Heinrich-Pesch-Preis für Bbr. Johannes Stemmler - Unitas
Heinrich-Pesch-Preis für Bbr. Johannes Stemmler - Unitas
Heinrich-Pesch-Preis für Bbr. Johannes Stemmler - Unitas
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<strong>Heinrich</strong>-<strong>Pesch</strong>-<strong>Preis</strong> <strong>für</strong> <strong>Bbr</strong>. <strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong><br />
UNITAS EHRT DEN FRÜHEREN GESCHÄFTSFÜHRER DES BUNDES KATHOLISCHER UNTERNEHMER<br />
<strong>Bbr</strong>. <strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong>, ehemaliger Geschäftsführer des Bundes Katholischer<br />
Unternehmer (BKU), ist am 18. September 2004 im Burkardus-<br />
Haus in Würzburg mit dem „<strong>Heinrich</strong>-<strong>Pesch</strong>-<strong>Preis</strong> des Fördervereins des<br />
Verbandes der wissenschaftlichen katholischen Studentenvereine UNITAS<br />
<strong>für</strong> Sozialwissenschaften und soziale Tätigkeit e.V.“ geehrt worden. Nach<br />
dem Text der Urkunde erhält der promovierte Volkswirt und Master of<br />
Science den <strong>Preis</strong> <strong>für</strong> seine „besonderen Verdienste um die ethische<br />
Fundierung unternehmerischen Handelns und die interkulturelle Vermittlung<br />
der Katholischen Soziallehre“.<br />
<strong>Bbr</strong>. Prof. Dr. Lothar Roos würdigte den <strong>Preis</strong>träger. Wir veröffentlichen<br />
die Laudatio im Folgenden im Wortlaut:<br />
Es gibt wohl kaum einen geeigneteren<br />
Anlass und Ort zur Verleihung des <strong>Heinrich</strong>-<br />
<strong>Pesch</strong>-<strong>Preis</strong>es als ein Altherrenbunds- und<br />
Hohedamenbundstag des UNITAS-Verbandes<br />
in Würzburg. Denn hier referierte<br />
am 6. Juli 1875 der Unitarier Franz Hitze auf<br />
Bitten der Kommilitonen seiner Verbindung<br />
über „Die Soziale Frage und der moderne<br />
Sozialismus in Deutschland“. 15 Jahre später<br />
war aus dem damaligen Würzburger<br />
Studenten einer der drei Mitbegründer –<br />
zusammen mit Franz Brandts und Ludwig<br />
Windthorst – des „Volksvereins <strong>für</strong> das<br />
katholische Deutschland“ geworden. Seit<br />
1884 finden wir ihn im Deutschen Reichstag,<br />
wo er später Georg von Hertling als<br />
sozialpolitischer Sprecher der Zentrumsfraktion<br />
nachfolgte. 1893 wurde Franz Hitze<br />
zum ersten Lehrstuhlinhaber eines neuen<br />
Faches „Christliche Gesellschaftslehre“<br />
nach Münster berufen. Bischof von Ketteler,<br />
Georg von Hertling, Franz Hitze bilden<br />
zusammen mit Leo XIII. die großen Namen<br />
des frühen Sozialkatholizismus.<br />
Eine fundierte und dialogfähige Sozialverkündigung<br />
der Kirche kann nur entstehen,<br />
wenn ihre Repräsentanten nicht nur<br />
auf dem Gebiet der theologischen und<br />
philosophischen Ethik, sondern auch der<br />
Sozialwissenschaften kompetent sind. Der<br />
erste, der in umfassender Weise eine solche<br />
Koinzidenz von Frömmigkeit und Sachlichkeit<br />
zustande brachte und damit in überzeugender<br />
Weise am Beginn der 19. Jahrhunderts<br />
die wirtschaftswissenschaftliche<br />
und sozialethische Diskussion befruchtete,<br />
war <strong>Heinrich</strong> <strong>Pesch</strong>. Am 17. September 1854,<br />
also gestern vor 150 Jahren, in Köln geboren,<br />
trat er 1874, also ein Jahr vor den Vorträgen<br />
von Franz Hitze in Würzburg, in Bonn der<br />
UNITAS Salia bei. Sein Lebenswerk hat sich<br />
vor allem in dem zwischen 1905 und 1923<br />
erschienenen, fünfbändigen „Lehrbuch der<br />
Nationalökonomie“ niedergeschlagen. Um<br />
dazu fähig zu werden, hat der ehemalige<br />
Spiritual am Priesterseminar Mainz noch<br />
als 40-Jähriger ein Ökonomiestudium bei<br />
Adolph Wagner in Berlin absolviert. Die<br />
Universität zu Köln verlieh ihm im<br />
Jahre 1923 die Würde eines Ehrendoktors<br />
der Staatswissenschaften.<br />
Damit sind wir in Köln, wo der heute<br />
zu würdigende Träger des <strong>Heinrich</strong>-<br />
<strong>Pesch</strong>-<strong>Preis</strong>es, Dr. <strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong>,<br />
am 18. Dezember 1927 geboren<br />
wurde und wo er bis zum heutigen<br />
Tage wirkt. Unter den bisherigen<br />
acht Trägern des <strong>Heinrich</strong>-<strong>Pesch</strong>-<br />
<strong>Preis</strong>es ist <strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong> derjenige,<br />
der sich zusammen mit dem<br />
<strong>Preis</strong>träger von 1988, <strong>Bbr</strong>. Prof. Dr.<br />
Franz H. Mueller (s. sein Werk:<br />
<strong>Heinrich</strong> <strong>Pesch</strong>. Sein Leben und seine<br />
Lehre, Köln 1980) und mit dem letztjährigen<br />
<strong>Preis</strong>träger, <strong>Bbr</strong>. Prof. Dr. Anton<br />
Rauscher, wohl am intensivsten mit<br />
<strong>Heinrich</strong> <strong>Pesch</strong> beschäftigt hat. Die sozialethische<br />
Biographie unseres Bundesbruders<br />
<strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong> ist in mehrfacher<br />
Hinsicht ungewöhnlich und originell. Ich<br />
möchte dies an einigen persönlichen<br />
Erlebnissen demonstrieren, die jeweils <strong>für</strong><br />
einen bestimmten Teilaspekt seines Denkens<br />
und Wirkens stehen.<br />
1.<br />
Vor wenigen Wochen trafen sich in der<br />
Hochschule <strong>für</strong> Philosophie und Theologie<br />
in St. Augustin der dortige Professor <strong>für</strong><br />
Religionsgeschichte, Dr. Roman Malek, der<br />
meist in Peking lebende und wirkende<br />
Steyler Missionar Dr. Leopold Leeb, der ehemalige<br />
Leiter des Internationalen Instituts<br />
der Konrad-Adenauer-Stiftung, Prof. Dr. h. c.<br />
Josef Thesing, Dr. <strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong> und<br />
meine Person. Wir sprachen über die<br />
Möglichkeit der Veröffentlichung und<br />
Verbreitung der chinesischen Übersetzung<br />
der von mir 1999 besorgten, erweiterten<br />
Neuausgabe von Joseph Höffners Lehrbuch<br />
„Christliche Gesellschaftslehre“. <strong>Johannes</strong><br />
<strong>Stemmler</strong> hatte das Treffen als derzeitiger<br />
ehrenamtlicher Geschäftsführer der „Wissenschaftlichen<br />
Vereinigung zur Förderung<br />
der Christlichen Gesellschaftslehre e.V.<br />
Ordo Socialis“ arrangiert. Ordo Socialis, eine<br />
Tochtergesellschaft des Bundes Katholischer<br />
Unternehmer (BKU), wurde 1986 auf<br />
Vorschlag von <strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong> gegründet.<br />
Die Vereinigung hat sich zur Aufgabe<br />
gestellt, Texte deutscher Autoren der<br />
Katholischen Soziallehre in Übersetzung in<br />
die internationale Diskussion einzubringen<br />
und weltweit zu verbreiten. Das literarische<br />
„Flaggschiff“ von Ordo Socialis ist Höffners<br />
„Christliche Gesellschaftslehre“, die derzeit<br />
in die zwölfte Fremdsprache übersetzt<br />
wird, nämlich die chinesische. Richtiger<br />
gesprochen: Die Übersetzung ist bereits<br />
fertig, es fehlt nur noch das „Nihil obstat“<br />
der chinesischen Behörden zum Druck. Zu<br />
erwähnen ist in diesem Zusammenhang<br />
auch Prof. Anton Rauscher. Denn auf den<br />
von ihm organisierten „Europa-Foren“, bei<br />
denen seit dem Fall des „Eisernen<br />
Vorhangs“ Vertreter von inzwischen 16<br />
Ländern regelmäßig zusammenkommen,<br />
um die Probleme ihres Landes in der Sicht<br />
der Katholischen Soziallehre zu diskutieren,<br />
entstanden einige jener persönlichen<br />
Kontakte, die zu entsprechenden Übersetzungen<br />
von Höffners Lehrbuch und anderen<br />
Werken führten. Aber all dies wäre nicht<br />
möglich gewesen ohne Ordo Socialis mit<br />
der klugen und umsichtigen Regie und dem<br />
diplomatischen Geschick ihres Geschäftsführers<br />
<strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong>. Ein diplomatisches<br />
Kunststück war schon die Publikation<br />
der russischen Übersetzung, die inzwischen<br />
unitas 3/2004 179<br />
>>
vergriffen ist und in zweiter Auflage erscheint.<br />
Und wenn die chinesische Ausgabe<br />
tatsächlich die behördliche Druckerlaubnis<br />
erhält, wird dies das Meisterstück sein, das<br />
<strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong> bisher geschaffen hat.<br />
Der publizistisch bisher größte Erfolg von<br />
Ordo Socialis war jedoch das Werk von Dr.<br />
Peter H. Werhahn, einer der „Gründerväter“<br />
des BKU, mit dem Titel „Der Unternehmer –<br />
Seine ökonomische Funktion und gesellschaftspolitische<br />
Verantwortung“, das in<br />
Russland in einer Auflage von hunderttausend<br />
Exemplaren gedruckt und verkauft<br />
wurde.<br />
2.<br />
Dass <strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong> heute, nach seiner<br />
„Emeritierung“ als langjähriger (fast 30<br />
Jahre) Geschäftsführer des Bundes Katholischer<br />
Unternehmer, nun als Geschäftsführer<br />
von „Ordo Socialis“ wirkt, ist kein<br />
Zufall. Seine weltweiten Kontakte und<br />
Bemühungen um die Vermittlung der<br />
Katholischen Soziallehre haben in besonderer<br />
Weise seine Tätigkeit im BKU geprägt.<br />
Aber schon zuvor wies seine erste berufliche<br />
Tätigkeit im kirchlichen Bereich in diese<br />
Richtung. Nach seiner 1954 an der Universität<br />
zu Köln erfolgten Promotion zum<br />
Dr. rer. pol. – sein Doktorvater war Leopold<br />
von Wiese, weitere akademische Lehrer<br />
waren Alfred Müller-Armack, Theodor<br />
Wessels und Ludwig Heyde – wurde er,<br />
nach einigen Jahren beruflicher Tätigkeit<br />
auf dem Gebiet der Marktforschung in der<br />
Automobilindustrie am 1. Januar 1959 in<br />
Aachen der erste und damals einzige Laienmitarbeiter<br />
der noch in Vorbereitung befindlichen<br />
Aktion „Misereor – gegen Hunger<br />
und Krankheit in der Welt“. Der erste<br />
Geschäftsführer von Misereor, Prälat Gottfried<br />
Dossing, schrieb an <strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong><br />
am 30. Juni 1987 zu dessen 25-jährigem<br />
Jubiläum als Geschäftsführer des BKU: „Zu<br />
sehr fühle ich mich noch mit Ihnen verbunden<br />
aus der Anfangszeit von Misereor. Ihre<br />
damalige Hilfe war <strong>für</strong> das Werk ganz entscheidend:<br />
die erste Fastenkollekte, die<br />
ersten Gehversuche, die Bemühungen, eine<br />
Richtung und eine Arbeitsmethode zu finden<br />
– und alles das haben Sie mitgetragen.<br />
Da<strong>für</strong> danke ich Ihnen jetzt noch einmal<br />
ganz herzlich.“<br />
Eine große Horizont- und Erfahrungserweiterung<br />
brachten <strong>für</strong> <strong>Johannes</strong><br />
<strong>Stemmler</strong> dann die Jahre ab 1962 als<br />
Geschäftsführer des BKU. Hier ist vor allem<br />
auf seine aktive und führende Mitarbeit in<br />
der UNIAPAC hinzuweisen, der weltweiten<br />
Vereinigung christlicher Unternehmerverbände.<br />
Hier engagierte sich <strong>Johannes</strong><br />
<strong>Stemmler</strong> besonders in Südamerika. Zwischen<br />
1965 und 1975 fanden eine ganze<br />
Reihe gesellschaftspolitischer Seminare <strong>für</strong><br />
lateinamerikanische Unternehmer statt. In<br />
Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung<br />
wurden dabei hauptsächlich<br />
die Themen „Die Verantwortung des<br />
180<br />
unitas 3/2004<br />
christlichen Unternehmers“ und „Soziale<br />
Marktwirtschaft in deutscher Erfahrung“<br />
behandelt. <strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong> hielt zu diesen<br />
Fragen Vorträge in Argentinien,<br />
Uruguay, Chile, Brasilien und organisierte<br />
erste Informations- und Kooperationsreisen<br />
deutscher Unternehmer nach Lateinamerika.<br />
1967 bis 1977 redigierte er auch die<br />
von ihm gegründete Zeitschrift „UNIAPAC“<br />
im Walter-Rau-Verlag. Ein besonderer<br />
Höhepunkt auf diesem Gebiet seines<br />
Wirkens war der römische Kongress „Kirche<br />
und Wirtschaft in ihrer Verantwortung <strong>für</strong><br />
die Zukunft der Weltwirtschaft“, der im<br />
November 1985 in Rom stattfand und an<br />
dem rund 400 Repräsentanten aus dem<br />
kirchlichen, wirtschaftlichen, akademischen<br />
und politischen Leben aus über 40<br />
Nationen teilnahmen. <strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong><br />
hat am Zustandekommen dieses Kongresses<br />
und an seiner späteren Dokumentation<br />
vor allem der Vorträge der Kardinäle<br />
Casaroli, Höffner und Ratzinger, sowie der<br />
Ansprache <strong>Johannes</strong> Paul II. wesentlichen<br />
Anteil. Lange bevor man über Globalisierung<br />
sprach, hat <strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong> global<br />
gedacht und gewirkt.<br />
3.<br />
Zugleich ist damit auch die Brücke zu jener<br />
Zeit geschlagen, die den größten Teil des<br />
beruflichen Wirkens von <strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong><br />
umfasst, seine knapp 25-jährige Zeit als<br />
Geschäftsführer des BKU. Da ich selbst dort<br />
als „Geistlicher Berater“ nach Joseph<br />
Höffner und seinem leider allzu früh verstorbenen<br />
Münsteraner Lehrstuhlnachfolger<br />
Wilhelm Weber seit 1984 mitarbeite,<br />
habe ich <strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong> in vielen<br />
Sitzungen und persönlichen Gesprächen<br />
kennen und schätzen gelernt. Der BKU<br />
möchte ja, das ist seine wichtigste Aufgabe,<br />
unternehmerisches Handeln und ein ordnungspolitisches<br />
Konzept des Wirtschaftens<br />
im Kontext des christlichen Menschenbildes<br />
und den damit verbundenen<br />
Prinzipien und Erfahrungen der Katholischen<br />
Soziallehre verstehen und gestalten.<br />
Wenn dies gelingen soll, muss man dabei<br />
idealerweise sowohl Thomas von Aquin als<br />
auch Adam Smith kennen. Wer soziale<br />
Verantwortung wahrnehmen will, der<br />
muss in gleicher Weise fachlich und<br />
ethisch kompetent sein. Oder anders<br />
gesprochen: Die Soziale Marktwirtschaft<br />
bedarf einer ethisch überzeugenden<br />
Begründung sowohl des Prinzips „Markt“<br />
wie des Prinzips „Soziale Gerechtigkeit“, um<br />
in den Begriffen von Alfred Müller-Armack,<br />
einem der Lehrer unseres <strong>Preis</strong>trägers und<br />
geistigen Vaters der Sozialen Marktwirtschaft,<br />
zu sprechen.<br />
<strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong> hatte stets ein feines<br />
Gespür da<strong>für</strong>, wo hier die Gewichte<br />
nicht richtig verteilt waren: wenn also die<br />
Gefahr auftauchte, Sachlichkeit durch<br />
Frömmigkeit zu ersetzen, oder umgekehrt<br />
angebliche Sachgesetze vorgeschoben wer-<br />
den, um ethisch problematische Interessen<br />
zu legitimieren. Ein besonders beeindruckendes<br />
Dokument dieser Fähigkeit von<br />
<strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong> ist eine „Predigt“, zu<br />
der ihn der Pfarrer von St. Stephan in Köln<br />
anlässlich des dortigen Weltwirtschaftsgipfels<br />
zum Thema „Erlassjahr 2000 –<br />
Entwicklung braucht Entschuldung“ am 8.<br />
und 9. Mai zu den Sonntagsgottesdiensten<br />
eingeladen hatte. <strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong> entwickelte<br />
darin eine spannende Analyse der<br />
Ursachen von Unterentwicklung und zeigt<br />
zugleich auf, worin die ökonomische und<br />
ethische Problematik eines bedingungslosen<br />
Schuldenerlasses liegt. ... Dass viele<br />
Mitglieder der Gemeinde nach dem<br />
Manuskript fragten, spricht <strong>für</strong> sich. Im<br />
Übrigen hat <strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong> das Thema<br />
„Wirtschaftliche Entwicklung und unternehmerisches<br />
Handeln“ auch auf einem<br />
Vortrag behandelt, der 1990 in Enugu/<br />
Nigeria im Rahmen eines interkontinentalen<br />
Kongresses über Katholische Soziallehre<br />
stattfand. Mir ist dabei unvergessen, wie er<br />
mir am Vorabend des Festes Mariä Himmelfahrt<br />
gegen Mitternacht dabei half, die am<br />
nächsten Tag zu haltende Predigt in ein<br />
ordentliches Englisch zu bringen.<br />
4.<br />
Nun komme ich zu der wohl am wenigsten<br />
bekannten Eigenheit seines Wirkens: In seiner<br />
Biographie fällt auf, dass <strong>Johannes</strong><br />
<strong>Stemmler</strong> 1945 nach Ende des Krieges, in<br />
dem er noch als Flakhelfer eingesetzt war,<br />
von den Amerikanern – damals war er gerade<br />
17 Jahre alt und hatte noch nicht einmal<br />
das Abitur gemacht – als Dolmetscher<br />
beschäftigt wurde. Er hatte – damals schon<br />
offensichtlich mit unternehmerischem<br />
Geist gesegnet – bei den Amerikanern nach<br />
einer Arbeit gefragt. Sie hatten ihn zunächst<br />
als Boten eingesetzt. Nach einiger<br />
Zeit meldete er sich bei seinem Vorgesetzten<br />
mit der Bemerkung: „Ich spreche<br />
doch viel zu gut Englisch <strong>für</strong> diese primitive<br />
Tätigkeit.“ Dem amerikanischen Kommandeur<br />
imponierte dies und er beorderte ihn<br />
umgehend in eine Stelle, wo man ihn als<br />
Dolmetscher viel besser brauchen konnte.<br />
Aufgrund seiner Sprachkenntnisse war es<br />
ihm auch möglich, zwei Jahre nach Aufnahme<br />
seines wirtschaftswissenschaftlichen<br />
Studiums an der Universität zu Köln<br />
(mit den Fächern Volkswirtschaftslehre,<br />
Soziologie, Sozialpolitik, Mittelalterliche<br />
Philosophie) 1949, also im Gründungsjahr<br />
der Bundesrepublik Deutschland, durch<br />
Vermittlung seines Doktorvaters ein<br />
Stipendium <strong>für</strong> das Studium an der katholischen<br />
St. Louis University in St. Louis/<br />
Missouri in den USA zu erhalten und dieses<br />
Studium dort nach weiteren zwei Jahren<br />
mit dem „Master of Science“ abzuschließen.<br />
In Köln trat <strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong> im<br />
Wintersemester 1947/48 der UNITAS Landshut<br />
bei, in der er u. a. als Consenior und
Senior aktiv war. Und in St. Louis lernte er<br />
erstaunlicherweise erstmals, dass es einen<br />
bedeutenden Kölner Jesuitenprofessor<br />
namens <strong>Heinrich</strong> <strong>Pesch</strong> gab, dessen Werke<br />
an der St. Louis University auszugsweise ins<br />
Englische übersetzt werden sollten. Eine<br />
andere, <strong>für</strong> sein Wirken folgenreiche Verbindung<br />
ergab sich mit dem inzwischen<br />
verstorbenen Träger des <strong>Heinrich</strong>-<strong>Pesch</strong>-<br />
<strong>Preis</strong>es von 1988, Prof. Dr. Franz H. Mueller.<br />
Bundesbruder Franz H. Mueller musste, von<br />
den Nazis aus der Universität zu Köln vertrieben,<br />
in die USA emigrieren, wo er an der<br />
katholischen Universität St. Paul, Minnesota<br />
eine neue, langjährige Wirkungsstätte<br />
fand. Franz H. Mueller hat ja Standardbiographien<br />
über Franz Hitze und <strong>Heinrich</strong><br />
<strong>Pesch</strong> geschrieben. Der Brief- und Kartenwechsel<br />
zwischen <strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong> und<br />
Franz H. Mueller ist ein Kapitel <strong>für</strong> sich, über<br />
das <strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong> einen eigenen<br />
Vortrag halten könnte. Für Mueller war sein<br />
Bundesbruder <strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong> der<br />
wichtigste Informator über den Gang der<br />
Dinge und die Entwicklung der Katholischen<br />
Soziallehre im Nachkriegsdeutschland.<br />
Er hielt <strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong> seinerseits<br />
über die Entwicklungen in der USA auf<br />
dem Laufenden.<br />
5.<br />
Schließlich komme ich zum letzten und<br />
vielleicht originellsten Verdienst unseres<br />
heutigen <strong>Preis</strong>trägers: Ich darf dem eine<br />
aktuelle Vorbemerkung vorausschicken: In<br />
den USA lebt mit circa 60 Millionen<br />
Mitgliedern eine der größten katholischen<br />
Kirchen der Welt, die einen erheblichen Teil<br />
des amerikanischen Privatschulwesens<br />
(dort die „Regelschule“), insbesondere viele<br />
Colleges und Universitäten unterhält. Ich<br />
bin gerade vor einigen Wochen vom 8.<br />
Deutsch-amerikanischen Kolloquium aus<br />
Detroit zurückgekehrt, das von der<br />
Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle<br />
in Mönchengladbach auf Initiative<br />
von Anton Rauscher und der Catholic<br />
University of America in Washington gemeinsam<br />
veranstaltet wird. Dabei wirkte<br />
auch diesmal wieder einer der bekanntesten<br />
amerikanischen Wissenschaftler und<br />
Publizisten mit, Michael Novak, Direktor am<br />
American Enterprise Institute, und Träger<br />
des hochrangigen britischen Templeton-<br />
<strong>Preis</strong>es.<br />
Dass Michael Novak wenigstens einem<br />
kleinen deutschen Publikum bekannt<br />
geworden ist, verdanken wir <strong>Johannes</strong><br />
<strong>Stemmler</strong>. Er hat zwei bedeutende Bücher<br />
Novaks ins Deutsche übersetzt: „Die Katholische<br />
Ethik und der Geist des Kapitalismus“<br />
und „Gewinn und Gewissen“, im amerikanischen<br />
Original: „Business as a Calling“.<br />
Amerikaner, so sagt man oft schnell und<br />
nicht immer ganz zu Unrecht daher, verstehen<br />
wenig von Europa. Aber wenn man die<br />
deutsche Medienlandschaft anschaut und<br />
auch die mehr oder weniger von ihr verbreiteten<br />
durchschnittlichen Vorurteile über<br />
Amerika, dann sieht es umgekehrt – von der<br />
Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der WELT<br />
und dem Rheinischen Merkur abgesehen –<br />
noch düsterer aus. Vor allem aber kennen<br />
wir deutschen Katholiken kaum die amerikanische<br />
Katholische Kirche. <strong>Johannes</strong><br />
<strong>Stemmler</strong> ist hier eine große Ausnahme.<br />
Er gehört zu den wenigen, lebenden<br />
Brücken zwischen Deutschland und<br />
Amerika, und das Thema, das ihn dabei vor<br />
allem bewegt, ist das authentische Verständnis<br />
und die Verbreitung der Katholischen<br />
Soziallehre.<br />
Meine Damen und Herren, verehrte<br />
Bundesschwestern, liebe Bundesbrüder!<br />
<strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong> ist der 9. Träger des<br />
<strong>Heinrich</strong>-<strong>Pesch</strong>-<strong>Preis</strong>es, mit dem der<br />
Förderverein des UNITAS-Verbandes im<br />
Gedächtnis an Leben und Werk des<br />
Priesters und Unitariers Prof. Dr. <strong>Heinrich</strong><br />
<strong>Pesch</strong> SJ (1854-1926) Persönlichkeiten auszeichnet,<br />
die sich in seinem Geiste um die<br />
Katholische Soziallehre in Wissenschaft,<br />
Sozialpolitik und sozialer Praxis bemühen<br />
und so zur Lösung grundlegender gesellschaftlicher<br />
Probleme beitragen wollen. Die<br />
bisherigen <strong>Preis</strong>träger sind der Generalpräses<br />
des Kolpingwerkes in Südamerika<br />
Dr. Paulo Link (1986), der Bundesminister<br />
<strong>für</strong> Arbeit und Sozialordnung a. D. Dr.<br />
Norbert Blüm (1981), der inzwischen verstorbene<br />
und vorhin schon erwähnte Prof.<br />
Dr. Franz H. Mueller aus St. Paul/Minnesota<br />
(1988), Bundestagsvizepräsident a. D. Dr.<br />
Rudolf Seiters und der Bischof von Dresden-<br />
Meißen Joachim Reinelt, denen der <strong>Preis</strong><br />
gemeinsam im Jahr 1992 verliehen wurde;<br />
der Bischof von Banja Luka in Bosnien-<br />
Hercegowina Dr. Franjo Komarica (1997);<br />
unser lieber, kürzlich verstorbene Bundesbruder<br />
und Ehrenvorsitzender Ludwig<br />
Freibüter im vorigen Jahr und kurz danach<br />
Bundesbruder Prof. Dr. Anton Rauscher,<br />
Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen<br />
Zentralstelle in Mönchengladbach.<br />
Wenn wir nun zum neunten Mal den<br />
<strong>Heinrich</strong>-<strong>Pesch</strong>-<strong>Preis</strong> verleihen, dann erlaube<br />
ich mir daran zu erinnern, dass der<br />
Förderverein des UNITAS-Verbandes mit<br />
diesem <strong>Preis</strong> vor allem die Absicht verbindet,<br />
die große geistige Tradition, die hier in<br />
Würzburg mit dem Unitarier Franz Hitze<br />
begann, nicht abreißen zu lassen, sondern<br />
sie auch heute im unitarischen Leben<br />
fruchtbar zu machen. Dies geschieht u. a.<br />
auch durch die jährlichen Seminare, die sich<br />
mit dem Namen des Unitariers und früheren<br />
Bundesministers <strong>Heinrich</strong> Krone verbinden.<br />
Ob wir diese Arbeit auch in Zukunft<br />
erfolgreich fortsetzen können, hängt nicht<br />
zuletzt davon ab, ob sich immer wieder<br />
auch neue und junge Unitarier finden, die<br />
unserem Förderverein beitreten. Die Gelegenheit<br />
dazu bietet sich auch heute.<br />
Nun ist es mir eine ganz besondere<br />
Freude und Ehre, Dir lieber Bundesbruder<br />
Dr. <strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong> in Würdigung<br />
Deines bisherigen lebenslangen Einsatzes<br />
im Sinne <strong>Heinrich</strong>s <strong>Pesch</strong>s nun den<br />
<strong>Heinrich</strong>-<strong>Pesch</strong>-<strong>Preis</strong> „<strong>für</strong> besondere Verdienste<br />
um die ethische Fundierung unternehmerischen<br />
Handelns und die interkulturelle<br />
Vermittlung der Katholischen Soziallehre“<br />
überreichen zu dürfen.<br />
„<strong>Heinrich</strong> <strong>Pesch</strong> hat mein Leben beeinflusst ...“<br />
AUS DER ANSPRACHE VON BBR. DR. STEMMLER NACH DER PREISVERLEIHUNG<br />
Es war im Wintersemester 1948/49 an<br />
der Universität zu Köln im soziologischen<br />
Seminar von Leopold v. Wiese und Kaiserswaldau,<br />
als dieser uns – einer Gruppe von<br />
etwa 25 Studenten, zu denen auch der<br />
Jesuitenpater Hermann Josef Wallraff<br />
gehörte – den Brief eines ehemaligen<br />
Schülers zur Kenntnis brachte, der nunmehr<br />
an der amerikanischen St. Louis University<br />
Volkswirtschaftslehre dozierte – jener<br />
Universität, an der auch unser <strong>Bbr</strong>. Prof.<br />
Franz Mueller, Träger des <strong>Heinrich</strong>-<strong>Pesch</strong>-<br />
<strong>Preis</strong>es 1988, nach seiner Emigration in die<br />
USA bis 1942 lehrte.<br />
Boris Ischboldin al Bakri – ein russischer<br />
Adeliger und ein großer Freund Deutschlands<br />
– hatte die Leitung der Jesuitenuniversität<br />
dazu bewogen, zwei deutschen<br />
Studenten der Wirtschaftswissenschaften<br />
ein zweijähriges Stipendium zu gewähren.<br />
Mit diesem Angebot wandte er sich an sei-<br />
nen Doktorvater Leopold von Wiese, der<br />
übrigens auch der von Franz Mueller war<br />
und meiner werden sollte.<br />
Als kleine – mehr symbolische – Gegenleistung<br />
sollten die deutschen Studenten<br />
bei der Übersetzung ausgewählter Texte<br />
aus dem fünfbändigen „Lehrbuch der<br />
Nationalökonomie“ des Jesuiten <strong>Heinrich</strong><br />
<strong>Pesch</strong> assistieren und deshalb etwas über<br />
ihn wissen. Nach Lage der Dinge war ich<br />
unitas 3/2004 181<br />
>>
mir sicher, dass ich eines der Stipendien<br />
erhalten würde.<br />
Während ich alle anderen Bedingungen<br />
geradezu idealtypisch erfüllte, war jedoch<br />
in einem Punkt Fehlanzeige geboten:<br />
<strong>Heinrich</strong> <strong>Pesch</strong>? Nie gehört. Dem konnte<br />
jedoch abgeholfen werden. Der nächste<br />
Weg führte zur Universitätsbibliothek, wo<br />
ich mich über <strong>Pesch</strong>s gesamte Veröffentlichungen<br />
informieren konnte. Ich erhielt in<br />
der Tat eines der beiden Stipendien und<br />
fuhr am 2. September 1949 nach Amerika.<br />
Auf dem Umweg über Amerika habe ich<br />
– als Kölner – den Kölner <strong>Heinrich</strong> <strong>Pesch</strong><br />
kennen gelernt und über ihn die Katholische<br />
Soziallehre, die im weiteren<br />
Verlauf meines Lebens – vor<br />
allem was ihre gesellschaftspolitische<br />
Verwirklichung sowie ihre<br />
Verbreitung anbetrifft – eine<br />
wichtige Rolle spielen sollte.<br />
<strong>Pesch</strong> war <strong>für</strong> mich das Tor zur<br />
Katholischen Soziallehre – wenn<br />
man ihn nicht überhaupt als solches<br />
bezeichnen kann.<br />
Es ist dies nicht der Ort <strong>für</strong><br />
eine Standortbestimmung <strong>Heinrich</strong><br />
<strong>Pesch</strong>s in der Katholischen<br />
Soziallehre. Sicher ist, dass mit<br />
seinem umfassenden wissenschaftlichen<br />
und publizistischen<br />
Wirken die systematische<br />
Entwicklung dieser Lehre eingeleitet<br />
wurde und bereits in der<br />
Enzyklika Quadragesimo anno<br />
ihren Niederschlag findet.<br />
<strong>Heinrich</strong> <strong>Pesch</strong> war in der<br />
Nachkriegszeit in den USA im<br />
akademischen Bereich der<br />
Katholischen Soziallehre weitaus<br />
bekannter als in Deutschland,<br />
wozu ohne jeden Zweifel<br />
<strong>Bbr</strong>. Franz Mueller erheblich beigetragen<br />
hat. Als deutscher Einwanderer<br />
hat er im amerikanischen<br />
Sozialkatholizismus eine<br />
außerordentlich wichtige Rolle<br />
gespielt; was von amerikanischen<br />
Experten wie Michael<br />
Novak bestätigt wird.<br />
Der Kerngedanke des von<br />
<strong>Pesch</strong> entwickelten SOLIDA-<br />
RISMUS besagt: Die menschliche Person<br />
und die Gesellschaft sind existenziell aufeinander<br />
angewiesen. Aus diesem Tatbestand<br />
gegenseitiger Abhängigkeit und<br />
Verantwortung werden die Grundprinzipien<br />
der Katholischen Soziallehre abgeleitet:<br />
PERSONALITÄT, SOLIDARITÄT, SUBSI-<br />
DIARITÄT. An diesen Kriterien wird sich jede<br />
Gesellschaftsordnung messen lassen müssen,<br />
ob sie mit dem christlichen Menschenbild<br />
übereinstimmt – auch die Soziale<br />
Marktwirtschaft, wie wir seit Jahren mit<br />
Sorge feststellen müssen.<br />
182<br />
unitas 3/2004<br />
Wenngleich auch das Studium an der<br />
„School of Commerce and Finance“ absolute<br />
Priorität hatte, so habe ich mich – vornehmlich<br />
in den Ferien – mit <strong>Heinrich</strong> <strong>Pesch</strong><br />
befasst. Ob bei Tante Hubertine in<br />
Orlando/Florida oder im Zelt am Lake Tahoe<br />
in der Sierra Nevada – <strong>Heinrich</strong> <strong>Pesch</strong> war<br />
immer im Reisegepäck. Immerhin hatte ich<br />
mich so gut informiert, dass ich – wieder in<br />
Köln – im Wintersemester 1951/52 in der<br />
UNITAS Landshut eine WS über „Mensch<br />
und Gesellschaft im christlichen Solidarismus“<br />
hielt. Das handgeschriebene Manuskript<br />
von 24 Seiten liegt noch vor.<br />
Auch die Beschäftigung mit dem Thema<br />
meiner Magister-Arbeit in St. Louis über<br />
<strong>Preis</strong>übergabe an <strong>Bbr</strong>. Dr. <strong>Johannes</strong> <strong>Stemmler</strong> (Mitte):<br />
Die Vorortschargen der UNITAS Rheinfranken Düsseldorf Gordian<br />
Geilenkirchen (VOS) und der VOP Rolf Berweiler mit der Verbandsstandarte,<br />
<strong>Bbr</strong>. Prof. Dr. Lothar Roos und der AHB-Vorsitzende<br />
<strong>Bbr</strong>. <strong>Heinrich</strong> Sudmann<br />
den „Ursprung und die Entwicklung des<br />
Kapitalismus nach Werner Sombart“ hat<br />
mein Interesse <strong>für</strong> den Einfluss der Religion<br />
auf das wirtschaftliche Verhalten des<br />
Menschen und die Wechselbeziehung zwischen<br />
Religion und Wirtschaftsordnung geweckt.<br />
Das Thema KIRCHE – WIRTSCHAFT<br />
schien mir ein wichtiges, interessantes und<br />
lohnendes Arbeitsfeld zu sein; auf dem es<br />
darum geht, im Bereich der Kirche mehr<br />
Verständnis <strong>für</strong> den Kulturbereich Wirtschaft,<br />
<strong>für</strong> unternehmerische Tätigkeit und<br />
Verantwortung zu bewirken, und in der<br />
Wirtschaft – insbesondere in der Unternehmerschaft<br />
– den sozial-ethischen Postulaten<br />
der Kirche Geltung zu verschaffen.<br />
Eine erste große Chance, auf diesem<br />
Gebiet tätig zu werden, bot sich mir<br />
als erstem Laienmitarbeiter des Werkes<br />
MISEREOR, und zwar schon vor der ersten<br />
Fastenaktion 1959, als noch niemand wusste,<br />
ob diese Aktion erfolgreich sein würde.<br />
Ich erinnere mich an mein erstes Gespräch<br />
mit Msgr. Gottfried Dossing, damals Generalsekretär<br />
von Missio und später langjähriger<br />
Geschäftsführer von MISEREOR, am<br />
Buß- und Bettag 1958 in Aachen.<br />
Eines war uns klar: Sollte diese „Aktion<br />
gegen Hunger und Krankheit in<br />
der Welt“ erfolgreich sein und<br />
fortgesetzt werden, so müssen<br />
wir – dem Subsidiaritätsprinzip<br />
folgend – den Menschen helfen,<br />
sich selbst zu helfen. Caritas –<br />
gepaart mit Sachverstand. Das<br />
ist langfristig die einzig sinnvolle,<br />
aber auch viel schwierigere Art<br />
der Hilfe. 45 Jahre nach seiner<br />
Gründung ist MISEREOR – und<br />
das schon seit langem – das<br />
größte private Werk der<br />
Entwicklungshilfe der Welt,<br />
wahrscheinlich auch das erfolgreichste.<br />
Dazu bedurfte es einer<br />
Neuorientierung des sozialen<br />
Dienstes der Kirche in den Entwicklungsländern,<br />
wozu auch<br />
eine stärkere Beachtung ökonomischer<br />
Faktoren gehörte. Die<br />
Mitwirkung beim Aufbau von<br />
MISEREOR gehört zweifellos zu<br />
den wertvollsten und befriedigendsten<br />
Erfahrungen meines<br />
Lebens.<br />
Eine zweite große Chance<br />
bot sich mir als Geschäftsführer<br />
des Bundes Katholischer Unternehmer,<br />
einer Gruppe gesellschaftspolitisch<br />
engagierter Unternehmer,<br />
die sich beim Wiederaufbau<br />
der Bundesrepublik<br />
und bei der Ausgestaltung der<br />
SOZIALEN MARKTWIRTSCHAFT<br />
einen Namen gemacht hatte –<br />
unter ausdrücklichem Bezug auf<br />
die Katholische Soziallehre.<br />
In beiden Bereichen – bei MISEREOR wie<br />
beim BKU – wurde ich von der festen Überzeugung<br />
geleitet, dass eine anhaltende<br />
Besserung der sozialen Verhältnisse der<br />
Menschen, also das, was wir den sozialen<br />
Fortschritt nennen, eine funktionsfähige<br />
und menschengerechte Wirtschaft zur<br />
Voraussetzung hat. Mit Betroffenheit und<br />
Gesinnungsethik allein vermögen wir<br />
nichts zu ändern. Gefordert ist Verantwortungsethik:<br />
d. h. auf soziale Probleme Antworten<br />
zu geben, die sachgerecht und<br />
menschengerecht sind. Oder, wie Kardinal
Ratzinger es auf einem Kongress in Rom<br />
1985 ausdrückte,„Wir brauchen ein Höchstmaß<br />
an wirtschaftlichem Sachverstand,<br />
aber auch ein Höchstmaß an Ethos, damit<br />
der wirtschaftliche Sachverstand in den<br />
Dienst der richtigen Ziele tritt und seine<br />
Erkenntnis politisch vollziehbar und sozial<br />
tragbar wird.“ In gleicher Weise hat sich<br />
unlängst – kurz vor seiner Emeritierung –<br />
Bischof Homeyer in einem Interview mit<br />
dem Rheinischen Merkur ausgedrückt.<br />
Die Gründer des BKU trafen sich in der<br />
gemeinsamen Überzeugung, die bis heute<br />
<strong>für</strong> den Verband verpflichtend ist:<br />
� dass in einer freien Wirtschafts- und<br />
Gesellschaftsordnung der Unternehmer<br />
nicht nur eine unverzichtbare ökonomische<br />
Funktion erfüllt, sondern auch<br />
Verantwortung <strong>für</strong> die Erhaltung und<br />
Weiterentwicklung einer solchen<br />
Ordnung trägt;<br />
� dass einer menschengerechten und menschenwürdigen<br />
Ordnung von Wirtschaft<br />
und Gesellschaft ein christliches Menschenbild<br />
zugrunde liegen muss.<br />
Die Entwicklung der SOZIALEN MARKT-<br />
WIRTSCHAFT ist stark von katholisch-sozialen<br />
Ordnungsvorstellungen geprägt, die<br />
maßgeblich vom BKU eingebracht wurden.<br />
Das markanteste Beispiel ist die Sozialreform<br />
von 1957, deren wissenschaftliche<br />
Grundlegung von Wilfrid Schreiber, dem<br />
damaligen Geschäftsführer, geleistet<br />
wurde, in enger Zusammenarbeit mit Professor<br />
Joseph Höffner, dem geistlichen –<br />
und als promovierter Volkswirt – zugleich<br />
wissenschaftlichen Berater des Bundes.<br />
Auch die ersten Anstöße zu einer Politik<br />
der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand<br />
gingen vom BKU aus, damals nicht<br />
gerade zum Entzücken der Arbeitgeberverbände,<br />
heute sind sie fester Bestandteil<br />
unternehmerischer Gesellschaftspolitik.<br />
Das gilt <strong>für</strong> eine Reihe gesellschaftspolitischer<br />
Probleme, mit denen sich der BKU<br />
frühzeitig aus unternehmerischer und sozialethischer<br />
Sicht befasst, geäußert und mit<br />
anderen Gruppen in Kirche, Politik und<br />
Wirtschaft diskutiert hat. Die Spannweite<br />
der behandelten Probleme findet ihren<br />
Niederschlag in einer Vielzahl von Schriften:<br />
Familienlastenausgleich, Mitbestimmung,<br />
Humanisierung der Arbeit, Umweltschutz<br />
und Kernenergie, Sonntagsarbeit,<br />
Entwicklungspolitik, Globalisierung.<br />
Meinen eigenen Interessen und Erfahrungen<br />
entsprechend lag mir die internationale<br />
Arbeit im Rahmen der UNIAPAC<br />
(Internationale Christliche Unternehmervereinigung)<br />
besonders am Herzen.<br />
Seminare, die wir in Zusammenarbeit mit<br />
der Konrad Adenauer Stiftung <strong>für</strong> lateinamerikanische<br />
Unternehmer in Deutschland<br />
wie auch in Lateinamerika durchge-<br />
führt haben, standen unter dem Motto<br />
„Soziale Marktwirtschaft in deutscher Erfahrung.<br />
Die Rolle des Unternehmers im<br />
Entwicklungsprozess“.<br />
Zunächst mit Blick auf die Entwicklungsländer<br />
verbreitete der BKU über seine<br />
Tochtergesellschaft ORDO SOCIALIS Ideen<br />
der Katholischen Soziallehre und Grundsätze<br />
der Sozialen Marktwirtschaft in Übersetzungen.<br />
Der Anstoß dazu ging 1985 von<br />
dem bereits erwähnten Kongress in Rom<br />
aus: „Kirche und Wirtschaft in gemeinsamer<br />
Verantwortung <strong>für</strong> die Zukunft der<br />
Weltwirtschaft.“ Wenige Jahre später, nach<br />
dem Zusammenbruch des Kommunismus,<br />
gab es eine gewaltige Nachfrage nach diesen<br />
Texten in den Sprachen Osteuropas –<br />
als Orientierungshilfe beim Aufbau demokratischer<br />
und marktwirtschaftlicher Ordnungen.<br />
Unsere Zielgruppe sind Meinungsbildner:<br />
Politiker, Journalisten, Priester,<br />
Studenten in diesen Ländern. Wir haben<br />
bislang Veröffentlichungen in 14 Sprachen<br />
herausgebracht. Das „Flaggschiff“ von<br />
ORDO SOCIALIS ist die „Christliche Gesellschaftslehre“<br />
von Kardinal Höffner, die als<br />
solide Information über die Grundsätze dieser<br />
Lehre, ergänzt von <strong>Bbr</strong>. Lothar Roos,<br />
immer noch sehr gefragt sind. Die russische<br />
Ausgabe ist unlängst in Moskau in die<br />
zweite Auflage gegangen. Die chinesische<br />
Übersetzung ist fertig, bedarf aber zu ihrer<br />
Veröffentlichung noch des „nihil obstat“<br />
der chinesischen Regierung.<br />
Die eindeutigen „bestseller“ der Schriftenreihe<br />
sind die Schriften von Peter H.<br />
Werhahn, einem der Gründungsmitglieder<br />
des BKU, „Der Unternehmer. Seine ökonomische<br />
Funktion und gesellschaftspolitische<br />
Verantwortung“ und „Wirtschaft aus<br />
christlicher Sicht“ von Karl-Heinz <strong>Pesch</strong>ke<br />
SVD. Auch der Text über das PRIVATEIGEN-<br />
TUM von <strong>Bbr</strong>. Prof. Dr. Anton Rauscher SJ,<br />
der im vergangenen Jahr den <strong>Heinrich</strong>-<br />
<strong>Pesch</strong>-<strong>Preis</strong> erhielt, wurde in verschiedenen<br />
Sprachen Osteuropas – so auch in Russisch<br />
– verbreitet.<br />
Aus gegebener Veranlassung möchte<br />
ich eines Mannes gedenken, der auf den<br />
Tag 50 Jahre nach <strong>Heinrich</strong> <strong>Pesch</strong> geboren<br />
wurde und dessen 100. Geburtstag wir<br />
gestern abend in der Universität zu Köln<br />
gedacht haben: Wilfrid Schreiber, Professor<br />
der Sozialpolitik, der als wissenschaftlicher<br />
Berater des BKU das deutsche System der<br />
Sozialversicherung entwickelt und damit<br />
wesentlich zur Ausgestaltung der SOZIA-<br />
LEN MARKTWIRTSCHAFT beigetragen hat.<br />
Oft und gerade in diesen schweren<br />
Zeiten, da die unverzichtbare Korrektur des<br />
total überforderten Solidaritätsprinzips zu<br />
Gunsten des Subsidiaritätsprinzips als<br />
Neoliberalismus bezeichnet wird, denke ich<br />
an sein Wort „Wir sind die besseren Liberalen.<br />
Wir treten ein <strong>für</strong> die Ordnungskraft<br />
der Freiheit im Rahmen einer ORDO SOCIA-<br />
LIS, wie sie uns von der Katholischen<br />
Soziallehre vorgegeben ist“. Hier reichen<br />
sich <strong>Heinrich</strong> <strong>Pesch</strong> und Wilfrid Schreiber<br />
die Hand.<br />
Ich danke <strong>Heinrich</strong> <strong>Pesch</strong> da<strong>für</strong>, dass er<br />
auf die geschilderte Art und Weise mein<br />
Leben beeinflusst hat. Und ich danke dem<br />
UNITAS-Verband zutiefst <strong>für</strong> die Ehre, die<br />
mir mit der Verleihung des <strong>Heinrich</strong>-<strong>Pesch</strong>-<br />
<strong>Preis</strong>es zuteil wurde.“<br />
<strong>Bbr</strong>. P. <strong>Heinrich</strong> <strong>Pesch</strong> SJ.<br />
Für mehr Informationen:<br />
UNITAS-Handbuch, Bd. II/227;<br />
http://www.helmut-zenz.de/hzpesch.html<br />
Neue Broschüre zur<br />
Katholischen Soziallehre<br />
von <strong>Bbr</strong>. Prof. Dr. Lothar Roos<br />
„Die Katholische Soziallehre und die<br />
Reform des Sozialstaates“ ist der Titel<br />
einer Broschüre, die der BKU (Bund<br />
Katholischer Unternehmer) Juni 2004<br />
herausgegeben hat.<br />
In der Reihe Diskussionsbeiträge hat<br />
<strong>Bbr</strong>. Professor Dr. Lothar Roos damit eine<br />
Zusammenfassung über Kernaussagen<br />
der kirchlichen Sozialverkündigung vorgelegt.<br />
Das Heft, mit dem der Verband<br />
zum Nachdenken über die Reform des<br />
Sozialstaates anregen will, kann zum<br />
<strong>Preis</strong> von zwei Euro in der Geschäftsstelle<br />
angefordert werden.<br />
Kontakt: BKU, Georgstr. 18, 50676 Köln,<br />
Tel. 0221/2 72 37-0, Fax -27,<br />
E-Mail service@bku.de.<br />
Der Text ist auch im Internet unter<br />
www.bku.de zu finden.<br />
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