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20 Jahre Kunsthof Zürich - Zürcher Hochschule der Künste

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<strong>Hochschule</strong> / Zett 2–137Von <strong>der</strong>Verlangsamung<strong>der</strong> WeltIn Zeiten zahlloser elektronisch generierterSchriftschnitte mag <strong>der</strong> Umgang mit Bleitypenantiquiert wirken. Für die Schärfung des ästhetischenVerständnisses ist er aber Gold wert.Rudolf Barmettler hütet und vermittelt die Kunst<strong>der</strong> elementaren Typografie an <strong>der</strong> ZHdK mit seltenerHingabe. Ein Porträt von Ruth Schweikert*Dieser Mann ist ein Phänomen; sieben Stunden sass und standich neben ihm, schaute ihm über die Schulter und hörte ihmzu, wie er Studierende <strong>der</strong> Vertiefung Visuelle Kommunikationim vierten Semester im Modul Schriftentwicklung (eineneue Schrift wird vom Klassenkollektiv entwickelt) begleitete,anwies, korrigierte, seinen genauen Blick, seine Erfahrungund sein immenses Wissen einbringend, wobei er denStudierenden kaum je seine persönliche Meinung o<strong>der</strong> garein definitives Urteil aufdrängte, son<strong>der</strong>n vielmehr versuchte,ihnen die notwendigen Voraussetzungen zu vermitteln –Geschichte <strong>der</strong> Schriftentwicklung, Schulung des Auges,praktische Anfor<strong>der</strong>ungen an eine Schrift –, damit sie ihreeigenen Entscheidungen treffen und verantworten konnten;ein zweites Mal waren es fünf Stunden in einem Abendkurs,und meine Wahrnehmung war dieselbe: eine fast meditativzu nennende Präsenz. Diese mag unterstützt werden durchRudolf Barmettlers schiere Körpergrösse; eine Fähigkeit zuDistanznahme und teilnehmen<strong>der</strong> Übersicht, die sich auchphysisch manifestiert, o<strong>der</strong> eben umgekehrt, eine Physis, dieDistanznahme und Übersicht beför<strong>der</strong>t; hinzu kommen seinAlter (Prof. Barmettler ist 56) und die breite eigene Berufserfahrung,zu <strong>der</strong> auch die Ausbildung an <strong>der</strong> <strong>Hochschule</strong> fürFilm und Fernsehen in München gehört. Den Versuch, sichals Dokumentarfilmer zu etablieren, hat Barmettler abgebrochen,weil es «doch nicht so ganz geklappt hat». Hellwachund gelassen, engagiert und interessiert, dazu mit einigemHumor ausgestattet, <strong>der</strong> zwischendurch aufblitzt: So habeich Rudolf Barmettler in seinem Unterricht erlebt.Wertvolles kulturtechnologisches ErbeAbendkurs «Elementare Typografie» im Untergeschoss <strong>der</strong>Berufsschule für Gestaltung Zürich. Es riecht schon im Flurnach Druckerei, nach Farbe und Maschinen. In diesem Raumwird aufbewahrt, à jour gehalten und bewirtschaftet, was bisvor ungefähr dreissig <strong>Jahre</strong>n Berufsalltag <strong>der</strong> Schriftsetzerwar: 90 Schriftfamilien in 150 verschiedenen Schriftschnitten(von leicht bis extrafett, von eng bis breit, geradestehendund kursiv) in 850 verschiedenen Grössen, überwiegend inBlei, manche aus an<strong>der</strong>en Materialien wie Holz, Magnesiumund Bakelit; dazu mehrere Abziehpressen sowie zweiTiegeldruckpressen, die tatsächlich noch mit physischemDruck arbeiten, <strong>der</strong> auch auf dem Papier seine (kaum wahrnehmbaren)dreidimensionalen Spuren hinterlässt. RudolfBarmettler hat sich vehement für den Erhalt dieses kulturtechnologischenErbes eingesetzt; ohne ihn wäre das meistedavon auf dem Müll gelandet. Barmettler ist sowohl an <strong>der</strong>Berufs- wie an <strong>der</strong> Kunsthochschule <strong>der</strong> einzige Dozent, <strong>der</strong>im Unterricht noch damit arbeitet, in <strong>der</strong> Überzeugung, dasHandwerk (wörtlich verstanden) bilde die beste Basis für dieArbeit am Bildschirm, wo Textgestaltung heutzutage praktischausschliesslich gemacht wird, sieht man von exklusivenNischenprodukten wie etwa den Erzeugnissen des AteliersBodoni ab (www.waldgut.ch).Rudolf Barmettler drückt mir einen Plan in die Hand; je<strong>der</strong>Setzkasten ist gleich bestückt, zuvor<strong>der</strong>st sind die meistgebrauchtenZeichen – a, Wortabstand, e, d, m, i, halber Wortabstand,n, o –, oben die Versalien, oben links die Ziffern,rechts die Interpunktionszeichen; jede Sprache hat ihr eigenesZeicheneinordnungsprinzip. Für jede Schrift gibt es einMusterblatt mit immer demselben Satz, «the quick brown foxjumps over the lazy dog»; er enthält sämtliche Buchstaben desAlphabets; ich lese staunend Namen wie «Akzidenz-Groteskhalbfett»; man könnte Gedichte schreiben mit ihnen.«Materialität schult das Empfinden»Der Kurs ist offen auch für Berufsleute, Grafiker und Gestalterinnen,die diese Möglichkeit gerne nutzen; die Atmosphäreist konzentriert und locker zugleich, jede und je<strong>der</strong>arbeitet im eigenen Tempo; alle gehen zwischendurch raus,rauchen, trinken o<strong>der</strong> essen etwas, checken ihre Mails o<strong>der</strong>simsen ihre Botschaften sekundenschnell in die Welt – umdann wie<strong>der</strong> stundenlang an ihrer Textgestaltung zu feilen.Wie organisiere ich Information? Welcher Zusammenhangbesteht zwischen Inhalt und Form? Alle entwerfen Flyer o<strong>der</strong>Plakate für fiktive o<strong>der</strong> reale Veranstaltungen, Ausstellungenusw. Zuerst wird <strong>der</strong> ganze Text linksbündig von Hand aufgeschrieben,pro Wort eine neue Zeile. Dann <strong>der</strong> ganze Textauf vier Zeilen verteilt; Schritt für Schritt werden weitereAnordnungen ausprobiert, alles von Hand. Das wie<strong>der</strong>holtsich bis zu zwanzig Mal – es wird geschrieben, geschnipseltund geklebt, gestöhnt und verworfen, bis sich nach zwei, dreiStunden endlich eine Stossrichtung abzeichnet. Jetzt erstwird ein Entwurf ausgewählt, eine passende Schrift dafür gesuchtund das Ganze gesetzt, von rechts nach links notabene;alle Leerräume müssen mit <strong>der</strong>selben Sorgfalt gefüllt werdenmit nichtdruckendem Material. Es ist offensichtlich, wie sehrdie Kursteilnehmer diese Form haptischer Bastelei lieben;eine Frau, die vor sechs <strong>Jahre</strong>n ihren Bachelor gemacht hatund selbstständig arbeitet, sagt, sie brauche den Input hier,die genaue Auseinan<strong>der</strong>setzung mit einer Aufgabe, «das istim Berufsalltag nicht möglich, da muss es schnell gehen». Ichdenke an das, was Rudolf Barmettler gesagt hat: «Die Reduktion<strong>der</strong> Möglichkeiten beim Bleisatz ist eine Hilfe, und dieMaterialität schult das Empfinden für das eigene Tun; wennzwischen zwei Buchstaben 1 Didot-Punkt Raum weggenommenwird, ist das auf dem Mac nur ein Klick, hier bedeutetes die Entfernung eines 0,376 Millimeter dicken Metallplättchens.»Ja, in diesem geschützten Rahmen entsteht sie: dieUtopie einer Verlangsamung <strong>der</strong> Welt.Wenn die Druckvorlage gesetzt ist, wird das schwere Gebildegebunden, damit es nicht verrutscht, und auf eine Abziehpressegehievt. Erst jetzt kommt die Farbe ins Spiel, die sorgfältigaufgetragen wird mittels einer Walze.«Ich mache dann nächstes Mal weiter», meint einer. «Wieso?Es isch jo erscht zähni», sagt Barmettler trocken. «Das tuenis nöchschtmol no korrigiere», sagt ein an<strong>der</strong>er um halb elf.

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