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Wahr ist nur das lebendige Wort - Kirchen.ch

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Neue Z}r<strong>ch</strong>er Zeitung ZEITBILDER Samstag, 25.03.2000 Nr.72 119<br />

vers<strong>ch</strong>iedenen Tagen gefeiert wurde. Mohammed sagt, <strong>das</strong> Fasten<br />

endet, wenn drei Glaubensbrüder zuglei<strong>ch</strong> den Mond ers<strong>ch</strong>einen<br />

sehen. Aber dieses Jahr ma<strong>ch</strong>t jeder, was er will. Die ersten haben<br />

den weissen S<strong>ch</strong>ein eben Samstag erblickt, die letzten erst am<br />

Montag. So erklärte die Regierung den Montag, als Cica aus dem<br />

Krankenhaus kam, zum Feiertag. «Ein unermessli<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>aden für<br />

unser Bruttosozialprodukt», geifert Lamin mit aufgerissenen<br />

Augen und F<strong>ist</strong>elstimme. So, <strong>das</strong>s <strong>nur</strong> Amadou ihn hören kann,<br />

natürli<strong>ch</strong>. Der s<strong>ch</strong>nappt ihm die Zigarette aus der Hand und rennt<br />

mit langen S<strong>ch</strong>ritten zum Car Rapide. Bettler umlagern den<br />

Wagen, s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> muss heute jeder sein Pfli<strong>ch</strong>topfer an die<br />

Armen loswerden, <strong>das</strong> der Koran vors<strong>ch</strong>reibt.<br />

Dialog. Alleinsein. Das Hotel liegt im rosafarbenen Abend und<br />

hält den Atem an, selbst die Strassen s<strong>ch</strong>einen stiller vor diesem<br />

kurzen, unverglei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en und immerglei<strong>ch</strong>en Sturz der Sonne in<br />

die Na<strong>ch</strong>t. Auf dem Gepäckträger des alten Fahrrads balanciert<br />

Amadou eine S<strong>ch</strong>ale Reis und Fis<strong>ch</strong>. Ein Tu<strong>ch</strong> liegt zum S<strong>ch</strong>utz<br />

darüber, aber es duftet unverkennbar na<strong>ch</strong> der Erdnusssauce, die<br />

seine Mutter ko<strong>ch</strong>t. Die Regeln gebieten, <strong>das</strong>s alle aus derselben<br />

S<strong>ch</strong>üssel essen, aber jeder <strong>nur</strong> auf seiner Seite. Und <strong>das</strong>s man den<br />

Blick ni<strong>ch</strong>t hebt beim Essen. Lamin und Amadou löffeln s<strong>ch</strong>weigend,<br />

die Augen in die Emails<strong>ch</strong>ale geri<strong>ch</strong>tet, deren blaues Blumenmuster<br />

si<strong>ch</strong>tbar wird.<br />

Die Zeit vergeht s<strong>ch</strong>nell. Nirgends wird so viel na<strong>ch</strong>geda<strong>ch</strong>t wie<br />

im «Volk» unter der herabgesenkten Hand. Nirgends wird so viel<br />

ges<strong>ch</strong>wiegen und stillgesessen. Was Lärm ma<strong>ch</strong>t, sind Trommeln<br />

und Sänger und <strong>Wort</strong>e aus privilegierten Kehlen. Alle anderen<br />

sind friedli<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>en, die allenfalls die Zeit tots<strong>ch</strong>lagen. Amadou<br />

erzählt Lamin, <strong>das</strong>s er si<strong>ch</strong> ein Lied ausgeda<strong>ch</strong>t hat.<br />

Amadou: «Gestern habe i<strong>ch</strong> mir ein Lied ausgeda<strong>ch</strong>t.» Lamin:<br />

«Wozu?» Amadou: «Tradition bedeutet ni<strong>ch</strong>t mehr als Überlieferung.»<br />

Lamin: «Das Showbiz kannst du dir abs<strong>ch</strong>minken. Da<br />

haben <strong>nur</strong> Frauen eine Chance.» Amadou: «Eigentli<strong>ch</strong> ein neutraler<br />

Begriff.» Lamin: «Das siehst du ja an den Spice Girls. Sehen<br />

aus wie Miss Universe, mais <strong>ch</strong>antent comme des casseroles.»<br />

© 2000 Neue Zür<strong>ch</strong>er Zeitung AG Blatt 2

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