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Statement Prof. Dr. Theodor Siegel - Berliner Steuergespräche eV

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<strong>Prof</strong>essor <strong>Dr</strong>. THEODOR SIEGEL (Humboldt-Universität zu Berlin)Antithesen gegenüber <strong>Prof</strong>essor <strong>Dr</strong>. <strong>Dr</strong>. h.c. GERD ROSE:Für eine rechtsformneutrale BesteuerungDie von meinem verehrten Kollegen GERD ROSE zum 9. <strong>Berliner</strong> Steuergespräch am24.11.2003 vorgelegten Thesen dürfen nicht unwidersprochen bleiben. Denn trotz der Zitatevon ROSE ist die Forderung nach Rechtsformneutralität in den Steuerwissenschaften sehrweit verbreitet, wenn nicht sogar herrschende Meinung.So gibt es eine starke Fraktion, die eine umfassende Entscheidungsneutralität der Besteuerungfordert. Hierfür stehen – neben vielen anderen – die Betriebswirte FRANZ W. WAGNERund RAINER ELSCHEN, der Volkswirt MANFRED ROSE und der Steuerjurist JOACHIM LANG.Vgl. z.B. FRANZ W. WAGNER: Leitlinien steuerlicher Rechtskritik als Spiegel betriebswirtschaftlicher Theoriegeschichte.In: Unternehmenstheorie und Besteuerung (Festschrift Dieter Schneider), 1995, S. 725 – 746.RAINER ELSCHEN: Entscheidungsneutralität, Allokationseffizienz und Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.In: Steuer und Wirtschaft, 1991, S. 99 – 115.JOACHIM LANG: Unternehmenssteuerreform. In: Unternehmenstheorie und Besteuerung (Festschrift DieterSchneider), 1995, S. 398 – 418.Auch wer eine generelle Entscheidungsneutralität nicht für erreichbar hält, setzt sich dochaus ordnungspolitischen Gründen für weitestgehende Entscheidungsneutralität und damit fürRechtformneutralität ein, so z.B. PETER BAREIS und der Verfasser dieser Antithesen. DieseForderung ergibt sich zugleich aus dem Prinzip der Gleichmäßigkeit der Besteuerung.Vgl. THEODOR SIEGEL: Konsum- oder einkommensorientierte Besteuerung? In: Schmalenbachs Zeitschrift fürbetriebswirtschaftliche Forschung, 2000, S. 724 – 741.THEODOR SIEGEL und PETER BAREIS: Strukturen der Besteuerung. 3. Auflage, 1999 (4. Auflage im <strong>Dr</strong>uck).Auch die Verteidigung des Anrechnungsverfahrens läßt sich nur vor dem Hintergrundrechtsformneutraler Besteuerung verstehen. Sechs betriebswirtschaftliche Autoren haben mitZustimmung von 72 steuerlichen Fachkollegen rechtzeitig vor der Einführung des Halbeinkünfteverfahrensgewarnt:Vgl. THEODOR SIEGEL, PETER BAREIS, NORBERT HERZIG, DIETER SCHNEIDER, FRANZ W. WAGNER und EKKEHARDWENGER: Verteidigt das Anrechnungsverfahren gegen unbedachte Reformen! In: Betriebs-Berater, 2000,S. 1269 – 1270.Selbstverständlich entscheidet nicht die Anzahl der Pro- oder Contra-Fachvertreter, sonderndas Gewicht der Argumente. Daher ist auf die von GERD ROSE vorgetragenen Argumente –der Reihe nach – einzugehen.


2Zu 1.: Das Vorgetragene spricht weder für noch gegen Rechtsformneutralität.Zu 2.: Es wird auf Ungleichheiten im Steuerrecht hingewiesen und daraus kurzschlüssig gefolgert,daß deshalb auch eine ungleiche Behandlung der Rechtsformen in Frage komme.Dazu ist generell festzuhalten, daß aus der (scheinbaren oder tatsächlichen) Verletzung einesPrinzips schon aus logischen Gründen nicht gefolgert werden kann, weitere Verletzungenseien gerechtfertigt. Das Gegenteil ist zutreffend.Im einzelnen:Die Besteuerung in Abhängigkeit vom Familienstand ist die Interpretation einer Grundgesetzforderungnach besonderer Förderung von Ehe und Familie. Im Hinblick auf Rechtsformengibt es kein derartiges Gebot.Die Besteuerung in Abhängigkeit vom Standort ist eine Folge lokaler Steuerhoheiten. Gemeindenstehen damit im Wettbewerb und werden so gezwungen, effiziente Verwaltungenund nützliche Infrastrukturen aufzubauen. Ein Vergleich von standortabhängiger mit rechtsformabhängigerBesteuerung vermischt die Ebenen; relevant ist der Vergleich von Besteuerungsfolgeninnerhalb derselben Gemeinde.Eine unterschiedliche Behandlung von Branchen implizit als gerechtfertigt darzustellen,widerspricht völlig ordnungspolitischen Grundsätzen. Im übrigen überrascht dieses Argumentangesichts der heftigen Kritik gegen die Gewerbesteuer und gegen die Sonderbesteuerungvon Landwirten.Zu 3.: Die gesellschafts- oder zivilrechtlichen Unterschiede der Rechtsformen würden eineungleiche Besteuerung rechtfertigen.Die Feststellung von Unterschieden der Rechtsformen ist eine zutreffende Tatsachenfeststellungohne normative Kraft. Die zentrale These muß angesichts unzähliger Beispiele vonStaatsversagen lauten: Was der Markt lösen kann, darf der Staat nicht an sich reißen.Wer für seine erwerbswirtschafltiche Betätigung eine bessere Rechtsform als ein Konkurrentausgewählt hat, erwartet ein besseres finanzielles Ergebnis, das dann besteuert wird. Wer(indirekten) Staatseingriffen in die Wahl der Rechtsform über die Besteuerung das Wort redet,maßt sich Wissen an, das er nicht haben kann. Weder gibt es einen Beweis dafür, daßdie Wirtschaftssubjekte ohne Staatseinfluß durch die Besteuerung falsche Rechtsformentscheidungentreffen, noch gibt es einen Beweis dafür, daß die politisch Verantwortlichenbesser als die Wirtschaftssubjekte wissen, in welcher Form diese ihre erwerbswirtschaflticheTätigkeit organisieren sollen.


Im einzelnen gehe ich hierzu auf die Argumente in der zitierten Literatur ein:3OTTO H. JACOBS: Aus dem angeführten Zitat läßt sich nichts Konkretes ableiten.LOTHAR HABERSTOCK und VOLKER BREITHECKER: Rechtsformneutralität könne genauso wenigverlangt werden wie Neutralität von Rechtsform-Aufwendungen und Informationspflichten.Hier wird übersehen: Je nach Rechtsform sind die Beziehungen zur Umwelt unterschiedlich;z.B. erklären sich Wirtschaftsprüfungs-Kosten und Informationsaufwand bei Kapitalgesellschaftenaus der Beschränkung der Haftung. Diese kann man als zweckmäßiges Kriteriumzur Auferlegung unterschiedlicher Pflichten ansehen, mit denen das aus der beschränktenHaftung entstehende Risiko kompensiert werden soll. Diese Kompensation muß sich im Systemunserer Marktwirtschaft jedoch innerhalb des Marktes im Rahmen des Gesellschaftsrechtsergeben. Es kann nicht Aufgabe des Steuerrechts sein, in das Gesellschaftsrecht einzugreifen.Das vorgetragene Argument verwechselt die Ebenen: Markthandeln im Rahmendes Gesellschaftsrechts einerseits und Anknüpfung der Besteuerung an das Ergebnis desMarkthandelns andererseits.ANTON HEIGL: Die Kapitalgesellschaft habe Vorteile, die eine zusätzliche Leistungsfähigkeiterzeugen. Hierzu im einzelnen:Das Argument der unbegrenzten Lebensdauer offenbart die Vorstellung, daß abstrakte Einheiteneine eigene steuerliche Leistungsfähigkeit besäßen. Hier wird ein fundamentaler Auffassungsunterschieddeutlich: Leistungsfähig können nach meiner und vieler Ökonomen Auffassungnur natürliche Personen sein. Nur diese sind die Träger wirtschaftlichen Handelns;die Gesellschaftsform ist lediglich ein Instrument zur Erreichung ihrer wirtschaftlichen Ziele.(Dies spricht noch nicht gegen eine Körperschaftsteuer: Deren Charakter muß eine Sicherungssteuersein, die – wie im Anrechnungsverfahren – bis zu dem Zeitpunkt greift, zu demdie Anteilseigner über das betreffende Einkommen verfügen.)Daß „günstige Managementstrukturen“ ein Vorzug von Kapitalgesellschaften seien, ist m.E.schon deshalb unbeachtlich, weil z.B. nicht wenige amerikanische Kapitalanleger eine empirischeBestätigung dieser These ablehnen würden.Wichtig erscheint indessen das Argument, der Zugang zum „offenen Kapitalmarkt“ sei einsteuerrelevanter Vorteil der Kapitalgesellschaft. Zunächst: Dieser Gesichtspunkt kann keineswegseinen Besteuerungsunterschied zwischen einem Bäcker-Einzelkaufmann und einerEin-Bäcker-GmbH erklären. Hier könnte allenfalls eine Sondersteuer für kapitalmarktnutzendeAktiengesellschaften gefordert werden. Warum aber sollen 1000 Kapitalanleger mit einerSondersteuer belegt werden, wenn sie sich in einer AG zusammenfinden, um den Kapitalmarktzu nutzen – da unser Gesellschaftssystem durch Vereinigungsfreiheit gekennzeichnetist, könnten sie sich auch in der Form einer Personengesellschaft ohne Kapitalmarktnutzungbetätigen. Wenn jemand die Personengesellschaft wählt, ist es seine freie Entscheidung,die nicht eine Entschädigung durch niedrigere Besteuerung verlangen kann.Sollte es tatsächlich einen steuerrelevanten Vorteil von Kapitalmarkt-Unternehmungen geben,so wäre die Forderung nach einer zusätzlichen Gewinn-Besteuerung unlogisch. Daß


4Kapitalmarkt-Unternehmungen bessere Renditen erzielen als andere Unternehmungen, istkeineswegs selbstverständlich. Wenn schon, dann müßte die Extra-Steuer an der Kapitalaufnahmeansetzen: Ist jemand für das Wiederaufleben der Gesellschaftsteuer?DIETER SCHNEIDER: Das wortreiche Zitat bringt kaum positive Folgerungen. Konkret wird verlangt,daß je nach Haftung und je nach durch Mitbestimmung eingeschränkter Verfügungsmachtsteuerrechtliche Konsequenzen zu ziehen seien. Leider habe ich hier einen Dissensmit meinem sehr geschätzten Kollegen. Meine Gegenargumentation ist verwandt mit der soebengegenüber dem Vorteil des Kapitalmarktzugangs verwendeten: Die Gesellschaftsordnungstellt unterschiedliche Alternativen der wirtschaftlichen Betätigung zur Verfügung, fürdie jeder die Vor- und Nachteile aus seiner Sicht abwägen kann, so daß es nicht zulässigist, vom Staat einen steuerlichen Ausgleich für eine falsche Entscheidung zu erwarten.Ein solches Eingreifen könnte allenfalls bei Marktversagen verlangt werden – davon kannhier keine Rede sein, und im übrigen wäre dann ein Ausgleich im Rahmen von Subventionenund nicht im Rahmen des Steuerrechts zu diskutieren.GERD ROSE: Im Kern liegt hier die gleiche Argumentation wie die zuletzt erörterte vor. Ich habeHerrn ROSE vor Jahren einmal gefragt, wieso ein angestellter Bäcker nicht nach seinerAuffassung einen günstigeren Steuertarif erhalten sollte als z.B. ein Hochschullehrer, dermorgens um 8 Uhr aufsteht, während der Bäcker schon mitten in der Nacht heraus muß undsich somit um viele abendliche Fernseh-„Vergnügungen“ bringt. Die Antwort ist dieselbe wiedie in dem leidigen Problem der nächtlich tätigen Krankenschwester, die angeblich über dieSteuerfreiheit von Nachtzuschlägen unterstützt werden muß: Es ist Sache des Marktes, zueinem als angemessen angesehenen Einkommen zu führen. Die Krankenschwester oderihre Gewerkschaft sollte um einen höheren Bruttolohn verhandeln, der Bäcker sollte sich umhöhere Brötchenpreise bemühen – im übrigen ist von Berufsfreiheit genauso auszugehen wievon Freiheit in der Wahl der Rechtsform. Warum also sollte der Steuergesetzgeber in dieseFreiheit eingreifen, indem er die Rechtsformen unterschiedlich behandelt?Somit ergeben sich folgende Antithesen:1. Der erwerbswirtschaftlich Tätige verfügt für die Gestaltung seiner Beziehungen zur Umweltüber mehrere Alternativen im Rahmen des Gesellschaftsrechts. Hieraus wählt er je nach seinerEinschätzung der zivil-/gesellschaftsrechtlichen Vorteile die für ihn optimal erscheinendeRechtsform aus. Es ist ordnungspolitisch verfehlt, wenn ihn das Steuerrecht bei dieserWahlentscheidung beeinflussen will und eventuell von der ohne Steuerberücksichtigung erfolgtenWahl abbringt.2. Die Besteuerung muß am Ergebnis der wirtschaftlichen Betätigung ansetzen und darf –soweit dies möglich ist – die Art des Wirtschaftens nicht beeinflussen. Eine entgegengesetzteAbsicht verhindert im übrigen die notwendige Vereinfachung des Steuerrechts.3. Da jeder Steuerbürger nach dem finanziellen Ergebnis seiner wirtschaftlichen Betätigungzu besteuern ist, setzt Gleichmäßigkeit der Besteuerung Rechtsformneutralität voraus.

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