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Gefäße für Leben und Tod Sie verwandelt den Ton: Kati Jünger

Gefäße für Leben und Tod Sie verwandelt den Ton: Kati Jünger

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<strong>Gefäße</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>Leben</strong> <strong>und</strong> <strong>Tod</strong><br />

<strong>Sie</strong> <strong>verwandelt</strong><br />

<strong>den</strong> <strong>Ton</strong>:<br />

<strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong><br />

<strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong>: Blumen Vase,<br />

2006, h 550 mm, Ø 220 mm,<br />

Foto: Lydia Gastroph<br />

4


<strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong>: Vase,<br />

2005, h 600 mm, Ø 300 mm,<br />

Foto: Michael Moosmayer<br />

Die Fassade des schmalen Hauses<br />

schaut auf <strong>den</strong> Marktplatz des pittoresken<br />

Städtchens Laufen, nach<br />

hinten blickt man hinaus auf die filigrane<br />

Brücke über die Salzach, die Oberbayern<br />

von Oberösterreich trennt. Schöner kann<br />

man sich ein Haus in einem alten Ortskern<br />

kaum träumen. Seit 1993 hat <strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong><br />

hier, mitten im Zentrum von Laufen, ihr eigenes<br />

Atelier.<br />

Ihre <strong>Gefäße</strong> könnten aus einem mykenischen<br />

Königsgrab stammen. Die Teekan-<br />

<strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong>: Teekanne,<br />

2008, h 110 mm, Ø 180 mm,<br />

Foto: Michael Moosmayer<br />

<strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong>: Teekanne,<br />

2006, h 120 mm, Ø 160 mm,<br />

Foto: Michael Moosmayer<br />

nen <strong>und</strong> Vasen von <strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong> wirken archaisch,<br />

edel <strong>und</strong> kostbar. So behäbig die<br />

Kannen, so zart die dünnwandigen Schalen,<br />

mit schimmernder Goldauflage innen, die<br />

die Farbe des Getränks zum Leuchten<br />

bringt. Die Formen der Teekannen sind<br />

behäbig, der Griff aus Stahl gut zu handhaben.<br />

Dennoch können sie fast als autonome<br />

Plastiken gelten, so prägnant ist ihre<br />

Oberfläche gestaltet. Die Vasen, hoch,<br />

aber standfest, sind eigenständige, würdevolle<br />

Formen, die auch ohne Grün beste-<br />

hen. Manchmal sind sie so hoch, dass sie<br />

aus zwei Teilen zusammengefügt wer<strong>den</strong><br />

müssen.<br />

Es sind die kostbaren wirken<strong>den</strong>, spektakulären<br />

Oberflächen der <strong>Gefäße</strong>, die <strong>den</strong><br />

Blick auf sich ziehen.<br />

Das Gefäß an sich ist <strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong> nicht genug.<br />

„Es wird gedreht, <strong>und</strong> ist dann – fertig.<br />

Das ist mir zu langweilig“. Für sie beginnt<br />

die eigentliche Gestaltungsarbeit erst jetzt.<br />

Hat <strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong> früher sich mit differenzierten<br />

Mustern begnügt, sind es jetzt<br />

5<br />

PROJEKT


6<br />

hochkomplexe Reliefstrukturen, Gold<strong>und</strong><br />

Silberauflagen, die die <strong>Gefäße</strong> zu Aufsehen<br />

erregen<strong>den</strong> Objekten machen.<br />

Form auf Form wird montiert <strong>und</strong> zu tektonischen<br />

Gebil<strong>den</strong> aufgebaut. Der <strong>Ton</strong><br />

wird gerollt, geschichtet, gedreht <strong>und</strong> vielfach<br />

geschliffen, sodass geometrische Muster<br />

entstehen, abgedrückte Strukturen<br />

wer<strong>den</strong> aufgelegt, in deren Vertiefungen<br />

sich leuchtende Glasur sammelt, Stäbchen<br />

<strong>für</strong> Stäbchen miteinander verflochten, bis<br />

ein korbartiges Gefüge um <strong>den</strong> glatten<br />

<strong>Ton</strong>korpus herum aufgebaut ist. Schleifen<br />

fügen sich zu Blüten <strong>und</strong> Friesen, Minifliesen<br />

schmücken breitbasig auflagernde Gefäßformen,<br />

Blattgold <strong>und</strong> Schlagmetall veredeln<br />

die Oberflächen <strong>und</strong> lassen <strong>den</strong> <strong>Ton</strong><br />

metallisch schimmern. Zierrat <strong>und</strong> Blüten<br />

wer<strong>den</strong> wie Reliquien in Polyester eingeschmolzen<br />

<strong>und</strong> in die Gefäßwandung eingesetzt.<br />

Solcherart bekommen <strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong>s<br />

prachtvolle Kunst-Stücke zeremoniellen<br />

Charakter.<br />

<strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong>: Vase,<br />

2005, h 620 mm, Ø 350 mm,<br />

Foto: Michael Moosmayer<br />

<strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong>: Vase,<br />

2010, h 430 mm, Ø 400 mm,<br />

Foto: Michael Moosmayer<br />

Vor etwa zwei Jahren hat <strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong> ein<br />

weiteres Feld <strong>für</strong> ihre Experimentierfreude<br />

entdeckt, sie gestaltet Urnen. Betrachtet<br />

man ihre kultigen Kannen, von <strong>den</strong>en<br />

manche an eine Grabbeigabe erinnert,<br />

so hat die Idee der Urne etwas Zwingendes.<br />

Als der Vater Hermann <strong>Jünger</strong>, Gold- <strong>und</strong><br />

Silberschmied, 1972-90 Professor an der<br />

Akademie der Bil<strong>den</strong><strong>den</strong> Künste in München<br />

<strong>und</strong> einer der international renommiertesten<br />

Vertreter seines Fachs 2005<br />

verstarb, mussten die Hinterbliebenen, alle<br />

künstlerisch tätig, einen ästhetischen Notstand<br />

in der Gestaltung von Särgen <strong>und</strong><br />

Urnen konstatieren. <strong>Sie</strong> stellten sich die<br />

Fragen: Warum endet die Individualität mit<br />

dem <strong>Tod</strong>? Warum sollte man sich mit nor


<strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong>: Teekanne,<br />

2010, h 110 mm, Ø 180 mm,<br />

Foto: Michael Moosmayer<br />

mierten Formen zufrie<strong>den</strong>geben? Warum<br />

sollten am Ende des <strong>Leben</strong>s nicht individuelle<br />

Gestaltungswünsche berücksichtigt<br />

wer<strong>den</strong> <strong>für</strong> die letzte Ruhestatt?<br />

Was also lag näher, als sich selbst ans<br />

Werk zu machen? Für <strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong>s augenscheinliche<br />

Vorliebe <strong>für</strong> chinesische Gefäßformen<br />

<strong>und</strong> prächtige Oberflächen eröffnete<br />

sich ein ideales, nahezu grenzenloses<br />

Betätigungsfeld.<br />

Die Urne ist seit dem Neolithikum bekannt<br />

als Behälter zur Aufbewahrung <strong>und</strong><br />

Bestattung der Asche von Verstorbenen<br />

nach einer Feuerbestattung, die in Europa<br />

in der Bronzezeit üblich wurde. Schon damals<br />

war die Gestaltung der Urnen vielfäl-<br />

<strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong>: Teekanne,<br />

2006, h 120 mm, Ø 160 mm,<br />

Foto: Michael Moosmayer<br />

7


<strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong>: Urne Faltenmuster, silber,<br />

h 285 mm, Ø 223 mm, Foto: Eva <strong>Jünger</strong><br />

8


<strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong>: Urne Blütenknospen, rot türkis,<br />

h 250 mm, Ø 245 mm, Foto: Eva <strong>Jünger</strong><br />

<strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong>: Urne Pyrami<strong>den</strong>relief, schwarz gold,<br />

h 315 mm, Ø 255 mm, Foto: Eva <strong>Jünger</strong><br />

tig. Bekannt sind Gesichtsurnen <strong>und</strong> Urnen<br />

mit menschlichen Teilfiguren, Buckel- <strong>und</strong><br />

Glockenurnen, Doppelkonische Urnen,<br />

Urnen mit Deckel, ballonförmige Töpfe<br />

<strong>und</strong> Terrinen. Auch wur<strong>den</strong> Urnen von jeher<br />

<strong>für</strong> die Aufnahme der Asche von Menschen<br />

wie auch von Tieren benutzt. Im Inneren<br />

der Urne befindet sich die Aschekapsel,<br />

deren Materialien <strong>und</strong> Maße festgelegt<br />

sind <strong>und</strong> die Größe der Überurne bestimmen,<br />

die Gestaltung der Überurne<br />

selbst hingegen bleibt weitgehend variabel.<br />

<strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong>: Urne Blattornament mit Bllüten, grün rot türkis,<br />

h 280 mm, Ø 230 mm, Foto: Eva <strong>Jünger</strong><br />

<strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong>: Urne Ballon, schwarz weiß gestreift,<br />

h 230 mm, Ø 265 mm, Foto: Eva <strong>Jünger</strong><br />

Neben Metall ist Keramik <strong>für</strong> Urnen das<br />

gegebene Material. Mittlerweile gibt es <strong>für</strong><br />

Naturbestattungen in Friedwäldern oder<br />

-Wiesen auch biologisch abbaubare Urnen,<br />

sogar mit Dekor. Doch im Zuge der<br />

zunehmen<strong>den</strong>, etwas trostlosen Anonymisierung<br />

der Bestattungen stimmt die Beschäftigung<br />

mit der Urne als einem individuell<br />

gestalteten Behältnis <strong>für</strong> die letzten<br />

Überreste eines Menschen nahezu fröhlich:<br />

diese Urnen sind ganz einfach nur<br />

w<strong>und</strong>erschön. Zu schön, um sie nur kurze<br />

Zeit zu sehen. Der Gedanke ist auch der,<br />

die Urne selbst auszusuchen, sie schon zu<br />

Lebzeiten im Haus zu haben, vielleicht sogar,<br />

sie im Alltag zu benutzen. Mitten im<br />

<strong>Leben</strong> <strong>Gefäße</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Tod</strong>.<br />

<strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong> nähert sich dem Thema auf<br />

ihre Weise, der Stil ihrer <strong>Gefäße</strong> bleibt<br />

auch hier streng <strong>und</strong> klassisch elegant bis<br />

heiter verspielt. Schon die Form ist eine<br />

Vorgabe, es gibt <strong>den</strong> schlichten Zylinder<br />

mit Abwandlungen als gestufte, gezackte<br />

oder abger<strong>und</strong>ete Variante, auf flachen<br />

9


10<br />

Ausstellung WEISS, Passau,<br />

Galerie am Steiweg,<br />

Foto: Lydia Gastroph<br />

Füßchen, meist zurückhaltend im Dekor.<br />

Die dorische Säulenform zitiert die klassische<br />

Antike <strong>und</strong> steht <strong>für</strong> sich allein. Bei<br />

der doppelkonischen Urne greift <strong>Jünger</strong><br />

eine alte Urnenform auf, die ebenfalls bereits<br />

ohne Dekor auffällt. Seltener sind die<br />

Pagode <strong>und</strong> die Kürbisform sowie die Mumienform,<br />

ein Einzelstück, das die Künstlerin<br />

heute so nicht mehr gestalten würde –<br />

zu offensichtlich sind wohl die Assoziationen.<br />

Harmonisch <strong>und</strong> ausgewogen stellt<br />

sich die Ballonurne dar, behäbig in sich ruhend.<br />

Die Ballonurne wurde mittlerweile<br />

auch schon <strong>für</strong> einen H<strong>und</strong> bestellt. Die<br />

Menschen haben eben durchaus ihre eigenen<br />

Vorstellungen <strong>und</strong> sehnen sich nach<br />

individuellen Möglichkeiten, sich selbst <strong>und</strong><br />

ihre nächsten Angehörigen ganz persönlich<br />

zu ehren.<br />

Auch hier sind die Oberflächen prägnant<br />

<strong>und</strong> aussagekräftig. <strong>Sie</strong> ahmen getriebenes<br />

Metall nach, zeigen Reliefstrukturen, die an<br />

Geflechte erinnern, auch das von <strong>den</strong> Kannen<br />

bereits bekannte Stäbchengerüst<br />

<strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong>: Urne Pagode 1, schwarz mit rotem Rand,<br />

h 340 mm, Ø 230 mm, Foto: Eva <strong>Jünger</strong>


<strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong>: Urne Zylinder, silber gold,<br />

h 318 mm, Ø 169 mm<br />

Foto: Eva <strong>Jünger</strong><br />

<strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong>: Urne Kürbisform, silber,<br />

h 370 mm, Ø 240 mm<br />

Foto: Eva <strong>Jünger</strong><br />

taucht hier wieder auf sowie die Intarsien<br />

mit Einlagerungen in Polyesterharz. Eine<br />

extrem bewegte Oberflächengestaltung<br />

weisen die Urnen mit Blattornamenten auf<br />

sowie die Millefioriornamente mit Blüten,<br />

Knospen <strong>und</strong> Blättern. <strong>Sie</strong> transportieren<br />

einen lyrischen Gr<strong>und</strong>ton <strong>und</strong> vermitteln<br />

einen intimen Zauber, der <strong>den</strong> Betrachter<br />

sofort gefangen nimmt.<br />

In der Werkstatt liegt neben einer Urne<br />

mit auf <strong>den</strong> ersten Blick geflechtartigem<br />

Aussehen die Negativform einer Hand. Bei<br />

näherer Betrachtung erkennt man auf der<br />

Wandung Finger, die ineinandergreifen<br />

<strong>und</strong> sich zu einem bergen<strong>den</strong> Gefäß zusammenschließen.<br />

<strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong> hat gerade<br />

eine neue Idee der Oberflächengestaltung<br />

ausprobiert. Von der Negativform ihrer<br />

eigenen Hand formt sie die einzelnen Finger<br />

ab, die sie auf die Urne auf- <strong>und</strong> umschließend<br />

um sie herumlegt. Was ent-<br />

steht, ist ein zunächst irritierender Eindruck<br />

lebendiger Finger, die nach dem<br />

Brand (bei 1200-1250°) ein bewegtes Geflecht<br />

bil<strong>den</strong>, das erst auf <strong>den</strong> zweiten Blick<br />

erkennbare Details preisgibt.<br />

Da<strong>für</strong>, dass der Mensch am Ende seines<br />

<strong>Leben</strong>s nur noch Vergängliches aufzubewahren<br />

hat, gibt <strong>Kati</strong> <strong>Jünger</strong> dem Gefäß<br />

eine Form, die dieses Wenige in tröstliche<br />

Obhut nimmt.<br />

Ines Kohl<br />

KATI JÜNGER<br />

1961 geboren in München<br />

76–78 Keramiklehre bei Celine von Eichborn<br />

83–85 Gerrit Rietveld Academie Amsterdam<br />

85–86 Hochschule <strong>für</strong> Angewandte<br />

Kunst, Wien<br />

AUSZEICHNUNGEN<br />

1987 Preis des Landes Berlin <strong>für</strong> das<br />

gestaltende Handwerk<br />

1996 Bayerischer Staatspreis<br />

1999 Förderpreis der Stadt München<br />

AUSSTELLUNGEN<br />

Gastroph <strong>und</strong> <strong>Jünger</strong> – WEISS ... über <strong>den</strong><br />

<strong>Tod</strong> hinaus, 29.07.–11.09.2011, Bayerischer<br />

Kunstgewerbeverein München.<br />

24.–25.9.2011 Pöring 11<br />

www.ausstellung-poering.de<br />

Lydia Gastroph, Goldschmiedin <strong>und</strong> Schülerin<br />

von Hermann <strong>Jünger</strong> hatte die Idee, dem oben<br />

angesprochenen Defizit in der Gestaltung der<br />

LETZTEN DINGE entgegenzuwirken. So gründete<br />

<strong>Sie</strong> 2009 zusammen mit Lene <strong>Jünger</strong>,<br />

Schreinerin <strong>und</strong> Innenarchtitektin, in München<br />

das Unternehmen „WEISS... über <strong>den</strong> <strong>Tod</strong><br />

hinaus“, das individuell gestaltete Särge <strong>und</strong><br />

Urnen aus Künstlerhand anbietet.<br />

www.gastroph-juenger.de<br />

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