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Von der linguistisch bezogenen ... - Linguistik online

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<strong>Von</strong> <strong>der</strong> <strong>linguistisch</strong> <strong>bezogenen</strong> Fremdsprachendidaktikzur interkulturellen FremdsprachenpädagogikEin EssayWaldemar Pfeiffer (Frankfurt/O<strong>der</strong>)AbstractThis paper deals with the scientific evolution of the didactics of foreign languages,an area which has developed form a linguistically-based discipline intoan intercultural pedagogic of foreign language. After the change in perspectivesand paradigms, we are presented with the revised goals and tasks of the disciplineas it is today, which can in short be defined as intercultural language education.Der folgende Beitrag ist eine Würdigung <strong>der</strong> sprachwissenschaftlichen und pädagogischenLeistungen von Harald Weydt, dem ich gleichzeitig für die10-jährige kollegiale Zusammenarbeit zwischen unseren Lehrstühlen in <strong>der</strong> KulturwissenschaftlichenFakultät <strong>der</strong> Europa-Universität in Frankfurt (O<strong>der</strong>) dankeund aus Anlass seines 65. Geburtstages viel Gesundheit und Glück sowie weiterhinviel Schaffenskraft wünsche.1 Natürlicher SpracherwerbFremdsprachen lernt man am besten im frühen Kindesalter, im natürlichenSprachmilieu, im Umgang mit muttersprachlichen Kin<strong>der</strong>n. Das Bedürfnis, mit<strong>der</strong> Umgebung zu kommunizieren, die begrenzte Zahl von sich immer wie<strong>der</strong>holendenSituationen, die mit geringen Sprachmitteln gemeistert werden und dieangeborenen biologischen Fähigkeiten des Spracherwerbs machen es möglich,jede beliebige Sprache – auch schwere (ja, aus didaktischer Sicht gibt es solche!)– mühelos zu erwerben. 'Zu erwerben' eben, auch wenn von Lehr- und Lernprozessengesprochen werden kann. Denn die natürlichen Spracherwerbsprozesseverlaufen unbewusst und ungesteuert im Gegensatz zu einem systematischen,organisierten und institutionalisierten Fremdsprachenunterricht.Die Möglichkeiten, eine Fremdsprache – o<strong>der</strong> besser: eine zweite Sprache – aufnatürliche Art und Weise zu erlernen, sind nicht sehr groß, aber auch nicht ganzgering. Denn solche Möglichkeiten sind in Grenzgebieten gegeben und sie wer-


266particulae collectaeden auch vielerorts genutzt. Hinzu kommen noch bilinguale Kin<strong>der</strong>gärten (diehässliche Bezeichnung 'Kin<strong>der</strong>tagesstätte' = Kita geht mir schwer über die Lippen)1 in immer schneller und stärker wachsenden multikulturellen Gesellschaften.Wenn wir heutzutage Vielsprachigkeit und Vielkulturalität in Europa alseine Notwendigkeit ansehen, müssen wir die Möglichkeiten des frühzeitigenFremdenspracherwerbs noch entschlossener nutzen und sie ideell und finanziellför<strong>der</strong>n. Mir scheint, dass sich diese Erkenntnis langsam durchsetzt, und zwarnicht zuletzt deshalb, weil – ich möchte etwas salopp behaupten – es die Kin<strong>der</strong>gärtensind – d. h. Kin<strong>der</strong>, nicht Politiker, wie man lei<strong>der</strong> feststellen muss – dieneue Arbeitsplätze schaffen (!).2 SprachunterrichtDer massenhafte Fremdsprachenunterricht war und bleibt Domäne des allgemeinenSchulsystems. Ich sehe dabei ab von den verschiedenen Formen und Angeboten<strong>der</strong> Weiterbildung und Vervollkommnung von Sprachkenntnissen, die dieEuropäische Union mit ihren mannigfaltigen Programmen des Schüler- und Studentenaustauschesbietet. Für die Schulen müssen Lehrer ausgebildet werden.Sollen Lehrer Lehrer ausbilden o<strong>der</strong> soll es die Aufgabe <strong>der</strong> Hochschullehrer, d.h. von Wissenschaftlern sein, die sich mit didaktisch-methodischen Fragen desFachunterrichts theoretisch und – in Hinsicht auf den praktischen Charakter <strong>der</strong>Disziplin – auch praktisch befassen? Dies ist keine banale Frage, da von Land zuLand die Fremdsprachenlehrerausbildungscurricula an<strong>der</strong>s sind. Dementsprechendist auch das Niveau <strong>der</strong> Ausbildung unterschiedlich und die Fachkompetenz,die Lehrer gut o<strong>der</strong> mangelhaft beherrschen.2.1 Die Entwicklung <strong>der</strong> Sprachdidaktik als DisziplinWie wir wissen, wurde die Fremdsprachendidaktik – im Gegensatz zu <strong>der</strong> seitJahrhun<strong>der</strong>ten als Wissenschaft etablierten <strong>Linguistik</strong> – erst in den 60-er Jahrendes 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts, also vor ca. 40 Jahren, als eine universitäre Disziplin begründet.Im Großen und Ganzen trifft das auf Polen und Deutschland zu sowie,zumindest zum Teil, auf die Län<strong>der</strong> des ehemaligen Ostblocks, wo recht vieleProbleme uniform nach einem Modell geregelt wurden.Das leitet über zum Thema des Perspektiven- und Paradigmenwechsels in <strong>der</strong>Fremdsprachendidaktik, das ich exemplarisch und ohne genaue Quellenangabeauf Polen und Deutschland beschränken will. 1965 gründete Ludwik Zabrocki,Nestor <strong>der</strong> polnischen Neuphilologie, an <strong>der</strong> Adam-Mickiewicz-Universität1 Eine Randbemerkung: Es sind die Sprachbenutzer, die ihre Sprachen schwieriger machenals sie sind. Auf <strong>der</strong> Suche nach Präzision des Ausdrucks, eines 'klugen' Inhalts und'aparten' Stils verkomplizieren sie ihre Sprachperformanz unnötig.


Waldemar Pfeiffer: Interkulturelle Fremdsprachenpädagogik 267Pozna_ die in Polen erste Abteilung für angewandte <strong>Linguistik</strong>. 2 Ihre Aufgabebestand darin, sich den wissenschaftlichen Grundlagen <strong>der</strong> Sprachvermittlung zuwidmen und diese in angewandte Theorien umzusetzen. Mit seinem Interesse fürkybernetische Grundlagen <strong>der</strong> sprachlichen Kommunikation und für die sog.konfrontative <strong>Linguistik</strong> und <strong>der</strong>en Beziehungen zu <strong>der</strong> Fremdsprachendidaktikschlug Zabrocki neue Wege in <strong>der</strong> Wissenschaft ein. Mit <strong>der</strong> zusätzlichen Gründung<strong>der</strong> ersten Abteilung für Methodik des Deutschen als Fremdsprache 1967an seinem zweiten Lehrstuhl (er hatte damals zwei Lehrstühle inne) 3 für germanischeSprachen <strong>der</strong> Posener Universität wurden institutionelle Formen geschaffen,die neue Disziplin – Glottodidaktik – wissenschaftstheoretisch zu begründenund weiter zu entwickeln. Auf <strong>der</strong> Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnissesollten Deutschlehrer ausgebildet werden. Bis dahin wurden sie nämlich vonerfahrenen Lehrern aus <strong>der</strong> Praxis in die methodischen Fragen und Probleme <strong>der</strong>Sprachunterweisung an <strong>der</strong> Universität eingeweiht. Diesem neuen Beispielfolgten Institute und Lehrstühle an an<strong>der</strong>en Neuphilologien polnischer Universitätenund Pädagogischen Hochschulen. 4Die Last <strong>der</strong> Neugründungen und <strong>der</strong> wissenschaftlichen Fundierung <strong>der</strong> neuenDisziplin nahmen Sprachwissenschaftler auf sich. Zabrocki selbst und seinezahlreichen Mitarbeiter waren vorwiegend Linguisten. Es ist deshalb nicht verwun<strong>der</strong>lich,dass in dieser Zeit vor allem <strong>linguistisch</strong>e Grundlagen <strong>der</strong> Fremdsprachendidaktikerforscht wurden. Mit <strong>der</strong> Betonung <strong>der</strong> Spezifik des Fremdsprachenunterrichts– die Begründung lautete etwa: die Fremdsprache ist gleichzeitigZiel, Gegenstand und Mittel des Unterrichts, und ihre Unterweisung unterscheidetsich deshalb wesentlich von den Methodiken <strong>der</strong> außersprachlichen Fächer– hat man die Relevanz <strong>der</strong> allgemeinen Didaktik negiert o<strong>der</strong> zumindestübersehen. Fremdsprachendidaktik und -methodik wurden in <strong>der</strong> Regel als angewandte<strong>Linguistik</strong> an sprachwissenschaftlichen Instituten verankert.Mit den Beziehungen zwischen <strong>Linguistik</strong> und Fremdsprachendidaktik habensich damals recht viele polnische Sprachwissenschaftler auseinan<strong>der</strong>gesetzt. Genanntseien hier Aleksan<strong>der</strong> Szulc, <strong>der</strong> zunächst in Pozna tätig war und Mitte <strong>der</strong>60-er Jahre den Lehrstuhl für Germanistik 5 an <strong>der</strong> Jagiellonen-Universität in2 Die von Zabrocki gegründete Disziplin, wie auch die Fachzeitschrift, die bis heute erscheint,wurde unter dem Namen Glottodidaktik bekannt.3 Zu beachten ist, dass ein Lehrstuhl in Polen einige habilitierte, selbstständige Wissenschaftlerzählen kann. Das gleiche betrifft eine Abteilung, die in <strong>der</strong> Regel an einemgrößeren Institut mit mindestens sechs habilitierten und vielen weiteren Beschäftigenverankert ist.4 An die Stelle Pädagogischer Hochschulen traten seit den 90-er Jahren 3-jährige Kollegs,u. a. sehr zahlreiche Fremdsprachenlehrerkollegs, die mit einem Lizenziat (entsprichtdem B.A.) enden.5 Später wurde <strong>der</strong> Lehrstuhl in ein Institut umgewandelt.


268particulae collectaeKrakau gründete o<strong>der</strong> Franciszek Grucza, ebenfalls Schüler von Zabrocki, <strong>der</strong> indieser Zeit das in Polen größte und bedeutendste Institut für angewandte <strong>Linguistik</strong>an <strong>der</strong> Warschauer Universität gründen konnte.2.2 Die Etablierung <strong>der</strong> DisziplinNoch dynamischer verlief <strong>der</strong> Prozess <strong>der</strong> Disziplingründung in den beidendeutschen Staaten. Zwar folgte man zunächst fast unkritisch den Forschungsströmungenaus den USA bzw. aus <strong>der</strong> Sowjetunion. Erinnert sei in diesem Zusammenhangbeispielsweise an die 1967 herausgegebene deutsche Übersetzungdes klassischen Werks von Robert Lado Mo<strong>der</strong>n Language Teaching. A ScientificalApproach. Wohl zum ersten Mal wurde im Titel eines fremdsprachendidaktischenBuches <strong>der</strong> Begriff 'wissenschaftlich' verwendet. Trotz einiger Übersetzungenaus dem Russischen konnten sich die russischen Wissenschaftler nichtüberall durchsetzen, obwohl beson<strong>der</strong>s die Konzeptionen <strong>der</strong> Sprachtätigkeito<strong>der</strong> <strong>der</strong> sog. Linguolandeskunde (in <strong>der</strong> Bundesrepublik: sprachbezogene Landeskunde)von Verescagin und Kostomarov recht interessant waren. Etwas bekannterwurden nur Vater und Sohn Leontjev.Die Forschungsbasis war in den beiden deutschen Staaten recht breit. ZahlreicheLinguisten, in <strong>der</strong> Regel Anglisten und Romanisten, seltener Slawisten o<strong>der</strong>Pädagogen, gehörten zu den Begrün<strong>der</strong>n <strong>der</strong> neuen Disziplin. Beispielsweiseund stellvertretend seien hier einige Wissenschaftler genannt, wie: Harald Weinrich,Herbert Christ, Albert Raasch, Werner Hüllen, Helmut Heuer, WolfgangKühlwein, Günter Zimmermann. Auch Harald Weydt übte sich in seinen frühenJahren in <strong>der</strong> praktischen Vermittlung des Deutschen als Fremdsprache und verfasstespäter in Zusammenarbeit mit einigen Mitarbeitern ein Lehrbuch für dieLehre und Übung <strong>der</strong> deutschen Partikeln.Aus <strong>der</strong> DDR ist hier vor allem Gerhard Helbig zu nennen. 1966 wurde er aufden ersten Lehrstuhl für Deutsch als Fremdsprache im gesamten deutschsprachigenRaum 6 an dem damaligen Her<strong>der</strong>-Institut <strong>der</strong> Karl-Marx-Universität inLeipzig berufen. Um ihn bildete sich eine starke Wissenschaftlergruppe, dieDeutsch als Fremdsprache in erster Linie wissenschaftlich untersuchte. Zu nennenwären hier beispielsweise Ursula Förster, Günter Desselmann, Marianne undMartin Löschmann, Gerhard Wazel, Werner Reinecke, Harald Helmich undviele an<strong>der</strong>e. Mit Joachim Buscha hat Helbig zahlreiche <strong>linguistisch</strong> orientierte6 Zum Vergleich: Das erste Institut für Deutsch als Fremdsprache in <strong>der</strong> Bundesrepublikgründete Harald Weinrich an <strong>der</strong> Universität München im Jahre 1978. In Österreichwurde Hans-Jürgen Krumm auf den ersten Lehrstuhl für Didaktik des Deutschen alsFremdsprache am Germanistischen Institut <strong>der</strong> Universität Wien erst vor 10 Jahren,1993, berufen.


Waldemar Pfeiffer: Interkulturelle Fremdsprachenpädagogik 269Lehrwerke für Deutsch als Fremdsprache, vor allem aber die Deutsche Grammatik,ein Handbuch für den Auslän<strong>der</strong>unterricht in zahlreichen Auflagen herausgegeben.1981 erschien sein Buch Sprachwissenschaft – Konfrontation –Fremdsprachenunterricht, das für diese Etappe sehr charakteristisch ist.Die meisten Sprachwissenschaftler betrachteten ihre Disziplin als die Grundlagenwissenschaft<strong>der</strong> Fremdsprachendidaktik schlechthin. Es gab aber auch einige,die <strong>der</strong> Fremdsprachendidaktik jede Wissenschaftlichkeit absprachen. Dagegenwehrte sich natürlich die neu entstandene Generation (damals) jungerFremdsprachendidaktiker (u. a. Bausch, Königs, Krumm, Henrici, Neuner, Götze,Schwertfeger und in Polen Komorowska, Marton, Szczodrowski, Tomiczek,Wo_niewicz, Zawadzka, Pfeiffer u.a.), die die Fremdsprachendidaktik als eineeigenständige Disziplin auffassten und nicht etwa als eine Disziplin, die nur Forschungserkenntnisseund -ergebnisse an<strong>der</strong>er Wissenschaften subsumiert.Die neue universitäre Disziplin musste aber noch wissenschaftlich fundiert werden.Dafür war den bundesdeutschen Wissenschaftlern <strong>der</strong> Begriff Fremdsprachendidaktikallzu suspekt, weil er mit <strong>der</strong> Unterrichtspraxis sehr stark assoziiertwurde. Zur Begründung <strong>der</strong> Disziplin – und vielleicht auch, um die finanzierendenInstitutionen, wie z. B. die DFG, zu überzeugen – wählte man den umständlichenBegriff 'Sprachlehr- und Sprachlernforschung'. 1983 erschien die ArbeitSprachlehr- und Sprachlernforschung. Sie wurde vom Koordinierungsgremiumim DFG-Schwerpunkt "Sprachlehrforschung" herausgegeben. Weitere Arbeitenauf dem Feld <strong>der</strong> Grundlagenforschung folgten. Stellvertretend wird an dieserStelle nur noch das herausragende Handbuch Fremdsprachenunterricht genannt,dessen erste Auflage 1989 erschien und von ca. 100 Autoren unter Leitung vonBausch, Christ, Hüllen und Krumm bearbeitet worden war.Übrigens: <strong>der</strong> Begriff Grundlagenwissenschaft (zur Erinnerung: gemeint war die<strong>Linguistik</strong>) wurde mit <strong>der</strong> Zeit durch Begriffe wie Nachbarwissenschaft, korrespondierendeWissenschaft, Bezugs- o<strong>der</strong> Referenzwissenschaft ersetzt. Immerhäufiger wurde auf die Relevanz an<strong>der</strong>er Wissenschaften, z. B. die Psychologieund die allgemeine Didaktik, hingewiesen. Selbst die allgemein sprachwissenschaftlichenGrundlagen wurden um die kontrastive <strong>Linguistik</strong> und die sogenanntenBindestrich-<strong>Linguistik</strong>en – Psycho-, Sozio- und Pragma-<strong>Linguistik</strong>, dieman heute als ein Wort schreibt – erweitert. Der erste Paradigmenwechselkonnte vollzogen werden: vom Behaviorismus in <strong>der</strong> Psychologie und vomStrukturalismus in <strong>der</strong> <strong>Linguistik</strong> zum Kognitivismus. Dieser dauerte nicht allzulange, weil man mit <strong>der</strong> Bevorzugung <strong>der</strong> bewussten Aneignung einer Fremdsprache– die kognitive Methode verstand man als eine up-to-date grammartranslationmethod – nicht sehr weit kommen konnte.


270particulae collectae2.3 Neue MethodenDie Zeit war nicht stehen geblieben. Mit <strong>der</strong> wachsenden Migration erhielt diekommunikative Orientierung des praktischen Unterrichts neue Impulse. Koko –d. h. kommunikative Kompetenz – hieß nun das Zauberwort. Wie oft hat mandas von Eberhard Piepho gehört! Die kommunikative Wende vollzog sichschnell, denn ihre Wurzeln lagen in <strong>der</strong> noch unlängst vorherrschenden behavioristischenPeriode mit ihrer audio-lingualen Methode. Am Werk war nun aberdie bereits selbstbewusst gewordene Generation von Fremdsprachenwissenschaftlernund Fremdsprachendidaktikern aus <strong>der</strong> Praxis. Einer <strong>der</strong> ältestenFremdsprachenlehrerverbände in Europa, <strong>der</strong> Allgemeine Deutsche Neuphilologen-Verband,1880 gegründet, wurde 1972 zum Fachverband Mo<strong>der</strong>ne Fremdsprachenumbenannt, um dem neuen Selbstbewusstsein <strong>der</strong> FremdsprachendidaktikerRechnung zu tragen. Auch an<strong>der</strong>e Fremdsprachenlehrerverbände wurdenaktiv wie nie zuvor, eine Fülle von Fachzeitschriften und neuen Lehrwerkenbeherrschte den Markt. Der Kapitalismus machte zwar soziale Fehler, aber dasKapital war noch da. Dem Kommunismus fehlte <strong>der</strong> Atem, da sich 'kapitale'Fehler häuften. Die Erweiterung <strong>der</strong> Europäischen Union und <strong>der</strong> Mauer- undSystemfall im Osten Europas brachten eine ganz neue politische Situation mitsich. Sprach- und Kulturkontakte vermehrten sich dramatisch. Die Wirtschaftwartete nicht auf Beschlüsse aus Brüssel, Berlin o<strong>der</strong> Warschau. Die Grenzenwurden durchlässig, Informations-, Waren- und Menschenaustausch erreichtenein nie da gewesenes Niveau. Mit den wachsenden Sprach- und Kulturkontaktenerhöhte sich <strong>der</strong> praktische Bedarf an Sprachkenntnissen und Wissen über dieGrundlagen <strong>der</strong> interkulturellen Kommunikation. Dem wandten sich zunächstVertreter <strong>der</strong> interkulturellen Wirtschaftskommunikation zu. Fremdsprachenwissenschaftlerfolgten dem Ruf <strong>der</strong> Praxis. Ein neues Paradigma von dem reinenkommunikativen Interaktionismus (Konstruktivismus) zu <strong>der</strong> interkulturellenKommunikation wurde etabliert. Der alte Begriff <strong>der</strong> Fremdsprachendidaktik mitseinen Varianten Fremdsprachenwissenschaft sowie Wissenschaft von den Prozessendes Lehrens und Lernens frem<strong>der</strong> Sprachen wurde wie<strong>der</strong> salonfähig. Essetzte sich auch die Meinung durch, dass die Fremdsprachendidaktik in <strong>der</strong> Tateine selbständige Disziplin ist und ihren eigenen, spezifischen Forschungsgegenstandund spezifische Forschungsziele hat, die sie mit wissenschaftlichen Methodenanstrebt. Viel mehr noch, niemand zweifelt heute ernsthaft daran, dassdie Fremdsprachendidaktik eine didaktische Disziplin ist. Denn wie in je<strong>der</strong>Fachdidaktik und -methodik geht es auch in diesem Bereich in erster Linie umLehren und Lernen. Dabei wird natürlich die Spezifik des Fremdsprachenunterrichtsnicht in Frage gestellt. Mit diesem Sachverhalt haben aber einzelne Linguistenimmer noch gewisse Schwierigkeiten. Davon wird allerdings nicht allzulaut gesprochen, zumal nicht wenige von ihnen nach wie vor <strong>der</strong> Versuchung


Waldemar Pfeiffer: Interkulturelle Fremdsprachenpädagogik 271selbst nachkommen, irgendetwas Fremdsprachendidaktisches in Angriff zunehmen.2.4 Interkulturelle KommunikationSeit einem guten Jahrzehnt dauert nun <strong>der</strong> interkulturelle Trend an. Nicht nurneue Themen, wie beispielsweise Vorurteile und Stereotype, Tabus und Körpersprache,son<strong>der</strong>n neue Ziele und Prinzipien werden diskutiert. Die rein sprachlicheKommunikation wird durch die interkulturelle Kommunikation, die Landeskundedurch integrierte, interkulturelle o<strong>der</strong> erlebte Landeskunde ersetzt o<strong>der</strong>zumindest ergänzt. Als Lehrziel und Lehrprinzip gilt nun die interkulturelleSpracherziehung. Die Fremdsprachendidaktik entwickelte sich zu einer interkulturellenFremdsprachenpädagogik. Eine neue Generation von Fremdsprachenlehrernwird ausgebildet. Da geht es jetzt nicht mehr so sehr um die Beherrschungpraktischer Techniken, wie man etwa die deutschen Präpositionenmit dem 3. o<strong>der</strong> 4. Fall unterrichtet, son<strong>der</strong>n vielmehr um die Erkennung undBehandlung von Vorurteilen und Stereotypen o<strong>der</strong> die Erkenntnis, was eigentlichunter Ambiguitätstoleranz und Konfliktfähigkeit zu verstehen ist u.v.a.m.Da stellt sich die Frage, inwieweit alle wichtigen Kenntnisse und Kompetenzen– neben <strong>der</strong> immer wichtigen didaktisch-methodischen Ausbildung natürlich –beherrscht werden können und müssen. Vielleicht genügt zunächst die Einsicht,dass das Eigene nicht zur "Leitkultur" erklärt, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Ethnozentrismusdurch Respekt und Akzeptanz des Fremden ersetzt wird. Das ist nun aber dieAufgabe des gesamten Schulsystems schlechthin, und nicht ausschließlich desFremdsprachenunterrichts, auch wenn Fremdsprachenlehrer hierbei eine beson<strong>der</strong>eRolle spielen könnten. Wäre es nicht besser auch, mit <strong>der</strong> interkulturellenSpracherziehung bereits im Kindesalter zu beginnen? Damit wirft die Fremdsprachenpädagogikneue Fragen auf und <strong>der</strong> Kreis schließt sich. Vorurteile, Voreingenommenheit,Fremdenhass und egozentrische Interessen werden schließlicherst im 'politischen' Alter bewusst. Kleine Kin<strong>der</strong> haben keine kultur<strong>bezogenen</strong>egozentrischen Interessen, sie haben an<strong>der</strong>e Bedürfnisse und ein an<strong>der</strong>esWeltbild.3 AusblickDas Thema verlangt natürlich eine breitere und tiefere systematische Behandlung,bedarf genauer Namen-, Quellen- und Titelangaben. Dies war an dieserStelle nicht möglich. Hier sollte nur ein Impuls für weiteres Nachdenken gegebenwerden. Es ging mir dabei nicht so sehr um den Paradigmenwechsel in <strong>der</strong>Methodik, son<strong>der</strong>n um den wissenschaftlichen Werdegang und disziplinäreEmanzipation <strong>der</strong> Fremdsprachendidaktik und ihren gesellschaftlichen Bezug.Die erweiterten gesellschaftlichen Aufgaben kann die selbstbewusste interkulturelleFremdsprachenpädagogik nur in einer engen Zusammenarbeit zwischen


272particulae collectaeTheorie und Praxis erfüllen, ohne dass sie die Verfolgung neuer wissenschaftlicherErkenntnisziele vernachlässigt.Mit <strong>der</strong> europäischen Sprachenpolitik, die auf Vielsprachigkeit und Vielkulturalitätsetzt, wächst die Hoffnung auf ein friedliches und kooperatives Miteinan<strong>der</strong>lebenim vereinten Europa. Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmenfür Sprachen (man beachte: man spricht nicht von Fremdsprachen, son<strong>der</strong>nschlicht von Sprachen) und viele weitere bildungspolitische Maßnahmen <strong>der</strong>Europäischen Union bereiten den Weg für weitere, zeitangemessene Lösungen.Fremdsprachenpädagogen, aber natürlich auch Linguisten, können und sollenihren Beitrag leisten. Als Wissenschaftler, Hochschullehrer und nicht zuletztStudiendekan ist Harald Weydt dafür ein hervorragendes Beispiel.

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