgung und<br />
Bildungseinrichtungen bis hin<br />
zu politischen Teilnahme- und<br />
Teilhabemöglichkeiten und der<br />
Beteiligung an Produktions- und<br />
Marktprozessen.<br />
Umweltschutz vor Ort ist in diesem<br />
Zusammenhang ein wesentlicher<br />
Aspekt. Angepasste<br />
Formen der Land- und Forstwirtschaft,<br />
die durch Mischkulturen,<br />
Aufforstung oder traditionellen<br />
Regenfeldanbau die<br />
Degradierung oder Versalzung<br />
von Böden stoppen oder sogar<br />
rückgängig machen, können die<br />
Wasserversorgung sichern und<br />
Grundlagen für kleinbäuerliche<br />
Strukturen erhalten. Zudem<br />
wirtschaften kleinbäuerliche<br />
Betriebe in der Regel arbeitsintensiver<br />
und sind besser als große<br />
Betriebe imstande, breitenwirksames<br />
landwirtschaftliches<br />
Wachstum zu erreichen.<br />
Zweitens können die Armen ihr<br />
Handlungsvermögen nur sehr<br />
bedingt allein und aus eigener<br />
Kraft stärken. Sie sind vielmehr<br />
weithin auf unterstützende Institutionen<br />
und Hilfe angewiesen.<br />
Dabei geht es vor allem um<br />
politische, rechtliche und wirtschaftlicheRahmenbedingungen,<br />
die das Potenzial und die Eigeninitiative<br />
„von unten“ fördern<br />
und stärken, angefangen<br />
von den Menschen und Kommunen<br />
über die jeweiligen Staaten<br />
und ihre regionalen Zusammenschlüssen<br />
bis hin zu<br />
den globalen Strukturen. So sehr<br />
es nämlich auf die Menschen<br />
selbst ankommt – ohne förderliche<br />
Rahmenbedingungen ruhen<br />
alle Bemühungen von unten<br />
auf brüchigem Grund.<br />
Eine besondere Rolle kommt einer<br />
fairen Weltwirtschaftsordnung<br />
zu, die die Eigenkräfte und<br />
das Einkommen der Armen<br />
nicht unter dem Vorwand einer<br />
unausweichlichen Globalisierung<br />
schwächt. So besteht<br />
gegenwärtig die Gefahr, dass es<br />
zu einer Flächenkonkurrenz<br />
zwischen der Produktion von<br />
Nahrungsmitteln einerseits und<br />
Biomasse-Trägern für vermeintlich<br />
umweltfreundliche Energie<br />
andererseits kommt. Wenn dies<br />
zur Folge hätte, dass die Armen<br />
weniger Zugang zur Nahrung<br />
haben, sei es, weil sie weniger<br />
Land für die Eigenproduktion<br />
haben, sei es weil sie importierte<br />
Nahrungsmittel nicht bezahlen<br />
können, so wäre dies ethisch<br />
nicht hinnehmbar. Hinzu<br />
kommt die Gefahr einer beschleunigten<br />
Abholzung tropischer<br />
Wälder, um Land für den<br />
Anbau devisenbringender Biomasse<br />
zu gewinnen, was wiederum<br />
den <strong>Klimawandel</strong> beschleunigen<br />
würde. Neue Studien<br />
warnen außerdem vor einer<br />
massiven Wasserknappheit,<br />
sollte die Produktion von Kraftstoff<br />
aus Biomasse weiter steigen.<br />
Dieses Beispiel zeigt sehr<br />
plastisch, wie komplex der Zusammenhang<br />
von <strong>Klimawandel</strong><br />
und Armut ist, und dass es vielfältige<br />
Rückkoppelungen gibt,<br />
die teilweise noch nicht genügend<br />
erforscht sind.<br />
Drittens wird eine nachhaltige<br />
Verknüpfung von Klima- und<br />
Armutspolitik nur dann gelingen,<br />
wenn man die Menschen<br />
vor Ort mit ihren jeweiligen sozio-kulturellen<br />
Traditionen<br />
ernst nimmt. Menschen han-<br />
Zunehmende Dürren lassen<br />
Ernten immer magerer ausfallen.<br />
© Meissner/Misereor<br />
deln nie nur nach individuellen<br />
Werten, sondern orientieren<br />
sich in ihrem Verhalten weithin<br />
an ihrem gesellschaftlichen<br />
Umfeld. Bei der Entwicklung politischer<br />
Klimastrategien muss<br />
man deshalb darauf achten,<br />
dass diese sozio-kulturell anschlussfähig<br />
sind. Nur dann<br />
werden die betroffenen Menschen<br />
die Klimapolitik zu ihrer<br />
eigenen Sache machen.<br />
So enthalten etwa Religionen in<br />
ihren Quellen und Traditionen<br />
Weltbilder und Wertvorstellungen,<br />
die für ihre Anhänger eine<br />
hohe Motivationskraft besitzen<br />
und eine nachhaltige Armutsbekämpfung<br />
in weltweitem<br />
Maßstab fördern können. Meist<br />
beinhalten sie auch ethische<br />
Vorstellungen über das Verhältnis<br />
des Menschen zu seiner Umwelt,<br />
die für ihre Mitglieder eine<br />
Richtschnur für ein umweltgerechtes<br />
Verhalten und eine<br />
Unterstützung klimapolitischer<br />
Maßnahmen bilden können.<br />
Gerade dieser Aspekt wird jedoch<br />
nur dann zum Tragen<br />
kommen, wenn man die betroffenen<br />
Länder und Menschen<br />
selbst an der Diskussion um den<br />
<strong>Klimawandel</strong> und seine Folgen<br />
beteiligt und ihre Sichtweisen<br />
ernst nimmt.<br />
17-18-2007 I e1ns