<strong>PlusMinus</strong> 2/20<strong>07</strong>Prekäre LebenslagenWarum es keine Normalisierung von HIV/AIDS gibt von Andreas Kamenik**Mag. Andreas Kamenikarbeitet seit 1999 alsRedakteur für <strong>PlusMinus</strong>.Obwohl medizinische Erkenntnisseaus der HIV-Infektion eine behandelbareKrankheit gemacht haben unddas Wissen der Menschen über HIV/AIDS, die Übertragungswege und wieman sich vor einer Ansteckung schützenkann mittlerweile einen rechthohen Stand erreicht hat, hat sich derUmgang mit HIV-infizierten Menschenin den letzten zwanzig Jahrennur wenig verändert. Der Großteilder Betroffenen lebt an der Peripherieder Gesellschaft. Sie werden nach wievor gemieden. Zu groß scheint dieGefahr, sich anstecken zu können.Katharina Lampl versucht in ihrerDiplomarbeit „Prekäre soziale Lebenslagendargestellt am Beispiel HIV“ 1die Ursachen dafür zu ergründen.Historisch gesehen ist es eine durchausgängige Methode, Menschen, dieeine Bedrohung für die Gesellschaftoder für eine gesellschaftliche Gruppierungdarstellen, von dieser Gesellschaftoder Gruppierung auszuschließen. InBezug auf Krankheit wäre der Umgangmit Pest- oder Leprakranken alsBeispiel zu nennen. Als Mitte der1980er-Jahre erstmals Fälle von AIDSauftraten, war es nur nahe liegend,dass mit Menschen, die daran erkranktwaren, ähnlich verfahren wird. Manwusste nicht viel mehr darüber, als dassdie Krankheit ansteckend ist und tödlichendet. Förderlich für dieses Vorgehenwar sicher auch, dass es ohnehin nurungeliebte gesellschaftliche Randgruppenzu betreffen schien. Auchbegrifflich wurde der Konnex hergestellt,indem diese neue Krankheitschnell als „Schwulenpest“ bezeichnetwurde. Obwohl nun schon seit vielenJahren bekannt ist, dass dieser Habitusfür den Umgang mit Menschenmit HIV/AIDS nicht adäquat ist, hatsich daran nicht viel geändert. Bisheute werden Betroffene als randständigangesehen und stigmatisiert, dieWahrnehmungs- und Bewertungsmusterhaben sich noch nicht genügendden realen Gegebenheiten angepasst.Somit mussten und müssenHIV-infizierte Menschen Verarbeitungsstrategienfinden, mit dieserprekären Situation fertig zu werden.Besonders brisant dabei ist die immernoch praktizierte Abschiebung derKrankheit auf so genannte „Risikogruppen“.<strong>Die</strong>s gilt nicht nur in Bezugauf die Präventionsbemühungen.Da sich die meisten Menschen keinerdieser „Risikogruppen“ zugehörig© thesweetg, Photocase.com10
fühlen, sehen sie sich im Fall der Diagnose„HIV-positiv“ zusätzlich zu denmedizinischen Konsequenzen plötzlichauch mit ihren eigenen Vorurteilenkonfrontiert. Gerade in derheutigen Zeit, in der durch den medizinischenFortschritt die Bedrohungder Gesundheit nicht mehr so unmittelbarist, wird die Scham überwältigend,sich mit dieser Krankheit, diedoch eigentlich nur Schwule undJunkies betrifft, angesteckt zu haben.Betroffene berichten immer wieder,dass sie sich gerade kurz nach derDiagnose beschmutzt und vergiftetfühlen. In einem Beitrag im Forum+auf der Website der AIDS-HilfenÖsterreichs, www.aidshilfen.at, schreibteine Betroffene beispielsweise: „Ichfühlte mich mit diesem Virus ausgestoßen,abgegrenzt, nutzlos. Ich fühltemich ‚behindert’, hässlich und jetztauch krank und über die Maßen verlassenund allein.“ Es ist deshalbnicht verwunderlich, dass die ersteReaktion der meisten Betroffenen dieist, ihre Infektion geheim zu halten,um eine soziale Ausgrenzung undStigmatisierung zu verhindern.Katharina Lampl schreibt zum Thema„Stigmamanagement“: „Das Erlernendes Täuschens stellt im moralischenWerdegang einer diskreditierbarenPerson einen Wendepunkt dar. In seinerSozialisation erfährt ein diskreditierbaresIndividuum irgendwannzwangsläufig, dass es in einer schlechtenArt und Weise anders ist als derRest der Gesellschaft. Es muss lernen,damit umzugehen, wie es von ‚normalen’Menschen behandelt wird.Um die Verletzungen nicht ständigertragen zu müssen, kann es in einerweiteren Lernphase den Weg wählen,andere über sein Stigma hinwegzutäuschen.“2 <strong>Die</strong>se Vorgehensweise führtoft dazu, dass sich Betroffene vonihren bisherigen sozialen Kontaktenzurückziehen. Ein freiwilliger Rückzugwird der Gefahr des Entdecktwerdensund der damit möglicherweiseverbundenen Enttäuschung vorgezogen.Nicht nur aus den Interviews,die Katharina Lampl im Rahmenihrer Diplomarbeit mit Betroffenenführte, sondern auch aus den Erfahrungenin der AIDS-Hilfe-Arbeit gehthervor, dass Menschen mit HIV/AIDSmeist nur ein eingeschränktes sozialesUmfeld besitzen. „Auch wenn derBetroffene Menschen um sich hat,denen er vertrauen kann und die vonseiner Infektion wissen, so ist es dennochschwierig, fremden Menschendavon zu erzählen, da die Reaktionauf diese Information ungewiss ist.“ 3Hier zeigt sich deutlich, dass sichauch die Betroffenen selbst von denMechanismen, die die Gesellschaft fürden Umgang mit ihnen entwickelthat, nicht so leicht lösen können.Sich selbst und die jetzt dazugehörigeInfektion bedingungslos und vorurteilsfreizu akzeptieren, ist ein schwierigesUnterfangen, das oft nur mitHilfe anderer erreicht werden kann.<strong>Die</strong>se anderen zu finden, wird wiederumdurch die eigenen ungenügendenCoping-Strategien erschwert.„Entscheiden sich Betroffene dafür,anderen die Information über ihreKrankheit freizügig mitzuteilen, laufensie Gefahr, von ihrem Gegenüber abgelehntund stigmatisiert zu werden.Entscheiden sie sich aber dafür, dieInformation für sich zu behalten,haben sie ein Geheimnis, das es Tagund Nacht zu hüten gilt. So schützensie sich zwar für eine Zeit vor Stigmatisierung,müssen aber viele Anstrengungenauf sich nehmen, umsicher zu stellen, dass solange sie rela-tiv gesund sind, niemand unbeabsichtigtvon dem Geheimnis erfährt. (...)<strong>Die</strong> Angst vor dem sozialen Tod kanndie Angst vor dem realen Tod übersteigen,daher ist es für die Betroffenenauch notwendig, vorsichtig mitder Information über ihre Infektionumzugehen und somit zu verhindern,dass sie aus dem sozialen Bezugsrahmenfallen. (...) Durch die ständigenvielschichtigen Belastungen wirddie Lebensqualität erheblich vermindert.“4Vergleicht man die hier gewonnenenErkenntnisse mit der Tatsache, dassseit einigen Jahren wieder eine erhöhteBereitschaft Infektionsrisiken einzugehenbesteht – repräsentiert durch dieoft zitierte „Kondommüdigkeit“ –sieht man, dass sich nicht nur einzelneIndividuen, sondern auch die Gesellschaftselbst sich in einer prekärenLage bezüglich HIV/AIDS befindet.HIV/AIDS hat in der nicht-infiziertenBevölkerung durch die verbessertenBehandlungsmöglichkeiten anSchrecken verloren. Und es ist auchgut, dass dadurch ein Teil der irrationalenÄngste abgebaut werden kann.Der nächste Schritt muss jetzt sein,dass der Abbau der Ängste sich nichtnur auf die Krankheit selbst beschränkt,sondern auch die davonBetroffenen umfasst, damit auch das„soziale AIDS“ zumindest behandelbarwird und vielleicht bald geheiltwerden kann.1) Katharina Lampl. Prekäre soziale Lebenslagendargestellt am Beispiel HIV. Diplomarbeit zurErlangung des akademischen Grades einerMagistra. Leopold Franzens Universität Innsbruck,September 2004.2) Lampl, S. 62f3) Lampl, S. 1024) Lampl, S. 104fHintergrundfoto: © levanchik, Photocase.com11