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66 REVIEWS<br />
ERICH FRIED UND DIE LIEBE ZUM AUTO -<br />
Ein Kommentar zu einer poetischen VW-Werbebroschüre<br />
Gleich am Anfang ein alter Käfer. Aus Wolfsburg. Dazu das Gedicht eines unbekannten Meisters:<br />
„Du hast mir das Lachen gezeigt,<br />
mich vom Stillstand befreit.<br />
Du hast mir Geborgenheit gegeben,<br />
hast mir gezeigt,<br />
wie es ist zu leben...<br />
Und da<strong>für</strong> liebe ich Dich.“<br />
Rücksichtslos wird hier eine Hymne zum Muttertag zweckentfremdet. Gut, Liebe macht blind - <strong>und</strong> die Liebe zu<br />
einer Legende namens „Käfer“ allemal.<br />
Aber es gibt auch Zeilen, bei denen man nicht weiß, ob sich hier nicht Ersatzteile unterhalten:<br />
„Deine Stärke ist mein Halt.<br />
Dein Halt ist meine Kraft.<br />
Deine Kraft ist mein Antrieb.“<br />
Nein: „Deine Nocke soll meine Welle sein“, das kommt nicht vor. Auch nicht: „Ich bin deine Zündkerze. Spring<br />
endlich an.“<br />
Ein Auto auf dem Kopf. In einer Pfütze. Ein Unfall? Dazu lesen wir: „Mein Leben wäre nicht mein Leben.“ Also<br />
nur eine Spiegelung nach dem Regen. Und der Poet am Steuer des Cabrios - was wäre aus ihm geworden ohne sein<br />
Auto?<br />
„Ich wäre nicht so fröhlich.<br />
Ich wäre nicht so mutig.“<br />
Zum Schluss eines der leichtesten Gedichte von Erich Fried:<br />
„Es ist Unsinn<br />
sagt die Vernunft“.<br />
So fängt das Gedicht an.<br />
Auch die Berechnung hat etwas zu kritisieren, auch die Einsicht <strong>und</strong> so weiter. Aber ein Gefühl lässt alle abblitzen.<br />
„Es ist was es ist<br />
sagt die Liebe“.<br />
So endet das Gedicht.<br />
Jeder, der <strong>für</strong> gepflegte Zeilen mehr Gefühl aufbringt als <strong>für</strong> eine Stoßstange, möchte im ersten Gang protestieren.<br />
Aber schon im zweiten Gang macht er eine Entdeckung: Die Strophen könnten vielleicht doch ins Poesiealbum<br />
<strong>für</strong> Auto-Liebhaber passen. Und schon im dritten <strong>und</strong> vierten Gang wird klar: der Dichter zählt die schärfsten Kritiker<br />
der Motorisierung auf: „Vernunft“ <strong>und</strong> „Berechnung“, „Angst“ <strong>und</strong> „Einsicht“, „Vorsicht“ <strong>und</strong> „Erfahrung“.<br />
Und was bleibt einem da noch im fünften Gang? Das Auto ist, was es ist, sagt die Liebe. Was so ein Wagen nicht<br />
alles kann. Und erst die Werbung.<br />
Der Verbrauch von Humor hält sich in der VW-Broschüre zwar in Grenzen. Aber <strong>für</strong> soviel Glanzpapier mussten<br />
allerhand Alleebäume gefällt werden. “Umso besser“, sagt der echte Auto-Fan. Bertolt Brecht war auch so einer. Er<br />
wäre am liebsten drei Häuser weiter zum nächsten Bäcker mit dem Auto gefahren. Und hat noch ganz anders <strong>für</strong><br />
sein Spielzeug geworben. Mit mindestens zehn Litern Humor auf 100 Kilometer. Nur weiß man bei Brechts Vierzeiler<br />
nicht, ob sich Ford oder VW mehr darüber freuen sollten.<br />
„Ford hat ein Auto gebaut<br />
Das fährt ein wenig laut<br />
Es ist nicht wasserdicht<br />
Und fährt auch manchmal nicht“.<br />
aus: Scala - Das Kulturmagazin, Moderation Ulrich Biermann, Redaktion Jürgen Keimer. WDR 5 (Hörfunk), 16. September<br />
2003, 12.05 - 13.00 Uhr.<br />
FORUM WARE 31 (2003) NR. 1 - 4