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10 Merkmale einer Bürgerstiftung - Deutsche StiftungsAkademie

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5/2.8Seite 2Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turnerund Herausforderung an die Zukunft zu verstehen, wenn es etwaheißt, eine <strong>Bürgerstiftung</strong> könne ein lokales Netzwerk von verschiedenengemeinnützigen Organisationen <strong>einer</strong> Stadt oderRegion koordinieren.Neben <strong>einer</strong> formellen Komponente beinhalten die <strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong>aber auch eine materielle Komponente. Die Erfüllung der<strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong> soll gewährleisten, dass die <strong>Bürgerstiftung</strong>en ihrWachstumspotenzial möglichst umfassend ausschöpfen können.Dazu genügt es nicht alleine, dass den Kriterien formal –durch die entsprechende Gestaltung der Satzung – Genüge getanwird. Vielmehr müssen die einzelnen <strong>Merkmale</strong> auch im täglichenGeschäft der <strong>Bürgerstiftung</strong>en mit Leben gefüllt werden.5.2.8.2 Historische Wurzeln<strong>Bürgerstiftung</strong>en im Sinne der <strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong> entstehen inDeutschland seit gut <strong>10</strong> Jahren. Sie orientieren sich an den nordamerikanischen„Community Foundations“ und haben sich inihrer tatsächlichen Ausgestaltung vor dem Hintergrund der seitdem Mittelalter entstehenden Gemeinschaftsstiftungen an dierechtlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen in Deutschlandangepasst. 3<strong>Bürgerstiftung</strong>= CommunityFoundation +deutschesEngagementSie verbinden das Selbstverständnis der nordamerikanischenCommunity Foundations – als Dienstleister für Stifter undSpender – mit dem des traditionellen deutschen philanthropischenEngagements 4 . Die ersten, praktisch zeitgleichen Bür-3 Die erste Monographie zum Thema von Aaltje Kaper, <strong>Bürgerstiftung</strong>en. DieStiftung bürgerlichen Rechts und die unselbstständige Stiftung als Organisationsformfür <strong>Bürgerstiftung</strong>en, Schriftenreihe zum Stiftungswesen Band32, Stiftungszentrum im Stifterverband für die <strong>Deutsche</strong> Wissenschaft(Hrsg.), 2006. Wegen der Entstehung als Dissertation an der FU Berlin undihrer Annahme im SS 2004 sind Rechtsprechung, Entwicklung und Schrifttumleider nur bis zum März 2004 berücksichtigt. (nachfolgend AaltjeKaper, <strong>Bürgerstiftung</strong>en).4 So Alexandra Schmied, <strong>Bürgerstiftung</strong>en in Deutschland, Die ROTEN SEI-TEN zum Magazin Stiftung&Sponsoring, 4/2002, S.3.


5/2.8Seite 4Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turner5.2.8.3 Entstehungsgeschichte der <strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong>Erste Kriterien1999Schon 1999 in Düsseldorf konnten als Kurzdefinition für eine<strong>Bürgerstiftung</strong> die „Stiftung von Bürgern für Bürger“ 11 und ersteKriterien festgehalten werden. So war man sich einig, dass <strong>Bürgerstiftung</strong>enselbstständig und unabhängig von der Kommune12 , flexibel für bürgerschaftliche Themen und offen fürviele Stifter und Zustifter 13 sein müssen und trotz der Komponentedes ehrenamtlichen Zeiteinsatzes 14 den kontinuierlichenVermögensaufbau nicht aus den Augen verlieren dürfen 15 .Bereits fünf weitere Charakteristika hinzugefügt: 161. Ausweitung der Leistungsfähigkeit,2. nachhaltige Finanzanlage,3. Betreuung der Stifter,4. Förderung und Projektarbeit,5. Mitwirkung und -bestimmung in lokalen Angelegenheiten.2000:<strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong>Am 11. Mai 2000 auf dem Arbeitskreistreffen im Rahmen derJahrestagung des Bundesverbandes <strong>Deutsche</strong>r Stiftungen inWeimar wurden die <strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong> verabschiedet.11 So Peter Walkenhorst, vgl. <strong>Bürgerstiftung</strong>en in Deutschland, Forum <strong>Deutsche</strong>rStiftungen Band 7, S. 34.12 So Rupert Graf Strachwitz, vgl. <strong>Bürgerstiftung</strong>en in Deutschland. Forum<strong>Deutsche</strong>r Stiftungen Band 7. S. 33.13 So Rupert Graf Strachwitz, vgl. <strong>Bürgerstiftung</strong>en in Deutschland, Forum<strong>Deutsche</strong>r Stiftungen Band 7, BVDS (Hrsg.), 2000, S. 33.14 So Michael Jacobi, vgl. <strong>Bürgerstiftung</strong>en in Deutschland, Forum <strong>Deutsche</strong>rStiftungen Band 7, S. 33.15 So Peter Walkenhorst, vgl. <strong>Bürgerstiftung</strong>en in Deutschland, Forum <strong>Deutsche</strong>rStiftungen Band 7, S. 34.16 Suzanne L. Feurt, (damals European Foundation Centre in Brüssel, späterCouncil on Foundations) <strong>Bürgerstiftung</strong>en in Deutschland, Forum <strong>Deutsche</strong>rStiftungen Band 7, 2000, S. 36 ff.


Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turner5/2.8Seite 5Ursächlich für das sehr zügige Handeln der Akteure des Arbeitskreiseswar u. a. die Erkenntnis, dass <strong>Bürgerstiftung</strong>en trotzihrer regionalen Ausrichtung eines überregionalen, gemeinsamenAuftretens und einheitlichen Selbstverständnisses bedürfen17 , um wahrgenommen zu werden. Zur leichteren Einführungder <strong>Bürgerstiftung</strong>sidee und ihrer Platzierung sollten ihr Alleinstellungsmerkmalezur Seite gestellt werden. Da Ende der1990er Jahre die Zahl der errichteten oder kurz vor der Errichtungstehenden <strong>Bürgerstiftung</strong>en noch sehr überschaubar, ihrAnliegen entsprechend viel unbekannter als heute war, bestandeine große Bereitschaft zur konstruktiven Einigung und der Formulierung<strong>einer</strong> gemeinsamen Definition. 18Neben dem Ziel <strong>einer</strong> „Definition“ für die sich in Deutschlandnach US-amerikanischem Vorbild entwickelnden <strong>Bürgerstiftung</strong>ensollte auch ein erster Verhaltenskodex für sie entstehen. 19VerhaltenskodexschafftSicherheit17 So u. a. Dr. Christian von Hammerstein, der vor ein nationales Marketingeine Definitionsfindung setzte, „denn man muss sich zunächst darüber verständigen,wofür man werbe“, und Nikolaus Turner, der neben <strong>einer</strong> Definitionauch einen „Kodex“ für <strong>Bürgerstiftung</strong>en anregte, in: <strong>Bürgerstiftung</strong>enin Deutschland, BVDS (Hrsg.) Forum <strong>Deutsche</strong>r Stiftungen Band 7, 2000,S. 41.18 Diese Funktionen übernehmen der Arbeitskreis „<strong>Bürgerstiftung</strong>en“ des Bundesverbandes<strong>Deutsche</strong>r Stiftungen (www.die-deutschen-buergerstfitungen.de und www.stiftungen.org) und die Initiative <strong>Bürgerstiftung</strong>en (IBS)(www.die-deutschen-buergerstiftungen.de), die als unabhängige Anlaufstellebeim Bundesverband <strong>Deutsche</strong>r Stiftungen die Beratung von <strong>Bürgerstiftung</strong>enund Gründungsinitiativen übernimmt. Die IBS wird getragen vomBVDS und derzeit finanziert von gemeinnützigen Stiftungen (BertelsmannStiftung, Körber Stiftung, Klaus Tschira Stiftung, Stiftung PolytechnischeGesellschaft) sowie gefördert von der Charles Stewart Mott Foundation unddem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. AllePartner der IBS sind dabei ausschließlich am Thema und der Idee der <strong>Bürgerstiftung</strong>enund ihrer Verbreitung interessiert ohne eigene, ggfs. sogarwirtschaftliche Interessen zu verfolgen oder verfolgt wissen zu wollen.19 Vereinzelte Kritik hält den „<strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong>n“ – vielleicht auch vor dem Hintergrundnicht ganz uneigennütziger Eigeninteressen und Marketingziele –entgegen, dass sie etwas über die Form, nicht aber über den Erfolg und dieQualität der Arbeit aussagen, so Karin Müller, <strong>Bürgerstiftung</strong>en und ihreCharakteristika. Anspruch und Realität, in: <strong>Bürgerstiftung</strong>en in Deutschland,Nährlich/Graf Strachwitz/Hinterhuber/Müller (Hrsg.), Bürgergesellschaftund Demokratie Band 23, 2005, S. 67 ff (86).VD14Rechtshandbuch für Stiftungen


5/2.8Seite 6Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus TurnerJeder potenzielle Stifter und Zuwendungsgeber muss die Gewissheithaben, das die <strong>Bürgerstiftung</strong> in der Region A, bei allerregionalen Individualität ebenso zuverlässig mit den ihr anvertrautenMitteln umgeht und ebenso qualitäts- und wirkungsvoll– nachhaltig – wirkt wie eine <strong>Bürgerstiftung</strong> in B oder C.<strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong>als „Best-practice“-Richtschnur<strong>Merkmale</strong>fördern GlaubwürdigkeitKleine Spenden,großeWirkungDas Anliegen der Stiftungen, die die „<strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong> für <strong>Bürgerstiftung</strong>en“erfüllen, ist es, eine verbindende und über die bestehendenstaatlichen Kontrollen hinausgehende „Best-practice“-Richtschnur 20 zu etablieren. Sie wollen Bürgergruppen bei derGründung <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong>, eine Hilfe sein, indem sie überdie gesetzlichen Voraussetzungen zu <strong>einer</strong> Stiftungsgründunghinausreichende Anregungen an die Hand geben, die deren Entwicklungfördern und unterstützen sollen. Zusätzlich sollen die<strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong> auch potenziellen Förderern Gewissheit darübergeben, dass es sich bei den noch nicht so etablierten <strong>Bürgerstiftung</strong>enum zukunftsfähige Einrichtungen handelt.Die vergleichbare Struktur, ein auch an anderen Orten bewährterAufbau, helfen erstens bei der Positionierung der <strong>Bürgerstiftung</strong>sidee,zweitens bei der Bekanntmachung einzelner <strong>Bürgerstiftung</strong>enim breiten Feld möglicher Förderer vor Ort undtragen drittens zum Aufbau und zur Erlangung von Glaubwürdigkeitund öffentlicher Visibilität bei.„Charity begins at home“ oder „Home is where the heart beats“heißt die Devise für Bürgerstifter. Zusätzlich zur Förderunggemeinnütziger Aktivitäten vor der eigenen Haustür ermöglichen<strong>Bürgerstiftung</strong>en die Öffnung des Stiftungsgedankensauch gegenüber Menschen mit mittleren und kleinen Vermögen.Den <strong>Bürgerstiftung</strong>svertretern war schon in der EntwicklungsundFormulierungsphase der <strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong> deren Warnfunktion 21vor schädlichen Entwicklungen bewusst, die bürgerschaftliches20 Vgl. Protokoll des 3. Treffens des Arbeitskreises <strong>Bürgerstiftung</strong>en, <strong>Bürgerstiftung</strong>enin Deutschland, Forum <strong>Deutsche</strong>r Stiftungen Band 7, 2000, S. 51.21 Vgl. Protokoll des 3. Treffens des Arbeitskreises <strong>Bürgerstiftung</strong>en, <strong>Bürgerstiftung</strong>enin Deutschland, Forum <strong>Deutsche</strong>r Stiftungen Band 7, S. 51.


Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turner5/2.8Seite 7Engagement wieder zurückdrängen könnten. Dazu zählt etwa zustarker Einfluss einzelner politischer Parteien, kommunalerUnternehmen, lokaler Kreditinstitute oder Kommunen.Es sei ausdrücklich festgehalten, dass grundsätzlich jede Stiftungsgründungbegrüßt wird, sofern der Stiftungszweck mit denzur Verfügung stehenden Mitteln (oder aufgrund <strong>einer</strong> realistischenEntwicklungsprognose) verfolgt und gefördert werdenkann. Allerdings sollten diese Stiftungen dann ihren Erfolg aufgrundeigener Bemühungen erzielen 22 und nicht als Trittbrettfahrer23 der <strong>Bürgerstiftung</strong>sbewegung und über eine irreführendeBezeichnung als <strong>Bürgerstiftung</strong> ohne die entsprechenden<strong>Merkmale</strong> zu erfüllen.Trittbrettfahrerunerwünscht5.2.8.4 GütesiegelDie <strong>Bürgerstiftung</strong>en sind nach der Verabschiedung ihrer <strong>10</strong><strong>Merkmale</strong> noch einen Schritt weiter gegangen: Seit Oktober2003 verleiht der Arbeitskreis <strong>Bürgerstiftung</strong>en im Bundesverband<strong>Deutsche</strong>r Stiftungen auf Antrag das so genannte „Gütesiegel“24 an die <strong>Bürgerstiftung</strong>en, die die <strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong> erfüllen.Laufzeit:2 Jahre22 So z. B. die „Sparkassen-Stiftung für den Landkreis Bautzen“, die regionales,gesellschaftliches Engagement fördert und mit und über ihren StiftungsnamenKlarheit über die Stifterin und die mit der Stiftung verfolgtenZwecke schafft, oder die jetzt als „Vereinte Sozialstiftungen Oldenburg“ firmierende,kommunale Stiftung der Stadt Oldenburg, die sich umbenannte,um der örtlichen <strong>Bürgerstiftung</strong> Oldenburg Entwicklungsmöglichkeit zugeben. Vgl. Katrin Sachs, KLARHEIT – Die <strong>Bürgerstiftung</strong> im örtlichenSpannungsfeld, Stiftung & Sponsoring 4/2007, S. 18.23 oder sog. „Mogelpackungen“, die potenzielle Stifter und Spender mit ihremNamen leicht in die Irre führen, wie z. B. die Ulmer Bürger Stiftung miteinem ausschließlich kommunal besetzten Gremium, die <strong>Bürgerstiftung</strong>Bonn, deren in der Satzung festgeschriebener, vollständiger Name „<strong>Bürgerstiftung</strong>Bonn – Eine Initiative der Sparkasse Bonn“ lautet, die erste <strong>Bürgerstiftung</strong>Stormarn, die jetzt korrekt „Sparkasssen- und Bürger-Stiftung von1998“ heißt oder die <strong>Bürgerstiftung</strong> Rheinviertel mit einem engen kirchlichenBezug zur katholischen Kirchengemeinde „Rheinviertel“, die derkirchlichen Aufsicht unterliegt.24 Zum Verfahren: Das Gütesiegel wird alljährlich für die Dauer von zwei Jahrenan die <strong>Bürgerstiftung</strong>en verliehen, die den „<strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong>n“ entsprechen.VD14Rechtshandbuch für Stiftungen


5/2.8Seite 8Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus TurnerDas Gütesiegel wird jeweils für einen Zeitraum von zwei Jahrenverliehen. Die Laufzeit beginnt regelmäßig am 1. Oktober einesJahres, dem Tag der <strong>Bürgerstiftung</strong>en, und endet jeweils am 30.September des übernächsten Jahres. 25 Seit dem 1. Oktober 2007sind 133 <strong>Bürgerstiftung</strong>en berechtigt, das Gütesiegel des Bundesverbandes<strong>Deutsche</strong>r Stiftungen zu tragen.<strong>Bürgerstiftung</strong>en hilft das Gütesiegel bei der eigenen Öffentlichkeitsarbeit.Durch seinen Einsatz können die <strong>Bürgerstiftung</strong>endarauf aufmerksam machen, dass sie Teil der insgesamt aufstrebenden<strong>Bürgerstiftung</strong>sbewegung sind. Sie gewinnen sozusätzliche Glaubwürdigkeit und Visibilität.GütesiegelmotiviertFür viele <strong>Bürgerstiftung</strong>en und Gründungsinitiativen ist dasGütesiegel ein Anreiz, um ihre Satzung und Arbeitsweise so zugestalten, dass sie den aufgestellten Kriterien entsprechen. DieFrage des Vorstands <strong>einer</strong> von der Jury abgelehnten Stiftungnach dem Rechtsweg gegen die Jury-Entscheidung bestätigtdiese Einschätzung ebenso wie die Anfragen von Gründungsinitiativennach <strong>einer</strong> möglichst verbindlichen Vorabprüfung dereigenen Satzungsentwürfe, um nach der Gründung auch dasGütesiegel zu erhalten.Voraussetzung hierfür ist ein entsprechender, formloser Antragder jeweiligen <strong>Bürgerstiftung</strong>. Bei <strong>einer</strong> Erstbeantragung istzudem die Einreichung des Stiftungsgeschäftes und der Satzungerforderlich, bei Wiederbewerbungen müssen alle aktuellenMitte Mai werden sämtliche <strong>Bürgerstiftung</strong>en daran erinnert, ihre Bewerbungum das Gütesiegel bis zum 30. Juni beim Bundesverband <strong>Deutsche</strong>rStiftungen einzureichen. Zu den einzusendenden Unterlagen gehören dieSatzung, der Jahres- oder Tätigkeitsbericht und Beispiele aus der Presse- undÖffentlichkeitsarbeit. Auf Grundlage der eingesandten Unterlagen entscheideteine unabhängige Jury über das Vorliegen der „<strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong>“ und dieErfüllung der Voraussetzungen zum Erwerb des Gütesiegels.25 Ausführlich Ulrich Brömmling, Nur echt mit dem Gütesiegel, FrankfurterRundschau vom 29. September 2004, S. 26, Ulrich Brömmling, GemeinsamGutes anstiften – <strong>Bürgerstiftung</strong>en leben von Geld, Zeit und Ideen ganz vielerganz normaler Menschen, in: Ulrich Brömmling, Die Kunst des Stiftens.20 Perspektiven auf Stiftungen in Deutschland, 2005, S. 30–35 (31) undChristoph Mecking, Das Gütesiegel für <strong>Bürgerstiftung</strong>en, ZSt 2005, S. 48.


Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turner5/2.8Seite 9Unterlagen (z. B. Tätigkeitsberichte, Jahresberichte, Pressemitteilungenund Berichte in den Medien etc.) vorgelegt werden,auf deren Basis sich eine unabhängige Jury von der aktuellenEinhaltung der <strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong> überzeugen kann 26 .5.2.8.5 <strong>Merkmale</strong> <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong>5.2.8.5.1 PräambelEine <strong>Bürgerstiftung</strong> ist eine unabhängige, autonom handelnde,gemeinnützige Stiftung von Bürgern für Bürgermit möglichst breitem Stiftungszweck. Sie engagiert sichnachhaltig und dauerhaft für das Gemeinwesen in einemgeografisch begrenzten Raum und ist in der Regel förderndund operativ für alle Bürger ihres definierten Einzugsgebietestätig. Sie unterstützt mit ihrer Arbeit bürgerschaftlichesEngagement.Die Präambel fasst die wesentlichen Charakteristika <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong>nach angloamerikanischem Vorbild 27 in <strong>einer</strong> Kurzdefinitionzusammen, die in den folgenden <strong>Merkmale</strong>n im Einzelnenausgeführt und präzisiert werden. Sie geht aber nochüber eine bloße Zusammenfassung hinaus:26 Mitglieder der Jury sind 2007 Karlheinz Humpert (<strong>Bürgerstiftung</strong> Remscheid),Dieter Isensee (<strong>Bürgerstiftung</strong> im Landkreis Nienburg (Weser),Michael Jacobi (Stadt Stiftung Gütersloh – die <strong>Bürgerstiftung</strong>), Dr. ElisabethNilkens (Hertener <strong>Bürgerstiftung</strong>), Nikolaus Turner (als Leiter des Arbeitskreises<strong>Bürgerstiftung</strong>en; <strong>Bürgerstiftung</strong> für den Landkreis Fürstenfeldbruck)und mit beratender Stimme Dr. Hermann Falk (Bundesverband <strong>Deutsche</strong>rStiftungen) und Katrin Sachs (Initiative <strong>Bürgerstiftung</strong>en).27 Die Definition <strong>einer</strong> Community Foundation entspricht weitestgehend der inder Präambel der <strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong> festgeschriebenen Definition <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong>.„A community foundation is a tax-exempt, nonprofit, autonomous,publicity supported, nonsectarian philanthropic institution with a long termgoal of building permanent, named component funds established by manyseparate donors for the broad-based charitable benefit of the residents of adefined geographic area, typically no larger than a state“ so unter I. A. derNational Standards for U.S. Community Foundations.VD14Rechtshandbuch für Stiftungen


5/2.8Seite <strong>10</strong>Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus TurnerDie Präambel stellt klar, dass <strong>Bürgerstiftung</strong>en nur autonomhandelnde Stiftungen sein können und verlangt, dass sich eine<strong>Bürgerstiftung</strong> nachhaltig und dauerhaft für das Gemeinweseneinsetzt.Der Begriff der Stiftung im Sinne der <strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong> ist nicht aufdie BGB-Stiftungen beschränkt (§§ 80ff. BGB). So kann z. B.eine <strong>Bürgerstiftung</strong> auch in der Rechtsform <strong>einer</strong> gemeinnützigenAktiengesellschaft – wie die <strong>Bürgerstiftung</strong> Duisburg gAG– die <strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong> erfüllen und Trägerin des Gütesiegels sein.Ob auch ein eingetragener gemeinnütziger Verein den <strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong>nentspricht, musste von der Gütesiegeljury bislang nochnicht beantwortet werden.Autonom handeln können nur rechtlich selbstständige Stiftungen.Treuhänderische oder fiduziarische Stiftungen können zwar imEinzelfall über ein Gremium verfügen, das zur internen Willensbildungder Stiftung beiträgt. Eigenständig agieren könnentreuhänderische Stiftungen jedoch nicht. Sie sind stets auf die Verwaltungdurch einen Treuhänder angewiesen und sind daher nichtunabhängig im Sinne der <strong>Merkmale</strong>. <strong>Bürgerstiftung</strong>en in derForm von Treuhandstiftungen, fallen daher definitorisch aus den<strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong>n heraus.5.2.8.5.2 1. Merkmal: GemeinnützigkeitEine <strong>Bürgerstiftung</strong> ist gemeinnützig und will das Gemeinwesenstärken. Sie versteht sich als Element <strong>einer</strong>selbst bestimmten Bürgergesellschaft.Rechtsformnicht festgelegtGemeinnützigkeitim Sinneder AODas erste Merkmal enthält zwei Aspekte: Es stellt klar, dass <strong>Bürgerstiftung</strong>enim Sinne der <strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong> nur solche Stiftungensein können, die gemeinnützig im Sinne der Abgabenordnung(§§ 51 ff. AO) sind und das (lokale) Gemeinwesen unterstützen,festigen und weiterentwickeln.Darüber hinaus antizipiert das erste Merkmal bereits das zentraledritte Merkmal, indem es klarstellt, dass Bürger im Rah-


Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turner5/2.8Seite 11men der <strong>Bürgerstiftung</strong> selbst Verantwortung übernehmen undüber die Vergabe der Mittel entscheiden wollen. <strong>Bürgerstiftung</strong>enerschließen eine zusätzliche „Quelle“ der Förderung beziehungsweiseProjektentwicklung neben den Kommunen, Kirchen,bestehenden Vereinen und anderen Initiativen am Ort.5.2.8.5.3 2. Merkmal: StifterEine <strong>Bürgerstiftung</strong> wird in der Regel von mehreren Stifternerrichtet. Eine Initiative zu ihrer Errichtung kann auchvon Einzelpersonen oder einzelnen Institutionen ausgehen.Das zweite Merkmal beschreibt den Unterschied zwischen <strong>einer</strong><strong>Bürgerstiftung</strong> und <strong>einer</strong> so genannten klassischen Stiftungeines Stifters, eines Stifterpaares oder eines stiftenden Unternehmens.Bei <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> stiften grundsätzlich mehrereStifter gemeinsam. Das dauerhaft zu erhaltende Stiftungsvermögenentsteht zum einen durch die Kapitalausstattung derGründungsstifter und zum anderen durch die Zuwendungen hinzukommenderDritter, der so genannte Zustifter.Es gibt zwei grundlegend unterschiedliche Modelle zur Gründung<strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong>, die typischerweise als „Top-down-Modell“ beziehungsweise als „Bottom-up-Modell“ bezeichnetwerden – je nachdem, ob die Initiative zur Errichtung der Stiftungvon <strong>einer</strong> Einzelperson oder von mehreren Personen ausgeht28 . Die Unterschiede dieser beiden Modelle werden exemplarischdeutlich, wenn man sich die Entstehungsgeschichte derbeiden ältesten deutschen <strong>Bürgerstiftung</strong>en nach angloamerikanischemVorbild anschaut: Das Gründungskapital der Stadt StiftungGütersloh 29 – 1 Mio. Euro – ist durch Reinhard Mohn von<strong>einer</strong> Einzelperson gestiftet worden und der Prototyp des „Top-Top-down vs.Bottom-up28 Vgl. Philipp Hoelscher/Eva Maria Hinterhuber, Von Bürgern für Bürger?<strong>Bürgerstiftung</strong>en in Deutschlands Zivilgesellschaft, Schriftenreihe der Karl-Konrad- und Ria-Groeben-Stiftung, 2005, S. 43 ff. 4.1.1.29 Im Detail Hans-Dieter Weger, Gemeinschaftsstiftungen – eine Form der Teilhabean der Gesellschaftsentwicklung, in: <strong>Deutsche</strong>s Stiftungswesen 1988–98, BVDS (Hrsg.), S. 63 (72).VD14Rechtshandbuch für Stiftungen


5/2.8Seite 12Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turnerdown-Modells 30 . Demgegenüber haben die <strong>Bürgerstiftung</strong> Hannover31 auf Initiative von Professor Dr. Christian Pfeiffer 31 Stiftermit einem Anfangsvermögen von 80.000 Euro ins Lebengerufen. Sie stellt damit ein Beispiel für das Bottom-up-Modelldar. Gesteigert haben dies die Initiatoren in Fürstenfeldbruck1999 durch die Gründung der <strong>Bürgerstiftung</strong> für den LandkreisFürstenfeldbruck mit 147 Gründungsstiftern, gefolgt im Jahr2004 von der <strong>Bürgerstiftung</strong> Münster, die von 256 Stiftern gegründetwurde.Ziel: vieleengagierteStifter„Stiftungsmodellfürjedermann“Der Vergleich der beiden Gründungsmodelle macht unmittelbardeutlich, dass kein Zusammenhang zwischen der Anzahl derGründungsstifter und der Höhe des Gründungskapitals besteht.Da jedoch eine <strong>Bürgerstiftung</strong> von ihrer Idee her auf einen stetigenAusbau des Stiftungskapitals ausgerichtet ist, empfiehlt essich, die Stiftung auf einem breiten Fundament in der Bevölkerungaufzubauen und von Beginn an eine möglichst großeAnzahl von Stiftern, die als Multiplikatoren und Promotoren derAkzeptanz dienen können, in die Stiftungsarbeit einzubinden.Die Phase der Stiftungsgründung ist erfahrungsgemäß mit <strong>einer</strong>Aufbruchstimmung verbunden, in der es leichter gelingt, Bürgerals Stifter zu gewinnen, als nach der Gründung, wenn dasTagesgeschäft die Stiftungsarbeit dominiert. Da Bürger gerneunmittelbar sehen möchten, für welche Zwecke die zugewendetenMittel verausgabt werden, gelingt es nach dem Vollzug desGründungsaktes, bei dem man die einmalige Stellung des Gründungsstiftersherausstellen kann, eher, Bürger zum Spenden alszum (Zu-)Stiften zu motivieren.Das Erfordernis der Pluralität wird durch das Bestreben unterstütztdurch die bei <strong>Bürgerstiftung</strong>en bestehende Möglichkeit,bereits zu Beginn mög lichst viele Stifter zu gewinnen und auch30 Zu den Risiken des Top-down-Modells s. Barbara Weitz, (Un-)Abhängigkeitvon <strong>Bürgerstiftung</strong>en, BVDS (Hrsg.), Forum <strong>Deutsche</strong>r Stiftungen, Band15, S. 65 (66) mwN.31 Im Detail Hans-Dieter Weger, Gemeinschaftsstiftungen – eine Form der Teilhabean der Gesellschaftsentwicklung, in: <strong>Deutsche</strong>s Stiftungswesen 1988–98, BVDS (Hrsg.), S. 63 (73/74).


Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turner5/2.8Seite 13mit einem verhältnismäßig kleinen Beitrag, Stifter zu werden.Aus diesem Grund wird die <strong>Bürgerstiftung</strong> auch als das „Stiftungsmodellfür jedermann“ bezeichnet. Der aufzubringendeAnteil schwankt je nach Initiatorenkreis und potenzieller Finanzkraftder Region zwischen 500 und 5.000 Euro, die alsZuwendung zum Grundstockvermögen verwendet werden undüber die jährlich anfallenden Zinsen kleine, aber dauerhafteWirkung erzielen. Ausschläge nach oben und unten existieren.Um das Stiften aber nicht der Beliebigkeit auszusetzen und sichvon Spenden sammelnden Vereinen und Initiativen abzusetzen– die Gefahr des Konkurrenzgefühls sollte nicht unterschätztwerden – wird <strong>Bürgerstiftung</strong>en empfohlen, bei der Festlegungder Mindestbeträge eine Abgrenzung zu typischen Spenden inHöhe von 50 Euro oder <strong>10</strong>0 Euro, nach der Reform „Hilfe fürHelfer“ 200 Euro, zu berücksichtigen.Stiften und Spenden sind zwei unterschiedliche Möglichkeitendes finanziellen Förderns. Deshalb sollte nachhaltiges Stiftenauch dem Spenden zeitnah zu verwendender Mittel nicht gleichgesetzt werden. Eine Unterscheidung gelingt auch in der öffentlichenWahrnehmung besser, wenn die Einstiegsstufe oder Einstiegshürdefür Gründungsstifter oder Zustifter (mit Rechten)nicht zu niedrig angesetzt wird. 32Neben den Stiftern, die finanziell zur Entwicklung der Stiftungbeitragen, ist eine <strong>Bürgerstiftung</strong> auch auf ehrenamtliche Mitarbeiter,sogenannte Zeitspender, sowie auf Ideengeber angewiesen,die sich in Vorstands-, Stiftungsrats- und Projektarbeit einbringen.Die Bedeutung der ehrenamtlich Tätigen kann nichthoch genug eingeschätzt werden. Gleichwohl ist und bleibt dasStiften aber auf das dauerhaft zu erhaltende und zu mehrendeVermögen bezogen. Stifter im Rechtssinne kann daher nur sein,Zeit- undIdeenspenden32 Eine <strong>Bürgerstiftung</strong> ermöglicht Bürgern z. B. mit einem Betrag ab 60,– EuroStifter zu werden, eine andere Stiftung hat die Grenze bei <strong>10</strong>0,– Euro festgelegt.Die Zukunft wird zeigen, ob in diesen Fällen einzelne oder auch mehrereBürger die Gelegenheit wahrnehmen durch die einmalige Zahlung dergenannten Beträge ein dauerhaftes Mitspracherecht zu erlangen und ggfs.Entscheidungen zu beeinflussen und die Stifterversammlung aufzumischen.VD14Rechtshandbuch für Stiftungen


5/2.8Seite 14Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turnerwer <strong>einer</strong> Stiftung Vermögenswerte dauerhaft zuwendet. Diedauerhafte Ausrichtung der Zuwendung unterscheidet ihn auchvom Spender, der seine zugewendeten Mittel zeitnah wiederausgegeben wissen will und dadurch die Projektarbeit unterstützt,nicht aber den dauerhaften Kapitalaufbau.Im Rahmen des Kriteriums der Stiftermehrzahl stellt sich auchdie Frage der Stifterbeteiligung.StiftereinflussumstrittenStrittig ist dabei, welche Formen und welchen Umfang MitwirkungsmöglichkeitenStiftern in „ihrer“ <strong>Bürgerstiftung</strong> gewährtwerden können, ohne das Prinzip der Mitgliederlosigkeit vonStiftungen unzulässig aufzubrechen.Problematisch erscheint die zeitliche Begrenzung der Mitwirkungeines Stifters in <strong>einer</strong> Stifterversammlung oder einem Stifterforum33 , die üblicherweise nur mit Informationsrechten wieder Entgegennahme und Erörterung des Rechenschaftsberichtesoder der Beratung 34 von Stiftungsrat und Vorstand ausgestattetsein sollten, aber in einigen Fällen auch Wahlrechte haben.Ebenso erscheint ihre Öffnung auch für Spender von Geld oderZeit 35 nicht ohne Bedenken. Hier drohen die rechtlichen Grenzenzwischen einem Verein und den Eigenschaften <strong>einer</strong> Stiftungaufgeweicht und aufgelöst zu werden 36 .Das Merkmal der Stiftermehrzahl, das zugleich einen Hinweisauf die Öffnung <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong>sgründung für zukünftige(Zu-)Stifter gibt, beschreibt allein einen tatsächlichen Sachver-33 So z. B. bei der <strong>Bürgerstiftung</strong> Hannover.34 So z. B. bei der <strong>Bürgerstiftung</strong> für den Landkreis Fürstenfeldbruck.35 So z. B. bei der <strong>Bürgerstiftung</strong> Nürnberg.36 Zur Problematik kooperativer Elemente in <strong>einer</strong> Stiftung s. Peter Rawert,Der Stiftungsbegriff und seine <strong>Merkmale</strong>, in: Stiftungsrecht in Europa,Hopt/Reuter (Hrsg.), S. <strong>10</strong>9 (128/129); Peter Rawert, <strong>Bürgerstiftung</strong>en inDeutschland. Eine kritische Einführung aus juristischer Sicht, in: <strong>Bürgerstiftung</strong>enin Deutschaland, Bilanz und Perspektiven, Nährlich/Graf Strachwitz/Hinterhuber/Müller(Hrsg.), Bürgergesellschaft und Demokratie Band23, 2005, S. 39 ff. (41); Barbara Weitz, (Un-)Abhängigkeit von <strong>Bürgerstiftung</strong>en,BVDS (Hrsg.), Forum <strong>Deutsche</strong>r Stiftungen Band 15, S. 65 (67 Fußn12).


Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turner5/2.8Seite 15halt und gibt einen Ratschlag für Gründungsinitiativen. Es enthältjedoch keine Anforderung an die Gründung <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong>,deren Nichterfüllung dem Erhalt des Gütesiegels entgegenstehenwürde. Von den 133 Gütesiegel-<strong>Bürgerstiftung</strong>ensind nur wenige, z. B. die <strong>Bürgerstiftung</strong>en in Bad Lippspringe,Berlin, Borken, Frankfurt (Citoyen), Gütersloh oder Steingaden,von <strong>einer</strong> einzelnen Person ins Leben gerufen worden. Auchdiese <strong>Bürgerstiftung</strong>en haben in der Zwischenzeit weitere Zustifteraufgenommen oder zumindest ihre Offenheit für Zustiftungensignalisiert und damit die Bereitschaft bewiesen, Bürgernihrer Region als Bürgerstifter eine „Heimat“ zu geben.Rein rechtlich betrachtet sind einzelne <strong>Bürgerstiftung</strong>en auchvon einem Treuhänder (Unternehmen) errichtet worden. Dienämlich, die als treuhänderische Stiftung unter der Obhut einesTreuhänders begonnen haben und auf der Grundlage <strong>einer</strong> entsprechendenVereinbarung im Treuhandvertrag mit Erreichung<strong>einer</strong> bestimmten Kapitalausstattung oder aus anderen Gründendann durch den Treuhänder ins Werk gesetzt, den Weg in dieRechtsfähigkeit gefunden haben.5.2.8.5.4 3. Merkmal: UnabhängigkeitEine <strong>Bürgerstiftung</strong> ist wirtschaftlich und politisch unabhängig.Sie ist konfessionell und parteipolitisch nichtgebunden. Eine Dominanz einzelner Stifter, Parteien, Unternehmenwird abgelehnt. Politische Gremien und Verwaltungsspitzendürfen keinen bestimmenden Einfluss aufEntscheidungen nehmen.Das dritte und vielleicht wichtigste 37 Merkmal wird am intensivstenund kontroversesten diskutiert und ist zudem das in s<strong>einer</strong>Auslegung 38 umstrittenste.37 So André Christian Wolf, <strong>Bürgerstiftung</strong>en und Bürgerengagement, Materialienfür die Arbeit vor Ort Nr. 21, Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.),2001, S. 13.38 Vgl. auch Karin Müller, <strong>Bürgerstiftung</strong>en und ihre Charakteristika. Anspruchund Realität, in: <strong>Bürgerstiftung</strong>en in Deutschland. Bilanz und Per-VD14Rechtshandbuch für Stiftungen


5/2.8Seite 16Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turner<strong>Bürgerstiftung</strong>en sollen – nicht nur um ihr eigenes „Marktsegment“im bunten und umfangreichen Fächer der gemeinnützigenEinrichtungen zu finden – in ihrer Arbeit unabhängig von Unternehmen,Einzelpersonen, Kirchen, Parteien und Kommunen sein.Vor allem dieses Kriterium hat in der noch jungen Geschichte der<strong>Bürgerstiftung</strong>en zu <strong>einer</strong> gewissen Uneinigkeit über die <strong>10</strong><strong>Merkmale</strong> und die zutreffende Richtigkeit oder „Rechtmäßigkeit“geführt, mit der eine Stiftung den Namen „<strong>Bürgerstiftung</strong>“ führt.Wirtschaftliche Unabhängigkeit<strong>Bürgerstiftung</strong>en sind auf das stetige Wachstum ihres Vermögensund eine kontinuierliche Zunahme an Zustiftungen angewiesenund ausgerichtet. Ihr regional begrenztes Wachstumspotenzialwird eine <strong>Bürgerstiftung</strong> regelmäßig aber nur dann invollem Umfang ausschöpfen können, wenn sie sich möglichstunabhängig aufstellt und breite Bevölkerungskreise für sich undihre Anliegen ansprechen und gewinnen kann. Eine <strong>Bürgerstiftung</strong>soll gerade auch jene Bürger ansprechen und einbeziehenkönnen, die sich von der lokalen oder kommunalen Parteipolitiku. U. abgewandt haben, ihr eher kritisch gegenüberstehen,sich gleichwohl aber für das Gemeinwesen vor Ort engagierenmöchten. Eine <strong>Bürgerstiftung</strong> will auch für Menschen offensein, die k<strong>einer</strong> Religion angehören oder ein eher distanziertesVerhältnis zur Kirche haben.Die Verankerung von Vorrechten oder Veto-Möglichkeiten durchund für einzelne Stifter ist sehr kritisch zu sehen 39 . Welcher Kunde<strong>einer</strong> Bank wird unter normalen Voraussetzungen <strong>einer</strong> StiftungMittel zuwenden, wenn die Gremien der Stiftung nur durch Mitarbeiter<strong>einer</strong> anderen Bank besetzt oder gar dominiert sind? WelcherBankmitarbeiter wird als Multiplikator für die örtliche Bür-Stifter-Sonderrechteproblematischspektiven, Nährlich/Graf Strachwitz/Hinterhuber/Müller (Hrsg.), Bürgergesellschaftund Demokratie Band 23, 2005, S. 81 u. S. 85.39 Hierzu auch Alexandra Schmied, <strong>Bürgerstiftung</strong>en in Deutschland, DieROTEN SEITEN zum Magazin Stiftung&Sponsoring, 4/2002, S.3 und Fußnote4.


Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turner5/2.8Seite 17gerstiftung tätig werden und seinen langjährigen Kunden empfehlen,eine <strong>Bürgerstiftung</strong> lebzeitig oder im Rahmen ihrer Testamentezu bedenken, wenn eine andere Bank oder jedenfalls Mitarbeitereines anderen Kreditinstitutes sich für die Stiftung maßgeblichoder gar ausschließlich verantwortlich zeichnen?Ganz sicher wird erst der breite Mix der örtlichen Akteure dieAttraktivität <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> ausmachen. Eine breite Verankerungermöglicht die Zusammenarbeit mit möglichst allenFinanzdienstleistern oder Vertretern der freien und beratendenBerufe vor Ort. 40Die elementare Wichtigkeit des Kriteriums der Unabhängigkeitund die Gefahr der Nichteinhaltung zeigen sich immer wiederbei <strong>Bürgerstiftung</strong>en. Die dauerhafte Dominanz eines Kreditinstitutesüber die Ergreifung der Initiative über die Gründungsphasehinaus hat auch bereits in einzelnen <strong>Bürgerstiftung</strong>enAuswirkungen auf die Besetzung und das Abstimmungsverhaltenvon direkt oder indirekt „abhängigen“ Gremienmitgliedernzur Folge gehabt 41 . Diese häufig nicht messbaren, aber faktischenAbhängigkeiten und Einflussmöglichkeiten lassen sichkaum oder gar nicht durch Außenstehende feststellen.Stiftungsgründungen von Sparkassen und Volksbanken sind füreine wirtschaftliche Abhängigkeit oft ebenso ein Beispiel wieGründungen durch Kommunen, bei denen sich die Stadtspitzeund/oder die Fraktionen die Entscheidungskompetenz vorbehalten.42 Banken und Kommunen geben mit den von ihnenerrichteten Stiftungen eine Sammeleinrichtung vor, in die ihre40 Vgl. auch Erfahrungen aus dem transatlantischen Informationsaustausch desTransatlantic Community Foundation Network (TCFN) der BertelsmannStiftung und der Charles Stewart Mott Foundation, sehr informativ hierzudie auf der Website www. tcfn.efc.be hinterlegten Materialien und Informationen.41 Vgl. Katrin Sachs, KLARHEIT – Die <strong>Bürgerstiftung</strong> im örtlichen Spannungsfeld,Stiftung & Sponsoring 4/2007, S. 16 ff.42 Vertiefend hierzu, an Hand der Ulmer Bürger Stiftung, Georg Michael Primus,<strong>Bürgerstiftung</strong> durch die Kommune?, <strong>Bürgerstiftung</strong>en in Deutschland,Forum <strong>Deutsche</strong>r Stiftungen Band 7, BVDS (Hrsg.), 2000, S. 25 ff.VD14Rechtshandbuch für Stiftungen


5/2.8Seite 18Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus TurnerGemeindebürger oder Bankkunden Zustiftungen einbringenkönnen. Partizipationsmöglichkeiten sind hier eher die Ausnahme.Zudem schreiben die diese Gründer häufig schon in derSatzung fest, dass Mitglieder des Stadtrats, des Vorstandsund/oder des Aufsichtsgremiums in Organen dieser so genannten<strong>Bürgerstiftung</strong> vertreten sind, in Einzelfällen auch mit Veto-Rechten.Gesetzte vs.frei wählbareMitgliederDie unabhängige Jury, die für die Vergabe des Gütesiegels verantwortlichist, hat das Kriterium der Unabhängigkeit bislanginsbesondere auf die satzungsmäßige Besetzung der Gremien inder Stiftung und mögliche Wahlvorgaben bezogen und dabeizwischen gesetzten und frei wählbaren Gremienmitgliedern differenziert.Gesetzt sind Mitglieder eines Gremiums als Stiftungsorgandann, wenn Sitze in Vorstand oder Stiftungsrat alleinaufgrund der Satzung einem Stifter oder <strong>einer</strong> Institution zugewiesenwerden. Zur Erfüllung der <strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong> verlangt dieJury nicht, dass die Gremien der Stiftung vollständig frei vongesetzten Mitgliedern sind. Notwendig ist es aber, dass eine Willensbildungin dem jeweiligen Gremium unabhängig von dengesetzten Mitgliedern erfolgen kann. Setzt sich der Vorstand<strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> z. B. aus drei Personen zusammen, so darfnach gängigem Verständnis maximal ein Mitglied des Vorstandesgesetzt sein. Angestrebt werden sollten solche satzungsmäßigenFestlegungen nicht, gütesiegelschädlich aber sind sienicht, solange dadurch keine Mehrheiten dauerhaft festgeschriebenwerden oder die Besetzung dauerhaft von einzelnenStiftern vorgenommen werden können. 43Als gütesiegelschädlich hat die Jury bereits in einzelnen Fällenangesehen, wenn ein als Gründungsstifter auftretendes Unternehmenin der Satzung festgeschrieben hat, dass die von ihm zunominierende Person im Vorstand und im Kuratorium auch jeweilsden Vorsitz in dem jeweiligen Organ der Stiftung inne hat.Auch ein Veto-Recht <strong>einer</strong> so im Gremienvorsitz gesetzten Per-43 Vgl. hierzu auch Barbara Weitz, (Un-)Abhängigkeit von <strong>Bürgerstiftung</strong>en,Forum <strong>Deutsche</strong>r Stiftungen Band 15, BVDS (Hrsg.), S. 65 ff mit BeispielS. 66 (FN 9).


Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turner5/2.8Seite 19son als Vertreter eines Stifters wäre nach Ansicht der Jury einVerstoß gegen die <strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong>.In diesen Fällen ist ein „sich Freischwimmen“ der <strong>Bürgerstiftung</strong>dauerhaft unmöglich, allein schon eine optische Unabhängigkeitausgeschlossen. Potenzielle Kandidaten für die Gremien<strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> sollten als Person, mit ihren Kenntnissenund Fähigkeiten und mit ihrer Bereitschaft zum Engagementüberzeugen und nicht durch ihre Nähe oder Beschäftigung beieinem Stifter und die Tätigkeit bei ihm in Ämter der <strong>Bürgerstiftung</strong>kommen. Gleiches gilt für einen Stiftungsrat oder ein Kuratoriumals Aufsichtsgremium, soweit hier Kontroll- und Entscheidungskompetenzenliegen.Politische UnabhängigkeitDer Vorstand der <strong>Bürgerstiftung</strong> Tauberbischofsheim bestehtaus dem Bürgermeister als Vorsitzendem und vier Mitgliederndes Gemeinderates. Bei der Ulmer Bürger Stiftung ist der Oberbürgermeisterder Vorsitzende des Stiftungsvorstandes, demzusätzlich je ein Vertreter der im Gemeinderat vertretendenFraktionen angehört 44 . Hier arbeiten Stiftungen mit mehr als nurstarker kommunaler Nähe mit der Bezeichnung „<strong>Bürgerstiftung</strong>“,weil sie Projekte von Bürgern oder für Bürger in der Stadtunterstützen 45 . Eine <strong>Bürgerstiftung</strong> nach angloamerikanischemVorbild sind die <strong>Bürgerstiftung</strong>en in Tauberbischofsheim oder44 Vgl. Gemeinde und Stiftungen, Schriftenreihe des Gemeindetags Baden-Württemberg Band 8, Bock/Fabijancic-Müller/Stingl/Schwink (Hrsg.), Kapitel6.4 S. 48/49 und Hans-Dieter Weger, Gemeinschaftsstiftungen – eineForm der Teilhabe an der Gesellschaftsentwicklung, <strong>Deutsche</strong>s Stiftungswesen1988–98, BVDS (Hrsg.), S. 74f.45 Johannes Stingl vom Gemeindetag Baden-Württemberg arbeitet in seinemBeitrag „Fragen zur <strong>Bürgerstiftung</strong> aus kommunaler Sicht“ in Die Gemeinde(BWGZ) Zeitschrift für die Städte und Gemeinden Organ des GemeindetagsBaden-Württemberg, 128. Jahrgang, 15. Dezember 2005, S. 893 f.(893) mit den Begriffen „kommunale <strong>Bürgerstiftung</strong>“ und „unabhängige<strong>Bürgerstiftung</strong>“. Das von ihm (a. a. O.) u. a. formulierte Ziel des Schließensvon Lücken in verschiedenen Bereichen gesellschaftlicher Bedürfnisse zeigteine Herangehensweise von Kommunen auf, ob diese Bürger aber überzeugt,VD14Rechtshandbuch für Stiftungen


5/2.8Seite 20Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus TurnerUlm jedoch nicht, auch wenn sie in ihrer Struktur andere Elemente<strong>einer</strong> modernen <strong>Bürgerstiftung</strong> verkörpern. 46Eine <strong>Bürgerstiftung</strong> will allen interessierten Bürgern die Möglichkeiteröffnen, sich zu engagieren. Hierzu bindet sie sinnvollerweiseeine Vielzahl von lokalen Akteuren ein und bemühtsich um eine Integration. Hierin besteht sowohl eine Aufgabewie auch ein wichtiges Kriterium für einen Erfolg jeder <strong>Bürgerstiftung</strong>,die die exponierten Vertreter ihrer Region 47 ebenso wieRechts-, Finanz- und Wirtschaftsberater oder die Experten aufden Gebieten ihrer Stiftungszwecke als Partner, Mitstreiter undMultiplikatoren konsultieren, einbinden und nutzen sollte. DasKriterium der Unabhängigkeit schließt daher nicht aus, dassauch Vertreter von örtlichen Banken, der Stadt oder der Kirchein Vorstand und Stiftungsrat vertreten sind. Auch Banken, Sparkassenund Unternehmen, die sich als Corporate Citizen verstehen,sind als Stifter und Spender gern gesehen. Ist der Bürgermeister<strong>einer</strong> Stadt beispielsweise sozial oder kulturell engagiert,fachlich kompetent und will sich für die Belange derStiftung einsetzen, so ist er regelmäßig nicht nur willkommen,sondern zur Verankerung der <strong>Bürgerstiftung</strong> in der jeweiligenRegion sinnvoll und hilfreich. Um derartigen, engagierten undaktiven Mandatsträgern eine Mitgestaltung zu ermöglichen undgleichzeitig die Unabhängigkeit der <strong>Bürgerstiftung</strong> zu wahren,wird ein so aktives und wichtiges Stadtoberhaupt häufig alsSchirmherr eingebunden. Als Beispiele hierfür können die <strong>Bürgerstiftung</strong>enin Stuttgart für den Oberbürgermeister und dieals Lückenbüßer tätig zu werden und „kommunale“ Nebenhaushalte“ zu alimentieren,wird verlässlich erst die Zukunft zeigen.46 Vgl. auch Georg Michael Primus, <strong>Bürgerstiftung</strong> durch die Kommune?,<strong>Bürgerstiftung</strong>en in Deutschland, Forum <strong>Deutsche</strong>r Stiftungen Bd. 7, BVDS(Hrsg.), 2000, S. 25 ff; a. A.: Gemeinde und Stiftungen, Schriftenreihe desGemeindetags Baden-Württemberg Band 8, Bock/Fabijancic-Müller/Stingl/Schwink (Hrsg.), 2006, in Kapitel 4, S.40/41, wo „von der gängigen Literaturzum Stiftungswesen in diesem Punkt“ abgewichen wird, die „nur dieunabhängige <strong>Bürgerstiftung</strong> als wahre <strong>Bürgerstiftung</strong> anerkennt“.47 Vgl. zu den Aspekten und Kriterien der Macht- und Beziehungseliten undihres Wirkens wegweisend Floyd Hunter, Community Power Structure – AStudy of Decision Makers, 1953.


Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turner5/2.8Seite 21<strong>Bürgerstiftung</strong> für den Landkreis Fürstenfeldbruck mit demLandrat als Schirmherren genannt werden.Das Kriterium der Unabhängigkeit wendet sich gegen einenAutomatismus, dergestalt, dass die Inhaber eines bestimmtenAmtes, unabhängig von ihren sonstigen Qualifikationen quaSatzung, Plätze in den Organen der Stiftung besetzen und dieStiftungstätigkeit entscheidend beeinflussen oder auch nur theoretischbeeinflussen können.Dem Merkmal der „Unabhängigkeit“ <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> stehtes bei aller auch nur optischen Problematik nicht entgegen,wenn ihre Gremien – immer bei <strong>einer</strong> entsprechenden Größe desGremiums, die keine entscheidende Mehrheit zementiert – einzelneVertreter verschiedener örtlicher Einrichtungen angehören,deren Mitarbeit und deren Mitwirkung sich eine <strong>Bürgerstiftung</strong>nicht nur dauerhaft versichern möchte, sondern derenKooperation sie u. U. auch bedarf, um vor Ort mit etablierten,eingeführten Einrichtungen zusammenarbeiten zu können undderen Know-how einzubinden.Schwieriger zu beurteilen ist – selbst wenn es sich nur um eineStimme handelt – wenn ein gesetzter Vorsitz in einem Gremiumin der Satzung festgeschrieben wird, beispielsweise der jeweiligeBürgermeister oder der Vorsitzende des Vorstands eines örtlichenKreditinstitutes. Die Jury für das Gütesiegel hat in dieserSituation bisher das Merkmal der Unabhängigkeit noch bejaht,wenn der gesetzte Vorsitzende des Gremiums kein Veto- oderLetztentscheidungsrecht dergestalt hat, dass er es ist, der imFalle <strong>einer</strong> Pattsituation über einen Antrag entscheidet. Vielmehrmuss in diesen Fällen dann ein Automatismus in der Satzungverankert sein, dass ein Antrag dann stets als abgelehntgilt. Auch ist es nach derzeitiger Auffassung vertretbar, dassVertreter eines Stifters (etwa eines örtlichen Kreditinstitutesoder Gemeinderates) in mehreren Gremien vertreten sind, wennin jedem Gremium für sich gesehen, das Kriterium der Unabhängigkeiterfüllt ist. Anders wäre es zu beurteilen, wenn einVertreter eines Stifters sowohl gesetzter Vorsitzender des Vor-GesetzteMitglieder nurohne SonderrechteVD14Rechtshandbuch für Stiftungen


5/2.8Seite 22Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turnerstands als auch gesetzter Vorsitzender des Kontrollgremiums ist.Hier könnte keine Unabhängigkeit mehr angenommen werden.Ein Außenauftritt der <strong>Bürgerstiftung</strong> wäre dauerhaft mit demvertretenen Stifter verbunden, eine „Entwicklung“ der <strong>Bürgerstiftung</strong>und eine selbstständige Gremienbildung ausgeschlossen48 . In einem Fall, in dem sich Stifter <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> Aufgabenin Vorstand und Stiftungsrat teilen und in einem Gremiumdrei und in einem Gremium vier von insgesamt sechs Stifternvertreten sind, wurde die Unabhängigkeit bereits verneint.Eine nicht wünschenswerte Dominanz eines einzelnen Stiftersliegt auch dann vor, wenn lediglich ein Mitglied des Vorstandesoder Stiftungsrates gesetzt ist, die Änderung der Stiftungssatzungaber nur bei Zustimmung aller Gremienmitglieder (Einstimmigkeit)möglich ist. In diesem Fall kann der gesetzte Vertreterzwar nicht automatisch entscheidend in die laufendeGeschäftstätigkeit der Stiftung eingreifen, jedoch auf Satzungsänderungendurch sein Veto bestimmenden Einfluss nehmen.Vermögensverwaltungdarf nichtallein Sachevon BankenseinEbenfalls verneint hat die Jury eine Unabhängigkeit in Fällen,in denen in der Satzung <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> die Prüfung desRechnungswesens sowie die Erstellung des Jahresabschlussesund des Vermögensberichtes der Innenrevision eines Bankinstitutesdauerhaft übertragen wird und der Prüfbericht derInnenrevision als Grundlage <strong>einer</strong> Entscheidung über eine Vorstandsentlastungzu verwenden ist. Hier verkehrt sich diegrundsätzlich positive und zu begrüßende Bereitschaft einesStifters zur Übernahme von Aufgaben und zur Unterstützungder Entwicklung <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> durch die mit <strong>einer</strong> Festschreibungin der Satzung verbundene dauerhafte Verbindungins Gegenteil. Das Wechseln der Prüfer wird so ausgeschlossen.Ebenso ist eine unabhängige Vermögensverwaltung undunabhängige Geschäftsführung unter diesen Voraussetzungenkaum möglich.48 Vgl. Barbara Weitz, (Un-)Abhängigkeit von <strong>Bürgerstiftung</strong>en, Forum <strong>Deutsche</strong>rStiftungen Band 15, BVDS (Hrsg.), S. 65 (71).


Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turner5/2.8Seite 23Die Unabhängigkeit <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> wird auch dann beeinträchtigt,wenn die Satzung zwar keine Mehrheiten zugunsteneines bestimmten Stifters vorsieht, die Organe aber faktisch nurmit den Vertretern politischer Gremien oder der Verwaltungsspitzebesetzt sind.<strong>Bürgerstiftung</strong>en sollten in der praktischen Stiftungsarbeit aufeine ausgewogene Besetzung der Stiftungsgremien hinwirken.Will die <strong>Bürgerstiftung</strong> ein möglichst breites Spektrum der Bürgeransprechen und in ihre Arbeit integrieren, so sollte sie darumbemüht sein, dieses Spektrum auch in ihren Gremien widerzuspiegeln.Hier kann sich im Rahmen <strong>einer</strong> internen Evaluationergeben, dass ein Gremium zu einseitig besetzt ist. Die sichmeist kooptierenden Gremien sollten dann bei anstehenden ZuoderNachwahlen auf eine entsprechende Ergänzung ihrer Gremienachten. US-amerikanische Community Foundations habenhier häufig bis ins Detail ausgearbeitete Strategiepapiere undPraxiserfahrungen, um eine pluralistische und ausgewogeneGremienbesetzung zu gewährleisten. Ihnen geht es dabei sowohlum eine Repräsentanz von Stiftern 49 in den Gremien wieum die Vertretung der im Einzugsgebiet vorhandenen und aktivenBevölkerungsgruppen und Ethnien.Die Mitwirkung <strong>einer</strong> Stifterversammlung oder eines Stifterforumsbei der Besetzung der Gremien ist zur Wahrung der „Unabhängigkeit“nicht erforderlich. Ihnen sollten grundsätzlich eherberatende Funktionen oder Rechte zur Information und Empfehlungübertragen werden, eine Organstellung ist eher nicht zuempfehlen. Abgesehen vom internen Aufwand mit der Betreuungund Pflege der mit dem starkem Anwachsen eines derarti-49 Als einschlägige Frage, die für ein Gremienmitglied bejaht werden könnensollte, gilt „Give, Get or Go!“. Hiermit wird die Erwartung an ein jedes Mitgliedeines Stiftungsrates formuliert, selber zu stiften, andere zum Stiften zuanimieren oder das Gremium auch wieder zu verlassen. Hierin wird auch einUnterschied in der Landeskultur deutlich, aber ein Quentchen Wahrheit undeine Tendenz lässt sich auch nach Deutschland übertragen, schließlich kommendie Zustiftungen nicht von selber und automatisch, sondern sind meistErgebnis <strong>einer</strong> Mischung aus überzeugender Projektarbeit und aktiver Presse-und Öffentlichkeitsarbeit sowie <strong>einer</strong> steten Mund-zu-Mund-Werbung.VD14Rechtshandbuch für Stiftungen


5/2.8Seite 24Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turnergen Gremiums verbundenen Koordinations- und Organisationsarbeiten.Jährliche Versammlungen müssten gegebenenfalls inder örtlichen Stadthalle oder gar dem Fußballstadion abgehaltenwerden, Wahlvorgänge bedürften logistischer Kraftaufwendungenund das unbeabsichtigte bzw. unabänderliche Nichteinhaltenvon Formalien (z. B. die Ladung aller in alle Himmelsrichtungenverstreuten und nicht auffindbaren „ehemaligen“ Stifter).So könnten Angriffsflächen für Anfechtungen gegeben sein. EineOrganschaft <strong>einer</strong> Stifterversammlung neben einem Vorstand undeinem Stiftungsrat oder Kuratorium als drittem Organ und dieDelegation des ursprünglichen Stifterwillens der Gründungsstifterbei Errichtung der <strong>Bürgerstiftung</strong> auf spätere Zustifterführt im Übrigen zu stiftungsrechtlichen Problemen. 505.2.8.5.5 4. Merkmal: Geografischer WirkungskreisDas Aktionsgebiet <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> ist geografischausgerichtet: auf eine Stadt, einen Landkreis, eine Region.WirkungsradiusbeschränktAllgemeinheiti. S. d. AO<strong>Bürgerstiftung</strong>en beruhen auf dem Verantwortungsbewusstseindes Bürgers für seinen überschaubaren, eigenen Lebensraum unds<strong>einer</strong> Beziehung zur unmittelbaren Umgebung. Der Wirkungsradius<strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> konzentriert sich daher auf eine Stadt,einen Landkreis oder eine Region. Die regionale, lokale Begrenzungder <strong>Bürgerstiftung</strong> ist zugleich Ausgleich für die Weite derZwecke, die mit <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> verfolgt werden. 51Die Anforderungen des Gemeinnützigkeitsrechts (Förderungder Allgemeinheit i. S. d. § 52 Abs. 1 AO) stehen der räumlichenBegrenzung der Tätigkeit der <strong>Bürgerstiftung</strong> nicht entgegen. Istein Personenkreis nicht zu klein und exklusiv, so kann dieser50 Führend in dieser Diskussion Peter Rawert, <strong>Bürgerstiftung</strong>en in Deutschland.Eine kritische Einführung aus juristischer Sicht, in: <strong>Bürgerstiftung</strong>enin Deutschland – Bilanz und Perspektiven, Nährlich/Graf Strachwitz/Hinterhuber/Müller(Hrsg.), Bürgergesellschaft und Demokratie Band 23, 2005,S. 39 (41).51 Beispiele bei Philipp Hoelscher/Eva Maria Hinterhuber, Von Bürgern fürBürger? <strong>Bürgerstiftung</strong>en in Deutschlands Zivilgesellschaft, Schriftenreiheder Karl-Konrad- und Ria-Groeben-Stiftung, 2005, .S. 46f (4.1.3).


Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turner5/2.8Seite 25Ausschnitt aus der Gesamtbevölkerung als Allgemeinheit i. S. d.§ 52 der Abgabenordnung angesehen werden. Die Abgrenzungkann auch anhand von räumlichen Abgrenzungskriterien vorgenommenwerden. Eine regionale Einschränkung schadet demnachnicht, solange innerhalb des Fördergebiets der Personenkreis,dem die Förderung zugute kommt, als Allgemeinheitangesehen werden kann. Aufgrund von Veränderungen der lokalenBedingungen ändert sich der tatsächlich geförderte Personenkreis<strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> regelmäßig. Zudem steht selbstbei <strong>einer</strong> örtlichen Gemeinschaft mit <strong>einer</strong> nur kleinen Personenzahldie Gruppe der tatsächlichen Empfänger der Stiftungsleistungennicht von Anfang an fest. Bei dem potenziell förderungswürdigenPersonenkreis handelt es sich folglich um einenAusschnitt aus der Allgemeinheit. 52Während der Begriff der Stadt und des Landkreises in Anlehnungan das Kommunalrecht definiert werden kann, ist derBegriff der Region juristisch regelmäßig nicht näher bestimmt.Insofern besteht für die Initiatoren <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> dieMöglichkeit, selbst ein Einzugsgebiet festzulegen und auch aufhistorisch begründete, durch Gebietsreformen gegebenenfallsaufgelöste, aber in der Bevölkerung noch präsente Gebiete zurückzugreifen.Bei der Gründung der <strong>Bürgerstiftung</strong> sollte stets erwogen werden,in welchem Einzugsgebiet noch ein einheitliches Gemeinschaftsgefühlbesteht. Dabei ist auf der einen Seite zu beachten,dass ein kl<strong>einer</strong>es Einzugsgebiet das Verantwortungsgefühl derBürger und somit die Bereitschaft stärkt, sich im Rahmen der<strong>Bürgerstiftung</strong> zu engagieren. Zugleich engen sich aber auch derKreis möglicher Stifter und das Wachstumspotenzial entsprechendein. Darüber hinaus ist für die Wahl des Einzugsgebietesdie Frage entscheidend, welches Stiftungskapital die Gründungsinitiativeauf Dauer anstrebt und welches finanzielle Potenzialin dem gewählten Einzugsgebiet vorhanden ist. 53 DieRegionjuristisch nichtbestimmtregionalesStiftungspotenzialbestimmtindirekt Einzugsgebiet52 Vgl. Aaltje Kaper, <strong>Bürgerstiftung</strong>en, S. 88.53 In den Vereinigten Staaten gibt es beispielsweise <strong>Bürgerstiftung</strong>en, dieflächenmäßig einen ganzen Bundesstaat umfassen. Als Mindestausstattung,VD14Rechtshandbuch für Stiftungen


5/2.8Seite 26Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turnerselbstkritische Beantwortung der Frage nach einem mittelfristigdurch Stiftungen und Zustiftungen angestrebten und benötigtenVolumen des Stiftungskapitals führt häufig zu <strong>einer</strong> Erweiterungund Ausbreitung des Einzugsgebietes.Die bisher gegründeten <strong>Bürgerstiftung</strong>en sind von ihrer Größeher sehr unterschiedlich ausgestaltet. Der Wirkungsradius <strong>einer</strong><strong>Bürgerstiftung</strong> kann sich ebenso auf eine kleine Stadt oderGemeinde mit unter 2.000 Einwohnern (<strong>Bürgerstiftung</strong> Schwalenberg)oder um 2.800 Bürger (<strong>Bürgerstiftung</strong> Steingaden)beziehen wie eine Insel umfassen (<strong>Bürgerstiftung</strong> Borkum oder<strong>Bürgerstiftung</strong> Norderney), reicht aber auch bis hin zu einemsehr großen Einzugsgebiet wie im Fall der <strong>Bürgerstiftung</strong>en inBerlin (3,45 Millionen Einwohner) oder München (1,33 MillionenEinwohner). Die flächenmäßig größte <strong>Bürgerstiftung</strong> erstrecktsich derzeit auf die Landkreise Barnim und Uckermark,die mit <strong>einer</strong> gemeinsamen Größe von 4.500 km 2 größer sind alsdas Saarland (2.568km 2 ). In den USA definieren die NationalStandards als maximale Größe des Einzugsgebietes einen Bundesstaat(state) 54 .Sieht man die Aufzählung im Rahmen des 4. Merkmals alsabschließend an, so könnten Stiftungen, die ihre Aktivitätenlediglich auf einen Stadtteil begrenzen (<strong>Bürgerstiftung</strong> Neukölln(Berlin) mit über 300.000 Einwohnern und damit mehr alsz. B. Augsburg mit 260.000), <strong>Bürgerstiftung</strong> Hannover-Langenhagen,Stiftung KalkGestalten (Köln)), das Merkmal nichterfüllen und nicht als <strong>Bürgerstiftung</strong>en im Sinne dieser Merk-um dauerhaft eine ggfs. auch nur kleine Verwaltung aufrechterhalten zu können,werden in den USA Kapitalausstattungen von 5 Mio. aufwärts und einEinzugsgebiet empfohlen, das mindestens 1 Million Bevölkerung umfasst.Hier fehlen in Deutschland noch einschlägige Erfahrungen, die Überlebensfähigkeitkl<strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong>en unter dem Aspekt der regionalen wiefinanziellen Ausstattung, die jedenfalls in der Anfangsphase noch auf dasehrenamtliche Engagement der Akteure der ersten Stunde bauen können,muss sich noch erweisen. Eine jedenfalls mittelfristige Lösung mit hauptamtlichenMitarbeitern ist eindringliche Empfehlung auch aller Expertenaus den angloamerikanischen Ländern.54 S. www.cof.org


Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turner5/2.8Seite 27male angesehen werden. Eine solche Auslegung ist insofernüberlegenswert, wenn sie der Zersplitterung einzelner Städte inmehrere, möglicherweise nicht überlebensfähige oder sichgegenseitig blockierende <strong>Bürgerstiftung</strong>en, vorbeugt. Andererseitsgilt die Priorität der regionalen „Einheit“, so dass auch <strong>Bürgerstiftung</strong>enfür Stadtteile gerade in Großstädten denkbar sind,auch wenn sie aufgrund der Erfahrungen in anderen Ländern(USA, Kanada) nicht für sinnvoll angesehen werden. Dort entstehenin dünn besiedelten Flächenregionen dann beispielsweiseunter dem Dach der einen <strong>Bürgerstiftung</strong> Außenstellen, um dieNähe zu den Bürgern zu ermöglichen, ohne eine zusätzliche,selbstständige <strong>Bürgerstiftung</strong> zu errichten. 55Leer gehen in Fällen von selbstständigen, kleinen Stadtteil-<strong>Bürgerstiftung</strong>enerfahrungsgemäß Stadtteile mit sozialen Brennpunktenaus, wenn hier zudem ein nur geringes Zustiftungs- undSpendenaufkommen zu erwarten ist. Gleichwohl soll nicht unerwähntbleiben, dass bei mindestens zwei <strong>Bürgerstiftung</strong>sgründungensoziale Schwierigkeiten das Bewusstsein für bürgerlichesEngagement im jeweiligen Stadtteil gestärkt und zu<strong>einer</strong> Gründung geführt haben. Sind jedoch die finanziellenRessourcen eines Stadtteils so begrenzt, dass keine sinnvollenProjekte in Angriff genommen werden können, so sollten andere,am besten angrenzende Stadtteile mit mehr Erfolg versprechendemPotenzial in das Gebiet der zu gründenden <strong>Bürgerstiftung</strong>mit eingebunden werden.<strong>Bürgerstiftung</strong>enin sozialenBrennpunktenUnabhängig von persönlichen Befindlichkeiten lokaler Initiatorensollte das Potenzial für eine prosperierende <strong>Bürgerstiftung</strong>realistisch geprüft und bewertet werden, und zwar wegen dergrundsätzlich auf Dauer angelegten <strong>Bürgerstiftung</strong>sgründung,55 Innerhalb des von der <strong>Bürgerstiftung</strong> für den Landkreis Fürstenfeldbruckabgedeckten Gebietes hat sich inzwischen beispielsweise mit dem Gröbenzell-Fondssowohl ein durch einen Stifter initiierter Gemeindefonds gebildet,wie es eine vom Oberbürgermeister der Kreisstadt angeregte und mit kommunalerNähe umgesetzte Stadtstiftung für die Kreisstadt Fürstenfeldbruck(Stadtstiftung Fürstenfeldbruck) gibt, da er sich mit „s<strong>einer</strong>“ Stiftung nichtunter das Dach der <strong>Bürgerstiftung</strong> begeben wollte.VD14Rechtshandbuch für Stiftungen


5/2.8Seite 28Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turnerdie auch Animositäten und Befindlichkeiten heute agierenderPersonen und Gruppen überleben wird und auch wegen der USamerikanischenErfahrungen. 565.2.8.5.6 5. Merkmal: StiftungskapitelEine <strong>Bürgerstiftung</strong> baut kontinuierlich Stiftungskapitalauf. Dabei gibt sie allen Bürgern, die sich <strong>einer</strong> bestimmtenStadt oder Region verbunden fühlen und die Stiftungszielebejahen, die Möglichkeit <strong>einer</strong> Zustiftung. Siesammelt darüber hinaus Projektspenden und kann Unterstiftungenund Fonds einrichten, die einzelne in der Satzungaufgeführte Zwecke verfolgen oder auch regionaleTeilgebiete fördern.Nachhaltigkeitdurch VermögensaufbauVon ihrer Idee her sind <strong>Bürgerstiftung</strong>en auf den dauerhaftenAusbau ihres Stiftungskapitals 57 und einen kontinuierlichen, stetigenVermögensaufbau 58 gerichtet. Die Nachhaltigkeit ihresWirkens durch den Aufbau eines eigenen Kapitalstocks ist <strong>einer</strong><strong>Bürgerstiftung</strong> immanent. So können gerade auch zukünftige56 In den USA haben gerade zwei riesige <strong>Bürgerstiftung</strong>en in angrenzendenGebieten im Silicon Valley fusioniert, um gemeinsam noch schlagkräftigerzu werden. In Deutschland gründen sich dagegen mit großer Begeisterung<strong>Bürgerstiftung</strong>en im „Vorgarten“ gerade gegründeter und langsam wachsender<strong>Bürgerstiftung</strong>en oder, wie in Augsburg, sogar in der selben Stadt undmit identischen Zielen. In diesen Fällen sollten persönliche Anliegen hinterdie Interessen des lokalen Gemeinwohls, um das es bei <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong>sgründungdoch in allererster Linie gehen sollte, gestellt werden.57 Vgl. auch die Ausführungen von Aaltje Kaper, <strong>Bürgerstiftung</strong>en, S. <strong>10</strong>0, diezutreffend feststellt, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen demplanmäßigen Aufbau des Stiftungskapitals <strong>einer</strong>seits und der Genehmigungsfähigkeitvon <strong>Bürgerstiftung</strong>en andererseits besteht: „Richten dieAkteure <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> ihr Augenmerk allein auf den Einsatz ihrer personellenRessourcen, so werden sie dem Anspruch des Gesetzes, eine juristischePerson auf Grundlage eines Zweckvermögens zu sein, nicht gerecht.Die vorhandene Ressourcen <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> haben im Hinblick auf denCharakter <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> als BGB-Stiftung gegenüber dem Stiftungsvermögeneine nur ergänzende Funktion.“58 Ausführlich zum Vermögensaufbau Alexandra Schmied, Der strategischeVermögensaufbau von <strong>Bürgerstiftung</strong>en, Handbuch <strong>Bürgerstiftung</strong>en, BertelsmannStiftung (Hrsg.), 2. Auflage 2004, S. 215 ff sowie a. a. O. Schlüsselfaktorenfür den Vermögensaufbau von <strong>Bürgerstiftung</strong>en, S. 492 ff.


Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turner5/2.8Seite 29Generationen profitieren und die Erträge nutzen – zum Wohl derRegion und der jeweils in ihr lebenden Bürgerinnen und Bürger.Aus diesem Grund gibt eine <strong>Bürgerstiftung</strong> allen Bürgern, diesich <strong>einer</strong> bestimmten Stadt oder Region verbunden fühlen unddie Stiftungsziele bejahen, die Möglichkeit <strong>einer</strong> Zustiftung.„Charity begins at home“ oder „Home is where the heart beats“heißt die Devise für Bürgerstifter. Zusätzlich zur Förderunggemeinnütziger Aktivitäten vor der eigenen Haustüre eröffnen<strong>Bürgerstiftung</strong>en die Attraktivität des Stiftungsgedankens auchgegenüber Menschen mit mittleren und kleinen Vermögen, diezunächst von sich selbst nicht als Stiftern sprechen würden undnun, mit ihren Mitteln zusammen mit denen anderer Bürger,einen effektiven Beitrag leisten können. Dadurch entfalten auchsie große Wirkung und können langfristig zu Veränderungenbeitragen und z. B. die Lebensqualität 59 vor Ort verbessern. Mitund bei <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> kann jedermann zum Stifter werden.Die <strong>Bürgerstiftung</strong>en sind die „Stiftungen für Dich undMich“ und damit die „Stiftungen für alle“.Der Umstand, dass eine <strong>Bürgerstiftung</strong> allen Bürgern die Möglichkeitzu stiften gibt, bedeutet nicht, dass die Stiftung dazuverpflichtet wäre, jedwede Zuwendung anzunehmen. Regelmäßigsehen die Stiftungssatzungen vor, dass die Stiftung Zuwendungen(Zustiftungen und Spenden) entgegennehmen kann,hierzu aber nicht verpflichtet ist. Eine solche Regelung ist sinnvoll.Die Zuwendung <strong>einer</strong> Immobilie oder eines Nachlasseskann für die Stiftung im Einzelfall mit einem erheblichen Verwaltungsaufwandund mit hohen Kosten verbunden sein, die inkeinem Verhältnis zum zu erwartenden Ertrag stehen. DieAnnahme <strong>einer</strong> Kunstsammlung kann mit enormen ErhaltungsundUnterhaltskosten verbunden sein. Es ist hilfreich, wenn imRahmen der Satzung für diese Fälle klargestellt wird, dass einesolche Zuwendung nicht zwingend angenommen werden muss.Jeder kannBürgerstifterwerdenKeineVerpflichtungzur Spendenannahme59 So hat die <strong>Bürgerstiftung</strong> für den Landkreis Fürstenfeldbruck diesen Anspruchbeispielsweise in ihr Motto eingebunden: „Wir stiften Lebensqualität“.VD14Rechtshandbuch für Stiftungen


5/2.8Seite 30Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus TurnerNicht in jedem Fall ist die Wahl <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> alsWunscherbe 60 oder eine Zustiftung in das Grundstockvermögendie aus Stiftersicht ideale Form der dauerhaften Unterstützungregionaler Bedürfnisse. Mancher Stifter hat eine besondere Fördervorliebe,ein besonderes Anliegen, zu dessen Umsetzungoder dauerhafter Verwirklichung er mit eigenen Mitteln beitragenmöchte. In diesen Fällen ist eine Zustiftung zur generellenFörderung der breiten Stiftungszwecke <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong>gerade nicht die richtige Antwort. Neben der Errichtung <strong>einer</strong>eigenen, rechtsfähigen Stiftung kann aber ein Lösungsangebot<strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> die Errichtung eines Fonds oder <strong>einer</strong> Treuhandstiftungsein. Unjuristisch ausgedrückt steht für diesesAngebot das Bild der <strong>Bürgerstiftung</strong> als „Schutzmantelmadonna“61 oder „Dachstiftung“ mit vielen „Unterstiftungen“ zahlreicherStifter, die als Themen- oder Namens-Fonds ausgestaltetsein und dann dem direkten Stiftungskapital der Bürgerstif-<strong>Bürgerstiftung</strong>enhabenMehrwert<strong>Bürgerstiftung</strong>als„Schutzmantelmadonna“<strong>Bürgerstiftung</strong>en sind auf den kontinuierlichen Kapitalaufbauangewiesen. Sie müssen sich neben anderen um Spenden- undZustiftungen für vielerlei Zwecke im In- und Ausland werbendenSammelstiftungen behaupten. Der Autor ist allerdingsdavon überzeugt, dass <strong>Bürgerstiftung</strong>en neben dem breitenAngebot von kommunal oder kirchlich verwalteten Stiftungensowie der zunehmenden Zahl von Banken errichteten Sammelstiftungenfür Kundengelder ein zusätzliches, bisher nicht abgedecktesAngebot darstellen. Sie bieten für diejenigen Bürger-(Stifter) eine attraktive Lösung, die sich vom bisher zwar schonbreiten, aber doch nicht umfassenden, alle Bedürfnisseabdeckenden Angebot gerade nicht angesprochen fühlen, weilsie vor Ort – eben „zu Hause“ – stifterisch aktiv werden möchten,um damit am Ort ihres eigenen Lebens und Wirkens eineigenes kleines Zeichen – eine Spur – hinterlassen zu können.60 Zur Stiftung als ‚Wunscherbe‘ eines Stifters und Erblassers vgl. NikolausTurner, Die Stiftung – ein selbstständig und individuell gestaltbarer Wunscherbe,ZEV 1995, S. 206–211.61 So Michael Jacobi beim Beschreibungsversuch der Funktionen <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong>,in: <strong>Bürgerstiftung</strong>en in Deutschland, Forum <strong>Deutsche</strong>r StiftungenBand 7, BVDS (Hrsg.), 2000, S. 54


Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turner5/2.8Seite 31tung zugerechnet werden können oder das der unselbstständigenTreuhandstiftungen, die unter dem Dach der <strong>Bürgerstiftung</strong>angesiedelt sind und von der <strong>Bürgerstiftung</strong> treuhänderisch verwaltetund gemanagt werden.Betrachtet man die Entwicklung und den Erfolg der CommunityFoundations in den Vereinigten Staaten und Kanada, dannbesteht ein enger Zusammenhang zwischen dem Aufbau desKapitalstockes und der im Rahmen ihrer Dienstleistungsangebotefür Stifter übernommenen Betreuung von zum Teil vielenHundert treuhänderischen Stiftungen und Fonds auf der einenSeite und <strong>einer</strong> soliden Lebensfähigkeit der dortigen <strong>Bürgerstiftung</strong>enauf der anderen Seite. Diese Erfahrung scheint – beialler Einzigartigkeit und Individualität der <strong>Bürgerstiftung</strong>en –auch auf Deutschland übertragbar zu sein. Aus diesem Grund istdie Verwaltung von Treuhandstiftungen durch die <strong>Bürgerstiftung</strong>enausdrücklich in die <strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong> aufgenommen worden.Da der kontinuierliche Aufbau des Stiftungskapitals Teil der <strong>10</strong><strong>Merkmale</strong> ist, ist dies auch von der Jury im Rahmen der Vergabedes Gütesiegels zu prüfen. Da der Erfolg eventueller Werbemaßnahmenjedoch von zahlreichen Faktoren abhängt, auf dendie <strong>Bürgerstiftung</strong> häufig keinen (direkten) Einfluss hat und derSchwerpunkt sinnvollerweise auf testamentarischen Zuwendungenliegen wird, kann insoweit nicht verlangt werden, dass esjeweils schon konkret zu einem deutlichen Wachstum des Stiftungskapitalsgekommen ist. Es ist allein notwendig, dass die<strong>Bürgerstiftung</strong> zeigt, dass sie Aktivitäten zur Einwerbung weiterenStiftungskapitals entfaltet hat und den Kapitalzuwachs alsZiel formuliert. Bei konkretem Zuwachs hat eine <strong>Bürgerstiftung</strong>in ihren Jahresberichten und der Berichterstattung darauf hinzuweisenund dies im jährlichen Zahlenwerk auch auszuweisen.Zum einen aus Gründen der Transparenz, zum anderen aberauch, um mit praktischen Beispielen von Zustiftern und Vermächtnisgebernauf diese eben auch tatsächlich gegebenenMöglichkeiten hinzuweisen und möglichst viele zur Nachahmungzu animieren.VD14Rechtshandbuch für Stiftungen


5/2.8Seite 32Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus TurnerGroße ErbschaftenimmerseltenerVermögensaufbauständigvor AugenDie demografische Entwicklung in Deutschland, die wirtschaftlichenFolgen des Umbaus der Sozialsysteme und die stärkernotwendig werdende Eigenverantwortung der Bürger lassennach der Nachkriegs- und Wiederaufbaugeneration und der Generationder Erben zukünftige Generationen u. U. nur in begrenztemRahmen zu Stiftern werden. Zustiftungen von Todeswegen könnten dann am Ende eines Lebens – nach Finanzierungvon Pflege und Betreuung – mangels üppiger, zur freien Verfügungstehender, übrig bleibender Vermögenswerte in gar nichtso ferner Zukunft rar werden.Dies lässt sich vermutlich gar nicht übermäßig unrealistisch undsalopp mit der Feststellung zusammenfassen „Die Zeit läuft, dasPotenzial für Zustiftungen ist (bei allem vorhandenen Vermögen)begrenzt, jedes Leben ist endlich! Es eilt!“. Natürlich wird esimmer einzelne Stifter und Spender geben, aber zu einemgroßen, den Großteil <strong>einer</strong> Generation betreffenden, typischenVerhalten wird das Stiften sicher nicht werden. Das bedeutet für<strong>Bürgerstiftung</strong>en, dass sie sich schwerpunktmäßig nicht nur aufdie Projekte und Förderaktivitäten konzentrieren dürfen und übergute Projektarbeit auf sich aufmerksam machen müssen, sondernvielmehr parallel und mit Priorität auch den Vermögensaufbauund die Gewinnung von Stiftern vor Augen haben müssen.Angesichts der demografischen Entwicklungen stellt ProfessorDr. Andreas Kruse fest: „Schließlich sind im kommunalenBereich <strong>Bürgerstiftung</strong>en auszubauen, die ihrerseits gezieltältere Frauen und Männer ansprechen – und zwar im Hinblickauf das Einbringen sowohl von ideellen Ressourcen (Erfahrung,Wissen) als auch von zeitlichen und materiellen Ressourcen.Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene sind neue, flexible Übergängevon der Erwerbstätigkeit in die nachberufliche Zeit notwendig.“6262 So Andreas Kruse, Die Zukunft liegt im Alter. Die Stärken des Alters erkennenund nutzen – ein wissenschaftliches und ethisches Plädoyer für den verändertengesellschaftlichen Umgang mit dem Humanvermögen älterer Menschen,Veröffentlichungen der Kester-Haeusler-Stiftung Band 34, Kester-Haeusler-Stiftung (Hrsg.), 2006, S. 4


Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turner5/2.8Seite 335.2.8.5.7 6. Merkmal: StiftungszweckEine <strong>Bürgerstiftung</strong> wirkt in einem breiten Spektrum desstädtischen oder regionalen Lebens, dessen Förderung fürsie im Vordergrund steht. Ihr Stiftungszweck ist daherbreit. Er umfasst in der Regel den kulturellen Sektor,Jugend und Soziales, das Bildungswesen, Natur und Umweltund den Denkmalschutz. Sie ist fördernd und/oderoperativ tätig und sollte innovativ tätig sein.Die Stiftung im Sinne des Zivilrechts ist ein Zweckvermögen.Sie wird eigens errichtet, um bestimmte Zwecke zu verfolgen.Bei der <strong>Bürgerstiftung</strong> steht der Beschränkung in regionalerHinsicht (Merkmal 4) ein weiter Stiftungszweck 63 und Vielseitigkeitgegenüber. 64 Die <strong>Bürgerstiftung</strong> soll sich überall dortengagieren können, wo am Ort Bedarf besteht 65 . Sie soll auchauf unvorhergesehene zukünftige Situationen ebenso flexibelreagieren können wie sie eine breite Palette der Bedürfnisse undAnliegen ihrer Stifter bedienen können soll (und muss).BegrenzterRaum, breiterStiftungszweckDie Breite des Stiftungszwecks sowie die lokale Ausrichtungder Stiftungsarbeit der <strong>Bürgerstiftung</strong>, durch die die Fülle dergemeinnützigen Zwecke der Abgabenordnung auf eine Regionbeschränkt wird, sind die entscheidenden <strong>Merkmale</strong> in derAbgrenzung zu <strong>einer</strong> Gemeinschaftsstiftung. Gemeinschafts-63 So auch Gemeinden und Stiftungen, Studie zur Gründung von Stiftungen aufkommunaler Ebene zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements undöffentlicher Zwecke, Schriftenreihe des Gemeindetags Baden-WürttembergBand 8, Bock/Fabijancic-Müller/Stingl/Schwink (Hrsg.), 2006, Kap. 1.1,S. 34.64 Schauhoff, in: Handbuch der Gemeinnützigkeit, § 3 Rn. 34, S. 117 wendetein, dass die Unbestimmtheit des Stiftungszweckes den Organen der <strong>Bürgerstiftung</strong>eine gleichsam körperschaftliche Willensbildung ermöglicheund daher gegen den Numerus clausus der Rechtsformen verstoße. Vgl. hierzuAaltje Kaper, <strong>Bürgerstiftung</strong>en, 2006, S. 82 ff.65 Kritisch hierzu <strong>Bürgerstiftung</strong>en in Ihrer Stadt, Redaktion Arnd Pricibilla,Städtenetzwerk NRW (Hrsg.), 2005, S. 81, wo der projektbezogene Anlass<strong>einer</strong> Stiftungsgründung neben der regionenbezogenen Motivation angeführtwird, aber hier greift nach ganz überwiegender Meinung dann dieGemeinschaftsstiftung im Gegensatz zu <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong>.VD14Rechtshandbuch für Stiftungen


5/2.8Seite 34Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turnerstiftungen beschränken sich in ihrer Arbeit regelmäßig allein„nur“ auf einen Zweck, etwa die Förderung von Kunst und Kultur66 .Breiter Stiftungszweckvon Anfang anDer stiftungsrechtliche Grundsatz, dass die Tätigkeit <strong>einer</strong> Stiftungmaßgeblich durch den ursprünglichen Stifterwillen geprägtwird, muss auch bei <strong>Bürgerstiftung</strong>en Gültigkeit haben. Dies wirddadurch gewährleistet, dass die Gründungsstifter den Stiftungszweckweit fassen und spätere Vertreter der Stiftungsorgane sichmit der Ausgestaltung der jeweils aktuellen Stiftungstätigkeitinnerhalb des von Anfang an weit gefassten Stiftungszwecksbetätigen können. 67 So lässt sich eine breite Bedürfnispalette 68ebenso abdecken und die notwendige Flexibilität und ein größtmöglichesHandlungspotenzial erhalten bleibt, und zwar sowohlfür nachfolgende Generationen (in den Stiftungsgremien ebensowie in der Gesellschaft vor Ort) als auch ihre sich wandelndenBedürfnisse.Die Breite des Stiftungszwecks schließt nicht aus, dass eine <strong>Bürgerstiftung</strong>im Rahmen ihrer Tätigkeit Schwerpunkte setzt. Sostellen die Satzungen der <strong>Bürgerstiftung</strong>en regelmäßig klar, dassdie Stiftung nicht alle Zwecke gleichzeitig oder in gleichemMaße verwirklichen muss. Unvereinbar sowohl mit dem Stiftungsrechtals auch mit den <strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong>n wäre es aber, wenneine Stiftung einzelne, in der Satzung genannte Zwecke vollständigvernachlässigt. Dies wäre, davon abgesehen, auch mitBlick auf die Öffentlichkeit und potenzielle Zustifter ungeschickt,da mit verschiedenen Projekten eine größere Zahl vonStiftern jeweils über ihre individuellen Anliegen erreicht werdenkönnen, weil sie naturgemäß von ganz unterschiedlichen Interessenbestimmt werden.66 So z. B. die sog. „<strong>Bürgerstiftung</strong> der Theaterfreunde Schwerin“, bei der essich um eine typische Vertreterin der Stiftungsform der Gemeinschaftsstiftunghandelt.67 So Andreas Schlüter/Stefan Stolte, Stiftungsrecht, 2007, Rdnr. 67 S. 40.68 So Karin Müller, <strong>Bürgerstiftung</strong>en und ihre Charakteristika. Anspruch undRealität, in: <strong>Bürgerstiftung</strong>en in Deutschland, Nährlich/Graf Strachwitz/Hinterhuber/Müller (Hrsg.), Bürgergesellschaft und Demokratie Band 23,2005, S. 67 ff. (2. S. 69).


5/2.8Seite 36Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turnerrem Startkapital mit <strong>einer</strong> beschränkten Zwecksetzung beginntund sich durch einen entsprechenden Satzungsänderungsvorbehaltbei Anwachsen des Stiftungskapitals die Erweiterung derSatzung nur vorbehält.ThematischeFokussierungzu Beginn u. U.sinnvollZivil- undsteuerrechtlicheVorgabenUnberücksichtigt bleiben kann hier die von einzelnen Stiftungsaufsichtsbehörden69 ebenso wie von einzelnen Gründungsinitiativenvorgesehene Selbstbeschränkung in der Anfangsphase biszur Erreichung <strong>einer</strong> bestimmten Kapitalgröße. Eine geradeanfängliche Fokussierung der Stiftungsaktivitäten durch Bildungthematischer Schwerpunkte widerspricht dem Erfordernis<strong>einer</strong> breiten Anlegung des Stiftungszwecks nicht.Um trotz ihrer Zweckbreite den Anforderungen der Bestimmtheitsanforderungendes Zivil- und Steuerrechts (vgl. § 60 Abs. 1AO) zu genügen, sollte die <strong>Bürgerstiftung</strong> in ihrer Satzung• den örtlichen Wirkungskreis der <strong>Bürgerstiftung</strong> und• ihren Adressatenkreis festlegen sowie• ihr Verhältnis zu kommunalen Aufgaben und• die Art und Weise der Zweckverfolgung bestimmen. 70Probleme ergeben sich, wenn eine Stiftung – wie z. B. die „Stiftungkinder- und familienfreundliches Melsungen“ – sich inihrer Ausrichtung auf Kinder- und Jugendhilfe, Bildung undErziehung, die Unterstützung hilfsbedürftiger Personen, sowiewissenschaftliche Forschungsarbeiten, die sich auf die vorgenanntenZwecke beziehen, konzentriert. Eine solche Ausrichtungqualifiziert sie als Gemeinschaftsstiftung, ist aber als zueng für eine Klassifizierung als <strong>Bürgerstiftung</strong> und den Erwerb69 Z. B. bei der <strong>Bürgerstiftung</strong> Berlin, die zunächst Jugendprojekte im Fokushat und ihren Radius mit Erreichen eines größeren Stiftungskapitals erweiternkann.70 Vgl. Aaltje Kaper, <strong>Bürgerstiftung</strong>en, 2006, S. 90.


Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turner5/2.8Seite 37des Gütesiegels anzusehen. In solchen Fällen beschneidet sicheine Stiftung nicht nur selbst, wenn sie sich bewusst auf einenbestimmten Lebensabschnitt konzentriert und dies auch inihrem Namen zum Ausdruck bringt, sondern sie wird auch Bürgermit Interessen auf anderen Gebieten nicht für sich gewinnenkönnen. Von den als Regelbeispielen aufgeführten Zweckenwird hier weder der kulturelle Sektor, noch Natur und Umweltoder der Denkmalschutz erfasst. Als typische Gemeinschaftsstiftungwird sie diese Konsequenzen verschmerzen können, jawahrscheinlich gezielt gewählt haben und nicht einmal bedauern,den <strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong>n nicht zu entsprechen. Erst bei <strong>einer</strong>möglichen zukünftigen Gründung <strong>einer</strong> breit aufgestellten„<strong>Bürgerstiftung</strong> Melsungen“ mit breiterem Stiftungszweck könnenAbgrenzungsfragen und unnötiger Wettbewerb entstehen.Laut der <strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong> ist es <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> freigestellt, obsie fördernd und/oder operativ tätig werden will 71 . <strong>Bürgerstiftung</strong>ensind in ihrer Anfangsphase häufig recht klein und ziehendaher die operative Tätigkeit mit dem Einsatz „günstiger“ Zeitspenderleistungen<strong>einer</strong> rein fördernden Tätigkeit vor. Dies darfjedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich eine <strong>Bürgerstiftung</strong>im Laufe der Jahre zunehmend auf die fördernde Tätigkeitmit hauptamtlichen Mitarbeitern konzentrieren sollte, um ihreHauptenergie in den Aufbau des generationsübergreifend beständignutzbaren Stiftungskapitals stecken zu können.Förderungsteht imVordergrund5.2.8.5.8 7. Merkmal: Gesellschaftliches EngagementEine <strong>Bürgerstiftung</strong> fördert Projekte, die von bürgerschaftlichemEngagement getragen sind oder Hilfe zurSelbsthilfe leisten. Dabei bemüht sie sich um neue Formendes gesellschaftlichen Engagements.Eine <strong>Bürgerstiftung</strong> begreift sich nicht als Konkurrenz zubereits bestehenden Organisationen. Sie will mit ihrer operati-71 Hierin unterscheiden sich <strong>Bürgerstiftung</strong>en deutlich von Ihren Vorbildern inden USA, Kanada und Großbritannien, wo die Community Foundations ausschließlichfördernd tätig sind und keine eigene Projektarbeit entwickeln.VD14Rechtshandbuch für Stiftungen


5/2.8Seite 38Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turnerven Tätigkeit das vorhandene Angebot ergänzen und im Bereichihrer Förderung mit wachsendem Kapital einzelne Projekte,Vereine und andere Organisationen in ihren Aktivitäten unterstützenund fördern und ermöglicht Bürgerengagement inneuer Form, zusätzlich zu bereits bestehenden Möglichkeitenvor Ort.Dieses Selbstbild der <strong>Bürgerstiftung</strong>en ist durch die im Herbst2006 unter Stiftern durchgeführte Umfrage bestätigt worden.Von 145 Befragten gaben lediglich 36 Personen an, ihr anderweitigesEngagement etwa in Kirchgemeinden oder Sportvereinenzu Gunsten ihrer Mitarbeit bei <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> reduziertzu haben 72 .5.2.8.5.9 8. Merkmal: ÖffentlichkeitsarbeitEine <strong>Bürgerstiftung</strong> macht ihre Projekte öffentlich undbetreibt eine ausgeprägte Öffentlichkeitsarbeit, um allenBürgern ihrer Region die Möglichkeit zu geben, sich anden Projekten zu beteiligen.Ziel:VertrauensbildungWill eine <strong>Bürgerstiftung</strong> weitere Bürger zur Mitwirkunggewinnen, so bedarf es <strong>einer</strong> ausgeprägten Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.Ihr Ziel muss es sein, das Vertrauen der Regionihres Wirkens und ihrer dort lebenden Bürger dauerhaft zuerhalten. Um eine breite Information der Bevölkerung zu erreichen,gilt es, auf möglichst breiter und vielfältiger Weise in derÖffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Sicher können dabeidie Erfahrungen einzelner <strong>Bürgerstiftung</strong>en mit Sonderbeilagenin den regionalen Tageszeitungen, regelmäßigen Pressemitteilungen,Bilanzpressekonferenzen, Tätigkeits- und Rechenschaftsberichten,einem guten Internetauftritt mit gezieltenLinks auf andere Portale der Stadt/Region, der Lancierung vonStifterportraits und <strong>einer</strong> intensiven Berichterstattung als Anregungdienen. Auch regional verbreitete, kostenlos verteilte72 Vgl. Stiftungsreport 2007 – Schwerpunkt <strong>Bürgerstiftung</strong>en, Umfrage <strong>Bürgerstiftung</strong>en,Hrsg. vom Bundesverband <strong>Deutsche</strong>r Stiftungen, 2007, S. 56.


Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turner5/2.8Seite 39Wochen- und Werbezeitungen mit hohen Auflagen und breitemLeserkreis sollten dabei eingesetzt und keinesfalls unterschätztwerden.Zur vertrauenserweckenden und -bildenden Information speziellerZielgruppen, insbesondere potenzieller Stifter und Zeitspender,tragen auch Veröffentlichungen der Initiative <strong>Bürgerstiftung</strong>en73 bei, die <strong>Bürgerstiftung</strong>en in ihrer Arbeit helfen sollenoder beispielsweise bei Veranstaltungen an die interessierteÖffentlichkeit sowie die Presse verteilt werden. Auch die Einführungdes Gütesiegels und die Ausrufung des 1. Oktobers als„Tag der <strong>Bürgerstiftung</strong>en“ ist Teil von zahlreichen <strong>Bürgerstiftung</strong>enintensiv nachgefragter, nationaler Aktivitäten zur Beförderungder <strong>Bürgerstiftung</strong>sidee.5.2.8.5.<strong>10</strong> 9. Merkmal: Lokales NetzwerkEine <strong>Bürgerstiftung</strong> kann ein lokales Netzwerk innerhalbverschiedener gemeinnütziger Organisationen <strong>einer</strong> Stadtoder Region koordinieren.73 Weitere Informationen unter www.die-deutschen-buergerstiftungen.de.74 Vgl. Nikolaus Turner, <strong>Bürgerstiftung</strong>en in Deutschland, in: <strong>Bürgerstiftung</strong>enin Deutschland, Forum <strong>Deutsche</strong>r Stiftungen Band 15, BVDS (Hrsg.) S. 15 ff(21 ff); Suzanne L. Feurt, The Donor Services Role of Community Foundations,<strong>Bürgerstiftung</strong>en in Deutschland, Forum <strong>Deutsche</strong>r Stiftungen Band15, BVDS (Hrsg.), 2000, S. 149 ff. Shannon E. St. John, Dienstleistungen fürStifter, Handbuch <strong>Bürgerstiftung</strong>en, Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), 2000,S. 187 ff u. Nikolaus Turner a. a. O. S. 215 ff.75 So Nikolaus Turner, <strong>Bürgerstiftung</strong>en als Service-Center für Stifter, Handbuch<strong>Bürgerstiftung</strong>en, Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), 2. akt. u. erw. Auflage2004, S. 355 ff.<strong>Bürgerstiftung</strong>en sollten nach <strong>einer</strong> Phase der Errichtung undOrientierung neben der Entwicklung und Umsetzung ihrer eigenenProjekte und ersten Förderaktivitäten zu Gunsten dritterEinrichtungen optimalerweise eine Datenbank über alle vor Ortangebotenen gemeinnützigen Aktivitäten und Institutionen errichtenund pflegen. Damit können <strong>Bürgerstiftung</strong>en zumDienstleister 74 und Service-Center 75 für ihre Stifter und zukünf-<strong>Bürgerstiftung</strong>enals DienstleisterVD14Rechtshandbuch für Stiftungen


5/2.8Seite 40Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turnertige Zustifter und potenzielle Spender werden, die ihre Spendenfür lokale Anliegen und Projekte durch die <strong>Bürgerstiftung</strong> eingesetztund abgewickelt wissen wollen.So werden <strong>Bürgerstiftung</strong>en auch dem Gedanken der förderndenZweckverwirklichung gerecht und legen die Basis für ihrDienstleistungsangebot. 76An <strong>einer</strong> themenübergreifenden Datenbank fehlt es erfahrungsgemäß,da einzelne Einrichtungen bestenfalls den Überblicküber die die eigenen Belange betreffenden Ansprechpersonenund Einrichtungen haben. 77Bürgerstiftersind Netzwerker<strong>Bürgerstiftung</strong>en streben im Idealfall eine Koordinierungsfunktionan und wirken als Informationsquelle und Katalysatoren fürbürgerschaftliches Engagement, wenn es ihnen gelingt, lokaleEinrichtungen und Angebote zu vernetzen 78 . Zudem verschaffensie sich eine positive Reputation und eine Alleinstellungspositionvor Ort. Den lokalen Einrichtungen und gemeinnützigenInstitutionen wird die Akzeptanz der <strong>Bürgerstiftung</strong> entsprechendleichter fallen, wenn sie erkennen, dass die <strong>Bürgerstiftung</strong>nicht nur einen guten, umfassenden Überblick über die Angeboteund Bedürfnisse vor Ort hat, sondern im Rahmen ihrer Stifterdienstleistungeninteressierte Stifter und Spender auch mit denjeweils für die Umsetzung der Stifter- bzw. Spenderinteressen inFrage kommenden Einrichtungen und Projekten zusammenführt.Die US-amerikanische bzw. englische Literatur spricht hiergerne von <strong>einer</strong> Leadership- oder Stewardship-Funktion <strong>einer</strong>76 Vgl. <strong>Bürgerstiftung</strong>en in Ihrer Stadt, Redaktion Arnd Pricibilla, StädtenetzwerkNRW (Hrsg.), 2005, S. 85.77 Vgl. Gaynor Humphreys, <strong>Bürgerstiftung</strong>en in Deutschland, Forum <strong>Deutsche</strong>r<strong>Bürgerstiftung</strong>en Band 7, BVDS (Hrsg.), 2000, S. 6178 In diesem Zusammenhang können sie zukünftig u. U. auch den Bereich desaus den USA kommenden und in gesellschaftlichen Brennpunkten Berlins,Hamburgs und Stuttgarts in der Erprobung stehenden „Community Organizing“als Akteure oder Förderer begleiten. Vgl. hierzu Community Organizing.Menschen verändern ihre Stadt, Leo Penta (Hrsg.), AmerikanischeIdeen in Deutschland VIII, edition Körber-Stiftung


Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turner5/2.8Seite 41<strong>Bürgerstiftung</strong> für ihre Region 79 . Auch wenn wir uns mit derBegrifflichkeit des „Leadership“ und der lokalen Führungsrolle<strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> ebenso schwer tun wie wir uns bei der derzeitigenGröße der <strong>Bürgerstiftung</strong>en die Leitungs- oder Führungsrolleschwer vorstellen können, so bleibt das Ziel <strong>einer</strong> verändernden,verbessernden, prägenden und stilbildenden Einflussnahmeder jeweiligen <strong>Bürgerstiftung</strong> auf und in ihre Region beialler Bescheidenheit und allem Maßhalten durchaus Ziel undVision.5.2.8.5.11 <strong>10</strong>. Merkmal: GewaltenteilungDie interne Arbeit <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> ist durch Partizipationund Transparenz geprägt. Eine <strong>Bürgerstiftung</strong> hatmehrere Gremien (Vorstand und Kontrollorgan), in denenBürger für Bürger ausführende und kontrollierende Funktioneninnehaben.Das <strong>10</strong>. Merkmal lässt sich zusammenfassen in der Feststellung„Transparenz schafft Vertrauen“ und umfasst alle Aspekte, diedieses Vertrauen aufbauen und rechtfertigen können.Was für eine Aktiengesellschaft oder ein Wirtschaftsunternehmendie „Publizitätspflicht“ ist, das sollte für <strong>Bürgerstiftung</strong>en im Rahmenihrer Möglichkeiten und angepasst auf ihre Größe und finanzielleAusstattung die Transparenz sein. So sollten Jahresberichteebenso veröffentlicht und breit gestreut wie gegebenenfalls durcheinen Internetauftritt und Jahres- und Halbjahrespressegesprächeeine Information der Öffentlichkeit erreicht werden.Wer <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> Vermögensteile überträgt, hat anschließendnur noch im Zusammenwirken mit anderen StifternEinfluss auf die Auswahl der Akteure und Förderprojekte „s<strong>einer</strong>“<strong>Bürgerstiftung</strong>. Deshalb muss gewährleistet sein, dass die79 Vgl. hierzu die Veröffentlichungen des von der Bertelsmann Stiftung mitUnterstützung der Charles Stewart Mott Foundation sehr erfolgreich undErgebnis orientiert betriebenen Transatlantischen <strong>Bürgerstiftung</strong>snetzwerkes(TCFN) unter www.tcfn.efc.beVD14Rechtshandbuch für Stiftungen


5/2.8Seite 42Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turner„Koordinaten“ eingehalten werden, die zum Zeitpunkt der Zuwendunggalten.Trennung vonausführendenund kontrollierendenOrganenMit dem Erfordernis von mehreren Gremien sollen die aktivenHandlungen der <strong>Bürgerstiftung</strong> und ihre Vertretung auf der einenSeite und die Beaufsichtigung und Kontrolle der Aktionen ebensowie der Akteure auf der anderen Seite auf unterschiedliche Schulterngelegt werden. Die Möglichkeit zur Mitwirkung ist ebensowichtig wie der Aspekt der Zuverlässigkeit existentiell für dieGlaubwürdigkeit und das Gedeihen <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong> ist. DieTrennung von ausführenden und kontrollierenden Funktionenbietet hier zusammen mit <strong>einer</strong> offensiv verstandenen Presse- undÖffentlichkeitsinformationsarbeit eine größtmögliche Garantie.„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, heißt es in einem bekanntenSprichwort. Ein Bürger wird der <strong>Bürgerstiftung</strong> nur dann Mittelzur Verfügung stellen, wenn er darauf vertrauen kann, dass dieMittel entsprechend den Vorgaben der Satzung eingesetzt undverwendet werden. Aus diesem Grund sollte die Arbeit der Stiftungoffen gelegt und der Stiftungsvorstand und sein Wirken mitinternen Kontrollmechanismen abgesichert werden.Verlangt das Zivilrecht lediglich, dass eine Stiftung über einOrgan – den Vorstand – verfügt, so fordern die „<strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong>für <strong>Bürgerstiftung</strong>en“, dass es neben dem Vorstand mindestensnoch ein weiteres Organ, ein Kontrollorgan, gibt. Dabei ist esunerheblich, welchen Namen das zweite Gremium trägt (Stiftungsrat,Beirat oder Kuratorium).Die Verteilung der Kompetenzen zwischen Vorstand und Kontrollorgankann im Einzelfall unterschiedlich ausgestaltet sein.Eine bloß beratende Funktion des zweiten Organs wird den <strong>10</strong><strong>Merkmale</strong>n jedoch nicht gerecht. Typische Kontrollinstrumenteeines Stiftungsrates oder Kuratoriums sind:• Informationsansprüche (Prüfung des Wirtschaftsplanes,Entlastung des Vorstandes),


Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turner5/2.8Seite 43• Zustimmungsvorbehalte für Geschäfte von besonderer Bedeutung,• Bestellung und Abberufung von Organmitgliedern. 80Damit eine <strong>Bürgerstiftung</strong> als BGB-Stiftung den besonders vonPeter Rawert hervorgehobenen Numerus clausus der Rechtsformenwahrt 81 , darf sie keine Elemente aufweisen, die zu den klassischen<strong>Merkmale</strong>n von anderen Körperschaften gehören. 82 Siedarf insbesondere keine (Organ-)Mitglieder aufweisen, dieautonom das Stiftungsgeschehen bestimmen. Dies bedeutet fürdie Kontrollbefugnisse von Stiftungsorganen, dass der Maßstabihrer Kontrolle nur der in der Satzung niedergelegte Stifterwillesein kann. 83 Die Organe dürfen nicht den Umfang ihrer Kontrolleselbst bestimmen.Ein weiteres Gremium, in Form <strong>einer</strong> Stifterversammlung (odereines Stifterforums), ist nach den <strong>10</strong> <strong>Merkmale</strong>n nicht erforderlich.Gleichwohl erscheint es auch unter dem Gesichtspunkt derStifterbindung regelmäßig sinnvoll, eine Stifterversammlungeinzurichten, in der die Gründungsstifter und Zustifter über denFortgang der Stiftungstätigkeit informiert und beratend befragtwerden.Nach <strong>einer</strong> gewissen Zeit können aber nicht nur die natürlichenGründungsstifter und Zustifter der Anfangsphase verstorbensein, sondern die weiteren Zuwächse hauptsächlich oder aus-80 Aaltje Kaper, <strong>Bürgerstiftung</strong>en, 2006, S.136, führt zutreffend aus, dass eineAbberufung von Organmitgliedern nur zulässig ist, wenn dies im Interesseder Stifter geschieht. Das abberufende Organ ist kein dem eigenen autonomenWillen unterliegendes Organ, sondern ist verpflichtet, treuhänderischdem Interesse der Stiftung zu dienen.81 Peter Rawert, <strong>Bürgerstiftung</strong>en in Deutschland. Eine kritische Einführungaus juristischer Sicht, in <strong>Bürgerstiftung</strong>en in Deutschland, Nährlich/GrafStrachwitz/Hinterhuber/Müller (Hrsg.), Bürgergesellschaft und DemokratieBand 23, S. 40 ff. (46 mwN).82 So auch Dominique Jakob, Schutz der Stiftung, 2006, S. 77 mwN.83 A. O. O. Fußn 86, S. 523.VD14Rechtshandbuch für Stiftungen


5/2.8Seite 44Besondere Stiftungsformen und ihre OrganisationNikolaus Turnerschließlich durch Erbschaften und Vermächtnisse von Todeswegen und nicht von Stiftern zu Lebzeiten hinzukommen, sodass eine Stifterversammlung dann durch ein Aussterben ihrerMitglieder keine Mitglieder mehr hätte, ein Handeln dieses Gremiumsdann also unmöglich wäre. Ohne Mitglieder in <strong>einer</strong>Stifterversammlung würde bei <strong>einer</strong> <strong>Bürgerstiftung</strong>, die ihr Organstellungeingeräumt hat und ihr Aufgaben, Pflichten oderWahlrechte zuweist, eine Bestellung von Organmitgliedern unddie Berufung ihrer Mitglieder unmöglich.Da im Vorhinein eben nicht sicher ist, in welcher Weise sich eineStifterversammlung entwickelt, sollten ihr aus rechtlichenGründen, aber auch um beim entgegen gesetzten Fall eines starkenAnwachsens handlungsfähig zu bleiben, k<strong>einer</strong>lei Entscheidungskompetenzenübertragen werden. 8484 Zur stiftungsrechtlichen Zulässigkeit vgl. Aaltje Kaper, <strong>Bürgerstiftung</strong>en,2006, S. 138; Peter Rawert, in: Hopt/Reuter (Hrsg.) Stiftungsrecht in Europa,2001, S. <strong>10</strong>9 (129) befürchtet demgegenüber, dass <strong>Bürgerstiftung</strong>en, dieder Stiftungsversammlung das Recht einräumen, die Mitglieder des Stiftungsrateszu bestellen und abzuberufen und dadurch mittelbar die personelleZusammensetzung des Stiftungsvorstandes zu beeinflussen, eine„quasi-körperschaftliche Organisationsgestaltung“ aufweisen und PeterHommelhoff, Stiftungsrechtsreform in Europa, in: Hopt/Reuter (Hrsg.), Stiftungsrechtin Europa, 2001, S. 227 ff (234), der jedenfalls bloße BeratungsundVorschlagsrechte für die Stifter als eher gefahrlos einstuft. Solche Beteiligungsrechtekönnen Stifter ermuntern, vermutet er sicher zu Recht.

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